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Neunzehntes Kapitel

Eröffnung der von Exzellenz von Malepart aus politischen und wirtschaftlichen Gründen angeregten Gewerbe- und Industrieausstellung, in deren Vergnügungsviertel gleich am ersten Tage eine Panik ausbricht. Leser, die Ausstellungen mehr der Unterhaltung als der Belehrung wegen zu besuchen pflegen, mögen sich gleich in das Vergnügungsviertel (S. 203) begeben

 

Wieder war es Frühling geworden. Abgesehen von den verwegenen Putschen und Überfällen, die der mit der Entwicklung der Dinge unzufriedene, zum extremsten Kommunismus übergegangene Ratz Iltis zum Schrecken aller ordnungsliebenden Staatsbürger jetzt sogar am hellichten Tage unternahm – die »Popo«, d. h. die von der Regierung ins Leben gerufene politische Polizei, schien ihm gegenüber machtlos zu sein! –, herrschte im Lande, wenigstens äußerlich, einigermaßen wieder Ruhe. Aber zufrieden waren die wenigsten, denn der Unterhalt der ins Ungemessene angewachsenen Beamtenschaft verschlang wahre Riesensummen, die nur durch das rücksichtsloseste Anziehen der Steuerschraube aufgebracht werden konnten.

Der Landespräsident schaltete mit einer Machtvollkommenheit, die der eines absoluten Monarchen kaum etwas nachgab. Die Minister waren gefügige Werkzeuge in seiner Brante, und da er die Parteien im Parlament geschickt gegeneinander auszuspielen verstand, mußte die Volksvertretung zu allem, was er unternahm, ihre Zustimmung geben. Wagte es dennoch jemand, sich gegen den Machthaber aufzulehnen, so erhielt er die Einladung zu einer vertraulichen Besprechung unter vier Sehern im Burghaus, und dann wurde er, wenn er sich nicht zu den Ansichten der Exzellenz bekehrte, gewöhnlich nie wieder eräugt.

Als kluger Staatsmann ließ Herr von Malepart nichts unversucht, um die allgemeine Aufmerksamkeit von den politischen Ereignissen nach Möglichkeit abzulenken. Aus diesem Grunde hatte er auch die Veranstaltung einer Gewerbe- und Industrieausstellung angeregt, ein Projekt, für das er bei Exzellenz Hamster, dem Handelsminister, volles Verständnis fand, nicht etwa, weil dieser die Überzeugung des Staatschefs, daß der Gewerbefleiß mit allen Mitteln gefördert werden müsse, geteilt hätte, sondern weil ihm daran lag, beim Volke den peinlichen Eindruck zu verwischen, den eine gegen ihn von der Staatsanwaltschaft erhobene, aber auf Veranlassung des Landespräsidenten sehr bald wieder zurückgezogene Anklage wegen umfangreicher Getreideschiebungen hinterlassen hatte. Denn wenn Herr Hamster auch bei seinem Übergang in den Staatsdienst aus der von ihm gegründeten Firma ausgetreten war, so wußte doch alle Welt, daß er das Geschäft noch immer leitete, und daß seine beiden Neffen, die er als seine Nachfolger in das Handelsregister hatte eintragen lassen, ihre Weisungen direkt aus dem Ministerium erhielten.

Heute, am 25. Mai, hatte der Landespräsident die Ausstellung feierlich eröffnet. Es war sogar in der Hauptsache alles wirklich fertig geworden, wenigstens das Vergnügungsviertel, dessen Vollendung Exzellenz von Malepart freilich auch am meisten am Herzen gelegen hatte, da er sich von dem dort zu erwartenden Betriebe eine besänftigende Wirkung auf die Gemüter der Mißvergnügten versprach. Auf der Waldwiese, der Tagungsstätte der Landesversammlung, waren Laubzelte errichtet und über die zwischen ihnen dahinführenden breiten Straßen Gewinde aus jungem Grün und Blumen gespannt, deren leuchtende Farben der luftigen Zeltstadt ein festliches Gepräge verliehen.

Was man in den Zelten zu sehen bekam, bewies, daß in dem bisher etwas einseitig auf die Agrarwirtschaft eingestellt gewesenen Tierstaat immerhin schon ganz beachtenswerte Ansätze zu einer entwicklungsfähigen Industrie vorhanden waren. Allerdings steckte noch alles in den Anfängen, und man durfte einstweilen auch nicht daran denken, mit den Zweibeinen in Wettbewerb zu treten, um so weniger, als man sich bis jetzt darauf beschränkt hatte, nur für den eigenen Bedarf zu arbeiten.

Bei weitem am besten war auf der Ausstellung das Baufach in allen seinen Zweigen vertreten. Neben zweckmäßig eingerichteten Vogelnestern von den einfachen Plattformbauten der Zwergrohrdommel und des Gemeinen Wasserhuhns an bis zu den kühnen Gewölbekonstruktionen des Zaunkönigs sah man mustergültige unterirdische Röhren- und Kesselwohnungen (Aussteller: Schermaus Nachfolger) und mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattete Eichhornkobel. Viel Beachtung fanden die lediglich in Beton ausgeführten Larvenhäuschen der Mörtelbiene, Bauwerke, die sich ebensosehr durch ihre Wetterbeständigkeit wie durch ihre vornehme Schlichtheit auszeichneten. Wandpelzbienen und Mauerwespen hatten die röhrenförmigen, am vorderen Ende ein wenig abwärts gekrümmten Vorbauten ihrer Lehmnester zur Schau gestellt und damit den Beweis geliefert, daß sich auch mit billigem Material gute architektonische Wirkungen erzielen lassen. Von überaus exakter und sauberer Arbeit zeugten die von den verschiedenen Spechten gelieferten Nisthöhlen in kernfaulem und in gesundem Holz mit ihren wie abgezirkelt kreisrunden Eingängen. Glänzende Beherrschung der Technik verrieten auch die von mehreren Ameisen-Aktiengesellschaften für Holzbearbeitung ausgestellten Innenräume und Galerien, deren Gewölbe von schlanken Säulen getragen wurde. Sinnreich erdachte Schutzvorrichtungen gegen unberufene Eindringlinge zeigten die Larvenbehausungen einiger Mauerbienen, deren eine, die Zweifarbige, sogar ein von ihr zur Kinderstube hergerichtetes Schneckenhaus mit einem Kuppelbau aus Kiefernnadeln, Halmen und Moos überwölbt hatte, so daß es sich jedem Schlupfwespenauge entzog.

Auf dem Gebiete der Innenausstattung waren vor allem die Leistungen der Blattschneiderbienen und der Klatschmohnmauerbiene bemerkenswert. Von jenen konnte man allerliebste Boudoirs bewundern, die in den sandigen Boden eingebaut und höchst geschmackvoll mit den Blütenblättern des Klatschmohns austapeziert waren, von diesen ähnliche Zimmerchen, die man unter Benutzung alter Bohrgänge der Weidenbohrerraupe in einem Stücke morschen Pappelholzes angelegt und mit kunstvoll zusammengefügten Rosenblättern ausgekleidet hatte. Noch verwöhnteren Ansprüchen trugen die mit silbergrauem Seidengewebe ausgeschlagenen Innenräume der rühmlichst bekannten Tapezierspinnenfirma A. Piceus sel. Witwe Rechnung.

Den Glanzpunkt der Baufachabteilung bildeten jedoch die aus reiner Zellstoffmasse aufgeführten vielstöckigen Bauten der Faltenwespenbaufirmen. Man hatte Gelegenheit, zwischen den für kleine Familien bestimmten, frei aufgehängten Papierhäuschen der Polisteswespen, den ebenfalls an Zweigen angebauten größeren Kugelhäusern (Aussteller: Media-Werke und Saxonica A.-G.) und den ganz großen, unterirdisch angelegten Riesenbauten (Aussteller: Vulgaris- und Germanica-Werke) Vergleiche zu ziehen, wobei man feststellen konnte, daß sie sich, wenn auch allen dasselbe Konstruktionsprinzip zugrunde lag, doch durch die Art der Materialbehandlung unterschieden. Allgemein fiel auf, daß sich unter den Ausstellungsbesuchern ganz besonders die Fächerkäfer und eine Art von Schwebefliegen für die schönen unterirdischen Wespenbauten zu interessieren schienen, Leute, denen eigentlich niemand zutraute, daß sie über ausreichende Barmittel verfügten, um solche Gebäude in Auftrag geben zu können. Sie ließen sich nicht nur von den Vertretern der anwesenden Firmen Prospekte geben, sondern wurden auch nicht müde, von einem Wabenstockwerk in das andere zu steigen und die einzelnen Räume auszumessen.

Als kunstgewerbliche Leistungen allerersten Ranges mußten die von den verschiedenen Borkenkäfern zur Schau gestellten Proben dekorativer Holzbearbeitung gelten. So mannigfaltig auch der Stil der in die Oberfläche des Holzes eingravierten Ornamente war: alle zeugten von einem erlesenen künstlerischen Geschmack und dem feinsten Verständnis für die Eigenart des Materials. Man nahm mit Befriedigung wahr, daß die Jury die Firmen Buchdrucker & Companie und Kupferstecher & Söhne nach Gebühr ausgezeichnet hatte, jene mit dem großen Staatspreise, diese mit der goldenen Medaille, hätte aber auch dem Kleinen Eschenbastkäfer, dessen überaus sorgfältig ausgeführte Arbeiten die Beachtung aller Kenner fanden, statt der lobenden Erwähnung zum wenigsten die silberne Medaille gewünscht.

Höchst lehrreich war auch die Kollektivausstellung des Verbandes der Kartonnagefabrikanten. Sie bot vor allem eine reiche Auswahl von haltbar gearbeiteten und gefällig aussehenden Blattkassetten (Aussteller: Haseldickkopfkäfer, Eichenblattroller, Rebenstecher und Birkenstecher), die mit Fäden geschlossenen Blattüten verschiedener Wicklerraupen, die phantastisch anmutenden, aus allerlei Blatt- und Stengelstückchen hergestellten Schutzsäcke der Sackspinner und die für den Gebrauch unter Wasser berechneten prachtvollen Mosaikkassetten aus den Werkstätten der Köcherfliegeninnung, wahre Kunstwerke, die mit erstaunlichem Fleiß und Geschmack zum Teil aus Sandkörnern und Steinchen, zum Teil aus symmetrisch angeordneten Holzstückchen oder aus sorgsam ausgewählten Schneckenhäuschen und Muschelfragmenten zusammengekittet waren.

Die Kofferindustrie war lediglich durch die Firma Schwabe & Kakerlak vertreten, und diese hatte auch nur ihren Spezialartikel, die bekannten Patentmusterkoffer in zwei verschiedenen Ausführungen zu vierunddreißig und sechzehn Fächern ausgestellt.

Einen desto erfreulicheren Eindruck machte, was den Besuchern auf dem Gebiete der Keramik geboten wurde. Man konnte hier vollständig aus Lehm hergestellte Nester mit und ohne Kuppelbedachung (Aussteller: Mehl- und Rauchschwalbe) bewundern, daneben aber auch die von dem Ehepaar Kleiber erfundene Methode, natürliche Bruthöhlen in Bäumen durch Töpferarbeit bis auf ein kleines Flugloch zu verschließen, ein Verfahren, das wegen der Verbindung so grundverschiedenen Materials von strengeren Beurteilern freilich als stilwidrig verworfen wurde. Daß man bei der Herstellung von Waben nicht ausschließlich auf die Verwendung des Zellstoffs oder des noch kostspieligeren Wachses angewiesen ist, dafür lieferte eine von der Viergürteligen Schmalbiene ausgestellte Lehmwabe den Beweis, ein Werk, das um so mehr Beachtung verdiente, als es aus einer starken Lehmschicht herausgearbeitet worden war und, nur durch einen stehengebliebenen Zapfen mit dem Gewölbe des die Wabe umgebenden Raumes verbunden, gleichsam frei in der Luft hing.

Eine überaus praktische Verwendung des bildsamen Materials zeigte die in einem hohlen Brombeerstengel angelegte Larvenbrutanstalt der Gemeinen Töpferwespe. Hier hatte man die einzelnen Kämmerchen durch dünne Lehmdielen geschieden und das letzte durch eine besonders dicke, die auch stärkeren Feinden den Einlaß verwehrte, geschlossen.

Kunsttöpfereien fehlten auch nicht; besonders ansprechende kugelförmige Gefäße mit weitem, etwas gewulstetem Halse (aber ohne Henkel!) waren auf den Pillenwespeschen Werkstätten hervorgegangen; andere, mehr flaschenartige und innen mit einem seidenglänzenden weißen Email dekorierte trugen die Marke »Agroecaspinne«.

Daß die der Textilindustrie gewidmete Abteilung besonders auf den weiblichen Teil des Publikums eine starke Anziehungskraft ausübte, versteht sich von selbst. Tüllstoffe von wunderbarer Feinheit, meist schon zu abgepaßten Gardinen verarbeitet, verdanken ihre Entstehung dem Gewerbefleiße der Raupen des Eichenwicklers und der Apfelbaumgespinstmotte; noch feinere, zum Teil geometrisch gemusterte Schleiergewebe waren aus der meist von alleinstehenden Spinnendamen betriebenen Hausindustrie hervorgegangen. Leichte und dabei doch dauerhafte Trikotagen hatten die Raupen des Goldafters geliefert, ein Ausstellungsstück von besonderer Größe, einen wahren Riesenstrumpf, die des Eichenprozessionsspinners. Halbseidene Waren, bei denen die Kette aus Seide, der Einschlag aus feinen Haaren bestand, waren die Kokons der Raupen des Braunen Bären und des Kiefernspinners, ähnliche Fabrikate, die man gleich als Pompadours benutzen konnte, die reusenförmig gewebten des Kleinen Nachtpfauenauges.

Daß auch die Filzindustrie schon recht leistungsfähig war, bewiesen die von den Firmen Buchfink und Stieglitz ausgestellten Objekte, Nester, deren Material aus nahezu unlöslich zusammengewalkten Tierhaaren und Pflanzendaunen bestand.

Nicht minder gut beschickt war die Abteilung Korbfabrikation. Hier sah man aus Flechtwerk hergestellte Vogelnester aller Art, von den derben der Amsel und der Singdrossel bis zu den zierlichen der verschiedenen Rohrsänger. Besonders haltbare und dabei sehr dekorativ mit Bändern durchzogene hatte Meister Bülow, der Pirol, geliefert, dessen Fabrikate überhaupt hinsichtlich der Form und des Materials wesentlich von denen der Konkurrenten abwichen.

Auffallend schwach war leider die Lebensmittelindustrie vertreten. Außer Honigproben der Bienen- und Hummelgenossenschaften, die daneben auch ihre Wachsprodukte ausgestellt hatten, sah man eigentlich nur Konserven: Dörrinsekten von Raubwürger und Neuntöter, nach dem bewährten Mullschen Verfahren durch Abbeißen des Kopfes lebendfrisch erhaltene Regenwürmer und sehr appetitlich aussehende Spinnen, die durch eine schwache Giftinjektion gelähmt worden waren. Wie die Inhaberin der ausstellenden Firma, Frau Pompila Wegwespe, die persönlich zugegen war und Interessenten bereitwillig Auskunft erteilte, versicherte, sollen die so behandelten Spinnen länger als zwei Monate haltbar sein und nichts von ihrem Wohlgeschmack einbüßen.

Glänzend beschickt war, soweit Viehzucht und Viehhaltung in Betracht kamen, die landwirtschaftliche Abteilung. Die Genossenschaft der Roten Knotenameisen hatte einen Blattlausstall zur Schau gestellt, der in sehr zweckmäßiger Weise um einen mit wohlgenährtem Melkvieh besetzten Distelstengel herumgebaut worden war, die der Gelben Wiesenameise Ställe mit Wurzelläusen und Keulenkäfern. Besonders unter den letzteren bemerkte man hochwertige Rassetiere, Ergebnisse einer seit Jahrtausenden zielbewußt durchgeführten Züchtung, die Sehorgane und Flugvermögen vollständig verloren hatten und schon durch ihr Äußeres verrieten, daß sie auf die ununterbrochene Fürsorge ihrer Pfleger angewiesen waren. Sie ließen sich von drallen Ameisenstallmägden dem Publikum willig vorführen und deuteten, indem sie ihre Wärterinnen mit den Fühlerkeulen auf den Kopf klopften, an, daß sie gefüttert werden wollten. Als sie gesättigt waren, wurden sie vor den Augen der Zuschauer gemolken und schieden dabei an den goldgelben Haarbüschelchen, mit denen der größte Teil ihres Körpers besetzt war, ihre köstliche süße Milch aus.

In einem von den Schwarzen Holzameisen errichteten Stalle sah man ebenfalls ausgesucht schönes Vieh: Breitrandige Glanzkäfer, die die mit ihrer Wartung betrauten Arbeiterinnen sehr zutraulich anbettelten, in zwei anderen Stallungen (Aussteller: Waldameisen und Grauschwarze Ameisen) Büschelkäfer und Rostrote Stutzkäfer. Wie man hörte, betrieben die Waldameisen nur die Zucht des Büschelkäferviehs und überließen die melken Tiere mit Eintritt des Herbstes in höchst uneigennütziger Weise den Knotenameisen zur Ausnutzung.

Kam bei den genannten Viehschlägen nur die Stallfütterung zur Anwendung, so lieferten die schönen Blattlausherden der Schwarzbraunen Wegeameisen, die fetten Bläulingsraupen der Graubraunen Heideameisen und die prallen Eichenrindenläuse der Schwarzen Holzameisen den Beweis, daß auch bei rationeller Weidewirtschaft günstige Ergebnisse zu erzielen sind.

Man bedauerte allgemein, daß Acker- und Gartenbau auf der Ausstellung fehlten; nur ein Pilzzüchter, der Gestreifte Nutzholzborkenkäfer, war mit seinen Kulturen vertreten. Die Anlage befand sich in einem Fichtenstamme, dessen Splintholz mit einem System von dunkeln Gängen durchzogen war. Die Pilze wucherten als dichter schwärzlicher Rasen an deren Wandungen und entsandten ihre feinen Wurzelfäden bis tief in das Holz. Man hätte gern gewußt, auf welche Weise der Aussteller die Pilze dazu veranlaßte, die aufgesogenen Nährstoffe in besonderen zuckerhaltigen Zellenhäufchen aufzuspeichern, aber darüber gab er keine Auskunft, sondern bezeichnete das jedenfalls sehr sinnreich erdachte Verfahren als sein Geschäftsgeheimnis.

Auf dem glatten Spiegel des schmalen Wassergrabens, der das Ausstellungsgelände an seiner Nordseite begrenzte, lagen mit hübsch geschwungenen Schiffsschnäbeln verzierte kleine Kähne, wie sie auf der Werft des Schwarzen Kolbenwasserkäfers eigens für den Eiertransport gebaut werden. Dort sah man auch die aus Rohrstückchen hergestellten einfachen Hausboote der Schoenobiusraupen, Fahrzeuge, die zunächst zum Verkehr auf Teichen benutzt, dann aber aufs Trockene gezogen und an einen Pflanzenstengel befestigt werden, wo sie ihren Erbauern so lange als Behausung dienen, bis diese die Übersiedlung in ein neues Heim vollzogen haben.

Das größte Aufsehen erregte jedoch die von einer Wasserspinne vor den Augen des Publikums hergestellte Taucherglocke, die als schlaffer Seidenstoffballon an ein Laichkrautzweiglein angesponnen und dann prall mit Luft gefüllt wurde, die die geschickte Ingenieurin in einzelnen großen Blasen von der Oberfläche des Wassers holte und unter der Öffnung der Glocke aufsteigen ließ. Eine poetisch gestimmte junge Rotkehlchendame meinte, als der silberglänzende Kuppelbau fertig war, das sei ein Nixenpalast, wie er sonst nur im Märchen vorkomme, und man mußte zugeben, daß sie wirklich nicht so unrecht hatte.

Weit weniger poetisch muteten die Erzeugnisse für Fäkalienverwertung an, obgleich auch ihnen ein künstlerischer Charakter nicht abgesprochen werden konnte. Es waren die aus dem eigenen Kot verfertigten Larvenkapseln des Vierpunktigen Sackkäfers und einiger Fallkäfer sowie die Schutzschilde der Schildkäferlarven, Erzeugnisse, deren geschmackvolle Form daran gemahnte, daß Kunst und Technik auch das gemeinste Material zu veredeln vermögen.

Eine tiefe Symbolik lag darin, daß auf der Ausstellung, die so viele Proben eines blühenden Gewerbefleißes und damit zugleich die erfreulichsten Äußerungen nimmermüden Lebens bot, auch das Leichenbestattungswesen vertreten war. Die Beerdigungsanstalten »Ruhe sanft!« (Inhaber: Schwarzer Totengräber), »Immer feste drunter!« (Inhaber: Gemeiner Totengräber) und »Mit vereinten Kräften!« (Inhaber: Waldtotengräber) hatten sich zusammengetan, um einer beim Gedränge an der Kasse ums Leben gekommenen Feldmaus ein mustergültiges Begräbnis zu bereiten. Unter Vorantritt von vier in düsteres Schwarz gehüllten Konduktführern wurde der von Trauermänteln umflogene Körper der Verstorbenen in feierlichem Zuge zu der für das Grab ausersehenen Stätte geschoben, worauf sich die in schwarze, mit breiten orangefarbenen Tressen besetzte Livreen gekleideten Bestattungsbeamten von allen Seiten darunterwühlten und, während Pfarrer Birkhahn die Grabrede hielt, die Erde rückwärts scharrten, so daß die Leiche langsam in die Tiefe sank. Es war eine würdige Feier, die bei den zahlreichen Teilnehmern einen tiefen Eindruck hinterließ.

Exzellenz von Malepart sah sich in seiner Erwartung, die Ausstellung werde die Angehörigen der verschiedenen Stände und Berufe einander näherbringen und die sozialen Gegensätze, wie sie besonders zwischen Fleisch- und Pflanzenfressern bestanden, bis zu einem gewissen Grade verwischen, nicht getäuscht. Vor allem war es das Bedürfnis nach Erholung, das die vom Anschauen so vieler Wunderwerke geistig abgespannten Besucher nachmittags und abends zu ungezwungener Geselligkeit im Vergnügungsviertel vereinte.

An den vielen Tischen vor dem Hauptrestaurant, wo auf einer im Freien errichteten Varietebühne die Priester und Priesterinnen der leichtgeschürzten Muse ihre Künste zeigten, war um diese Zeit kaum ein Platz zu bekommen, und das Gedränge nahm mitunter, namentlich vor dem Auftreten beliebter Kräfte, geradezu lebensgefährliche Formen an. Auch heute hätte auf dem weiten Platze kein Apfel zur Erde fallen können. In bunter Reihe saßen Säugetiere, Vögel, Lurche, Kriechtiere und Insekten an den langen Tafeln, und wenn es auch einmal geschah, daß ein Wespenbussard in der Zerstreutheit seine Nachbarin, eine beleibte Erdhummeldame, kröpfte, oder daß der schon ein wenig geistesschwache pensionierte Oberjägermeister von Edelmarder, ein Oheim des Kammerherrn, einen aus Gottleuba im Erzgebirge zugewanderten und im Hauptrestaurant als Kellner beschäftigten Ziesel zusammen mit den ihm von dem armen Teufel servierten Kiebitzeiern verspeiste, so herrschte doch im allgemeinen die beste Eintracht.

Exzellenz Hamster, der trotz seiner hohen Würde als Handelsminister den Kriegsgewinnler nicht ganz verleugnen konnte, ließ viel Geld draufgehen, was jedoch von den kleinen Leuten an seinem Tische nicht übel vermerkt wurde, da er sich ein Vergnügen daraus machte, sie freizuhalten. Er versäumte auch nicht, den Künstlern, deren Darbietungen ihm besonders gefallen hatten, Erfrischungen zu senden. Damit erntete er freilich nicht viel Dank, denn die Green Frog Brothers, die in ihren grünen Trikots erstaunliche Proben ihrer Gewandtheit ablegten, schickten ihm die ihnen gespendete Tüte Weizenkörner mit dem Bemerken zurück, daß sie, um ihre Beweglichkeit nicht einzubüßen, äußerst diät von Fliegen leben müßten, und Kammersänger Rossignolo-Nachtigall, der sich herbeigelassen hatte, seine Kunst in den Dienst der guten Sache zu stellen, und heute ein paar Arien aus der »Fledermaus« vortrug, erklärte, seiner empfindlichen Kehle halber dürfe er nur Ameisenpuppen und glatthäutige Räupchen genießen und könne deshalb von den ihm freundlichst zugedachten gelben Erbsen keinen Gebrauch machen.

Überhaupt kam jeder, der darauf ausging, Beobachtungen anzustellen, heute auf seine Kosten. Da war zum Beispiel Familie Starmatz, die keinen Augenblick den Schnabel zu halten vermochte, nicht einmal während der Musikvorträge und während der Rezitation Herrn Boskos, des Schnürenpudels, der seine Fertigkeit im Türenöffnen dazu benutzte, auf halbe Tage aus der Oberförsterei der Zweibeine zu entweichen, und der immer noch nach einer Gelegenheit suchte, sich an Exzellenz von Malepart zu rächen.

»Findest du nicht auch, daß es hier unglaublich steif zugeht, caro mio?« wandte sich Frau Starmatz an ihren Gatten. »Die Tiere im Süden haben doch eine leichtere und freiere Lebensart als unsere lieben Volksgenossen.«

» Veramente, piccioncina mia! Wir werden viel Zeit brauchen, bis wir uns wieder an unsere Landsleute gewöhnen. Es sind ja meist recht brave Geschöpfe, aber es fehlt ihnen leider die körperliche Grazie und die geistige Beweglichkeit, die wir an unseren italienischen Freunden so lieben«, stimmte Herr Starmatz bei. »Wir haben nämlich den Winter an der Riviera verbracht, gnädige Frau«, erklärte er seiner Nachbarin, der Regierungsrätin Nebelkrähe, geborenen Rabenkrähe, »und nun können wir uns gar nicht wieder in die engen Verhältnisse hierzulande finden.«

»So so. Sie waren an der Riviera! Da wundert's mich nur, daß ich Sie letzten Winter in Leipzig gesehen habe«, erwiderte die Dame sarkastisch.

»Sollten Sie sich da nicht irren, gnädige Frau?« fragte Madame Starmatz ein wenig unsicher.

»Gott bewahre, meine Liebe, von Irren kann keine Rede sein. Ich habe Sie und Ihren Gatten jeden Abend beobachtet, wenn Sie mit zwei bis drei Dutzend von Ihresgleichen den Schlafbaum in den Anlagen am Töpferplatz aufsuchten. Man hörte Sie noch bis spät in die Nacht eifrig reden.«

»Wir haben uns auf der Durchreise allerdings ein paar Tage in Leipzig aufgehalten.«

»Das war wohl im November?«

»Ganz recht, es war im November.«

»Und Ende Januar sah ich Sie auch noch.«

»Schon möglich. Da waren wir eben auf der Rückreise und haben uns wieder einige Tage in Leipzig aufgehalten, um einen Verwandten zu besuchen, der als Zwangseinquartierung bei einem Zweibein wohnt.«

»So so, da waren Sie also auf der Rückreise. Dann wundert's mich doppelt, daß ich Sie auch in der Zwischenzeit, nämlich am ersten Weihnachtsfeiertage, in Leipzig bemerkt habe«, sagte die Regierungsrätin mit eisigem Hohn.

»Ja, zum Feste sind wir natürlich für etliche Tage nach dem Norden gereist«, behauptete Herr Starmatz mit dreister Stirn. »Weihnachten muß man hier oben verleben; ohne Schnee und deutsche Tannen ist es für uns nun einmal ganz undenkbar.«

»Und besonders ohne Gänseknochen und Stollenkrümeln«, setzte seine Gattin eifrig hinzu. »Für die Poesie dieses Festes fehlt unseren Freunden im Süden leider jedes Verständnis.«

Der Krähendame genügte es, dem geschwätzigen und großtuerischen Starmatzpaare eine Niederlage bereitet zu haben. Sie wandte sich von den Gedemütigten, die sich übrigens auch bald darauf verzogen, geringschätzig ab und bemerkte mit einer gewissen Absichtlichkeit zu ihrem linken Nachbarn, dem Fischereiinspektor Graureiher: »Ja ja, wenn man die Augen aufhält, kann man manche merkwürdige Beobachtung machen! Sie wissen doch ohne Frage, daß unser guter Pfarrer Birkhahn jedes Jahr im April zur Landessynode reist? Nun habe ich auch erfahren, wie es auf einer solchen Synode hergeht. Meine beiden Tertianer, die am Palmsonntag konfirmiert worden sind und denen ich erlaubt hatte, in den Osterferien einen größeren Ausflug zu unternehmen, sind dahintergekommen. Denken Sie sich nur: wie die Jungens in aller Herrgottsfrühe bei den Hünengräbern über die Heide flogen, stießen sie auf eine große Ansammlung von Pastoren, unter denen sich auch der unsrige befand. Aber die Herren saßen nicht etwa gesittet um einen grünen Tisch, sondern tanzten eine Art Schuhplattler, wobei sie in der seltsamsten Weise schleiften und kollerten und so toll umhersprangen, daß ihre Talare nur so im Winde flatterten. Man soll sogar dabei ihr weißes Unterzeug deutlich haben sehen können. Ist so etwas nicht unerhört? Und was das allerbedenklichste ist: ihre Damen schauten ihnen zu und schienen gar nichts dabei zu finden, daß sich die liberalen und die orthodoxen unter ihren Ehemännern mitunter in die Federn gerieten und ganz erbittert miteinander rauften. Und hinterher sollen, was ich jedoch kaum glauben kann, die Sieger mit den Damen in eine Kiefernkultur gegangen sein, und zwar nicht nur mit den eigenen Frauen, sondern auch mit ganz fremden. Ich frage Sie nun, Herr Inspektor, wo bleibt da die Moral? Darf man sich noch über die Verwilderung der Sitten wundern, wenn unsere Seelsorger dem Volke mit solchem Beispiel vorangehen?«

»Meine verehrte gnädige Frau, ich wundere mich schon lange über nichts mehr«, erwiderte Herr Graureiher, indem er den Hals zusammenknickte und den Kopf zwischen die Handgelenke der Flügel versenkte, wodurch seine ganze Erscheinung den Ausdruck müder Resignation bekam. »Bei dem Geiste, der heute unser ganzes Beamtentum beseelt, wundere ich mich nicht einmal mehr darüber, daß die Polizei eine solche Anhäufung von Tieren wie jetzt hier vor dem Hauptrestaurant gestattet. Was würde geschehen, wenn plötzlich eine Panik entstünde? Ich wage gar nicht, den Gedanken auszudenken. Die große Menge ist bei solchen Anlässen ja gleich völlig kopflos. Wenn bei dem Gedränge am Eröffnungstage schon eine Feldmaus totgetreten wurde, was hätten wir erst zu erwarten, wenn das dichtgescharte Publikum hier aus irgendeinem Anlaß von Fluchtinstinkten ergriffen würde? Eine Polizei, die etwas taugt, hätte aus dem bedauerlichen Vorkommnis ihre Konsequenzen gezogen und Maßnahmen zur Verhütung einer Katastrophe getroffen, aber von der unsrigen kann man so etwas natürlich nicht erwarten.«

Auch an einem benachbarten Tisch wurde über die Polizei hergezogen. Dort saß nahezu vollzählig die Familie Laputz, und in ihrer Mitte, verstimmt wie immer seit seiner schweren Verwundung, Lamprecht Lampe an der Seite seiner jungen Gattin. Die Unterhaltung drehte sich um die unglaublich verwegenen Taten des Kommunistenführers Ratz Iltis, der erst am Tage vorher mit beispielloser Frechheit mitten unter dem Ausstellungspublikum erschienen war und einem Gesprenkelten Sumpfhuhn, das, nichts Böses ahnend, in einer holländischen Likörstube saß, die Kehle durchgebissen hatte. In der allgemeinen Verwirrung war der Verbrecher entkommen, und die zu seiner Verfolgung aufgebotenen Polizeimannschaften hatten seine Spur nicht aufzunehmen vermocht.

Man besprach an Laputzens Tisch den Fall so lebhaft, daß man dem Tierstimmenimitator Signor Garrolo – er hieß mit seinem bürgerlichen Namen Markolf und war ein Vetter des Landwirtschaftsministers! – nicht die geringste Beachtung schenkte. Man ereiferte sich, während der gefiederte Künstler von der Bühne herab bald den Ruf des Bussards, bald das Krähen des Haushahnes in der Zweibeinoberförsterei, bald eine Strophe aus dem Liede der Singdrossel hören ließ, über die unverzeihliche Nachlässigkeit der Sicherheitsorgane, die durch ihre Haltung den ehemaligen Zuchthäusler zu immer neuen Gewalttaten ermutigten, und äußerte sogar die Vermutung, daß der Landespräsident aus purer Furcht vor der Rache des Verbrechers und seiner Komplizen der Polizei die Weisung erteilt habe, ihn zu schonen.

Frau Nikoline saß, während alle ihre Verwandten erregt durcheinandersprachen, stumm dabei und hörte mit heißen Wangen zu. Ratz Iltissens kühne Streiche erfüllten sie mit einer Art schwärmerischer Bewunderung, und sie würde mit Freuden fünf Jahre ihres Lebens drum gegeben haben, wenn sie den verwegenen Mann einmal von Angesicht zu Angesicht hätte sehen können. Die Unverstandene und Unbefriedigte hatte eben eine geradezu krankhafte Schwäche für alles Ungewöhnliche und Abenteuerliche, was sich daraus erklärte, daß in ihrer Familie während einer endlos langen Folge von Generationen immer die gleichen gutbürgerlichen Anschauungen geherrscht hatten. In ihr machte sich nun die so lange geknechtete Natur Luft, und in ihren Adern begann ein Tropfen Schweißes zu rebellieren, der vielleicht von einem Urkarnickel herrührte, das sich nicht wie alle die ehrsamen Laputze der letzten Jahrtausende von Kraut, Gras und Rinde, sondern von dem noch zuckenden Wildbret seiner Mitgeschöpfe genährt und die Raubtiere unserer Tage an Mordlust, Mut und Verschlagenheit übertroffen hatte. Nein, die bemitleidenswerte junge Frau konnte nicht dafür, daß sie so anders war als ihre Verwandten, und deshalb soll auch kein Stein auf sie geworfen werden, ganz abgesehen davon, daß ein Steinwurf sie bei ihrer zarten Konstitution wahrscheinlich töten würde, womit dem Autor durchaus nicht gedient wäre, da er sie im letzten Kapitel noch braucht.

Signor Garrolo war mit seinen Vorträgen mittlerweile zu Ende gekommen und abgetreten. Tosender Beifall rief ihn aus der Kulisse. Es dauerte eine kleine Weile, bevor er dem Hervorrufe Folge leistete. Dann aber hüpfte er, die Holle aufrichtend, bis dicht an die Rampe, verneigte sich nach allen Seiten und trat wieder ab. Ehe er jedoch völlig verschwand, rief er, die Stimme des Zweibeinoberförsters täuschend nachahmend: » Allons! Such! Such!«

Die Wirkung war furchtbar. Tausende von Tieren, durch den so unerwartet vernommenen Schlachtruf des Feindes kopflos geworden, drängten sich in wilder Flucht durcheinander. Vögel stießen ihren Warnungsschrei aus, Wespenvölker erhoben sich brausend in die Luft, und gequetschte Mäuse piepten zum Erbarmen. Justizminister Maulwurf grub sich sofort in die Erde, Major von Swinegel rollte sich zusammen, Exzellenz Hamster strich sich mit beiden Vorderpfoten das ganze Souper aus den Backentaschen und nahm seine Kampfstellung ein, und Frau Hohltaube fiel in Ohnmacht. Die Laputzgesellschaft flitzte unter Tischen und Stühlen hinweg davon, um ihren nicht allzuweit entfernten Bau zu erreichen, während Lamprecht Lampe, seine Krücke vergessend und ohne sich um Nikolinens Verbleib zu kümmern, so gut es ging, dem Walde zuhoppelte. Inspektor Graureiher aber würgte, obwohl er schon längst mit der Möglichkeit einer solchen Panik gerechnet hatte und zu den Leuten gehörte, die auf alles gefaßt sind, ein paar Pfund halbverdauter Fische gerade über das Schwarzseidene der Regierungsrätin aus, schraubte sich empor und strich nach den Wäldern jenseits der Elbe ab.


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