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Zweites Kapitel

In Konsul Wernickes Privatkontor suchte man vergebens nach einer persönlichen Note. Der ganze Raum war so nüchtern wie nur möglich, die Einrichtung nach amerikanischer Art nur auf das Praktisch-Geschäftliche gestimmt. Die Wände waren bis zur halben Höhe mit einer Täfelung aus hellem Eichenholz verkleidet, durch die allerlei Schränke für Briefordner, Schreibmaterial und Bände mit Papierproben, aber auch Gelasse zur Kleiderablage, eine Waschgelegenheit und sogar der sehr massive »Feuerfeste« den Blicken der Besucher entzogen wurden. In der Mitte des Raumes stand, von Klubsesseln umgeben, ein mit grünem Tuch bespannter Konferenztisch, auf dem in peinlich genau bemessenen Abständen Schreibunterlagen, Bleistifte und Notizblocks verteilt waren, während an jedem der beiden breiten Fenster ein wuchtiger Diplomatenschreibtisch das gleichmäßig kalte Licht aus Norden empfing. Als einziger Wandschmuck prangte über der Täfelung ein in Eiche gerahmtes Diplom der Weltausstellung von Saint Louis, viel zu hoch freilich, als daß man die Einzelheiten dieses Kunstblattes zu erkennen, oder gar den Text zu lesen vermocht hätte. Nichts verriet, daß an dieser Stätte der Inhaber eines der größten Verlagshäuser sein Tagewerk verbrachte. Der Raum hätte ebensogut das Privatkontor einer Ledergroßhandlung, eines Speditionsgeschäftes oder einer Bankfirma sein können.

Jetzt – es war kurz nach acht Uhr vormittags – saß, mit der Durchsicht der ersten Post beschäftigt, an dem einen der Schreibtische der Konsul. Er war ein untersetzter Mann in der Mitte der Fünfziger, dessen einst dunkelblond gewesenes, jetzt mißfarben graues und etwas spärlich gewordenes Haar mit weiser Ökonomie über den auffallend runden Schädel verteilt war. Sein glattrasiertes Gesicht mit den hinter den dicken Gläsern einer goldenen Brille doppelt ausdruckslos erscheinenden Augen und den fest zusammengekniffenen schmalen Lippen hatte etwas ebenso Unpersönliches wie seine tadellos gearbeitete Kleidung, auf der niemals das kleinste Stäubchen sichtbar war. Ein Mienenspiel schien ihm die Natur versagt zu haben, und das einzige, was, freilich selten genug, einmal eine innere Erregung bei ihm verriet, war die weit ausholende Armbewegung, mit der er in Augenblicken der Überraschung oder des Zornes einen Klemmer aus der Westentasche holte und hinter die Brillengläser schob.

Am andern Schreibtische hockte auf dem mit einem dicken Polsterkissen belegten Drehsessel Albrecht Wernicke, der um etliche Jahre jüngere Bruder des Chefs, ein beinahe zwerghaft verkümmertes, noch immer semmelblondes Männchen mit ausgesprochenem Wasserkopf und greisenhaft faltigem, dabei jedoch bartlosem und rosigem Antlitz. Er galt auch geistig für nicht völlig normal, erledigte aber seine Arbeit mit vorbildlicher Gewissenhaftigkeit, bezog als Ressortchef der Personalabteilung ein nicht gerade glänzendes Gehalt und führte als alter Junggeselle ein bescheidenes, nach der Uhr geregeltes Leben. Er ging stets einfach und sauber gekleidet und trug zu jeder Jahreszeit eine frische Blume im Knopfloch. Obwohl ein Stiefkind der Natur, war er, was man einen anständigen Kerl zu nennen pflegt, machte sogar seinem selbstherrlichen Bruder gegenüber das Recht der eigenen Meinung geltend und bildete sich nicht wenig auf den ihm von den Angestellten beigelegten Spitznamen »Albrecht der Beherzte« ein, den er dem Umstande verdankte, daß er bei einem vor Jahr und Tag infolge eines Kurzschlusses entstandenen Brande und der panikartigen Flucht des Personals mit vollkommener Gelassenheit an seinem Pulte sitzengeblieben war und, ohne sich um Flammen und Rauch zu bekümmern, die Zahlenkolumnen seiner Gehaltslisten weiter addiert hatte.

Konsul Wernicke war mit der Durchsicht der Post fertig geworden, legte den Tintenstift, mit dem er in seiner nur für Eingeweihte leserlichen Schrift kurze Vermerke auf die Eingänge gekritzelt hatte, aus der Hand und beschied Herrn Eisold, den Leiter der Propagandaabteilung, durch das Telephon zu sich.

Ein paar Minuten später trat Eisold ein. Er war früher Reisender gewesen, galt bei den Mitarbeitern für einen servilen Streber und bekannte sich zu dem auch vom Chef vertretenen Grundsatz, daß die Reklame die Seele des Geschäftes, alles andere jedoch von nebensächlicher Bedeutung sei. Zu seinen besonderen Kennzeichen gehörten auffallende Magerkeit, nervöses Gesichtszucken, ein Spitzbart und eine pflaumenblaue Künstlerkrawatte.

Wernicke erwiderte Eisolds Gruß mit einem kaum merkbaren Kopfnicken und sagte, während er in einem gewaltigen Stoß neueingegangener Rezensionsbelege wühlte: »Sagen Sie mal, Herr Eisold, was ist denn da mit ›Wilken, Roulette‹ passiert? Ich lese hier in mindestens zwanzig Zeitungen von einem Roman, ›der in edelster, geklärter Stille eines Eheschicksals seidendunkle Fäden ineinanderwirrt und mit feinfühligen Künstlerfingern wieder löst‹; das ist ja wundervoll gesagt, aber soweit ich mich auf das Manuskript besinnen kann – gelesen habe ich's natürlich nicht, sondern nur darin geblättert –, ist doch in dem ganzen Buche von keiner Ehe die Rede. Soviel ich weiß, handelt sich's um einen Berliner Referendar, der in Monte Carlo zwei Pariser Chansonetten in die Hände fällt. Da muß doch wieder einmal mit dem Waschzettel eine Dummheit passiert sein.«

Eisold fuhr zusammen, richtete sich jedoch sofort wieder straff auf und entgegnete, die Rechte in den Ausschnitt seiner Weste schiebend: »Ganz recht, Herr Konsul, das heißt, wenn Herr Konsul gestatten: ›Dummheit‹ ist vielleicht doch zuviel gesagt. Der Waschzettel deckt sich allerdings nicht so ganz mit dem Inhalt des Buches. Aber er ist sehr wirksam. Ganz außerordentlich wirksam sogar. Der Roman wird, wie mir Herr Nümbrecht sagt, rasend bestellt. Herr Konsul äußerten den Wunsch, er sollte noch rechtzeitig vor der Reisesaison herausgebracht werden; da ging's ein wenig eilig. Doktor Finkenstein war gerade nicht zu erreichen; ich hatte niemand, der den Wisch liefern konnte, und habe deshalb den Waschzettel verwandt, der ursprünglich für ›Frau Marthe Imhoff‹ bestimmt war, und der dann durch die Selbstanzeige des Autors ersetzt wurde. Selbstverständlich habe ich das Ding ein wenig zurechtgestutzt. Herr Konsul dürfen davon überzeugt sein, daß das Buch einschlägt, und das liegt einzig und allein an dem phänomenalen Waschzettel.«

Der Konsul streifte seinen Angestellten mit einem Blick, worin eigentlich mehr Anerkennung als Tadel lag, und meinte: »Na ja, ganz schön! Aber man darf dem Publikum auch nicht zuviel zumuten.«

Eisold lächelte beinahe mitleidig. »Verzeihen der Herr Konsul, wenn ich mir die Freiheit nehme, in diesem Punkte doch anderer Meinung zu sein. Nach meinen Erfahrungen darf man dem Publikum nicht weniger als alles zumuten. Es kommt selbstverständlich darauf an, daß man die Zumutung in die opportune Form kleidet. Ich darf wohl daran erinnern, daß ich zwei Jahre lang die Beka-Glühstrumpf-Gesellschaft, Hannover-Linden, vertreten habe. Das Fabrikat war miserabel, dennoch gelang es mir, ihm in der allerkürzesten Zeit den Markt zu erobern. Alle Welt wollte nur noch Beka-Strümpfe. Dann bekam ich mit dem Direktorium Differenzen wegen der Spesenberechnung und ging, da die Herren bockbeinig blieben, zu den Sirius-Glühstrumpfwerken, Gleiwitz, über. Was die machten, war noch schlechter, aber in kaum vier Monaten hatte ich die Sirius-Strümpfe, obwohl sie höchstens acht Tage brannten, in ganz Norddeutschland eingeführt, und von den Bekas wollte kein Mensch mehr etwas wissen. Suggestion, Herr Konsul! Das ist das ganze Geheimnis.«

»Glaube ich Ihnen alles, Herr Eisold, aber schließlich dürfen Sie Glühstrümpfe und Bücher nicht in einen Topf werfen«, bemerkte Wernicke, der, während der Leiter der Propagandaabteilung sprach, schon etwas ungeduldig auf der Tischplatte getrommelt hatte.

»Warum nicht, Herr Konsul? Ware ist Ware. Was ihr den Marktwert gibt, ist die Reklame. Glühstrümpfe, die nicht gekauft werden, sind wertloses Thoriumoxyd, Bücher, die nicht gehen, sind Makulatur.«

»Im Prinzip mögen Sie ja nicht so ganz unrecht haben, aber gegen eine derartig materialistische Auffassung sträubt sich mein Verlegergewissen. Wir Verlagsbuchhändler haben nun einmal die Pflicht, Idealisten zu sein. Aber, um auf die Waschzettelangelegenheit zurückzukommen: haben Sie denn wirklich für solche Arbeiten nur den Finkenstein? Ich meine, es könnte gar nicht schaden, wenn wir für derartige Zwecke noch eine zweite Kraft zur Verfügung hätten.«

»Finkenstein ist ein außerordentlich befähigter und dabei zuverlässiger Mensch. Er ist der einzige, der einen Waschzettel zu schreiben versteht, ohne das Buch vorher gelesen zu haben. Und das ist in eiligen Fällen sehr viel wert.«

»Wenn auch, Herr Eisold. Mit Finkenstein kann einmal etwas passieren, und dann sitzen wir da. Wenn ich nicht irre, sprach mir Herr Hennig vor einiger Zeit von einem recht brauchbaren jungen Mann, von dem er meinte, daß er sich uns ganz gern zur Verfügung stellen würde. Jedenfalls werde ich mit Hennig einmal darüber reden. Das wäre einstweilen alles. Ich danke Ihnen!«

Wenn Konsul Wernicke »ich danke Ihnen« sagte, so war das ein untrügliches Zeichen, daß er eine Unterredung als beendet ansah und nicht geneigt war, über deren Gegenstand noch ein weiteres Wort zu verlieren. Das wußte keiner besser als der in solchen Dingen ungemein feinfühlige Eisold, und deshalb zog er sich auch jetzt auf leisen Sohlen zurück, obgleich er für sein Leben gern noch ein kräftiges Wort über den Wert der wohlorganisierten Reklame und damit zugleich auch über seine eigene Bedeutung, aus der er nie ein Hehl machte, gesprochen hätte.

Ein neuer telephonischer Anruf zauberte den Prokuristen herbei. Wernicke begrüßte ihn um eine Note freundlicher als den Propagandamann, in dem er, so bereitwillig er dessen Geschäftseifer anerkannte, im Grunde doch nur einen Angestellten untergeordneten Ranges sah. »Haben Sie ein paar Augenblicke Zeit, Herr Hennig?« fragte er, und fuhr, ohne erst die Antwort abzuwarten, fort: »Ich möchte noch vor der Postkonferenz einige Sachen mit Ihnen besprechen. Zunächst einmal unsere Zeitschriften! Ich habe mir gestern von Nümbrecht die Auslieferungslisten geben lassen und mit Schrecken gesehen, daß bei allen beiden die Abonnentenzahl zurückgegangen ist. Woran liegt das?«

»Es ist eine Erscheinung, die sich gegen den Hochsommer hin alljährlich zeigt, Herr Konsul. Sehr bedeutend kann der Rückgang übrigens nicht sein.«

»Rückgang ist eben Rückgang. Darüber müssen wir uns klar sein. Bei der ›Monatsschrift für Feinmechanik‹ gebe ich zu, daß der Sommer uns ein paar hundert Abonnenten kosten kann, obschon man auch das zu verhindern suchen müßte, aber die ›Blätter für Kaninchenfreunde‹ sollten doch gerade in dieser Jahreszeit am meisten gelesen werden. Daß bei denen jetzt beinahe zweihundert Leser abgesprungen sind, ist kein gesunder Zustand.«

»Bei den ›Blättern‹ wird es wohl die Konkurrenz machen. Poppe legt sich für seinen ›Kaninchenzüchter‹ gewaltig ins Zeug.«

»Was Poppe kann, müssen wir auch können. Besprechen Sie die Angelegenheit freundlichst einmal mit Eisold. Er soll uns Vorschläge machen, wie wir an die kleinen Züchter auf dem platten Lande herankommen, besonders an die, die nicht zu Vereinen zusammengeschlossen sind. Vielleicht läßt sich an den ›Blättern‹ auch noch manches verbessern. Ich denke zum Beispiel an farbige Bilderbeilagen. Im Notfalle müßten wir uns einmal zu einem Preisausschreiben für die Abonnenten entschließen, obwohl so etwas eigentlich nicht nach meinem Geschmack ist. Sie verstehen mich hoffentlich, Herr Hennig: ich wünsche nicht, daß unsere Zeitschriften ins Hintertreffen geraten, gerade weil sie der Grundstock des Verlages sind, auf dem sich alles übrige aufgebaut hat. Haben Sie also die Güte, die Sache im Auge zu behalten. Es ist ja schon der Inserate wegen, die ja bisher eine ganz hübsche Rente abgeworfen haben. Und dann: Sie sprachen mir vor einigen Wochen von einem jungen Mann, den Sie mir zur Anfertigung von Waschzetteln und derartigen kleinen Arbeiten empfahlen. Könnten Sie sich mit ihm nicht einmal in Verbindung setzen?«

Hennig sann einen Augenblick lang nach. »Ach, Sie meinen jedenfalls Bolkenhahn, Herr Konsul!« sagte er. »Ein junger Mann ist der aber nicht mehr. Mindestens Mitte der Fünfziger.«

»Ist er Akademiker?«

»Nein, er kommt aus dem Buchhandel und lebt schon eine Reihe von Jahren als freier Schriftsteller. Mit seinen eigenen Büchern hat er nicht viel Glück gehabt, vermutlich, weil seine Begabung für größere Werke doch nicht ausreicht. Aber mit der Feder ist er recht gewandt, und, was für uns ja die Hauptsache ist, er weiß auch im Verlagsbetriebe Bescheid. Vormittags ist er in der Propagandaabteilung der Sächsischen Verlags-Anstalt beschäftigt, und nachmittags schreibt er Zirkulare und Waschzettel für andere Firmen, und zwar, je nach der Höhe des Honorars, in allen Abstufungen der ehrlichen Begeisterung.«

Wernicke lächelte. »Dann wäre dieser Herr Bolkenhahn wohl der rechte Mann für uns,« meinte er. »Eisold, der mir einreden will, er käme ganz gut mit seinem Doktor Finkenstein aus, und der offenbar die ganz unberechtigte Befürchtung hegt, es könne ihn jemand aus dem Sattel heben, will freilich keinen andern in seinen Kram hineinriechen lassen und wird sich auch Ihrem Schützling gegenüber ablehnend verhalten, aber darum brauchen wir uns nicht zu kümmern. Könnten Sie Bolkenhahn nicht einmal herbestellen?«

Hennig nahm den Hörer des Telephons, ließ sich durch die Zentrale mit der Sächsischen Verlags-Anstalt verbinden und bat, als der Anschluß hergestellt war, den Literaten an den Apparat. Nach wenigen Worten der Verständigung konnte er dem Chef berichten, daß sich Bolkenhahn um halb eins zu einer Besprechung einfinden werde.

Wernicke hatte inzwischen in einer der letzten Nummern des »Börsenblatts für den deutschen Buchhandel« geblättert. »Da zeigt Blumhardt eine zweite Auflage von ›Rehwald, Auf karger Scholle‹ an,« sagte er. »Ich dächte, es wäre noch gar nicht so lange her, daß das Buch als Novität erschienen ist. Es scheint einzuschlagen. Man sollte sich's doch einmal genauer ansehen.« Er griff zum Hörer. »Hier Wernicke. Bitte das Kommissionsgeschäft! – Herr Blau? – Ach, sagen Sie mal, da ist im Börsenblatt vom Mittwoch eine neue Auflage von ›Rehwald, Auf karger Scholle‹ angekündigt. Laufen denn Bestellungen darauf ein? – Jawohl, bei Blumhardt. Das Zirkular muß schon länger versandt sein. – So, es wird also gut bestellt. – Hauptsächlich nach Thüringen und – bitte wiederholen Sie noch einmal! – Russische Ostseeprovinzen. – Krüger in Dorpat zwei Partien bar? Schön! Das genügt mir. Ich danke Ihnen!« Er legte den Hörer wieder hin und wandte sich an Hennig. »Das Buch scheint in der Tat verlangt zu werden. Wollen uns doch gleich einmal über diesen Rehwald informieren!« Er schlug den Literaturkalender auf. »Im Kürschner steht er noch nicht. Also jedenfalls ein neues Talent. Wenn so einer sogar bei Blumhardt einschlägt, der doch, weiß Gott nicht viel Trara macht, so muß schon etwas daran sein. Was meinen Sie, Herr Hennig, man hätte eigentlich die Verpflichtung, für einen solchen hoffnungsvollen jungen Autor etwas zu tun? Bei Blumhardt, der bei seinen kleinen Auflagen natürlich keine hohen Honorare zahlen kann und in seinem Absatz ja mehr oder weniger auf den kleinen Kreis der ›Aurora‹-Leser beschränkt ist, kommt so einer ja doch auf keinen grünen Zweig. Wenn ich bestimmt darauf rechnen könnte, daß dieser Rehwald eine Zukunft hat, würde ich ihm ja gern ein Opfer bringen.«

»Er wird bei Blumhardt aber wohl in festen Händen sein, Herr Konsul«, bemerkte Hennig, der von Wernickes Absicht, dem Berufs- und Hausgenossen so ohne weiteres einen Autor abspenstig zu machen, durchaus nicht erbaut war.

»Glauben Sie doch das nicht, lieber Hennig! Ich weiß aus ganz zuverlässiger Quelle, daß Blumhardt mit seinen Autoren niemals Verträge macht. Er steht auf dem seltsamen Standpunkt, daß für Ehrenmänner eine einfache mündliche oder briefliche Abmachung hinreichend bindend sei, und daß jemand, der es darauf ablege, den andern übers Ohr zu hauen, auch durch die engsten Maschen eines Vertrages zu schlüpfen wisse. Sie sehen daraus, daß Blumhardt absolut kein Geschäftsmann ist, und daß er deshalb seinen Autoren auch nicht die geringste Garantie für eine rationelle Fruktifizierung ihrer Arbeit zu bieten vermag.«

»Mag sein. Trotzdem würde es mir im höchsten Grade widerstreben, wenn wir uns direkt an einen Blumhardtschen Autor wenden wollten.«

»Warum denn? Glauben Sie wirklich, so einer würde uns ein höheres Honorarangebot übelnehmen?«

Albrecht der Beherzte, der längst unruhig geworden war und seiner entschiedenen Mißbilligung der brüderlichen Realpolitik durch allerlei unartikulierte Laute Ausdruck verliehen hatte, schlug plötzlich, puterrot vor Zorn, auf die Tischplatte und rief mit seiner merkwürdig hohen und blechernen Stimme: »Das wäre einfach eine Gemeinheit!«

Der Konsul zog den Klemmer heraus, zwängte ihn hinter die Brille und sah bald Hennig, bald den Bruder mit grenzenlosem Erstaunen an. »Ja, Kinder, ich weiß gar nicht, was ihr nur habt!« sagte er. »Wenn mir einer ein Manuskript anbietet, bin ich doch auch nicht sicher, daß er nicht schon vorher damit bei Blumhardt oder Staackmann oder irgendeinem andern war. Soll ich denn alles an mich herankommen lassen? Soll ich rein gar nichts aus eigner Initiative unternehmen? Gewiß, Anstand ist eine sehr schöne Sache, die sich im Privatleben jeder leisten kann, der die Mittel dazu hat. Aber im geschäftlichen Leben ist sich jeder selbst der Nächste. Da gibt es keine Rücksichten. Ich bin ganz entschieden dafür, daß wir uns das Rehwaldsche Buch einmal kommen lassen. Ist was daran, und ist es für die große Masse nicht zu hoch und zu fein, so schreiben wir dem Mann, ob er nicht auch einmal etwas für uns hat. Sie haben wohl die Güte, Herr Hennig, und bestellen ein Exemplar auf Ihren Namen. Buchhändlerischen Angestellten liefert Blumhardt ja zur Probe mit fünfzig Prozent. Vielleicht sagen Sie den übrigen Herren, daß ich pünktlich um halb zehn zur Konferenz bitten lasse. Ich danke Ihnen.«

Hennig ging. Als die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, wandte sich Wernicke an seinen Bruder. »Hör' mal, Albrecht, eine so schroffe Kritik meiner Maßnahmen, wie du sie vorhin, und noch dazu in Gegenwart eines meiner Angestellten, beliebtest, möchte ich mir für die Zukunft doch nachdrücklich verbitten«, sagte er in beinahe väterlichem Tone.

»Das Recht, meine Meinung zu äußern, lasse ich mir nicht nehmen, Paul,« erwiderte das Männchen mit dem verhutzelten Kindergesicht, noch immer vor Erregung zitternd. »Wenn dir das nicht paßt, kannst du mich ja an die Luft setzen.«

»Ach was! Davon ist keine Rede. Du sollst nur nicht immer gleich mit einer Grobheit herausplatzen.«

»Da soll der Teufel nicht aus der Haut fahren, wenn du eine so niederträchtige Absicht äußerst! Diese Autorenausspannerei ist mir in der Seele zuwider. Pfui Spinne noch einmal! Aber seit du die sechs Wochen in Amerika warst, bist du vollkommen zum Amerikaner geworden und bildest dir noch etwas darauf ein, daß du mit deiner brutalen Rücksichtslosigkeit kleinere Existenzen ruinierst.«

»Übertreibe doch nicht immer, Albrecht! Ich denke gar nicht daran, den kleinen Verlegern die Existenzberechtigung abzusprechen. Im Gegenteil, diese Leute haben meiner Meinung nach eine ganz bestimmte Kulturaufgabe zu erfüllen, die darin besteht, daß sie uns Großen die Wege bahnen. Wir, die wir auf den Druck von Massenauflagen angewiesen sind, können unmöglich das Risiko übernehmen, einen noch völlig unbekannten Autor einzuführen. Das muß dem Idealismus der Kleinen vorbehalten bleiben, die ja weder geneigt noch dazu befähigt sind, große Geschäfte zu machen, sondern sich durch einen gelegentlichen moralischen Erfolg vollauf für ihre Arbeit entschädigt sehen. Und was deine Bemerkung über Amerika betrifft, so muß ich allerdings sagen, daß einer, der Augen und Ohren aufmacht, da drüben in sechs Wochen mehr lernen kann als hier in zwanzig Jahren.«

Der Zwerg lachte ingrimmig. »Das sieht man freilich,« erwiderte er. »Es fragt sich nur, ob deine amerikanische Weisheit für uns das Richtige ist. Du hast längst aufgehört, Verleger zu sein, du bist Bücherfabrikant geworden. Ob die Bücher, die du herausbringst, gut oder schlecht sind, danach fragst du nicht. Die Aussicht auf den finanziellen Erfolg ist für dich einzig und allein bestimmend.«

»Selbstverständlich! Was sollte es denn sonst sein? Verlangst du etwa, daß ich mir das Lager mit Makulatur vollstopfen soll? Wenn man Geschäftsmann ist, will man doch Geld verdienen, und zwar so viel, wie nur irgend möglich. Wie man das macht, ist völlig Nebensache.«

»Schön, daß du das eingestehst! Wie reimt sich aber damit zusammen, daß du bei jeder Gelegenheit von deiner hohen Kulturaufgabe redest?«

»Na, erlaube mal, Albrecht, ist denn das etwa keine Kulturaufgabe, Hunderten von Angestellten und Arbeitern einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu schaffen? Du freilich, der du einfach deine Kontorstunden absitzest und dann sorgenlos nach Hause gehst, hast keine Ahnung davon, was dazu gehört, einen Betrieb wie den unsrigen im Gange zu erhalten und, was die Hauptsache ist, ihn auch weiterzuentwickeln. Ich habe längst erkannt, daß auch das Verlagsgeschäft nach Industrialisierung drängt, und arbeite seit Jahr und Tag an einem Plane, wie sich diese unabweisbare Forderung des Zeitgeistes auf der Grundlage der gegebenen Verhältnisse erfüllen läßt. Ich werde voraussichtlich schon bald in der Lage sein, dir Näheres darüber mitzuteilen.«

»Kann mir schon denken, worauf deine Absicht hinausläuft. Wenn du selbst schon von Industrialisierung redest, dann muß ich allerdings das Schlimmste befürchten. Da werde ich wohl kaum mehr mittun können.«

»Das mußt du selbst am besten wissen. Ich halte dich nicht, wenn es dir bei mir nicht mehr gefällt. Wir sind ja glücklicherweise nicht miteinander verheiratet. Ich empfehle dir nur: laß dich durch deine Oppositionslust nicht zu einem unüberlegten Streiche hinreißen. Ein Mensch, der so wenig repräsentabel ist wie du, findet nicht so leicht eine andere Stelle.«

Dem Kleinen trat eine Blutwelle ins Gesicht. Jede Bemerkung über sein unvorteilhaftes Äußere traf ihn wie ein Peitschenhieb, besonders, wenn sie von seinem Bruder ausging, der einen solchen Hinweis gewöhnlich als letzten Trumpf ausspielte. »Ob ich eine Stelle finde oder nicht, das ist meine Sache,« krächzte er im höchsten Diskant. »Jedenfalls habe ich's satt, mich von dir als dummen Jungen behandeln zu lassen. Das merk' dir gefälligst!«

Konsul Wernicke zuckte die Achseln und setzte sich mit einem nachsichtigen Lächeln wieder an den Schreibtisch. Die Drohung des Bruders, er werde seine Tätigkeit im Hause Wernicke und Kompanie aufgeben, machte, da sie das Ende jeder Auseinandersetzung zu sein pflegte, schon längst keinen sonderlichen Eindruck mehr auf ihn.

Pünktlich um halb eins fand sich Herr Bolkenhahn ein und wurde durch Hennig dem Konsul vorgestellt. Es war ein etwas ungepflegt aussehender großer und grobknochiger Mann mit gebeugtem Rücken und schwerfälligen Bewegungen.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, daß Sie sich herbemüht haben,« sagte Wernicke, indem er sich auf einen der Klubsessel niederließ und den Besucher durch eine Handbewegung aufforderte, ebenfalls Platz zu nehmen. »Ich weiß nicht, ob Ihnen mein Prokurist schon angedeutet hat, worum es sich handelt?«

»Es war von Waschzetteln die Rede«, erwiderte der Literat, mit den Fingern auf seine Knie trommelnd.

»Ich setze voraus, daß Ihnen Arbeiten dieser Art liegen, und daß Sie Lust und Zeit haben, uns Ihre schätzbare Kraft zu widmen.«

»Mir liegt alles, was von mir verlangt wird«, versicherte Bolkenhahn mit einem schwachen Versuch, zu lächeln.

»Sehr schön. Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß wir an solche Propagandamittel ganz bestimmte Anforderungen stellen.«

»Und die wären –?«

»Erstens darf der Text nicht zu lang sein –«

»Natürlich! Sonst druckt die Presse den Wisch nicht ab oder streicht gerade die Stellen, auf die es ankommt.«

»Sehr richtig! Sodann sollen die Waschzettel als ernsthafte Kritiken frisiert werden. Das Buch als Ganzes muß selbstverständlich in den höchsten Tönen gelobt werden, aber irgendeine belanglose Einzelheit ist zu beanstanden.«

»Verstehe vollkommen. Solche kritischen Waschzettel sind ja in den Zeitungen auch leichter unterzubringen als nackte Lobhudeleien.«

»Endlich legen wir besonderen Wert darauf, daß jeder Text seine individuelle Note hat. Mit Schablonenarbeit ist uns nicht gedient.«

Bolkenhahn seufzte. »Auch darüber dürfen Sie beruhigt sein,« sagte er. »Ich verfüge über die ganze Skala von der trocken-sachlichen Anerkennung bis zum glühendsten Enthusiasmus.«

»Was meinen Sie, Herr Hennig,« wandte sich Wernicke an seinen Prokuristen, »das beste wäre doch wohl, wir bäten Herrn Bolkenhahn, uns zunächst einmal eine Probearbeit zu liefern? Ich denke da an unsere erste Herbstnovität, die ›Badebekanntschaften‹.«

»Ich werde gleich ein Exemplar in Aushängebogen bestellen«, erwiderte Hennig, während er zum Telephon griff.

»Ein Roman?« fragte Bolkenhahn.

»Nein, ein Novellenband. Von Gustav Sartorius.«

»Sartorius?« Bolkenhahn wiederholte den Namen unter allen Anzeichen peinlicher Überraschung.

»Sie kennen Sartorius wohl schon?«

»Allerdings, und nicht gerade von der angenehmsten Seite. Er hat einmal ein Buch von mir im ›Literarischen Beobachter‹ fürchterlich heruntergerissen.«

»Da werden Sie ihm gegenüber wohl etwas befangen sein?« meinte der Konsul.

»Durchaus nicht. Wenn ich dafür bezahlt werde, lobe ich alles, sogar die Werke von Leuten, denen ich am liebsten den Hals umdrehen möchte. Es scheint nun einmal mein Schicksal zu sein, gerade den Autoren, die mir in der Seele zuwider sind, zum Erfolge zu verhelfen. Haben Sie im letzten Börsenblatt gelesen, daß die Verlags-Anstalt das achtzigste bis neunzigste Tausend von Holzbauers ›Großstadtmärchen‹ anzeigt? Das verdankt Holzbauer nur dem von mir geschriebenen Waschzettel, den so ziemlich die ganze Presse abgedruckt hat. Und dieser Mensch hat es zu hintertreiben gewußt, daß Wilkens und Schubert, bei denen er damals als literarischer Beirat tätig war, meinen zweibändigen Roman ›Tantalidenlos‹ akzeptierten! Man gewöhnt sich ja nachgerade an solche Dinge, aber sein ganzes Leben im Interesse anderer schuften zu müssen, ist wirklich kein Vergnügen.« Er war in Erregung geraten und fuchtelte während des Sprechens mit seinen großen Händen beängstigend lebhaft in der Luft herum.

»Ja, lieber Herr, glauben Sie denn, es sei für mich ein Vergnügen, jedes Jahr ein paar Dutzend Bücher auf den Markt zu werfen?« fragte Wernicke kühl. »Haben Sie eine Ahnung davon, welche Kämpfe ich mit meinem Personal, mit Papierhändlern, Sortimentern, Konkurrenz und Kritik zu bestehen habe? Wenn ich meine persönlichen Gefühle sprechen lassen dürfte, hätte ich mich längst zur Ruhe gesetzt. Aber ich kenne meine Pflicht und harre tapfer auf meinem Posten aus. Und ich darf sagen: das Bewußtsein, eine hohe Kulturaufgabe erfüllen zu müssen, gibt mir die Kraft dazu. Kämpfen müssen mir eben alle.« Wie er so dasaß, wenn auch nicht gerade marmorschön, so doch marmorkalt, machte er durchaus den Eindruck eines Mannes, der aus tiefster Überzeugung redet, und zugleich den eines Märtyrers, der weiß, wofür er leidet, und der sich mit seinem Lose abgefunden hat.

Bolkenhahn, ein ganz und gar unkritisch angelegtes Gemüt, streifte ihn mit einem Blick scheuer Bewunderung. Aber der Konsul, der schon wieder an andere Dinge dachte, und für den die Unterredung mit dem literarischen Kärrner längst beendet war, nahm keine Notiz davon, sondern erhob sich und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Als der Mann aber auch dann noch sitzenblieb, wandte sich ihm Wernicke noch einmal zu und sagte: »Wir haben uns doch recht verstanden, Herr Bolkenhahn? Herr Hennig wird Ihnen draußen im Hauptkontor die Aushängebogen geben, und Sie haben dann wohl die Güte, uns den Waschzettel so bald als möglich zu senden. Es sollte mich freuen, wenn eine dauernde Verbindung zwischen uns zustande kommen würde. Ich danke Ihnen.«

Bolkenhahn war nicht so feinfühlig, daß er einen so deutlichen Wink, er könne sich nun verabschieden, übelgenommen hätte. Im Gegenteil: Wernicke hatte ihn mit seinem selbstsichern Auftreten und seiner kühlen Verbindlichkeit so stark für sich eingenommen, daß er dem Prokuristen, während ihm dieser an seinem Pulte die Bogen einwickelte, ein ums andremal versicherte, es müsse doch ein wahres Vergnügen sein, unter einem Chef von so vornehmer Gesinnung zu arbeiten.


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