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Sechstes Kapitel

An demselben Montagmorgen, wo Drillhose den an ihn selbst gerichteten groben Brief diktierte und Blumhardt seine mit einem magern Wurm beköderte Angel nach Herrn Kurt Arnold Schlick auswarf, fanden im Privatkontor von Wernicke und Kompanie wichtige Besprechungen statt.

Albrecht der Beherzte, der seinem Bruder gegenüber jederzeit das Interesse des Personals vertrat, hatte dem Konsul eine Aufstellung der am 1. Juli zu gewährenden Reisestipendien vorgelegt und bei dieser Gelegenheit auch eine Anzahl Gehaltszulagen für die älteren Angestellten befürwortet. Wie immer in solchen Fällen verhielt sich der Chef zunächst ablehnend, und es bedurfte einer ziemlich erregten Auseinandersetzung, bevor er sich dazu bereit finden ließ, wenigstens für die Herren in leitenden Stellungen angemessene Aufbesserungen zu bewilligen. »Du weißt, Albrecht, daß mir an den untergeordneten Kräften gar nicht so viel liegt,« erklärte er, als sich der kleine Mann mit diesem Zugeständnis noch nicht zufrieden gab, »diese Leute sind, wenn es ihnen bei uns nicht mehr behagt, immer leicht durch andere zu ersetzen.«

»Jawohl, Paul, aber immer nur durch minderwertige, die sich erst einarbeiten müssen. Ich bin der Meinung, daß niedrige Gehälter keine Ersparnis bedeuten. Gutbezahlte Angestellte wissen, wofür sie arbeiten. Bei der Ausdehnung, die das Geschäft in den letzten Jahren genommen hat, und bei der immer schwieriger werdenden Beaufsichtigung des Personals ist es sehr wichtig, daß man zuverlässige Leute hat, diese aber auch ihren Leistungen entsprechend bezahlt.«

»Ja, wenn man wirklich auf besondere Leistungen rechnen könnte! Aber wenn die Angestellten gut bezahlt werden, tun sie genau so wenig, als wenn sie schlecht bezahlt werden.« Wernicke sprach diese Behauptung mit der Bestimmtheit aus, über die er immer verfügte, wenn es für ihn darauf ankam, sich einer lästigen Pflicht zu entziehen.

In diesem Augenblick trat Hennig ein, um sich die ihm vom Konsul am Abend zuvor versprochenen Mitteilungen über das geplante große Verlagsunternehmen zu erbitten.

»Wie wird es denn in diesem Jahre mit Ihrem Urlaub, Herr Hennig?« fragte der Chef. »Gedenken Sie wieder eine größere Reise zu unternehmen?«

»Davon will ich diesmal absehen, Herr Konsul,« erwiderte der Prokurist. »Ich möchte lieber im Spätsommer ein paar Tage in den Harz gehen und mich vorläufig, wenn es das Wetter erlaubt, an den Sonnabenden frei machen. Dann habe ich jedesmal zwei Tage zum Wandern, und das erfrischt mich kaum weniger als eine mehrwöchige Reise.«

»Ganz wie Sie wollen. Es ist mir auch lieber, daß ich Sie in diesem Sommer nicht auf längere Zeit zu entbehren brauche, denn ich werde in den nächsten Monaten vielerlei mit Ihnen zu besprechen haben. Es ist übrigens gut, daß Sie gerade da sind. Ich sprach eben mit meinem Bruder darüber, daß wir zum ersten doch wohl eine Anzahl Gehaltserhöhungen eintreten lassen müßten –«

»Mein Bruder drückt sich da nicht ganz korrekt aus,« bemerkte Albrecht. »Den Vorschlag habe ich gemacht.«

Der Konsul warf dem Männchen einen mißbilligenden Blick zu. »Das ist doch ganz nebensächlich,« meinte er. »Die Hauptsache ist, daß wir uns über die Notwendigkeit dieser Maßnahme geeinigt haben. Ich selbst hatte dabei allerdings zunächst nur an die Abteilungsleiter gedacht, aber mein Bruder meint, und er hat damit wohl nicht so ganz unrecht, wir müßten auch den übrigen älteren Angestellten wieder einmal zulegen, wenigstens denen, die wirklich etwas leisten. Was sagen Sie dazu?«

»Ich kann diesen Vorschlag nur befürworten, Herr Konsul,« erklärte der Prokurist. »Seit mehr als drei Jahren ist ja keine Aufbesserung eingetreten, und ich weiß aus mancherlei Andeutungen, daß die Leute mit Sehnsucht darauf warten. Meiner Meinung nach dürfte es sich sogar empfehlen, die Zulagen auf alle Angestellte auszudehnen, zum mindesten auf die, die schon zwei Jahre im Hause tätig sind.«

»Auch auf die Damen?« fragte der Chef mit einem leisen Seufzer.

»Auch auf die Damen. Gerade unter diesen haben wir jetzt recht brauchbare Kräfte.«

»Nun ja, das gebe ich zu. Wer seinen Posten ausfüllt, mag Zulage erhalten. Aber wir müssen Unterschiede machen. Ich bin durchaus gegen eine Prämiierung der Faulheit. Sie kennen das Personal ja besser als ich. Stellen Sie also einmal eine Liste der Leute auf, die für eine Gehaltserhöhung in Frage kommen, und machen Sie mir dann Vorschläge. Ich empfehle Ihnen, sich mit den Abteilungsleitern ins Einvernehmen zu setzen. Es ist nämlich manchmal gar nicht so leicht, die Leistungen der Angestellten richtig einzuschätzen. Sie werden ja selbst wissen, daß die, die am wenigsten arbeiten, mitunter für die besten Kräfte gelten, weil man bei ihnen selten oder nie merkt, daß sie eine Dummheit gemacht haben.«

»Sehr wohl, Herr Konsul. Mit der Liste hat es wohl bis morgen Zeit?«

»Selbstverständlich, Herr Hennig. Maßnahmen, die eine Erhöhung der Geschäftsspesen zur Folge haben, dürfen nie übereilt werden. Und nun wollen wir einmal den Plan besprechen, über den ich Ihnen gestern einige Andeutungen machte. Nehmen Sie Platz! Vielleicht setzt du dich auch einmal mit her, Albrecht.« Er entnahm der Schieblade seines Schreibtisches eine mit Papieren gefüllte Mappe und ließ sich, die Blätter auf dem Konferenztisch ausbreitend, in einem der Klubsessel nieder. »Ich muß zunächst ein paar allgemeine Bemerkungen vorausschicken,« begann er. »Wir sind uns wohl darüber einig, daß unsere gesamte wirtschaftliche Entwicklung zur Industrialisierung drängt. Auch der Verlagsbuchhandel. Die schönen Zeiten, wo einer von ein paar bescheidenen Unternehmungen leben konnte, sind vorbei. Gemütliche Herren wie unser Nachbar Blumhardt stehen auf dem Aussterbeetat. Meiner Überzeugung nach ist das Buch genau so gut zur Ware geworden wie Konfektionsartikel, Schuhwerk und Taschenuhren. Es mag ja bedauerlich sein, aber es hilft nichts, daß man sich gegen diese Erkenntnis sträubt. Der Einband, der ja für das Gros der Bücherkäufer längst die Hauptsache an einem Buche geworden ist, wird ja auch schon seit Jahrzehnten rein fabrikmäßig hergestellt. Gibt es also Einbandfabriken – und unsere Herren Kleisterbarone fühlen sich mit Stolz als Großindustrielle und würden es höllisch übelnehmen, wenn man sie wie die alten guten Buchbinder von Anno Tobak als Handwerker ansprechen wollte! – warum soll es nicht auch gleich Buchfabriken geben? Anfänge dazu sind ja schon gemacht, und die paar Verleger, die diesen Weg eingeschlagen haben, sind bereits eine Macht geworden, die die Existenz der andern ernstlich bedroht. Es hat keinen Zweck, gegen den Strom schwimmen zu wollen. Wer die Zeichen der Zeit nicht versteht, muß untergehen.

Was nun im besondern Wernicke und Kompanie betrifft, so können wir von unsern Fachzeitschriften nicht mehr leben; dafür sorgt schon die Konkurrenz. Unser Buchverlag hat sich ja recht nett entwickelt, und mit dem nötigen Trara haben wir ja auch bei einer ganzen Anzahl von Artikeln einen recht respektabeln Absatz erzielt, aber auf die Dauer scheint mir die Propaganda für die einzelnen Bände doch allzusehr ins Geld zu laufen. Was uns bisher gefehlt hat, ist ein Unternehmen, bei dem sich die Reklame besser verzinst. Wir brauchen eine Bücherserie, bei der jeder Band zugleich ein Werbemittel für alle andern ist.« Der Konsul machte eine kleine Pause, streifte seine Zuhörer mit einem forschenden Blick und fuhr, in seinen Notizen blätternd, fort: »Ich habe lange darüber nachgedacht, wie man die Sache am besten anfaßte, und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß die Begründung einer Bibliothek von Zwei-Mark-Bänden das richtige wäre.«

»Ullstein!« riefen Hennig und Albrecht wie aus einem Munde.

Der Chef lächelte. »Auf diesen Einwand bin ich gefaßt gewesen,« sagte er. »Aber meine Idee beruht auf einer ganz andern Voraussetzung als die Ullsteinbücher. Ullstein hat eine Serie von Eine-Mark-Bänden und eine solche von Drei-Mark-Bänden und rechnet dabei mit zweierlei Publikum. Er geht von der Ansicht aus, daß unsere lieben Durchschnittsdeutschen für ein Buch, das sie selber lesen wollen, höchstens eine Mark ausgeben. Legen sie für ein Buch mehr an, so wollen sie's verschenken. Meine Absicht ist nun, Bände zu liefern, die man sowohl um sie selbst zu lesen, als auch um sie zu verschenken kauft. Ich will also die beiden großen Herden, auf die Ullstein einzeln Jagd macht, mit meinem Unternehmen zusammen einfangen. Zu diesem Zweck müssen die Bände so sein, daß sie die Neugier und Sensationslust des Publikums so stark reizen, daß es seinem Herzen einen Stoß gibt und zur Befriedigung seiner Gelüste zwei Mark opfert, daß sie zugleich aber auch eine Aufmachung haben, die sie wertvoll genug erscheinen läßt, nach dem Lesen auch noch als Geschenk Verwendung zu finden. Sehen Sie?«

»Ihre Idee leuchtet mir ein, Herr Konsul,« bemerkte der Prokurist. »Die Hauptsache dürfte jedoch sein, daß man auch wirklich gediegene Werke brächte.«

Wernicke sah erstaunt auf. »Sie meinen inhaltlich? Ist ganz Nebensache, lieber Herr Hennig! Vollkommen Nebensache! Das große Publikum – und nur mit diesem darf man bei einem solchen Riesenunternehmen rechnen – fragt gar nicht danach, ob ein Buch gut oder schlecht ist. Qualitätsbücher zu bringen – diese Aufgabe können wir getrost den kleinen Verlegern überlassen. Ich bin sogar dafür, daß literarisch Wertvolles. von vornherein ganz ausgeschlossen werden müßte. Nur nichts, was irgendwelche Gedankenarbeit beim Leser vorausseht! Für uns kommt es einzig und allein darauf an, daß die Bände einen starken Reiz auf die große Masse der Halb- oder Viertelgebildeten ausüben. Dazu gehört erstens ein vielversprechender Titel und zweitens ein anerkannter Autorname. Auf Experimente mit Anfängern, die keine Seele kennt, können wir uns nicht einlassen.«

»Es fragt sich nur, ob wir zu der geplanten Serie auch die erforderliche Anzahl von Beiträgen berühmter Autoren bekommen«, warf Hennig ein.

»Darüber machen Sie sich keine Sorge. Mit Honorar brauchen wir bei unsern Massenauflagen ja nicht zu sparen, und wenn es manchem zunächst auch gegen das Gefühl gehen mag, sich in unsern Verlagsstall einsperren zu lassen, so wird er doch auf die Dauer dem Zauber eines Wernickeschen Schecks nicht widerstehen können, besonders, wenn er sieht, daß andere auch nicht empfindlich sind. Und irgendeinen verpfuschten Roman oder eine Jugendarbeit, die er nicht losgeworden ist, oder die er aus ästhetischen Bedenken bisher zurückgehalten hat, wird schließlich wohl jeder in seinem Pulte haben.«

»Wie hoch denkst du dir denn deine Massenauflage?« fragte Albrecht.

»Wir drucken von jedem Bande hunderttausend und bringen gleich auf einmal hundert Bände heraus. Der Masse kann man nur durch Masse imponieren.«

»Hunderttausend Exemplare von jedem der hundert Bände unterzubringen, dürfte aber seine Schwierigkeiten haben«, wandte der Prokurist ein.

»Weshalb? Natürlich gehört auch eine Riesenpropaganda dazu. Überhaupt müßte die ganze Organisation des Geschäfts von Grund auf umgestaltet werden. Wir müßten im allergrößten Stil mit Plakaten und Inseraten arbeiten. Auch die Presse müßte systematisch für das Unternehmen interessiert werden. Natürlich durch Aufgabe von Anzeigen. Blätter, die uns im redaktionellen Teile nicht wohlwollend behandeln, bekommen keine Inserate. Dann werden sie ihre Ansichten über unsere Bände schon einer Revision unterziehen. Und dann brauchen wir als Spezialorgan für die Leser unserer Bücher auch eine eigene Zeitschrift, die natürlich nur unter der Hand, gewissermaßen zwischen den Zeilen, für die Bände Propaganda macht, im übrigen aber unter der Fahne eines absolut einwandfreien Idealismus segelt. Zeitschrift und Bücherserie müssen Hand in Hand gehen, auch durch den Titel verbunden sein. Die suggestive Wirkung kann dann nicht ausbleiben.«

»Hast du schon einen Titel ins Auge gefaßt?« erkundigte sich der Bruder.

»Natürlich. Ich habe lange danach gesucht, aber schließlich hat mir Blumhardt mit seiner ›Aurora‹ auf die rechte Spur geholfen. Die Zeitschrift soll ›Phöbus‹, die Bibliothek ›Phöbus-Bücherei‹ heißen. ›Aurora‹ – die Verheißung, ›Phöbus‹ – die Erfüllung! Durch den Namen bekommt das Unternehmen den ideellen Beigeschmack, ohne den es ja nun einmal nicht geht.«

Hennig, dem bei den ihm von Wernicke eröffneten Aussichten nicht gerade behaglich zumute geworden war, rückte in seinem Sessel unruhig hin und her. »Ein Unternehmen dieses Umfanges setzt eine wesentliche Vergrößerung der Druckerei und der Buchbinderei voraus,« bemerkte er. »Es müßten doch mindestens zehn bis fünfzehn neue Setzmaschinen aufgestellt werden und ebenso viele Schnellpressen. Das erfordert aber, daß die Produktion in dem einmal eingeschlagenen Tempo weitergeht. Eine wahre Büchersündflut, die der Welt da droht!«

Wernicke lächelte kühl. »Tut nichts. Je höher die Flut, desto sicherer wird unsere Arche darauf schwimmen«, meinte er.

»Ob jedoch die Sortimenter mittun?« fragte Hennig.

»Sie werden müssen, bester Herr, denn bei der Reklame, die wir machen, können sie uns nicht einfach ignorieren. Wenn ihnen das Publikum die Bude stürmt, bleibt ihnen nichts weiter übrig, als sich unsere Bände auf Lager zu legen. Und wenn sie doch versagen sollten – es gibt ja unter ihnen immer noch viele, die so naiv sind, sich nur für das ins Zeug zu legen, was sie für literarisch wertvoll halten –, so haben wir ja noch die Warenhäuser, für die nur die Höhe des Rabatts ausschlaggebend ist, die Bahnhöfe, die großen Hotels, die Ozeandampfer und schließlich die kleinen Buchbinderläden. Literarisches Verständnis ist ja beim Verkauf der Phöbusbücher nicht vonnöten. Wenn ein Band so gut oder meinethalben auch so schlecht wie der andere ist, dann genügt's ja, daß der Verkäufer dem Kunden einen ganz beliebigen in die Hand drückt. Im Notfalle richten wir in allen größeren Städten Verkaufsstellen ein. Billige Arbeitskräfte ohne buchhändlerische Fachkenntnisse sind ja überall leicht zu bekommen. Darf ich nun bitten, sich zu meinem Plane zu äußern?«

Hennig und das semmelblonde Männchen wechselten einen Blick der Verständigung. Dann sagte Albrecht: »Es kann ja ein großes Geschäft werden. Aber das Risiko! Mir schwindelt, wenn ich dran denke. Ich muß gestehen: ich brauche einige Zeit, um mich mit deiner Idee vertraut zu machen, Paul. Wir müssen ja Hunderttausende à fonds perdu buchen. Und wenn die ganze Sache nun nicht einschlägt? Was dann? Sind wir stark genug, den Verlust zu tragen?«

Der Konsul rieb sich ungeduldig die Hände. »Du hast dich nie durch Unternehmungsgeist ausgezeichnet, Albrecht. Wenn's nach dir gegangen wäre, säßen wir heute noch in den zwei Zimmern im Hinterhause der Querstraße und lebten als biedere kleine Verleger von den ›Blättern für Kaninchenfreunde‹. Natürlich ist ein gewisses Risiko dabei. Aber so groß, wie du dir einbildest, ist es bei weitem nicht. Es kommt ja bei der ganzen Sache eigentlich nur auf die Ausstattung der Bände an, und für die sind die Kosten ja um so geringer, je höher die Auflage ist. Den Absatz haben wir in der Hand; das Wesentliche ist nur, daß der Reklameapparat richtig funktioniert. Aber was andere können, das können wir auch. Dafür laß mich nur sorgen. Ich habe bei meiner Kalkulation auch auf etwaige Fehlschläge Bedacht genommen und mir nichts weisgemacht; das kannst du mir glauben. Und Sie, Herr Hennig, was halten Sie von der Sache?«

»Wenn ich ganz offen sein soll: sehr sympathisch ist sie mir nicht,« erklärte der Prokurist. »Wäre das Unternehmen darauf angelegt, wirklich gute Literatur in Massenauflagen zu verbreiten, wie es zum Beispiel Reclam, die Langewiesches und noch verschiedene andere Verleger tun, so würde ich mit Freuden zustimmen, denn ich stehe selbst auf dem Standpunkt, daß auch das Verlagsgeschäft heutzutage mehr im kaufmännischen Sinne betrieben werden muß, als dies bis jetzt im allgemeinen der Fall ist. Bei der Hochflut neuzeitlicher Bücherproduktion ist sorgfältig organisierte Propaganda unbedingt nötig. Wer etwas zu verkaufen hat, muß die Interessenten in zweckmäßiger Weise davon in Kenntnis setzen und darf es nicht dem Zufall überlassen, ob sie davon erfahren. Ganz ohne die Hilfe der Reklame geht heute kein Buch mehr; das ist richtig. Und deshalb sind große, kapitalkräftige Verleger den kleinen gegenüber immer im Vorteil. Aber, aber: daß eine Riesenarbeit mit Riesenmitteln nur geleistet werden soll, um Schund – denn etwas anderes wird es ja kaum werden – in Riesenmengen unter das Publikum zu bringen, das will mir nicht recht in den Kopf. Ein Unternehmen, das gleich mit hundert wahllos zusammengestellten Bänden auftritt, kann doch kein einheitliches Gepräge, keine verlegerische Tendenz haben.«

Wernicke fuhr in die Höhe. »Soll es auch gar nicht!« rief er. »Um Gottes willen keine bestimmte geistige Note! Das hieße, das Publikum gleich von vornherein kopfscheu machen. In den Phöbusbänden muß jede politische, religiöse, wirtschaftliche und künstlerische Richtung zu Wort kommen, aber nota bene jede so unaufdringlich wie möglich und dann immer mit dem deutlichen Hinweis darauf, daß jede entgegengesetzte auch ihre Berechtigung hat. Wir müssen auf höherer Warte stehen als auf der Zinne der Partei. Wie die Erde, so soll auch die ›Phöbus-Bücherei‹ Raum für alle haben. Ich bin Idealist und kenne meinen Schiller in- und auswendig.« Er hatte sich während der letzten Worte erhoben, was für die beiden Mitarbeiter das Zeichen war, daß die Verhandlung für heute abgebrochen werden sollte. »Ich danke Ihnen,« sagte er noch, »und bitte Sie, sich die ganze Angelegenheit einmal durch den Kopf gehen zu lassen und ihre etwaigen technischen und finanziellen Bedenken gegen meinen Plan in präziser Form schriftlich zu begründen, damit wir bei der nächsten Besprechung nicht von unserm Thema abzuschweifen brauchen.«

Hennig hatte kaum das Privatkontor verlassen, als Kurt Arnold Schlick gemeldet wurde, der mit seinem Manuskript geradeswegs von Blumhardt kam und, wie er sagte, Herrn Konsul Wernicke in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschte. Der Chef gab seufzend die Weisung, den Besucher hereinzuführen.

Der Mann im Lodenmantel verbeugte sich.

»Ich heiße Schlick, Kurt Arnold Schlick,« sagte er. »Habe ich die Ehre mit Herrn Konsul selbst?«

»Der bin ich. Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Ich möchte mir erlauben, Ihnen ein Verlagsanerbieten zu machen.«

Wernicke lud ihn durch eine Handbewegung zum Sitzen ein.

Schlick, der sich vergebens nach einem Kleiderhaken umgesehen hatte, warf seinen Kalabreser kurz entschlossen mitten auf den Konferenztisch und versank in einem der Klubsessel. »Ich weiß nicht, ob Sie im letzten Heft der ›Neuen deutschen Monatsschrift‹ meine Novelle ›Stille Wasser‹ bemerkt haben?« fragte er in dem holden Wahn aller literarischen Neulinge, daß die gesamte Menschheit nichts Wichtigeres zu tun habe, als ihre Produktion zu verfolgen.

»Gewiß. ›Stille Wasser‹ – ich entsinne mich, behauptete der Konsul, ohne mit einer Miene zu zucken.

»Das ist mir sehr lieb. Ich bin Ihnen also nicht ganz unbekannt.«

»Durchaus nicht, Herr – wie war doch gleich Ihr Name?«

»Schlick. Kurt Arnold Schlick. Ich habe soeben euren Roman vollendet, den ich Ihnen zum Buchverlag anbieten möchte.«

»Haben Sie schon Bücher veröffentlicht?«

»Bis jetzt noch nicht, Herr Konsul. Und eben deshalb lege ich großen Wert darauf, meinen Erstling bei einem angesehenen Verlag unterzubringen.«

Die kleine Schmeichelei, von der sich Herr Schlick eine besondere Wirkung versprochen hatte, schien Wernicke sehr kühl zu lassen. »Wie heißt Ihre Arbeit?« fragte er.

»›König Laurin‹.«

»›König Laurin‹! Kommt er nicht im Nibelungenliede vor?«

»Im Nibelungenliede gerade nicht, aber der Name gehört einem verwandten Sagenkreise an. Laurin ist der Zwergenkönig, der den Rosengarten hütet. In meinem Roman wird ein alter Arzt so genannt, der bei Bozen ein Landhaus besitzt und ein leidenschaftlicher Rosenzüchter ist.«

»So. Also kein mittelalterlicher Stoff! Das ist von Wichtigkeit. Mit Romanen, die im Mittelalter spielen, lockt man heutzutage keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.«

»Darf ich Ihnen den Inhalt einmal kurz auseinandersetzen?« fragte der Dichter, während er die Pelerine seines Mantels, den er offenbar nie ablegte, zurückschlug und dabei das Manuskript enthüllte.

Wernicke warf ihm einen scheuen Blick zu. »Gestatten Sie mir ein offenes Wort, Herr –?«

»Schlick.«

»Herr Schlick? Ich bin Ihnen ja für das Vertrauen, das Sie mir durch Ihr Anerbieten bekunden, zu großem Danke verpflichtet, aber erstens werde ich zur Zeit durch ein sehr umfangreiches Unternehmen so stark in Anspruch genommen, daß ich auf Drucklegung und Vertrieb Ihrer Arbeit nicht die erforderliche Sorgfalt verwenden könnte, und dann will es mir auch scheinen, es sei für einen Anfänger – verzeihen Sie den Ausdruck! – immer am vorteilhaftesten, den ersten Schritt auf den Büchermarkt an der Hand eines kleineren Verlegers zu tun. Er findet da eine, sagen wir einmal: individuellere Behandlung. Ich möchte Ihnen zum Beispiel die Firma Friedrich Ambrosius Blumhardt empfehlen, die ja sehr beachtenswerte Sachen herausbringt, und deren Signet ein Buch in den Augen der literarischen Welt sofort als etwas Wertvolles kennzeichnet. Sehen Sie, Herr – Herr Schlick, wir Verleger sind nicht nur Geschäftsleute. Wir haben nebenbei auch Kulturmissionen zu erfüllen, denen wir bedeutende Opfer bringen müssen, die aber auch unsere Existenz rechtfertigen. Wir großen Verleger – ich darf mich wohl, ohne unbescheiden zu sein, bei der Ausdehnung, die das Haus Wernicke und Kompanie genommen hat, zu den großen rechnen –, haben die Aufgabe, den Autoren von anerkanntem Ruf – und daß Sie über kurz oder lang zu diesen zählen werden, daran wage ich gar nicht zu zweifeln –, zu der verdienten Verbreitung ihrer Bücher zu verhelfen und ihnen dabei auch durch vorteilhafte Honorarbedingungen die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu sichern, deren sie zum ersprießlichen Schaffen bedürfen.

Den kleineren und kleinen unter meinen Berufsgenossen dagegen fällt die nicht minder wichtige schöne Mission zu, den aufstrebenden Talenten den Weg zu bahnen, sie gewissermaßen zu entdecken und aus dem gewaltigen Haufen Spreu, als den ich die neuzeitliche Produktion in ihrer Mehrheit wohl bezeichnen darf, die Weizenkörner zu sondern. Sehen Sie?«

»Sie nannten da die Firma Blumhardt,« bemerkte der Schriftsteller mit einem leisen Tone der Enttäuschung in der Stimme. »Verfolgt dieser Verlag nicht eine etwas antiquierte Richtung? Ich meine hinsichtlich des Charakters seiner Werke wie auch in bezug auf den Vertrieb?«

Der Konsul lächelte nachsichtig. »Das möchte ich doch nicht behaupten, Herr Schlick,« sagte er. »Blumhardt ist ein durch und durch literarisch gebildeter und künstlerisch ungemein fein empfindender Mann und – natürlich im Rahmen seiner nicht übermäßig bedeutenden Mittel – auch wohl ein recht rühriger Verleger. Wenn er Vertrauen zu einem Autor hat, legt er sich mit ganzer Seele für ihn ins Zeug. Das darf man nicht unterschätzen. Natürlich geht er nicht mit unsern Allerjüngsten durch dick und dünn, und daher mag er wohl bei manchen Leuten in den Geruch einer gewissen – sagen wir mal: Rückständigkeit gekommen sein, aber dieser Vorwurf ist meiner Überzeugung nach durchaus unbegründet. Er mag ja seine Eigenheiten haben – gewiß! Davon ist jedoch niemand frei, der Anspruch darauf erhebt, ein Charakter zu sein. Ich kann Ihnen nur den uneigennützigen Rat geben, es einmal mit ihm zu versuchen. Ich bin dessen gewiß, Sie werden mir noch dankbar dafür sein. Erscheint Ihr Buch bei Blumhardt, so nimmt Sie die gesamte Kritik und der gebildete Teil des Publikums sofort ernst. Und das ist von unschätzbarem Wert.«

Schlick nickte nachdenklich. »Das gebe ich zu,« erklärte er. »Aber die Honorarfrage darf ich auch nicht ganz außer acht lassen. Und in diesem Punkte habe ich zu Herrn Blumhardt kein allzu großes Vertrauen.«

»Sind Sie darauf angewiesen, sofort ein größeres Honorar zu erhalten?« fragte Wernicke.

»Das gerade nicht. Aber man möchte doch auch nicht gern umsonst gearbeitet haben. Ich bin ja Idealist; das darf mich jedoch nicht hindern, auch meine materiellen Existenzbedingungen im Auge zu behalten.«

Der Konsul horchte auf. »Daß Sie sich zum Idealismus bekennen, freut mich zu hören,« sagte er mit einer gewissen Wärme. »Jeder, der wahrhaft Großes schaffen will, muß Idealist sein. Ich bin es auch. Hätte ich nicht den Glauben an meine Kulturaufgabe, ich wäre schon längst unter der Last der Arbeit zusammengebrochen. Und weil ich nun weiß, mit wem ich's bei Ihnen zu tun habe, möchte ich Ihnen um so nachdrücklicher raten, Ihren Roman Blumhardt anzubieten. Auf ein hohes Honorar werden Sie bei ihm allerdings nicht rechnen dürfen, aber das scheint mir auch nebensächlich. Jedes Unternehmen erfordert ein Anlagekapital. Betrachten Sie die auf Ihr Buch verwandte Arbeit als ein solches. Sichern Sie sich, indem Sie's gegen ein bescheidenes Honorar hingeben, Ihre literarische Zukunft. Haben Sie erst festen Fuß gefaßt, so sind Sie es ja, der Blumhardt Bedingungen stellen kann. Geht er nicht darauf ein, gut, so sind eben noch andere Verleger da, die Ihren Wünschen besser Rechnung zu tragen vermögen. Ich will mich heute zu nichts verpflichten, aber das eine kann ich Ihnen sagen: mit Autoren, die sich bei Blumhardt die Sporen verdient haben, läßt sich ganz anders reden als mit solchen, die noch ein unbeschriebenes Blatt sind. Sehen Sie?«

Der Schriftsteller war gerührt. »Sie machen mir Hoffnung, Herr Konsul,« erwiderte er, sich erhebend und seinen »König Laurin« zärtlich unter der Pelerine des Mantels bergend. »Ich werde Ihren Rat befolgen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank für das Interesse, das Sie mir entgegenbringen. Und wenn Sie mir erlauben würden, später einmal –«

»Selbstverständlich, Herr – Herr Schlick!« beeilte sich Wernicke zu versichern. »Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, so kommen Sie getrost zu mir. Es würde mich aufrichtig freuen, wenn unser heutiges Gespräch zu einer dauernden und für beide Teile ersprießlichen Verbindung zwischen uns führen sollte.« Er geleitete den Besuch bis zur Tür. Als er sich dann, noch übersonnt von der Huld, die er für einen Menschen aufgebracht hatte, der ihm unter Umständen einmal nützlich werden konnte, umwandte, stieß das zwerghafte Männchen, das das Gewissen des Hauses Wernicke und Kompanie verkörperte, mit seiner blechernen Stimme ein boshaftes Gelächter aus.

»Was paßt dir denn wieder einmal nicht, Albrecht?« fragte der Konsul, der heute gern jeden Streit vermieden hätte, milde.

»Dumme Frage! Deine perfide Art, anderen die Autoren auszuspannen.«

»Auszuspannen? Du hast wohl nicht aufmerksam zugehört, sonst hättest du gemerkt, daß ich dem guten Blumhardt keineswegs einen Autor ausgespannt, ihm vielmehr zu einem neuen verholfen habe.«

»Das ist ja eben die Gemeinheit! Er soll das Kücken ausbrüten und großpäppeln, damit du es, wenn ein fetter Hahn daraus geworden ist, in deinen Kochtopf stecken kannst.«

»Wie du nur redest, Albrecht! Weißt du denn so bestimmt, daß sich Blumhardt mit diesem Schlick überhaupt einläßt?«

»Nimmt er ihn nicht, so nimmt ihn ein anderer. Und dann kaperst du ihn diesem weg. Fair ist das keinesfalls.«

»Du mit deinem ›fair‹! Habe ich etwa die Verpflichtung, für die Konkurrenz zu sorgen? Bin ich nicht vielmehr dazu da, die Interessen aufstrebender Talente zu vertreten? Ich weiß überhaupt nicht, wie du dazu kommst, Kritik an meinen geschäftlichen Maßnahmen zu üben. Meines Erachtens hast du in deiner Personalabteilung doch gerade genug zu tun.«

Wie immer, so endete die Auseinandersetzung zwischen den Brüdern mit Albrechts Drohung, er werde bei nächster Gelegenheit kündigen und zu einer Firma gehen, wo man auf anständige Gesinnung Wert lege. Und das war dem Konsul ganz lieb, denn wenn die Kündigungsfrage aufs Tapet gebracht worden war, pflegte sich der rebellische kleine Mann immer bald zu beruhigen, weil er kein schwereres Geschütz mehr aufzufahren hatte.


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