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19. Kapitel

Der Held unserer Geschichte begibt sich zu den Kunstreitern, sieht dort die schöne Kolma und gerät bei Bombardier Schmoller in einen schlimmen Verdacht.

Bombardier Schmoller und Erich Freiberg verließen miteinander die Kaserne und schritten anfänglich schweigend nebeneinander dahin. Der erstere war verdrießlich; daß er eine kostbare Abendstunde opfern mußte, der andere aber in tiefes Nachdenken versunken, als er das Kasernenzimmer mit den Gesichtern seiner Kameraden hinter sich und seine Aufregung, hervorgerufen durch das tolle Spiel, noch mehr aber durch die Scene mit dem Obersten, sich jetzt infolge des Spazierganges in der naßkalten Nacht rasch gelegt hatte. Allerdings regnete es nicht mehr, doch lag ein so dicker Nebel auf der Straße, daß man nur auf wenige Schritte die Gegenstände erkennen konnte und alle Dinge unheimlich schattenhaft vergrößert erschienen. Dazu leuchteten die nahen Gaslaternen in mattroter Glut und schrumpften die weiter entfernten zu kleinen, glühenden Punkten zusammen.

Uebrigens bemerkte man viel Leben und Treiben auf den Straßen, denn es war um die Zeit, wo Theater und Abendgesellschaften zu beginnen, oder wo sich die Familienkreise um den Schein der strahlenden Lampe zu versammeln pflegen, oder wo, wie der Bombardier Schmoller in einem Anfluge von Poesie sagte, ein Wesen, das uns liebt, häufig nach der Thür zu blicken pflegt. Unangenehme Erinnerungen für jemand, der fröstelnd durch die Straßen dem Gefängnis zuwandelt! Doppelt unangenehm für Erich, der beinahe alle diese Dinge nur vom Hörensagen kannte und doch tief in seinem Herzen fühlte, welch unbeschreiblicher Reiz darin liegen müsse, auch so in einen traulichen Familienkreis gezogen, mit heiteren Blicken und mit den freundlichen Worten: »Bist du endlich da?« empfangen zu werden. Ihm war es in seinem Leben noch nie so geworden, und deshalb fühlte er eine gewaltige Sehnsucht nach einem solchen Glücke, und gerade an diesem Abende!

Das heutige Ziel der beiden jungen Leute lag von der Brigadeschule, einem ehemaligen Dominikanerkloster aus, ganz am andern Ende der Stadt, und waren es ebenfalls Räume, in denen einst Mönche gewandelt, Söhne des heiligen Augustinus, welche nun im Wechsel der Zeiten zu einem Militärarrestlokale umgewandelt worden waren, weshalb sich auch der schlechte Witz eingebürgert hatte, beim Betreten dieser heiligen Hallen, wenngleich leise, den Gesang anzustimmen:

»O, du lieber Augustin, alles ist hin!«

Da lag es nun vor ihnen mit seinen hohen Mauern, so finster und anscheinend so unbewohnt, und selbst als sich auf das Anläuten Schmollers am großen Thore einiges Leben zeigte, war dieses durchaus nicht gemütlicher, sondern recht unfreundlicher Art. Ein alter Unteroffizier in Mantel und Mütze, mit finsterem Gesichte und großem Barte öffnete das Thor und hielt den beiden, ohne zu sprechen, seine Laterne entgegen, und erst nach einer ziemlich langen Pause sagte er kopfnickend: »Das ist spät genug, um noch jemand einzusperren, nur rasch herein! Wo ist der Zettel?«

Voranschreitend trat er in ein kleines Lokal dicht beim Thore, setzte dort seine Laterne auf den Tisch, worauf er den Arrestschein aus den Händen des Bombardiers entgegennahm.

Er entfaltete ihn, hielt ihn hinter die Laterne, und nachdem er einen Augenblick hineingesehen, schaute er mit noch finstererem Gesichtsausdrucke in die Höhe.

»Na, was soll denn das heißen?« sagte er barsch. »Ich glaube, der junge Bombardier von der Artillerie hat nicht übel Lust, ein bißchen Schindluder mit mir zu treiben da, lesen Sie einmal!«

Schmoller nahm das Blatt, und schon während seine Augen es überflogen, entfuhr seinem Munde ein gelindes: »Kreuzdonnerwetter ja, was ist denn das?«

»Das möchte ich Sie fragen, am allerwenigsten aber ein Arrestzettel lesen Sie doch!«

Schmoller las achselzuckend: »Bei der Minerva hat sich überhaupt gefunden, daß ihr ganz wackeliges Untergestell einer gründlichen Reparatur bedarf.«

»He, Herr Bombardier?«

»Da ist allerdings ein Irrtum vorgegangen, und daran bin ich selbst schuld, das heißt, eigentlich du, verfluchter Kerl,« wandte sich der Bombardier an Erich; »denn wenn man so aus seiner gemütlichen Schreiberruhe aufgeschreckt wird und eilig zusammenpacken muß, um einen so nichtsnutzigen Kerl noch spät abends in Arrest zu bringen, da kann es wohl vorfallen, daß man die Zettel verwechselt. Das da ist allerdings ein Auszug aus dem letzten Protokolle der Geschützrevisionskommission.«

»Und was ist da zu machen?«

»Ohne gehörig ausgefertigten Zettel bei mir gar nichts. Mit Verlaub, ich kenne diese jungen Herren von der Artillerie mit ihren Streichen und habe nicht Lust, mir daran die Pfoten zu verbrennen!«

»Aber, Herr Unteroffizier, es kann doch keinem vernünftigen Menschen einfallen, sich ohne Befehl auf drei Tage einsperren zu lassen!«

»Möglich, sogar wahrscheinlich.«

»Nun denn, so lasse ich Ihnen meinen Kameraden hier und bringe Ihnen morgen in aller Frühe den Arrestzettel.«

Nun war aber der alte Unteroffizier eine echte, gediegene Kommißnatur, weshalb er zur Verneinung mit dem Kopfe schüttelte und seine Leuchte sowie den Schlüsselbund mit einer bezeichnenden Bewegung nach der Thür aufnahm.

»Da soll doch ein siebenzölliges Granatendonnerwetter dreinschlagen!«

»So müssen wir also den weiten Weg nach der Brigadeschule zurückrennen um dieses verfluchten Zettels willen?«

»Ja, und müssen sich recht eilen«, bemerkte der Schließer des Arrestlokals, indem er auf eine Schwarzwälder Uhr blickte, die in der Ecke des Zimmers leise und schläfrig pickte. »Es ist in einer halben Stunde achte, und dann braucht es eines Kommandanturbefehls, um noch jemand einzuschließen.«

»So komm denn, fataler Kerl!« rief der Bombardier Schmoller zornig, und als er auf der Straße in den längsten Schritten vor Erich herlief, fuhr er fort: »Das hat man davon, wenn man ordentlich und fleißig ist! Wäre ich am heutigen Feiertage herumgebummelt, wie der Block oder der süße Flattich, so hätte mich der Feldwebel nicht erwischt, um dich einzuspinnen!«

»Du bist aber in der That ungeheuer komisch!« gab Erich zur Antwort. »Ich bin das arme Schlachtopfer mit drei Tagen auf dem Kerbholze, werde hier in Nacht und Nebel durch die schmutzigen Straßen geschleppt, weil du den Arrestzettel vergessen hast! Ist das nicht ebenso grausam, als wenn man jemand, der gerade geköpft werden sollte, noch einen Aufschub von ein paar Tagen verkündet? Warum hast du den Schein nicht genauer angesehen?«

Nun war Schmoller im Grunde ein guter Kerl und sein Zorn im nächsten Augenblicke verraucht, so daß er lachend erwiderte:

»Hast recht, und damit du siehst, wie gut ich's mit dir bei alledem meine, so tritt, während ich allein nach Hause trabe, in das Kaffeehaus dort an der Ecke des großen Platzes und warte da, bis ich zurückkomme; du kannst für die kalte Nacht ein bißchen Durchwärmung brauchen.«

»Ein vortrefflicher Rat,« sagte Erich, »und sehr ausführbar, wenn ich nur auch einen Kreuzer Geld in der Tasche hätte!«

»Und war doch erst vorgestern Löhnungstag! Höre, Freiberg, du bist wirklich auf dem Wege, eine liederliche Fliege zu werden!«

»Jawohl, mit einem Thaler monatlich, ohne Zulage!«

»Allerdings, und bei aller Freundschaft für dich kann ich dir im vorliegenden Falle nicht helfen; wenn ich alles, was ich besitze, zusammenscharre, so komme ich höchstens noch zwei Tage über Hunger und Durst hinweg!«

»Trotzdem daß vorgestern Löhnungstag war?« »Lieber Freund, unsereiner, in einer gewissen Stellung gesellschaftlicher Verpflichtungen! Doch tritt immerhin in das Kaffeehaus, laß dir ein Glas Wasser und die englische Zeitung geben und sage, du wartest hier auf einen vornehmen Freund, der dich in kurzer Zeit zu einer ausgezeichneten Abendunterhaltung abholen wolle.«

»Das sei Gott geklagt mit dieser Abendunterhaltung!« gab Erich mit einem Anfluge üblen Humors zur Antwort, als sie nun den weiten Platz und das strahlend erleuchtete Kaffeehaus erreicht hatten; »doch habe ich eine andere Idee, um mir unterdessen die Zeit zu vertreiben. Dort vor uns in der großen Bude hat soeben die Vorstellung der Kunstreiter begonnen; da werde ich mich langsam umherschlängeln, die Leute betrachten, die hineingehen, vielleicht auch einmal die Nase in den Stall stecken, die Anschlagezettel lesen, und kann mir alsdann heute nacht auf der harten Pritsche einbilden, ich hätte die Vorstellung mit angesehen.«

»Gut denn, aber brenne mir nicht durch!«

»Lächerlicher Kerl, ich möchte wissen, wohin!«

»Ich finde dich also dort bei der Kunstreiterbude?«

»Gewiß!«

Damit trabte Herr Schmoller der Brigadeschule zu, und Erich betrat den Platz, in dessen Mitte, undeutlich durch den Nebel schimmernd, die große Bude sich erhob. Sie erschien ihm mit ihren kleinen, rotglühenden Fensteröffnungen, eingehüllt in Nebel und Rauch, aus allen Fugen dampfend durch die Hitze in ihrem Inneren, wie ein riesenhafter, glimmender Kohlenmeiler, wie er sie in seiner Jugend so häufig auf den Waldlichtungen gesehen.

Ach, jene Zeit, die trat ihm jetzt so lebendig wehmütig vor die Seele. Wie oft hatte er stundenlang in die sinkende Nacht hinein mit den rußigen Köhlern geplaudert, sich von ihren Seltsamkeiten aus dem einsamen Waldleben erzählen lassen, daraus Märchen zusammengesetzt für die alte taube Lise, die er zu Hause am Spinnrade traf und die ihm freundlich zunickte, wenn sie auch von seinen Erzählungen nicht viel verstand. Deshalb aber war sie gerade das dankbarste Publikum, das sich der lebhafte Knabe nur wünschen könnte, denn bei den ungeheuerlichsten Dingen, die er vorbrachte und meistens selbst erlebt haben wollte, Abenteuern mit Drachen, Feen und Kobolden, nickte sie ihm gemütlich beistimmend zu und schien die ganze Pracht der Märchenwelt mit ihm zu empfinden.

Gewöhnlich handelten dieselben von armen verlassenen Kindern, wie er ja selber eines war, von unschuldig Verfolgten, Mit Not und Kerker Bedrohte, eine Lage, in die Erich sich besonders am heutigen Abende so recht lebhaft hineindenken konnte. Da sah er sich wieder wie damals, fliehend im dichten, düsteren, naßkalten Walde, nirgends ein Obdach, nirgends eine Zuflucht, bis ihm der gutmütige Köhler verriet, daß er nur geradeaus zu gehen habe, um das Schloß der guten Feenkönigin zu erreichen. Richtig, dort stieg es vor ihm empor, geheimnisvoll erleuchtet durch Dunst und Nebel schimmernd und jetzt mit einem Mal, wie ihm zum Willkommen, schmetterten die Trompeten, dröhnten die Pauken und drang eine herrliche Musik aus der Feenburg weithin hallend ihm entgegen. Auch öffneten sich in diesem Augenblicke die breiten Flügelthüren, er blickte in eine glänzend erleuchtete Halle und sah dort phantastische Gestalten sich bewegen, Gestalten in den seltsamsten Gewändern, mit Goldstickereien und wehenden Federn. Aber nur einen Augenblick sah er das, dann schlossen sich die Flügelthüren, und er fühlte, daß er ausgeschlossen sei von all der. Pracht und Herrlichkeit, von jener in der Feenburg, sowie von dieser in der Kunstreiterbude, und daß er nichts war, als nur ein armer junger Mensch, der fröstelnd durch die Nacht schlich in Erwartung, auf drei Tage und drei Nächte in einen düsteren Turm gesperrt zu werden.

Herrliche Aussichten! – Und deshalb war es wohl so begreiflich, daß er, um den Cirkus herumschreitend, alle diese frohen, freien, glücklichen Menschen beneidete, die eilig daherkamen, zu Fuß und zu Wagen, und erwartungsvoll in das hell erleuchtete Haus strömten.

Und in welch dichtgedrängten Scharen zogen sie herbei und wandten sich mühsam durch die Haupteingangspforte oder belagerten förmlich die beiden Kassen rechts und links vor derselben! Es mußte heute abend etwas ganz Außerordentliches in der Vorstellung stattfinden; aber was konnte das eigentlich Erich kümmern, der schon so zu sagen mit einem Fuße im Arrest war, und doch las er den großen Anschlagzettel dort neben der Gaslaterne. Da kamen all die gewöhnlichen und ungewöhnlichen Geschichten, die Schulpferde, Bravourstücke, Sprünge über Bänder und Pferde, durch Reifen zugleich, mit dem Pferde über vier Barrieren und Aehnliches, da waren die verschiedenen Clowns, gewöhnlich als die ersten der Welt gepriesen. Halt, und hier zeigten zwei große, auf einen Fleck hindeutende Hände gewiß etwas ganz Besonderes, und doch wieder nur einen einzelnen, aber sehr groß gedruckten Namen: »Demoiselle Kolma Tiezka«. Doch was war ihm alles das! Er wandte sich mißmutig vom Haupteingange des Cirkus wieder ab, der anderen, ruhigeren Seite zu, wo sich zuweilen die schon oben erwähnte Doppelthür öffnete, um Pferde aus und ein zu lassen, welche dicht mit Decken verhängt waren und gewöhnlich von einem nicht weit entfernten großen Stalle gebracht wurden. Welch eigentümlicher Anblick bot sich ihm dar, wenn er alsdann hier hineinblickte und eine Vorhalle voll gesattelter und aufgeschirrter Pferde, wo sich bunt kostümierte Reiter und glänzende Reiterinnen hin und her bewegten, plaudernd und lachend mit ihren Kollegen und Kolleginnen oder auch mit jungen Leuten aus dem Bürgerstande und ab und zu gehenden Offizieren! Erich fühlte sich von diesem eigentümlichen Leben, sowie von der wohlthuenden Wärme, welche hier herrschte, so angezogen, daß er gern einen Augenblick hineingetreten wäre, wenn ihn nicht die Furcht abgehalten hätte, von seinem Freunde Schmoller nicht aufgefunden zu werden, sowie einigermaßen die Besorgnis, von einem der Offiziere befragt zu werden; doch war das eigentlich wenig zu befürchten, denn die Lehrer der Brigadeschule waren viel zu ernst und gesetzt, um sich so zu sagen hinter die Coulissen eines Kunstreitercirkus zu begeben, und die übrigen Artillerieoffiziere der Besatzung, die vielleicht mit Dragonern und Husaren hier aus und ein gingen, achteten wenig auf einen einfachen Kanonier.

Diesen Betrachtungen sich hingebend, war Erich dem Zufall nicht undankbar dafür, daß er ihn in diesen, für jeden jungen Menschen so anziehenden Raum hineinstieß, und zwar auf die einfachste Art von der Welt, da einer der Reiter, mit sechs gekoppelten Pferden vom Stalle drüben bei der Thür ankommend, den jungen Artilleristen bat, ihm die Thür zu öffnen und auch hinter ihm wieder zu schließen. Dazu kam noch, daß der Reiter, ein alter Mann, alsdann Erich einen bezeichnenden Wink mit dem Kopfe gab, ihm doch zu folgen, und ihm nun im Inneren des Raumes die Zügel zweier Pferde zuwarf, um diese für einen Augenblick zu halten, während er sich selbst aus dem Sattel herabschwang. So klein und unbedeutend sind oft die Ursachen, deren sich der Zufall bedient, um irgend jemand aus der kalten, dunklen Nacht, wo ihm vielleicht besser gewesen wäre, nach Licht, Wärme und Glanz hinüberzuziehen. Wohl dachte Erich in diesem Augenblicke an Herrn Schmoller, doch war er überzeugt, daß dieser Bombardier, welcher sich, wo es nur möglich war, bei {bild} allen dergleichen Vergnügungen herumtrieb, ihn wohl suchen und auffinden würde.

Der Reiter, welchem Erich die Pferde gehalten und der nun die Zügel wieder aus seinen Händen nahm, befand sich, wie schon gesagt, in ziemlich vorgerücktem Alter, hatte krauses, starkes, graues Haar, und erschien vielleicht gerade dadurch seine Gesichtsfarbe so dunkel, sowie seine Augen lebhaft und leuchtend. Er sagte dem jungen Manne in freundlichem Tone: »Auch ich bin einmal bei der Artillerie gewesen und denke heute noch gern daran, freue mich auch immer, wenn ich die Uniform sehe; bleiben Sie nur da, wenn es Ihnen Spaß macht, und gehen Sie nur dreist da vor in die Stallgasse, da können Sie schon etwas sehen, und wenn Sie jemand fragt, so sagen Sie nur, Sie hätten dem alten Marechal geholfen, und er hätte Sie ersucht, da zu bleiben.«

Erich, der wohl schon einmal den Produktionen anderer und geringerer Kunstreiter, und zwar von einem sehr entfernten Platze des Cirkus aus, zugesehen, war erstaunt, hier, auf der Rückseite dieses Glanzes, alles in so großartigem Stile eingerichtet und nirgends etwas Aermliches oder gar Gemeines zu finden. Die Halle, in der er sich bewegte und welche an das runde Gebäude angebaut war, hatte auf der linken Seite zwölf Pferdestände, wo sich die Tiere befanden, welche zur jedesmaligen Nummer des Programms gebraucht wurden. Rechts waren Garderoben, und im Zwischenraume befanden sich die nicht augenblicklich beschäftigten Stallmeister in einfachem, aber elegantem Kostüme, sowie verschiedene Habitués des Cirkus, junge, reiche Leute aus dem Bürgerstande, Offiziere, mit den Damen plaudernd und lachend und meist sehr gleichgültige Dinge scherzhaft oder auch wohl im ernsten Tone und mit wichtiger Miene verhandelnd.

Erich, der sich aufs höchste angezogen fühlte von dieser fremdartigen, so eigentümlichen, verlockenden Welt, betrachtete die reizenden Reiterinnen im Tricot und leichten, kurzen, bauschigen Kleidern, gewöhnlich mit unendlich langen und sehr feinen Taillen, die schönen Büsten in Gold- oder Silberstoff flimmernd, mit um so größerem Interesse, als sie sich hier natürlich gehen ließen, Frage und Antwort stellten wie andere, gewöhnliche Menschen, mit natürlichem Ernste sowie natürlichem Lächeln auf den Lippen, statt des gewaltsam freundlichen Grinsens mit jener stereotypen Freundlichkeit, mit der sie im Cirkus erscheinen, den rauschenden Beifall in Empfang nehmen und mit der sie auch jene Gleichgültigkeit heucheln, wenn sie kein Mund willkommen heißt und keine Hand ihnen Beifall klatscht.

»Caramba!« rief eine hochgewachsene, nicht mehr ganz junge Spanierin mit blauschwarzem Haar, blitzenden Augen und jener tiefen Altstimme, die den Kunstreiterinnen häufig so eigen ist, »man sollte streng darauf halten, daß keine Zettel auf die Brüstung gelegt werden; Federigo hatte genug zu thun, um mein Pferd glücklich bei den Logen links vorüber zu bringen. Ich fühlte jedesmal, wie es stutzte.«

»Und sprangen doch so wunderbar und sicher, Sennora Maritana!« entgegnete ein junger Husarenoffizier in verbindlichstem Tone!

»Aeußerlich ja; aber es ist ein garstiges Gefühl, wenn man so denken muß, vielleicht beim nächsten falschen Tritte herunterzufliegen. Ich danke dafür und werde mit dem Maestro darüber reden.«

Damit schritt sie den Garderoben zu, und als sie außer Hörweite war, sagte eine junge, blonde Polin:

»Das arme Pferd soll immer alles gethan haben; hätte man sie empfangen, applaudiert, wie sie es vor Jahren gewohnt war, so würden sie zwei Dutzend Programmzettel nicht im geringsten geniert haben.«

»Schon recht,« meinte eine dritte, die, mit ihrem Anzuge fertig, herbeitrat und sich stark in ihren Hüften wiegte, wobei sie die schlanke Taille mit ihren beiden Händen fest umspannte; »aber ich kann das auch nicht leiden, und ebensowenig wenn die Herren da« bei diesen Worten machte sie ein leichtes Kompliment gegen die Offiziere »gar zu arg mit ihren Säbeln rasseln.«

Die also sprach, hatte etwas Keckes, Herausforderndes und that dabei sehr gleichgültig gegen ihre begeisterten Freunde, während sie hinzusetzte: »Sie, Graf Barring, muß ich noch ganz besonders und dringend bitten, sich bei Ihren Blumenverschwendungen, auch wenn sie mir gelten, künftig ein wenig mehr in acht zu nehmen.« Damit hatte sie ihnen den Rücken zugewandt, den rechten Fuß auf einen niedrigen Schemel gestellt und nestelte etwas an ihren roten Stiefelchen. »Ich habe wahrlich mein Pferd nicht schlecht in der Hand,« fuhr sie in dieser Stellung fort, »liebe auch nur die lebhaften Tiere, aber wenn ihm eines Ihrer lächerlich großen Bouquets, wie neulich, an den Kopf fliegt, so ist es wahrhaftig nicht zu verwundern, wenn es aus dem Tempo fällt und beinahe wieder umkehrt.«

Der also Angeredete, ein junger, hübscher Dragoneroffizier, that ganz entzückt über diese Vorwürfe und entgegnete, die Sporen klirrend zusammenschlagend, mit einem lächelnden Gesichte: »Wunderbare Leonie, Ihr gehorsamster Diener ist schon glücklich, von Ihnen wiedererkannt worden zu sein, und nimmt selbst Ihre Vorwürfe solche Vorwürfe mit Enthusiasmus entgegen!«

»Aber Sennora Maritana hatte vorhin ganz recht, als sie sich ausließ über die störende, rücksichtslose Manier, Programmzettel oder, was noch schlimmer ist, Damenmantillen und dergleichen über die Brüstungen zu hängen. Neulich hatte ich große Lust, als ich, mich im Carriere vom Pferde herabbiegend, die Blumenkränze vom Boden aufnahm, eine dieser Mantillen abzustreifen und in den Cirkus zu schleudern.«

»Man muß unter seinen Bekannten darauf halten, daß dergleichen nicht vorkommt,« sagte ein langer, junger, etwas bleicher Mann, der mit einem Zungenanstoß sprach und sein Gesicht komisch verzerrte, während er sich Mühe gab, ein ziemlich grobes Stück Glas in das rechte Auge festzuklemmen, »ja, muß sich bemühen, auch das Publikum in dieser Richtung zu erziehen. Göttliche Leonie,« fügte er hinzu, »wie schön Sie heute abend wieder sind!«

»Und wie Sie in der ersten Abteilung geritten haben!«

»Welche Grazie, welcher Aplomb!«

»Auf Ehre, zum Rasendwerden!«

»Himmlische Leonie!«

»Wundervoll, über alle Beschreibung!«

»Ich habe wahrhaftig gute Nerven, aber mich soll der Teufel holen,« rief der Husarenoffizier hastig, »als Sie sich herabbogen, um mit Ihren schönen Zähnen das Schnupftuch vom Boden aufzunehmen, da überlief's mich ganz kalt!«

»Ach, und diese himmlischen Zähne!«

So stand dieser Kreis junger alter und alter junger Herren um das in der That schöne Mädchen herum, und wo die enthusiastischen Worte nicht auszureichen schienen, um sie gehörig zu preisen, da wurden, sie unterstützt durch einen gelegentlichen Blick an die Decke der Halle empor oder durch eine Pantomime, bei der man eine Hand auf jenen Teil der Brust legte, wo man sein Herz vermutete.

Es ist eigentümlich, daß sich diese Art von Krähen sogleich zusammenfinden, wo eine größere Kunstreitergesellschaft sich für einige Zeit aufhält, die Habitués der Manege, welche bei Lob und Tadel maßgebend zu sein scheinen, welche unter der Teilnahme im allgemeinen oder unter der Passion für Pferdedressur dieser oder jener der Damen den Hof machen und deren häufig stark abgestumpfter Sinnenreiz hier zuweilen noch belebt wird, wo sich üppige Schönheiten mit glänzenden Kostümen, fremdklingender Sprache und das Gefährliche des Metiers auf so reizende Art verbinden. Vielfach sind aber ihre Bemühungen um die gefeierten Künstlerinnen vergeblich, denn gewöhnlich hat jeder dieser Bewunderer einen glücklichen Nebenbuhler bei der Truppe.

Hier bei der Demoiselle Leonie schien dies der erste Clown Mr. Howten zu sein, der mit einem kolossalen, hahnenartigen Schritte mitten in den Kreis hineintrat und dann die ganze Gesellschaft mit einer unnachahmlichen komischen Miene ringsum betrachtete, die sich um so drolliger ausnahm, als sich auf dem völlig weiß gemalten Gesichte nur ein Paar kleine, intensiv rote Backen zeigten, sowie Schönheitspflästerchen von Schwarz und Gold, während sein Haar aus einer leuchtend roten borstigen Perücke bestand.

So anzusehen, war er ein scheußlicher Kerl, aber dabei ein großer Künstler, besonders im Violinspiel.

»Gehen Sie,« sagte Leonie lachend, »Sie sehen in der That abscheulich aus, Howten!

»Ich bin auch gar nicht gekommen, um Sie durch meinen Anblick zu erfreuen, ma plus belle,« erwiderte der Clown lachend, wobei sich seine komisch erstaunte Miene in ein heiteres Lächeln verwandelte, »sondern ich komme nur, um mich in Ihr Gespräch mit diesen Herren einzumischen und Ihnen zu sagen, daß ich mir vorhin ein Vergnügen daraus gemacht, mit meinem Violinbogen ein paar dieser naseweisen Programmzettel, sowie auch eine leuchtend rote Mantille, die auf der Brüstung kokettierte, aufzuspießen zum unendlichen Vergnügen des Publikums.«

»Und warum thaten Sie das, Howten?« fragte die Kunstreiterin in einem beinahe ärgerlichen Tone. »Mich geniert's heute abend nicht mehr, oder sorgen auch Sie für die Ticzka? Ah, wenn ich das wüßte!«

»Was geht mich die Ticzka an! Aber ich meine, es wäre vor ihrem Auftreten Wichtigthuerei genug, daß der Prinzipal mit vier Stallmeistern und allen vorrätigen Eleven die ganze Bahn abschreitet, nachdem der Sand aufs neue aufgelockert ist, um sich zu überzeugen, daß für die Preziosa sich alles in Ordnung befindet. Ich ärgere mich, daß dann obendrein noch einer der Stallmeister die an der Brüstung Sitzenden höflich ersuchte, doch bei der verzweifelt gefährlichen Nummer der berühmten Ungarin alles zu vermeiden, was die Pferde scheu machen könnte. Schwindel, wo man die Hand hineinstreckt!« Diese letzten Worte sagte er leise zu Leonie, während er dicht an sie herantrat, wobei der Kreis von deren Bewunderern scheinbar Partei für die Anmaßung der Ticzka im allgemeinen zu nehmen schien.

»Was sie macht, ist allerdings außerordentlich unbegreiflich,« meinte der Dragoneroffizier, »aber immer dasselbe toujours perdrix ah, da lobe ich mir doch eine Vielseitigkeit wie die unserer angebeteten Leonie!«

»Aber mit Unrecht, Graf Barring. Ich versichere Ihnen, es ist eine kluge Idee dieser überaus klugen Ungarin, die doch gerade so thut, als wenn sie durchaus nichts vom Metier verstünde ...«

»Als nur das eine: ungeheure Gagen einzuziehen,« unterbrach sie lachend der Clown.

»Sich nur mit einem einzigen Hauptstücke zu beschäftigen, eine Spezialität zu sein, durch welche ihr ein glänzender Ruf nach Paris und London nicht fehlen kann.«

»Aber nun, meine Herren«, fuhr sie mit einem graziösen Rundkomplimente gegen ihre Verehrer fort, wobei sie den Knopf ihrer Reitpeitsche zierlich gegen ihre Brust legte, »sind Sie für jetzt in Gnaden entlassen. Die schöne Kolma, die erste Reiterin dieses Jahrtausends, wird sogleich erscheinen, und ich möchte niemand von Ihnen in Verlegenheit bringen.«

»Grausam!« rief ihr Graf Barring nach, und er, welcher der Begünstigtste von allen zu sein schien, eilte ihr nach bis zur Thür der Garderobe, wo er denn auch so glücklich war, ihr die Hand küssen zu dürfen, ehe sie verschwand.

Erich war unterdessen von dem freundlichen Marechal, der sich, wie er gesagt, stets an einer Artillerieuniform erfreute, in einen schönen Winkel am Eingange gestellt worden, wo er alles vortrefflich sehen konnte, ohne fürchten zu müssen, entdeckt zu werden. Eigentlich hatte er auch keine besondere Angst in dieser Richtung; der Alte ging niemals in einen Cirkus, Hauptmann Wetter ebensowenig, und selten einer der anderen Lehrer. Seine einzige Besorgnis war, von Schmoller verfehlt zu werden, weshalb er sich häufig nach der Thür umblickte, wo er hereingekommen, und jetzt in der Pause zwischen der ersten und zweiten Abteilung auch so glücklich war, seinen Freund, den Bombardier, zu entdecken, der den Kopf zur Thür hereinstreckte und sich mit einem zweifelhaften Blicke umschaute. Hier war es nun wieder der Stallbeamte Marechal, welcher auch diese zweite Artillerieuniform protegierte und dem Bombardier auf seine Frage sagte, wo er den anderen zu finden habe.

»Du bist ein netter Kerl,« sagte Schmoller, »läßt mich da durch Wind und Nässe nach Hause patschen, während du hier hinter den Coulissen stehst und zuschaust!«

»Ich bin eben der Wärme nachgegangen, in Anbetracht der kalten Nacht, die mir bevorsteht.«

»Das ist eine verfluchte Geschichte!« antwortete der andere, sehr ernst werdend. »Denke dir, ich habe deinen Arrestzettel nicht bekommen, die Bureauthüren fest verschlossen und euer Feldwebel ausgegangen das ist eine saubere Bescherung! Ich dachte schon daran, selbst einen Zettel zu schmieren; aber der Teufel ist ein Eichhörnchen, er hüpft dir auf die Schulter, wo du ihn am wenigsten erwartest, und es könnte leicht geschehen, daß sie mich für einen nachgemachten Zettel selbst beim Essen behielten, und dafür möchte ich danken. Ich habe für eigene Rechnung genug Striche am schwarzen Brette des Brigadeschreibers.«

»Was ist aber da zu machen?«

»Ja, wenn ich das wüßte! Nach Hause darfst du nicht, denn auf jeder Stube ist irgend eine kalfakterische Seele, die es herumzubringen wüßte.«

»Aber ich kann doch nicht bei der kalten Nacht auf der Straße herumlaufen, bis der Tag kommt, und dann bitten, daß man die Gnade hat, mich einzusperren!«

»Deshalb ist es, wie ich vorhin schon sagte, eine verfluchte Geschichte und will überlegt sein, und das wollen wir nachher bei einem Glase Wein thun.«

Erich sah seinen Freund mit einem zweifelhaften Blicke an.

»Nun ja, ich bin ein Freund, wie es wenige gibt; nicht nur, daß ich aus allen Taschen und Winkeln meine letzten Kreuzer zusammengescharrt habe, um dich nicht Hungers sterben zu lassen, nein, ich muß auch noch ein allerliebstes Rendezvous im Stiche lassen, um in deiner amüsanten Gesellschaft zu bleiben. Hoffe aber auf Wiedervergeltung.«

»Gewiß,« versetzte Erich lachend, »und dieselbe fängt jetzt schon an, denn du mußt gestehen, daß ich dir durch meine Bekanntschaften hier im Cirkus einen vortrefflichen Platz verschafft habe. Da vor uns,« setzte er flüsternd hinzu, »sehe ich Leute ebenfalls stehen, die gewiß einen Thaler für ihr Billet bezahlt haben, und so viel, vermute ich, gedenkst du nicht für mein Nachtessen aufzuwenden.«

»Ich wiederhole, du bist ein verfluchter Kerl und dabei ein Heuchler! Sage mir, wie kommst du zu Cirkusbekanntschaften?«

»Pah, wie man zu so was kommt! Dort kommt mein Protektor, derselbe, der dich hereingelassen.«

In der That trat Marechal zu den beiden und sagte wohlwollend: »Da bleiben Sie nur stehen, drücken Sie sich nur ein bißchen auf die Seite, wenn beim Beginne der zweiten Abteilung die wilde Ticzka durchpassiert. Haben Sie Angst vor Pferden?«

»Ah, bitte recht sehr, wir sind von der Artillerie!«

»Aber wer ist die wilde Ticzka?«

»Sie haben das noch nicht gesehen?« fragte Marechal verwundert. »Auch nicht den Zettel gelesen?«

»Ja,« sagte Erich, »darin steht aber nichts als einfach der Name Kolma Ticzka.«

»Und das ist beim Henker genug, der Name allein! Schauen Sie, das Haus ist zum Brechen voll, anderthalbmal ausverkauft; da oben drängen sie sich zusammen wie die Heringe in der Tonne, und das alles nur, weil heute die Ticzka reitet.«

»Macht sie auch solche Sachen wie vorhin die schöne schwarze Dame, welche in der Carriere die Schnupftücher mit den Zähnen vom Boden aufhob?«

»Ah, die Maritana ist nichts dagegen! Allerdings etwas Bravour, doch wenig Grazie!«

»Und was thut denn die Ticzka, von der ich allerdings schon gehört?« setzte der Bombardier Schmoller renommierend hinzu.

»Lassen Sie sich überraschen und gebrauchen Sie Ihre Fäuste zum Applaudieren, die verdient's ob!« setzte er hinzu, indem er kopfaufwerfend davonging.

Nun sah man aber auch dem großen, dichtgefüllten Hause an, daß sich etwas ganz Außerordentliches vorbereitete. Man rückte auf den Plätzen hin und her und man bog sich vornüber, man suchte sich Platz zu machen, wie man konnte, man putzte Gläser und Lorgnetten, Tausende von Blicken richteten sich nach dem Eingange, der zu der oben erwähnten Vorhalle führte, während wenige sich um den Prinzipal der Kunstreiter bekümmerten, der, im einfachen, eleganten Anzüge, gefolgt von einem großen Schweife von Stallmeistern und Eleven, sorgfältig prüfend, wie es schien, den Boden der Manege betrachtete und mitten in der Bahn stehen blieb, um auf ein gegebenes Zeichen mit der Hand sein sämtliches Gefolge bis auf vier der besten zu entlassen, die später in den gewissen kleinen Kreisen hinter ihm dahingehen mußten, während er selbst die Leitpeitsche führte natürlicherweise für die Ticzka, dachten die Kolleginnen achselzuckend.

Nun fing die zweite Abteilung an, und zwar durch das volle Orchester, mit einem rauschenden Csardas.

Die Gasse, in der unsere Freunde standen, war durch Herren und Damen von der Truppe, durch Offiziere und tägliche Besucher vom Civil so besetzt, daß nur eben Platz blieb für den Viererzug prachtvoller ungarischer Pferde, die jetzt hier erschienen in kurzem, anmutigen Galopp, gelenkt von einer jungen Dame, die ebenso gleichgültig wie anmutig auf dem Sattelpferde stand, hoch aufgerichtet, die lange Peitsche in der Rechten, während sie mit der Linken die strammen Zügel hielt, um die unruhig mit den Köpfen schüttelnden Vorläufer bis zum Eintritte in den hell erleuchteten Kreis zurückzuhalten.

Da scholl ihr ein tausendstimmiger Jubelruf und ein betäubendes Händeklatschen entgegen: »Ah, die Ticzka! Brava, brava! Hoch die Ticzka! Brava, brava!« Und dazwischen erklang hier und da ein begeistertes Eljen.

Es war aber auch der Mühe wert, die Reiterin einsprengen zu sehen. Die Zügel nachlassend, sauste ihre Peitsche über die Köpfe der Vorläufer dahin, die, mit einer Lançade ansetzend, um mit fliegender Mähne in einer so tollen Carriere, wie auch bei den großen Bravourstücken hier und da am Schlüsse vorkommt, fünf- bis sechsmal den Kreis zu nehmen und darin, auf einen {bild} Zungenschlag ihrer Lenkerin plötzlich parierend, da standen, der Ticzka keine andere Bewegung verursachend, als die eines anmutigen Grußes ringsumher, eines Dankes für den freundlichen Empfang. Dann kam die gewöhnlich wohlberechnete Pause, in der hier bei der gefeierten Künstlerin der Prinzipal selbst an das Sattelpferd trat, während sich der Stallmeister mit den übrigen damit beschäftigte, noch einen letzten Blick nach den Geschirren, besonders den Kreuzzügeln, zu werfen. Währenddessen stand sie hoch aufgerichtet da, wie um ihren Verehrern für ein paar Augenblicke das ruhige Betrachten ihrer Schönheit zu gestatten. Und schön war dieses Mädchen, das mußte selbst der Neid, oder die Kolleginnen, was eigentlich gleichbedeutend ist, zugestehen. Schön von Gesicht, reizend und elegant von Gestalt; hier waren die schlanksten, kraftvollsten Körperformen von einer bewunderungswürdigen Harmonie, fein, ohne mager zu sein, und dabei doch von einer entzückenden, aber vollkommenen jungfräulichen Fülle. Das waren Glieder wie von Stahl, und daß dieselben von eisernem Willen bewegt wurden, sah man an ihren schönen, energischen Gesichtszügen, an ihren fast trotzig aufgeworfenen starken Lippen, an dem Blicke ihrer dunklen Augen, deren wilder, melancholischer Ausdruck gemildert wurde durch eine eigentümliche Stellung derselben, zuweilen einem Verschwimmen der Blicke ähnlich, die ihnen etwas ungemein Pikantes gaben.

Ihr Anzug war der einfachste, den man sich denken konnte, und imponierte eben gerade durch diese Einfachheit. Es war das Tschikos-Kostüm, für eine Dame arrangiert, weiß mit einfachen, roten Stickereien, und statt von Leinwand, vom feinsten Wollenstoffe; auf dem Kopfe hatte sie den einfach aufgekrempten ungarischen Hut mit einer Adlerfeder, in dem ledernen Gürtel ein schön gearbeitetes Fogosch, an den zierlichen Füßchen ziemlich lang heraufreichende Cismen. Sie hatte sich jetzt auf den Sattel niedergelassen, und nachdem sie die Zügel ihrer Vorläufer am Sattelknopfe des Handpferdes festgebunden, saß sie da mit zusammengelegten Händen, den Kopf herabgebeugt, während sich die vier Pferde auf einen leichten Zungenschlag in einen kurzen, anmutigen Galopp gesetzt hatten. Es war das Bild einer durch die ungeheure Ebene des Banats nach Hause heimkehrenden Reiterin. Sie träumt von der fernen Heimat, deren mit Stroh bedeckte flache Häuser sowie das Wahrzeichen der Pußta, der hoch emporragende Ziehbrunnen, in kurzer Zeit vor ihrem Horizonte auftauchen mußte. Zuweilen belebte sich ihr melancholisches Auge, dann beschattete sie es mit der Hand, um weit, weit vor sich hinaus oder rings um sich her zu spähen.

Und dazu ging die Musik in einer jener eigentümlich einschläfernden Weisen, die nur zuweilen wie durch einen leuchtenden Blitz unterbrochen werden von dem plötzlichen Auftauchen der ersten Violine, aber ebenso rasch und in Molltönen wieder ersterbend. Jetzt aber scheint die Ungarin etwas um sich her zu vernehmen, was ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Ihre zusammengesunkene Gestalt richtet sich hoch im Sattel auf, ihr Auge belebt sich, sie späht aufmerksam rings um sich her glaubt sie doch Hufschlag hinter und neben sich zu vernehmen! Rasch beugt sie sich von dem Sattel nieder, daß ihr Haupt fast den Sand des Bodens berührt, um zu lauschen, und dann gewinnen ihre Züge wieder jenen energischen Ausdruck, mit den, wir sie vorhin einreiten sahen. Auch der Gang der Pferde {bild} animiert sich, ohne weiteren Zungenschlag, ohne weitere Hilfe der Peitsche. Die Vorläufer werfen ihre Köpfe in die Höhe und greifen rascher aus, ihnen folgen die beiden anderen, und nun fliegt auch schon die Ticzka rasch wie ein Blitz in die Höhe und steht mit einer Sicherheit, im Fluge die Zügel ihrer Vorläufer ergreifend, auf dem Rücken ihres Pferdes, daß ein lauter Ausruf des Erstaunens ringsumher erschallt. Schon haben wir auch die Ursache ihrer Aufmerksamkeit erfahren: es ist ein wildes Pferd der Pußta, das nun über die Barriere in den Cirkus setzt, gegen die vier der Reiterin hingaloppiert, um gleich darauf vor denselben in den tollsten Sprüngen zu entfliehen. Ah, nun beginnt die wilde Jagd der Ticzka! Sie drückt ihr kleines Hütchen in die Stirn, sie läßt einen kurzen, scharfen Ruf erschallen, und dahin fliegen ihre vier Renner zur Verfolgung, daß der Sand emporwirbelt, und dabei steht sie mit einer Sicherheit da, sich bald rechts, bald links wendend, vornüber und rückwärts beugend, und dabei so elegant und graziös, daß es nicht Wunder nehmen kann, wie zuweilen kurzer, aber rauschender Beifallssturm die Luft zerreißt. Bei ihr ist die höchste Natürlichkeit und die höchste Kunst vereinigt; zuweilen treibt sie ihre beiden Hauptpferde dicht zusammen, um auf beiden zugleich zu stehen; zuweilen bückt sie sich tief herab, irgend etwas an ihrem Sattelzeuge zu ordnen, zuweilen wirft sie plötzlich ihren Vorläufer herum, den Kreis durchschneidend, um dem flüchtigen Pferde vor ihr den Weg zu verlegen aber umsonst. Es ist das ein überraschend tolles Dahinjagen, zuweilen ein regelloser Knäuel der Pferde, ein beständiges Changieren derselben, so daß man in jedem Augenblicke fürchten muh, die wilde Reiterin herabfliegen zu sehen. Aber unbesorgt! Sie steht da oben fest und sicher mit einem zuversichtlichen Lächeln, aber kopfschüttelnd mit einem bitteren Lächeln, da es ihr noch nicht gelungen ist, den Flüchtling einzufangen. Jetzt läßt sie sich auf ein Knie nieder, befestigt abermals die Zügel ihrer Vorläufer wie des Handpferdes und löst vom Sattelknopfe des letzteren einen zusammengerollten Lasso, mit dem sie jetzt wieder emporspringt, ihn hoch in der rechten Hand haltend, während ihre Linke das Ende desselben gefaßt hat, frei stehend, ohne Zügel auf den dahinsausenden Pferden.

Ringsumher scheint von den Tausenden niemand zu wagen, auch nur den geringsten Laut von sich zu geben, tiefe Stille liegt auf dem Hause, denn man weiß, was nun kommt, die Ticzka hat das schon öfter gemacht; aber der Sachverständige weiß auch, daß es nur des geringsten Versehens bedarf, nur eines falschen Trittes der Pferde, nur einer zu frühen oder zu späten Gegenwirkung des Gewichtes ihres eigenen Körpers, um sie rettungslos zwischen die Pferde hinabzureißen.

Alle Herzen schlagen in höchster Aufregung, nur das ihrige scheint so ruhig wie möglich, denn auch nicht das geringste Zucken ihres Körpers oder ihres schönen Gesichtes zeigt eine andere Aufregung als die Begierde, den Flüchtling vor ihr zu erreichen. Nun fliegt der Lasso die Schlinge sitzt um den Hals des seitwärts galoppierenden Pferdes, alle Muskeln der Reiterin spannen sich an, ihr Auge flammt, sie wirft sich rückwärts, daß {bild} man glaubt, sie müsse auf die Kruppe ihres Pferdes stürzen, um im nächsten Augenblicke, unter einem rasenden Beifallsstürme des ganzen Hauses, wieder aufrecht, lächelnd dazustehen, den gefangenen Flüchtling langsam zu sich heranziehend.

Ob das ein Applaudieren war, ein wildes Bravo- und Eljenschreien aus Hunderten und Hunderten von Kehlen! Ob das wohl ein Blumenregen genannt werden konnte, diese unzählige Menge von großen und kleinen Bouquets, die von allen Seiten in den Cirkus flogen und für welche Spende sich die Ticzka, nun wieder quer auf einem ihrer Pferde sitzend und langsam herumreitend, mit anmutigem Neigen des Kopfes bedankte! Eljen! Eljen! Ob wohl irgend jemand da war, der dem schönen, wilden Mädchen nicht mit unverkennbarem Interesse in die dunklen, leuchtenden Augen blickte?

Und Erich? Er stand in der Menge verborgen, aber nicht minder aufmerksam wie alle anderen; doch war es anfänglich nur ein allgemeines Interesse gewesen, mit dem er der schönen Reiterin zugeschaut, bis er, als sie zum erstenmal langsam im Kreise herumritt, und als es ihm so möglich geworden, ihr Gesicht zu sehen, sie erkannt und gewaltsam an sich halten mußte, um einen lauten Aufschrei zu unterdrücken. Ja, sie war es es war die Esmeralda, es war die schöne Zigeunerin, die er damals nach jenem Manöver heimwärts geleitet, die sich an seine Seite geschmiegt, die er später im Schlosse des Grafen Seefeld gesehen die Esmeralda, welche damals schuld an seiner Befreiung war!

Ja, sie war es, oder es mußte eine Aehnlichkeit geben, die ihm aber unmöglich erschien; doch hatte er nicht Zeit, diesen Gedanken nachzuhängen, die Gegenwart wirkte zu heftig auf ihn ein, denn da in der Manege hatte dasselbe Spiel wieder begonnen; ein zweites zügel- und sattelloses Pferd, ein drittes und viertes setzte über die Barriere in den Cirkus, wurden von der Ticzka unter verschiedenen pikanten Abänderungen ihres Spieles eingefangen und ihrem Viererzuge angekoppelt, worauf dann der Schluß ihrer Vorstellung in einer letzten, tollen Carriere sämtlicher Pferde bestand, während welcher die Zuschauer in der Stallgasse ersucht wurden, diese schleunigst zu räumen.

Kaum war dies geschehen, kaum waren Erich und sein Freund mit anderen in die Vorhalle zurückgewichen, als auch schon die wilde Reiterin, mit ihren sämtlichen Pferden über die Ausgangsbarriere setzend, hinter ihnen dreinraste, die Ticzta hoch und sicher dastehend, ohne sich zu regen, ohne zu wanken. Daß ein tausendstimmiges Bravo und nicht enden wollendes Händeklatschen sie zurückrief, versteht sich von selbst; doch erschien sie, nach Damenart sitzend, auf einem der ungesattelten Pferde, welches nun, rasch mit einer Trense versehen, abermals sowohl

beim Ein- als beim Ausreiten mit einer bewundernswürdigen Sicherheit und Grazie die Barriere nahm, während die schöne Reiterin durch anmutige Handbewegungen ihren Dank ausdrückte.

Die Zuschauer im Cirkus setzten ihren rasenden Beifallssturm wohl noch ein paar Minuten lang vergeblich fort, und erst als sie sahen, das die Ticzka nicht wiederkam – denn sie pflegte sich nie mehr als einmal nach jeder Produktion zu zeigen , beruhigten sie sich allmählich, aber immer noch unter sporadisch wieder ausbrechendem Tumulte.

Sie ließ sich jetzt in der Halle langsam von ihrem Pferde herabgleiten und mußte hier, wohl oder übel, stillhalten, um sich für ein paar Augenblicke die begeisterten Exklamationen der jüngeren und älteren Herren gefallen zu lassen, welche vorhin den Anbeterkreis der Demoiselle Leonie gebildet hatten. Wie sehr dies aber die Ticzka langweilte, sah man wohl an ihren Mienen, sowie an der angelegentlichen Art, mit der sie dem edelsten Pferde aus ihrem Viererzuge, das, welches sie hauptsächlich getragen, schmeichelte, es auf den schlanken Hals klopfte und ihm mit einem leichten ironischen Lächeln erlaubte, den Kreis ihrer Bewunderer zu vermehren. Mit einemmal verschärfte sich ihr hier so gleichgültiger Blick zur Aufmerksamkeit, ja zum unverkennbaren Interesse. Sie warf den Zügel ihres Pferdes einem Reitknechte zu, sie durchdrang den dichten Kreis, der sich um sie gebildet hatte, um einen scheinbar ganz unbedeutenden Menschen in der Uniform eines Gemeinen von der Artillerie, welcher allerdings sehr anhaltend herübergeblickt, ihre Hand auf die Schulter zu legen, ihm forschend ins Auge zu blicken und alsdann laut und freudig auszurufen: »Ja, Sie sind es! Ah, wie mich das freut!«

Erstaunt blickten ihr alle nach, und es war ein fast mißbilligendes Gemurmel über diesen eigentümlichen Vorfall. »Was hat die Ticzka nur schon wieder?« fragte einer den anderen. »Wieder eine ihrer sonderbaren Launen, vielleicht eine Bekanntschaft von früher her ... Pah, ein Mensch, der fast jünger ist! Auch darin ist sie extravagant, diese merkwürdige Person! Ja, wenn sie nur nicht eine so wunderbare Reiterin wäre und dabei von einer so pikanten Schönheit... Ahaaah!«

Die Ticzka bekümmerte sich um all dieses Gerede auch nicht im mindesten. Erich, ebenso entzückt wie alle anderen von dieser wunderbaren Künstlerin, hatte natürlicherweise durchaus keine Lust und Ursache, sich selbst zu verleugnen, ja, er freute sich über dieses Wiedersehen, welches ihm eine so interessante Episode seines Lebens ins Gedächtnis zurückrief, und als ihn die Ticzka, ohne sich um alle anderen zu bekümmern, aufforderte, {bild} ihr in die kleine Garderobe zu folgen, zögerte er keinen Augenblick, nachdem er Herrn Schmoller gebeten, nur ein paar Minuten hier auf ihn zu warten.

Von dem Bombardier, der über diese Begegnung gewiß nicht weniger erstaunt war als alle übrigen, finden wir es begreiflich, daß er, den beiden mit der höchsten Verwunderung nachblickend, achselzuckend sagte: »Da bewährt sich doch einmal das alte Sprichwort von den stillen Wassern, und wenn dieser Erich Freiberg nicht ein ausgemachter Duckmäuser und Heuchler ist, so will ich ein Ochse sein ich, der hübsche und interessante Schmoller, nach dem schon so viel anerkennenswerte Mädchen geschmachtet, wenngleich keine Kunstreiterinnen!«


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