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Achtzehntes Kapitel

Allerlei Parlamentarisches. Während der erregten Debatte über den Militäretat bewahrt Major von Swinegel mit gewohnter Kaltblütigkeit das junge Staatswesen vor verhängnisvollen fremden Einmischungen, woraus zu ersehen, daß ganz ohne Militär doch nicht auszukommen ist. Frau Nikoline Lampe, die bei Exzellenz von Malepart vorspricht, um ihrem Gatten eine Anstellung bei der Regierung zu verschaffen, macht mit dem Herrn Landespräsidenten sehr trübe Erfahrungen

 

Der November war gekommen, der Monat, in dem sich sonst die Natur in tiefstes Schweigen hüllt, und die graue Sorge wie ein schwerer Alp auf den Tieren des Waldes lastet, daß sie still und verdrossen ihrem Tagewerk nachgehen oder, wenn sie zu den Glücklichen gehören, denen ein freundliches Geschick vergönnt, sich für ein paar Monate mit holden Träumen über die Not des Lebens hinwegzutäuschen, die Vorbereitungen zum Winterschlafe treffen.

Diesmal jedoch war von dem müden Herbstesfrieden im Walde nichts zu merken, denn trotz den trüben, feuchtkalten Tagen brandeten die Wogen der politischen Erregung höher als je.

Auf der Wiese vor dem Burghause des neuen Staatsoberhauptes tagte die Landesversammlung der Tiere, die nach lebhaften Debatten und unter dem Drucke der radikalen Parteien den Präsidenten der jungen Republik im Amte bestätigt hatte und sich nun mit der Durchberatung der Verfassung beschäftigte. Bei der Zusammensetzung des Parlaments, worin die Anhänger des alten und die des neuen Systems ungefähr in gleicher Anzahl vertreten waren, war es nicht verwunderlich, daß die kleine demokratische Fraktion das Zünglein an der Wage bildete, und daß letzten Endes die Stimme des uralten Abgeordneten Laputz, des Seniors der bekannten weitverzweigten Familie, der bei seinen Parteifreunden das höchste Ansehen genoß, ausschlaggebend war. Der hochbetagte Herr, der jeden Morgen von zweien seiner Urenkel in die Versammlung geleitet und nachmittags wieder abgeholt wurde, lebte jetzt, wo er die Träume seiner Jugend der Verwirklichung so nahe sah, förmlich wieder auf, nicht gerade zur Freude seiner Angehörigen, auf deren unschuldige Häupter er seinen Ärger über alle Angriffe von rechts und links sehr temperamentvoll entlud.

Herrn von Maleparts diplomatische Begabung zeigte sich im hellsten Lichte. Er wohnte den Sitzungen der Landesversammlung mit der größten Regelmäßigkeit bei, ohne persönlich in den Gang der Verhandlungen einzugreifen, und begegnete allen Volksvertretern ohne Ansehung ihrer Parteizugehörigkeit mit vorbildlicher Verbindlichkeit. Aber während er sich bei jeder Gelegenheit nur als das ausführende Organ des Volkswillens, als den »Hausknecht der Republik« bezeichnete, wußte er unter der Hand jeden einzelnen Abgeordneten in seinem Sinne zu bearbeiten und durch weitgehende Versprechungen seinen Wünschen gefügig zu machen, so daß im Grunde genommen der sich bei den Abstimmungen offenbarende Wille des Volkes nichts anderes als der Wille seines Oberhauptes war. Durch wohlfeile Zugeständnisse wußte er bei den Proletariern den Eindruck zu erwecken, als seien sie durch die Staatsumwälzung tatsächlich der maßgebende Stand geworden, und nichts erfüllte ihn mit größerer Genugtuung als ein Gespräch zweier Frauen aus dem Volke, das er einmal bei seinem Abendpürschgang belauschte, und das mit den Worten schloß: »Ja ja, Brandmausen, man muß sich erscht dran gewöhnen, daß wir nun die Öberschten sind!«

Das Kabinett, das er gebildet und der Landesversammlung präsentiert hatte, sah freilich wesentlich anders aus, als nach den von ihm nach Ausbruch der Revolution gemachten Andeutungen zu erwarten gewesen war. Von den Leuten, denen er seine Erhebung auf den Präsidentenstuhl verdankte, hatte nur der ehemalige Aktuar Eichhorn ein Portefeuille erhalten, ein Mann, dessen unbedingte Ergebenheit ihm über allen Zweifel erhaben schien. Dem Zuchthäusler Ratz Iltis hatte der Schlaukopf mit dürren Worten erklärt, er habe zu seinem lebhaften Bedauern aus Presseäußerungen ersehen, daß die Regierungen des Auslandes die Ernennung einer so übelberüchtigten und wegen ihrer brutalen Rücksichtslosigkeit allgemein verhaßten Persönlichkeit zum Minister des Äußeren als einen feindseligen Akt betrachten würden, und müsse sich deshalb seine anderweitige Verwendung im Staatsdienst vorbehalten. Dem Habicht hatte er durch dessen Komplizen Sperber hinterbringen lassen, Genosse Raubwürger habe sich höchst abfällig über ihn geäußert und dabei erklärt, in einem Kabinett, dem ein solcher Langfinger angehöre, könne kein anständiger Vogel sitzen. Infolgedessen hatte der tödlich Gekränkte den kleinen Mann aus dem Hinterhalt überfallen und so furchtbar zugerichtet, daß er, ohne die Besinnung wiedererlangt zu haben, nach wenigen Stunden seinen Wunden erlag. Der Forstwart Markolf war, von Herrn von Malepart insgeheim mit der Überwachung des Genossen Habicht betraut, Zeuge des Totschlags gewesen und hatte den Präsidenten sofort von dem Verbrechen in Kenntnis gesetzt, worauf dieser den Missetäter zu sich beschied und ihm zusicherte, er werde aus persönlicher Freundschaft für ihn Markolf zum Schweigen verpflichten, wenn er freiwillig von der Kandidatur für den Posten des Kriegsministers zurücktrete.

Am leichtesten war es Herrn von Malepart geworden, sich der Genossin Elster zu entledigen. Sie hatte der Gattin des Abgeordneten Hermelin einen Aluminiumfußring der Vogelwarte Rossitten, den sie noch dazu der Leiche einer an einem Giftbrocken eingegangenen Schwägerin der Regierungsrätin Nebelkrähe abgestreift hatte, als antikes silbernes Armband verkauft und sich dadurch sowohl bei den sozialistischen als bei den bürgerlichen Parteien unmöglich gemacht.

Der Landespräsident hatte dafür gesorgt, daß das von ihm nach langwierigen Verhandlungen gebildete Kabinett durchaus nicht als allzu radikal gelten konnte und sich aus Leuten zusammensetzte, die entweder reine Nullen oder ihm bis auf die Knochen ergeben waren. Das Ergebnis war folgendes: Inneres: Eichhorn. Äußeres: Siebenschläfer. Kultus und Unterricht: Steinkauz. Ackerbau und Forsten: Markolf. Justiz: Maulwurf. Handel: Hamster. Finanzen: Goldregenpfeifer. Öffentliche Arbeiten: Schermaus. Krieg: Turmfalk. Die vier zuerst Genannten waren Vertreter eines gemäßigten Sozialismus, Maulwurf, Hamster, Goldregenpfeifer und Schermaus gehörten der demokratischen, Turmfalk der Volkspartei an. Goldregenpfeifer, der von Beruf Bankier war und mit Beginn der rauhen Jahreszeit wärmere Gegenden aufzusuchen pflegte, hatte sich beim Eintritt in das Kabinett verpflichten müssen, während seiner Amtsführung im Lande zu überwintern.

Einiges Befremden hatte die Ernennung Maulwurfs, der ja bisher Ingenieur beim Tiefbauamt gewesen war, zum Justizminister hervorgerufen, aber Herr von Malepart hatte sie mit dem Hinweis darauf zu rechtfertigen gewußt, daß der kleine Schwarzrock in weiten Kreisen für blind gelte, und daß er als Laie in allen Angelegenheiten der Rechtspflege jedenfalls beim Volke mehr Vertrauen genieße als irgendein Jurist von Fach. Selbstverständlich war mit dem Kabinett niemand zufrieden, aber das hatte sein Schöpfer auch gar nicht erwartet, und er sah schon einen Gewinn darin, daß sowohl die sozialistische als die bürgerliche Presse offen bekannten, die neue Regierung entspreche zwar nicht ihren Wünschen, sei jedoch nicht ganz so schlimm ausgefallen, wie man es bei der unklaren Haltung des Staatsoberhauptes habe befürchten müssen.

Im Parlament stand jetzt gerade der Militäretat zur Beratung, und die Geister platzten heftiger als je aufeinander. Die Abgeordneten der Rechten forderten mit Entschiedenheit eine Neuordnung und weitere Ausgestaltung des Heerwesens, die der Linken ebenso temperamentvoll die Abschaffung der Dienstpflicht und den Ersatz des Volksheeres durch eine Söldnertruppe, die eben zum Schutze der Landesgrenze ausreiche und die sich vor allem aus Elementen rekrutiere, deren Gesinnung dafür Gewähr biete, daß sie jeden Versuch von reaktionärer Seite, die Monarchie wieder einzuführen, mit aller Schärfe bekämpfen würden. Es blieb nicht aus, daß man die Person des neuen Kriegsministers, dem die bürgerlichen Volksvertreter Mangel an Schneid, die sozialistischen seine Zugehörigkeit zur Familie der als hochfeudal verschrienen Falken und das rigorose Vorgehen vorwarfen, das er als Kommandeur der Feldgendarmerie gegen die kleinbäuerlichen Mäuse bewiesen haben sollte, in die Debatte zog, und daß man sogar den wackern Major von Swinegel als einen Anhänger des schrankenlosen Militarismus verdächtigte, bloß weil er bei dem unerwarteten Kriegsausbruch noch in letzter Stunde Verteidigungsmaßregeln zu treffen versucht hatte.

Die Widersacher des alten Soldaten hatten nicht mit dessen Beliebtheit gerechnet: bis weit in die Reihen der Demokraten hinein erstanden ihm eifrige Anwälte, und da die Gegner, was ihnen an sachlichen Beweisgründen für ihre leichtfertigen Behauptungen abging, durch Schmähungen und Herausforderungen zu ersetzen suchten, so artete die Verhandlung in eine wüste Lärmszene aus, wie sie noch keiner der Parlamentarier erlebt hatte.

Keiner der erhitzten Streiter ahnte, welche Gefahr der Landesversammlung in diesem Augenblick drohte. Die Hunde im Hofe der Zweibeinoberförsterei waren auf das Gewirr erregter Stimmen, das von der Waldwiese her zu ihnen herüberscholl, aufmerksam geworden und verspürten nun das lebhafteste Verlangen, sich in die inneren Angelegenheiten der jungen Republik einzumischen. Die beiden Kurzhaarvorstehhunde Teil und Treff gaben, entrüstet über die Störung ihrer Mittagsruhe, Hals, der alte Griffon ließ ein grollendes Knurren vernehmen, und Herr Bosko, der Schnürenpudel, dramatische Künstler und Poet, der seinem ehemaligen Gönner von Malepart noch immer nicht den schnöden Verrat und noch weniger das heimliche Verschwinden beim Vortrage seines neuen Dramas verziehen hatte, tat alles, was in seinen Kräften stand, um die Erbitterung der sonst von ihm durchaus nicht sehr geschätzten Verwandten zu schüren. Aber während die vier Großen noch darüber hin und her berieten, wie man aus dem durch Mauern und Gitter gesicherten Anwesen einen Ausgang ins Freie finden könne, rannte Waldmann, der gelbe Teckel, sonst ein mürrischer Sonderling, der sich von den Unternehmungen der anderen geflissentlich fernhielt, mit lustig flatterndem Behang in den Obstgarten und begann, unter dem Drahtgeflecht der Umzäunung ein Loch zu wühlen. Aber diese Arbeit war schwerer, als er angenommen hatte, denn das metallene Gewebe reichte tief in den Boden, und so sehr er sich auch abmühte, mit seinen plumpen Pfoten die steinharte Erde loszuscharren und hinter sich zu schleudern, und so oft er auch durch ein kurzes leidenschaftliches Gejaul feinen erlahmenden Eifer anspornte, so bedurfte er doch längerer Zeit, ehe der Tunnel ins Freie fertiggestellt war. Er selbst hätte sich zur Not durch die enge Röhre zwängen können, aber die vier großen Vettern, die ihm in den Garten gefolgt waren und es an guten Ratschlägen nicht fehlen ließen, bestanden darauf, daß er die Unterführung so tief und geräumig mache, daß sie auch ihnen einen Durchschlupf biete, was dann zu erregten Auseinandersetzungen führte.

Inzwischen war jenseits des Drahtzaunes Major von Swinegel herangekommen, der als pflichttreuer Offizier bei dem Ernst der politischen Lage darauf verzichtet hatte, sein gewohntes Winterquartier unter der Brombeerhecke zu beziehen, übersah sofort die der Landesversammlung drohende Gefahr und traf mit bewundernswerter Geistesgegenwart die zweckmäßigste Abwehrmaßregel, indem er in den Tunnel schlüpfte und sich in dessen Mitte zusammenrollte.

Es wäre den parlamentarischen Gegnern des alten Soldaten, die jetzt gerade in der gehässigsten Weise über ihn loszogen, zu wünschen gewesen, daß sie Zeugen seiner heroischen Tat geworden wären. Die ausdrucksvolle Nase fest unter den Bürzel gepreßt und ohne sich durch das wütende Geheul der Hunde auch nur im geringsten einschüchtern zu lassen, lag er, seine nadelspitzen Stacheln nach allen Seiten wirr durcheinandersträubend, regungslos da, dem edlen Gewächs Echinocactus Johnsonii vergleichbar, ein zweiter, glücklicherer Leonidas, der mit seinem Heldenleibe die Thermopylen so vollständig ausfüllte, daß jeder noch so wütende Ansturm des Feindes wirkungslos an ihm abprallte.

*

Seit Lamprecht Lampe als geheilt aus dem Lazarett entlassen worden war, hatte seine junge Frau keine ruhige Stunde mehr. Daß er sich mit seinem steif gebliebenen rechten Hinterlauf nicht mehr bewegen konnte wie früher, daß er genötigt war, sich an einer Krücke durch sein ferneres Leben zu schleppen, machte ihn mißmutig und ungerecht. Er wich keinen Schritt mehr von Nikolinens Seite, verlangte von ihr über sein trauriges Los getröstet zu werden, und ärgerte sich, wenn sie ihn an Freunde und Bekannte erinnerte, die Schroten in beide Hinterläufe erhalten hatten oder weidwund geschossen worden und langsam dahingesiecht waren, über ihren kindischen Optimismus. Es schmerzte ihn, daß er seinen Beruf als Landwirt aufgeben sollte, da ihm die Regierung, die die Oberförstereiflur zu parzellieren und das Land an kleine Leute abzugeben beabsichtigte, die Pacht aufgekündigt hatte, und er auch nicht mehr imstande gewesen wäre, von früh bis spät auf den Feldern umherzuhoppeln, ganz abgesehen davon, daß es ihm nach den Vorkommnissen des 16. Oktober bedenklich erschien, wieder Zweibeine als Landarbeiter anzustellen. Da er sich nicht geistig zu beschäftigen vermochte, keine Bücher und außer dem agrarisch-konservativen »Kohlhasen« weder Zeitungen noch Zeitschriften las, auch keinerlei Sammelsport trieb, quälte ihn die tödlichste Langweile, über die er sich hinwegzuhelfen suchte, indem er seine Nikoline mit grundlosen Eifersüchteleien plagte. Die junge Frau war wirklich zu bedauern.

Sie gab sich der Hoffnung hin, daß er sein Benehmen gegen sie ändern werde, wenn er erst wieder eine geregelte Tätigkeit habe, aber zu ihrem Kummer tat er nichts, sich eine solche zu verschaffen. Vergebens riet sie ihm, sich um eine Vertrauensstellung zu bemühen, die Vertretung einer Fabrik von Futtermitteln, Kunstdünger oder landwirtschaftlichen Maschinen zu übernehmen oder aber den reichen Schatz seiner praktischen Erfahrungen zu verwerten und Artikel für die Fachpresse zu liefern. Mißtrauisch, wie er war, sah er auch darin nur das Bestreben seiner Frau, seine Aufmerksamkeit von sich abzulenken und ihn an den Schreibtisch zu fesseln, um selber mehr Freiheit zu erlangen.

Sie nahm seine in recht kränkende Form gekleideten Einwendungen gegen ihre gutgemeinten Vorschläge scheinbar gelassen hin und zermarterte ihr Gehirn, wie sie für ihn die Vorsehung spielen und ihm hinter seinem Rücken zu einer ihm zusagenden Tätigkeit verhelfen könne. Dabei kam die tapfere kleine Frau auf den Ausweg, ihrem Manne eine Anstellung bei der Regierung zu verschaffen, vielleicht als Vortragender Rat im Landwirtschaftsministerium, mit dessen Chef, dem ehemaligen Forstwart Markolf, er ja immer ganz gut gestanden hatte. Markolf verstand schon vom Forstwesen nicht allzuviel, da er fast ausschließlich im Forstschutz und bei der Bestandsverjüngung tätig gewesen war; in der Landwirtschaft fehlten ihm jedoch die elementarsten Fachkenntnisse, und da mußte es deshalb für ihn von großem Wert sein, einen bewährten Praktiker als Dezernenten zu erhalten.

Zuerst dachte Frau Nikoline daran, sich mit ihrem Anliegen an den Minister zu wenden, dann aber fiel ihr ein, daß sie wohl sicherer zum Ziele gelange, wenn sie ihren Wunsch dem Landespräsidenten selbst unterbreite, dessen verbindliches Wesen ihr mehr zusagte als Markolfs manchmal ein wenig urwüchsige Derbheit.

Es war an dem Tage, da Swinegels kühle Besonnenheit so großes Unheil verhütete, als Frau Lampe, unter dem Vorwande, sie wolle Eltern und Geschwister besuchen, ihren Gatten verließ, um bei Exzellenz vorzusprechen. Sie wartete den Zeitpunkt ab, wo sie annehmen durfte, daß der junge Landesvater diniert habe, und begab sich in aller Heimlichkeit zum Burghause.

Da Exzellenz von Malepart dem schönen Grundsätze huldigte, jedem Landeskinde ohne Ansehung der Person Gehör zu schenken, wurde die Bittstellerin ohne weiteres vorgelassen. Der Empfangsraum, gleich an der Hauptröhre des Baues gelegen, wies in seiner Ausstattung eine absichtsvolle Dürftigkeit auf, was der Hausherr Frau Lampe gegenüber damit zu entschuldigen suchte, daß seine Freunde von der Linken auch bei ihrem Staatsoberhaupt republikanische Einfachheit zu erwarten berechtigt seien. Er müsse als Präsident einer sozialistischen Republik auf ihre Empfindungen Rücksicht nehmen, habe jedoch für seine Freunde und Gönner von der Rechten ein leidlich behaglich eingerichtetes Stübchen in Bereitschaft, und dahin bäte er die verehrte gnädige Frau, ihm zu folgen. Er geleitete sie darauf in die Kammer, die vormals seinem Oheim Gräving als Studierzimmer gedient hatte und in der Hauptsache noch die alten Möbel enthielt, und nötigte sie auf den Moosdiwan, worauf er sich an den aus einer mächtigen Eichenwurzel geschnitzten Schreibtisch lehnte und sie ersuchte, ihm ihr Anliegen mitzuteilen.

In der mit einem eigentümlich scharfen Parfüm durchsetzten, etwas stickigen Luft, die Frau Nikoline hier atmete, wurde ihr, die das Burghaus so selbstsicher betreten hatte, doch ein wenig beklommen zumute. Zögernd begann sie zu sprechen, durch das seine, sarkastische Lächeln, das um Herrn von Maleparts Lefzen spielte, nicht gerade ermutigt.

»Verstehe vollkommen, meine verehrte gnädige Frau«, sagte er, »Sie wünschen, daß ich dem Herrn Gemahl eine Anstellung bei der Regierung verschaffe.«

»Ach ja, Exzellenz. Ich würde Ihnen so sehr dankbar sein, wenn es sich ermöglichen ließe.«

»Glaube ich Ihnen gern, meine Gnädige. Aber ganz so einfach, wie Sie anzunehmen scheinen, ist die Sache nun doch nicht. Ich persönlich schätze Herrn Lampe ja außerordentlich hoch, ich kann Ihnen sogar verraten, daß ich, als es den Posten des Landwirtschaftsministers zu besetzen galt, einen Augenblick an ihn gedacht habe. Aber nur einen Augenblick. Sie werden wissen, daß die Regierung mehr als je von der parlamentarischen Mehrheit abhängig ist. Und diese Mehrheit, auch das dürfte Ihnen bekannt sein, bringt den Herren Agrariern ein Mißtrauen entgegen, das selbstverständlich ganz unberechtigt ist, das man jedoch nicht ignorieren darf. Ihr Herr Gemahl würde als Minister wegen seiner Herkunft und vor allem auch wegen seinen notorischen nahen Beziehungen zu Capreoli vom ersten Tage seiner Amtsführung an die heftigste Opposition gegen sich entfesselt haben.«

»Ja, aber mein Mann gilt doch ganz allgemein als ein tüchtiger Landwirt«, wandte Frau Nikoline ein.

»Ohne alle Frage, meine Verehrteste! Aber übersehen Sie, bitte, nicht, daß es in einem Staatswesen, das genötigt ist, sich auf die breite Masse des Volkes zu stützen, nicht so sehr auf Fachkenntnisse als auf die politische Gesinnung ankommt. Leute, die selbst nichts oder doch nur sehr wenig gelernt haben, sind meist außerstande, eine Persönlichkeit nach ihrem Wissen und ihren Leistungen zu bewerten. Sie fragen nur danach, wie der Betreffende sich zu ihrem Parteidogma stellt, und ob von ihm eine Förderung ihrer Privatinteressen zu erwarten ist. Ist er bereit, ihnen weitgehende Versprechungen zu machen, um so besser! Ob die Erfüllung dieser Versprechungen überhaupt möglich ist oder am Widerstande der realen Dinge scheitern muß, darüber machen sie sich keine Gedanken. Und auf Versprechungen, die er nicht zu halten imstande gewesen wäre, hätte sich Ihr Herr Gemahl, soweit ich ihn kenne, als Minister sicherlich nicht eingelassen. Habe ich nicht recht, meine liebe Frau Lampe?«

»Nun ja, gewissenhaft ist mein Mann ja sehr, Exzellenz. Manchmal ist er sogar ein wenig zu genau. Ich habe schon oft gewünscht, er möchte ein bißchen leichtsinniger sein und nicht jede Bagatelle so furchtbar schwer nehmen.«

»Sehen Sie? Mit solchen Charakteranlagen spielt man heutzutage als Minister eine klägliche Rolle. Heute muß man die Fähigkeit haben, fünf gerade sein zu lassen und über moralische Bedenken mit einer effektvollen Geste hinwegzukommen. Ich habe das auch lernen müssen, so wenig es meinen soliden Grundsätzen entsprach.«

»Exzellenz sind auch ein Genie und wissen sich in jede Lage zu finden«, bemerkte die junge Frau, ihrem Gegenüber einen bewundernden Blick zuwerfend.

»Sie überschätzen mein bescheidenes Talent, meine Liebe. Aber, um auf Ihr Anliegen zurückzukommen, die Bedenken, die gegen die Ernennung Ihres braven Gatten zum Minister sprachen, machen es mir auch unmöglich, seine Berufung zum Vortragenden Rat zu befürworten. Wenigstens jetzt, wo die Wogen der politischen Bewegung noch hoch gehen.«

»Schade, Exzellenz! Ich hatte mir von Ihrer Fürsprache so viel versprochen«, erwiderte Frau Lampe sichtlich enttäuscht. »Eine geregelte Tätigkeit wäre für meinen Mann wirklich ein Segen. Sie müssen nämlich wissen: es fällt ihm so sehr schwer, sich in die veränderten Verhältnisse zu schicken. Solange er seinen Beruf ausüben konnte, war er in seinem Element, und wenn ich auch immer bedauert habe, daß er für geistige Anregungen, wie sie mir zum Bedürfnis geworden sind, nie viel übrig hatte, so bot er mir doch keinen Anlaß, mich über seine üble Laune zu beklagen. Aber jetzt, wo ich ihn von früh bis spät auf dem Balge habe und den ganzen Tag seine Klagen anhören muß, ist es kaum noch mit ihm auszuhalten.« Sie schluchzte ein paarmal laut auf und wischte sich mit dem Vorderlauf heftig über die Lichter.

Herr von Malepart empfand Mitleid mit dem niedlichen Weibchen. Er näherte sich ihr, bemächtigte sich ihrer weichen Pfote und ließ sich an ihrer Seite auf dem Diwan nieder. »Ihre Andeutungen erschrecken mich, liebste Frau Nikoline. Sie bestätigen meine Vermutung, daß Sie sich in Ihrer Ehe nicht so glücklich fühlen, wie Sie's verdienen. Habe ich recht?«

»Ach ja, Exzellenz. Da Sie meine Gedanken erraten, will ich's nicht leugnen: Lamprecht hat mich furchtbar enttäuscht. Er hat für die feineren Regungen der weiblichen Psyche nicht das geringste Verständnis.«

»Sie Ärmste! Bei so großer Jugend schon so bittere Erfahrungen! Aber – darf ich frei zu Ihnen reden?«

»Bitte, sprechen Sie getrost, Exzellenz! Ihr Anteil tut mir ja so wohl. Ich habe es schon längst gefühlt: wenn einer mich versteht, so sind Sie es!«

»In der Tat, ich glaube Sie zu verstehen, teuerste Nikoline. Wie war es nur möglich – das ist's, was ich Sie fragen wollte! – daß eine so geistvolle, gebildete und feinfühlige Frau den Werbungen dieses – nun dieses kreuzbraven, aber doch herzlich unbedeutenden Mannes Gehör schenken konnte? Als ich seinerzeit davon erfuhr, war ich wie vom Donner gerührt. Mein erster Gedanke war: du hast die Pflicht, dieses holde Geschöpf zu warnen. Aber als ich Sie dann an der Seite Ihres Verlobten eräugte, strahlend in Ihrem jungen Glück, da wagte ich's nicht, Sie aus Ihrem Traume zu wecken. Ich schwieg, wenn auch mit schweißendem Herzen. In dieser Stunde darf ich's bekennen: die Sorge um Sie hat mich die Ruhe meiner Nächte gekostet!« Er rückte dichter an sie hinan und legte den Vorderlauf zärtlich um ihre Hüfte.

Sie zuckte zusammen und schlug in holder Verwirrung die Seher zu Boden. »Lassen Sie mich, Exzellenz!« stammelte sie. »Schonen Sie meine Gefühle!«

»Nikoline, hast du meine Gefühle geschont, als du mit dem Krautphilister vor den Altar tratest? Sagt dir dein Herz nicht, daß du mir für die grenzenlosen Qualen, die ich um deinetwillen gelitten habe, eine Entschädigung schuldig bist?« Er wurde von Sekunde zu Sekunde stürmischer und preßte sie an sich, daß ihr der Atem verging.

»Nicht doch, Exzellenz! Vergessen Sie nicht, daß ich eine verheiratete Frau bin!« sagte sie mit bebenden Lippen, während sie einen schwächlichen Versuch machte, sich seinen Vorderläufen zu entwinden.

»Verheiratete Frau!« stieß er mit bitterm Hohn hervor. »Glaubst du wirklich, daß eine Ehe noch gültig sei, die du in deinem Herzen schon längst gelöst hast?«

»Sie erwürgen mich, Exzellenz!« stöhnte sie. »Ich flehe Sie an: geben Sie mich frei! Machen Sie mir das Herz nicht noch schwerer! Es darf ja nicht sein! Bedenken Sie doch: Sie gehören in die zehnte Ordnung der Säugetiere und ich in die achte! Carnivora und Rodentia sind durch eine tiefe Kluft geschieden!«

»Liebe überbrückt alles, auch die Abgründe des Trouessartschen Säugetierkatalogs«, rief er, ihr zu Füßen sinkend. Und hingerissen von ihrer Witterung, die er begierig einsog, flüsterte er: »Holde, du bist einfach zum Anbeißen. Komm, sei mein! Ich habe seit gestern früh nichts Solides in den Magen bekommen!«

Sie lächelte wehmütig zu seiner vermeintlichen Bemühung, sich und ihr mit einem Scherz über den Ausbruch seiner unbeherrschten Leidenschaftlichkeit hinwegzuhelfen, aber sie benutzte den Augenblick, wo er mit gefallenen Branten vor ihr kniete, um vom Diwan hinabzugleiten und hinter den Schreibtisch zu fahren.

Im Nu war er auf den Läufen und stürzte ihr nach. Aber sie war geschwinder und wich ihm mit blitzschnellen Wendungen aus. Sie wäre kein Weib gewesen, wenn es sie nicht gereizt hätte, den genialen Mann noch begehrlicher zu machen. Kokett mit der schwanenweißen Blume schnellend, flitzte sie von einem Winkel des Gemaches in den andern. Da bemerkte sie in seinen Sehern den Ausdruck wilder Gier, der ihr Schrecken einflößte. Sie verlor jedoch ihre Fassung nicht, schlüpfte aus dem Kabinett und floh auf leichten Sohlen den finstern Korridor hinab. Aber in ihrer Aufregung verfehlte sie die Richtung und gelangte anstatt in die Hauptröhre in einen kleinen Seitengang, in den von oben ein schwacher Lichtschimmer fiel.

Da bot sich ihr ein Anblick, der ihr den Schweiß in den Adern erstarren machte: vor ihr lagen ein Paar vertrockneter grüngelber Latschen, ein Entenschnabel und die Handknochen eines Flügels, an dem noch Schwungfedern erster Ordnung hafteten – die sterblichen Reste Fräulein Anitras, die sie einst so glühend beneidet hatte, als das schöne Mädchen leblos in Herrn von Maleparts Vorderläufen lag!

In Nikolinens Innerm stieg die furchtbare Erkenntnis auf, daß sie in eine Mördergrube geraten sei, daß die heiße Begehrlichkeit des Mannes, zu dem sie wie zu einem Halbgott emporgeschaut, nicht ihrer nach Liebe dürstenden Seele, sondern ihrem Wildbret galt. Und von jäher Angst getrieben, arbeitete sie sich in dem engen Luftschacht empor, gelangte ins Freie und taumelte, an allen Gliedern gelähmt, nach Hause. Aber da sie selbst kein ganz reines Gewissen hatte, hielt sie's für das klügste, das entsetzliche Erlebnis dieser Stunde für alle Zeit in ihrem Busen zu verschließen.


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