Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel

Ausführlicher Bericht über den Ausbruch der Revolution. Das souveräne Volk ruft Herrn von Malepart, den es anfangs als stockreaktionären Junker zu hängen gedachte, zum Präsidenten der Republik aus

 

Auf die leidvolle Nacht nach dem denkwürdigen 16. Oktober folgte ein trüber, naßkalter Morgen. In den Vorhölzern, die gestern noch im bunten Herbstschmuck geprangt hatten, reckte schon mancher Baum seine kahlen Äste zum grauen Himmel empor, und feuchtes braunes Laub bedeckte allenthalben den Boden. Die Bewohner des Waldes hielten sich, noch immer erschüttert und gelähmt von den Schrecknissen des vergangenen Tages, untätig in ihren Behausungen, und wenn sich hin und wieder in den Kronen der Ebereschen Wacholderdrosseln, in den Erlenbeständen Zeisige und im dichten Unterholz Rotkehlchen zeigten, so waren es fremde Reisende aus nördlichen Ländern, die des schlechten Wetters wegen ihre Fahrt nach dem Süden unterbrochen hatten und die nun den Aufenthalt dazu benutzten, sich das Schlachtfeld anzusehen.

Um die Mittagsstunde zeigte sich auf der Waldwiese zwischen dem Burghause des Kreisdirektors und dem geräumigen Anwesen der Familie Laputz ein langer Zug von allerhand verdächtig aussehenden Gestalten, deren manche gleich Fahnen des Aufruhrs Zweige mit blutrotem Laub mit sich führten. An der Spitze marschierte Ratz Iltis, ein berüchtigter Einbrecher und Raubmörder, von dessen verwegenen Taten die wildesten Gerüchte umgingen, und den alle Welt zurzeit hinter den Mauern des Zuchthauses wähnte. In seiner Gesellschaft befanden sich zwei kaum minder übel beleumundete Gesellen mit Namen Habicht und Sperber, Kerle, die als Wegelagerer die Straßen unsicher machten, und deren stechenden gelben Lichtern und scharfbewehrten langen Fingern man auf den ersten Blick ansah, daß sie zu jeder Untat fähig und bereit waren. Auch ein auffallend gekleidetes Weibsbild war dabei, eine gewisse Frau Elster, die einen kleinen Trödelkram mit Gold- und Silbersachen betrieb, aber in dem nur zu begründeten Verdacht stand, eine gewerbsmäßige Hehlerin zu sein und gelegentlich sogar selbst Diebstähle zu verüben. Haussuchungen bei ihr hatten allerdings noch nie zu einem Ergebnis geführt, da sie die Vorsicht gebrauchte, Diebsgut im Walde zu vergraben, und gerichtliche Verfahren, die gegen sie eingeleitet worden waren, mußten niedergeschlagen werden, da sie den Nachweis zu führen vermochte, daß sie an Kleptomanie leide und mitunter ganz wertlose Dinge wie alte Blechlöffel, Glasscherben und Zigarettenschachteln mitgehen heiße.

Im Gefolge dieses vierblättrigen Kleeblatts sah man außer anderen dunklen Existenzen etliche Raubwürger, ein Dutzend Wiesel, mindestens ebenso viele Wasserratten und Wühlmäuse, an die hundert Dohlen und zwei Tannenhäher, schmalschnäbelige Burschen, die aus Sibirien gekommen waren, um unter der Tierwelt des Westens die völkerbeglückenden Lehren des Bolschewismus zu verbreiten. Was aber am meisten auffiel, war, daß sich auch Aktuar Eichhorn dem Zuge angeschlossen hatte, ein Mann, von dem man zwar wußte, daß er zu sehr radikalen Anschauungen neigte, dem jedoch niemand zugetraut hätte, daß er mit Subjekten wie Ratz, Habicht und Sperber gemeinsame Sache machen werde.

Die lärmende Volksmenge machte unter der alten Eiche, in deren Wipfel die Kantorwohnung lag, halt, worauf der Aktuar unter allgemeinem Jubel ein Stück am Stamm aufbaumte und an dessen rauher Rinde ein Plakat anheftete, auf dem zu lesen stand:

Nieder mit der Monarchie!
Es lebe die sozialistische Republik!

Volksgenossen! Proletarier! Das von Junkern und Kapitalisten beherrschte Königtum hat seine Rolle ausgespielt. Das jahrhundertelang geknechtete Volk hat seine Ketten zerbrochen, nachdem es gestern zum letztenmal den Schweiß seiner Söhne für ein verrottetes System geopfert.

Der Tag der Abrechnung ist da! Wir fordern die Abdankung des Königs und seines Stellvertreters, Auflösung des stehenden Heeres und Entwaffnung aller reaktionär gesinnten Elemente, Befreiung von direkten und indirekten Steuern, Beseitigung der Gerichte und Strafanstalten sowie der Polizei, sofortige Freilassung aller Gefangenen, das uneingeschränkte Recht der freien Meinungsäußerung durch Wort und Schrift, soweit sie den Lehren des Sozialismus entspricht, gleichmäßige Verteilung des Besitzes, Aufhebung aller Standesvorrechte, Privilegien und Titel sowie der Ehe, endlich strengste Bestrafung jeder Arbeit.

Proletarier, schließt euch unter der Parole: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zusammen! Einigkeit macht stark! Auf zum Kampfe gegen die Reaktion!

Der sozialistisch-republikanische Volksausschuß.

 

Nachdem die Versammelten das Plakat gelesen hatten, sprang Ratz Iltis, ein noch jüngerer Mann von keineswegs unsympathischem Äußern, auf einen Stubben und hielt eine schweißtriefende Ansprache, worin er betonte, die Erfüllung der auf diesem Anschlag formulierten Forderungen sei das Allermindeste, was das mündig gewordene Volk von der Revolution, die jetzt begonnen habe, zu erwarten berechtigt sei. Es wäre ja noch nicht viel, aber es wäre doch ein kleiner Anfang. Als das letzte und höchste Ziel der revolutionären Bewegung betrachte er das Recht jedes Tieres, sich ohne Rücksicht auf die Gesamtheit seinen Anlagen und Neigungen gemäß auszuleben, und deshalb könne die heute proklamierte sozialistische Republik nur der Übergang zu dem Idealzustande sein, in dem überhaupt keine Staatsgewalt mehr bestehe, sondern jeder sich bei seinen Handlungen lediglich von den Gesetzen leiten lasse, die dem einzigen in der Natur begründeten Recht, dem des absoluten Egoismus, entsprängen. Einstweilen sei man, wie gesagt, von diesem Idealzustande noch weit entfernt; man müsse aber schon heute an seiner Verwirklichung arbeiten, indem man die Besitzenden aus ihrer satten Ruhe aufscheuche, ihre Habe unter die verteile, die durch ihre Tätigkeit zum Wohle des Volkes an einer rücksichtslosen Ausnutzung ihrer Fähigkeiten und Kräfte zum eigenen Vorteil behindert seien, und jenen selbst dadurch Gelegenheit biete, sich durch den intensiver geführten Kampf ums Dasein von ihrer geistigen und körperlichen Erschlaffung zu befreien. Da man nun mit einer solchen auch für die zunächst davon Betroffenen heilsamen Aktion irgendwo den Anfang machen müsse, so schlage er vor, einen Überfall auf den ersten besten Herrensitz, also auf Haus Malepart, zu machen, den Eigentümer daraus zu verjagen, die darin aufgehäuften Wertgegenstände zu teilen und das feste Schloß einem Manne zu überweisen, von dem man die Gewißheit habe, daß er entschlossen sei, die folgerichtige Weiterentwicklung der Revolution nach Kräften zu fördern.

Der tobende Beifall, der seinen Ausführungen folgte, bewies dem Redner, wie die kühnen Gedanken, die er in die Menge geworfen, allenthalben gezündet hatten. Immer lauter erscholl der Ruf: »Auf nach dem verfluchten Junkersitz! Auf nach Haus Malepart!«

Ein Teil der Versammelten schickte sich schon an, zum Burghause hinüberzufluten, um dessen Enteignung unverzüglich vorzunehmen, aber da erhob sich noch einmal die schrille Stimme des Führers. »Ehe wir den Beschluß des souveränen Volkes zur Ausführung bringen, Genossen, lasset uns anhören, was unsere sibirischen Brüder uns zu verkünden haben. Sie haben mir Grüße von meinem Vetter, dem Zobel, gebracht und möchten gern auch einige Worte an euch richten. Leider sprechen sie nur Russisch, aber Genosse Rauchfußbussard, der ja seit einigen Tagen auch unter uns weilt, wird so freundlich sein, uns ihre Rede zu übersetzen.«

Die beiden Fremden verständigten sich, wer von ihnen den Sprecher machen solle, und dann hüpfte der eine, ein schmächtiger Vogel in dunkelbraunem, mit unzähligen hellen Flicken bedecktem Gewande, zu Ratz Iltis auf das Podium.

»Laß hören, Caryocatactes Caryocatactowitsch, was du uns zu sagen hast!« gebot der Einbrecher, der sich merkwürdig schnell in die Rolle eines Versammlungsleiters hineingefunden hatte.

Der Sibirier öffnete den langen schmalen Schnabel und gab eine Reihe seltsam klingender Laute von sich, die der Rauchfußbussard Satz für Satz verdolmetschte. Er und sein Freund Nucifraga Nucifragowitsch seien gekommen, so etwa lautete die Ansprache des Fremden, um den Tieren des Westens die Grüße der Brüder im Osten zu überbringen, und sie schätzten sich glücklich, diesen Grüßen heute auch die aufrichtigsten Glückwünsche zu dem nun auch hier begonnenen Befreiungswerke beifügen zu können. Sie daheim hätten unter dem zarischen Absolutismus des Wisents besonders schwer zu leiden gehabt, aber nun sei der kaiserliche Wiederkäuer nicht nur gestürzt, sondern auch mit seinem gesamten Hause und Anhang ermordet, und die Sonne der Freiheit leuchte über dem ganzen Lande. Wo einst der finstere Despotismus geherrscht habe, lebe man jetzt wie im Paradiese; die Arbeit sei abgeschafft, unter allen Tieren herrsche vollkommene Gleichheit und Brüderlichkeit, und jeder Genosse habe das erhebende Bewußtsein, daß alle anderen genau so hungerten wie er selbst. Denn hungern tue man, seit keiner mehr arbeite, ganz allgemein, daraus wolle er gar kein Hehl machen, und er berichte es um so lieber, als es der einzige Mißstand sei, der sich seit der Einführung der Diktatur des Volkes bemerkbar gemacht habe. Aber auch das habe wieder seine gute Seite, denn je mehr Tiere am Hunger zugrunde gingen, desto länger könnten die übrigen ihr Leben fristen. Einmal müsse es ja doch anders werden, denn die Natur, die die Geschöpfe ins Leben rufe, habe doch die Pflicht, auch für ihre Ernährung zu sorgen, und werde sich dieser Pflicht auf die Dauer nicht entziehen. Er rate allen Brüdern im Westen, ob sie nun Federn oder Haare trügen, sich die Neuregelung der Dinge, wie man sie im Osten so glücklich durchgeführt habe, zum Muster zu nehmen und jedes Tier, das sich so segensreichen Reformen widersetze, ohne Erbarmen am nächsten Baume aufzuknüpfen.

Als der Fremde mit seiner Rede zu Ende war, brach wieder tobender Beifall los, und überall wurde der Ruf laut: »Auf nach dem Burghause! Der Kreisdirektor, dieser Reaktionär, muß heute noch hängen!« Und nun gab es kein Halten mehr: die Menge stürmte mit kochender Seele nach Haus Malepart hinüber, um an dem verhaßten Junker ihr Mütchen zu kühlen.

Dieser hatte die Vorgänge auf der Waldwiese von der auf den oberen Altan des festen Baues mündenden Röhre aus genau beobachtet und bei der Annäherung der freiheitstrunkenen Horde sofort begriffen, daß es ihm an den Kragen gehen solle. Aber er war nicht der Mann, der sich durch das Gebrüll von Leuten dieses Schlages einschüchtern ließ, und wußte nur zu genau, wie wenig dazu gehört, eine Volksmasse ohne feste politische Überzeugungen umzustimmen.

Schnell entschlossen drehte er sich in der engen Röhre um und steckte zur Begrüßung der Ankömmlinge seine brandrote Standarte hinaus. Die Folge davon war, daß das Gejohl der Revolutionshelden sofort verstummte. Man merkte es ihnen an: die einfache Tatsache, daß das Panier der Freiheit nun auch vom Söller des Junkersitzes wehte, hatte die braven Tiere völlig aus dem Konzept gebracht. Beinahe kleinlaut standen sie vor dem Portal und wußten nicht recht, was sie tun sollten.

Ihre Verwirrung wurde noch größer, als der Mann, den sie aufzuknüpfen gekommen waren, wenige Augenblicke später ganz unbefangen zu ihnen heraustrat und sie mit einem halb wohlwollenden, halb verbindlichen Lächeln begrüßte. »Nun, mein Bester, sieht man Sie endlich auch einmal wieder?« wandte er sich an den verblüfften Ratz, ihm kräftig die Brante schüttelnd. »Ich habe immer bedauert, daß Sie infolge einer kleinen Differenz mit dem Staatsanwalt so lange unabkömmlich waren. Wenn unsere Juristen mehr Verständnis für die individuellen Eigentümlichkeiten ihrer Mittiere hätten, könnte es gar nicht vorkommen, daß man einen genialen Kerl wie Sie wegen eines belanglosen Verstoßes gegen irgendeinen Paragraphen eines überlebten Gesetzes auf Gott weiß wie lange Zeit in seiner Bewegungsfreiheit behindert. Na, die Hauptsache ist, daß Sie wieder da sind!« Er ließ den Iltis stehen und näherte sich dem Habicht. »Nun, die Mauser glücklich überstanden, alter Freund? Sehen wieder brillant aus. Ich muß bekennen, im August, als wir uns auf der Hühnersuche trafen, habe ich mir Ihretwegen ernstliche Sorge gemacht. Ich sprach deshalb auch mit Doktor Adebar, aber der meinte, Sie hätten eine robuste Natur und könnten's auf mehr als sechzig Jahre bringen.« »Sieh da, da ist ja auch Herr Sperber!« wandte er sich an den kleinen Halunken, ihm vertraulich die Schulter klopfend. »Was macht denn die liebe Familie? Ihre Gattin habe ich im Mai, als sie im Stangenholze hinter dem Schmerlenbach brütete, ja oft begrüßt und mich im Juni dann über die sechs prächtigen Kinderchen gefreut, die mit ihren hellen Lichtern so verständig über den Horstrand herunteräugten. Und nun höre ich, daß sie schon die Schule hinter sich haben. Wie doch die Zeit vergeht! Ja, ja, aus Kindern werden Leute! Aber«, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »wir reden und reden, und ich habe noch gar nicht gefragt, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft. Sie kommen ja mit einem überaus ansehnlichen Gefolge, meine Herren. Ich würde Sie gern einladen, näher zu treten, für eine so stattliche Gesellschaft ist jedoch der Raum in meinem alten Raubschlosse zu beschränkt. Darf ich also fragen, womit ich Ihnen dienen kann?«

Die Führer des Haufens äugten einander an, unschlüssig, was sie dem Junker, der sie nicht anders, als wären sie seinesgleichen, empfangen hatte, erwidern sollten. Da hüpfte Frau Elster, von der noch nie jemand hätte behaupten können, daß sie auf den Schnabel gefallen sei, vor, knickste und sagte: »Der Herr Kreisdirektor werden entschuldigen; wir wollten Ihnen nur mitteilen, daß es mit der Monarchie nun vorbei ist, und daß wir heute früh die sozialistische Republik proklamiert haben.«

»Da erzählen Sie mir nichts Neues, meinte gute Frau«, erwiderte Herr von Malepart mit heiterer Miene. »Ich habe so etwas längst vorausgesehen und beglückwünsche die Herrschaften von ganzem Herzen zu dieser prächtigen Idee. Daß die Monarchie eine überlebte Institution war, darüber sind wir uns wohl alle längst im klaren gewesen. Es hätte nicht erst des gestrigen Fiaskos bedurft, um die Mängel des ganzen Systems vor aller Welt darzutun. Sie lagen für jeden Sehenden offen zutage. Ich habe, wie Ihnen mein Freund und Mitarbeiter Eichhorn gewiß bestätigen wird, die Entwicklung der Dinge mit banger Sorge verfolgt und mehr als einmal meine warnende Stimme erhoben. Die Fehler, die unsere durch und durch unsoziale Regierung auf dem Gebiete der inneren Politik gemacht hat, will ich Ihnen gar nicht aufzählen; die werden Sie mindestens ebenso genau kennen wie ich. Aber ich möchte Sie daran erinnern, daß auch unsere äußere Politik vollständig verfahren war. Und woran lag das? An der Unfähigkeit der verantwortlichen Männer. Basse war eine vollkommene Null, eine sehr massive Null zwar, aber eine Null. Seine völlige Passivität hat unglückseligerweise Hubertus XII. in seiner Neigung, sich als politischer Dilettant zu produzieren, bestärkt. Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber meiner Meinung nach haben wir den gestrigen Tag einzig und allein dem provozierenden Auftreten des Fürsten zu verdanken, der sich in seiner mir kaum verständlichen Verblendung verleiten ließ, Abend für Abend, noch ehe es recht dunkel war, auf die Kartoffeln hinauszuwechseln und sein frischgeschlagenes Geweih den Zweibeinen ostentativ zur Schau zu stellen.«

»Stimmt, stimmt! Der Kreisdirektor hat recht! Hubertus XII. trägt am Kriege ganz allein die Schuld!« rief jemand in der Menge.

»Das schlimmste war aber, daß diesem herausfordernden Gebaren sein persönlicher Mut durchaus nicht entsprach«, fuhr Herr von Malepart fort. »Er war wirklich alles andere als ein Held. Wäre er der gewesen, für den er sich auszugeben liebte, so hätte er die gestrige Katastrophe nicht überlebt. Ein Held würde an der Spitze seiner Truppen den Tod gesucht haben. Freunde, mir tritt die Schamröte in die Wangen, wenn ich daran denke, daß wir uns von dieser Memme haben regieren lassen.«

»Das kann der Kreisdirektor jetzt leicht sagen«, bemerkte eine Wasserratte mit höhnischem Lachen. »Und doch hat keiner mehr vor Hubertus XII. gekatzbuckelt als er!«

»Meine liebe Frau, Sie reden, wie Sie's verstehen«, erwiderte Herr von Malepart ruhig. »Wer auf gekrönte Häupter Einfluß zu gewinnen beabsichtigt, muß sich nun einmal den höfischen Gebräuchen fügen. Und ich will nicht leugnen, daß ich mir die Fähigkeit zugetraut habe, den Fürsten zu sozialistischen Grundsätzen zu bekehren.«

»Der Kreisdirektor und sozialistische Grundsätze! Er soll sich nicht auslachen lassen!« rief der Schornsteinfegergeselle Turmdohle mit gellender Stimme. Und ganz im Hintergründe fügte jemand hinzu: »Der Reaktionär denkt wohl, er könnte uns mit seinem Geschwätz dumm machen!«

»Sie dahinten, keine Injurien, wenn ich bitten darf!« entgegnete Herr von Malepart mit gut gespielter Entrüstung. »Den Ausdruck ›Reaktionär‹ muß ich als eine grobe Beleidigung auf das entschiedenste zurückweisen. Glauben Sie etwa, ich hätte mich, weil ich unglücklicherweise adliger Abstammung bin, des Rechtes begeben, einen vernünftigen Gebrauch von meinen fünf Sinnen zu machen und mir über die Dinge dieser Welt eine eigene Meinung zu bilden? Nein, Leute, das Recht, das ich als modernes Tier jedem von Ihnen zubillige, nehme ich auch für mich in Anspruch. Sie kennen ohne Zweifel die Geschichte der großen französischen Revolution. Ich frage Sie, würden Sie es wagen, Mirabeau, bloß weil er zufällig als Graf gewölft wurde, einen Reaktionär zu nennen? Könnten Sie in meinem Innern lesen, so würden Sie staunen. Sie würden vielleicht sogar sagen: der Mann ist uns zu radikal, er stellt im Interesse des Proletariats Forderungen, die sich nie erfüllen lassen. Und mit diesem Einwand hätten Sie gar nicht so unrecht. Aber, meine Freunde, wer viel begehrt, muß noch mehr fordern, das ist das erste Gesetz aller politischen Klugheit. Für die Abstriche sorgt schon das Schicksal.«

»Da hat er recht. Beim Fordern kann man den Schnabel gar nicht voll genug nehmen. Und deshalb ist meine Meinung, wir sollten zu allererst einmal den Antrag stellen, daß in Zukunft alle Sträucher Dornen tragen, und daß an jedem Dorn ein junger Frosch aufgespießt sein muß«, meinte ein alter Raubwürger, der schon ein wenig bequem geworden war.

»Sehr richtig, mein Bester! Da hört man doch endlich einmal einen praktischen Vorschlag! Wenn ich jemals in die Lage kommen sollte, ein Kabinett zu bilden, wozu natürlich nicht die geringste Aussicht vorhanden ist, so würde ich Sie mit dem Portefeuille für Landwirtschaft und Forsten betrauen«, erwiderte der Kreisdirektor. »Ein Landwirtschaftsminister, wie ich ihn mir denke, hätte allerdings keinen leichten Stand«, setzte er hinzu, »er müßte mit der größten Schärfe gegen die Agrarier vorgehen, die den Hals nicht voll bekommen können und deshalb die Schuld an unserer wirtschaftlichen Misere tragen. Ginge es nach mir, so müßten diese Herren ihre Erzeugnisse direkt an die Konsumenten liefern, und zwar nahezu kostenlos, denn der Grund und Boden, den sie bebauen, gehört doch von Haus aus der Allgemeinheit, und für Regen und Sonnenschein, deren Einwirkung sie ihre Produkte in allererster Linie verdanken, geben sie keinen Pfennig aus. Daß sie sich hauptsächlich auf die Agrarier stützte, hat die bisherige Regierung mit Recht beim Volk um alle Sympathien gebracht. Würde man mir die Leitung des Staates übertragen, wovor mich jedoch der Himmel behüten möge, so würde ich meine Ratgeber ausschließlich aus der Bevölkerungsschicht wählen, die in Wahrheit der Kern der Nation ist und schon, weil sie die Majorität repräsentiert, Anspruch darauf erheben darf, einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Regierung zu gewinnen, aus der Schicht der sogenannten kleinen Leute, der Gewerbetreibenden, Arbeiter und Subalternbeamten. Wie viele befähigte Köpfe sehe ich allein unter Ihnen, meine Freunde! Einen wie vortrefflichen Minister des Innern würde zum Beispiel mein wackrer Mitarbeiter Eichhorn abgeben, ein Mann, der die härtesten Nüsse mit spielender Leichtigkeit zu knacken versteht! Können Sie sich einen geeigneteren Minister für auswärtige Angelegenheiten denken als Ratz Iltis, der in der Welt herumgekommen ist und in den Hühnerställen und Taubenschlägen der Zweibeine so gut Bescheid weiß wie in seinem eigenen Bau? Brauche ich Ihnen den Nachweis zu erbringen, daß das Portefeuille des Kriegsministers in keine besseren Fänge kommen könnte als in die meines alten Jagdkameraden Habicht, der in seinem Wesen Scharfblick, Vorsicht und Entschlossenheit vereint und weit über die Grenzen hinaus jeden Baum und Strauch, jede Blöße und jede Dickung kennt? Ja, meine Freunde, da ich die Zurücksetzung der Frauen im politischen Leben immer als eine schreiende Ungerechtigkeit empfunden habe, würde ich sogar keinen Augenblick zögern, eine der begabtesten unter unseren Schwestern, Frau Pica Elster, in die Regierung zu berufen und ihr das Ressort des Handels zu überweisen. Sie steht mitten im praktischen Leben und hat durch Fleiß und Umsicht ihre Firma zu hoher Blüte gebracht, sie versteht vor allem, ökonomisch zu wirtschaften, und würde, da sie gewohnt ist, auch den geringfügigsten Dingen Beachtung zu schenken, unserem Volke wirtschaftliche Werte zu erhalten wissen, die sonst verlorengehen.

Meine Freunde, ich habe, indem ich Ihnen da meine unmaßgeblichen Vorschläge zur Bildung eines Kabinetts unterbreitete, keineswegs beabsichtigt, mich Ihnen als Kandidaten für den Posten des Präsidenten der von Ihnen proklamierten Republik zu empfehlen. Dieser Ehrgeiz liegt mir völlig fern, und ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie einen Würdigeren finden werden. Aber erlauben Sie mir, mich als einen der Ihren zu betrachten, verfügen Sie, wenn Sie mich brauchen können, jederzeit über meine bescheidene Arbeitskraft und nennen Sie mich fortan mit dem ehrenvollen Titel Genosse! Die rote Farbe«, setzte er mit bedeutsamem Lächeln hinzu, »habe ich ja nie verleugnet, ich habe sie vielmehr auch dann mit Stolz getragen, wenn mich meine dienstlichen Obliegenheiten in persönliche Berührung mit Hubertus XII. brachten. Daß mir dies oft verdacht worden ist, weiß ich wohl. Aber welcher Mann kann unangefochten leben, der den Mut hat, seine Überzeugung frei zu bekennen?« Er ließ seine Blicke fragend über die ihn umdrängende Menge schweifen, als erwarte er von ihr sein Urteil.

Der kleine Aktuar, den die Aussicht, Minister zu werden, gewaltig kitzelte, und der sich von der Gönnerschaft seines bisherigen Vorgesetzten mehr Vorteil versprach als von einem bedingungslosen Anschluß an Leute vom Schlage eines Ratz Iltis und Habicht, bäumte an einer Fichte empor und hielt, sich mit allen Vieren an einem schwanken Zweige festklammernd, eine Ansprache. »Genossen, für die Gesinnung meines Freundes Malepart kann ich mich verbürgen«, sagte er. »Daß er ein Mann von Charakter ist, geht ja schon daraus hervor, daß er sich von seinem reaktionären Onkel losgesagt und damit auf eine bedeutende Erbschaft Verzicht geleistet hat. Wie wäre es, wenn wir ihn bäten, sein Genie und seine Arbeitskraft in den Dienst unserer Sache zu stellen und die Präsidentschaft der Republik zu übernehmen? Wenn er sich dazu entschlösse, an die Spitze der Regierung zu treten, so wäre das für uns ein Erfolg von unschätzbarem moralischem Werte. Tausende von Tieren, die heute noch grollend beiseite stehen, weil es ihnen schwer wird, sich mit der Neuordnung der Dinge abzufinden, würden ihren Widerstand aufgeben und dadurch dem von uns proklamierten Staatswesen die sonst unausbleiblichen schweren Kämpfe um seine Existenz ersparen. Die Richtlinien seiner Politik hat Genosse Malepart ja durch die Namen derer gekennzeichnet, die er zur Bildung des Kabinetts für geeignet hält. Selbstverständlich müßten wir, bevor wir eine Volksabstimmung darüber veranstalten, ob dem Genossen Malepart die Würde eines Präsidenten der sozialistischen Republik angetragen werden soll, uns Gewißheit darüber verschaffen, ob die für die Ministerposten in Aussicht Genommenen bereit sind, in das zu bildende Kabinett einzutreten. Ich richte deshalb an die Genossen Ratz Iltis, Raubwürger und Habicht sowie an die Genossin Elster die Frage, ob mit ihrer Geneigtheit zur Übernahme eines Portefeuilles zu rechnen ist.«

Ein paar Augenblicke herrschte unter den Versammelten Totenstille. Dann antworteten Raubwürger, Habicht und Frau Elster wie aus einem Schnabel mit einem lauten und, wie es schien, sehr freudigen Ja.

»Das geht wider alle Verabredung«, erklärte Ratz Iltis, der mit Schrecken erkannte, daß ihm der pfiffige kleine Aktuar, dessen Gesinnung ihm schon längst verdächtig vorgekommen war, das Heft aus den Branten gewunden hatte. »Wir sind doch nicht hierher gekommen, um den Kreisdirektor zum Präsidenten zu machen, sondern um ihn an seinem besten Halse aufzuknüpfen!«

In der Menge rief jemand: »Quatsch nicht, Ratz! Halt den Fang!« und aller Seher richteten sich scheu auf Herrn von Malepart, um den Eindruck zu ergründen, den dieses recht unzeitgemäße Geständnis des persönlich überall wenig beliebten Zuchthäuslers auf ihn ausübte. Aber der verzog sein schmales Antlitz nur zu einem sarkastischen Lächeln und sagte: »Der köstliche Humor, der aus den Worten des Genossen Ratz Iltis spricht, macht mir unsern Freund nur um so sympathischer. Als Minister des Äußeren wird er am rechten Platze stehen, denn Humor ist immer das Merkmal eines überlegenen Geistes.«

»Also, Genosse Ratz, tust du mit oder nicht?« fragte Aktuar Eichhorn, über die Entgleisung des Mannes innerlich aufs höchste empört.

»Na ja,« erwiderte dieser mit boshaftem Lachen, »es wird mir schon nichts anderes übrigbleiben.«

»Gut! Ich für meine Person erkläre ebenfalls meine Bereitwilligkeit, in das zu bildende Kabinett einzutreten, und schlage nunmehr vor, darüber abzustimmen, ob dem Genossen Malepart die Präsidentschaft angeboten werden soll«, fuhr Eichhorn fort. »Findet der Antrag Unterstützung?«

Allerorten reckten sich Branten, Pfoten und Flügel empor.

»Ich danke euch. Genossen«, sagte der Aktuar. »Das ist nahezu die Majorität. Wir schreiten nun zur Abstimmung. Wer dafür ist, daß wir den Genossen Malepart ersuchen, die Würde eines Präsidenten unserer freien sozialistischen Republik anzunehmen, erhebe Vorderlauf oder Flügel!«

Wie auf Kommando fuhren die Gliedmaßen der Eingesessenen in die Höhe. Nur die beiden Sibirier und der Rauchfuß, die als Landfremde nicht stimmberechtigt waren, hockten regungslos da und warfen Ratz Iltis, den sie für die Seele der revolutionären Bewegung gehalten hatten, enttäuschte Blicke zu.

»Ich stelle fest, daß der Antrag einstimmig angenommen worden ist, und richte an den Genossen Malepart im Namen des souveränen Volkes die Frage, ob er willens ist, als Präsident an die Spitze der Republik zu treten und zu gegebener Zeit die von einer konstituierenden Versammlung zu erlassende Verfassung zu beschwören?«

Der also Geehrte tat, als ringe er nach Worten. Drei-, viermal griff er nach seiner Standarte und wischte sich mit deren Blume über die Seher. »Verehrte, liebe Genossen«, begann er endlich mit einer Stimme, die vor innerer Erregung zu zittern schien, »die Kundgebung eures einmütigen Willens, mir die Präsidentschaft unserer geliebten Republik zu übertragen, überwältigt und beschämt mich. Die Last, die ihr damit auf meine Schultern legt, ist schwer, fast zu schwer für meine schwachen Kräfte. Bringe ich doch zu dem hohen Amte nichts weiter mit als den heißen Wunsch, mich eures Vertrauens würdig zeigen zu können, und das redliche Bestreben, dem Vaterlande zu nützen. Genossen, ich danke euch! In der Einmütigkeit, mit der ihr mich zu eurem Oberhaupt erwählt habt, erkenne ich das Gebot des Schicksals, mich meiner Pflicht nicht zu entziehen. Ich nehme die mir vom souveränen Volke übertragene Würde an, aber nur unter der Voraussetzung, daß ihr Nachsicht mit mir übt, und daß jeder von euch mich mit Rat und tätigem Beistand unterstützen wird. Es lebe die freie sozialistische Republik!«

Die Versammelten stimmten in den Ruf begeistert ein. Als wieder Stille eingetreten war, ergriff Aktuar Eichhorn noch einmal das Wort. Er dankte dem neuernannten Staatsoberhaupt für seine Bereitwilligkeit, Begabung und Kräfte in den Dienst des teuern Vaterlandes zu stellen, und sicherte ihm im Namen der Wähler weitgehende Unterstützung zu. »Und nun, Genossen,« schloß er, »laßt uns die Gefühle der Dankbarkeit und Verehrung, die wir für den Steuermann unseres soeben vom Stapel gelassenen Staatsschiffes hegen, zusammenfassen in die jubelnde Huldigung: Seine Exzellenz, der Herr Präsident der Republik, lebe hoch!«

Nicht endenwollende Ovationen folgten. Der Mann, der vor einer knappen Stunde gehängt werden sollte, war der Held des Tages, der vergötterte Liebling der Menge geworden, und dieselben Leute, die sich vorhin noch um die Ehre gebalgt hätten, ihm die Schlinge um den Hals zu legen, drängten sich jetzt an ihn hinan, um ihm die Braute zu schütteln oder doch wenigstens einen freundlichen Blick von ihm zu erhaschen.

Er aber hatte längst einen Seher auf die beiden Sibirier geworfen, und da es ihm so vorkam, als hätten sie sich von der in ihrer Heimat herrschenden Hungersnot ganz hübsch wieder erholt, ließ er sie durch den Genossen Rauchfuß bitten, sich heute zum Diner im Burghause einzufinden. Als sie dann, vertrauensselig, wie Tannenhäher nun einmal sind, zu der ihnen bezeichneten Stunde pünktlich erschienen, begrüßte er sie mit den Worten: »Genossen, der Gedanke, daß Sie, in Ihr Vaterland zurückgekehrt, eines Tages dem Hunger erliegen könnten, ist mir unerträglich. Erlauben Sie mir, Sie vor einem so qualvollen Tode zu bewahren!« Sie verstanden seine Worte nicht, hätten auch, selbst wenn sie sich in der Sprache der Tiere des Westens einigermaßen fließend auszudrücken vermocht hätten, kaum Zeit gehabt, ihm für seine Fürsorge zu danken, denn er riß ihnen blitzschnell die Köpfe ab, rupfte sie notdürftig und verspeiste sie ohne alle weitere Zubereitung. Und er stellte dabei mit Befriedigung fest, daß die beiden kommunistischen Vögel beinahe ebenso schmeckten und längst nicht so zähe waren wie die konservative alte Ringeltaube, die sich auf ihrer Herbstwanderung verspätet, und die er heute früh an der Tränke überrumpelt hatte.


 << zurück weiter >>