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3. Kapitel

Erichs Vater ist besorgt, seinen Sohn in die militärische Laufbahn zubringen.

Zuweilen kommt es vor, daß der Himmel unsere schönsten und auch unsere besten Entwürfe, wie wir glauben, mit einem recht dicken schwarzen Striche durchstreicht, wobei er häufig anscheinend so rücksichtslos gegen alle Verhältnisse irgend ein Lebensblatt mit dem bekannten schwarzen Kreuze bezeichnet.

So auch hier in unserer ganz besonders wahren Geschichte, wo an einem trüben Dezembermorgen der Zollkontrolleur Herr Freiberg von einem nächtlichen Dienste krank und elend nach Hause kam; er hing blaß und ziemlich entstellt auf seinem hinkenden Pferde, welches Mühe hatte, sich zum Stalle zu schleppen, wo es indessen geduldig stehen blieb, bis Erich und die alte taube Anverwandte dem Vater mühsam aus dem Sattel und in die Stube geholfen hatten, ja, recht mühsam, denn er konnte ebensowenig das linke Bein wie den linken Arm gebrauchen; ersteres war zerbrochen und letzterer an der Schulter ausgerenkt. Als man ihn zu Bette gebracht hatte, lief der Dorfbader, nachdem er die Verwundungen angesehen, selbst in das benachbarte Städtchen, um von dort einen geschickten Wundarzt herbeizuholen. »Denn,« hatte er mit aufgehobenen Händen zu der tauben Verwandten gesagt, »das getraue ich mir nicht zusammenzuflicken.« Und als ihm dann eingefallen, daß sie ihn ja nicht verstehen konnte, hatte er pantomimisch einen hilflosen Menschen dargestellt, der wie ein Taschenmesser zusammenknickte, und war dann mit immer noch aufgehobenen Händen davongerannt.

Erich saß jetzt an dem Bette seines Vaters, welcher, nachdem er sich bis hierher mit einer verzweiflungsvollen Anstrengung aufrecht erhalten hatte, nun in eine tiefe Ohnmacht gefallen war, aus welcher ihn der rasch herbeigeeilte Schulmeister vermittelst Essigs und Salmiakgeist wieder zu sich selbst zu rufen versuchte; dies gelang aber erst nach vielen Anstrengungen. Dann öffnete der alte Freiberg seine Augen, und als er seinen Sohn Erich bleich und verstört mit gefalteten Händen neben sich sitzen sah, die großen dunkeln Augen starr und angstvoll auf sich gerichtet, da geschah etwas sehr Seltenes bei diesem sonst durchaus nicht weichmütigen Manne: er weinte wie ein Kind, wobei er den Knaben mit seinem rechten Arme an sich heranzog und seine Thränen über dessen blondes, krauses Haar dahinströmen ließ.

Herr Schmelzer hatte sich indessen davongeschlichen, um nach kurzer Zeit mit einem Glase gewärmten und gewürzten Weines zurückzukehren, den er sich von dem Wirte im Dorfe erbeten. »Aber wie hat er gebeten,« sagte dieser später: »mit einer Miene und einem Blicke, die ihm ungefähr gerade so viel sagten, als: ›wenn du mir von deinem besten Weine nicht augenblicklich gibst, so schlage ich dich nieder‹ – er – mich!«

So gestärkt, war der Steuerkontrolleur indessen im Stande, seinen Unfall, allerdings mit vielen Unterbrechungen, zu erzählen. Er hustete dabei, was er sonst nie zu thun pflegte, und das Atemholen war ihm schwer.

Er hatte Schmuggler im Verdachte gehabt, daß sie gerade die gestrige finstere und stürmische Dezembernacht zu einem guten Geschäfte benutzen wollten, war auch auf ihre Fährte gekommen, hatte aber dabei den Weg verfehlt, und bei dem hart gefrorenen, glatten Boden rutschte der Braune, der sonst so sicher war, aus, und beide stürzten einen ziemlichen Abhang hinab. »Da lagen wir eine gute Weile und ich glaube,« sagte er mit matter Stimme, »es ist mehr als eine Stunde vergangen, bis ich meine fünf Sinne wieder bei einander hatte, daß ich um mich her schauen konnte. Der Mond schien gerade ein wenig durch die zerrissenen Wolken, und da sah ich Gestalten um mich stehen, Kerle, denen ich mich gar nicht gescheut hätte, im andern Falle meine Pistole vor das Gesicht zu halten. So aber mußte ich es geschehen lassen, daß sie mich recht manierlich aufhoben, wobei ich immer noch vor Schmerzen stöhnte, daß sie mich auf mein Pferd setzten und auf die breite Waldstraße brachten, die über Königsdorf hierher führt; dabei sprachen sie kein Wort mit mir, nur sagte einer zum andern flüsternd: ›Sollen wir nicht mitgehen bis zum Dorfe?‹ Worauf der erwiderte: ›Wie ich sehe, ist der Braune noch gut auf den Beinen und kennt auch seinen Weg.‹ Aber ich kannte den Weg nicht mehr, ich baumelte auf dem Sattel hin und her, ja, als wir endlich hier ans Haus kamen, da dachte ich, wir hätten einen Ritt um die ganze Welt gemacht. Und nun – wie Gott will!«

Es dauerte nicht gar zu lange, bis der Arzt kam und mit Beihilfe des Baders seine Verbände machte; auch hatte er Arzneien mitgebracht und was sonst notwendig war, befahl alsdann die größte Ruhe für den Kranken, ließ die Fenster verdunkeln und nahm den Knaben mit sich ins Nebenzimmer, wohin auch Herr Schmelzer folgte. Dort gab er die nötigen Anweisungen für den Tag und die Nacht, versprach auch, morgen früh bei guter Zeit wiederzukommen, und sagte auf die Frage des Schullehrers achselzuckend: »Wissen Sie, bei der guten Gesundheit des Mannes werde ich mir aus einem Beinbruche nichts machen, noch weniger aus der verrenkten Schulter, aber hier – damit zeigte er auf seine eigene Brust – hier hat's bei dem Sturze einen Stoß gegeben, der mich alles befürchten läßt; vielleicht will es unser Herrgott, daß ich mich irre.«

Aber der Wundarzt hatte sich dieses Mal nicht geirrt, und das fühlte niemand besser, als der Steuerkontrolleur selbst, und sprach das unverhohlen gegen Herrn Schmelzer aus, wenn Erich fern war. Auch mußte ihm dieser einige kleine Geschäfte, vor allem ein paar Briefe an ehemalige Kameraden und Vorgesetzte besorgen. So an den alten Hauptmann Heinzelmann, von dem aber lange keine Antwort kam, und dann nur eine sehr unbefriedigende. Er schrieb ihm:

»Mein lieber Steuerkontrolleur, ehemaliger Artillerie-Unteroffizier Freiberg! Es hat wahrhaftig einige Zeit gedauert, ehe ich mich so recht auf Ihre Person besinnen konnte; es gehen einem, wie Sie selbst wissen, so viele Leute an der Nase vorüber, daß es der Erinnerung an Ihre Frau, unserer vortrefflichen und sogenannten Wirtin, bedurfte, um au fait zu kommen. Ja, was soll ich Ihnen nun in betreff Ihrer Anfrage sagen? Vor allen Dingen, daß ich selbst mit einer magern Pension in den Ruhestand versetzt bin und daß ich jeden Tag denke: hol der Teufel die langjährige Strafarbeit, die man Militärdienst nennt! Hätte ich einen Sohn, lieber Freiberg, so sollte er sich wahrlich nicht zu diesem glänzenden Elende bekennen dürfen, oder er müßte es selbst ganz absonderlich wollen, große Kenntnisse haben, militärischen Esprit besitzen und unter mächtigen Protektionen stehen.

»Was dabei von Ihrem Sohne zutrifft, von dem kann ich natürlich nur wissen, daß, wenn er sich gar auf meine Protektion verlassen wollte, ich ihn bedauern müßte. Was habe ich selbst für mich herausgeschlagen? Gar nichts, nicht einmal den Majorstitel. Hauptmann, dir leb' ich, dir sterb' ich, und damit leben Sie wohl, und suchen was Gescheiteres für Ihren Jungen.«

Die Antwort auf ein Schreiben an den Bruder seiner seligen Frau, welches Herr Freiberg ebenfalls dem Schulmeister diktiert, hat letzterer nicht einmal für gut befunden, dem Kranken mitzuteilen, denn der Schreiber, Kaufmann in einem fernen Landstädtchen, sagte in kurzen Worten, daß er nicht begreife, wie er zur Ehre eines Briefwechsels mit dem ehemaligen Unteroffizier Herrn Freiberg komme, denn wie er sich glaube zu erinnern, sei man schon vor langen Jahren stillschweigend übereingekommen, eine sogenannte Verwandtschaft gegenseitig zu ignorieren. Mit Hochachtung.

Eigentümlich war es, daß Erichs Vater sich das erste Schreiben und damit ein Fehlschlagen des besten Teiles seiner glänzenden Luftschlösser nicht zu Herzen nahm, wie man wohl hätte glauben sollen. Ja, seine Leiden machten ihn nach und nach so teilnahmslos, daß er nicht einmal mehr fragte, ob sein Schwager ihn einer Antwort gewürdigt. Desto mehr aber hing er mit einer rührenden Liebe an der Person des Knaben selbst, und nur wenn dieser an seinem Lager saß, schien er Schmerzen, Leiden und Kummer vergessen zu haben, ja, dann konnte er zuweilen freundlich lächeln, sein Auge strahlte und seine zitternde rechte Hand suchte immer mit seinem Kinde in Berührung zu bleiben, sei es, daß er sie auf das blonde Haupt Erichs legte oder daß sie seine Finger zu umfassen suchte; wenn er auch früher nicht eigentlich barsch und rauh mit dem Knaben gewesen war, so hatte er doch eine gewisse soldatische Derbheit für den Respekt notwendig gehalten und sich auf diese Art bemüht, zwischen sich und seinem Sohne eine Schranke der Subordination zu ziehen. Was er dadurch in der Liebe seines Kindes versäumt, schien er jetzt einholen zu wollen, und Erich fühlte sich ebenfalls glücklich darin, denn ihm entgingen nicht die immer bedenklicher werdenden Blicke des Wundarztes; ja, eines Morgens hörte er eine Aeußerung desselben: »Geben Sie Achtung, Herr Lehrer, er wird einmal sanft hinübergeschlummert sein.«

So geschah es auch an einem milden Märztage, wo Erich die Fenstervorhänge hatte beiseite schieben müssen, damit ein Sonnenstrahl in das Zimmer falle, und dieses freundliche Licht trug wohl die Schuld, daß sowohl der Lehrer, der leise eintrat, als auch der Knabe noch immer glaubten, der Kranke schlummere mit einem unaussprechlich zufriedenen Ausdrucke in den Zügen, als er in Wirklichkeit schon gestorben war.

Was nun folgte, war so durch die Umstände bedingt, so ernst notwendig, so tief traurig, daß wir es für besser halten, nicht lange bei der Erzählung desselben zu verweilen.

Der alte Steuerkontrolleur war gestorben, und der neue Steuerkontrolleur trat an seine Stelle; doch übernahm er nicht die Wohnung, weil sie ihm zu baufällig war, wohl aber den alten Braunen, dem es besser als seinem Herrn gegangen war, denn der Tierarzt war imstande gewesen, ihn wieder zusammenzuflicken, und er zog noch Jahre lang durch den Walddistrikt der Steuergrenze.

Erichs taube Anverwandte hatte nach dem Begräbnisse ihr Bündel geschnürt, und die Frage des Knaben, wohin sie denn eigentlich wolle, mißverstehend, hatte sie ihm einen Trost zu geben geglaubt, indem sie an den Himmel hinaufblickend, mit dem Zeigefinger ein paarmal nach dort oben hinaufwies. Dann war sie trotz seiner Einreden geschieden, und er hatte das müssen geschehen lassen, da ihm Herr Schmelzer sagte, die Liese habe eine Schwester in der Stadt, von der sie erwartet würde.

»Und ich – wen habe ich, der mich erwartet? Niemand – niemand – niemand!«

Alsdann hatte ihn Herr Schmelzer mit sich nach Hause genommen, ihm in einem Verschlage neben dem Schulzimmer ein Lager zurecht machen lassen und ihn ermahnt, sich vor der Hand ruhig in sein Geschick zu fügen, damit man überlegen könne, was ferner mit ihm zu geschehen habe.

Wie hatten sich seine herrlichen, glänzenden Aussichten verfinstert; es huschten seine strahlenden Soldatenbilder nur noch wie hinter trüben Schleiern an seiner Phantasie vorüber, eben so schön als unerreichbar.

Wie sollte er allein ankämpfen gegen den Strom des Lebens, da alle, welche bereit waren, ihm zu helfen, ihm aus voller Ueberzeugung anrieten, den Strom zu verfolgen und, hübsch am Ufer bleibend, eine bescheidene, aber sichere Zukunft zu suchen? Eine für ihn allerdings trübe Aussicht, die aber Herr Schmelzer dadurch erweiterte und erklärte, indem er ihm immer und immer jenes hohe Glück als erreichbar darstellte, das er ihm einstens mit so glühenden Farben geschildert.

Unter denen, die geneigt waren, dem jungen Menschen bedingungsweise Hilfe für sein Fortkommen zu gewähren, war der Pfarrer die wichtigste Persönlichkeit, und ihm gelang denn auch das fast Unmögliche, wie er selber sagte, Erich eine Stelle als Schullehrergehilfe zu verschaffen, ohne vorher durch die läuternden Flammen eines Seminars gegangen zu sein und ohne vorher bestandenes Staats-Examen, und zwar durch einen Amtsbruder, für den, wie wir später sehen werden, die soldatische Abkunft Erichs gewissermaßen eine Empfehlung war und der in seinem Schul- und Kirchenregimente absolutistisch genug herrschte, um trotz Dekanat und General-Superintendent einem jungen Menschen weiter zu helfen, wenn sich dieser willig und fügsam zeigte.

Was Erichs Vater hinterlassen hatte, wurde verkauft, und nach Bezahlung einiger Schulden blieb immer noch so viel übrig, um den Sohn anständig zu kleiden, und zwar seiner künftigen Bestimmung gemäß in demütiges Schwarz, sowie um ihm auch das Nötige an Wäsche anzuschaffen; ja, auch etwas an musikalischen Werken hatte Herr Schmelzer vor den strengen Blicken des Herrn Pfarrers einzuschmuggeln gewußt, und so war er an einem schönen Morgen gerüstet, um, mit einem Empfehlungsbriefe versehen, in die Welt hinaus zu gehen.

Bis zu dem alten, baufälligen Hause gab ihm der Schullehrer das Geleite – ach, wie sah es hier schon nach wenigen Monaten des Verlassenseins so gar trostlos aus! Wie hatte die Zerstörung durch ihre beiden wilden Gehilfen, Sturm und Regen, in dieser kurzen Zeit schon so traurige Fortschritte gemacht, und welchen Kontrast bildete damit die ewig sich verjüngende, alles mild vergleichende Natur! Hatte sie doch dem Winter ein kräftiges Halt zugerufen und war sie doch eben damit beschäftigt, Gras und Sträucher umzukleiden und die dürren Aeste der alten Bäume mit frischgrünem Laube zu schmücken! Sproßten doch Blumen auf, wo sich eben erst Schnee- und Eismassen verloren hatten, und strichen die muntern Vögel doch schon wieder zwitschernd und singend von Ast zu Ast, gerade so, als wollten sie jedes entrollte Blatt ganz besonders begrüßen! Und wie frühjährlich duftete dabei die Erde, wie stiegen aus den frischgerissenen Ackerfurchen Dankopfer empor gegen den wunderbar blauen Himmel, dem leichte, weiße Wolkenstreifen zu einer malerischen Verzierung dienten, und wie tröstlich klang heute wieder das Lied der Lerche: es wird alles gut werden! Verschwunden war sie hoch in den Lüften, und die Blicke Erichs senkten sich gegen die fernen, schneebedeckten Berge, denen er nun bald näher kommen sollte, nachdem er vorübergezogen war an jenem langgestreckten, dunkelblauen See, der mit seinem geheimnisvollen Aufleuchten und dem beständigen Wechsel seiner mannigfaltigen Farbentöne schon sehr oft und vielfach die Phantasie des Knaben beschäftigt. Besonders ein Teil desselben, den er bei klarem Wetter so deutlich überblickte, wo sich eine kleine Insel befand, die mit ihrem tiefen Grün von hier aus gerade so erschien, als habe eine spielende Hand einen zusammengebundenen Strauß dort hingeworfen oder einen runden Kranz auf die Wellen gelegt.

Endlich mußte er scheiden unter Thränen von der Stätte, wo er so glücklich gespielt, von seinem treuen Lehrer, der es so gut mit ihm gemeint. Doch ehe er von dannen ging, schritt er nochmals um das ganze Haus herum und berührte mit der Hand die Mauer, das Holzwerk, zerbrochene Fensterscheiben, ja, vor der Hausthüre bückte er sich nieder und setzte sich, vielleicht zum letztenmale, auf die ausgetretenen Treppenstufen, wo er früher so oft gesessen, spielend mit Nachbarskindern oder seinen Vater erwartend.

»Wenn es mir gut geht in der Welt,« gelobte er sich selbst, »so kehre ich einstens hierher zurück und baue mir ein stattliches Haus mit einem Turme, von dem herab ich weit sehen kann über Berg und Thal, über das Waldgebirge mit seinen Schluchten auf den leuchtenden See.

Ein rüstiger Fußgänger hätte Zwingenberg – so hieß der neue Bestimmungsort Erichs – in einem tüchtigen Tagesmarsche erreichen können, das heißt vom Anbruch des Tages bis zur sinkenden Nacht. Doch hatte Herr Schmelzer seinem jungen Freunde geraten, in Königsbronn, einem kleinen Orte, den er gegen Abend erreichen würde, die Nacht über zu bleiben, damit er sich am andern Morgen zur passenden Zeit dem Herrn Pfarrer Wendler, an den sein Empfehlungsbrief lautete, vorstellen könnte. Der Schullehrer hatte ihm, was das Nachtlager anbetraf, ein paar Zeilen an einen Amtsbruder mitgegeben, der ihm nicht nur freundliche Unterkunft für die Nacht gab, sondern ihn auch einem Müller aus der Gegend von Zwingenberg empfahl, der Getreide-Einkäufe gemacht und ihn in einem Wägelchen nach der neuen Heimat mitnahm. Nebenbei hatte ihm auch noch die Frau des Schullehrers eine Partie Mundvorrat mitgegeben.

Es ging auf einer guten Landstraße bergauf und bergab durch ein fruchtbares Land voll frisch aufkeimender Saaten und fast beständig unter einer Allee von weitästigen Obstbäumen dahin, von denen die Kirschen schon ihre bouquetartigen weißen Blüten zeigten.

Über die Richtung seines Weges hatte sich Erich indessen gewaltig getäuscht, denn statt der hohen Bergkette, die mit ihren ernstzackigen, schneebedeckten Gipfeln in dem Gemüte des Knaben stets ein Gemisch von Grauen und Sehnsucht erweckte, näher zu kommen, war diese jetzt allgemach hinter ihm versunken, und er sah hier seinen Horizont nur noch begrenzt von sanft geschwungenen Anhöhen, auf denen sich hie und da kleine Dörfer zeigten, auch wohl weiß angestrichene Kirchen und Kapellen sowie altersgraue Türme aus der Römerzeit. Die Berge vermißte der Knabe eigentlich nicht so sehr, als den leuchtenden Spiegel des Sees mit dem kleinen, grünen Inselpunkte, der von jeher für ihn etwas unbegreiflich Rätselhaftes gehabt hatte, wo es zu seinen liebsten Träumen gehörte, später einmal dorthin zu kommen, auf einsamem Kahne die dunkelblaue Flut zu durchschneiden, um auf dem stillen Eilande höchst interessante Entdeckungen zu machen.

Der Müller war schon ein alter Mann, nicht groß, aber von kräftigem, untersetztem Körperbaue, und hatte ein kluges Gesicht mit immer noch lebhaften Augen. Sein Kinn, seine Wangen und seine Oberlippen waren glatt rasiert, wogegen dichtes, weißes Haar rings unter der flachen Ledermütze, die sein breites Haupt bedeckte, hervorschaute. Was seine Kleidung anbetraf, so erinnerte diese allerdings an den ländlichen Schnitt, war aber dabei von guten, fast feinen Stoffen und ließ einen Mann erkennen, der dergleichen gewohnt war, es aber für passend hielt, nicht durch einen ganz städtischen Anzug von seinen Nachbarn abzustechen. Auch sein kleiner Wagen war besser und solider, als man ihn auf dem Lande zu sehen gewohnt war, fast elegant, sowie auch das Geschirr seines Pferdes, eines kräftigen Fuchses. Doch alles dies fiel Erich nur deshalb auf, weil der Lehrer, bei dem er übernachtete, allerdings von einem Müller gesprochen, der ihn mitnehmen würde, während er diesen Müller beim Abschiede mit »Herr Doktor« angeredet hatte, was aber gewiß nur eine scherzhafte Benennung war, obgleich der alte Müller nicht so aussah, als ob er leicht Spaß mit sich treiben ließe.

So oft es bergauf und im Schritte ging, veranlaßte der Müller den jungen Menschen durch eine Bemerkung oder Frage, ihm Mitteilungen aus seiner Vergangenheit zu machen, welcher auch kein Hehl daraus machte, daß er auf einen Empfehlungsbrief hin an Herrn Pfarrer Wendler als Gehilfe bei dem Schullehrer in Zwingenberg angenommen zu werden hoffe.

»Ja, ja,« hatte der Müller darauf geantwortet, nachdem er leise vor sich hingepfiffen, »das kann sich schon machen, aber – ja, wenn der Herr Pfarrer will und Sie, junger Herr, den gehörigen Magen dazu haben, aber – nun, aller Anfang ist schwer, und Lehrzeit ist saure Zeit. Wer hat das nicht schon erfahren! Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Übrigens ist der Schulmeister ein braver Mann, allerdings ein bißchen heruntergekommen durch eine langwierige Krankheit seiner Frau, mit der es aber endlich, und man kann sagen: Gott sei Dank, zu Ende geht, wenn es nicht schon zu Ende gegangen ist.

»He, Fuchs, hopp, hopp! – Sie kennen den Pfarrer wohl noch nicht?« fragte der Müller nach einer Weile. »Richtig, Sie sagten mir ja, Sie wären zum ersten Male in dieser Gegend. – Nun, was den Herrn Pfarrer anbelangt, so ist schon mit ihm auszukommen; man muß sich nur nichts aus seinem barschen Auftreten und seinem ewigen Kommandieren machen. Was hätte er für einen Korporal gegeben oder auch für einen Offizier! Thut er doch immer so, als ob er die ganze Welt beißen wollte, nur nicht zu Hause, o, Gott bewahre, zu Hause ist er still und sanft wie ein Lamm – so sagen wenigstens die Leute, die das wissen können, und setzen hinzu, gerade der Zorn, den er zu Hause schlucken müsse und nicht verdauen könne, flöge von der Kanzel wie ein wildes Wetter über die Köpfe der Gemeinde dahin. Wissen Sie, ich habe das alles nur vom Hörensagen, denn da meine Mühle auch Sonntags laufen muß und ich auch noch andere wichtige Beschäftigungen habe, so kann ich oft nicht anders, als mir meinen Gottesdienst selbst halten. Bin deshalb aber nicht schlechter, als alle die Heuler und Kopfhänger, die uns über die Achsel ansehen, als ständen sie auf du und du mit unserem lieben Herrgott. – Pfui, Fuchs, ich glaube, du bist auch so ein Kerl, denn so oft du die Peitsche nicht merkst, stolperst du, daß es zum Erbarmen ist! Wart' ich will dir deine Ohren zurücklegen, alter Mucker!« und damit flog ein wohlgezielter Peitschenhieb über die Croupe des Gauls hin, daß dieser in einem lebhaften Galopp den vorliegenden Abhang hinabeilte, während der Müller in einem eigentümlichen Lächeln zu Erich gewandt fortfuhr: »Wissen Sie, junger, angehender Schulamtskandidat, von allen widerwärtigen Dingen sind mir Mucker und Scheinheilige die widerwärtigsten! ich habe von diesem Volk viel leiden müssen in meiner Praxis und beim Kornhandel, doch scheint's mit der Muckerei bei Ihnen keine Gefahr zu haben. Sie haben ein offenes, ehrliches Gesicht, auch wohl ein solches Herz, das Ihnen Gott erhalten möge!«

»So hat der Pfarrer wohl auch häuslichen Kummer, wie der Herr Schulmeister?« fragte Erich nach einer Pause, während der Fuchs sich wieder zu einem ruhigeren Gange gesammelt hatte.

»Ja und nein! Denn des Herrn Pfarrers Kummer ist ganz anderer Art, o, er ist ein wohlhabender Herr, mit einem fetten Einkommen! Aber sie, die Frau Pfarrerin nämlich, da spukt es gewaltig. Lang und hager, mit einer scharfen, bösen Zunge, verstehen Sie, was wir so einen Knochen im Fleisch nennen, und hält ihn in der Hand, daß er kaum wagt, zu Hause einmal seinen Kopf zu schütteln. Sie hat nicht nur das Geld beigebracht, sondern ihm auch das Studium bezahlt, und da hat er sie aus Dankbarkeit geheiratet. Ah, sie ist so vornehm, wie die Damen in der Stadt, trägt eben solche Kleider nach der neuesten Mode, und wenn sie einem auf der Straße begegnet und man hat eben noch gedacht: warte, dich grüße ich nimmer, weil du doch kaum einen Gegendank hast! – so langt man doch unwillkürlich an seinen Hut, wenn sie dir die spitze Nase zuwendet oder mit ihren frostigen, grauen Augen dich betrachtet. Vorigen Winter hatte man recht gesehen, wie leutselig selbst der Herr Pfarrer sein konnte, wenn er allein war, denn da befand sie sich bei ihrem Bruder in der Stadt, um ihre Tochter an den Mann zu bringen, um sie dort auf die Weide zu führen, wie die Bauern zu sagen pflegen; aber es ging nicht,« lachte er in sich hinein, »es ging durchaus nicht! Sie hatte ein bißchen rötliches Haar; das war's aber allein nicht, obgleich wir ein Sprichwort haben: ›Rot' Haar und Erlenholz wächst auf keinem guten Grund‹. Doch soll sie sich etwas gar zu plötzlich verliebt haben, und zwar in einen Lieutenant von der Infanterie, der weniger eine Frau als eine Heiratskaution gesucht. Das war selbst der Frau Pfarrerin zu arg, und sie kehrte mißmutig wieder heim, und zwar mit ihrem Sohne, der auf dem Polytechnikum in der Stadt war, dort aber nichts gethan hat, als in den Wirtshäusern herumzulungern und einen grauen Plaid auf den Schultern zu tragen, um, wie sie sich ausdrücken, die akademische Würde, wie sie der Herr Kultusminister erfunden habe, aufrecht zu erhalten. Ja, ja, es ist eine schlimme Welt, und der Herr Pfarrer hat bis jetzt so wenig Freude an seinen Kindern erlebt, daß man auch ein anderes Sprichwort auf ihn anwenden kann, ein Sprichwort, das ich wohl sagen darf, da es auch mir eins hinter die Ohren geben könnte, nämlich:

Pfarrers Kinder und Müllers Küh'
Geraten selten oder geraten nie.

Und da haben wir Zwingenberg vor uns. Da rechts auf der Anhöhe, unter den großen Kastanienbäumen, schaut das Pfarrhaus mit seinem Schieferdache hervor, ah, neu gebaut vor ein paar Jahren, nicht weil das alte nur halb so baufällig war, als der Stall, welcher unsere Schule vorstellt, sondern weil in der Landesbehörde ein Vetter der Frau Pfarrerin sitzt. Das alte Gemäuer auf der Höhe ist die Zwingenburg, und links hinter dem Hügel, auf dem die kleine Kapelle steht, liegt die Thalmühle, wo ich zu Hause bin. Deshalb muß ich Sie jetzt absetzen, mein lieber, angehender Schulamtskandidat und künftiger Provisor, da ich von hier einen näheren Weg habe, als durch das Dorf. Ich wünsche Ihnen alles Glück, und wenn Sie einmal nichts Besseres zu thun wissen, so kommen Sie hinaus zur Königsbronner Mühle. Gelegentlich,« rief er lachend, »und wenn der Herr Pfarrer nichts dagegen hat, denn wir stehen gerade nicht besonders brillant miteinander!«

Kaum hatte Erich Zeit, seinen Dank zu sagen, so war auch schon das leichte Fuhrwerk mit dem ungeduldigen Fuchs in dem Hohlwege verschwunden.

Da stand er denn wieder ganz allein auf der Straße und, wie er sich gestehen mußte, trotz seines Empfehlungsbriefes auch ziemlich allein in der weiten, weiten Welt. Statt ins Pfarrhaus wäre er viel lieber mit dem Müller gegangen, denn dessen Gesicht war ihm durch die stundenlange Fahrt schon bekannt geworden. Ach, und er sehnte sich nach einem bekannten Gesichte, ja, nur nach einem bekannten Gegenstande, weshalb er auf der Höhe, auf der er stand, emsig nach Süden spähte, um wenigstens eine der hohen Bergspitzen zu sehen. Aber vergebens; rings umher ruhte der klare, durchsichtige Frühlingshimmel wie eine blaue Krystallschale auf sanften Anhöhen, und das hellglänzende Sonnenlicht zeigte eine fremde, allerdings lieblich weiche, aber dem Knaben nicht sympathische Gegend, und doch mochte er sich eine Zeitlang nicht trennen von dem Meilensteine, neben dem er stand und welcher ihm anzeigte, daß er von hier nach der Residenz zwanzig Meilen habe. Erich hatte ein Gefühl, daß er sich recht glücklich schätzen werde, wenn er wieder einmal hier stehen würde und, Abschied nehmend, nach Zwingenberg zurückblicke. Ja, um sich dieses Gefühls des heutigen Morgens später wieder recht lebhaft zu erinnern, nahm er ein kleines Geldstück aus der Tasche und versteckte es in eine Fuge am Fuße des Meilensteines. Eigentümlich war es dabei, daß es dort nicht halten wollte, sondern zweimal auf den Boden rollte und erst beim dritten Versuche fest stecken blieb. Er verschloß die Öffnung mit etwas Erde, und damit hatte er aber auch alle Sentimentalität abgeschüttelt und ging guten Mutes in das Dorf hinein, natürlicherweise zuerst nach dem Pfarrhause, um dort seinen Empfehlungsbrief abzugeben.

Hier sah es sehr wohlhabend und behaglich aus; das Gebäude war von einem wohlgepflegten Blumen- und Küchengarten umgeben, wo auf sauber hergerichteten Beeten Erdbeeren blühten und Erbsen und Bohnen ihre saftig grünen Blätter emportrieben, alles nach der Schnur gerichtet.

Hinten in der Ecke, an der sonnigsten Stelle, sah man einen Bienenstand, dessen umherschwärmende Bewohner den Garten mit ihrem Gesumme erfüllten, während aus einem offenen Fenster des Erdgeschosses ein Geräusch erschallte, wie von einem sich gleichförmig drehenden Kaffeeröster.

Auf einem breiten Wege, dicht am Zaune, schritt ein junger Mann auf und ab, der ein Buch in der Hand hielt und emsig zu lesen schien. Doch blieb er zuweilen stehen und blickte über das Buch nach dem oberen Fenster des Hauses und jetzt, als Erich in den Garten getreten war, nach diesem hin mit einem langen, forschenden Blicke, und zwar so lange, bis Erich die Klingel der Hausthüre zog.

Dann kam ein reinlich gekleidetes Dienstmädchen, welches sagte, der Herr Pfarrer sei in seinem Studierzimmer, er möge ein wenig im Vorderstübchen, dessen Thüre sie ihm öffnete, warten, sie wolle den Brief hineintragen und Antwort bringen. Vorher eilte sie aber in die Küche, wahrscheinlich um die Kaffeebohnen vom Feuer zu entfernen.

Das Vorderstübchen stieß an das Studierzimmer, und obgleich die Thür desselben verschlossen war, vernahm Erich doch eine gewaltige Stimme, deren Klang, besonders aber die Worte, welche sie sprach, ihn in einiges Erstaunen versetzten: »Wenn ihr glaubt,« hörte er die Stimme sagen, »daß die himmlischen Heerscharen mit Posaunen, Cymbeln und anderen köstlichen Musikinstrumenten ausgerüstet sind, um euren Sinn mit süßer Musik zu kitzeln, so befindet ihr euch in einem gewaltigen Irrtume, denn ich kann euch die Versicherung geben, daß Cymbelnklang und Posaunenschall einstens nur dazu dienen werden, um mit ihren mächtigen Tönen durch eure Ohren zu dringen, die verstopft sind von Bosheit, Lüge und Heuchelei, um solchergestalt euer Gewissen aufzurütteln, damit es sich zitternd und bebend einfinde zum unvermeidlichen Gerichte des jüngsten Tages, ja, zum fürchterlichen, allerletzten Gerichte .... Was will Sie, Babette?« unterbrach sich hier die Stimme, indem sie aus dem donnernden Tone in eine menschlichere, aber immer noch laut tönende Sprachweise verfiel. »Einen Brief? Ha, ich verstehe, aus der Residenz!«

»Nein, Herr Pfarrer, er wurde von einem jungen Menschen gebracht, der draußen wartet.«

»Von einem jungen Menschen? Ha, ich verstehe! Er wird von meinem Freunde und Amtsbruder in Ringelheim sein. Gib ihn her.«

»Der junge Mensch schien mir warten zu wollen, Herr Pfarrer, weshalb ich ihn ins Vorderstübchen geführt.«

»Ha, ich verstehe! Er will eine Antwort haben – gut, er soll warten, bis ich gelesen.«

Und Erich wartete, als nun die Stimme schwieg; dann vernahm er, wie sich ein paar schwere Tritte der Thür näherten, dann wurde diese aufgerissen, und er stand vor dem Herrn Pfarrer Wendler, einem großen, breitschulterigen Manne, dessen breites, viereckiges Gesicht von dichtem, langem, grau meliertem Haar wie von einer Löwenmähne umflossen wurde. Er hielt den geöffneten Brief seines Amtsbruders in der Hand, und nachdem er den jungen Mann mit einem strengen Blicke von oben bis unten gemessen, sagte er mit gemäßigter Baßstimme, die aber trotzdem klang wie das ferne Rollen des Donners: »Ha, ich verstehe! Sie sind das mir in diesem Schreiben empfohlene Subjekt. Sie wollen Schullehrergehilfe werden, und zwar so zu sagen ohne Sang und Klang, ohne Seminar und Examen. Junger Mann, Ihre Ansprüche sind nicht gering.«

Hier wagte Erich, mit schüchterner Stimme die Bemerkung einzuflechten, daß seine Ansprüche so bescheiden als möglich wären, ja, daß er unter den allergeringsten Bedingungen sein erstes Wirken hier nur als eine Probezeit betrachten wolle, von der es abhängen müsse, ob man ihn behalten oder wieder wegschicken werde.

»So treten Sie denn zu mir ein; ich werde mir die Sache einen Augenblick, aber gründlich überlegen.«

Damit schloß der Pfarrer die Thür des Vorstübchens hinter Erich und ging alsdann tief nachsinnend mit großen, hallenden Schritten vor ihm auf und ab.

Zur Erleichterung seines Nachdenkens nahm er ein breites Lineal von seinem Schreibtische, doch nicht in der Art, wie das gewöhnliche Sterbliche zu machen pflegen, vielmehr fing er es mit gewaltigem Schwunge wie eine Fliege von seinem Platze weg und fuchtelte alsdann damit in der Luft herum, als habe er ein Schwert in seiner muskulösen Rechten. Ja, er schien sich in dieser Idee völlig verfangen zu haben, denn ein paarmal sah Erich, wie er in einer Ecke des Gemaches stehen blieb und mit dem Lineal einen gelinden Stoß gegen die Wand führte, wobei er halblaut ausrief: »Ha, ich verstehe!«

»Junger Mann,« sagte er alsdann, sich plötzlich umwendend, »ich glaube, daß ich Ihnen auf die Empfehlung meines Amtsbruders hin Beistand leisten kann und daß der Schulmeister demnach nicht abgeneigt sein wird, Sie als Gehilfen aufzunehmen. Wie in diesem Briefe steht« – damit schlug er auf das Papier, daß es patschte –, »so sind Sie der Sohn eines braven Unteroffiziers. Ha, und ich verstehe, warum mein Amtsbruder Sie gerade mir empfohlen! Ich bin nämlich keiner dieser engherzigen Zeloten, welche da glauben, daß Tugend und Sittenreinheit das Prärogativ gewisser Stände sein müßten, und ich stelle einen braven Unteroffizier auch als solchen höher, als einen heuchlerischen Pietisten, der einen frommen Lebenswandel gerade so als Geschäft betreibt, wie den Verkauf seiner Gewürz- und Ellenwaren. Ja, mehr,« fuhr er lächelnd fort, während er seine schwere Hand auf Erichs Schulter legte, »ich will sogar eine Vorliebe für den ehrenwerten militärischen Stand nicht verleugnen, die Wege des Menschen sind wunderbar, und ich erinnere mich aus meiner frühesten Jugend her eines Scheideweges, an dem ich stand: zur Rechten das Kleid des Pfarrers, zur Linken das Kleid des Soldaten – doch das bleibt ganz unter uns. Gut, ich werde Ihnen einige passende Zeilen für den Schulmeister geben, und Sie können mir glauben, daß er Sie aufnehmen wird. Allerdings werden Sie dort in bescheidenen Verhältnissen leben, finden im gegenwärtigen Augenblicke Leid und Bekümmerniß – doch wie sagt der Lateiner.... Sie verstehen doch Latein?«

»Leider nein, Herr Pfarrer.«

»Ha, ich verstehe! Thut aber nichts, denn bei diesen Bauernburschen brauchen Sie kein Latein, aber eine strenge Fuchtel. Sie müssen diese Kerle unter der Zuchtrute strengster Subordination halten, und davon wird hoffentlich etwas in Ihrem soldatischen Blute stecken. Subordination – Subordination und Pünktlichkeit, Pünktlichkeit und Subordination. Ich freue mich schon darauf, daß, wenn ich nächstens die Schule besuchen werde, Ihre sämtlichen Schüler a tempo von ihren Sitzen in die Höhe fliegen und nicht, wie nach dem bisherigen Schlendrian, komme ich heute nicht, dann komme ich morgen. Wollen Sie ihnen das beibringen?«

»Gewiß, Herr Pfarrer, soviel als in meinen Kräften steht.«

»Ha, ich verstehe! Sie werden sich Ihrem Geschäfte mit Eifer widmen. Hier lese ich auch, daß Sie im Zeichnen nicht unerfahren sind und in der Musik tüchtige Kenntnisse haben, ja, die Orgel zu spielen verstehen, und was letzteres anbelangt, so muß ich schon sagen, daß ich mir längst für meinen Orgelspieler militärischen Takt und Strenge gewünscht, denn es ist keine Kleinigkeit, so ein paar Hundert Bauernkehlen im Zaume zu halten.« Die letzteren Worte sprach er schreibend an seinem Stehpulte und schloß alsdann, indem er Erich das beschriebene Blatt hinreichte: »Und gehen Sie mit Gott und lassen Sie sich nächsten Sonntag nach dem Nachmittagsgottesdienste bei mir sehen.«

Der junge Mann erhielt noch ein so gewaltiges Kopfnicken als Abschiedsgruß, daß die Löwenmähne des Pfarrers ordentlich in die Höhe wallte; dann nahm dieser, ohne sich weiter um Erich zu bekümmern, ein Heft von seinem Pulte, blickte hinein, und ehe noch Erich die Thür des Vorstübchens ganz hinter sich ins Schloß gezogen hatte, hörte er schon wieder, wie der Pfarrer eine unsichtbare Gemeinde andonnerte: »Wenn ihr glaubt, daß die himmlischen Heerscharen mit Posaunen, Cympeln und anderen köstlichen Musikinstrumenten ausgerüstet sind, um eure Sinne mit süßer Musik zu kitzeln, so....«

Den Nachsatz hörte er nicht mehr, da er die Hausthür erreicht hatte und wieder in den Garten trat.

Da war noch immer der junge, hagere Mann mit dem Buche in der Hand, nur näher am Hause stehend und nach einem der Fenster desselben hinaufblickend, von wo jetzt unter lautem Lachen ein Strauß Maiblumen herabflog, den jener hastig in Empfang nahm, dann aber offenbar mit einem affektierten verdrießlichen Gesichte betrachtete, als er des jungen Burschen ansichtig wurde, der ihn obendrein auf so naseweise Art anstarrte. Dies that Erich aber nur einen Augenblick, dann zog er höflich seinen Hut und ging darauf seines Weges in das Dorf hinab.


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