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Drittes Kapitel

Wie Nikoline Laputz die Mutter in ihre Herzensangelegenheiten einweiht, welche Schritte diese tut, um Herrn Lamprecht Lampe als Schwiegersohn zu gewinnen, und warum der Kantor Waldkauz in so glänzender Stimmung ist

 

Der April ging zu Ende. Die Pfeile, die der schalkhafte kleine Liebesgott an jenem regnerischen Abend aus sicherer Deckung auf Lamprecht Lampe und Nikoline Laputz abgeschossen hatte, mußten doch wohl bei beiden aufs Blatt getroffen haben, denn die jungen Leute suchten und fanden nun beinahe täglich eine Gelegenheit, einander zu sehen und zu sprechen. Der junge Landwirt hatte der Angebeteten auch bereits das von ihm bewirtschaftete Gut gezeigt, und das Karnickelfräulein gedachte mit kaum geringerem Entzücken der üppig sprießenden Saat, deren Spitzen noch so zart und saftig waren, als der würzigen Schafgarbe auf dem Feldrain, der weichen, krausen Petersilienblättchen im Oberförstereigarten und der aromatisch-herben Rinde der gertenschlanken Apfelwildlinge in der Baumschule.

Aber auch der Eindruck, den Lampes männlich schöne Erscheinung auf ihr empfängliches Mädchenherz ausgeübt hatte, war durch das häufige Zusammensein noch wesentlich verstärkt worden. Sie bewunderte seine landwirtschaftlichen Fachkenntnisse, die Umsicht, die der bis ins kleinste hinein durchdachte Bewirtschaftungsplan einer so ausgedehnten Ackerfläche verriet, die vornehme Ruhe, mit der er die auf den Feldern tätigen Zweibeine überwachte, und nicht zum wenigsten die Unerschrockenheit, von der er ihr einen Beweis geliefert hatte, als sie bei ihrem Spaziergang plötzlich auf eine Scheuche, einen wahrhaft grauenvollen Popanz, gestoßen waren. Unbekümmert um das tödliche Entsetzen, das die Kleine bei dem ungewohnten Anblick des Schreckgebildes überkam, war er, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken, an das Scheusal herangetreten, hatte, einen Kegel machend, mit dem Vorderlauf herzhaft auf den verwitterten langen Rock losgetrommelt und dazu lachend gesagt: »Sie haben doch immer gewünscht, sich einmal ein Zweibein in der Nähe anzuäugen, gnädiges Fräulein. Hier haben Sie eins. Dieses hier hat zwar nur ein Bein, weil es das andere, vergeßlich wie diese Kreaturen nun einmal sind, heute zu Hause gelassen hat, aber im übrigen ist es so vollständig wie nur möglich. Treten Sie also getrost näher und überzeugen Sie sich mit eigenen Sehern davon, wie wenig, im Grunde genommen, dahinter steckt! Ein paar hölzerne Knochen, mit Lappen behangen, ein Strohwisch als Kopf und ein schmieriger Filzhut – voilà tout! Und so etwas hält sich für die Krone der Schöpfung! Ist es nicht lächerlich, daß sich beinahe alle Tiere vor so einem harmlosen Wesen fürchten?«

Seit diesem Erlebnis erschien dem kleinen Fräulein Lamprecht Lampe als eine Art Halbgott, dessen Heroismus sie nachträglich noch mit angenehmem Gruseln erfüllte. Denn ganz im Gegensatz zu ihren Angehörigen schwärmte sie für alles Ungewöhnliche, Aufregende und Heldenhafte.

Über eins nur kam Nikoline Laputz nicht hinweg: daß sich der junge Landwirt ihr gegenüber noch immer nicht erklärt hatte. Daß er sie liebte, stand ja für sie außer allem Zweifel. Sie hätte kein Weib sein müssen, wenn ihr die tausend kleinen Anzeichen, durch die sich das schnellere Pulsen eines Männerherzens verrät, verborgen geblieben wären. Nicht nur, daß er immer mit vorbildlicher Pünktlichkeit zum Stelldichein erschien, daß er ihr bald ein Sträußchen Petersilie, bald ein köstlich bitteres Reislein des Tausendgüldenkrautes mitbrachte: auch in seinem Äußern schien er wie umgewandelt. Seine braune Lodenjoppe, an der man jetzt auch nicht das kleinste Fäserchen Winterwolle mehr entdecken konnte, war immer auf das sorgfältigste gebürstet; er trug die Löffel kaum minder stolz als der Baron von Capreoli sein Bastgehörn, und in den rechten Seher hatte er ein Einglas geklemmt, das zwar nur der Boden einer auf dem Misthaufen gefundenen zerbrochenen Arzneiflasche war, aber nicht wenig dazu beitrug, den unternehmenden Ausdruck seines rassigen Antlitzes zu erhöhen. Er hatte seiner jungen Begleiterin, wenn er so auf dem schmalen Hasensteige, der den dichten Halmenwald fast schnurgerade durchschnitt, hinter ihr her hoppelte, manches Angenehme und Liebe gesagt, hatte auch regelmäßig nach dem Befinden ihrer Eltern und ihrer vielen, vielen Geschwister gefragt, aber von Verloben oder gar von Heiraten hatte er noch kein Wörtlein fallen lassen.

Und er war doch ein Mann, der eine Frau ernähren konnte! Und dazu einer, der sein eigener Herr war, der sich bei der Wahl seiner Lebensgefährtin nicht um die Meinung hochmütiger und ahnenstolzer Verwandten zu kümmern brauchte! Denn das verhehlte sich das kleine Karnickelfräulein nicht: Eine standesgemäße Partie war sie als die Tochter einer zwar höchst achtbaren, aber doch recht kleinbürgerlichen Familie für den jungen Landwirt keineswegs. Und eben weil sie sich seiner nicht wert fühlte, weil sie in rührender Bescheidenheit das Opfer, das er ihr hätte bringen müssen, für riesengroß hielt, begann sie an seinen ernsten Absichten zu zweifeln. Vielleicht war alles nur ein Spiel, ein Zeitvertreib für müßige Stunden! Aus diesem peinigenden Gedanken entsprang dann ein anderer, nicht minder beängstigender: der Argwohn, daß Lampes Herz nicht mehr frei sei, daß er unter den Töchtern des Landes schon gewählt habe und sie, die arme kleine Nikoline, nur als Versuchskarnickel für seine Galanterien gebrauche.

Kummer und Sorge nisteten sich in ihrem Innern ein; ihr sonst so gesunder Appetit schwand dahin, daß ihr nicht einmal der zarteste Klee mehr mundete, und nachts fand sie keinen Schlummer oder wälzte sich, von bösen Träumen gequält, in der engen, dumpfigen Kammer, die sie mit ihren vier gleichaltrigen Schwestern teilte, auf dem gemeinsamen Lager umher, bis diese sie mit derben Püffen weckten.

Volle acht Tage trug sie ihr Leid mit beinahe überkarnicklicher Kraft, dann aber suchte sie, um ihr Herz zu erleichtern, die Mutter auf und legte ihr eine ausführliche Beichte ab.

Frau Laputz spitzte die Löffel, als ihr die Tochter mit tränenüberströmtem Antlitz Lamprecht Lampes Namen nannte. Sie war eine schlichte Frau, die ganz in ihrer Familie aufging, und der ihr gewiß nicht leichtes Los, jährlich sechs- bis siebenmal einen zum mindesten achtköpfigen Satz zur Welt zu bringen und alle die lieben Sprößlinge zu braven Tieren zu erziehen, keine Muße gelassen hatte, ihren Geist zu bilden oder ihrer Phantasie mit Hilfe von Romanen Nahrung zuzuführen. Aber sie verfügte über Mutterwitz, die Gabe schneller Auffassung und vor allem über ein hohes Maß von Energie, was sogar ihr eigener Gatte niemals in Abrede stellte.

»So so! Also der!« sagte sie, der leise weinenden Tochter mit dem Zipfel ihrer Schürze über Seher und Nase fahrend. »Dacht' ich's mir doch schon! Denn bloß um unsere Losung zu beschnuppern, wird dieser Herr Lampe wohl nicht jeden Tag ein paarmal hier am Bau vorbeihoppeln. Das sind ja schöne Geschichten, die du mir da erzählst, Linchen!« Ihre Züge hatten einen strengen, beinahe harten Ausdruck angenommen, und sie verriet mit keiner Miene, wie sehr sich ihre mütterliche Eitelkeit bei dem Bericht der Kleinen geschmeichelt fühlte. Alle Wetter! Sie hatte schon mehr als hundert Töchter unter die Haube gebracht, aber eine so glänzende Partie wie dieser junge Landwirt war bisher noch keinem der Laputzmädchen beschieden gewesen.

»Und einen richtigen Antrag hat dir der lange Laban noch nicht gemacht, Kind? Nun ja, das sieht den Männern ähnlich. Man muß die Rammlergesellschaft kennen! Hinter den Frauensleuten herhoppeln, verliebte Seher machen, Zuckerschoten raspeln, poussieren, daß unsereiner die Wolle in Lappen vom Balge fliegt, das versteht die Bande. Aber von Heiraten ist nie die Rede. Das kenne ich schon. Dein Vater war genau so. Wenn ich ihn fragte, wann wir denn Hochzeit machen sollten, tat er dumm und meinte, so schwerwiegende Entschlüsse dürfe man nicht überstürzen; das Standesamt liefe ja nicht davon, und unsertwegen memoriere Pfarrer Birkhahn – es war damals der Vater des jetzigen – doch keine neue Traurede. Nun, da habe ich denn eine Lippe riskiert, und am nächsten Sonntag kam alle Welt, um uns zur Verlobung zu gratulieren. Du könntest Vater wohl einmal herholen, Linchen. Ich glaube, er sitzt vor der Hofröhre und sonnt sich.«

Die Kleine flitzte davon und kam nach wenigen Augenblicken mit ihrem Erzeuger zurück.

»Was ist denn los. Alte? Ihr tut ja so geheimnisvoll?« fragte Herr Laputz, den Blick etwas unsicher über Gattin und Tochter schweifen lassend.

»Das Kind hat mir eben gestanden, daß es einen Verehrer habe«, erklärte die Gattin.

»Was? Linchen schon einen Verehrer? Die fängt ja früh an! Nun, und wer ist's denn, der dem Wurm die Kur schneidet?«

»Der Domänenpächter Lampe.«

»Lampe? Alte, höre ich recht? Lamprecht Lampe? Donner und Doria, das hätte ich mir nicht träumen lassen! So ein Mädel! Ist kaum trocken hinter den Löffeln und angelt sich schon einen so respektablen Freier!«

»Na ja, was man so Freier nennt. Klar ausgesprochen hat er sich einstweilen noch nicht. Da wird man schon ein wenig nachhelfen müssen.«

»Was du ja wie keine andere Mutter verstehst, mein Schatz.« Frau Laputz schien von der Schmeichelei, die in diesen Worten ihres Eheherrn lag, keine Notiz zu nehmen. »Gewiß, ich werde es an nichts fehlen lassen, was dem jungen Mann den Entschluß, in aller Form um Linchen anzuhalten, erleichtern könnte. Aber so weit sind wir noch nicht. Wir müssen doch zunächst einmal wissen, wie der Urgroßvater über die Partie denkt.«

»Selbstverständlich, mein Engel, das ist das allerwichtigste. Ich wollte das auch schon bemerken. Man muß ganz behutsam bei ihm sondieren.«

»Du könntest wohl gleich einmal zu ihm hinübergehen und ihm die Sache mit der nötigen Vorsicht beibringen. Jetzt, nach dem Frühstück, ist er ja noch am zugänglichsten.«

Herr Laputz machte ein entsetztes Gesicht. »Ich soll das tun? Ich? Wo es sich doch lediglich um eine Angelegenheit von euch Frauenzimmern handelt? Danke verbindlichst! Das besorgt nur getrost selber!«

»Aber Lapinus! Hast du als Vater denn nicht die Pflicht, deinen Töchtern den Weg zu einer standesgemäßen Verbindung zu ebnen? Wenn es sich darum handelt, Kinder in die Welt zu setzen, so bist du immer gleich dabei, aber wenn's darauf ankommt, sie anständig zu versorgen, dann drückst du dich, wo du nur kannst.«

»Zum Iltis, Alte! Meine gesunden Glieder sind mir mehr wert als alle standesgemäßen Partien meiner Töchter. Wenn sie sich nicht selber helfen können, mögen sie meinetwegen alte Jungfern werden.«

»Wie du nur wieder redest, Lapinus! Hast du nicht gestern selbst gesagt, die vielen Kinder fräßen dir die Wolle vom Balg? Bedenke doch nur: wir haben fünf heiratsfähige Töchter! Und wie lange wird's dauern, so ist der Märzsatz auch wieder erwachsen.«

»Ist ja alles richtig. Alte, aber du kennst doch den Urgroßvater. Er ist ja immer unberechenbar gewesen, seit er jedoch schwerhörig geworden ist und alles mißversteht, ist gar nicht mehr mit ihm auszukommen.«

»Na ja, leicht ist der Verkehr mit ihm nicht, das gebe ich zu. Wie wär's, wenn wir deinen Vater bäten, einmal mit ihm zu reden? Der kann sich doch noch am besten mit ihm verständigen.«

»Das ist eine Idee, Alte!« sagte Herr Laputz mit einem Seufzer der Erleichterung. Und dann gebot er der Tochter, sofort in die Mansardenröhre hinaufzuspringen und den Großvater zu bitten, sich ins gemeinsame Wohnzimmer der Familie herunterzubemühen.

»Geschmack hat dieser Herr Lampe entschieden«, bemerkte die brave Frau, als die Kleine außer Hörweite war, mit mütterlichem Stolz. »Hast du darauf geachtet, was Linchen für eine brillante Figur bekommen hat? Und dazu das feingeschnittene Gesichtchen mit den schwärmerischen Sehern! Eine so reizende Tochter haben wir lange nicht gehabt. Überhaupt: mit den fünf Mädels vom vorigen Juni können wir uns sehen lassen.«

»Freilich, Mutter«, pflichtete Laputz der Gattin bei. »Und diesen famosen Satz haben wir nur der guten Haferäsung vom Mai zu verdanken. Von nichts wird eben nichts.«

Der Großvater, ein Mann in den besten Jahren, der, weil er im Nordflügel des weitläufigen Baues wohnte, noch den Winterbalg trug, erschien und wurde von Sohn und Schwiegertochter in die neueste Familienangelegenheit eingeweiht. »Nun, und was soll ich dabei tun?« fragte er, als die beiden mit ihrem Bericht zu Ende waren.

»Einmal beim Urgroßvater auf den Busch klopfen, wie er über Linchens Verbindung mit Herrn Lampe denkt.«

»Nee, Kinder, wenn ihr das wissen wollt, dann fragt den Urgroßvater gefälligst selbst. Zu diplomatischen Missionen verspüre ich weder Talent noch Neigung. Ich habe noch genug vom letztenmal. Aber ich will euch einen guten Rat geben: steckt euch hinter den Kantor Waldkauz. Seit sich der in den Vorstand der demokratischen Partei hat wählen lassen, ist er beim Alten persona gratissima

»Kein übler Gedanke!« meinte der Sohn. »Aber wie kommt man an den Kantor heran?«

»Ihr kennt doch den Aktuar Eichhorn von der Kreisdirektion, der die Berliner Stube in Waldkauzens Wohnung als Vorratskammer gemietet hat?«

»Selbstverständlich! Ich sehe den Mann jeden Abend, wenn er vom Bureau kommt«, beeilte sich der Sohn zu versichern.

»Schön! Du siehst also zu, daß du unter vier Sehern mit ihm reden kannst, und schenkst ihm gleich reinen Wein ein. Er soll dafür sorgen, daß der Kantor in den nächsten Tagen in irgendeiner Parteiangelegenheit einmal bei unserm alten Herrn vorspricht und dann möglichst unauffällig das Gespräch auf Lampe bringt. Dann wird man ja erfahren, wie sich der Urgroßvater zu der Sache stellt.«

Der Vorschlag leuchtete Nikolinens Eltern ein, und noch am selben Abend gelang es Herrn Laputz, eine Unterredung mit dem Beamten, der wie immer mit vorbildlicher Pünktlichkeit vom Amte kam, herbeizuführen.

Der kleine, bewegliche Aktuar galt bei allen, die dienstlich mit ihm zu tun hatten, für etwas kurz angebunden, und er bildete sich nicht wenig darauf ein, daß ihn die verwitwete Regierungsrätin Nebelkrähe, geborene Rabenkrähe, die sehr kurzsichtig war, aus ästhetischen Gründen jedoch keine Augengläser trug, einmal für den Assessor von Malepart gehalten hatte. Im außerdienstlichen Verkehr war er dafür um so zuvorkommender, besonders Leuten gegenüber, von denen er wußte, daß sie seinen politischen Standpunkt – den man sehr weit links suchen mußte! – teilten. Da er sich nicht verhehlte, wie sehr man ihm höheren Ortes seine radikalen Anschauungen verdachte, schwebte er beständig in Besorgnis, eines Tages um Amt und Brot zu kommen und mit seiner kleinen Familie verhungern zu müssen. Deshalb benutzte er jede dienstfreie Stunde dazu, Vorräte an Lebensmitteln zusammenzutragen, die er in dem vom Kantor ermieteten geräumigen, aber fensterlosen Gelaß zu ansehnlichen Bergen aufhäufte.

Geschmeichelt durch das Vertrauen, das ihm Herr Laputz bewies, indem er ihn unter dem Siegel tiefsten Geheimnisses in eine so delikate Angelegenheit einweihte, hörte er, die gepflegte Fahne kokett über den Rücken schlagend, mit lebhaftem Interesse zu und erklärte sich bereit, die Botschaft an Herrn Waldkauz sofort auszurichten. »Es trifft sich ausgezeichnet, daß der Kantor gerade in glänzender Stimmung ist«, bemerkte er, einen Fichtenzapfen aufhebend und mit nervöser Hast zwischen den spinnenfingrigen Pfötchen drehend. »Sie wissen doch, daß er seit voriger Woche Logierbesuch hat?«

»Was Sie sagen! Der Kantor, der doch immer jammert, er käme mit seinem Gehalt nicht aus, Logierbesuch? Wie geht denn das zu?« fragte Laputz mit nicht gerade sehr geistreicher Miene.

Aktuar Eichhorn blinzelte ihn mit seinen kleinen blanken Sehern bedeutsam an. »Es soll ein entfernter Verwandter von Waldkauzens sein, der in Westafrika große Plantagen besitzt. Eine höchst sonderbare Erscheinung: zartgraues Gefieder und roter Schwanz. Er nennt sich Jako und ist allem Anscheine nach schwerreich. Und da er, wie man glaubt, nach Europa gekommen ist, um sich eine Frau zu holen, können Sie sich vorstellen, daß es Kantors an nichts fehlen lassen, um ihm den Aufenthalt bei ihnen so angenehm wie möglich zu machen. Mit Mäusen können sie so einen feinen Herrn natürlich nicht bewirten, und so haben sie mich denn flehentlich gebeten, ihnen aus meinen Vorräten ein paar Pfund Bucheckern, Haselnüsse und Haferkörner zu überlassen.«

»Da rechnet der Kantor wohl darauf, daß sich der Afrikaner in eine von seinen Töchtern verschießen soll?«

»Das ist's ja eben! Alles Spekulation! Oder denken Sie, daß er sich in Unkosten stürzt, um sich mit seiner Gastlichkeit großzutun?«

»Hören Sie, wenn sich Waldkauzens da nur nicht verrechnen! Die beiden Mädchen sind doch schon lange die jüngsten nicht mehr, und Schönheit drückt sie auch nicht.«

»Nun ja, die braune Tilla sieht schon ein bißchen mitgenommen aus, aber die rötliche Eulalia macht, wenn sie ihren guten Tag hat, noch einen ganz passablen Eindruck. Selbstverständlich suchen sie sich jetzt nach Kräften herauszurappeln, und als ich gestern an ihrer Küche vorbeiging, waren sie gerade dabei, ihre Schwungfedern auszuplätten.«

»Und dieser Herr Jako? Macht er Miene, auf den Leim zu gehen?«

»Das läßt sich schwer beurteilen. In Gesellschaft der Mädchen sieht man ihn eigentlich nie. Das ist aber auch ganz natürlich, denn er geht abends, wenn Waldkauzens eigentlich erst munter werden, zeitig zu Bett, und bei Tage, wenn seine Wirte ihrer empfindlichen Seher wegen bei dicht verhängten Fenstern sitzen, macht er mit dem jungen Bussard Ausflüge in die Umgegend.«

»Dann haben meine Kinder also doch recht gehabt«, bemerkte Herr Laputz nachdenklich. »Gestern kamen sie nämlich ganz aufgeregt nach Hause und erzählten, sie hätten auf der Wiese bei der Waldspitze den Bussard in Begleitung eines fremden Vogels gesehen, der fortwährend ›hip, hip, Hurra‹ geschrien hätte.«

»Ja, ja, solche sonderbaren Redensarten führt er immer im Schnabel. Und singen tut er, daß man glauben könnte, man höre ein Zweibein. Er muß überhaupt viel mit Zweibeinen verkehrt haben, denn er spricht nicht nur fließend ihre Sprache, sondern er ist auch ein unersättlicher Fresser, schläft bis in den halben Tag hinein und braucht mindestens eine Stunde zur Toilette. Sogar pudern tut sich das eitle Tier. Als er sich neulich einmal schüttelte, stob ihm eine ganze Wolke weißen Staubes aus dem Gefieder.«

»Aber trotz alledem sind Waldkauzens wohl von ihrem Gast entzückt?« fragte der Karnickelvater.

»Mehr als entzückt. Sie beten ihn förmlich an. Auf den Gedanken, daß dieser Vogel ein Hochstapler sein könne, der sich möglicherweise nur bei ihnen einquartiert hat, um ihre Gutmütigkeit zu mißbrauchen, scheinen sie gar nicht zu kommen. Mir kann's recht sein. Solange sie mir meine Haselnüsse und Bucheckern anständig bezahlen, werde ich mich schön hüten, mir die Schnauze zu verbrennen. Wann wird denn Ihr Herr Urgroßvater für den Kantor zu sprechen sein?«

»Jederzeit, Herr Aktuar. Besuch kommt ihm immer gelegen. Sie wissen ja: seine Familienangehörigen sieht er nicht für voll an; in seinen Sehern sind wir samt und sonders noch unmündige Kinder.«

»Kenne ich schon, Herr Laputz. Bei meinem alten Vater war's genau so. Man konnte ihm nichts recht machen. Schlossen wir bei starkem Wind die Türen, so behauptete er, er müsse in der engen Wohnung ersticken, und öffneten wir dann auch nur eine wieder, so fragte er, ob wir denn durchaus wünschten, daß er an einer Lungenentzündung eingehen solle. Ja, ja, man hat mit alten Leuten seine liebe Not! Aber das ist nun einmal der Lauf der Welt. Unsern Kindern und Enkeln wird es mit uns nicht anders gehen.« Er drückte dem Karnickelvater zum Abschied die Pfote und kletterte, während dieser langsam dem Bau zuhoppelte, eilfertig an der rauhen Rinde der alten Eiche empor, in deren Wipfelhöhlung Waldkauzens ihre Wohnung eingerichtet hatten.


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