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5. Kapitel

Erzählt von einer Kaffeegesellschaft im Pfarrgarten, bei welcher wir die Bekanntschaft der blonden Selma und des Herrn Vikars machen.

Von Erichs erstem Sonntage in seiner neuen Stellung müssen wir noch nachtragen, daß er es nicht versäumt hatte, sich beim Schlusse des Nachmittags-Gottesdienstes wohl gekämmt und wohl gebürstet im Garten des Pfarrers einzufinden. Hier war Se. Hochwürden im Kreise der Familie, und hier wurde er auch der Frau Pfarrerin vorgestellt, deren Porträt ihm, wie er schon heute morgen in der Kirche bemerkt, vom Thalmüller ohne Schmeichelei, aber auch ohne Uebertreibung geschildert worden war. Man saß in einer Laube von blühendem Flieder vor einem wohl arrangierten Kaffeetische, der Pfarrer mit der langen Pfeife, die Pfarrerin mit der summenden Kaffeemaschine beschäftigt, der junge Mann, den er neulich lesend im Garten gesehen, zu dem duftigen Flieder aufschauend, und eine junge Dame, die Tochter des Pfarrers, in einem feinen, hellblauen Gewande, das zu ihrem rötlichen Haare nicht schlecht stand, welche mit dem Zeigefinger mehr keck als graziös den Flug eines Schmetterlings nachahmte, der um ein benachbartes Blumenbeet flog.

»Ha, ich verstehe,« rief ihm der Pfarrer mit seiner gewaltigen Stimme von weitem entgegen. »Sie haben es nicht vergessen, daß ich Sie heute zu sehen gewünscht!« Worauf er, gegen seine Frau gewandt, mit einer bedeutenden Verminderung seiner Brustregister hinzusetzte: »Dies, meine Liebe, ist der junge Mensch, welcher mir von unserem Amtsbruder Spitter bestens empfohlen wurde, der hilfreich bei dem Schulmeister Wacker eingetreten ist und der heute morgen, wie du selbst so gütig warst zu bemerken, die Orgel nicht ohne Verständnis gespielt. Nicht – ohne – Verständnis,« wiederholte er, da seine bessere Hälfte, mit der Kaffeemaschine beschäftigt, nicht sogleich eine Antwort gab.

Dann aber schaute sie auf, und Erich, der sonst wohl imstande war, Blicke ruhig auszuhalten, fühlte sich doch bei diesem etwas unruhig bewegt, denn gar so durchdringend waren diese scharfen grauen Augen.

»Sie wollen das Lehrfach ergreifen,« sagte sie nach einer Pause, »es auf praktischem Wege erlernen, ohne studiert zu haben; das ist ein schweres Unternehmen, und ich weiß nicht, ob Sie dabei viel profitieren werden. Der Schulmeister gefällt mir immer weniger,« wandte sie sich an ihre Tochter; »denke dir nur, ich habe mir erzählen lassen, er hätte für seine Kinder Trauerkleider angeschafft – du mein lieber Himmel, Trauerkleider, wenn man nichts zu nagen und zu beißen hat!«

Wäre Erich nicht ein so unbefangener Neuling in der Welt gewesen, so würde er ein Zeichen der Beistimmung gemacht oder vielleicht auch gesagt haben, es sei allerdings unverantwortlich, wenn man über seinen Stand hinaus wolle, und Trauerkleider tragen, ohne dazu die Berechtigung zu haben. So aber konnte er sich nicht enthalten, der Frau Pfarrerin zu erwidern, »er habe nichts von Trauerkleidern bemerkt und müsse das eine Täuschung sein, entstanden durch eine armselige wollene Schürze, welche das kleine Mädchen als Umschlagetuch trüge.«

Auch der Pfarrer setzte begütigend hinzu: »Es kann wohl sein, es kann wohl sein, daß es Täuschung ist oder Übertreibung, wie es häufig vorkommt; wenn das, was man gehört hat, vermehrt weiter erzählt wird – ha, ich verstehe!«

»Nein, du verstehst gar nichts,« gab ihm die Pfarrerin mit großer Ruhe zur Antwort, »sonst müßtest du wissen, daß dergleichen Überhebungen dem Schulmeister sehr ähnlich sehen – doch lassen wir das jetzt. Hier ist Ihre Tasse,« sagte sie zu dem jungen, mageren Manne, der immer noch den Flieder betrachtete – »Selma, reiche dem Herrn Vikar den Zucker.«

Dies also war der Herr Vikar und die Dame im blauen Kleide die Tochter des Pfarrers, welche, wie der Thalmüller erzählt hatte, so vergeblich in der Residenz auf die Weide geführt worden war. Jetzt lächelte sie den jungen Geistlichen an, und während sie ihm neckisch die Milch und den Zucker bot, tänzelte sie um ihn herum, wie vorhin der Schmetterling um die Blumen.

»Wie Ihnen Ihre neuen Verhältnisse gefallen,« sagte der Pfarrer lächelnd, indem er den Löffel behaglich in seiner großen Kaffeetasse umdrehte, »muß ich Sie des Anstandes wegen doch fragen, obgleich ich mir vielleicht denken kann, daß Sie sich Schule und Wohnung in einem besseren Zustande gedacht. Aber Gott im Himmel weiß,« setzte er mit einem Augenaufschlagen hinzu, »unter dem Beistande des Höchsten thut die arme Gemeinde ihr möglichstes, und doch ist sie nicht imstande, die Schule in einen Zustand zu versetzen, der – in einen Zustand, welcher – in einen Zustand, daß man – ja, überhaupt in einen Zustand ...«

Diese Variationen über den Zustand der Schule wurden Sr. Hochwürden durch einen außerordentlich strengen Blick seiner Gattin entlockt, ja, durch ein furchtbares, schlangenartiges Fixieren derselben, während sie mit weichem Tone, der aber unter dem Ausdrucke eines fürchterlichen Lächelns stand, sprach: »Willst du nicht so gut sein und dir lieber ein Stück Gugelhopfen nehmen?« wobei sie das Wörtchen »lieber« mit einer erschütternden Schärfe hervorhob.

»Ich danke dir, meine Teure! Allerdings ist der Zustand der Schule nicht so trostlos ...«

»Und braucht auch eigentlich gar nicht anders zu sein,« warf die Pfarrerin entschieden dazwischen; »es sind dort recht behagliche Räume, wie ich mir habe sagen lassen, ja, der Schulmeister besitzt sogar ein leerstehendes Wohnzimmer, und das ist ein Luxus, den wir uns nicht gestatten dürfen.«

»Willst du nicht vielleicht, meine Liebe, den Herrn Provisor zu einer ....«

»Wenn du überhaupt jemand ausreden ließest, so würdest du gehört haben, daß ich gerade die Vermutung aussprechen wollte, der Herr Provisor habe gewiß bereits seinen Kaffee zu sich genommen. Nicht wahr, Sie haben?« wandte sie sich an Erich.

Doch war dieser auch jetzt wieder nicht klug genug, um so klug zu sein, eine Notlüge zu sagen, mochte auch denken, es sei für den Schulmeister ersprießlicher, wenn er die Versicherung gäbe, daß Kaffee dort ein nicht vorhandener Artikel sei.

»Nun denn, Selma,« erwiderte die Pfarrerin sehr gedehnt, »so magst du dem Herrn Provisor eine Tasse bringen. Ich würde Sie zum Sitzen einladen, aber es ist so mühsam, Stühle aus dem Hause hervorzuschleppen.«

Selma überbrachte die Tasse, wobei wir hervorheben müssen, daß sie es bis jetzt noch nicht der Mühe wert gefunden, ihre Aufmerksamkeit für den jungen Geistlichen dadurch zu verkürzen, daß sie Wackers Provisor, dem neuen Subjekte, einen Blick geschenkt. Jetzt aber, als sie vor ihm stand, schaute sie ihn an mit den gleichen grauen Augen, wie die der Mutter, nur daß der Ausdruck der ihrigen durch Jugend und ein hübsches Gesichtchen gemildert war. Ja, sie schaute ihn an, und zwar ein paar Sekunden lang, wobei sie überrascht schien, statt der traditionellen bleichen Züge eines jungen Schulgehilfen Erichs frisches, schönes Gesicht zu sehen und seinen dunklen, leuchtenden Augen zu begegnen.

Ja, so überrascht war sie, daß sie Miene machte, ihm nicht nur die Tasse, sondern auch einen Stuhl anzubieten, und dies vielleicht gethan hätte, wenn sie nicht ein strenger Blick der Mutter zu ihrer Pflicht zurückgerufen und wenn nicht der junge Geistliche mit auf die Seite geneigtem Kopfe finster nach ihr hinüber geschielt hätte.

So trank denn das Subjekt stehend seinen Kaffee und ohne Zucker, den die Pfarrerin vergessen hatte hineinzuthun; doch machte er sich nicht viel daraus. Auch fühlte er sich durchaus nicht befangen in dieser hohen Versammlung, und als er ausgetrunken hatte, stellte er seine Tasse mit sicherer Ruhe und einer kleinen Verbeugung auf den Kaffeetisch.

»Du hattest, glaube ich, einen besonderen Zweck, als du den Herrn Provisor hierher kommen ließest, und solltest du nun auch reden, damit du die kostbare Zeit des Herrn Provisors nicht zu sehr in Anspruch nimmst.«

»Ha, ich verstehe! Ja, ja, der Schuldienst ist nicht besonders anstrengend und es sind Freistunden auszufüllen, und da habe ich mir gedacht, es könnte Ihnen nicht schaden, wenn Sie meiner Tochter Selma zuweilen eine Musik- und Zeichenstunde geben würden. Meine Tochter Selma hat hübsche Kenntnisse im Klavierspiele, doch wäre es mir lieb, wenn sie Gelegenheit hätte, sich hier und da vierhändig zu üben.«

Der Pfarrer nickte nach dieser seiner Rede würdevoll mit dem Kopfe, seine bessere Hälfte schaute geradeaus, weit vor sich hin, in unabsehbare Ferne, der junge Geistliche blickte scharf nach Selma hin, welche gerade damit beschäftigt war, ein Baumblatt vom Boden aufzuheben, während Erich sich verbeugte und sich mit großem Vergnügen bereit erklärte, den Wunsch Sr. Hochwürden zu erfüllen.

»Wie und wann, werden wir Ihnen sagen lassen,« sprach die Pfarrerin, und da sie dabei mit ihrem Haupte nickte, während der Pfarrer sich erhob und ungefähr so that, als konnte er sich vielleicht zu der Herablassung entschließen, dem Subjekte den Zeigefinger seiner rechten Hand zu bieten, so zog Erich sich zurück, ohne diese Gnade abzuwarten. Er verließ den Garten, und da er sich, um die Thür desselben zu schließen, umwenden mußte, so sah er noch, wie die hochblonde Selma beschäftigt war, für den jungen Geistlichen, der neben ihr stand, einen Zweig des duftigen Flieders abzubrechen, wobei es ihm vorkam, als schaue sie rasch nach der Gitterthür hinüber, um zu sehen, ob der junge Lehrgehilfe dieselbe auch sorgfältig geschlossen habe. Daß Erich selbst durchaus nichts anderes dabei dachte, darauf können wir die Hand zum Schwure erheben. Trotz alledem ging er nach Hause und war nicht wenig erstaunt, hier ausnahmsweise zum Kaffee eingeladen zu werden; es war dies allerdings nur eine farblose, dünne Brühe, aber mit welcher Herzlichkeit und Liebe sprangen ihm die beiden Buben schon an der Hausthür entgegen, dieses große Ereignis verkündigend, und mit welcher Gravität goß ihm Anna ein, nachdem sie zuvor den besten der Stühle mit ihrer Hausschürze abgewischt hatte.

Auch täglich in anderen Dingen bewiesen ihm die Kinder des Lehrers sowie dieser selbst, daß man ihn für einen wichtigen und sehr geachteten Hausgenossen halte, und wenn Herr Wacker mit Erich über des letzteren Zukunft sprach, so drückte er sich höchst bedauernd darüber aus, daß der junge Mann nicht das Seminar besucht hatte, noch sonst eine vollkommen korrekte Schulbildung erhalten. – »Leider wird das später Ihrem Fortkommen entgegenstehen, denn wenn auch ich oder ein anderer nach meinem – ein anderer nach mir Ihnen die glänzendsten Zeugnisse ausstellen muß und wird, so zieht man Ihnen doch jeden an sich noch so unbedeutenden Menschen vor, wenn er nur der Zeit nach seine Studien absolviert hat.« – Worauf ihm dann Erich eines Tages gestand, daß er das vollkommen einsehe und daß er den Anfang seiner Schulamts-Carriere hier nur als eine Übergangsperiode ansehe, um eine bescheidene Stelle in der Residenz zu erlangen und sich alsdann dort dem Studium der Musik vollständig hingeben zu können.

Herr Wacker aber war selbst so wenig musikalisch gebildet, daß er diese Neigung nicht vollkommen begriff und kopfschüttelnd meinte, ein Lehrer sei schon ein miserables Geschöpf, aber ob so ein armer Musikant besser daran sei, wäre doch noch zweifelhaft. Gleichwie dem seligen Steuerkontrolleur Freiberg unter Musikanten nichtsnutzige Stabstrompeter vorgeschwebt, so dem Schulmeister hier die Mitglieder jener herumziehenden Banden, die auf Schützenfesten, Kirchweihen u.s.w. ihr kärgliches Brot verdienen.

Selbst Erichs fertiges Orgelspiel war nicht imstande, ihn mit dessen Bestrebungen zu versöhnen, denn sein eigenes Orgelspiel war ihm eine Quelle beständiger Anfeindungen von seiten des Pfarrers gewesen. Wie oft hatte ihn der Pfarrer vor Beginn der Predigt in die Sakristei citiert und ihm dort eine gewaltige Nase erteilt, weil die Buben gegröhlt wie die Saatkrähen, oder weil er die Bauern, die gern in einem langsamen Tempo hinterdrein schlichen, nicht mit der nötigen Energie fortgerissen! Dies ging nun allerdings unter Erichs Leitung ganz anders, ja, er wagte es, die Tempi oft so rasch zu nehmen, daß der Pfarrer mit Schrecken die Augenblicke kommen sah, wo die Gemeinde mit ihrem Gesange gar nicht mehr nachkommen könne; doch hatte dieser junge Mensch dabei eine Kraft und Gewandtheit, selbst die schläfrigsten Seelen vorwärts zu peitschen, daß alle sich bemühten, öfters in einem wahren Sturmgalopp nachzukommen.

Was der Pfarrer allenfalls zu tadeln gehabt, das waren seine oft sehr gewagten Vor- und Nachspiele. Ja, er hatte einmal seinen Ohren kaum getraut, als jener bei dem Nachmittags-Gottesdienste, wo die drückende Hitze drei Vierteilen der andächtigen Versammlung zu einem angenehmen Kirchenschlafe verholfen hatte, beim Schlusse brausend und sausend über Ohren und Köpfe hinfuhr, und zwar durch das Vorspiel mit der bekannten Melodie des alten Dessauers: »So leben wir, so leben wir alle Tage,« was aber von einer wahrhaft elektrisierenden Wirkung gewesen war und die Kirche so rasch wie nie geleert hatte.

Herr Wacker räumte seinem Gehilfen bereitwillig das Wohnzimmer zu musikalischen Studien ein, und nachdem dieser das alte Klavier in eine möglichst erträgliche Stimmung versetzt, seine Bücher auf dasselbe geschichtet, ging er mit Lust und Freude in seinen Freistunden an die Aufgaben, die er sich selbst gestellt, oder die ihm brieflich von seinem alten Freunde und Schullehrer Herrn Schmelzer gestellt wurden. Als guter Orgelspieler und nicht schlechter Theoretiker wurde es seinem unermüdlichen Fleiße möglich, sich in kurzer Zeit auch die nötige Fertigkeit anzueignen, um auch im Pfarrhause die vierhändigen Uebungsstunden mit Selma beginnen zu können. Mit dem Zeichenunterrichte hatte er schon früher angefangen, und nicht nur zur Zufriedenheit des Herrn Pfarrers, der ihm sagte: »Ha, ich verstehe, daß meine Tochter bei so ausgezeichneter Leistung Fortschritte machen wird!« – sondern auch zur Beschwichtigung der Frau Pfarrerin, die es anfangs mit großem Widerwillen mitangesehen, daß ihre Tochter Selma so nahe bei dem ganz gewöhnlichen Schulgehilfen sein solle, obgleich es Erich bei diesen Unterrichtsstunden sehr liebte, zu stehen und nötige Korrekturen auf die zurückhaltendste Art zu machen. Ja er setzte sich überhaupt erst dann, nachdem er von seiner Schülerin, von deren Mutter oder von dem Herrn Pfarrer dazu eingeladen war.

Letzterer liebte es sehr, den Unterrichtsstunden beizuwohnen, und dann ging er manchmal mit großen Schritten auf und ab, wobei er sein breites Haupt hin und her zu wiegen pflegte, was der langen Pfeife, die er frei zwischen den Lippen hielt, alsdann die sanften Schwingungen eines Elefantenrüssels verlieh; dabei war er meistens in tiefe Gedanken versunken, und wenn er, aus diesen auffahrend, oft mit lauter Stimme rief: »Ha, ich verstehe!« so fanden es seine Frau und seine Tochter nicht der Mühe wert, zu fragen, welches Verständnis ihm aufgegangen sei. »Da habe ich,« sagte er eines Morgens zu Erich, »eine Idee schon lange verfolgt, zu deren Ausführung Sie mir das geeignete Rüstzeug zu sein scheinen. Sie wissen, wie sehr ich in Kirche und Schule auf militärische Zucht und Subordination halte, und es kann mit dem Fundamente dieser unerläßlichen Eigenschaften bei den kleinen Rangen nicht früh genug angefangen werden. Daher glaube ich, sollte man den Versuch machen, Ihren Schülern etwas militärischen Geist beizubringen, indem man sie in den Freistunden zu regelrechtem Marschieren und Exerzieren anhielte, und würden sie dadurch auch abgehalten werden, die langen Nachmittage auf der Gasse herumzulungern. Was meinen Sie dazu?«

Erich fand diese Idee nicht nur praktisch, sondern sie entsprach auch so sehr seinen Neigungen, daß er, sobald er sich vergewissert, auch der Lehrer habe dagegen nichts einzuwenden, daran ging, sie in Ausführung zu bringen. Die Buben waren natürlicherweise mit Leib und Seele dabei, und ebenso stieß er auch auf keinen Widerspruch von seiten der Eltern, ja, die meisten der Eltern machten sich ein Vergnügen daraus, aus Holz etwas zusammenzuschnitzeln, was entfernte Ähnlichkeit mit einem Gewehr hatte.

Hierauf arrangierte Erich beide Klassen in zwei Glieder, lehrte sie stehen, wenden und marschieren und belohnte die intelligentesten Knaben dadurch, daß er sie zu Unteroffizieren avancieren ließ. Er brauchte keine vier Wochen, um imstande zu sein, seine Compagnie an einem Sonntag Nachmittage dem Pfarrer draußen auf der Gemeindewiese vorzuführen, der auch dieser Parade unter präsentiertem Gewehr mit einer Würde und einem Ernste anwohnte, die einem General Ehre gemacht haben würde. Und nachdem alles vorbei war, drückte er Erich seine Zufriedenheit aus, und sagte alsdann, während er seine Stimme so viel als es ihm möglich war, dämpfte:

»Etwas fehlt noch, was den Eifer der Buben außerordentlich anregen würde: eine Trommel nämlich, und auch dazu könnte, wenn wir vorsichtig zu Werke gingen, Rat geschafft werden. Ich selbst bin im Besitze eines solchen Instrumentes, das ich, unter uns gesagt, einstens mit Vorliebe erlernt und welches ich gern für das allgemeine Beste hergeben würde. Lassen Sie mich darüber nachdenken, wie es zu machen ist, damit ich mich überzeugen kann, ob Ihre Jugend Sinn für dieses hinreißende Instrument besitzt. Lassen Sie mich darüber nachdenken – ja, ja, so wird es gehen – lassen Sie Ihre Compagnie am nächsten Sonntag, morgens um fünf Uhr, draußen bei dem Pfarrhause antreten, und seien Sie alsdann des Weiteren gewärtig.«

Im Laufe der Woche erfuhr Erich durch seine Schülerin, daß die Zeichenstunde am nächsten Samstage ausgesetzt werden müsse, da Selma mit ihrer Mutter einen Verwandten in der benachbarten Stadt besuche und erst am Montag zurückkehren würde; es war ihm dies in betreff der sonntägigen Parade nicht unangenehm, da er leider die Abneigung der Pfarrerin für diese unnütze Zeitverschwendung, wie sie es nannte, erfahren, und führte er deshalb an dem betreffenden Morgen seine Compagnie leichteren Herzens nach dem Pfarrhofe, vor dem er sich, auf der Straße zugweise abgeschwenkt, aufstellte. Hinter den dichten Büschen der Fliederlaube sah er das mächtig umwallte Haupt des Pfarrers und bemerkte, näher tretend, zu seiner großen Verwunderung, daß Seine Hochwürden die erwähnte Trommel, und zwar in einem vollkommen ausgewachsenen Exemplare, kunstgerecht über die Schulter gehängt hatte und bereit schien, den Parademarsch, obgleich unsichtbar für die Knabenschar, selbsthändig zu begleiten.

»Lassen Sie jetzt stillstehen,« sagte er, »die Züge richten und nach einem einleitenden Trommelwirbel die Compagnie auf der Straße hin und her marschieren, bis ich Ihnen durch einen zweiten Wirbel das Zeichen zum Aufhören gebe; dann lassen Sie die Buben nach Hause gehen und kommen wieder zu mir – geben Sie acht, wie elektrisierend diese Musik auf die Beine der Jungen wirken wird.«

So war es denn wirklich auch, und die kleinen Soldaten stampften den Boden, daß der Staub wirbelnd emporflog und sie auf diese Art genau das Bild einer marschierenden Kolonne darstellten. Mit welcher Kunst wurde aber auch in der Fliederlaube die Trommel geschlagen! Wie scharf und genau dröhnte das Fell unter den kräftigen Schlägen! Welch entzückende Wirbel rasselten oft minutenlang dazwischen! Sowohl die Soldaten selbst als auch der Kommandant bedauerten aufrichtig, als endlich das Zeichen zum Aufhören gegeben und die jugendliche Schar nach Hause entlassen wurde. Ja, es war heute schon etwas ganz anderes gewesen bei dieser erhebenden kriegerischen Musik. Dann ging Erich nach der Laube zurück, in welcher der Pfarrer immer noch mit großen Schritten auf und ab marschierte und sich dabei so zufrieden erklärte über das, was er von dem Marsche durch die Zweige gesehen, daß er sich nicht enthalten konnte, dem jungen Manne als Beweis seines Wohlwollens eine erste Lektion auf diesem edlen Instrumente, das er mit so großer Kraft und Gewandtheit handhabte, zu erteilen.

»Ich weiß wohl,« sagte er dabei, »daß die Trommel von all denen, welche sich einbilden, etwas von Musik zu verstehen, über die Achsel angesehen wird, und mit welch großem Unrechte. Ich will nicht reden über die erstaunlichen Wirkungen eines im Kriege zur richtigen Zeit angebrachten Trommelschlages, nicht von der Ermutigung, die ein exaktes Rataplan, Rataplan auf ermüdete Bataillone, ja, sogar auf abgemagerte Pferde ausübt, aber ich wage kühn zu behaupten, daß die Trommel, mit Geschick und Gefühl angewandt, für den menschlichen Gesang eine unvergleichliche Begleitung abgeben würde, nicht um das oftmals rohe Lied des Soldaten im Takt zu erhalten, sondern für einen wirklichen, gefühlvollen Gesang. Sie schauen mich staunend, zweifelnd an? Ha ich verstehe, kann Ihnen aber versichern, daß, wenn ich nicht Pfarrer geworden wäre, ich es auf der Trommel zu einer unglaublichen Virtuosität gebracht hätte!«

»Ich habe mich davon überzeugt,« sagte Erich, »und war erstaunt, was Euer Hochwürden zu leisten vermochten.« »Ha, ich verstehe! Aber nicht des wilden Lärmes wegen schätze ich dieses Instrument, sondern weil auf ihm die feinsten Nuancen hervorzubringen sind. Hören Sie, hören Sie! Gibt es ein zarteres Decrescendo auf irgend einem anderen Instrumente, als ich hier mit diesem Wirbel hervorbringen kann? – Ist es nicht zuletzt noch ein leichtes Ersterben der Töne, nur noch ein poetischer Hauch? Was sagen Sie dazu?«

»In der That, Herr Pfarrer, ich bin überrascht!« »Ha, ich verstehe, und wenn ich darauf die Töne unter der vollen Macht der Gefühle wieder anschwellen lasse, so – so – reißt es mich unwillkürlich hin, und fühlen Sie nicht Ihr Herz erschüttern bei den letzten, gewaltigen Schlägen? Rata –plan...

»Schade drum,« fuhr er nach einer Pause unter einem leichten, schwärmerischen Wirbel fort, »daß mir heute die Zeit mangelt, Ihnen unser bekanntes Volkslied ›In einem kühlen Grunde‹ mit Trommelbegleitung meiner eigenen Komposition vorzutragen! In meiner Jugend habe ich Entzücken damit erregt; das Lied eignet sich aber auch vortrefflich zu dieser Begleitung. In weiter Ferne vernehmen Sie das melodische Klappern der Mühle, mit der rechten Hand ausgeführt, während ein hingehauchter Wirbel der Linken glücklich in die elegische Stimmung hineinleitet. »Nun Deklamation:

In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad.

»Dann wird eine Melodie intoniert, ein Rhythmus, den sie so gerne gehört:

Mein Liebchen ist verschwunden
Das dort gewohnet hat.

»Ich kann Ihnen versichern, es war darin eine Wirkung und eine Steigerung bis zum Schlusse, daß bei den rasselnden und doch wieder kurz abgebrochenen Schlägen, mit denen ich begleitete:

Sie hat die Treu gebrochen,
Das Ringlein sprang entzwei –

Thränen der Rührung in die Augen der Zuhörerinnen traten. Ah, welch schöne Zeit! Sie ist dahin, wie überhaupt nach und nach alle Poesie erstirbt.«

Er nickte zum Abschiede gravitätisch mit dem Kopfe und schritt danach dem Hause zu, in festem Marschtempo, mit etwas auffallender Bewegung des linken Beines, wie das bei den Trommlern gebräuchlich ist, und verschwand dann im Hause unter den sonoren Klängen eines majestätischen Parademarsches, ungehört von Frau und Tochter, welche ja in der Ferne weilten, aber nicht ungesehen von dem jungen Geistlichen, der mit ebenso erstaunter als ergrimmter Miene von seinem Zimmer in den Garten hinabschaute.

Wir dürfen hier nicht verschweigen, daß es auch der junge Geistliche war, welcher die Pfarrerin von der Trommelübung Seiner Hochwürden in Kenntnis setzte, wobei er die Sache so zu drehen wußte, als sei diese Entheiligung des Sonntags und ihres Gartens allein durch das Schulsubjekt hervorgerufen worden. – »Dieser Soldatenbalg!« hatte die Pfarrerin hierauf gesagt und war schon im Begriffe gewesen, es ein- für allemal feierlich auszusprechen, daß er nie mehr die Schwelle des Pfarrhauses überschreiten solle, als Selma sich ins Gespräch mischte, um ihren Zeichenlehrer kräftig und rücksichtslos in Schutz zu nehmen: »Du kennst ja Papas Leidenschaft für die Trommel,« sagte sie, »und daß er glückselig war, sie in unserer Abwesenheit befriedigen zu können, wozu er den jungen Menschen eingeladen, ja herbefohlen hat! Wie wäre es überhaupt denkbar, daß dieser so sehr bescheidene Schulgehilfe das Verlangen an Papa hätte stellen mögen, ihm etwas vorzutrommeln? Ach, geht mir doch mit euren Kindereien! Ich fühle es, daß ich bei seinem Unterrichte etwas Rechtes lerne, und muß dir offen gestehen, Mama, daß ich nicht Lust habe, wegen dergleichen Lächerlichkeiten meine Stunden zu verkürzen, im Gegenteil« – dieses letzte Wort war von einem scharfen Blicke aus ihren heißen, grauen Augen direkt gegen den jungen Geistlichen gerichtet gewesen, und mir müssen gestehen, daß Wort und Blick von der Mutter nicht ganz ohne Befriedigung empfunden wurden, denn in der benachbarten Stadt, wo sie gewesen waren, hatte sich ein hart am Assessor stehender Referendar aus adeliger Familie ziemlich auffällig mit der hochblonden Selma zu thun gemacht, und daß sie es vorzog, die Frau eines »Regierungsrates von« zu werden, statt die des Vikars ihres Vaters, war ihr eigentlich nicht übelzunehmen.

Deshalb wurde Erich denn auch nicht von den Zeichenstunden entbunden, vielmehr kurze Zeit darauf auch zum vierhändigen Klavierspiel kommandiert, dessen erste Stunden im Beisein der Pfarrerin vor sich gingen, welche in steifer Unnahbarkeit auf dem Sofa saß, geradeaus schauend und emsig dabei strickend.

Daß er diesen Unterricht von der ernstesten, strengsten Seite nahm, dürfen wir ebenso wenig verschweigen, als daß Selma zuweilen ein Geplauder über Musik im allgemeinen, oder gewisse Lieder vorzog; dann lehnte sie, sich vornüberbeugend, ihren Arm auf das Notenpult, stützte ihren hübschen Kopf auf die Hand, um welche alsdann ihre blonden Locken recht malerisch flossen, und schaute ihm freundlich in die Augen, die er aber nur zuweilen gegen sie erhob, während er es liebte, wenn sie so dies und das fragte, seine Finger über die Tasten gleiten zu lassen, um irgend ein Thema, von dem gerade die Rede war, melodramatisch zu begleiten.

Daß Selma alsdann diese Variationen sehr hübsch und angemessen fand, konnte er nicht begreifen und verstehen, und ebensowenig, warum sie alsdann in einer unmutigen Bewegung ihren Platz wieder neben ihm einnahm, sobald er mit ruhigem Blicke auf die Stelle zeigte, wo man aufgehört.

Dergleichen kleine Neckereien und Plänkeleien glitten machtlos an seiner gänzlichen Unerfahrenheit ab, auch führte sie Selma nur alsdann aus, wenn der Vater als rauchender Elefant ihre Stunde überwachte. War die Pfarrerin gegenwärtig, so hatte sie andere kleine Geschichten, um die Klavierstunde etwas pikanter zu machen und das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. So fand sie oft hartnäckig das Klavierpedal nicht und suchte es viel zu weit auf der linken Seite; auch fühlte sie sich bei Passagen à la Moscheles sehr leicht ermüdet und benutzte gern die Gelegenheit, um ihre Hand auf dem Arme des Lehrers auf Augenblicke ausruhen zu lassen. Wäre für Erich Gefahr vorhanden gewesen, so hätte dies alsdann eintreten müssen, wenn Selma, wie zuweilen vorkam, behauptete, es sei ihr rein unmöglich, diese oder jene Passage richtig herauszubringen, und Erich sich alsdann genötigt sah, ihr dieselbe, rechts gegen sie geneigt, vorzuspielen, weil sie sich dabei unmöglich so weit zurücklegen konnte, um ihn nicht mit ihrem vollen Körper sanft zu berühren. Wenn ihn auch dabei zuweilen ein eigentümliches Gefühl durchdrang, so war es ein Gefühl des Schreckens, dem er dadurch Ausdruck verlieh, daß er sich fast auf die Noten herabbeugte, um – besser sehen zu können.

Zuweilen aber auch ging die Stunde in musterhafter Ruhe und Ordnung und ohne irgend welche der eben geschilderten Gefährlichkeiten vorüber, und das immer alsdann, wenn der Pfarrer oder die Pfarrerin verhindert waren und sich in solchen Fällen der junge Geistliche als Posten vor dem Gewehr befand. Ah, dieser setzte sich niemals strickend auf das Sofa oder ging im Zimmer rauchend auf und ab, vielmehr war er mit Leib und Seele bei seinem Amte, und seinen beobachtenden Augen entging nicht die kleinste Bewegung des Lehrers oder der Schülerin. Gewöhnlich stand er so, daß er Hände und Pedal zu gleicher Zeit im Auge hatte, und wenn dann je einmal Passagen à la Moscheles vorkamen oder wenn Erich eine Passage Selmas spielen mußte, so näherte er sich mit vorgestrecktem Halse, stierem Blicke und einer verdächtigen Röte auf den Wangen, konnte auch wohl in letzterem Falle in einem finsteren Tone sagen: »Sie thäten besser, Fräulein Selma, diese gewisse Stelle für sich allein sorgfältig zu studieren.« »Für mich allein – Esel!« hatte sie einmal halblaut vor sich hingemurmelt.

Daß aber der junge Geistliche seinen Zorn über diese Unterrichtsstunden auf das unschuldige Haupt Erichs häufte und ihm seine Leidenschaftlichkeit nicht verhehlte, war ebenso ungerecht als dumm; denn dadurch, daß er alles, was der junge Lehrer that, bekrittelte und bemäkelte, und obendrein in Selmas Gegenwart, brachte er die ganz entgegengesetzte Wirkung hervor, ja, eines Tages eine Wirkung, die wir uns scheuen, niederzuschreiben; denn als der junge Geistliche einstens, wo Erich eines Tages in der That eine falsche Note angeschlagen hatte, von der Unfähigkeit zum Lehramte im allgemeinen sprach und insbesondere von der unbegreiflichen Keckheit, Unterricht in Fächern erteilen zu wollen, die man selbst nicht verstehe, und als er darauf nach beendigter Lektion mit hochgeröteten Wangen und einem Zornesblicke auf Selma das Zimmer verlassen, hatte diese nach ein paar Atemzügen langsam aufstehend gesagt: »Machen Sie sich nichts daraus, Sie sind doch mein lieber Lehrer« – und dann war es ihm gewesen, als berühre irgend etwas heiß und blitzähnlich sein blondes krauses Haar.

»Was mochte das wohl gewesen sein?« dachte er, als er nachdenkend nach Hause ging. »Hatte Selma ihre heißen Finger auf sein Haupt gedrückt, und warum das?«

Keines seiner gelehrten Bücher war wohl imstande, ihm diese Frage zu beantworten, und doch wurde er auf eine sehr einfache Art ins Klare gesetzt, und zwar durch die kleine Anna, des Schulmeisters Töchterlein, die, als er später an seinem Tische saß und arbeitete, hinter ihn trat, ihr Ärmchen um seinen Hals schlang und ihr Gesicht an sein Haar drückte.

»Was machst du da, kleine Maus?«

»Ich habe dir einen Kuß gegeben, weil ich dich lieb habe!«

»Weil ich dich lieb habe? – Weil ich dich lieb habe!« – Das war ein Gedanke, der ihm nicht aus dem Kopfe wollte, obgleich er sich noch durchaus keinen richtigen Begriff von demselben machen konnte. »Weil ich dich lieb habe!« – Aber es steckte etwas dahinter, das auf seine Unterrichtsstunden im Pfarrhause, welche er bisher voller Freiheit des Geistes erteilt, einen eigentümlichen, beengenden Einfluß ausübte. – »Weil ich dich lieb habe!« erklang ihm jetzt so oft aus der harmlosesten Melodie. »Weil ich dich lieb habe!« las er in den heißen Blicken Selmas. »Weil ich dich lieb habe!« fühlte er bei jeder Berührung ihres Körpers.

Aber es war kein angenehmes Gefühl, welches so auf ihn einwirkte. Er hätte viel darum gegeben, von diesen Unterrichtsstunden befreit zu sein, und begrüßte deshalb beinahe mit Freuden eine allerdings traurige Veranlassung, welche ihm gestattete, seine Lektionen bei Selma wenigstens zu vermindern.

Der Schullehrer hatte nämlich seit dem Tode seiner Frau gekränkelt, er aß und trank so wenig, daß es kaum der Rede wert war, er schlief, wie er sagte, oft ganze Nächte lang gar nicht und hatte besonders in den Frühstunden einen bösen Husten, daß er darauf aus lauter Ermattung nicht imstande war, des Morgens seinen Schulunterricht zu erteilen. Obgleich Erich sein Möglichstes that, so konnte er doch nicht beide Klassen beaufsichtigen, weshalb er bei dem Pfarrer das Gesuch stellte, bis zur hoffentlich baldigen Genesung des Herrn Wacker in der ersten Klasse vormittags bis zwölf Uhr, in der anderen nachmittags von ein bis fünf Uhr Unterricht erteilen zu können.

»Ha, ich verstehe!« hatte der Pfarrer geantwortet. »Was Sie aber von der hoffentlich baldigen Genesung des Schulmeisters sagen, so muß ich mir darüber einige leise Zweifel erlauben, denn der Mann ist kränker, als er selbst weiß; unter uns gesagt, halte ich es für meine Schuldigkeit, die Schulbehörde darauf aufmerksam zu machen, um im Falle – nun, Sie werden diesen Fall verstehen – im voraus gesorgt zu haben.«

»Welchen Fall denn, Herr Pfarrer?« fragte Erich angstvoll. »Sie werden doch nicht glauben, daß der Herr Schullehrer sterben könnte?«

»Es ist dies alles für uns bestimmt in Gottes Rat, der eine später, der andere früher, und, wie gesagt, ich fürchte, ich fürchte.«

Daß aber Herr Wacker etwas Ähnliches fürchtete, konnte Erich unmöglich glauben, denn seit er recht leidend war, war er auch recht heiter geworden; er konnte jetzt mit lächelndem Munde erzählen von dem Elende, von all den Sorgen, mit denen er vom Beginne seines Lebens an zu kämpfen gehabt. Und wenn er dabei die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aussprach, so leuchteten seine Augen voll Freudigkeit, ja, die ärmlichen Gestalten seiner Kinder betrachtend, setzte er hinzu: »Auch diesen armen Geschöpfen wird es alsdann viel besser ergehen,« worauf er mit einer fieberhaften Hast von einem Bruder sprach, von einem wohlhabenden Maurermeister, der kinderlos und nicht abgeneigt sei, später – später für sie zu sorgen. »Was Sie betrifft, mein lieber Herr Provisor, so wird es Ihnen hoffentlich später besser gehen, als es mir in diesem traurigen Leben ergangen. Glücklicherweise haben Sie ja keine Neigung, beim Schulfache zu bleiben, was mich für Sie freut, denn ich habe Sie recht lieb gewonnen – nur nicht beim Schulfache bleiben! Ah, das ist eine undankbare Geschichte, und je eher man davon loskommt, desto besser ist es!« – Diese letzten Worte hatte er mit einem eigentümlich aufzuckenden Blicke begleitet und dann leise in sich hineingelacht wie jemand, der sich aufs innigste freut über ein bevorstehendes glückliches Ereignis.


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