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9. Kapitel

Von dem Leben im Bivouac, ein rein militärisches Kapitel, obgleich Zigeuner und Gaukler darin vorkommen.

Die Truppenteile, von denen wir einige bei Zwingenberg manövrieren sahen, Artillerie, Infanterie, Kavallerie, auch ein Brückentrain, setzten dieses artige Militärvergnügen noch eine Zeit lang im Laufe des Tages fort und verknallten recht viel Pulver auf eingebildete Feinde; ja, es wurden auch mitunter Heldenthaten verübt, wunderbare Proben von Ausdauer und Standhaftigkeit abgelegt, sowohl beim Marschieren als Exercieren, sowohl beim Langsam- und Schnellfeuer als in der Attaque auf die Wagen und Körbe der Marketenderinnen bei den verschiedenen Halt- und Ruhepunkten. Auch hatte sich Se. Excellenz im allgemeinen mit dem heutigen Manövertage zufrieden erklärt, und darauf im speciellen ebenfalls die Führer der einzelnen Truppenteile bis herab zu den betreffenden Compagniechefs – eine Art von Vorgesetzten, die nie zufrieden ist – auf deren langer Brühe von Vorwürfen und Ermahnungen nur einzelne und sehr bedingte Lobsprüche als ziemlich dürre Lorbeerblätter schwammen.

Darauf sollte das ganze Armeecorps bivouakieren, und zwar jeder Truppenteil auf der Stelle, wo die letzten Schüsse gewechselt worden waren. Daß während dieses Bivouacs noch das außerordentliche Vergnügen einer allgemeinen Allarmierung bevorstand, war ein großes Geheimnis, aber ein so öffentliches, daß beinahe jeder der Offiziere bis zum Hauptmanne herab wenigstens annähernd ganz genau die Stunde wußte, wo er überrascht werden sollte. Ein solches Bivouac, zumal bei erträglichem Wetter oder wenn man nicht gar zu dicht vor dem Feinde liegt, hat im Frieden seine recht behaglichen Seiten, wogegen das Bivouakieren im Kriege zu den unangenehmsten Dingen der armen Soldaten gehört, Soldaten hier in der weitesten Bedeutung des Wortes, mindestens bis zum Regiments-Kommandeur hinauf, der vielleicht unter dem Schutze eines alten Pferdeteppichs auch keine großen Annehmlichkeiten auszustehen hat.

Doch waren es dazumal friedliche Zeiten. Der klare Himmel eines schönen Herbstabends spannte sich über einen recht trockenen Boden aus; Holz zu den Wachtfeuern war in Masse auf die verschiedenen Lagerplätze geschafft worden. Das Manöver des Abkochens für die Truppen sollte vermittels genügender Fleisch- und Kartoffelvorräte ebenfalls ausgeführt werden, und was zu dieser festen Nahrung der Soldaten die flüssige, geistige betraf, so waren neben der Sorge dafür von oben herab auch die Marketenderinnen mit gefüllten Wein- und Branntweinfäßchen zur Stelle.

Das Bivouac der Brigade, zu der auch die Batterie gehörte, deren Premierlieutenant verwundet im Hause des Müllers zurückgeblieben, wie wir bereits wissen, lag eine gute Stunde von der Mühle entfernt auf einem recht passenden, ja, sogar behaglichen Platze. Es war dies ein ziemlich weites Thal, von niedrigen Hügeln umgeben, von der breiten Landstraße durchschnitten; deren eines Ende durch einen künstlichen Verhau gegen den Überfall des Feindes gesichert war, und wo sich zwei Geschütze, sowie ein Zug Kavallerie hinter einer doppelten Vorpostenkette von Infanterie als Vorwacht befanden. Hier wurde es für die armen Durchwanderer scherzhaft recht ernstlich genommen und sogar königliche Postwagen durch eine Kavalleriepatrouille zuerst an das Zelt des Kommandierenden geleitet und dann über die Grenze des Lagers gebracht. Andere Wagen und Equipagen, mit Neugierigen angefüllt, sowie auch Reiter und Fußgänger ähnlichen Schlages führte man unter gleicher militärischer Begleitung nach dem Aufstellungsplatze, der für sie bestimmt war, und hier ließ auch Gottfried Burbus seinen Wagen und seine beiden Pferde unter Andreas' Obhut, während er mit Erich und Friedrich durch das Lager schritt.

Noch war es heller Tag und das Lagerbild zeigte sich eben in dem malerischen Durcheinander, da die Soldaten im Begriffe waren, sich für die Nacht so behaglich als möglich einzurichten. Die Kavallerie sattelte ab, die Artillerie schirrte aus, lange Reihen Pflöcke wurden in den Boden geschlagen, die Fouragierleinen herumgezogen und die Pferde daran gebunden, worauf man ihnen die Futterbeutel umhing.

In der fernen Ecke, weit von den Plätzen, wo die Lagerfeuer angezündet werden sollten, richtete man den Artilleriepark ein, zu welchem Zwecke die Geschütze aufs genaueste gerichtet und in gleichen Intervallen nach der Schnur wie auf dem Exerzierplatze nebeneinander gestellt wurden.

Die Infanterie hatte ihre Gewehre in Pyramiden zusammengestellt, Tornister und Lederzeug daneben auf den Boden gelegt, und hier bei dieser, die sich nicht mit der Wartung der Pferde abzugeben hatte, sah es am allerersten behaglich aus. Auf der entgegengesetzten Seite des Artillerieparks brannten schon die Kochfeuer und schmorten die Kartoffeln mit Speck, Reis und Wasser zu einer angenehmen Brühe zusammen, in Erwartung welches Nachtessens sich alle die von der Mannschaft, welche nicht mit einem der vielen Dienste, die es im Bivouac gibt, bedacht waren, in Gruppen zusammensitzend oder bäuchlings auf der Erde liegend mit aufgestützten Ellenbogen, plaudernd und rauchend unterhielten, auch wohl eine gefüllte Schnapsflasche herumgehen ließen oder ein heiteres Lied anstimmten; die Infanterie vielleicht:

Ein Müller in seiner Mühle saß,
Lauf, Müller, lauf u. s. w.;

die Kavallerie:

Wie kommen die Soldaten in den Himmel,
Kapitän, Leutnant? Auf einem weißen Schimmel,
So kommen die Soldaten in den Himmel,
Kapitän, Leutnant, Fähndrich, Sergeant,
Nehmt das Mädel bei der Hand,
Kameraden, Solda–a–a–ten!

wogegen die Artillerie ein anderes Lied hören ließ, mit dem Refrain:

Wir führen ja den Donner
Der heißen Schlacht!

Wenn man zu diesen verschiedenen Gesängen ein gelegentlich jauchzendes Freudengeschrei aus irgend einem dichten Soldatenhaufen nimmt, das Schnauben und Wiehern der Pferde, irgend ein Hornsignal in der Ferne oder ein Trommelwirbel, und dann mit einem Male die vollen, prächtigen Klänge der Militärmusik vor dem Zelte des Obersten, so hatte das Ohr schon Beschäftigung genug, während sich das Auge nicht minder beschäftigte mit den oben erwähnten Bivouac-Zurichtungen, wozu noch das Aufrichten weißleinener Offizierszelte kam, die wie mit einem Zauberschlage aus dem Boden entstanden, hier und da mit einem bunten Fähnlein geschmückt, oder auch mit einem großen Eichenlaubkranze, den irgend ein poetisch gesinnter Offizierbursche an die Zeltstange aufhing.

Das regste Leben und die wechselvollsten, malerischsten Bilder sah man begreiflicherweise in der Nähe der Holzbaracke des Kommandierenden, ein ganz anständiges Gemach, nach einer neuen Erfindung konstruiert, welche hier zum ersten Male probeweise in Anwendung kam. Vor demselben spielten, wie oben schon erwähnt, abwechselnd die verschiedenen Musikbanden, und um diesen Mittelpunkt schwärmte in engeren und weiteren Kreisen alles, was sich von seinem speciellen Lagerplatze entfernen durfte und gern entfernte, nachdem abgegessen war.

Erich strich mit seinen beiden Begleitern auf dem weiten Platze hin und her, und seine Augen funkelten vor Lust und Entzücken, als er hier alles verkörpert bei einander sah, was schon seit frühester Jugend die Phantasie des Knaben erhitzt hatte. Bald zog es ihn zur Infanterie hin, die gar so vergnüglich bei einander saß, lachend und plaudernd, dabei aus kurzen Pfeifen rauchend, und wo die Flaschen immerfort in der Runde gingen. Gab es doch hier Wetten zu vertrinken und Einstände zu verzehren, besonders von Einjährigen und sonstigen Freiwilligen, die zum ersten Male Pulver gerochen und dabei glücklicherweise unverwundet geblieben waren. Dann blieb er auch wieder bei der Kavallerie stehen, wo Mann und Pferd in gegenseitiger Anhänglichkeit, in Beweisen von Sorgfalt und Pflege, sowie dafür in freundlicher Zuneigung eine einzige große Familie ausmachten, wo schon wegen der Sattelböcke und der großen Pferdedecken mehr Behaglichkeit herrschte, wo aus Gläsern getrunken wurde und statt der Pfeife häufig Cigarren geraucht. Am stärksten aber fesselte Erich der Anblick der Artillerie, die blanken und doch so ernsten Geschütze, denen er so nahe zu kommen trachtete, als es ihm nur die auf- und abschlendernden Wachtposten erlaubten. Ja, er fand auf dem Lagerplatze der reitenden Batterie eine Veranlassung, sich nützlich zu machen, indem sein scharfes Auge merkte, daß ein munterer Brauner durch Schütteln des Kopfes den Halfterstrick von der Fourageleine gelöst hatte und gerade im Begriffe stand, davonzugehen, um sich das übrige Lager ein bißchen anzusehen. Vorsichtig, aber rasch trat Erich an das Pferd und befestigte den Halfterstrick wieder, was ihm einen Lobspruch von dem herbeigeeilten Unteroffizier der Artillerie eintrug.

Dann aber gingen sie miteinander nach der Baracke des Kommandanten, und der junge Forstmann sagte, als sie ziemlich nahe waren, lächelnd zu Erich: »Da werden wir auch Ihren Freund von heute Morgen finden. Richtig, dort steht er schon! Sehen Sie, neben den beiden Dragonern. Der Husarenoffizier Graf Seefeld!«

»Ja, ja, der ist's!«

»Und da haben Sie auch die ganze Familie bei einander, von der mein Vater heute mittag erzählte, die Seefelds nämlich. Kommen Sie etwas näher, das ist interessant für Sie!«

Vor dem Gezelte des Kommandanten hielt in diesem Augenblicke ein schwerer, eleganter Landauer mit zurückgeschlagenem Verdecke, der, wie alle übrigen Equipagen, von einer Kavalleriepatrouille begleitet worden war und nun ebenfalls bei den übrigen Wagen Aufstellung nehmen sollte; doch sagte der General, der jetzt unter der Thür seiner Baracke erschien, mit einer freundlichen Handbewegung gegen den Ulanenoffizier, der die Patrouille kommandierte: »Lassen Sie es gut sein; wir wollen für dieses Mal eine Ausnahme machen.«

Dann trat er an den Wagen, den schon verschiedene Offiziere umringt hatten, und reichte dem Darinsitzenden die Hand. Dies war ein sehr alter, in sich zusammengesunkener Herr; er ruhte mehr lang ausgestreckt in seinem Wagen, als er saß, und war dicht in einen weiten Pelz gewickelt, zwischen dessen Kragen von weichem Zobel ein gelbes, schattenhaftes Gesicht hervorschaute. Seine Mütze von Seelöwenfell hatte lange und breite Ohrenlappen, die er mit einer mageren und zitternden Hand zuweilen an der betreffenden Stelle zurückschob, um besser hören zu können.

»Wie mich das freut!« rief der General, »daß Ew. Erlaucht trotz des kühlen Herbstwetters uns die Ehre Ihres Besuches schenken!«

»Ja, ja,« gab der Angeredete mit einer Stimme zur Antwort, deren Klang man aus diesem eingeschrumpften, verschwindenden Körper nicht erwartet hätte, »habe deshalb auch gegen meine Gewohnheit verdammt früh aufstehen müssen, konnte es aber nicht unterlassen, noch einmal alte, vergnügte Zeiten vor meinen Augen erscheinen zu sehen. Ha, ha, mein lieber General,« lachte er, »Sie sehen ein altes, längst ausrangiertes Kavalleriepferd vor sich, das immer noch die Ohren spitzt, wenn es die Trommel hört! – Aber Sie haben sich da einen hübschen Platz ausgesucht.«

»Es geht so, Erlaucht! Doch wären wir gern Ihrer Einladung gefolgt und hätten Ihr Schloß mit Sturm eingenommen, aber mein hochverehrter Chef, Freund und Divisionsgeneral fürchtete, Ihre reichen Kellervorräte möchten doch ein bißchen zu lustig auf die verehrten Offiziercorps einwirken!«

»Unser verehrter Freund ist zu streng in und außer dem Dienste; wollen ihn aber,« setzte er mit einem heiseren Lachen hinzu, wobei er unter vertraulicher Schließung des linken Auges gegen den General eine abscheuliche Fratze machte, »wollen ihn aber doch so gut wie möglich hinters Licht führen. Habe einen hübschen Fourgon zusammenpacken lassen. Weiß der Teufel, {bild} könnte schon längst da sein; auch deine Tante, Dagobert,« wandte er sich gegen den jungen Grafen Seefeld, der an der anderen Seite des Wagens stand, wobei er langsam den Kopf herum drehte und dann einen matten Blick über das Feld zu der bewaldeten Anhöhe hinaufgleiten ließ. »Könntest einmal nach ihr sehen, wenn es der Herr General erlaubt; ihre Pferde standen bereit, als ich abfuhr.«

»Reiten Sie, mein lieber Graf Seefeld,« sagte der General im freundlichsten Tone. »Ah, wir werden das Glück haben, die Frau Gräfin bei uns zu sehen – wie ich mich darauf freue! Reiten Sie, reiten Sie, es ist ein Dienstritt, zu dem ich Sie strengstens kommandiert!«

Der junge Husarenoffizier schwang sich mit Leichtigkeit auf einen eleganten Braunen, hochbeinig, schlank, von englischer Abkunft, der neben demselben von einem Reiter gehalten wurde, grüßte die Zurückbleibenden, worauf das edle Pferd den breiten Chausseegraben mit einer bewundernswürdigen Leichtigkeit nahm.

»Ein junger, tüchtiger Offizier!« sagte der General, ihm nachblickend.

»Sehr jung allerdings, kann vielleicht noch einmal tüchtig werden.«

»Hat alle Anlagen dazu, Erlaucht, das steckt im Blut. Hätte heute morgen mit seinem Zuge beinahe eine feindliche zwölfpfündige Batterie erobert. Würde es im wirklichen Gefechte auch gethan haben, aber wir kennen ja die Artillerie; das gibt bei einem Manöver auch nicht die brillanteste Chance zu, sondern klammert sich fest an den vorgezeichneten Operationsplan, bediente sich auch obendrein eines Spions, um das Herannahen der Kavallerie zu erfahren.«

»Nicht schlecht das,« lächelte der alte Herr; »aber den Kerl hätte ich hängen lassen!«

»Ja, im Kriege, Erlaucht – aber heutzutage! Nun, seine tüchtige Fuchtel soll er abgekriegt haben; aber wer weiß, ob wir diesen Akt der Gerechtigkeit nicht aufs empörendste verdreht, als Mißhandlung dargestellt in den nächsten Tagen in einer dieser naseweisen Zeitungen zu lesen bekommen. Eine schlechte Erfindung, diese Schmierblätter!«

»Eine verruchte Erfindung, mein lieber General! Das war zu unserer Zeit doch ganz anders; zu meiner, sollte ich eigentlich sagen, denn Sie sind ein Jüngling gegen mich.«

»Ah, Erlaucht haben sich vortrefflich konserviert!«

»Für meine Siebenzig, vielleicht. Lebe aber auch wie ein Kartäuser. Bin ein förmlicher Betteinsiedler geworden und {bild} was mich allein aufrecht erhält, ist der Schlaf, wenigstens die Ruhe im Bette. Mache aber auch davon den ausgiebigsten Gebrauch.«

Erich, der diese ganze Unterredung mit anhören mußte, stand zitternd vor Zorn neben dem jungen Forstmanne und sagte nun: »O, lassen Sie mich vor und ihm ins Gesicht sagen, daß der gelogen hat, welcher behauptete, ich sei auch nur mit einem einzigen Schlage angerührt worden!«

»Kindereien!« erwiderte Gottfried, indem er den jungen Mann, welcher heftig vorwärts strebte, am Armgelenke faßte und zurückhielt. »Bleiben Sie ruhig da und machen Sie sich keine Ungelegenheiten. Das schwatzt in den Tag hinein und macht sich nichts aus ein paar Dutzend Worten, wenn auch jedes davon ein Schlag ist auf die Ehre seines Nebenmenschen; doch wäre es nicht der Mühe wert, sich derwegen Ungelegenheiten zu machen, und die könnten wir bei einem Zusammentreffen mit denen da wohl haben, wenigstens unseren vortrefflichen Platz hier verlieren, der uns manches Interessante sehen läßt. So unter anderem die Frau Gräfin, die da eben über dieses Feld gegen uns galoppiert. Ah, eine schöne Frau!«

In der That sah man von der Anhöhe herab einen kleinen Reitertrupp sich im vollen Jagdgalopp nähern. An der Spitze eine Dame, eine kecke, verwegene Reiterin, das sah man an der Art, mit der sie ihr Pferd, einen schönen Rappen, über alle kleinen Hindernisse des Bodens, Gräben, Buschwerk, hinwegsetzen ließ. An ihrer rechten Seite befand sich Graf Seefeld, an der linken der Stallmeister des Grafen, während ein paar Reitknechte in gemessener Entfernung folgten.

Der alte Graf hatte sich mühsam im Wagen umgedreht und sah der glänzenden Kavalkade mit seinen trüben Blicken entgegen, in welchen ein schwaches Feuer den vergeblichen Versuch machte, ein wenig aufzuleuchten. Dabei bewegten sich seine Lippen, als wenn er etwas sagen wollte; doch begnügte er sich mit einem freundlich grinsenden Lächeln, als nun die schöne Reiterin ihr Pferd neben dem Wagenschlage parierte, dann den Knopf ihrer Reitpeitsche eine Sekunde an den Mund drückte und diese hierauf grüßend gegen ihn neigte.

»Bonjour, mon amie!« sagte Se. Erlaucht. »Wir waren besorgt um dich, und der Herr General hatte die Freundlichkeit, dir einen seiner Galopins entgegenzuschicken.«

»Eine liebenswürdige Sorgfalt, Herr General!« sagte die schöne Frau, heiter lächelnd, wobei sie sich tief auf den Sattel verneigte. Dann warf sie die Zügel ihres Pferdes einem Reitknechte zu, stützte sich leicht auf die Schulter des Stallmeisters und sprang gewandt und elastisch auf den Boden.

»Du bist ein beneidenswerter Neffe!« sagte einer der Dragoneroffiziere zu dem jungen Grafen Seefeld. {bild}

»Aber immerhin Neffe!« gab dieser achselzuckend zur Antwort, wobei kein Zug auf seinem blassen Gesichte anzeigte, daß er diese Worte nicht aus voller Ueberzeugung sprach.

»Ja, aber ein Neffe, der schon das Glück hat, um diese schöne Frau sein zu dürfen, ihr kleine Dienste zu leisten; sie anzuschauen, mit ihr zu plaudern, ist beneidenswert!«

»Das will ich meinen!« pflichtete auch ein anderer, älterer Dragoneroffizier bei. »Ich werde ein wenig gegen das Zelt avancieren, um nur in ihre Atmosphäre zu kommen; das ist eine Frau zum Rasendwerden! Schau nur, diese eleganten, geschmeidigen Bewegungen, diese Taille, und dazu diese prachtvolle Büste!«

»Ja, es ist eine höllische Erfindung, so ein glatt anliegendes Reitkleid! Wenn ich mich je verheirate, lasse ich in den Ehekontrakt setzen: ›Nie ein Reitkleid!‹ Denn meiner Ansicht nach braucht es nicht jedermann zu wissen, wie meine Frau gewachsen ist.«

»Du bist als Neidhammel bekannt; es ist ein Glück, daß andere Leute erhabenere Ansichten haben.«

»Und dazu noch,« sagte der ältere Dragoneroffizier, »diese Vogelscheuche von einem Manne! Und gerade so hat er schon ausgesehen, als sie ihn zur Vermählung in die Schloßkapelle geschleppt haben mit jenem schönen Geschöpfe, damals ein reizendes junges Mädchen, heute ein üppiges, glühendes Weib!«

»Nur nicht das Weib ihres Mannes.«

»So hat es allerdings den Anschein; aber wer kann sich rühmen, auch nur um eine Idee weiter, als bis zu einer freundschaftlichen Annäherung gekommen zu sein?«

»Versuche doch einmal dein Glück im nächsten Winter, junger Don Juan, und du wirst eingestehen müssen, daß der Liebe Müh umsonst ist.«

»Schade darum, schade, wenn du wahr sprächest!«

»Doch soll uns das nicht abhalten, wie ein paar verliebte Schmetterlinge um den Blumenkelch der üppigen Rose wenigstens umherzuflattern, wenn es uns dabei auch geht, wie der Jäger im Nachtlager von Granada singt:

Ich muß sie einem andern lassen.
Mir blühet diese Rose nicht!

»Dafür aber der Champagner; schau, wie vorteilhaft sich das Innere des gräflichen Fourgons entwickelt, der vor dem Zelte des Generals hält. Er winkte soeben mit dem vollen Glase speciell zu uns herüber.«

»Bist du der Gräfin vorgestellt?« fragte der ältere Dragoneroffizier.

»Noch nicht.«

»So komm, das werde ich en passant besorgen.«

Mittlerweile war der Fourgon in der That angekommen und die Bedienten Sr. Erlaucht beschäftigt, dessen vortrefflichen Inhalt auf einen breiten Teppich, den man auf dem Boden aufgerollt hatte, aufzustellen, und nicht nur schlanke Bordeaux- und dicke Champagnerflaschen, sondern auch eine Provision kalter Küche in Form von Pasteten, Wildpret und kaltem Geflügel aller Art, bei deren Anblick auch anderen Leuten als hungerigen Lieutenants das Wasser im Munde zusammenlief.

Und mit welcher Grazie und Liebenswürdigkeit machte die Gräfin die Honneurs ihrer ländlichen Tafel, zu welchem Zwecke sie sämtliche Adjutanten und Ordonnanzoffiziere des Generals in Bewegung gesetzt hatte, um von den verschiedensten Truppenteilen des Bivouacs die Offiziere einzuladen, denen es Vergnügen mache, eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen.

Und welchem Offizier macht es kein Vergnügen, nach einem Herbstmanöver dergleichen vortreffliche Erfrischungen unentgeltlich zu sich zu nehmen!

Ah, es war ein heiterer Anblick, dieses Gouter vor der Baracke des Generals! Alle die jungen und älteren Offiziere durcheinander, das Leuchten der Uniformen, das Glänzen der Waffen und Epauletten, die heiteren Gesichter, die schäumenden Gläser an einander klingend, alles lachend und plaudernd, ein fröhlich summender Lärm, beinahe die Klänge der Regimentsmusik übertönend, welche, ebenfalls unter der Wirkung eines guten Weines, heiter und lustig darauf losspielte. Und dieser innere, glänzende, strahlende, brausende, rauschende Kreis, dessen Mittelpunkt der Wagen des alten Grafen Seefeld war, lockte auch Unteroffiziere und Soldaten von allen Waffen in Massen heran, die, rings umher in kleinen Trupps bei einander stehend, sich ohne Neid an der Lustigkeit ihrer Vorgesetzten erfreuten.

Fast wirkte es hierbei störend, als nun wieder eine Reiterpatrouille von der Höhe der Chaussee herabkam, einen kleinen Leiterwagen begleitend, der, mit weißer Leinwand überzogen, von zwei kräftigen, gut gepflegten Ponies gezogen wurde. Wer diese Pferde leitete, konnte man nicht deutlich sehen, denn die Zügel reichten in das Innere des ziemlich langen Wagens, dessen Aeußeres indessen wohl berechtigt war, die Neugierde der Nachblickenden zu erregen. Hintenauf waren nämlich allerlei eigentümliche Gegenstände gepackt, als: ein paar kleine, bunt angestrichene Leitern, eine unförmlich große, weiße Kugel mit goldenen Sternchen, zusammengewickelte Flaggen in den verschiedensten Farben, ein paar Trompeten und eine große Trommel; auch liefen vier ausgezeichnet schöne, schneeweiße Pudel, leicht zusammengekoppelt, hinter dem Wagen.

»Ei der Teufel, was haben wir da für Gäste?« sagte lachend der General, worauf der Ulanenoffizier meldete: »Es sind Künstler; wie sie sagen, kommen sie von Bergheim und wollen über Nacht in Zwingenberg bleiben. Werden wohl ohne weiteres durchpassieren können?«

»Ja und nein!« rief jovial der Höchstkommandierende. »Es scheinen mir Künstler zu sein, die wohl zur Unterhaltung einer so vortrefflichen Gesellschaft, wie hier versammelt ist, etwas beitragen können. Erkundigen Sie sich doch, Graf Seefeld, wer die Leute sind und ob es ihnen nicht Freude macht, etwas zu verdienen.«

»General, eine charmante Idee!« sagte die Gräfin. »Sehen Sie diese prächtigen Pudel, ich habe nie etwas Schöneres gesehen!«

Der Ordonnanzoffizier hatte sich rasch dem Wagen, der in kleiner Entfernung hielt, genähert, und da sich im Innern desselben nichts rührte, so hob er die Leinwanddecke empor, konnte sich aber jetzt eines lauten Ausrufes der Überraschung nicht enthalten, denn er schaute in die großen, glänzenden Augen eines auffallend schönen jungen Mädchens von vielleicht achtzehn bis zwanzig Jahren, die in einer phantastischen Kleidung {bild} von verführerischer Unordnung in dem Stroh des Wagens ruhte und die, statt nur eine Bewegung zu machen, den Leinwandüberzug des Wagens herab- oder ihr geöffnetes Mieder zusammenzuziehen, mit einem erzwungenen Lächeln auf den jungen Offizier blickte, wobei sie eine doppelte Reihe weißer, glänzender Zähne zeigte. Obgleich ihre Gesichtsfarbe ziemlich dunkel war, so sah man doch die Röte des Blutes durch ihre feine, glatte Haut schimmern.

Der junge Graf bemühte sich gar nicht, seine Untersuchung rasch zu beendigen, vielmehr steckte er seinen Kopf in den Wagen hinein, um sich auch von dem übrigen Inhalte desselben zu überzeugen. Da sah er denn, daß eine ziemlich schmierige alte Weibsperson, welche eine kurze, thönerne Tabakspfeife im Munde hatte, die Zügel führte und daß im Hinteren Teile noch eine andere, verhüllte Frau saß, über deren Schoß ein Mädchen von vielleicht zehn bis zwölf Jahren lang ausgestreckt lag. Diese Kleine öffnete schläfrig ihre Augen, ließ aber gleich darauf die Lider wieder zufallen und schmiegte sich wie fröstelnd in den Schoß der Frau und wurde darauf sorgsam von derselben mit einem alten Stücke Teppich zugedeckt.

»Sprecht ihr deutsch,« fragte der Ordonnanzoffizier, »oder sonst eine Sprache, die nicht gar zu weit her ist?«

»Wir sprechen gut deutsch,« sagte das junge Mädchen und setzte erst nach einer kleinen Pause hinzu: »Auch böhmisch ein weniges.«

»Sie sind Künstler?« forschte Graf Seefeld weiter, der selbst nicht wußte, warum er vom Ihr zum Sie übergegangen war.

»Wir bilden eine große Künstlerfamilie, aber unsere Männer sind nicht da, sondern vorausgeritten mit den anderen Wagen, auf einem Umwege.«

»Aha,« lachte der Husarenoffizier, »um das Militär zu vermeiden, haben vielleicht kein ganz reines Gewissen! Aber 's ist schade, daß die große Künstlerfamilie nicht beisammen ist, um hier durch eine Vorstellung etwas Tüchtiges zu verdienen.«

Bei dem Worte »verdienen« nahm die Alte ihre Pfeife aus dem Munde, wandte den Kopf rückwärts zu der Frau, die hinter ihr saß, und sprach einige für den Grafen Seefeld unverständliche Worte.

Diese beugte sich alsdann zu dem Kinde hinab und flüsterte etwas mit ihm, worauf das kleine Mädchen die Augen weit öffnete und, sich rasch aufrichtend, in deutscher Sprache sagte: »Warum nicht, wenn es dir recht ist.«

Die andere, welche sich bis jetzt noch keine Mühe gegeben hatte, ihren Anzug zu ordnen, und die furchtlos die feurigen Blicke des jungen Offiziers aushielt, sagte jetzt: »Wenn es die gestrengen Herren befehlen, können wir eine kleine Vorstellung geben, etwas spanischen Tanz und Kugelspiel von dem Wunderkinde. Für ein paar Reiterstücke taugt der Boden nicht; auch nähme es zu viel Zeit weg, die Ponies zu satteln und aufzuschirren.«

»Ah, das läßt sich hören, meine schöne Esmeralda,« lachte der Husarenoffizier, »nur ist von Befehlen nicht die Rede, sondern von Wünschen! Aber wie die Erfüllung dieser Wünsche belohnt werden soll, davon will ich Ihnen im voraus schon eine kleine Probe geben.« – Er hatte rasch seine Säbeltasche emporgehoben, öffnete ein kunstvoll verschlossenes Etui in derselben und holte ein Goldstück heraus, das er aber so ungeschickt war, anstatt in die feinen Hände des jungen Mädchens, in dessen geöffnetes Mieder hinabgleiten zu lassen, die darauf mit einer unmutigen Bewegung zusammenfuhr, dann aber ruhig mit dem Kopfe nickte und nun erst daranging, ihr schwarzes, mit Gold verziertes Jäckchen über den fein gewölbten Busen zuzuhaken. Hierauf zog sie den Leinwandvorhang herab, und der Husarenoffizier, welcher die Unterhandlungen somit aufs günstigste beendigt sah, meldete, zurückkehrend, dem General, es seien nur Weiber und Kinder in dem Wagen, doch wollten dieselben, wenn es gewünscht würde, einen spanischen Tanz und etwas Kugelspiel aufführen.

»Was meint die gnädige Frau dazu?« rief der alte General in der heitersten Laune.

»Ganz einverstanden, General; machen wir uns den Spaß.«

»Und Seine Erlaucht?«

»O, was mich anbelangt,« gab der alte Graf Seefeld zur Antwort, »so nehme ich das Vorrecht meines Alters in Anspruch, um mich zurückzuziehen! Ich fürchte die Abendnebel, und wenn auch der Himmel glänzend klar ist, so wird es jedenfalls in Bälde kühl werden, aber was meine Frau anbelangt und Sie, General, so bitte ich Sie dringend, lassen Sie sich vorspielen und vortanzen. Isabella wird mir das heute Abend zu meiner Erheiterung erzählen. Adieu, General! Ich hoffe, Sie in den nächsten Tagen zu einer guten Jagd bei mir zu sehen. – Adieu, ma chère amie – bis später!« – »Den Wagen schließen,« befahl er alsdann, »und nach Hause fahren!«

Während dieses kleinen Gespräches und bis darauf der Landauer fest verschlossen war und davonfuhr, hatte der junge Graf Seefeld ein paar seiner Husaren kommandiert, denen im Wagen beim Ausbreiten eines großen Teppichs sowie beim Herabnehmen der kleinen Leitern und der oben erwähnten Kugel behilflich zu sein.

»Aber Musik fehlt uns,« sagte das junge Mädchen, »da die anderen, und besonders die Männer nicht bei uns sind.«

»Nun, daran ist kein Mangel!« rief der General, der nähergetreten war und mit der Miene eines allerdings alten Kenners die reizende Gestalt und das frische, sinnliche Gesicht der schönen Zigeunerin betrachtete; doch sah er bei weitem nicht so viel, als sein Ordonnanzoffizier gesehen, denn die Esmeralda, wie sie dieser lachend genannt und dem Höchstkommandierenden vorgestellt, hatte ihren Anzug vollständig verbessert, auch ein rotes Tuch um ihr schwarzes, wellenförmiges Haar und eine goldgestickte Schärpe um ihre fein geformten Hüften geschlungen. »Es wäre in der That zu bedauern,« fuhr der General fort, indem er durch einen Wink den Kapellmeister der Musikbande zu sich heranrief, »wenn sechsunddreißig Mann Stabsmusiker nicht einmal dazu aufzuspielen vermöchten! He, mein Kind, was wünschen wir?«

»Eine Cachucha.«

»Also eine Cachucha, Herr Kapellmeister; Sie werden wissen, was eine Cachucha ist, obendrein einer meiner Lieblingstänze.«

Und die Cachucha begann mit dem Lärm aller sechsunddreißig Instrumente, und die junge Zigeunerin fing an zu tanzen.

Allerdings muß man dabei nicht den Maßstab einer Prima Ballerina anlegen, auch den unebenen Boden sowie das dämmernde Licht des scheidenden Tages in Abrechnung bringen. Wenn man aber so gerecht war, diesen verschiedenen Umständen Rücksicht zu tragen, so mußte man sich gestehen, daß das junge Mädchen ganz außerordentlich getanzt habe, leicht, graziös, und besonders das herausfordernde Schluß-Allegro mit einer ganz immensen Bravour.

Diese Lobsprüche und Ausdrücke wurden wenigstens von den jungen Offizieren, die ringsumher standen, unter einem rasenden Beifallssturme und einer Menge von Bravos mit großer Sachkenntnis angewandt.

Der junge Graf Seefeld hatte sich zu seinem eigenen Ergötzen und zu dem seiner Kameraden förmlich in den Impresario dieser kleinen Künstlerbande hineingelebt und in jeder Hinsicht für deren Bedürfnisse gesorgt. Er hatte ein paar Husaren zu den Ponies beordert, welche die hübschen Pferdchen, allerdings heimlicherweise, mit königlichem Hafer bewirteten, während sich die Alte seitwärts an einer Flasche Champagner und einer halben Wildpretpastete gütlich that. Auch die Frau im Wagen, die ihren Platz nicht verlassen hatte, nahm ein kleines Glas Wein sowie ein Stückchen Brot, alles andere lehnte sie dankend ab; da aber »nichts halb zu thun edler Geister Art ist«, so ließ der Husarenoffizier durch seinen Reitknecht ein halbes Dutzend gefüllter Flaschen, sowie was an Imbiß aller Art übrig geblieben war, in das Stroh des Wagens stopfen, wobei er immer noch Zeit hatte, jetzt, nach beendigter Cachucha, dem General mit der komischen Grandezza eines Cirkusstallmeisters zu melden, daß das Wunderkind nun die Ehre haben würde, seine Exerzitien auf der großen Kugel zu machen.

»Ah, meine Herren, das Wunderkind!« rief der freundlich gelaunte Höchstkommandierende. »Geben Sie acht auf das Wunderkind!«

Nun erschien das kleine Mädchen in weißen baumwollenen Tricots, roten Halbstiefelchen und einem blauen, eng anliegenden Jäckchen, um den Kopf und die dichten blonden Locken einen glänzenden Metallreifen. Wie alt mochte dieses Kind sein? Man konnte das unmöglich mit Sicherheit angeben; das blasse schmale Gesicht und die schönen großen Augen erschienen jünger als ihre Gestalt, die unter dem knapp anliegenden Leibchen schon die ersten zarten Spuren der beginnenden Entwickelung zeigten. Das arme Ding begrüßte die Versammlung auf jene graziös sein sollende Art, die besonders bei so armen Wesen durch ihre Unnatürlichkeit mehr unser Mitleid als unsere Freude zu erregen imstande ist; dann spielte die Musikbande eine rauschende Polka, und die Kleine machte, hoch oben auf der Kugel stehend, ihre uns wohlbekannten, aber hier ohne glatte Unterlage um so schwierigeren Kunststücke.

Der Husarenoffizier war hinter den Wagen zu der Esmeralda getreten, und während er ihr ein schäumendes Glas Champagner darbot, von dem sie allerdings nur leicht nippte, fragte er mit leiser Stimme: »Und wo bleibt ihr heute abend?«

»In einem Dorf«, das Zwingenberg heißt, mein schöner Offizier, nicht weit von hier.« – Wenn sie auch die Anrede »Mein schöner Offizier« mit einem freundlichen Gesichtsausdrucke sprach, so klang doch etwas wie Hohn oder Spott hindurch, wurde aber verwischt durch die nachfolgenden, in gleichgültigem Tone ausgesprochenen Worte: »Sie dort« – damit wandte sie den Kopf gegen die Alte hin – »kennt den Weg und das Dorf.«

»Darf man dich dort aufsuchen?«

»O nein! Dort sind die anderen und die Männer, es würde ein schlimmes Aufsehen geben! Was wolltet Ihr auch bei mir, einer armen Zigeunerdirne?«

»Mir mein Goldstück von vorhin wiedersuchen,« flüsterte er ihr leise zu, »um es gegen zehn umzutauschen!«

»O, ein Goldstück ist wie das andere, gnädiger Herr!« sagte sie, lachend die schönen weißen Zähne zeigend.

»O nein, das da wäre, wenigstens für mich, unschätzbar! Es ist erwärmt von dem heißen Blute deines Herzens, deiner Brust.«

»Glauben Sie das nicht,« sagte sie, einen Schritt zurücktretend; »ich habe kaltes Blut und kaltes Herz.«

»Bravo, bravissimo!« tönte es drüben unter donnerndem Händeklatschen aus dem Kreise der Offiziere, und man vernahm die Stimme des Generals, der rief: »Das ist in der That ein Wunderkind! Allen Respekt, meine Herren, ähnliches habe ich noch nicht gesehen!«

Das Wunderkind hatte, auf seiner Kugel stehend, diese mit einer unglaublichen Kraft und Behendigkeit im Kreise umhergetrieben und ließ sich nun, als sie in vollem Laufe war, sitzend auf dieselbe nieder, sie mit den kleinen Händen noch immer vorwärts treibend, wobei es aussah, als flöge die Kugel aus eigenem Antriebe noch ein paarmal im Kreise umher, um dem kleinen Geschöpfe Gelegenheit zu geben, sich für den gespendeten Beifall dankend zu verneigen.

»Also nicht möglich, dich heute nacht in Zwingenberg zu sehen?« fragte der junge Husarenoffizier dringender.

»Unmöglich.«

»Und wohin geht ihr morgen?«

»Ich weiß es nicht. Wir bleiben noch ein paar Tage in der Gegend, dann gehen wir nach der Residenz.«

»Dort werde ich dich sicher finden,« flüsterte hastig der junge Offizier, denn er hörte drüben seinen Namen rufen, »vielleicht auch morgen oder übermorgen hier in der Gegend .... – Ich komme schon! Was gibt's denn?«

Heiter lächelnd trat ihm der General entgegen. »Sie haben es alles vortrefflich arrangiert, und jetzt müssen Sie sich wahrhaftig noch der Mühe unterziehen, die Leute in meinem Namen zu belohnen! Darf ich bitten ....« – Er streckte seine Hand gegen den jungen Offizier aus, der aber, mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung zurückweichend, sagte:

»Wenn Sie es nicht ganz ungnädig aufnehmen würden, möchte ich wirklich ergebenst ersuchen, mir das im Namen meines Oheims zu überlassen. Wir sind auf seinem Grunde und Boden, und er würde es mir niemals verzeihen, wenn ich seine werten Gäste auf diese Alt in Kontribution gesetzt hätte – niemals, Herr General.«

»Streiten wir nicht darüber,« entgegnete dieser und ließ mit einer gewandten Handbewegung seine Börse in die Tasche seiner weiten Beinkleider zurückgleiten; »Ihr Herr Onkel ist ein zu vortrefflicher Mann und liebenswürdiger Wirt, als daß man nicht jede Rücksicht auf ihn nehmen sollte.«

Die Gräfin Seefeld hatte dieser kleinen künstlerischen Vorstellung, besonders interessant durch die Improvisation und eigentümliche militärische Umgebung, unter dem klaren Herbstabendhimmel, an dem jetzt schon einzelne Sterne hervorsprangen, mit vielem Vergnügen scherzend und lächelnd zugeschaut, wobei sie dasaß wie eine Königin in ihrer Loge, von dem General, der sich meistens zu ihrer Rechten befand, aufs liebenswürdigste unterhalten und auf alles Bemerkenswerte aufmerksam gemacht, rückwärts umgeben von einem Halbkreise junger, glänzender Offiziere, von denen sich bald diese, bald jene der schönen Frau näherten oder vorstellen ließen. In einiger Entfernung hinter diesen befand sich ihr Stallmeister, ein großer schöner Mann, welcher, stets des Befehls seiner Herrin gewärtig, dieselbe auch hier und da nicht aus den Augen ließ, wenn er nach den Pferden blickte, die von den Reitknechten hinter der Baracke des Höchstkommandierenden auf und ab geführt wurden.

Die Gräfin hatte es nicht unterlassen, das Wunderkind nach beendigter Vorstellung zu sich heranzurufen, um ihm ein kleines Goldstück zu geben und ihm ein paar freundliche Worte zu sagen. Es war ein merkwürdiges Kind, dieses kleine Mädchen, schlank und fein gebaut, mit einem allerdings blassen und eingefallenen, aber höchst edel geformten Gesichte. In seinem Wesen war eine auffallende Teilnahmlosigkeit an dieser doch für dasselbe ungewohnten Umgebung bemerkbar; mit dem gleichgültigsten Blicke schaute es die schöne Frau aus seinen großen klaren Augen an, wobei aber seine Blicke mehr auf das Reitkleid der Gräfin und deren Reitpeitsche, als auf das Gesicht derselben fielen.

Als das Kind die Gabe in Empfang nahm, beugte es sich hinab, um das Kleid der Gräfin zu küssen, aber ganz mechanisch, mit einer eingelernten Bewegung, ohne daß sich auf seinem ruhigen Gesichte Teilnahme oder Freude blicken ließ; im Gegenteil, es schaute gleichgültig um sich her, wobei ein fast verächtliches Lächeln um seine Lippen flog.

Jetzt erhob sich die Gräfin und sagte, dem General die Hand reichend: »Es ist wahrlich Zeit, daß ich nach Hause zurückkehre; wie rasch es in der letzten Viertelstunde dunkel geworden ist! Schade, daß ich nicht mit Muße dort das herrliche Bild dieser flackernden Wachtfeuer der lagernden Soldaten, kurz, dieses prachtvolle Durcheinander mit ansehen kann! Aber wenn auch unsere Wege nach Hause durchaus nicht unsicher sind, so möchte ich doch nicht gern zu tief in die Nacht hineinkommen.«

»Wogegen ich mich glücklich schätzen würde,« gab der alte General galant zur Antwort, »Sie mit einer Schwadron Husaren selbst nach Hause zu eskortieren oder Freiwillige zu Ihrer Begleitung aufzurufen. Was meinen Sie, meine Herren?«

Ein allgemeines Gemurmel, durch verschiedene Äußerungen, als: deliciös, charmant, süperbe, in der That unterhaltend! – veranlaßt, zeigte zur Genüge, daß ein solches Freiwilligencorps im Falle recht zahlreich werden würde; doch lehnte das die Gräfin dankend ab, und auf ihren Wink näherte sich nun der Stallmeister mit den Pferden, als sich mit einemmal das behagliche ruhige Bivouac mit den weithin leuchtenden Feuern, mit den plaudernden und singenden Soldatengruppen gänzlich veränderte.


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