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Achtzehntes Kapitel

Die Übersiedlung der Firma Friedrich Ambrosius Blumhardt in die an der Inselstraße gelegenen bescheideneren neuen Räume war nahezu beendet. Hans Hennig, der junge Chef, saß an dem Mahagonitisch, der so manches Jahrzehnt die Akademie der »Aurorafalter« um sich versammelt hatte, und betrachtete mit stiller Freude die schlichtvornehmen alten Einrichtungsgegenstände, mit denen ein Stückchen guter Verlegerüberlieferung in das neue, anfänglich so wenig anheimelnde Geschäftsquartier eingezogen war. Da hingen an den Wänden, ganz ähnlich angeordnet wie in der Erasmus-Reich-Straße, die Bildnisse der meist schon vergessenen Verlagsautoren und Geschäftsfreunde; da tickte auf ihrem Wandbrett wieder leise die Empireuhr, die beinahe ein Jahrhundert lang die heiteren und die trüben Stunden des Hauses mit ihrem hellen, langsam verklingenden Schlage begrüßt hatte. Da standen auch schon die beiden Bücherschränke aus Kirschbaumholz mit den Palisandereinlagen, den Bronzebeschlägen und den ein wenig verschossenen Ripsgardinen. Einstweilen waren sie noch leer, aber bald mußten sich ihre Fächer wieder füllen, denn Bölte war mit dem Karren unterwegs, um als letzte Fuhre die Geschäftsbibliothek mit den vielen Nachschlagewerken und Wörterbüchern und den schön in dauerhafte Halbfranzbände gebundenen Handexemplaren der Blumhardtschen Verlagswerke abzuholen.

Und genau so, wie sie es drüben so viele Jahre getan hatten, nur ein wenig näher aneinandergerückt, so daß seitwärts von ihnen noch ein beträchtlicher Raum freiblieb, sahen von der einen Schmalwand des Privatkontors die beiden alten Herren mit den Vatermördern und weißen Binden aus ihren Goldrahmen auf den Arbeitsplatz des Nachfahren hinab, aber man hatte das Gefühl, als müßten sie verwunderte Augen machen, weil sie statt des weißhaarigen Sohnes und Enkels einen Fremden erblickten, der jung und blond war und keineswegs verträumt in die Welt schaute.

Die Arbeit ging dem neuen Herrn freilich heute noch nicht so recht von der Hand. Er mußte sich erst an die veränderte Umgebung gewöhnen, und vor allem an die Wandlung vom Angestellten zum Prinzipal, die sich soeben mit ihm vollzogen hatte. Immer und immer wieder stand er auf, trat ans Fenster, um auf die Straße und in das verschneite Vorgärtchen hinauszusehen, rückte ein Möbel anders, kramte in dem schmucklosen Kassenschrank, der vorläufig nur die Geschäftsbücher und einige, von Blumhardt schon vor längerer Zeit erworbene Buchmanuskripte beherbergte, und freute sich, wenn Hunger erschien und sich, noch etwas zurückhaltend, in dieser oder jener Angelegenheit Weisungen von ihm erbat. Und als nun der alte Markthelfer mit der Bibliothek anrückte und Stoß auf Stoß vor den Schränken auf den Boden stellte, betrachtete es der junge Chef als eine willkommene Aufgabe, die Bücher selbst zu ordnen und einzuräumen.

Bölte half ihm dabei und lieferte beinahe zu jedem Handexemplar eines Verlagswerkes, das er ihm zureichte, eine Erläuterung, die gewöhnlich mit den Worten schloß: »Das war auch ein Reinfall. Und wir hatten uns goldene Berge davon versprochen.«

Als alle Bücher an ihrem Platze standen, betrachtete Hennig nachdenklich das leere Gestell, auf dem die sechsundsiebzig Jahrgänge der »Aurora«, jeder in vier Quartalsbänden, untergebracht gewesen waren.

»Schade, daß Sie noch nicht verheiratet sind, Herr Hennig!« meinte Bölte gemütlich, »das wäre so etwas für die Speisekammer. Da könnte Ihre liebe Frau die Gläser mit dem Eingemachten und die Töpfe mit den sauern Gurken draufstellen.«

»Stimmt! Aber da ich keine Frau und mithin auch keine sauern Gurken habe, müssen wir schon zusehen, ob sich das Ding nicht auch noch anders verwenden läßt«, erwiderte der junge Chef heiter.

»Was nicht ist, kann noch werden,« sagte der Alte, »so was kommt manchmal rasch. Alle Wege führen zum Standesamt, und heute rot, morgen verheiratet.«

»Nun, ich denke, das liegt für mich noch in weiter Ferne, lieber Bölte. Einstweilen wollen wir einmal die Briefordner und die Kasten mit den Papierproben auf das Regal stellen, und dann müssen die Mappen, worin wir von jetzt an die Besprechungsbelege sammeln werden, doch auch einen Platz haben.« Und so wurde das Gestell seiner neuen Bestimmung überwiesen, obwohl sich der alte Markthelfer innerlich dagegen auflehnte, weil das Privatkontor, das früher immer »wie ein Studierzimmer« ausgesehen hatte, durch diese Veränderung einen etwas geschäftsmäßigen Anstrich erhielt.

Ein schmaler, einfenstriger Raum unmittelbar daneben war als Schreib-, Telephon- und Anmeldezimmer eingerichtet worden. Hier saßen Fräulein Scholz und Drillhose, die Hennig ebenfalls mit übernommen hatte. Da es fürs erste noch nicht viel zu schreiben und zu telephonieren gab, und die Besucher, die man hätte anmelden können, sich auch nicht gerade drängten, hatte sowohl die Tippdame wie der heimliche Dichter Muße, die neue Arbeitsstätte nach ihrem persönlichen Geschmack herzurichten. Fräulein Meta schlug einen Nagel in die Wand, an dem ein kleiner Spiegel hängen sollte, und Drillhose, der sich eines stark entwickelten Schönheitssinns erfreute, beklebte die Innenseite seines Pultdeckels mit den einer illustrierten Zeitschrift entnommenen Bildnissen einiger Kinosterne und schnitt dann sehr umständlich aus Pappe einen Ring, der verhüten sollte, daß das Veilchensträußchen, das ihm von einer seiner vielen Freundinnen zum Umzuge verehrt worden war, auf Nimmerwiedersehen in der viel zu weithalsigen Blumenvase verschwand. »Was meinen Sie, Fräulein Meta, ob ich unserm neuen Alten, der doch gewiß für moderne Literatur mehr Verständnis als Blumhardt hat, einmal meinen ›Titanensturz‹ anbiete? Natürlich unter einem andern Titel und selbstverständlich wieder unter einer Deckadresse?« fragte er.

»Warum nicht? Es kostet ja bloß das Porto«, erwiderte die junge Dame ziemlich gleichgültig, während sie in den Spiegel sah und ein paar widerspenstige Löckchen zurechtstrich.

»Das Porto macht mir keine Sorgen, aber glauben Sie wirklich, daß Hennig imstande ist, den Leitgedanken meines Romans zu kapieren? Allzuviel traue ich ihm nämlich nicht zu. Als ich ihn vorige Woche in seiner Wohnung besuchte, las er gerade Storm. Denken Sie: Storm! Das ist doch auch ein überwundener Standpunkt.«

Fräulein Scholz zuckte die Achseln. »Ich kenne den neuen Chef noch zu wenig und weiß nicht, ob er für Ihre Kunst schon reif ist. Aber sagten Sie nicht damals, daß Sie das Manuskript Cotta anbieten wollten?«

»Gott ja, an Cotta habe ich freilich gedacht, aber nach reiflicher Überlegung schien es mir doch richtiger, mich mit dieser Firma nicht einzulassen. Beim Namen Cotta denkt jeder an Goethe und Schiller, die ja auch einmal ihre literarische Daseinsberechtigung hatten, nun aber doch längst überholt sind. Es kann für einen jungen Autor unmöglich vorteilhaft sein, sich den Cottaschen Greifen gewissermaßen als ein Kainszeichen auf die Stirn drücken zu lassen. Was bei Cotta erscheint, wird vom Publikum zur klassizistischen Richtung gerechnet, und das wäre mir im höchsten Grade fatal. Ich bin durch und durch ein Moderner, und wenn mein Talent vielleicht auch nicht übermäßig groß ist, so darf es doch auf jeden Fall Anspruchs darauf erheben, für originell gehalten zu werden.«

»Ich glaube, was Cotta anlangt, so sind Ihre Bedenken doch überflüssig. Drillhose und Goethe wird so leicht niemand miteinander verwechseln«, meinte Fräulein Scholz trocken.

»Das glaube ich ja auch nicht, aber man muß es schon zu vermeiden suchen, daß man mit den alten braven Herren überhaupt in einen Topf geworfen wird,« erklärte der Jüngling, dem der Spott der Tippdame gar nicht zum Bewußtsein gelangt war, mit großer Bestimmtheit. »Ich habe persönlich gegen Goethe gar nichts. Im Gegenteil, ich erkenne seine starke Begabung rückhaltlos an. Den ›Weither‹, den ›Götz‹ und den ›Urfaust‹ würde ihm auch unsereiner nicht so leicht nachmachen. Darin liegt Schmiß. Aber als er nach Weimar kam und sich zum Geheimderat ummauserte, war es mit ihm vorbei; von diesem Augenblick an hat er nichts von Bedeutung mehr geschrieben. Nehmen Sie einmal den ›Tasso‹ oder die ›Iphigenie‹. Das sind doch weiter nichts als Sammlungen von Stammbuchversen. Oder ›Hermann und Dorothea‹ – was ist das anders als das Hohelied des satten Kleinstadtphilistertums? Und nun erst seine sogenannten Romane! Du lieber Himmel, der gute Mann hatte doch keine blasse Ahnung davon, was man unter einem Roman versteht!«

Dem armen Johann Wolfgang wäre es wahrscheinlich noch viel übler ergangen, wenn in diesem Augenblick nicht Fräulein Hilde Blumhardt erschienen wäre und nach Herrn Hennig gefragt hätte. Drillhose meldete sie und ließ sie in das Privatkontor eintreten. »Haben Sie's bemerkt, Fräulein Meta, sie sieht heute schon wieder viel besser aus. Sie scheint die Sache überwunden zu haben«, sagte er.

»Das macht die Kälte draußen. Da hat sie lebhaftere Farben. Übrigens ist es mir schnuppe, wie sie aussieht; ich möchte bloß wissen, was sie hier noch zu suchen hat. Wenn sie nur nicht auf den Gedanken gekommen ist, sich um eine Stelle bei uns zu bewerben! Hennig wäre imstande, sie zu nehmen. Das könnte uns gerade noch fehlen. Wir wissen ja selbst nicht, wie wir die Zeit totschlagen sollen.«

»Ach was! Sie denkt gar nicht daran, eine Stelle anzunehmen; sie zeigt doch in den ›Nachrichten‹ fortwährend an, daß sie Malstunden gäbe.«

»Weshalb nimmt sie denn bei Chapison einen Abendkurs in Stenographie und Schreibmaschine mit?«

»Tut sie das wirklich? Woher wollen Sie das wissen, Fräulein Meta?«

»Von meiner Cousine, die sie schon ein paarmal getroffen hat.«

»Ihre Cousine? Ist das die schlanke Blondine, die bei Riquet Verkäuferin war?«

»Nein, die nicht. Eine andere. Die Jüngste von meiner Tante in Volkmarsdorf. Sie hat bis jetzt zu Hause die Wirtschaft gemacht, aber Ostern will sie auch ins Geschäft gehen.«

»Von der haben Sie ja wohl noch nie was erzählt. Ist sie hübsch?«

»Es geht an. Aber sie ist ein gutes, lustiges Mädel.«

»Das ist schließlich die Hauptsache. Können Sie mich nicht einmal mit ihr bekanntmachen, Fräulein Meta?«

»Weshalb nicht? Wenn Sie Sonntag früh auf den Johannaparkteich kommen, bringe ich die Kleine mit.«

»Da wäre ich Ihnen dankbar. Sie wissen ja: als Dichter kann man gar nicht genug Frauen kennen lernen.«

»Versteht sich, Herr Drillhose. Wenn ich Sie mit meiner Cousine zusammenbringe, so tu' ich's auch nur im Interesse der deutschen Literatur. Aber nun halten Sie gefälligst einmal Ihren Mund; man muß doch hören, was die beiden da drinnen verhandeln.«

Das war nun freilich nichts, was Fräulein Scholz in ihrem Verdacht hätte bestärken können, daß die Tochter des bisherigen Firmeninhabers gesonnen sei, sie um Amt und Brot zu bringen.

»Es wäre für Vater doch ein wenig schmerzlich gewesen, Ihre Fragen alle mit wünschenswerter Ausführlichkeit schriftlich zu beantworten, Herr Hennig,« sagte Hilde. »Deshalb hat er mich gebeten, Ihnen, so gut ich's vermag, mündliche Auskunft zu geben. Ich habe Ihren Brief mitgebracht, den Vater mit einer Anzahl kurzer Randbemerkungen versehen hat. Wenn es Ihnen recht ist, halten wir die durch Ihr Schreiben gegebene Reihenfolge der einzelnen Punkte inne.« Sie hatte ihrem Handtäschchen den Brief entnommen und breitete ihn vor sich aus.

»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie sich in dieser Angelegenheit selbst bemühen, Fräulein Hilde. Eine mündliche Besprechung wird auch am schnellsten zum Ziele führen. Daß Sie über die Verlagssachen kaum weniger unterrichtet sind als Ihr Herr Vater, weiß ich ja am besten. Wie ich aus den den Manuskripten beiliegenden Zetteln ersehe, haben Sie die Arbeiten ja alle gelesen und sehr eingehend beurteilt. Das ist mir überaus wertvoll, denn ich werde zunächst nicht so bald dazu kommen, mich in die Handschriften zu vertiefen. Irgendwelche Verlagsverträge oder sonstige schriftliche Abmachungen mit den Verfassern sind wohl gar nicht vorhanden?«

»Nur, soweit so etwas in der Korrespondenz niedergelegt worden ist. Es war eine Eigentümlichkeit von Vater, daß er von Verträgen nichts hielt. Er war der Ansicht, daß mündliche Vereinbarungen unter anständigen Menschen genau so bindend sein müßten wie Verträge.«

»Dieser Grundsatz macht seiner Gesinnung und seinem Glauben an die Menschheit Ehre, aber kaufmännisch ist er nicht, Fräulein Hilde. Auf das eigene und anderer Leute Gedächtnis soll sich niemand verlassen, ganz abgesehen davon, daß kein Mensch ewig lebt, und daß es für die Rechtsnachfolger der Vertragschließenden zu wissen wichtig ist, welche Rechte und Pflichten auf sie übergegangen sind.«

»An seinen Tod oder an den Übergang des Geschäftes in andere Hände hat Vater wohl nie gedacht,« sagte das junge Mädchen mit wehmütigem Lächeln. »Er glaubte, es müsse immer so weitergehen. Und wenn einmal einer der Autoren starb, so zeigte sich Vater dessen Erben gegenüber weit über seine Verpflichtungen hinaus entgegenkommend, so daß nie ernstliche Meinungsverschiedenheiten eingetreten sind.«

»Das glaube ich Ihnen gern, Fräulein Hilde. Aber so ideal ein solches Verhältnis zwischen Verleger und Autoren, vom rein menschlichen Standpunkte betrachtet, auch erscheinen mag, so wenig vorbildlich kann es für mich als Geschäftsmann sein. Meiner Überzeugung nach hat nur das Unternehmen Aussicht auf Erfolg, bei dem in allen Stücken die peinlichste Ordnung, die denkbar größte Übersichtlichkeit herrschen. Im Zweifelsfalle muß ein Blick in die Geschäftsbücher oder in die Mappe mit den Verlagsverträgen genügen, um über diesen oder jenen Punkt Klarheit zu verschaffen. Alle Beziehungen zu Autoren, Papierlieferanten, Buchdruckern, Buchbindern und Sortimentern müssen bis in alle Einzelheiten so genau geregelt sein, daß Zweifel und Meinungsverschiedenheiten überhaupt nicht aufkommen können. Das ist es, was ich unter einer geordneten Geschäftsführung verstehe.«

»Hätte es Vater nur auch darunter verstanden!« sagte Hilde leise. »Vielleicht wäre ihm dann der große Kummer erspart geblieben. Sein Fehler war, daß er ganz in den Redaktionsarbeiten aufging und sich um das Geschäftliche so wenig wie möglich kümmerte. Jetzt ist er nun wieder todunglücklich darüber, daß die ›Aurora‹ vom Verlag abgetrennt und nach Berlin verkauft worden ist. Er meint, Sie hätten sich die Zeitschrift unter keinen Umständen entgehen lassen dürfen, denn sie sei das Rückgrat des ganzen Verlags gewesen.«

»Ihr Herr Vater sieht die Sache doch wohl zu ausschließlich vom Standpunkte seiner persönlichen Liebhaberei an,« erwiderte Hennig. »Als ich mit Nürnberger in Verbindung trat, war über die Zeitschrift ja schon verfügt, aber auch, wenn sie noch zu haben gewesen wäre, hätte ich darauf verzichtet oder doch wenigstens ihrethalben keinen wesentlich höheren Kaufpreis für die Firma bieten können. Ich unterschätze die literarische Bedeutung der ›Aurora‹ durchaus nicht, aber den Luxus eines für einen so engbegrenzten Leserkreis bestimmten periodischen Unternehmens, bei dem in den sechsundsiebzig Jahren seines Bestehens immer bares Geld zugesetzt worden ist, kann ich mir leider nicht leisten.«

Sie kamen nun auf die Fragen zu sprechen, die Hennig an Blumhardt gerichtet hatte. Hier erwies sich Hilde in der Tat als sehr genau unterrichtet, und wie sie die einzelnen Arbeiten nach Inhalt, Tendenz und Schreibweise klar und treffend zu charakterisieren verstand, so wußte sie auch über die Beziehungen ihres Vaters zu den Verfassern, über die vereinbarten Bedingungen und über die Ursachen der Druckverzögerung erschöpfende Auskunft zu geben. Hennig machte sich eifrig Notizen, und nach fast zweistündiger gemeinsamer Arbeit hatte er die Grundlagen seines Verhältnisses zu den mit dem Blumhardtschen Verlag übernommenen Autoren in knapper und unzweideutiger Fassung zu Papier gebracht.

Nachdem das Geschäftliche erledigt war, erkundigte er sich nach Hildens künstlerischer Tätigkeit.

»Zwei Schülerinnen habe ich glücklich, und die eine der jungen Damen wird mir höchstwahrscheinlich auch noch eine ihrer Freundinnen zuführen,« berichtete sie. »Wenn es mit dem Verkauf der eigenen Bilder nur ein wenig besser aussähe! Von den sechs Landschaften, die bei Del Vecchio ausgestellt sind, bin ich erst eine losgeworden, natürlich die billigste. Ich habe deshalb angefangen, Bildnisse zu malen, und hoffe, damit mehr Erfolg zu haben. Meine Freundin Lotte Winckler, die Sie ja kennen, hat mir zu einem Bruststück gesessen, und da das Bild nicht übel geraten ist, will sich nun auch Frau Justizrat Härtel von mir porträtieren lassen.«

»Das ist immerhin ein hübscher Anfang, und daß Sie so vielseitig sind, scheint mir ein Beweis für die Stärke Ihres Talentes zu sein«, meinte Hennig.

»O ja, an meinem Talent zweifle ich nun nicht mehr, aber ich merke täglich aufs neue, wieviel ich noch zu lernen habe. Und dann: das Bildnismalen ist viel anstrengender als das Landschaftern. Es gehört eine ganz andere geistige Sammlung dazu. Wenn ich anderthalb bis zwei Stunden an einem Porträt gearbeitet habe, bin ich schachmatt und muß, um mich geistig zu erholen, ein gutes Buch zur Hand nehmen.«

Der junge Chef der Firma Blumhardt deutete auf die leere Stelle neben den Bildnissen von Hildens Großvater und Urgroßvater. »Wäre es nicht eine dankbare Aufgabe für Sie, mir zur Vervollständigung dieser kleinen Galerie meiner Vorgänger auch das Porträt Ihres Herrn Vaters zu liefern?« fragte er. Und als ihn das junge Mädchen ein wenig ungläubig ansah, fuhr er fort: »Es ist mein voller Ernst, Fräulein Hilde. Ich möchte meinem Entschluß, auf den guten alten Überlieferungen des Hauses Blumhardt weiterzubauen, auch einen sichtbaren Ausdruck geben. Deshalb habe ich darauf bestanden, daß ich mit dem Geschäftsinventar auch die beiden Kopien dort erhielt, und deshalb würde ich großen Wert darauf legen, daß neben den Bildnissen der beiden alten Herren auch das Ihres Herrn Vaters diesen Raum schmückte.«

Sie machte aus ihrem Erstaunen kein Hehl. »Ihren Auftrag nehme ich natürlich mit Dank an und werde ihn mit besonderem Vergnügen ausführen, vorausgesetzt, daß Vater keinen Einspruch dagegen erhebt,« sagte sie. »Er ist nämlich manchmal in seinen Entschlüssen unberechenbar, namentlich jetzt, wo es ihm an einer geregelten Tätigkeit fehlt, und wo er sich und andere mit einer Verdrießlichkeit plagt, die ihm sonst ganz fremd war. Aber, Herr Hennig, gedenken Sie wirklich, auf den alten Traditionen weiterzubauen, obgleich sich diese, wie der Konkurs bewiesen hat, doch nicht bewährt haben?«

»Wenn ich die ganze Richtung des Verlages nicht für durchaus gesund hielte, würde ich mich zur Übernahme des Geschäftes nicht entschlossen haben,« erklärte er. »Meiner Überzeugung nach war nur die Art, wie das Geschäft in den letzten Jahren betrieben worden ist, nicht die richtige. Sie war zu wenig kaufmännisch, wie die von Wernicke und Kompanie zu wenig buchhändlerisch im guten alten Sinne ist. Das Richtige scheint mir in der Mitte zu liegen. Ihr Herr Vater sah nur auf die Qualität der Bücher und scheute weder Opfer noch Muhe, um gute Autoren zu gewinnen. Aber damit glaubte er, soweit ich mir jetzt schon ein Urteil erlauben darf, genug getan zu haben. Als Optimist rechnete er darauf, daß sich das Gute von selbst Bahn breche. Das ist ein Irrtum. Gute Bücher bedürfen der Fürsorge für ihre Verbreitung noch mehr als schlechte oder mittelmäßige, denn die Zahl der Leser, denen ein geläuterter Geschmack und das nötige Verständnis für ernstzunehmende Literatur zu Gebote stehen, ist natürlich viel, viel kleiner als die der Halbgebildeten, die sich durch vielversprechende Titel bestechen lassen. Ich habe mir vorgenommen, nur wenige Bücher herauszubringen, von deren Wert ich vollkommen überzeugt bin, diesen wenigen aber mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu der verdienten Anerkennung und damit auch zu einer weiten Verbreitung zu verhelfen. Reklame läßt sich auch für das Gute nicht vermeiden, sie muß jedoch in vornehmer Form auftreten, denn durch alles Marktschreierische werden gerade die Kreise, auf deren Interesse man rechnet, abgestoßen. Wir Verleger befinden uns ja in einer ganz eigentümlichen Lage. Wir sind recht eigentlich Leute, auf die das Bibelwort von denen, die da zween Herren dienen, gemünzt zu sein scheint.«

»Daran habe ich immer denken müssen, wenn ich zwischen der Minerva und dem Merkur an der Einfahrt zum alten Geschäftslokal hindurchging,« bemerkte Hilde heiter. »Beide Gottheiten teilen sich in das Patronat über den Buchhandel, aber es sieht so aus, als ob sie sich nicht zum besten miteinander vertrügen. Jedenfalls wacht jede von ihnen eifersüchtig darüber, daß der Altar der andern nicht mit reicheren Opfern bedacht wird als der eigene. Und geschieht es doch, so nehmen sie furchtbare Rache. Das hat mein armer Vater zu seinem Schaden erfahren müssen.«

»Ihre Deutung der steinernen Figuren hat etwas für sich, Fräulein Hilde. Aber ich glaube, der innere Zwiespalt, an dem jeder Verleger krankt, liegt noch tiefer. Wir sollen der Allgemeinheit dienen und doch, da wir wie alle andern Geschäftsleute mit unserm Pfunde wuchern müssen, auf den eigenen Vorteil bedacht sein, das heißt also, wir sollen uns zugleich zum Idealismus und zum Materialismus bekennen. Das geht beinahe über die menschliche Kraft. Ein Schritt vom Wege nach rechts oder links kann in den Abgrund führen. Man darf getrost behaupten, daß sich der Beruf des Verlegers von dem des Seiltänzers nicht wesentlich unterscheidet.«

»Und doch haben auch Sie sich auf das Seil gewagt, Herr Hennig?«

»Auch die Gefahr hat ihre Reize. Man muß es eben wie der Seiltänzer machen, der einen bestimmten Punkt fest ins Auge faßt und furchtlos auf dieses Ziel losstrebt. Hat man ein solches Ziel, dann wird man nicht so leicht straucheln und ist gegen die Versuchung gefeit, einseitig entweder am Idealismus oder am Materialismus eine Stütze zu suchen und dabei das Gleichgewicht zu verlieren, wie es Ihr Herr Vater und Kommerzienrat Wernicke getan haben. Jener war ausschließlich Idealist, obwohl er mir oft genug versichert hat, daß er nur verlege, um Geld zu verdienen, und dieser ist durch und durch Materialist, wenn er auch beständig das Wort ›Idealismus‹ im Munde führt.«

»Es ist schon viel wert, wenn jemand über die Richtung, die er einzuschlagen gedenkt, im klaren ist,« meinte Hilde, die bei den Auseinandersetzungen des jungen Chefs wärmer und wärmer geworden war. »Sie scheinen es ja zu sein, Herr Hennig, und Sie dürfen mir glauben, daß ich Sie auf Ihrem Wege mit dem lebhaftesten Anteil verfolgen werde.«

Er reichte dem jungen Mädchen über den Mahagonitisch hinweg die Hand. »Dafür wäre ich Ihnen von Herzen dankbar, Fräulein Hilde, aber ich hoffe, Sie werdend nicht bei dem bloßen Anteil bewenden lassen, sondern mich auch darauf aufmerksam machen, wenn Sie sehen, daß ich in Gefahr gerate, die Balance zu verlieren. Ich weiß nicht, ob ich Sie sogar bitten darf, mich in meinen Bestrebungen tatkräftig zu unterstützen, indem Sie die Arbeit des Manuskriptprüfens übernehmen. Über die Bedingungen würden wir uns sicherlich leicht einigen, und da mir bekannt ist, mit welchem Verständnis und besonnenen Urteil Sie beim Lesen verfahren, so würden Sie mir meine Aufgabe wesentlich erleichtern. Sie sprachen ja davon, daß Sie das Bedürfnis empfänden, sich, wenn Sie vom künstlerischen Schaffen ermüdet seien, durch Lesen zu erfrischen; vielleicht ließe sich also auch für Sie bei einer solchen Vereinbarung das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Die alte Firma Friedrich Ambrosius Blumhardt wird Ihnen ja schließlich auch ein wenig ans Herz gewachsen sein.«

»Und ob sie das ist, Herr Hennig!« versicherte Hilde lebhaft. »Wenn Sie sich von meiner Hilfe wirklich einen Vorteil für Ihren Verlag versprechen, so will ich meine bescheidenen Kräfte mit Freuden in Ihren Dienst stellen. Ich möchte nur bitten, daß Sie, bevor Sie mir das Lektoramt endgültig übertragen, zunächst einmal eine Probe mit mir machen. Merken wir dann, daß wir in unserm Urteil übereinstimmen, daß ich also in der Lage bin, genau in Ihrem Sinne zu arbeiten, so haben wir ja immer noch Zeit, uns über die Vergütung, die Sie für eine solche Tätigkeit auswerfen können, zu verständigen.«

Daß sie die Angelegenheit durchaus vom sachlichgeschäftlichen Standpunkt aus zu behandeln wünschte, gefiel ihm an ihr. Gefälligkeiten konnte und wollte er von ihr nicht verlangen, und er freute sich im stillen über den sichern Takt, mit dem sie dem neuen Verhältnis zwischen ihnen alles Peinliche zu nehmen wußte.


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