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21. Kapitel

Obgleich in diesem Kapitel unter eigentümlichen Verhältnissen soupiert wird, ist doch die Ankunft eines dritten schuld daran, daß das Souper ein Ende mit Schrecken nimmt.

Der alte Marechal hatte schon einmal den Kopf zur Thür hereingesteckt, und als er jetzt wieder erschien, rief ihm die Ticzka zu: »Es ist recht, wir wollen jetzt zu Nacht essen!«

Dann sprang sie auf, nahm den Arm des jungen Mannes und führte ihn in ein kleines Nebenzimmer, wo ein gedeckter Tisch bereit stand, an dem sie sich beide niederließen. Auch hier war, was Meublement und Tischgeräte anbelangt, alles wohl vollzählig, aber auch von einer großen, nicht recht zusammenstimmenden Mannigfaltigkeit. In der Ecke befanden sich auf einem breiten Diwan ein paar elegante Damensättel und reich verzierte Pferdedecken. Auch das Souper, zu dem sich Erich am Ende nicht ungern nötigen ließ, war eigentümlich zusammengesetzt; aus einem jener ungarischen pikanten Gerichte, wie sie sich die Hirten auf der Pußta zuzubereiten pflegen, von dem aber die Ticzka nur sehr unbedeutend nahm, dann aus einer kalten Pastete, aus einer wahren Profusion der feinsten Zuckerwaren, sowie aus überaus schönen Früchten. Dazu stand zwischen beiden eine Flasche Wein mit einem silbernen Halse, welche der alte Marechal geräuschlos entkorkt hatte, mit einem köstlich schäumenden Weine, den Kolma ihrem Gaste aus einem silbernen Becher zutrank.

Wir müssen hier sagen: es war das erste Mal, daß Erich Champagner versuchte, sowie auch, daß ihm dieses verräterische Getränk besser behagte als das schale Bier, welches er vor einer Stunde in Gesellschaft seines Freundes Schmoller getrunken.

Ja, seines Freundes Schmoller, und wenn er sich hier so sitzen sah, in Gesellschaft dieses schönen und liebenswürdigen Mädchens, und er an das Gesicht dachte, welches der Bombardier machen würde, wenn auch dieser ihn sehen könnte, so überflog ein vergnügliches Lächeln seine Züge.

Es war ein eigentümlicher Zufall, daß Herr Schmoller, ebenfalls in recht behaglicher Umgebung, im gleichen Augenblicke fast dasselbe dachte und sich im Tone des Mitleids des armen Erichs, jenes guten Kerls erinnerte, der auf der harten Pritsche der Wachtstube seufzte, während er

Doch wir wollen uns die Ausmalung dieses Bildes für später, wo sie zur Vervollständigung unserer wahren Geschicke dient, aufheben und für jetzt der Ticzka folgen, die nun mit ihrem Gaste in das größere Zimmer, wo sie ihn empfangen, zurückging, nachdem sie Marechal vorher einige Worte auf ungarisch gesagt.

Hier loderte immer noch das behagliche Kaminfeuer, und durch das Fenster in der Nähe desselben glänzten jetzt noch mehr und hellere Sterne herein, da die Wolken am Himmel verschwunden waren und es kälter geworden. Sie blickte, neben Erich am Fenster stehend, in die sternenhelle Nacht hinaus und zeigte nach dem Bilde des Orion, das in prächtiger Klarheit soeben über einer seitwärts vom Hause gelegenen Baumgruppe emporgestiegen war.

»Wie das schön ist,« sagte sie, »und zugleich unser Leitstern und Kompaß, denn er führt uns nach dem warmen Süden, dem wir ja entstammen und den wir beide verlassen mußten, um uns hier, im kalten Norden, einsam, fast verlassen zu fühlen. Ja, verlassen, freund- und freudlos unter diesen kalten, vernünftigen, berechnenden und doch wieder so dumm leidenschaftlichen Menschen. Sie legte leicht ihren Arm auf seine Schulter, als sie fortfuhr: »Und deshalb war ich auch so hoch erfreut, dich hier wiederzufinden, der mich einmal aus gutem Herzen beschützt, dem ich vergalt, so gut ich konnte, und dessen Leben, wie ich in deinen Augen und in den Sternen gelesen, so viel Aehnlichkeit mit dem meinigen hat und haben wird.«

»Und wann hätten Sie für mich in den Sternen gelesen?«

»Nenne doch meinen Namen, wenn du mit mir sprichst Kolma, Kolma! Wann ich für dich in den Sternen gelesen hätte? Schon am Morgen nach jener Nacht, als du uns zu den Zelten zurückführtest, ja, schon während der Nacht, wo der Orion wie heute am Himmel erschien, ein Sternbild, in dem sich dein Leben verkörpert und das auch du nicht ohne Interesse betrachten wirst.«

»Gewiß nicht, Kolma; zeigte es mir doch schon damals den Weg, nachdem ich durch Ihre Hilfe aus dem Gefängnis befreit worden war.«

»Es gibt kein besseres und schöneres Sternbild als den Orion,« fuhr sie, aufblickend, fort; »ein gewaltiger Krieger, gewappnet vom Helm bis zur Fußspitze, mit strahlendem Zaubergürtel, und dabei hat er Doppelsterne, glückliche Sterne, aber auch nebelhafte Flecken hüte dich vor den nebelhaften Flecken! Und nun will ich dich in dein Bett bringen, meine kleine Puppe, dir auch noch ein Wiegenlied singen und dann gute Nacht sagen!«

»Was mein Bett anbelangt,« entgegnete Erich lächelnd, »so wird es wohl die harte Pritsche der Wachtstube sein, und deshalb wollen wir hier voneinander Abschied nehmen.«

Ihr Auge umdüsterte sich, und sie warf fast ärgerlich den Kopf empor, als sie erwiderte: »Was, Abschied nehmen, in dieser Stunde! Du bleibst diese Nacht hier in meinem Hause, das habe ich fest beschlossen, und ich lasse dich heute nacht nicht mehr auf die kalte Straße und noch viel weniger auf das harte Lager der Wachtstube ich will nicht! Sei doch nicht kindisch,« fuhr sie schmeichelnd fort; »ich habe so lange die Blanda nicht mehr in meiner Nähe gehabt und sollte dich, dessen Sternbild das ihrige zu kreuzen bestimmt ist, so rasch wieder von mir lassen? Nimmermehr! Und dann fürchte ich mich auch, heute nacht allein zu sein.«

»Mit Marechal und Ihren Leuten?« Er ist im Nebenhause bei den Pferden, und die anderen ziehen sich ihre Decken über den Kopf und schlafen wie die Murmeltiere, sobald das Licht ausgelöscht ist.« Sie strich mit der Hand ihr schwarzes Haar aus der Stirn, dann lachte sie schallend, aber nicht fröhlich hinaus und rief mit lauter Stimme: »Welch ein dummer, dummer Mensch du bist, Erich! Weißt du wohl, daß der Gedanke, hier in meinem Hause sein zu dürfen, manchen schwindlig machen würde vor Glück und Freude? Aber daß es dich nicht schwindlig macht,« fuhr sie plötzlich in einem wehmütig weichen Tone fort, während sie einen Arm um seinen Hals schlang und ihren Kopf auf seine Schulter legte, »das ist es ja gerade, was mich wieder glücklich und zufrieden machen könnte, wenn der Gürtel des Orion nicht gar so hell herüber funkelte, und was mich doch wieder glücklich macht. Deshalb komm und laß dich zu Bette bringen, wie ich früher die kleine Blanda zu Bette gebracht habe dort, dort,« sagte sie, die Thür des Nebenzimmers aufstoßend, wo sie zu Nacht gegessen, »ist dein Lager; allerdings kein Bett nach euren Begriffen, aber es wird sich gut darauf liegen, und dann kannst du morgen früh mein Haus doch auf anständige Weise am hellen Tage verlassen. Mache es dir so bequem, als du willst, ich komme noch, dir gute Nacht zu sagen.«

Sie ließ ihn allein, nachdem sie eines der Lichter auf den Boden des Zimmers gestellt hatte.

Von dem Diwan hier hatte man das Sattelzeug abgeräumt und mit den weichen Decken ein Lager hergestellt, wie sich der junge Soldat kein besseres wünschen mochte. Ein paar Augenblicke blieb er noch überlegend stehen, und alles das, was er heute abend erlebt, erschien ihm so eigentümlich, so seltsam, daß er sich nicht darüber gewundert hätte, wenn er plötzlich beim heiligen Augustin erwacht wäre und sich dort auf der Holzpritsche liegend gefunden. Doch es war kein Traum, es war Wirklichkeit; hier neben ihm auf dem Boden stand das brennende Licht, dort im Winkel lag das Sattelzeug der schönen Ticzka, deren Kunst, Mut und Gewandtheit er heute abend mit tausend anderen angestaunt, und dort war sein Lager, auf das er sich endlich kopfschüttelnd ausstreckte, allerdings vollständig angezogen, doch ohne Stiefeln und mit gelockerter Halsbinde; eine der weichen Decken warf er halb über sich und fand, daß er hier vortrefflich liege.

Nach ein paar Minuten schaute Kolma in das Zimmer hinein und sagte kopfnickend: »So ist's recht; folgsam müssen die Kinder sein, und nun will ich dir gute Nacht sagen, und dann kannst du ruhig schlafen und träumen.«

Sie setzte sich neben ihn auf den Diwan, fuhr mit der Hand durch sein lockiges blondes Haar und ließ alsdann dieselbe auf seiner ruhig atmenden Brust liegen, gerade so, als wolle sie seinen Herzschlag erforschen, und es mochte wohl sein, daß die Wärme dieser rasch pulsierenden Hand, sowie ihres lebhaften elastischen Körpers, dessen weiche Formen er so nahe bei sich fühlte, schuld daran war, daß sein Herz schneller schlug als gewöhnlich.

»Wirst du schlafen können, meine Puppe?« fragte sie tief aufatmend mit leiser Stimme und herabgesenkten Augenlidern. »Ich glaube wohl, daß ich es kann,« gab er zur Antwort, »denn jetzt, wo ich liege, fühle ich wohl, daß ich müde bin.«

»So behüte dich der Himmel und schlafe gut!« antwortete sie, sich erhebend, beugte sich alsdann noch einmal rasch auf ihn herab, küßte seine frischen, schwellenden Lippen und ging dann, ohne umzusehen, aus dem Zimmer, dessen Thür sie hinter sich verschloß, den Schlüssel abzog und gedankenvoll, an das Fenster trat, um an den Himmel emporzuschauen, der, in wunderbarer Klarheit und aufs prächtigste mit Sternen geschmückt, leuchtend auf die dunkle Erde herabsah.

Der Orion war schon hoch emporgestiegen und fing an, sich auf die Seite zu neigen, als sei er nun ebenfalls müde geworden, den schlafenden Menschen unnötig zu leuchten, und sehne sich nach der Ruhe seines Niederganges.

Da unten an dem kleinen Hause schien aber auch die größte Ruhe zu herrschen. Kolma hatte das Fenster geöffnet, und die frische Luft that ihr wohl, obgleich sie leicht bekleidet war und obgleich der Wind sichtbar mit ihren aufgelösten Haaren spielte.

»Warum nur der Wind?« dachte sie, sich auf die feinen Lippen beißend. »Doch ist es besser so, und damit mich selbst nicht noch einmal ein wildes, thörichtes, ja fast sündhaftes Verlangen ergreift, will ich ...«

Ohne diesen Satz auszusprechen, öffnete sie leicht ihre Finger und ließ den Schlüssel, den sie noch in der Hand hatte, auf die Straße niederfallen; darauf berührte er, leise klingend, einen Stein, und dann war alles wieder ruhig wie zuvor.

»Marechal wird ihn morgen früh schon finden; es thut nichts, wenn er ihn findet, ja, es ist besser so!«

Erich war in kurzer Zeit fest eingeschlafen, und man wird dies bei seinem kindlichen, fast kindischen Gemüt, trotzdem oder auch vielleicht weil er erst achtzehn Jahre alt war, begreiflich finden; doch träumte er schwer und lebhaft, und zwar gingen die Bilder des vergangenen, für ihn so interessanten Tages und Abends, allerdings in einer unbeschreiblichen Konfusion, an seinem Geiste vorüber. So betrat er die Halle des heiligen Augustin und wurde dort von der schönen Kunstreiterin, der Kolma Ticzka, empfangen, und zwar in Gesellschaft des Heiligen selbst, der gerade so, wie er aus Holz geschnitzt über dem Thore stand, herabgestiegen war und ihm die Versicherung gab, er möge ruhig nach Hause gehen, denn es sei hier kein Militärgefängnis mehr, und sie wüßten Besseres zu thun, als Brigadeschüler auf drei Tage einzuschließen. Dann war er im Cirkus gewesen und hatte dort eine unsägliche Angst ausgestanden; denn plötzlich kam das hölzerne Schulpferd aus der Reitbahn der Brigadeschule hereingaloppiert, und auf demselben stand der alte dicke Oberst mit seinem weißen Federbusche, so wacklig als möglich, und warf seinen Lasso nach ihm und nach dem Bombardier Schmoller, die in der Manege herumgepeitscht wurden, daß es eine Freude oder vielmehr ein Entsetzen war. Glücklicherweise aber entgingen ihre Hälse der Schlinge, und dafür wurde ein anderer eingefangen, für den es ihm aber selbst im Traume durchaus nicht leid that. Dies war nämlich der Husarenoffizier Graf Seefeld, der seinen langen Hals gar zu weit über die Brüstung herausgestreckt hatte und nun von dem Lasso gefangen wurde; aber merkwürdigerweise war es nicht mehr der Oberst, der auf dem hölzernen Schulpferde in dem Cirkus umhergaloppierte, sondern es war die Ticzka selbst auf ihrem ungarischen Vollblutrenner. Ah, er sah sie so deutlich, so klar und deutlich, so schön und deutlich, und darauf wickelten sich jetzt im Traume die wirklichen Begebenheiten des vergangenen Abends so rasch und folgerichtig ab, daß es zum Erstaunen war. Er plauderte mit ihr, er trank ihr gegenüber den schäumenden, erhitzenden Wein, er wurde von ihr zu Bette gebracht, sie küßte ihn und wollte fortgehen, doch hatte er den Mut im Traume nämlich, in der Wirklichkeit hätte er ihn nicht gehabt , sie bittend zurückzuhalten, ihre Hände zu ergreifen, sie um seinen eigenen Hals zu schlingen, und als sich ihre feinen Finger dort zuckend ineinander schlossen und sich ihr heißer Körper damit fest an den seinigen schmiegte, so drückte er sie innig, unauflöslich an sich und fühlte schaudernd, daß er verloren sei, denn zwischen ihren Lippen hervor drang eine verzehrende Glut, die sein Herz entzündete und rettungslos untergehen ließ in wild lodernden Flammen, die hoch über beiden emporschlugen. Alles im Traume; doch sollte er nicht in ihren Armen rettungslos verloren sein, es gab noch eine Rettung, aber eine Rettung durch eine höchst unangenehme Ueberraschung, denn er vernahm eine Stimme, für ihn so bekannt, so widrig bekannt, daß er hastig seinen Kopf von ihrem heißen Gesichte zurückwarf, daß er rasch seine Arme löste, um sie wie ein Phantom entschwinden zu lassen alles im Traume, auch die Stimme, die widrige Stimme!

Dann mühte er sich ab, aufzuspringen, um dem Träger jener Stimme entgegenzutreten. Lange vergeblich, denn der Schlaf hielt ihn fest wie mit eisernen Klammern, während die Stimme fort und fort sprach noch im Traume jetzt aber auch im Wachen, als er, aufgerichtet lauschend, auf seinem Lager saß. Rings um ihn her war es finster, aber er vernahm die Stimme klar und deutlich, unverkennbar dieselbe Stimme, die ihn einen Spion genannt und die ihm mit Mißhandlung gedroht. Rasch sprang er empor, ordnete so schnell als möglich seinen Anzug und trat an die Thür des Nebenzimmers, von woher jene Stimme erscholl.

Jetzt aber war es die Stimme der Ticzka, welche, wenngleich leise, doch mit scharfem, energischem Ausdrucke sagte: »Und ich habe Ihnen niemals Veranlassung gegeben, mich auf so wahrhaft räuberische Art zu überfallen, ja, mich in die furchtbarste Verlegenheit zu bringen ist das eine ritterliche That gegen ein wehrloses Weib?«

Die andere Stimme klang heiser und sprach die Worte, welche sie sagte, bebend, wenn auch nicht unentschieden, wie in großer Bewegung, aber doch furcht- und rücksichtslos. »Ei,« sagte er, »wenn dieses wehrlose Weib so schön und reizend ist und wenn es keinen Ritter um sich dulden mag, sondern nur Sklaven, die zu ihren Füßen liegen, so hat sie es sich selbst zuzuschreiben, wenn nach zerrissener Kette allerlei Greuel entstehen!«

»Fort, fort!« rief die Ticzka; »fort auf demselben Wege, auf dem Sie zu mir eingedrungen!«

»Durch das Fenster etwa?« erwiderte er höhnisch lachend. »Nun, auch darauf soll es mir nicht ankommen, ehe der Tag graut; aber sei gescheit, Kolma! Weiß der Teufel,« fuhr die Stimme gepreßt, fast zitternd fort, so daß der Zuhörer zornig aufblitzende Augen und zusammengebissene Zähne zu sehen glaubte, »verstehe einer eure thörichten Launen! Habe ich dir nicht gestern geschrieben? Hast du nicht meinen Brief erhalten? O, ich weiß, daß du ihn erhalten hast, denn deine Hand hat den Empfang bescheinigt!«

»Habe ich geantwortet? Konnte ich auf ein Schreiben ohne Adresse, konnte ich heute antworten? O, sonst hätte ich es wahrlich gethan, und so unzweideutig, daß sich selbst die Raserei jeden neuen, vergeblichen Versuch erspart hätte!«

»Wie hatte ich mich darauf gefreut, deine Antwort im Cirkus durch einen einzigen Blick zu erfahren!«

»Durch einen Blick des Hasses nein, der Verachtung!«

»Traue einer dem Schicksal!« Vielleicht nach einem gelinden Achselzucken fuhr die Stimme des Betreffenden weniger heftig fort: »Ohne früher abkommen zu können, hatte ich Station um Station aufs überflüssigste berechnet und mußte zwei Stunden von hier von irgend einem Kerl die für mich bestellten Pferde wegnehmen lassen! Verflucht sei er, und wird hoffentlich damit umgeworfen haben! Doch wozu die Redereien bei so kostbarer Zeit,« fuhr er in brutalem Tone fort; »du hast meinen Brief erhalten, ich deine Antwort!«

»Meine Antwort?« rief sie so rasch und durchdringend, daß man zu sehen wähnte, wie sie sich in diesem Augenblicke heftig gegen ihn wandte. »Wagen Sie noch einmal, mir das zu sagen!«

»Deine Antwort,« wiederholte er ruhig, »allerdings nicht zierlich auf Papier geschrieben; nennen wir es eine Antwort in Hieroglyphen, zu der ich hier im wahren Sinne des Wortes den Schlüssel habe. Noch einmal, sei gescheit, Kolma! Du weißt, wie ich dir jahrelang auf Schritt und Tritt gefolgt bin, wie ich dir die glänzendsten, nahezu lächerlichsten Propositionen machte, wie ich ...«

»Meine Antwort?«

»Zum Henker denn, ist das nicht Antwort genug, was du gethan? Ich schildere dir in einem langen Briefe noch einmal alle Qualen der Liebe und der rasendsten Eifersucht, ich beschwöre dich um eine Unterredung, um dir das und anderes wiederholen zu können, ich komme hier an, leider zu spät, um in Bewunderung für dich mein Blut noch mehr zu erhitzen, ich schleiche um dein Haus herum, dessen erleuchtetes Fenster, dieses da, mir sagt, daß ich vielleicht erwartet werde. Ich bin zu anständig, um an deine Thüre zu klopfen, ich zwinge mich, bebend vor Liebe und Verlangen nach dir, um dieses Haus herumzugehen, nach dem Fenster auszuschauen, das, obgleich hell erleuchtet, doch eine Ewigkeit stumm für mich bleibt, ebenso wie es jahrelang deine leuchtenden Augen für mich geblieben sind; dann aber belebt sich das Fenster, du beugst dich heraus, und ich hätte laut aufschreien mögen vor Entzücken, denn du läßt diesen Schlüssel da aus deiner Hand niederfallen, zum Zeichen für mich, von dem du wissen mußt, daß er drunten zitternd vor Erwartung steht!«

»Heilige Jungfrau, das ist entsetzlich!«

»Daß es kein Hausschlüssel ist, sah ich sogleich, weshalb ich dieses Zeichen symbolisch nahm, wie es gegeben wurde, und an dem Nebenspalier emporkletterte; auch hattest du die Vorsicht, das Fenster nicht fest wieder zu verschließen. Und nun, Kolma,« fuhr die Stimme in leisem Tone fort, »sei lieb und gnädig, wie rasch ist die Nacht verronnen!«

Das alles hörte Erich und ein eigentümlicher Schauer, der ihn überflog, bannte ihn fast regungslos auf die Stelle, wo er sich befand. Er wußte nicht, was für ein Gefühl es war, das durch sein Blut strömte und tobte war es der Haß gegen jenen, war es das Gefühl einer unaussprechlichen Angst, jener dort sei imstande, der Ticzka ein Leid zuzufügen? Er war im Begriffe, gegen die Thür zu stürzen und den Versuch zu machen, das Schloß gewaltsam aufzureißen. Da hörte er die Stimme abermals, jetzt aber in ruhigem, schmeichelndem Tone sagen: »Du weißt es, Kolma, wie ich jahrelang treu um dich gedient, wie ich dir nach Möglichkeit gefolgt bin, dich und deine Schritte überwacht habe!«

»O ja, o ja, als schwarzer Schatten meiner Tage!«

»Meinetwegen behalte diese Ansicht auch, nachdem du erfahren, wie ich bemüht war, dein oft armes Leben zu erhellen. Glaubst du denn, es wäre dir ohne meine Hilfe gelungen, dich auf den Standpunkt zu erheben, auf dem du dich jetzt befindest? Glaubst du in Wirklichkeit, alle Pfade hätten sich vor dir selbst geebnet?«

»Entsetzlich, wenn es durch Ihre Mithilfe geschehen?«

»Es geschah durch meine Mithilfe. Ich, der ich dich nie aus den Augen ließ, sorgte dafür, daß du, als du deine Lehrzeit begannst, statt mit Argwohn und Eifersucht, mit offenen Armen empfangen wurdest. Ich warf alle die kleinen Intriguen nieder, die sich dir in den Weg stellten; ich sorgte dafür, daß dein Name, wie er es allerdings verdiente, sogleich bei deinem Auftreten als leuchtender Stern genannt wurde, ja, ich kann und will es dir nicht verschweigen, ich war es, von dem du die besten deiner Pferde durch Vermittelung eines Unterhändlers erhieltst, denn es war mir ein seliges Vergnügen, die edeln Tiere unter deiner Hand zu wissen, nachdem sie in meinem Besitze gewesen. Ja, ich war es auch, der endlich eines deiner Reitzeuge um eine fabelhafte Summe an sich brachte.«

»Verflucht sei das Gold, womit man mich so umstrickt, verflucht die goldene Kette, die, statt mich emporzuziehen, mich so tief, so tief herabreißt!«

»Ermesse aus allem dem,« fuhr die Stimme in bebendem Tone fort, »meine Liebe zu dir, meine Leidenschaft für dich! O, wärest du imstande, ihre Tiefe zu ergründen, du würdest schaudern vor Entzücken oder vor Entsetzen!«

»Vor Entsetzen ja, vor Entsetzen!«

»Sprich nicht so, Kolma! Du weißt nicht, was du sagst, du weißt nicht, was du fühlen wirst in meiner glühenden Liebe! Du hassest mich in diesem Augenblicke, weil du fühlst, daß ich dich im nächsten in meinen Armen halten werde!«

»Nimmermehr, nimmermehr!«

»Pah! du bist ein Kind, du weißt nicht, was du sagst! Du hassest mich, weil dein freies Herz sich noch dagegen sträubt, mich zu lieben! O, nicht diese Bewegung, ich weiß es, dein Herz ist vollkommen frei!«

Was sie jetzt sagte, konnte Erich nicht vollkommen verstehen, trotzdem er sich mit Schultern und Kopf gegen die Thür preßte, um wenigstens den Versuch zu machen, im entscheidenden Augenblicke, der kommen mußte, das Hindernis zwischen sich und dem anderen zu beseitigen. Aber, was sie auch gesagt hatte, es mußte etwas Fürchterliches gewesen sein, das konnte Erich hören aus der Antwort, die er gab. Es war kein ausgesprochenes Wort, nicht einmal ein verständlicher Ausruf, es war ein wüster Laut, zusammengepreßt wie aus einem Geheul der Wut und einem Knirschen der Zähne, ein Ausdruck heftigster und wildester Leidenschaft, durch welchen dann jetzt ihre Stimme wieder hell und siegreich klang, indem sie ausrief: »Ja, das verschloß jener Schlüssel, den Sie unbefugterweise fanden, aufhoben, dessen Bedeutung Sie, wie so vieles, mißverstanden der mein Glück, meine Seligkeit verschließt!«

»Hinweg von deinem Glück und deiner Seligkeit, daß ich auch die Bekanntschaft desselben mache! Hinweg von dieser Thür nun denn, hinweg du ...«

»Ah, das ist Ihr wahres Gesicht,« lachte sie wild und höhnisch, »wie das echt und schön ist!«

»Sei verflucht ...«

Erich stand entsetzt da, er hatte das Gefühl, wie wenn eine eiskalte Hand ihm über den Rücken hinabfahre, so daß es ihn fröstelnd durchschauerte und er zu fühlen glaubte, wie sich seine Haare emporsträubten. Vernahm er doch von drüben aus jenem Raume, der nur durch ein dünnes Brett von ihm geschieden war, jetzt einen ebenso kurzen als scharfen Schrei, der mit einem tiefen und eigentümlich endigenden Seufzer schloß; vernahm er doch gleich darauf , das war es gerade, was ihm den furchtbaren Eindruck machte als wenn jemand schwer und unbehilflich gegen die Thür fiel und sich vergeblich bemühte, sich an der glatten Fläche derselben festzuhalten! Er vernahm das Herabrutschen der Hände an derselben, dann den eigentümlichen, nervenaufregenden Ton kratzender Nägel dann war alles still.

Noch einen Augenblick lauschte er, dann riß er an dem Schloß der Thür, um es aufzusprengen vergeblich; er warf sich mit aller Kraft dagegen, die Bretter dröhnten nur, aber sie brachen nicht wo einen anderen Ausweg finden? Er erinnerte sich, neben dem Diwan, wo er gelegen, eine Tapetenthür bemerkt zu haben; dorthin tappte er angstvoll, fast verzweifelnd, stieß einen Stuhl um, stolperte über das Sattelzeug in der Ecke und war dann erst so glücklich, die Tapetenthür zu finden, sowie einen Riegel, den er hastig zurückschob, auf den Gang hinausstürzte und hier fast mit dem alten Marechal zusammenstieß, der schreckensbleich mit einem Lichte in der Hand die Treppe hinaufrannte, an ihm vorüber nach dem Zimmer seiner Herrin eilen wollte.

»Sie sie ist von einem Unglücke betroffen worden, wie ich es schon lange befürchtet! O, ich hatte erst diese entsetzliche Gewißheit, als ich ihn am Fenster herabgleiten sah konnte ihn auch nicht aufhalten, da ich mich im Hause befand arme Kolma, arme Kolma!«

Damit war er in der Thür des anderen Zimmers verschwunden, und Erich folgte ihm bebend und schaudernd. Da war er wieder in demselben Zimmer, in dem er bei ihr am Abend gewesen war, das Fenster neben dem Kamin stand weit geöffnet, die Nachtluft drang kältend herein. Sie sah er im ersten Augenblicke nicht, denn der alte Marechal kniete vor ihr am Boden, hielt ihren Kopf mit seinem Arme unterstützt und neigte sein Ohr gegen ihren Mund, der ihm mit schwacher Stimme etwas zuflüsterte. Jetzt wandte er sich gegen Erich und sagte ihm hastig: »Rufen Sie die beiden Weiber herauf, die unten neben der Küche sind sie sollen keinen Lärm machen und die Hausthür verschlossen halten!«

Rasch sprang Erich die Treppe hinab und kehrte gleich darauf mit den Gerufenen, die unten zitternd und angstvoll lauschend beisammen standen, zurück, während Marechal unterdessen das junge Mädchen kräftig in seine Arme genommen, es aufgehoben und auf den Diwan gelegt hatte.

Kolma hatte die Augen geöffnet, und als Erich eintrat, sich nun rasch gegen sie wandte und sich vor ihrem Lager mit thränenerfüllten Augen auf die Kniee niederwarf, lächelte sie ihn an und sagte nach einem tiefen Atemzuge: »Es ist nichts, mein Freund, wenigstens nicht viel, und ich trage ganz allein die Schuld. Dort am Boden liegt mein kleiner Dolch mit dem es geschah weil ich ungeschickt war ...«

»Ja, ja,« stieß Marechal mit leiser, dumpfer Stimme hervor, »vielleicht zu ungeschickt, das ist möglich!«

»Und nun,« fuhr sie fort, »verlassen Sie mich, mein Freund.«

»Nimmermehr, Kolma, nimmermehr!«

»Es muß sein gewiß es muß sein! Marechal wird Sie begleiten, um nach einem Arzte zu sehen.«

Der alte Mann hatte sich rasch erhoben und als er jetzt auf das bleiche Gesicht seiner jungen Herrin herabblickte, füllten sich seine Augen mit Thränen.

»Gehen Sie mit Marechal. Gehen Sie ich brauche Hilfe.« Sie erhob matt ihre Hand, welche sie Erich darreichte, der sie mit heißen Küssen bedeckte und dann von Marechal fortgezogen wurde, nachdem dieser den beiden Frauen Verhaltungsbefehle gegeben hatte.

»Noch ist alles ruhig,« sagte der alte Mann, als er die Thür des Hauses hinter sich verschlossen und einen Augenblick lauschend stehen geblieben war, »aber ich fürchte immer, man hat die lauten Worte und jenen entsetzlichen Schrei gehört. Eilen Sie, daß Sie nach Hause kommen, es wäre jedenfalls höchst unnötig, wenn Sie in dieser Unglücksnacht hier in der Nähe unseres Hauses getroffen würden! Gehen Sie, ich bitte Sie darum!«

»Haben Sie Hoffnung, Marechal? Ich beschwöre Sie, sagen Sie mir die Wahrheit!«

»Ja, ich habe einige Hoffnung; ich war,« setzte er zögernd hinzu, »schon einmal bei einem ähnlichen Falle, und da zeigte sich kurz nach demselben im Gesichte des Getroffenen jener eigentümlich bekannte Zug, den ich, Gott sei es gedankt, bei Kolma noch nicht wahrgenommen.«

»Noch nicht, Marechal aber?«

Doch war der Alte mit raschen Schritten davongegangen, und Erich stand allein vor dem kleinen Hause. Er konnte es nicht verlassen, ohne nach der anderen Seite gegangen zu sein und noch einmal nach ihrem Fenster aufzuschauen. Es war hell erleuchtet und sah so ruhig und unverdächtig in die schweigende Nacht hinaus, als wenn da oben nichts wie Glück und Friede geherrscht, und doch ... Er wandte sich mit einem schmerzlichen Seufzer ab und wollte dahingehen, als er auf dem Boden vor sich etwas Weißes schimmern sah, wonach er sich bückte und ein zusammengefaltetes Papier emporhob, das jener wahrscheinlich beim Herabsteigen verloren. Rasch steckte er es mit einem letzten Blick auf das erleuchtete Fenster zu sich und eilte durch die Nacht davon.


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