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Zwanzigstes Kapitel

Am 10. Juni fand in Blumhardts Wohnung die Hochzeit statt. Es war eine einfache Feier im engsten Kreise, an der nur die nächsten Angehörigen des jungen Paares, einige wenige Vertraute des Hauses und zwei Freunde des Bräutigams teilnahmen. Von Hennigs Familie war außer seiner Mutter, einer schlichten, stillen Frau, der man anmerkte, daß sie ihr Leben lang tüchtig gearbeitet und sich für ihre Kinder aufgeopfert hatte, auch die an einen Postassistenten in Merseburg verheiratete Schwester mit ihrem Manne gekommen. In den ersten Stunden waren diese Leutchen ein wenig befangen, als jedoch der Wein seine Wirkung auszuüben begann, tauten sie auf, und der Schwager entpuppte sich als ein ganz unterhaltsamer Gesellschafter, der mit allerlei gut erzählten Schnurren aus seinem Berufsleben die Stimmung zu heben wußte.

Frau Agathe sah man es nicht an, daß sich ihr Leiden, wie sie wenigstens behauptete, seit dem unheilvollen Herbste des vergangenen Jahres verschlimmert hatte. Sie hielt sich gerader als je, bewährte sich wieder als umsichtige und aufmerksame Wirtin und kargte nicht mit glänzenden Proben ihres Mutter- oder, wie ihr Gatte es jetzt nannte: ihres Schwiegermutterwitzes. Blumhardt selbst war wieder völlig obenauf; sein Optimismus trieb die üppigsten Blüten. In einer stilistisch übrigens vorbildlichen Tischrede deutete er an, daß sein lieber Schwiegersohn durch seinen schnellen Entschluß das Geschäft für ihn gerettet und ihn dadurch in die erfreuliche Lage gebracht habe, seine alten Ideale doch noch zu verwirklichen. Er denke sich ihr künftiges Zusammenwirken so, daß sein Schwiegersohn, der ja unbestritten der gewandtere Geschäftsmann von ihnen sei, die buchhändlerische, er selbst aber die literarische Leitung der Firma übernehmen werde.

Bei dieser unerwarteten Eröffnung sahen die Festgenossen, soweit sie in die früheren und in die jetzigen Verhältnisse des Hauses Blumhardt eingeweiht waren, einander etwas betroffen an, und Frau Agathe warf ihrem Waldemar einen Blick zu, der kaum entsetzter gewesen wäre, wenn sie ihn, der noch nie eine Schußwaffe in Händen gehabt hatte, plötzlich an einem geladenen Revolver hätte herumfingern sehen.

Hennig dagegen blieb durchaus ruhig, begleitete die ganze schwiegerväterliche Rede mit vergnügtem Lächeln und erhob sich in demselben Augenblick, wo das auf das junge Paar ausgebrachte Hoch verklang, zu einer Erwiderung, worin er dem alten Herrn für die Bereitwilligkeit, seine Kräfte dem Geschäfte zu widmen, herzlich dankte, zugleich aber mit großer Entschiedenheit, wenn auch in den verbindlichsten Formen, verkündete, er werde das Opfer, das ihm sein Schwiegervater zu bringen beabsichtige, unter keinen Umständen annehmen, denn dieser habe ein wohlerworbenes Anrecht darauf, seinen hoffentlich recht langen Lebensabend in sorgenloser Ruhe zu genießen und den schon lange gehegten Plan einer Übersetzung der Werke des großen spanischen Dichters José Zorrilla in aller Muße auszuführen. Er nehme dabei an, daß diese Übersetzung im Blumhardtschen Verlage erscheinen werde. Auf eines aber glaube er vor allem mit Bestimmtheit rechnen zu dürfen: daß sein Schwiegervater ihm seine Unterstützung nicht versage, wenn es gölte, ein für den Verlag erworbenes Manuskript stilistisch ein bißchen durchzuarbeiten. Es sei außer ihm in ganz Leipzig ja niemand zu finden, der so etwas sachgemäß, folgerichtig und mit dem nötigen Takt zu machen verstehe.

Der weißhaarige Jüngling lächelte bei dieser Erklärung ein wenig säuerlich, suchte und fand jedoch, da er sich dem Eindruck nicht zu verschließen vermochte, daß Hennig keineswegs gesonnen sei, ihm irgendwelchen Einfluß auf die Geschäftsleitung einzuräumen, Trost bei dem Gedanken, es sei ja doch sein und seiner Vorfahren Geist, der die Firma beherrsche, und den auch der neue Mann am Steuer nicht ausschalten könne, ohne den sichern Kurs des Schiffleins in Frage zu stellen. Aber so ganz bedingungslos wollte er die Waffen doch nicht strecken, und so klopfte er noch einmal an sein Glas und erklärte, er beabsichtige gleich am andern Tage mit der Übertragung Zorrillas zu beginnen. Er werde diese Arbeit der Firma Friedrich Ambrosius Blumhardt gern überlassen, wenn ihm sein Schwiegersohn die Zusicherung geben könne, daß er, was die Verteilung des Stoffes auf die Bände und die Bestimmungen über Format und Ausstattung anlange, völlig freie Hand habe. Im übrigen denke er, daß Hennig nicht versäumen werde, vor allen wichtigen Entscheidungen in Verlagsangelegenheiten wenigstens den guten Rat eines Mannes einzuholen, der über eine mehr als vierzigjährige buchhändlerische Erfahrung verfüge.

Das konnte der junge Chef der Firma Blumhardt seinem Vorgänger mit gutem Gewissen versprechen, und so wurde der drohende Zwist zwischen Alter und Jugend zur Freude und Beruhigung aller Beteiligten im Keim erstickt.

»Lieber Freund, ich glaube, Sie haben allen Anlaß, Ihrem Schwiegersohn dankbar dafür zu sein, daß er Sie davor bewahren will, sich aufs neue geschäftliche Sorgen aufzuladen,« wandte sich Oberstudienrat Sintrop an den Brautvater. »Lassen Sie sich Ihren Kollegen Wernicke als warnendes Beispiel dienen.«

»Was ist denn mit Wernicke geschehen?« fragte Frau Agathe, die sich im allgemeinen um die Geschehnisse der Außenwelt nicht sonderlich zu kümmern pflegte und auch von dem, was man sich über den Kommerzienrat erzählte, nichts wußte.

»Er ist vollständig zusammengeklappt und hat in eine Nervenheilanstalt gebracht werden müssen«, berichtete Hennig.

»Mein Gott, davon habe ich ja noch gar nichts gehört! Wie ist denn das so schnell gekommen?«

»Es war längst zu erwarten, liebe Mutter. Er war schon in den letzten Monaten, wo ich noch bei ihm tätig war, im höchsten Grade reizbar, aber dann hat ihm wohl das Mißgeschick mit meinem Nachfolger und wahrscheinlich auch der häusliche Kummer den Nest gegeben.«

»Der häusliche Kummer? Worum handelt es sich denn dabei wieder?«

»Sein Sohn, der Leutnant, soll böse Sachen gemacht haben, vermutlich im Vertrauen auf die Unerschöpflichkeit des väterlichen Geldbeutels. Jedenfalls ist er mit schlichtem Abschied entlassen worden.«

»Das Entscheidende für Wernickes Zusammenbruch scheint aber doch die Tatsache gewesen zu sein, daß er sich im Geschäft überarbeitet hat,« meinte Blumhardt in dem beruhigenden Bewußtsein, daß er selbst sich einer solchen Unmäßigkeit nie schuldig gemacht hatte. »Vor allem aber dürfte er auch seelisch unter dem drückenden Gefühl gelitten haben, daß all seine Sorge und Mühe im Grunde doch wertlos waren, weil ihnen ein höheres Ziel fehlte. Gewiß habe auch ich das Geldverdienen immer für eine wichtige und notwendige Sache gehalten, aber wenn es, wie bei Wernicke, auf Kosten des guten Geschmacks und des geistigen Aufstiegs der Menschheit geschieht, dann ist eben kein Segen dabei, und die Geschichte muß ein Ende mit Schrecken nehmen. Vestigia terrent, das sollte sich jeder junge Verleger gesagt sein lassen.«

Es muß dahingestellt bleiben, ob Blumhardt diese letzte Warnung seinem Schwiegersohne zugedacht hatte, oder ob er sie nur als eine Sentenz von allgemeiner Gültigkeit betrachtet wissen wollte. Jedenfalls äußerte sich Hennig nicht weiter dazu, aber das hatte wohl nur seinen Grund in dem Umstande, daß die zur Abreise des jungen Paares, das eine kleine Hochzeitsreise nach Thüringen unternehmen wollte, festgesetzte Stunde gekommen war.

Der Aufbruch ging, wie immer bei solchen Gelegenheiten, etwas überhastet vonstatten, und der Abschied, von dem sich namentlich Frau Agathe eine angenehme kleine Rührszene versprochen hatte, fiel zwar herzlich, aber so kurz aus, daß die Zurückgebliebenen ein paar Minuten der Sammlung brauchten, bevor sie begriffen, daß die beiden jungen Menschenkinder, die heute den Mittelpunkt der kleinen Festgesellschaft gebildet hatten, nun wirklich schon außerhalb des Bereiches aller guten Wünsche und Ermahnungen seien.

Es entstand in dem bis jetzt so munter gewesenen Kreise eine Stille und Leere, die jeder als etwas Unbehagliches empfand, und die sich doch niemand aus eigener Kraft zu überwinden getraute, weil man merkte, daß alle sie als eine Art Ersatz für die ausgebliebene Rührung ansahen.

Blumhardt, der sich als Gastgeber verpflichtet fühlen mochte, das Eis zu brechen, und der, was er freilich nie zugegeben haben würde, selbst vielleicht am meisten einer kleinen Tröstung bedurfte, wußte Rat. Er ging zu dem einen der Bücherschränke, holte die den Vertrauten des Hauses längst bekannte blaue Rolle heraus und breitete mit heiterer Miene die Pläne zur Villa auf der Hochzeitstafel aus, wobei er eine umständliche Erklärung zu einigen mit Bleistift eingezeichneten baulichen Veränderungen gab, die in der Hauptsache die Verlegung der Treppe von der rechten Seite der Diele auf die linke betrafen.

Die Freunde hörten ihm schweigend und ein wenig verwundert zu, denn sie hatten angenommen, daß der schlimme Herbst des Jahres 1912 auch die üppig wuchernden Hoffnungen des alten Kindes auf ein eigenes Heim in ländlicher Abgeschiedenheit entblättert haben müsse.

Endlich machte Professor Korte die trockene Bemerkung, das sei alles recht schön und zweckmäßig, nun möge der Bauherr aber auch einmal verraten, woher er die Mittel zu der geplanten Villa zu nehmen gedenke, denn zum Bauen gehöre wie zum Kriegführen Geld, Geld und nochmals Geld.

Einen Augenblick schien es, als wolle Freund Blumhardt ein bißchen kleinlaut werden, dann aber erwiderte er mit der Zuversicht, die ihn in solchen Lagen noch nie im Stiche gelassen hatte: »Das laß meine Sorge sein, Gevatter. Du hast doch gehört, daß ich Zorrilla ins Deutsche übertragen will. Gib einmal acht: das wird ein Bombengeschäft, bei dem noch viel mehr herauskommen muß als so ein bescheidenes Landhäuschen. Aber wenn aus dem Bau wirklich nichts werden sollte, so ist das auch kein Unglück. Manchmal kommt es mir sogar so vor, als wäre gerade das das Schönste. Bleibt die Villa nur auf dem Papier, so genieße ich ihre Annehmlichkeiten, ohne die Kosten und vor allem den Ärger, ohne den es beim Bauen nun einmal nicht abgeht, mit in den Kauf nehmen zu müssen. Denn das ist ja die wertvollste Erfahrung, ich möchte sogar sagen: die einzige wertvolle Erfahrung, die wir in unserm kurzen Leben machen können, daß uns nur das stets Erträumte und nie Erreichte ungetrübte Freude bereitet.«

Und er sah, während er die Pläne sorgsam wieder zusammenrollte, so glücklich aus, daß manchem in dem kleinen Kreise der Gedanke kam, diesem Kindergemüt müsse ein gütiges Geschick trotz allem doch wohl die höchste Weisheit beschert haben.

 


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