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Fünftes Kapitel

Markthelfer Bölte hatte derbe Fäuste und wußte seinen fünfundsechzig Jahren zum Trotz mit Kisten und Ballen noch wie ein Jüngling umzugehen. Aber so zyklopenhaft er auch in der Packkammer und auf dem Lager schaltete, so fein und rücksichtsvoll benahm er sich, wenn er, was jeden Montag und Donnerstag geschah, früh vor Geschäftsbeginn im Privatkontor Ordnung zu schaffen hatte. Kein gutgeschultes Stubenmädchen hätte mit größerer Hingebung Staub wischen und dabei jeden Gegenstand sorgfältiger wieder an seinen Platz stellen können, als er es tat. Nie aber ging er behutsamer zu Werke, als wenn er die Bildnisse von Blumhardts Vater und Großvater der üblichen Behandlung mit dem Federwedel unterzog. Dann sprach jede seiner Bewegungen den liebevollsten Respekt aus, und er fuhr sowohl Friedrich Ambrosius wie Georg Immanuel so zart über Wangen und Nase, daß wohl kein Zeuge dieses Aktes der Pietät sonderlich erstaunt darüber gewesen wäre, wenn die beiden alten Herren ihre würdigen Gesichter zu einem herzhaften Niesen verzogen hätten.

Am heutigen Montag kam Herr Waldemar Blumhardt gerade dazu. Er war zeitiger als sonst aufgestanden, denn der in der frischen Luft verbrachte Nachmittag hatte ihm, der sonst nur seinen täglichen Geschäftsweg zurücklegte und dabei gewöhnlich noch die Straßenbahn benutzte, wunderbar wohlgetan und ihm zu einer Nachtruhe verholfen, wie er sich deren seit langem nicht mehr zu erfreuen gehabt hatte. Infolgedessen war er jetzt in der heitersten Stimmung und knüpfte sogar, noch bevor er nach seinen Kakteen sah und einen Blick auf die eingelaufene Post warf, ein Gespräch mit dem alten Mitarbeiter an, dessen freimütige Redeweise für ihn immer eine Quelle stillen Ergötzens war. »War das gestern nur ein schöner Tag, Bölte!« sagte er, seinen Panama auf den Knopf des Kleiderständers stülpend.

»Nu ja, Herr Blumhardt, dafür war auch Rennen«, bemerkte der alte Markthelfer.

Der Prinzipal sah ihn erstaunt an. »Sie waren wohl auch draußen?«

»Und ob, Herr Blumhardt! So 'n bißchen Sport muß der Mensch doch treiben. Das ist er, mit Respekt zu sagen, seiner Gesundheit schuldig.«

»Sie haben wohl auch gewettet?«

»Nu ja. Zwanzig Mark hab' ich mal riskiert.«

»Haben Sie denn gewonnen?«

»Nu nee. Damit war's Essig. Nischt gewonnen und nischt verloren. Aber man hat doch seinen Spaß gehabt. Ums Geld war's mir daderbei auch gar nicht zu tun.«

»Denken Sie sich, Bölte, meine Tochter, die doch von solchen Dingen keine Bohne versteht, hat zum Scherz zehn Mark gesetzt und neunundzwanzig dafür wiederbekommen.«

»Das glaub' ich. Die Dummen haben bei so was allemal das meiste Glück. Sehen Sie, ich hatte mich auf Abgott gespitzt, den ich für totsicher hielt, aber das Pferd hat's nicht gemacht. Das heißt, zuerst ankommen tat das Luderchen ja, aber wie's zum Klappen kam, wurde das Rennen für ungültig erklärt, weil der Gaul nach der Innenseite vor dem Zweiten vorbeigegangen war. Wenn das nicht passiert wär', hätt' ich einen feinen Schnitt gemacht. So ein Esel von Jockei!«

»Mir war es nur darum zu tun, das Menschengewühl da draußen ein wenig zu beobachten!«

»Nu freilich! Das war auch der Mühe wert gestern. Das Gedränge und Geschubse, Herr Blumhardt! Da konnte Sie kein Apfelschimmel zur Erde fallen. Und wissen Sie auch, wen ich getroffen habe? Den langen Hermsdorf.«

»Den langen Hermsdorf? Wer ist denn das?«

»Der früher drinnen am zweiten Pult stand, wissen Sie? Dicht beim Fenster. Und der dann zu ›Welt und Haus‹ ging. Aber der ist auf den Windhund gekommen! Ei Herrjeses, sah Sie der Mensch aus! Hier hatte er immer die große Klappe und spielte den Nobeln, und wenn die Radieschen noch drei Neugroschen kosteten – er mußte jeden Morgen welche haben. Ja, ja, Herr Blumhardt, es ist schon dafür gesorgt, daß die Spargel nicht in den Himmel wachsen.«

Der Prinzipal, der zu seinem Kontorpersonal nie in besonders nahen Beziehungen stand, und dessen Gedächtnis sich die Namen, Gestalten und Gesichter von Leuten, die für eine kürzere oder längere Frist in seinem Geschäfte tätig waren, bei weitem nicht so unauslöschlich einprägten wie die gelegentlichen stilistischen Entgleisungen der »Aurora«-Mitarbeiter, trat, um die Kakteen zu begießen, auf den Altan hinaus und ließ sich dann zur Durchsicht der Post am Redaktionstische nieder. »Sie könnten mir wohl Herrn Drillhose einmal hereinschicken, Bölte!« rief er dem Markthelfer nach, der gerade mit Besen, Federwedel und Staubtuch im Kontor verschwand.

Einen Augenblick später erschien der junge Mann mit den Sommersprossen im Allerheiligsten.

»Sie haben doch wohl schon gelegentlich Briefe an Autoren geschrieben, Herr Drillhose?« fragte der Chef, während er die mitgebrachte Ledermappe öffnete und ein gewichtiges Manuskript herausholte, das dem Gehilfen nur zu bekannt war.

»Jawohl, Herr Blumhardt, Autorenbriefe habe ich schon öfters geschrieben«, erwiderte er ein wenig unsicher.

»Schön! Dann schicken Sie doch einmal diesen Wälzer zurück. Aber schleunigst, daß wir das Machwerk so bald wie möglich aus dem Hause bekommen! Es ist ja eine Dreistigkeit sondergleichen, einem so ein kindisches Gefasel anzubieten. Ich bin sonst immer ganz entschieden dafür, daß wir unbrauchbare Arbeiten in höflicher Form ablehnen, aber in diesem Falle schadet es nicht im geringsten, wenn der Mensch einen sackgroben Wisch kriegt. Schreiben Sie ihm ruhig, wir betrachteten seine Einsendung als einen schlechten Scherz; er solle sich erst einmal die elementarsten Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen, ehe er sich an Tinte und Papier versündigte. Sie können den Brief ja Fräulein Scholz diktieren; ich möchte ihn aber noch heute vormittag zur Unterschrift vorgelegt erhalten.«

Der aus allen Himmeln gestürzte Jüngling wankte, seelisch völlig gebrochen, mit seinem Manuskript ins Kontor und ließ sich, ohne die fragenden Blicke der Tippdame zu beachten, müde auf seinem Drehstuhl nieder. Jetzt hatte er einen Titanensturz am eigenen Leibe erfahren, einen Schicksalsschlag, gegen den ihm die kühnsten Ausgeburten seiner Dichterphantasie matt und schal erschienen.

Eine geraume Weile saß er mit aufgestütztem Haupte da und starrte wie geistesabwesend durch das offene Fenster in den blaßblauen Morgenhimmel. Dann aber ermannte er sich, strich mit einer entschlossenen Bewegung die roten Haarsträhnen aus der Stirn und sagte mit rauher Stimme zu seiner Nachbarin: »Hätten Sie wohl ein paar Minuten Zeit, Fräulein Meta? Ich habe Ihnen einen eiligen Brief zu diktieren.«

»Meinetwegen!« antwortete die Scholz gleichgültig, schlug ihr Stenogrammheft auf und setzte sich gähnend in Bereitschaft.

Er glaubte, ihr eine nähere Erklärung schuldig zu sein, und bemerkte kaltblütig: »Da hat so ein obskurer Schmierfink dem Alten einen Roman angeboten, und ich soll das Ding nun zurückschicken, und zwar mit einem saugroben Brief. Wundern Sie sich also nicht, wenn ich kräftige Ausdrücke wähle. Mir persönlich geht ja eine solche Behandlung der Autoren gegen den Strich, aber der Chef will es nun einmal, daß der Kerl eine hanebüchene Antwort bekommt. Na, mir kann's ja Wurst sein! Sind Sie so weit, Fräulein Meta? Dann also los!« Er begann zu diktieren: »Sehr geehrter Herr! Von Ihrer gefälligen Einsendung habe ich Kenntnis genommen –«

»Kommt denn keine Adresse darüber?« fragte die Tippdame, noch immer heftig gähnend.

»Nein – die werde ich handschriftlich einfügen. Es macht einen besseren Eindruck«, behauptete Drillhose kühn.

»Mir auch recht! Also weiter! – habe ich Kenntnis genommen –«

»- kann mir jedoch nicht versagen, Ihnen mein Erstaunen darüber auszudrücken, daß Sie den Mut finden, mir ein derartiges, in jeder Beziehung unreifes und nach Anlage wie Ausführung völlig verfehltes Produkt zum Verlage anzubieten. Haben Sie?«

»- zum Verlage anzubieten.«

»Wenn ich nicht aus Ihrem, den elementarsten Regeln der Grammatik hohnsprechenden Stile den Eindruck gewonnen hätte, daß es sich bei Ihrer Einsendung um das Erstlingswerk eines blutigen Dilettanten handelte, müßte ich annehmen, Sie hegten die Absicht, sich mit mir einen unpassenden Scherz zu erlauben. Ich halte es unter diesen Umständen nicht für angebracht, an Ihrem Machwerk eine eingehende Kritik zu üben, sondern empfehle Ihnen nur, es einige Jahre liegen zu lassen und sich dann, nachdem Sie ein reiferes Urteil und ein ausreichendes Maß von Selbstkritik erlangt haben, mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß die Drucklegung Ihres Manuskriptes ein Ding der Unmöglichkeit ist. Selbstverständlich liegt es nicht in meiner Absicht, Ihnen hiermit jede schriftstellerische Begabung abzusprechen – haben Sie, Fräulein Meta?«

»- Begabung abzusprechen –«

»- ich fühle mich jedoch verpflichtet, Ihnen zu sagen, daß Aufgaben wie ein Roman dieses Umfangs vorläufig noch außerhalb des Bereiches Ihrer Fähigkeiten liegen, und daß Sie meines Erachtens gut daran tun würden, sich zunächst einmal erreichbare Ziele zu stellen. Vor allem aber möchte ich Ihnen das sorgfältige Studium einer guten deutschen Grammatik und der Wustmannschen ›Sprachdummheiten‹ anraten, denn ein anständiger Stil ist doch das wenigste, was man billigerweise von einem Schriftsteller verlangen kann.«

»- verlangen kann. Kommt noch was?«

»Ich wüßte nicht, Fräulein Meta. Es ist ja wohl im großen und ganzen das, was der Alte in solchen Fällen selbst zu schreiben pflegt.«

»Soll ›mit vorzüglicher Hochachtung‹ drunter?«

»Selbstverständlich. Und links unten in die Ecke schreiben Sie: Ein Manuskript von 522 Blättern.«

»Alle Achtung! Das muß aber ein Schinken sein! Kann ich das Ding nicht einmal sehen?«

Bei dieser Frage der Tippdame wurde es Drillhose etwas unbehaglich. »Ich weiß nicht, ob ich dazu berechtigt bin, die Arbeit aus den Händen zu geben,« sagte er. »Der Chef legt Wert darauf, daß solche Angelegenheiten diskret behandelt werden.«

Fräulein Scholz musterte den Sommersprossigen mit einem argwöhnischen Blick. »Hören Sie mal, davon habe ich noch nie etwas gemerkt, wie es auch noch nie vorgekommen ist, daß die Adresse eines Ablehnungsschreibens handschriftlich eingetragen wurde. Wissen Sie, was ich vermute?«

»Nun?«

»Daß der Schinken Ihr ›Titanensturz‹ ist, und daß der Brief, den Sie mir da diktiert haben, an Sie selbst geschickt werden soll. Hab' ich nicht recht?«

Der unglückliche Dichter wollte den so lieblos geäußerten Verdacht mit aller Entschiedenheit zurückweisen, aber er fühlte, daß er über und über rot wurde, und sah die schwarzen Augen des kleinen Fräuleins mit so unbarmherziger Eindringlichkeit auf sich gerichtet, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als die Waffen zu strecken. »Nun ja, da Sie's ja doch schon geahnt haben, so will ich's nur eingestehen: es handelt sich allerdings um mein Manuskript. Sie mit Ihrem Scharfsinn bekommen aber auch alles heraus, Fräulein Meta.«

»Du lieber Himmel! Dazu gehört doch nicht viel Scharfsinn, Herr Drillhose! Was los war, merkte ich gleich, als Sie aus dem Privatkontor kamen. Sie sahen ja aus wie ein Gerber, dem die Felle davongeschwommen sind.«

»Das war aber auch ein Wochenanfang, wie ich ihn nicht erwartet hatte. Was sagen Sie nur dazu, daß der Chef eine solche Arbeit ablehnt?«

»Ja, was soll ich dazu sagen! Ich habe Ihren Roman nicht gelesen und kann also auch nicht darüber urteilen.«

»Aber Sie werden mir doch hoffentlich zutrauen, daß ich keinen Mist schreibe? Wissen Sie auch, daß ich die Idee zu dem Buche länger als ein Jahr mit mir herumgetragen habe, ehe ich ans Ausarbeiten ging? Und das soll nun blutiger Dilettantismus sein!«

Der arme Mensch sah so todunglücklich aus, daß sogar Fräulein Scholz, die im allgemeinen keinen Überfluß an Gemüt hatte, so etwas wie Mitleid mit ihm empfand. »Trösten Sie sich, Herr Drillhose,« sagte sie, »verkannt zu werden ist ja nun einmal das Los des Dichters. Sie sind nicht der erste, dem es so ergeht.«

»Sie haben recht,« erwiderte er mit leuchtenden Augen. »Es ist das Los des Dichters. Ich denke auch, der Chef wird es noch einmal bitter bereuen. Der Mann kann einem leid tun. Er ist eben nicht mit der Zeit fortgeschritten und hat für die neue Kunst nicht das geringste Verständnis. Es ist nicht zu glauben! Eine solche Arbeit einfach abzulehnen! Unter dem alten Herrn wäre so etwas nie und nimmer vorgekommen.« Den »alten Herrn« – gemeint war Georg Immanuel Blumhardt – hatte mit Ausnahme Hungers und Böltes niemand von den Angestellten mehr persönlich gekannt, aber er spukte, da er ein ebenso tatkräftiger und unternehmungslustiger wie eigenwilliger Mann gewesen war, noch immer im Geschäft herum und wurde als höchste Autorität gerade von denen am häufigsten zitiert, die von seinem Wesen und Wirken nur höchst unklare Vorstellungen hatten.

Als die Tippdame, die sich jetzt an ihrer Maschine zu schaffen machte, wieder einmal zu Drillhose aufsah, stellte sie zu ihrem Erstaunen fest, daß ihr Hinweis auf das Los des Dichters den jungen Mann offenbar rasch und gründlich über sein Mißgeschick getröstet hatte. Er war mit seinem Frühstück beschäftigt, bezwang, während er die Frucht der Ähren kostete, wie Niobe das etwa noch vorhandene Schmerzgefühl und las, mit vollen Backen kauend, das Zeitungsblatt, worin die Bemmen eingewickelt gewesen waren. Plötzlich stieß er ein paar unartikulierte Laute aus, würgte den Brocken, den er gerade im Munde hatte, hinunter und wandte sich an seine Nachbarin. »Da finde ich eben in einem astronomischen Artikelchen die Behauptung, daß infolge der langsamen Abkühlung der Sonne voraussichtlich auch auf der Erde in siebzig Millionen Jahren alles Leben erloschen sein wird,« sagte er ernst. »Was hat es da noch für einen Zweck, sich mit Romanen abzuschinden, wenn schließlich niemand mehr da ist, der sie liest?«

Fräulein Scholz lachte hell auf. »Bis dahin hat's noch gute Weile,« meinte sie. »Jedenfalls sollten Sie sich durch solche Bedenken nicht abhalten lassen, ruhig weiterzudichten.«

»Sie haben also doch noch Vertrauen zu mir?«

»Ich würde es wenigstens lächerlich finden, wenn Sie sich durch Blumhardts Ablehnung Ihres Romans entmutigen lassen wollten. Es gibt doch noch andere Verleger. Wenn Ihre Arbeit wirklich etwas taugt, so wird sie schon einer nehmen. Versuchen Sie's doch einmal bei Staackmann oder Fleischel oder Cotta.«

Drillhosens Mienen erheiterten sich. »Sie haben eigentlich recht, Fräulein Meta,« sagte er. »Ich glaube sogar, der Umstand, daß der Chef, der doch einen recht rückständigen Geschmack hat, mein Buch ablehnt, spricht für dessen Wert. Ich werde es an Cotta schicken. Das heißt: vor dem ersten Juli wird wohl nichts draus werden. Ein Paket nach Stuttgart mit entsprechend hoher Wertangabe kostet siebzig Pfennig, und dann muß ich ja auch erst nach Schkeuditz, um mir das Manuskript wiederzuholen. Kostet hin und zurück auch wieder sechzig Pfennig. Sagen Sie mal, Fräulein Meta – Sie dürfen mir die Frage nicht übelnehmen! – wäre es Ihnen nicht möglich, mir bis zum ersten mit ein paar Mark auszuhelfen? Ich habe mich nämlich bis auf den letzten Groschen ausgegeben.«

»Sehen Sie? Habe ich Sie neulich nicht gewarnt, als Sie so toll drauflos wüsteten? Zweiter Rang hätte es auch getan, aber Sie bestanden auf Proszeniumsloge, und statt zu Aeckerlein hätten wir ganz gut in den ›Thüringer Hof‹ gehen können.«

»Das läßt sich nun nicht mehr ändern, Fräulein Meta. Ein Schaffender soll nicht immer an den Mammon denken; das lähmt ihm die Schwingen. Und am allerwenigsten soll er dem ausgegebenen Gelde eine Träne nachweinen. Was weg ist, ist eben weg. Ich bin, weiß Gott, anspruchslos und brauche im allgemeinen so gut wie nichts. Jetzt zum Beispiel würden mir fünf Mark schon aus aller Not helfen. Und dafür werde ich Ihnen doch wohl gut sein. Wenn Sie aber Wert darauf legen, kann ich Ihnen ja auch meine Schlipsnadel verpfänden. Echtes Katzenauge; hat mich bare fünfzehn Mark gekostet.«

Die Tippdame ließ sich erweichen. »Ihre Nadel behalten Sie nur,« sagte sie, in ihrer Handtasche nach der Börse suchend. »Ich denke, Sie werden mir mit fünf Mark nicht gleich durchgehen.«

Als Drillhose den schweren Silberling in seiner Hand fühlte, war er wieder ganz der alte, und kein Mensch würde ihm angemerkt haben, daß er kaum eine halbe Stunde zuvor einen so niederschmetternden Schlag erlitten hatte.

Jetzt erschien ein Herr im Kontor, der in der Mitte der dreißiger Jahre stehen konnte und, wenn man davon absah, daß er einen mächtigen Schlapphut und – trotz der Junihitze – einen Lodenmantel trug, einen ziemlich alltäglichen Eindruck machte. Er wünschte Herrn Blumhardt zu sprechen. Auf Drillhosens Frage, wen er melden dürfe, gab er sich als den Schriftsteller Kurt Arnold Schlick zu erkennen.

Der Prinzipal, der sonst jeden Besuch als eine lästige Störung empfand, kam diesmal selbst, um den Angemeldeten in das Allerheiligste zu geleiten.

»Sie waren so gütig, mich zu einer Besprechung in Sachen meines Romans herzubitten«, sagte Schlick, seinen Hut ohne weitere Umstände auf Blumhardts Panama stülpend.

Der Verleger wies auf einen der Mahagonistühle. »Nehmen Sie Platz, Herr Schlick! Sie rauchen doch?« Er schob ihm die Zigarettenschachtel hin. Der Besucher griff schweigend hinein und steckte sich eine Zigarette an, wobei er das Streichholz auf den Boden warf, obgleich ein Aschenbecher vor ihm stand.

»Ich kann nicht leugnen, daß ich Ihren ›König Laurin‹ mit lebhaftem Interesse gelesen habe«, erklärte Blumhardt.

»Sehr schmeichelhaft!« erwiderte Schlick mit einer leichten Verneigung. »Ich hatte gleich das Gefühl, daß ich bei Ihnen vor die rechte Schmiede kommen würde. Sie sind ja einer der wenigen Verleger, die bei einem Buch auf den inneren Wert, auf Qualitäten sehen. Dadurch unterscheiden Sie sich zum Beispiel vorteilhaft von Wernicke und Kompanie. Mein Gott, unter all den Büchern, die die jedes Jahr auf den Markt werfen, ist doch kaum eins von literarischer Bedeutung! Alles Kitsch, alles Spekulation auf das Sensationsbedürfnis des großen Publikums!«

Blumhardt zuckte die Achseln. »Ein Großbetrieb wie der Wernickesche muß sich allerdings von ganz anderen Grundsätzen leiten lassen,« meinte er. »Der Zuschnitt des Geschäfts erfordert Massenauflagen, und die setzen natürlich wieder eine im größten Stile organisierte Propaganda voraus. Daran kann ein kleiner Verleger wie ich selbstverständlich nicht denken. Bei mir muß ein Buch eben selbst Reklame für sich machen. Es muß so gut sein, daß jeder einsichtsvolle Leser es in seinem Bekanntenkreise weiterempfiehlt. Aber ebendeshalb finden meine Verlagswerke bei den wirklichen Kennern auch die gebührende Beachtung. Es fragt sich nun, Herr Schlick, ob Ihnen damit gedient wäre, oder ob die finanzielle Seite der Sache für Sie nicht ausschlaggebend ist.«

»Über diesen Punkt kann ich Sie beruhigen, Herr Blumhardt. Der finanzielle Erfolg kommt für mich erst in zweiter Linie in Betracht. Ich darf auch sagen: ich habe das Vertrauen zu meiner Arbeit, daß sie sich durchringen wird.«

»›König Laurin‹ ist wohl Ihr erstes Buch?«

»Allerdings. Bisher habe ich nur kleinere Arbeiten, zumeist Novellen und Skizzen in der Tagespresse und in verschiedenen Wochenschriften veröffentlicht.«

»Um so besser. Ich betrachte es immer als eine besondere Ehre, einen jungen Autor einführen zu können. Wenn bisher auch nicht alle Blütenträume in Erfüllung gegangen sind, so habe ich doch die Genugtuung, daß sich eine nicht allzu kleine Zahl meiner Autoren heute der allgemeinen Anerkennung erfreut. Sie kennen doch Roderich Mieglau?«

»Selbstverständlich!«

»Nun ja, von Mieglau habe ich zwei Bücher herausgebracht, beides sehr feine Sachen. Von beiden ist die erste Auflage noch lange nicht verkauft, aber es werden täglich ein paar Exemplare verlangt, und ich bin überzeugt, daß er sich durchsetzt. Die ›Augsburger Abendzeitung‹ hat neulich ein Feuilleton über Mieglau gebracht, worin sie seine Bücher dem Besten gleichstellte, was Storm geschrieben habe. Und dann: Sie kennen vielleicht auch Rehwalds Roman ›Auf karger Scholle‹? Sehen Sie, davon erscheint jetzt die zweite Auflage. Bei der ersten habe ich bares Geld zugesetzt; vielleicht komme ich bei der zweiten wenigstens auf die Kosten. Sie dürfen nämlich nicht denken, daß ich nur zu meinem Vergnügen verlege. Gott bewahre, ich will verdienen. Ich muß mir zum mindesten bei jedem Unternehmen die Frage vorlegen, wieviel ich schlimmstenfalls dabei verlieren kann. Um ins Blaue hinein wirtschaften zu können, dazu bin ich leider nicht bemittelt genug.«

»Verstehe ich vollkommen«, beeilte sich Herr Schlick zu versichern, der Blumhardts Auseinandersetzungen nur mit geteilter Aufmerksamkeit gefolgt war.

Der Verleger hatte das Manuskript aus dem Geldschrank geholt und blätterte darin. »Was nun Ihren Roman betrifft, so muß ich bekennen, daß mir der gesunde Idealismus, der sich darin ausspricht, außerordentlich zusagt,« erklärte er. »Das vierte Kapitel mit der Bekehrungsgeschichte ist in seiner Art klassisch. Auch das Gespräch zwischen Ilse und dem alten Doktor hat mich gepackt. So etwas muß ja auf den Leser wirken. Dagegen scheint mir – Sie verzeihen wohl, daß ich auch darauf hinweise! – der Bruch Ilsens mit Riccardo, ich glaube, es handelt sich um das elfte Kapitel, nicht sorgfältig genug motiviert. Der Brief allein scheint mir nämlich zur Begründung einer so vollkommenen Sinnesänderung nicht auszureichen. Ich würde an Ihrer Stelle schon vorher, vielleicht bei der Enthüllung des Dante-Denkmals in Trient, einen inneren Gegensatz zwischen den beiden jungen Leuten angedeutet haben. Überlegen Sie sich die Sache freundlichst einmal, Herr Schlick. Ich bin überzeugt, Sie werden mir zugeben, daß ich das richtige Gefühl habe. Und dann noch eins: ich habe mir erlaubt, hier auf diesem Blatt eine Anzahl Stellen anzumerken, die wohl noch einer kleinen stilistischen Durchfeilung bedürfen. Es sind ja in der Hauptsache unwesentliche Dinge, aber doch solche, an denen sich ein aufmerksamer Leser stoßen könnte. Und ich lege großen Wert darauf, daß meine Verlagswerke auch in der äußern Form den strengsten Anforderungen genügen. Es ist ja eine der wesentlichsten Aufgaben meines Verlages, der immer bedenklicher um sich greifenden Sprachverlotterung entgegenzuwirken.«

Herrn Schlick schien das, was dem alten Herrn am meisten am Herzen lag, am allerwenigsten zu interessieren. »Sie sind also grundsätzlich nicht abgeneigt, den ›König Laurin‹ zu verlegen?« fragte er, indem er den Aschenbecher, mit dem er bis jetzt ein wenig zerstreut gespielt hatte, geräuschvoll auf den Tisch stellte.

»Durchaus nicht. Aber, wie gesagt, auf den stilistischen Änderungen müßte ich allerdings bestehen.«

»Schön. Darüber ließe sich reden. Aber nun möchten wir auch einmal auf die geschäftliche Seite der Angelegenheit kommen. Wie ich schon bemerkte, betrachte ich diese durchaus nicht als die Hauptsache, da ich jedoch von der Feder leben muß, ist die Honorarfrage für mich natürlich von einer gewissen Bedeutung.«

»Sie haben also keinen andern Beruf, der Ihnen ein sicheres Einkommen gewährleistet?«

Schlick warf sich in die Brust. »Ich bin freier Schriftsteller, Herr Blumhardt, und meine, eine derartige Tätigkeit sei geeignet, ein Menschenleben vollständig auszufüllen. Ich war vorher ausübender Musiker, habe aber noch rechtzeitig erkannt, daß meine Begabung auf einem andern Gebiete liegt.«

»Ich verstehe schon,« meinte der Verleger mit bedeutsamem Lächeln, »Sie haben sich jedenfalls mit der Entwicklung, die die Musik seit Wagner genommen hat, nicht befreunden können.«

Schlick sah sein Gegenüber etwas unsicher an. »Nun ja, in mancher Hinsicht mag das auch zutreffen,« sagte er. »Aber, ganz abgesehen davon: ich glaube mehr Verstandes- als Gefühlsmensch zu sein. Und für Verstandesmenschen ist das geschriebene Wort das gegebene Ausdrucksmittel.«

Blumhardt schmunzelte. »Zum Glück ist von dem Überwiegen des Verstandesmäßigen in Ihrem Buche nicht viel zu merken«, sagte er.

»Schon möglich. Aber ich glaube, wir sind von unserm Thema abgekommen. Welches Honorar würden Sie mir für den Roman bewilligen können?«

»Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, bei dem keiner von uns zu kurz kommt, da wir das Risiko und den Gewinn teilen würden. Ich habe Ihr Manuskript kalkuliert. Es würde so etwa vierundzwanzig Bogen ergeben, also einen Band, der gebunden fünf Mark kosten müßte. Ladenpreis natürlich. Ich würde Ihnen für jedes abgesetzte Exemplar fünfundsiebzig Pfennig zahlen. Abrechnung alljährlich nach der Ostermesse.«

»Und wie hoch soll sich die Auflage belaufen?«

»Ich dachte, auf zweitausend.«

Schlicks ohnehin nicht sehr rundes Gesicht zog sich merklich in die Länge. »Zweitausend mal fünfundsiebzig – das wären fünfzehnhundert Mark Honorar,« sagte er. »Glänzend finde ich das gerade nicht.«

»Sie müssen bedenken, daß die erste Auflage ja gewissermaßen auch nur als Ballon d'essai dient. Sehen wir, daß der Roman geht, so drucken wir die zweite natürlich höher«, erklärte Blumhardt, ohne sich durch Schlicks deutlich erkennbare Abkühlung beirren zu lassen.

Der Schriftsteller schob den Aschenbecher weit von sich. »Ganz recht. Aber, wenn ich offen sein soll: ich hatte eigentlich ein günstigeres Honorarangebot erwartet. Wie gesagt, die Geldangelegenheit spielt ja für mich nur eine untergeordnete Rolle, aber deshalb darf ich sie doch nicht als Bagatelle behandeln. Von der Luft leben kann ich leider nicht, und schließlich muß man doch auch an seine Zukunft denken. Ich hatte gedacht, Sie würden mir wenigstens gleich eine runde Summe als Honoraranzahlung bewilligen.«

»Bester Herr, ich glaube ja selbst, daß Ihr Buch gehen wird, aber wer bürgt mir dafür, daß ich mich nicht irre?« erwiderte der Verleger, indem er sich bemühte, in seine Mienen den Ausdruck des Zweifels zu legen, was ihm gar nicht so leicht fiel. »Wenn wir das Risiko gemeinsam tragen, kann keiner von uns dem andern einen Vorwurf machen. Ich will Sie gar nicht zu einer schnellen Entscheidung drängen. Überlegen Sie sich meinen Vorschlag in aller Ruhe und sagen Sie mir dann Bescheid.«

Schlick erhob sich. »Nun ja, ich werde mir die Sache einmal überlegen,« sagte er. »Jedenfalls bitte ich Sie, mir mein Manuskript einstweilen wieder mitzugeben, damit ich die von Ihnen gewünschten Änderungen, soweit ich sie für gerechtfertigt halte, vornehmen kann.«

Wäre Blumhardt ein Menschenkenner gewesen, so hätte er dem Verfasser des »König Laurin« angemerkt, daß ihm nur darum zu tun war, seine Arbeit zurückzuerhalten, um sie schleunigst einem andern Verleger anbieten zu können. Aber auf diesen Gedanken kam der alte Optimist gar nicht, betrachtete vielmehr Schlicks Bereitwilligkeit, auf seine Änderungsvorschläge einzugehen, als ein günstiges Zeichen und hielt ihm, während er das Manuskript mit liebevoller Umständlichkeit einpackte, einen längeren Vortrag über allerlei stilistische Feinheiten. Ja er erwies in der Freude seines Herzens dem mutmaßlichen neuen Autor eine Gunst, deren sich sonst nur die Vertrauten des Hauses zu erfreuen hatten: er führte ihn auf den Altan und zeigte ihm seine Kakteensammlung.


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