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15. Kapitel

Während in der Vorhalle getanzt und gesungen wird, hat der Herr des Hauses Visionen und Erich treibt Sternkunde.

Das glänzende, geräuschvolle Leben und Treiben in der Halle des Schlosses hatte sich in der letzten Zeit, während wir dieselbe verlassen, ziemlich umgestaltet. Die Tafel war aufgehoben worden, ohne daß man deshalb das Gelage unterbrochen hätte; ja, es hatten sich einzelne Gruppen an der Haupttafel gebildet oder an kleineren Nebentischen, wo es, besonders an den letzteren, recht kriegerisch herging. Dort befanden sich die tapferen Offiziere förmlich in Rauch eingehüllt, allerdings im Rauche der Cigarren, bei immer noch knallenden Champagnerflaschen, bei auffliegenden Stöpseln und aufregenden Redensarten.

Einer stillschweigenden Übereinkunft gemäß hatten sich die jüngeren Offiziere sowie die Rauchenden an das untere Ende des Saales zurückgezogen, wodurch am oberen Teile desselben bei der Höhe der Halle eine ziemlich sturmfreie Atmosphäre herrschte. Dort befand sich Herr Christian Kurt in der Nähe des Kamins, und zwar mitten im großen Saale, sozusagen in einem eigenen Gemache, welches, um allen Zugwind abzuhalten, durch spanische Wände gebildet worden war, mit denen man in einem ziemlich weiten Kreise seinen Spieltisch sowie den runden Theetisch der Gräfin umgeben hatte. Die einzige Öffnung dieses großen Kreises spanischer Wände ging auf die Glut des Kamins, der eine angenehme, behagliche Wärme ausströmte.

Der alte Graf spielte leidenschaftlich gern Whist mit dem Strohmanne, und seine Partie wurde heute abend gebildet durch seinen täglichen Spielgesellschafter, den Doktor Herbert, dann durch einen alten, stillen Obersten von der Infanterie, sowie den uns schon bekannten ernsten Kommandanten der Artilleriebrigade, den Oberstlieutenant Schirmer. Der jedesmal Austretende dieser Vier, mit alleiniger Ausnahme des Herrn Christian Kurt, welcher in seinem weichen Lehnstuhle sitzen blieb, begab sich in den Zwischenpausen regelmäßig an den Theetisch der Gräfin und vermittelte auch auf freundliche, gefällige Art die Unterhaltung zwischen beiden Parteien. Neben der schönen Frau des Hauses befanden sich der kommandierende General, der Oberst von Schwenkenberg und einige andere Kommandeure nebst einem halben Dutzend jüngerer Offiziere, meistens die Träger alter, bekannter Familiennamen, oder auch ein paar Durchlauchten, von welchen indessen als solchen hier keine besondere Notiz genommen wurde. Auch sah man Herrn Renaud, doch weder am Theetische teilnehmend, noch selbstthätig an der Whistpartie, zuweilen unhörbar verschwindend und darauf ebenso erscheinend, meistens aber hinter dem Stuhle des alten Grafen stehend, welcher alsdann hier und da bei einem besonders verwickelten Spiele fragend zu ihm aufschaute.

»Diese jungen Herren,« bemerkte der General, auf den Auftritt von soeben im Vorzimmer anspielend, »sind nur zu oft geneigt, ihren Launen den Zügel schießen zu lassen. Sie haben ihnen doch gesagt, Herr Oberst Schirmer, daß ich, ihr General, dieses Lärmen absonderlich gefunden hätte?«

»Nicht gerade mit diesen Worten, Herr General,« entgegnete trocken der Artillerieoffizier, »Ich nahm diese Sache mehr als zur Kompetenz unseres hochverehrten Wirtes gehörend und bemerkte ihnen, daß der Herr Graf sich nach der Veranlassung dieser heiteren Fröhlichkeit erkundige.«

»Und danke Ihnen, Herr Oberst; es hätte aber auch nicht geschadet, wenn Sie gegen meinen Neffen schroffer aufgetreten wären. Der ist von unglaublichem Übermute, und wenn ich sein militärischer Vorgesetzter wäre, würde ich ihn hier und da in Arrest schicken, sacre bleu! So aber,« setzte er achselzuckend hinzu, »bin ich nur ein alter, kränklicher Mann.«

Wie man aber Herrn Christian Kurt jetzt so da sitzen sah, rüstig spielend, an der Unterhaltung beider Tische lebhaft teilnehmend, hätte man es kaum gewagt, das letztere Prädikat auf ihn anzuwenden, ja, ihn vielmehr noch für einen raschen Sechziger gehalten. Es war immer noch die Zeit vor Mitternacht, in welcher, wie aus einem langem Schlafe erwachend, seine Lebensgeister nach und nach in Funktion zu treten schienen und alsdann allmählich aus dem kranken, teilnahmlosen, schläfrigen, hinfälligen, alten Manne ein fast lustiger Gesellschafter wurde, der es, auf der Höhe seiner gesteigerten Laune angekommen, in gewisser Beziehung mit dem Jüngsten hätte aufnehmen können. Ebenso rasch verflackerte aber auch diese trügliche Flamme wieder. Wenn ihn alsdann Herr Ben gegen Morgen wie ein kleines Kind zu Bette gebracht, die Vorhänge fest verschlossen, die Nachtlampe angezündet hatte, hatte man es mit einem so teilnahmlosen, stillen Manne zu thun, daß man kaum noch ein Wiedererwachen desselben voraussetzte. Und doch hat sich dasselbe Spiel schon jahrelang wiederholt und schien sich auch noch fernere Jahre wiederholen zu wollen. War doch Herr Christian Kurt heute abend von einer besonderen Lebhaftigkeit und Munterkeit und warf seine guten und schlechten Bemerkungen unablässig unter seine Mitspielenden hinein, sowie hinüber auf den Theetisch.

»Was ist denn jener Bursche eigentlich und was hat man mit ihm vor?« fragte er seinen Sekretär Renaud. » Sacre bleu, wenn er ein schlechtes Subjekt ist, hätte ihn der Pfarrer lieber behalten sollen!«

»Er gibt an, der Sohn eines Artillerieunteroffiziers zu sein,« »Ah, das schlägt in Ihr Fach, Herr Oberst.« »Es gibt allerlei Artillerieunteroffiziere, Herr Graf,« antwortete der andere mit einem eigentümlichen Lächeln, »gute und schlimme Subjekte, wie in allen übrigen Ständen, und der Vater dieses Taugenichts konnte immerhin ein recht braver Mann sein. Es gibt ähnliche Beispiele genug. Wie heißt er denn?«

»Der Bursche nennt sich Erich Freiberg.«

»Freiberg – Freiberg – ich kann mich eines solchen Namens nicht erinnern, obgleich ich ein gutes Gedächtnis habe.«

»Nachdem er in Zwingenberg entlassen wurde, begab er sich zu unserem guten Nachbar, dem Müller, Herrn Doktor Burbus,« sagte Herr Renaud mit einer ruhigen Stimme, die aber ein leichter Klang von Ironie durchzog, »und schoß alsdann vermutlich auf unserem Revier den kapitalsten Hirsch, den Se. Erlaucht in sämtlichen Forsten besitzen.«

»Sehen Sie einmal dieses Ungetüm an,« rief Herr Christian Kurt, »und gerade aus Bosheit meinen stärksten Hirsch! O, ich sage Ihnen, es wäre nicht unchristlich, wenn ich den Wunsch ausspräche, daß der Teufel diesen Müller Burbus gelegentlich holen möge! Ein aufrührerischer Kerl, ein Beförderer sogenannter liberaler Grundsätze, ein Volksaufwiegler, ein ...«

Hier legte Doktor Herbert ruhig seine Karten vor sich auf den Tisch und sah den alten Herrn lächelnd an, während er leise vor sich hin, allerdings kaum hörbar, die Melodie pfiff:

Mironton-mironton-mirontaine.

»O, ich weiß schon, was Ihr Gepfeife bedeutet, Herr Doktor, und hätte auch ohnedies meine Aufregung gemäßigt; aber Sie haben natürlich keinen Begriff davon, wenn man sich so vor der Nase den kapitalsten Hirsch durch diese verdammten Wilderer zusammenschießen lassen muß!«

Mironton-mironton-mirontaine,

pfiff abermals der Doktor und sagte alsdann: »Davon habe ich allerdings einen Begriff, und gerade was diesen Hirsch anbelangt; denn ich war es, der ihn schon öfter verhörte, dem er aber nie zu Schuß kommen wollte.«

»Doktor, Sie sind ein gewaltiger Nimrod?« fragte der Oberst von der Infanterie; doch ehe der Doktor auf diese Frage antworten konnte, warf der General von drüben lachend dazwischen:

»Aber ein ebenso vortrefflicher Arzt, wie man soeben gehört, und ich mache Ihnen über Ihre Erfindung, unseren verehrten Freund und Gönner zur Ruhe zu pfeifen, mein devotestes Kompliment.«

»Die Ehre der Erfindung muß ich ablehnen, Herr General, die gebührt unbedingt dem Herrn Grafen. Ich bin hier nur die Exekutivbehörde. Se. Erlaucht selbst befahlen mir, bei vorkommenden Fällen der Aufregung den Refrain dieser Lieblingsarie zu intonieren.«

»Allerdings, aber dieser Haustyrann braucht sie auch zuweilen als Kriegslist, wenn er mir das Wort vom Munde abschneiden will, wie soeben, wo ich mich in gebührenden Epitheta über seinem Busenfreund, den Müllerdoktor, erging.«

»Busenfreund will ich gerade nicht sagen,« lächelte der Doktor, »aber er ist doch kein so übler Mann, dieser Burbus, und wer weiß, ob jener Hirsch nicht drüben geschossen wurde und bei uns nur verendet ist. Ich glaube so.«

Jetzt pfiff der Graf leise vor sich hin:

Mironton-mironton-mirontaine,

und als hierauf alle lachten, sagte er: »Geben Sie zu, lieber Doktor, daß Sie ebenfalls ein bißchen Demokrat sind – wir schätzen Sie deshalb nicht weniger – und daß auch ich mich zuweilen bemühen muß, Ihre Aufregung niederzupfeifen.«

»Ich werde mir das merken,« sprach heiter der Oberst von Schwenkenberg, »und meinem Adjutanten anbefehlen, ebenfalls den Marlborough zu pfeifen, wenn er es in gewissen Augenblicken für notwendig findet.«

Einer der jüngeren Offiziere am Theetische meinte hierauf flüsternd: »Wenn das der selige Horn vor ein paar Tagen hätte thun können, so wäre er vielleicht einer bedeutenden Nase entgangen.«

Herr Renaud war abermals hinter den Stuhl des Grafen getreten und sagte jetzt leise zu ihm: »Die Zigeuner sind im Vorsaale, Erlaucht. Haben Sie in dieser Richtung etwas zu befehlen?«

»Ich für meine Person nicht das Mindeste; arrangieren Sie alles wie Dagobert es wünscht. Sehen Sie mir aber darauf,« setzte er leise hinzu, »daß kein Unfug geschieht, weder von dieser noch von jener Seite, und daß das Volk später auf eine sichere Weise untergebracht wird.«

»Ich habe ihnen für diese Nacht die große, leere Halle im östlichen Flügel anweisen lassen.«

» Bon! Sorgen Sie auch, daß sie Feuer haben und zu essen und zu trinken. – Die Zigeuner sind da draußen im Vorzimmer,« rief der alte Graf alsdann mit lauter Stimme; »wer Lust hat, zu schauen, wird von der Gräfin freundlichst entlassen werden. Oder willst du sie selbst noch einmal betrachten, Isabella?«

»Nein, nein, ich danke!« rief die schöne Frau. »Neulich bei der aufregenden militärischen Umgebung hat es mich recht interessiert, doch nicht so, daß ich eine Wiederholung wünsche; aber ich bitte die Herren, sich durchaus nicht zu genieren.«

Einige der jüngeren Offiziere schlichen sich fort, und der General, der ihnen lächelnd nachschaute, sprach alsdann zu dem Spieltische hinüber: »Gestehe es nur, Schwenkenberg, du möchtest nur gar zu gern noch einmal das schöne Zigeunermädchen anschauen. Verzeihen Sie, Gräfin, aber ich habe deutlich gesehen, wie dieser alte Dragoner einen sehnsüchtigen Blick in die Halle hinaus warf – es ist das eben noch ein lediger junger Mensch.«

»Ja, ja, Herr Oberst,« pflichtete auch Herr Christian Kurt bei, »lassen wir die Karten einen Augenblick ruhen und gehen Sie mit dem Doktor hinaus; der hat den Spektakel überhaupt noch nicht gesehen und kann seine Menschenkenntnis dadurch vermehren. Gehen Sie, Herr Doktor, wenn Sie zurückkommen, pfeife ich Ihnen schon den Marlborough.«

»Einem solchen Befehle müssen wir gehorchen,« meinte der Oberst von Schwenkenberg achselzuckend, indem er seine Karten niederlegte. »Kommen Sie, Doktor.«

Beide gingen miteinander fort, und dann wandte sich Christian Kurt an den General mit der Frage, ob es in der That der Mühe wert gewesen sei, was ihnen die Zigeuner neulich im Bivouac aufgeführt.

»Ich habe schon Besseres und Schlechteres gesehen,« gab jener zur Antwort, »und wenn man annimmt, daß sie ihre Geschichten bei zweifelhaftem Tageslichte aufführten, ohne das Bestechende einer brillanten Beleuchtung, so mußte man gestehen, daß sie ganz hübsche Sachen machten, besonders die Kleine auf ihrer Kugel.«

»Wer war denn die Kleine?«

»Ein Kind, ein junges Mädchen von vielleicht zehn Jahren, von seinen Gliedern, allerdings mager und blaß, aber mit einem ausdrucksvollen und durchaus nicht gemeinen Gesichte. Nicht wahr, Gräfin Isabella?«

»Gewiß, und mich dauerte das arme Geschöpf, das so gar nicht zu den übrigen stimmte. Ich dachte es mir vorteilhaft angezogen, in guter Umgebung, und alsdann passend in eine anständige Familie, ja in ein vormehmes Haus.«

»Also eine kleine Preciosa?«

»Die Zeiten der Preciosa sind wohl vorbei, und hätte ich auch die andere lieber mit jenem Namen belegen mögen, das auffallend schöne Zigeunermädchen nämlich, das so graziös tanzte.«

»Die hätten Sie in der That sehen sollen, Graf Seefeld!«

Draußen erklang jetzt lauter Applaus und lebhaftes Bravorufen, und da in diesem Augenblicke Herr Renaud an dem Kamine wieder erschien, so fragte Herr Christian Kurt, ob die jungen Leute draußen recht animiert seien.

»Sehr, Erlaucht; es ist auch der Mühe wert; die Zigeuner in ihrem malerischen Kostüm nehmen sich vortrefflich aus bei der blendenden Beleuchtung in der Vorhalle.«

»Willst du es dir nicht einen Augenblick anschauen?« fragte die Gräfin.

»Ich für meine Person danke – wozu auch? Aber thue mir den Gefallen, Isabella, und führe unseren verehrten General und die anderen Herren dorthin; ich kann mir auch denken, daß heute bei guter Beleuchtung immerhin eine kleine Steigerung ist.«

»Meinetwegen denn,« sagte der General, indem er der Gräfin den Arm bot und, gefolgt von den übrigen, der Vorhalle zuging.

Der alte Graf lehnte in seinen Stuhl zurück, und nachdem er eine Weile in die lodernde Glut des Kaminfeuers geblickt, verschwand das freundliche Lächeln von seinem Gesichte und seine Züge wurden ernster und ernster, wahrscheinlich wie er, nach und nach in dem Buche seines Lebens rückwärts blätternd, sich jener Zeiten erinnerte, wo nichts imstande gewesen wäre, ihn in seinem Lehnstuhle am Kamine festzuhalten beim Klange der Mandoline und des Tamburins, welche im regelmäßigen Takte die Tanzschritte schöner Mädchen begleiteten. Und er hatte viel dergleichen gesehen in seinem langen Leben, welche Menge glänzender, leuchtender, ja glühender Mädchenaugen hatten ihm zugelächelt, sein eigenes Lächeln verstehend, oder hatten ihn auch wohl zürnend angeblickt, vorwurfsvoll und von Thränen umflort.

Ja, auch an Augen dachte er jetzt, in denen Lust und Liebe erloschen war, ja sogar der Strahl des Lebens, welche langsam verdeckt wurden durch müde herabfallende Lider, nachdem sie ihn zuletzt noch mit einem unaussprechlichen Blicke angeschaut. – War es kühl in der Halle geworden, oder durchschauerte ihn nur innerer Frost? – Woher überhaupt mitten unter den Ausbrüchen einer lärmenden Lustigkeit, die allerdings gedämpft an seine Ohren schlug, diese trüben, unheimlichen Bilder? – Und dazu bewegte er taktmäßig seine weißen, hageren Finger auf dem Tische, dem Rhythmus folgend, welcher von draußen hereinklang, aber nicht der Melodie, die auch bei dem leisen Klingen der Mandoline und Guitarre, von den lärmenden Tamburins übertönt, verwischt wurde, und der er eine andere Weise unterlegte:

Marlborough s'en va-t-en guerre,
Mironton-mironton-mirontaine,
Marlborough s'en va-t-en guerre,
Ne sait quand il reviendra.

Daß ihm gerade diese Melodie vorschwebte, finden wir nach der eben stattgehabten Unterredung begreiflich, und wenn sich dieselbe auch jetzt wieder als beruhigend erwies, denn der alte Mann atmete nur leise und sank immer tiefer in sich zusammen, so zauberte sie doch keine heiteren Bilder vor seine Seele, wenigstens keine solchen, die ihm in der Erinnerung heiter erschienen wären.

Marlborough s'en va-t-en guerre.

Sie hat etwas Einschläferndes, diese Melodie, wenn man sie leise vor sich hinsummt, und gerade sie hatte ihn in den glücklichen Tagen seiner Jugend so oft in den Schlaf eingelullt. Zuerst war es seine alte Wärterin, eine Französin, gewesen, welche dieses Lied aus der Heimat mitgebracht, dem Knaben vorgesungen und es ihn nach und nach, zum großen Vergnügen seines Herrn Papa, gelehrt, natürlicherweise zuerst den Refrain:

Mironton-mironton-mirontaine.

Später – manche Jahre später – war aus einem Lernenden ein Lehrender geworden, und als er jener Zeit gedachte, sank sein müdes Haupt noch tiefer auf die Brust herab.

Ne sait quand il reviendra.

Ach, jene glückselige Zeit, nachdem sie einmal verschwunden, war niemals wiedergekehrt, weder auf Ostern, noch auf Trinitat!

Mironton-mironton-mirontaine.

Ja, jene herrliche, glückliche Zeit seiner ersten Liebe, die so furchtbar geendet. Hatten sie doch beide zusammen gespielt, gelebt und geliebt wie ein paar harmlose, glückliche Kinder, waren doch ihre Tage dahingeflossen unter einem einzigen unaufhörlichen Sonnenscheine, und waren sie doch so von ihrem Glücke verblendet gewesen, daß sie nicht der finsteren Wetterwolken geachtet, die langsam und drohend am Horizonte ihres Glückes aufgestiegen waren.

Monsieur Marlborough est mort,
Mironton-mironton-mirontaine.

So glücklich, – ach, so glücklich!

Wie hatte sie gelacht, so herzinnig aus ihren großen, schönen Augen, und dabei so wunderlich komisch den Mund verzogen beim Aussprechen der oft so eigentümlich schweren Worte des Liedes.

Madame à sa tour monte,
Mironton-mironton-mirontaine,
Madame à sa tour monte
Si haut qu'elle peut monter.

Und wie hatte sie darauf, wenn er herzlich mitlachte, seine Augen mit ihren kleinen Händen fest zugedeckt und ihm befohlen, er müsse jetzt schlafen nach dem anstrengenden Ritte durch Regen und Sturm.

Mironton-mironton-mirontaine.

Und wie gern war er ihr folgsam gewesen und hatte sich die Augen zudrücken, auch sie mit heißen Küssen verschließen lassen.

Mironton-mironton-

War er doch so sicher bei ihr, wie im Schoße der Engel, und selbst wenn sie dann leise von ihm wegtrat und sich an dem lodernden Kaminfeuer zu thun machte mit dem singenden Wasserkessel, der an einer zierlichen Bronzekette über der Glut hing, öffnete er zuweilen schlaftrunken seine Augen und sah sie halb wachend vor dem hohen, weiten Kamine stehen, und träumte dann von ihrer späteren liebenswürdigen Geschäftigkeit und von ihrem reizenden Geplauder, wenn sie nach seinem Erwachen wieder neben ihm saß und ihm von ihren Erlebnissen des Tages erzählte.

Miron – – –

Ja, er sah sie halb im Traume, so deutlich vor dem Kamine stehen, die feine schlanke Gestalt, fast immer noch mit den Formen eines Kindes.

Miron – – ton – –

So deutlich, als wenn die Bilder der Erinnerung, die sich bei jener Melodie fast verkörpert vor ihm zeigten, in der That zur Wirklichkeit geworden schienen.

Mironton-mironton-mirontaine.

So deutlich träumte der alte Mann, der jetzt, in seinem Lehnstuhle zusammengesunken, eingeschlafen war, ja, so lebhaft, daß er den Refrain des Liedes von ihren Lippen zu hören glaubte.

Mironton-mironton-mirontaine.

Sie stand abgewendet von ihm und schien sinnend in die Glut zu blicken; dann wandte sie langsam ihr Haupt, so daß, von dem Feuer bestrahlt, er jetzt deutlich ihre Züge sehen konnte. – Ja, es waren ihre Züge, – doch als Traumbild, seltsam bleich und eingefallen; auch ihre Gestalt erschien ihm so unvollkommen, so gar kindlich gegen damals.

Mironton-mironton-mirontaine.

sang sie deutlich.

Doch schauderte es ihn jetzt, denn er hatte ihr Gesicht ja auch damals, an jenem schrecklichen Tage, so blaß und eingesunken und ihren Körper so zusammengefallen gesehen, so schattenhaft verschwindend unter dem weißen Tuche.

Schrecklich, daß sie ihm jetzt erscheinen mußte, lebend, sich bewegend, und doch wie sie war, nachdem sie gestorben, oder wie sie vielleicht gewesen war in ihrer ersten Kindheit – schreckliche Erinnerung!

Er seufzte tief auf, und das schien sie am Kaminfeuer zu hören, denn sie wandte ihren Kopf ganz gegen ihn hin, blickte ihn mit den großen Augen fast erschrocken an, und statt auf ihn zuzueilen, wie sie es zu jener Zeit gethan, wich sie langsam zurück und verschwand. – Welch furchtbar lebendiger Traum!

Ja, er hatte ihn geträumt, nachdem er sich selbst in den Schlaf gesungen, unter den einförmigen Klängen der Mandoline draußen, welche in diesem Augenblicke übertönt wurde von lautem Händeklatschen und dem Bravorufen der jungen Leute; dann war alles wieder still geworden oder hatte sich vielmehr aufgelöst in das behagliche Summen eines allgemeinen Geplauders, welches näher und näher kommend, die Zurückkunft der Gesellschaft anzeigte.

Die Vorstellung war beendigt, die Zigeuner hatten sich zurückgezogen, wie die Gräfin sagte, als sie nun neben den Lehnstuhl des alten Herrn trat, ihm ihre Hand auf die Schulter legte und hinzusetzte: »es sei eine ganz glückliche Idee von Dagobert gewesen, Gästen das hübsche Schauspiel zu arrangieren.«

»Ein deliciöses Schauspiel, in der Thal!« rief der General enthusiastisch aus. »Es sind das sehr geschickte Leute, und ich habe sie dringend ersucht, ja recht bald nach der Residenz zu kommen.«

»Nimm dich in acht, General,« meinte der Oberst von Schwenkenberg, »wenn die schöne Esmeralda sich in der Stadt als eine Bekannte von dir vorstellt – ich weiß doch nicht, ob das deinem Hausfrieden zuträglich wäre! Darin haben wir jungen, ledigen Leute es schon besser.«

Er zog bei diesen Worten sein Kollett scharf in die Hüfte und drehte alsdann auf eine kokette Weise an seinem Schnurrbarte.

»Ja, die Jugend,« sagte kopfnickend Herr Christian Kurt; »verzeihen Sie mir, lieber Oberst, wenn ich damit die wirkliche Jugend meine, um die es doch etwas Schönes, Redenswertes ist! Während sich die jungen Leute da draußen an den Augen schöner Zigeunerinnen ergötzten, bin ich hier eingeschlummert.«

»Worüber wir uns Vorwürfe machen sollten!« meinte der General.

» Du tout, du tout, der kleine Schlummer hat mir wohlgethan. Aber – ich – habe – auch – geträumt.« Er blickte einen Augenblick starr in die Glut des Kamins; dann aber raffte er sich gewaltsam auf und sagte mit heiterer Miene: »Nun, ich freue mich, daß es der Mühe wert war! Sie haben getanzt, sie haben Kunststücke gemacht?«

»Und wie!« erwiderte der General. »Was mich am wenigsten heute abend angesprochen hat, das war die Kleine auf ihrer Kugel; das arme Geschöpf ist gar zu mager und blaß, und man sieht ihm an, daß es nicht mit Leib und Seele dabei ist, wie die Zigeunermädchen. Ah, wie charmant diese ihre spanischen Tänze ausgeführt haben, zu zweien, zu vieren und zuletzt die Esmeralda allein – deliciös, berauschend!«

»Und wo sind sie jetzt?« fragte Herr Christian Kurt, indem er seine Augen gegen Renaud wandte, welcher neben dem Kamin erschienen war und der, herbeikommend, zur Antwort gab:

»In der Halle, wie der Herr Graf befohlen; dort sind sie in jeder Hinsicht gut versorgt, und ich habe noch das runde Turmzimmer daneben öffnen lassen für die Weiber und Mädchen, die vielleicht unter sich bleiben möchten.«

» Bon, bon,« erwiderte lächelnd der alte Graf; »man muß jedem Gelegenheit geben, die Dehors zu beobachten. Lassen Sie mir aber die jungen Leute nicht kalt werden, mein lieber Renaud; arrangieren Sie ihnen ein kleines Spiel, wenn es ihnen Vergnügen macht, und auch wir, denke ich, wollen unsere Whistpartie wieder aufnehmen. Es ist noch so früh, und jede Stunde, um die man den Schlaf bringt, ist eine Verlängerung des Lebens. Wo ist der Doktor?«

»Dort kommt er.«

»Mir scheint, der hat sich das Vergnügen noch eine Zeit lang verlängert und die Zigeunermädchen in den runden Turm begleitet.

»Ja und nein,« erwiderte der Arzt, indem er an den Spieltisch trat, »ich war allerdings in dem runden Turme, um nach einer kranken Person zu sehen, die sie bei sich haben, ich glaube, die Mutter oder irgend eine Verwandte des kleinen Mädchens, denn diese umschlang den Hals der Kranken mit einer wahrhaft rührenden Sorge, während es sich die anderen bei ihrem Souper wohl sein lassen!«

»Was fehlt der armen Frau?« fragte die Gräfin.

»Sie leidet für den Augenblick wohl nur an einer leichten Erkältung, hat aber, wie mir scheint, eine unheilbare, abzehrende Krankheit.«

»Armes Geschöpf, ohne Ruh' und Pflege bei diesem Umherwandern und dem Aufenthalte unter freiem Himmel bei Tag und bei Nacht – welches Schicksal! Nicht wahr, Herr Renaud,« wandte sich die Gräfin an den Sekretär, »Sie sorgen dafür, daß es dieser Unglücklichen an nichts fehlt, und Sie, Doktor Herbert, sind wohl so freundlich, mir morgen früh Näheres über das Befinden der Kranken zu sagen. Man könnte sie ja veranlassen, ein paar Tage zu bleiben!«

»Daran habe ich auch schon gedacht, aber es hat seine Schwierigkeiten.«

»Sehen Sie, was Sie thun können, Doktor, und nun zu unserem Spiel; der Oberst von Schwenkenberg hat den Strohmann und gibt aus der Hand.«

Draußen in der Halle, das heißt, wir wollen damit nur den Raum außerhalb der spanischen Wände andeuten, war Herr Renaud dafür besorgt gewesen, daß sich ältere und jüngere Offiziere aufs vortrefflichste amüsierten. Er hatte einige Spielpartien arrangiert, allerdings keine harmlosen Whist, und wer von den Gästen keine Lust hatte, sich mit Makao oder Landsknecht zu beschäftigen, dem war auch ferner noch die Gelegenheit eines guten, stark gekühlten Trunkes geboten oder auch das beschwichtigende Mittel einer duftenden Tasse Thee, oder eines nervenerregenden, heißen Kaffees, alles das neben vortrefflichen Cigarren, von denen auch ein so ausgiebiger Gebrauch gemacht wurde, daß sich im Laufe der Zeit der weite Raum verdunkelt haben würde, wenn derselbe nicht so ausnehmend hoch gewesen wäre.

Daß Dagobert an einem der Spieltische beschäftigt war, verstand sich wohl von selbst; doch war er nicht mit Leib und Seel' dabei, wie man zu sagen pflegt. Seine Blicke glitten häufig über die Karten hinweg nach der Vorhalle, und oft pointierte er falsch, gar nicht oder mit so großer Gleichgültigkeit, daß man daran am besten den hohen Grad seiner Zerstreutheit abmessen konnte. Die Kameraden, welche sonst seine Leidenschaft für das Spiel wohl kannten, baten ihn vergebens, die Bank zu halten; er lehnte dies unter dem scheinbar richtigen Grunde ab, da er doch nun einmal verpflichtet sei, für Herrn Christian Kurt solch werten Gästen die Honneurs des Hauses zu machen, so müsse er auch zuweilen nach den anderen Tischen sehen, und würde es sehr unrecht finden, wenn er, auch nur als Bankhalter, den Versuch machte, ihnen ihr Geld abzunehmen.

So sah man ihn denn bald hier, bald da an den Tischen stehen, jetzt einen Satz wagend, dann mit einem Bekannten anstoßen, dann unbemerkt in der Vorhalle verschwindend. Dort, am Ausgange des Vestibüls, welches auf den Hof führte, wo die gotische Kirche stand, nahm er aus den Händen eines Dieners einen dunkeln Mantel sowie seine Dienstmütze, warf ersteren über seine Uniform, schritt durch den Hof dahin längs den Gebäuden und ging hierauf unter dem Thorbogen hinweg, den auch Erich am heutigen Abende zweimal passiert hatte.

Hier, an dem stillen, abgelegenen Teile des Schlosses bemerkte man nichts von dem immer noch geräuschvollen Leben und Treiben in der großen Halle auf der anderen Seite. Die langen Fensterreihen leer stehender Gemächer blickten öde und tot in die Nacht hinaus, und wo sich allenfalls hie und da ein zweifelhafter Schimmer auf ihnen zeigte, so war das kein inneres Leben, sondern nur der Wiederschein des bleichen Mondlichtes. Dagobert schritt auch an diesen Gebäuden vorüber bis ans Ende derselben, wo sich neben einem niedrigen runden Turme hell erleuchtete Fenster zeigten und wo das Geräusch von Stimmen, ja, auch Lachen und Singen in die Nacht hinausdrang. Auch in dem runden Turme war ein Fenster matt erleuchtet, doch hörte man von dort weder Stimmen, noch viel weniger Gesang. Der junge Offizier konnte diesem Turmfenster so nahe kommen, daß er sein Ohr an die Scheiben desselben zu legen vermochte, ohne fürchten zu müssen, von jemanden gesehen zu werden, der aus dem Nebengemache hervortrat; davor schützte ihn die Rundung des Turmes. Doch hörte er nichts, als dann und wann ein leichtes Husten; um zu sehen, was sich in dem Gemache befand oder was dort vorging, daran hinderte ihn ein Tuch, welches man von innen vor der Fensteröffnung befestigt.

Dagobert trat zurück und warf das Ende seines Mantels mit einer mißmutigen Bewegung um seine linke Schulter. {bild}

Es war eine kühle Nacht, der Himmel glänzend klar und wolkenlos, dabei tiefe Stille weit und breit, so daß man deutlich das Rauschen des Wasserfalles an der Ostseite des Schlosses hören konnte. Jetzt wandte er sich wieder, um abermals an der langen, stillen Gebäudereihe hinabzuschreiten, als er von dort her, und zwar aus dem oben erwähnten Thorbogen hervortretend, zwei Gestalten bemerkte, die, miteinander sprechend, sich langsam näherten. Dagobert, welcher nicht Lust hatte, gerade hier von jemandem gesehen zu werden, trat an die Gebäude zurück und drückte sich fest in eine Vertiefung, welche durch die Rundung des Turmes gebildet wurde und wo er, begünstigt vom tiefen Schatten der Nacht, unentdeckt bleiben mußte. Die beiden Gestalten von sehr verschiedener Größe, die eine lang und breit, die andere klein und schmächtig, näherten sich seinem Versteck, und er hörte, wie die größere sagte: »Es wäre jetzt dafür die richtige Zeit; die wievielte Thür ist es, Blanda?« – worauf das kleine Mädchen – denn diese war es, die an der Seite eines der Zigeuner langsam und vorsichtig heranschritt – erwiderte: »Die wievielte Thür es ist, weiß ich nicht ganz genau, wenn du aber spähend bei allen vorüberschreitest, so wirst du an der richtigen eines unserer gewöhnlichen Zeichen finden.«

»Gut. Ich wiederhole, daß es jetzt die richtige Zeit ist; die ganze Dienerschaft ist in dem Saale neben der Küche versammelt, läßt uns nun wohl für einen Augenblick in Ruh', und ich traue ihnen schon zu, daß sie später das Gemach, wo wir uns befinden, von außen zu schließen versuchen, aus Furcht, wir könnten uns bei Nacht und Nebel empfehlen, auch am Ende Wachen aufstellen.«

»Gut also, Zaregg, thue so, wie ich gesagt, es wird dir keine Schwierigkeiten machen, hineinzukommen; wäre es doch mir beinahe gelungen, aber es kamen Leute, weshalb ich mich zurückzog. Teile ihm auch mit, es sei aus Dankbarkeit geschehen und weil wir wüßten, wie ungerecht und gewaltthätig diese Leute sein können.«

Diese letzten Sätze konnte der junge Offizier nicht verstehen, da die beiden schon bei ihm vorübergegangen waren und diese Worte auch wie alles übrige sehr leise gesprochen wurden.

»Oho,« dachte er, »sollte das Wunderkind zu irgend einem Raube oder dergleichen Anleitung geben? Sie scheint mir in der That eine Art von Gebieterin, von Zigeunerkönigin zu sein, der die ganze Bande unbedingt Gehorsam leistet. Nun, man kann ja vorsichtig sein, und ich werde in der That Veranlassung treffen, daß man Wachen ausstellt, wie es jener lange Monsieur zu fürchten scheint.« – Jetzt aber, nachdem die Fußtritte der beiden anderen längst verklungen waren, trat er rasch aus seinem Versteck hervor und begab sich abermals in die Nähe jener erleuchteten Fenster, die er, neben dem mächtigen Stamme einer Kastanie stehend, beobachtete. Eine Zeit lang blieb dort alles unverändert, dann aber bemerkte er, wie sich in dem runden Turme, und zwar auf der Seite gegenüber, wo er sich vorhin befand, eine Thür öffnete, und sah im schwachen Lichtschimmer, welcher eine Sekunde lang die Finsternis erhellte, jemanden das Turmgemach verlassen und um die Rundung herum in den tiefen Schatten eilen, den hier die hohen Mauern warfen.

Eilig folgte er und stand in kurzem neben der Esmeralda, denn diese war es, welche soeben das Turmgemach verlassen hatte und ihn hier zu erwarten schien, denn sie suchte beim Anblick des jungen Offiziers nicht zu entfliehen, litt es vielmehr, daß dieser eine ihrer Hände nahm, und hörte seine stürmischen Reden von langem Erwarten und glühendem Verlangen sowie von dem Glücke, sie jetzt zu sehen, stillschweigend, ja, wie es schien, mit großer Ruhe an. Als er aber darauf eine ungestüme Bewegung sowie den Versuch machte, seinen Arm um ihren schlanken Leib zu schlingen und sie an sich zu drücken, wandte sie sich behende von ihm weg und sagte in bestimmtem, wenn auch nicht unfreundlichem Tone: »Nicht so, nicht so, mein schöner Offizier! Nicht so und nicht hier – es kommen und gehen Leute, und wenn auch die Nacht dunkel genug ist, so müßte mich doch einer der Unsrigen aus weiter Ferne erkennen.«

»So begleite mich, Esmeralda; du hast mir versprochen, daß du mich sehen wolltest und daß ich dir sagen dürfte, wie lieb ich dich habe – und ich hoffe, daß auch dein Herz ein wenig für mich schlägt! Doch du hast recht, hier ist kein Ort zu süßem Geplauder, folge mir.«

Wenn es nicht gar so dunkel gewesen wäre oder wenn die Zigeunerin ihr Gesicht nicht zu Boden gesenkt hätte, so würde Dagobert das spöttische Lächeln gesehen haben, welches sich auf den Zügen des schönen Mädchens zeigte; doch so bemerkte er nichts davon, sowie auch nicht, daß der Ton ihrer Stimme durchaus nicht wie zarte Hingebung klang, als sie ihm erwiderte: »Und wohin soll ich Euch folgen, mein schöner Offizier?«

»Wohin du willst; es sind Räume genug im Schlosse, wo wir verschwiegen und ungesehen eine Stunde verplaudern können – nur eine kleine, süße Stunde!«

Sie schüttelte leicht mit dem Haupte, während sie ihm zur Antwort gab: »Ich fürchte mich vor den Räumen in diesem großen, großen Schlosse. Mir ist der klare Sternenhimmel lieber, als die Decke eines Zimmers, wenn sie auch so schön wäre wie jene, wo wir vorhin waren.«

»Du bist ein eigensinniges Mädchen und traust mir nicht!«

»Warum sollte ich Euch nicht trauen, mein schöner Offizier? Und wenn ich in der That nicht traute, so hätte ich recht, denn Ihr seid unvorsichtig, meine ich doch, ich hörte Schritte, die sich uns nähern!« – Sie wandte ihren Kopf herum und lauschte; es blieb aber alles still wie zuvor; doch benutzte Dagobert den Augenblick, wo sie in die Dunkelheit hinausspähte, rasch den Arm um sie zu schlingen und sie mit zartem Drängen von der Mauer weg gegen den Garten zu führen. Sie litt es nicht nur ohne Widerstreben, ja, ihre Bemühungen, seine Hand von ihrem schlanken Leibe zu entfernen, waren so schwach, daß er sie nicht nur fester an sich drückte, sondern es auch wagte, sie auf die kaum bedeckte Schulter zu küssen. Hinter dem Fahrwege, der auch hier das Schloß umgab, begann sogleich der Park mit seinen dichten, wenn auch jetzt fast ganz entlaubten Büschen mit mächtigen Bäumen, mit Marmorfiguren, welche hell durch die Nacht herüberleuchteten, mit Lauben und Ruhesitzen aller Art; zu einem der letzteren führte er das junge Mädchen, die ihm widerstandslos folgte und nur, wie leicht erklärlich, zuweilen den Kopf herumwandte, um ihre Blicke an der langen Linie der dunkeln Schloßgebäude hinunterfliegen zu lassen.

Er ließ sich auf einer der Bänke nieder, zog die Esmeralda mit sanfter Gewalt auf seinen Schoß und warf einen Teil seines Mantels über ihren allerdings sehr leichten Anzug. »Du frierst ja,« sagte er, »in der kühlen Nacht, wogegen es mir ein Bedürfnis ist,« setzte er, schwer atmend, hinzu, »mich der warmen Verhüllung zu entledigen. Fühle nur, wie meine Stirn brennt!« – Er nahm ihre kleine Hand, führte sie flüchtig an seine Wangen und legte sie alsdann mit einem schmeichelnden Worte um seinen Hals. – »Esmeralda, wenn du wüßtest, welchen Eindruck du auf mein Herz gemacht, als ich dich neulich zum erstenmal gesehen, und wie unglücklich ich mehrere Tage war, da ich nicht erfahren konnte, wohin ihr euch gewendet – Esmeralda, meine süße Esmeralda!«

Wenn auch ihre Bemühungen, sich seinen umschlingenden Armen zu entwinden, nicht so energisch waren, als man es von ihrer gewandten, kräftigen Gestalt sowie von den trotzig aufgeworfenen Lippen und dem blitzenden Auge hätte erwarten sollen, so duldete sie doch keine seiner allzu vertraulichen Annäherungen, und wenn sie zuweilen seine Hand entfernte, so geschah dies mit einer solchen Kraft und doch dabei wieder mit so großer Leichtigkeit, daß Dagobert wohl einsah, daß diese süße Frucht nicht so leicht zu brechen sei, sondern daß er abwarten müsse, bis sie ihm, hingebend, von selbst in den Schoß fallen würde.

Aber all das gefährliche, wenn auch leichte Ringen, welches ihn trotz alledem in so verlockende Berührung mit ihrem weichen, heißen, elastischen Körper brachte, entflammte sein ohnehin durch das Gelage des heutigen Abends aufgeregtes Blut und erhitzte seine Phantasie, die sich unablässig mit ihren Reizen beschäftigt hatte.

»Warum bist du so hart und grausam gegen mich, Esmeralda – du traust mir nicht, du denkst gewiß, ich würde gleich nachher oder morgen das Glück dieser kleinen Stunde vergessen haben – o, könnte ich dich überzeugen, daß ich dich wirklich liebe und daß ich dich auch fortan lieben werde! Ich bin unabhängig, ich bin reich, sehr reich, ich kann deine ausschweifendsten Wünsche erfüllen, ich kann und will dich zu einer gebietenden Herrin machen! Ich will Gold und Edelsteine zu deinen Füßen ausschütten – verstehst du mich, Esmeralda? Dein schöner kleiner Fuß soll auf weichen Teppichen wandeln, du sollst nicht mehr unter freiem Himmel wohnen, sondern in einem schönen Hause, du sollst für dein ganzes Leben reich und glücklich sein, und für alles das sollst du mich ein klein wenig lieb haben, jetzt und später, wann du willst – o, Esmeralda!«

Sie antwortete auf alles das keine Silbe, doch bebte ihr Körper und zuckte zuweilen krampfhaft zusammen, aber nicht, wie er glaubte, weil sie seine Verheißungen verlockend fand, sondern vielmehr, weil sie jeden Augenblick im Begriffe war, seinen Arm von ihrer Hüfte wegzuschleudern und sich mit einer leichten Bewegung frei zu machen. – Hätte Dagobert ihr Gesicht sehen können, so würde er das, was ihre Seele bewegte, gewiß gelesen haben in ihren jetzt so hart erscheinenden Zügen, in dem festen Aufeinanderpressen ihrer Lippen, in dem düsteren Glänze ihrer Augen; aber er konnte nicht in ihr Gesicht schauen, so sehr er sich auch Mühe gab, die Abgewandte gegen sich zu wenden.

Und warum vermied sie es wohl, ihn anzusehen, und riß sich bei allen Zeichen des Unmutes nicht gewaltsam von seiner Seite los? Warum blieb sie, während sich ihre Seele doch offenbar mit etwas anderem beschäftigte?

Ja, so mußte es sein. Ihre Blicke drangen durch die Nacht gegen das Schloß hin, und sie schien alle Kraft ihres Sehvermögens aufzubieten, um dort an der dunklen, langen Linie der Gebäude etwas zu entdecken, was ihr von Wichtigkeit sein mochte. Doch gehörte schon das scharfe Auge der Zigeunerin dazu, um eine Gestalt zu bemerken, die langsam dort dicht an der Mauer hinschlich.

Etwas anderes würde auch gleich darauf der junge Offizier gehört haben, wenn er nicht, aufs höchste erregt durch seine vergeblichen Bemühungen, jetzt sein Gesicht fest an ihre Brust gedrückt hätte – eine Bewegung, vor welcher sie plötzlich zurückschrak, dann dieselbe aber, obgleich mit sichtbarem Widerwillen, duldete – hörend und erkennend das Geräusch, dessen wir eben erwähnten – es war so, als wenn man Eisen gegen Eisen streicht – zweimal dasselbe Geräusch. Dann atmete die Esmeralda tief auf und warf nun den jungen Offizier mit einer Kraft zurück, über die er fast erschrak und welche ihm die Röte des Zornes in die Wangen jagte.

»Genug, genug,« sprach sie alsdann zwar leise, aber mit so energischem und zornigem Ausdrucke, daß er überrascht in ihr Gesicht blickte, welches sie ihm jetzt schnell zuwandte – »ja, genug, tausendmal genug, und ich will nichts mehr hören!«

»Sei doch gescheit, Mädchen, und laß ein vernünftiges Wort mit dir reden!«

»O, ich habe von dem, was Ihr vernünftige Worte nennt, genug gehört! Laßt mich zurück zu den Meinigen, es ist mir gerade so, als hörte ich Schritte, die sich uns nähern!«

»Pah, wer wird das sein, Esmeralda! Sei vernünftig, mein schönes Mädchen, vielleicht ist es einer von unseren Leuten, welcher sich klugerweise entfernen wird, wenn er mich hier erkennt.«

»Aber es könnten auch von unseren Leuten sein,« sagte sie und setzte mit einer eigentümlichen Betonung hinzu: »und die, glaub' ich, würden sich nicht so ruhig wieder entfernen, wenn sie mich hier erkennen würden – laßt mich, Herr, gutwillig, oder...«

Da aber der junge Husarenoffizier nicht geneigt schien, seine schon so sicher geglaubte Beute gutwillig fahren zu lassen, vielmehr das schöne Mädchen wieder fester umschlang, so ergriff die Zigeunerin seine beiden Hände und riß sie mit solcher Kraft auseinander, daß er fast das Gleichgewicht verlor und, ohne Macht, sich zu halten, mit vor Wut aufeinander gebissenen Zähnen sehen muhte, wie sie sich, ohne weiter ein Wort an ihn zu verlieren, mit raschen Schritten entfernte. – Er sprang empor, er wollte ihr nacheilen, doch bemerkte er jetzt, wie sie nicht weit von ihm an ein paar dunklen Gestalten vorüberhuschte, denen sie ein Wort in ihrer Sprache zurief, worauf die eine dieser Gestalten zurückblieb, die andere aber einen Fußweg einschlug, allerdings der Richtung zu, wo er stand, aber offenbar in der Absicht, um die breite Parkstraße zu gewinnen, die aufwärts südlich nach dem Walde zu führte.

Es gibt Nervenaufregungen gewisser Art, unter denen man sich, zugleich unter dem Gefühle getäuschter Hoffnungen, einem Tiger in den Weg werfen würde, wenn dies von irgend einem Nutzen sein könnte, oder um unseren Zorn über ein verfehltes Unternehmen an jemand auszulassen, unter welchem Eindrucke denn auch der Husarenoffizier, da ihm obendrein der Dahinschleichende verdächtig erschien, rasch ein paar Verbindungswege übersprang, um auf diese Art früher wie der andere bei dem breiten Parkwege anzukommen.

Fast fuhr er zurück, als er nun, ins helle Mondlicht tretend, den erkannte, welcher mit raschen Schritten daherkam – es war der junge Wilddieb, den er fest hinter Schloß und Riegel geglaubt, es war jener Taugenichts vom Meilensteine, der ihm damals seinen glänzenden Überfall vereitelt, wie er jetzt wieder seine Zusammenkunft mit der Esmeralda gestört hatte. Dagobert faßte an seine linke Seite, doch hatte er, wie alle übrigen, seine Waffen in der großen Halle abgelegt und nichts in der Hand, um sich jenem kecken Burschen, der sich jetzt nicht einmal beeilte, rasch vorüber zu kommen, entgegen zu werfen. Doch sprang er nichtsdestoweniger mitten auf den breiten Weg, und als ihm Erich auf drei Schritte nahe war und sie sich Auge in Auge mit gleicher Wut betrachteten, stieß er mühsam zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor: »Halt da und augenblicklich umgekehrt, oder ich rufe Hilfe herbei und lasse dich mit Hunden Hetzen!«

»Thut das, wenn Ihr könnt und dürft,« erwiderte ihm Erich, entschlossen und mit geballten Fäusten vortretend; »aber ehe eure Leute herbeikommen, wird es sich entschieden haben, wer von uns beiden der stärkere ist, und bei all der Mißhandlung, die man mir zugefügt, schwöre ich, daß ich mit meinen beiden Händen an Euren Hals kommen werde und Euch würge, bis Ihr das Schreien bleiben laßt!«

Es lag etwas so Wildes in den funkelnden Augen des jungen Menschen und in dem Knirschen seiner Zähne, daß der andere einen Schritt zurücktrat und, sich augenblicklich seiner gesellschaftlichen Stellung, sowie seiner Stellung als Offizier erinnernd, diesen jungen Vagabunden mit einem Blicke tiefster Verachtung anschaute, dann seine Hand drohend gegen ihn erhob und ihm zurief: »Bursche, ich finde dich wieder!«

»Das hoffe ich zu Gott, daß wir uns wiederfinden und daß wir alsdann in der Lage sein mögen, unseren gegenseitigen Haß mit anderen Waffen auszukämpfen!« – Damit stieg er, ohne umzublicken, den breiten Weg mit langsamen Schlitten hinan, und erst als ihn der Schatten des Waldes umfing, eilte er so rasch als möglich dahin. Über die Richtung, welche er einzuschlagen hatte, war er nicht im Zweifel, denn der Zigeuner, der ihn aus seiner Haft befreit, hatte ihm gesagt: »Schau auf das Sternbild des Riesen, der die Keule in der Hand hat und den blitzenden Gürtel, dieser Richtung folge.« Er hatte damit den Orion gemeint, das schöne Sternbild an der südöstlichen Himmelsgegend, welches Erich nun tröstend über den Wipfeln der Bäume entgegenstrahlte und ihn nach Süden führte, wo er die Mühle finden mußte, und das ihm seit jener Nacht, so oft er es später sah, angenehm, lieblich und trostbringend in die Seele leuchtete. Wohl war Erich nicht ganz ohne Sorgen wegen der vielleicht nachsetzenden Hunde des gräflichen Schlosses, und oft blieb er; nach rückwärts horchend, stehen, hielt sich auch so viel als möglich in der Nähe schlanker, leicht besteigbarer Baume; doch lauschte er umsonst, nichts regte sich im nächtlich stillen Walde, als zuweilen ein leichter Windhauch, sowie das Rauschen seiner Fußtritte in dem dürren Laube, womit der Boden bedeckt war.

Und wie gut hatte ihn das Sternbild geführt! Dort vor ihm leuchtete der kleine See, an welchem gestern der Hirsch verendet und von dem übrigens begreiflicherweise nichts mehr zu sehen war; hier war die Schlucht, und nach kurzem, hastigen Laufe hatte Erich die alte Linde erreicht, und wie gestern morgen der erste Sonnenstrahl, so beleuchtete jetzt der helle Schein des Mondes das eingehauene Z und T.

Hier blieb der junge Mensch einen Augenblick tief aufatmend stehen, und wenn er mit dem glückseligen Gefühle der Befreiung aus widriger Gefangenschaft nach der Gegend hinblickte, wo die Waldburg lag, so stieg dabei die heiße Empfindung des Dankes in ihm empor gegen das arme, blasse Geschöpf, dem er eine Befreiung verdankte, wie ihm der Zigeuner gesagt. Den Weg zur Mühle hinab konnte er von hier nicht leicht mehr verfehlen und nach halbstündigem Laufe hörte er schon das Brausen des Wehres und gleich darauf das Anschlagen der großen Hunde. Allerdings brauchte es noch einige Zeit, bis die in der Mühle von dem anhaltenden und heftigen Gebelle aufmerksam wurden, bis sich ein Fenster in dem dunklen Hause erleuchtete und bis der Müller Burbus mit seiner mächtigen Stimme in die Nacht hinauslief, wer da sei und was man wolle.

Damit hatte aber auch für heute alle Not ihr Ende erreicht und gleich darauf saß Erich in der noch behaglich warmen Wohnstube bei dem Müller und Gottfried, denen er die Erlebnisse des heutigen Tages erzählen mußte, nachdem er aber vortrefflich zu Nacht gegessen von dem besten Stücke des gewissen Hirsches, und zwar, wie der Müller Burbus sagte: »Zum Trutz!« {bild}


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