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Sechstes Kapitel

Wie Lamprecht Lampe bei Laputzens Besuch macht, wie seine Verlobung mit Fräulein Nikoline im engsten Familienkreise gefeiert wird, und wie Kantor Waldkauz mit seinem afrikanischen Gast einmal deutsch redet

 

Als Linchen mit der frohen Botschaft, daß sie ihren Lamprecht endlich »so weit habe«, nach Hause kam, begann die fürsorgliche Mutter mit einem Großreinemachen, wie man's in dem alten Bau seit langem nicht erlebt hatte. Alt und jung, Muhmen, Töchter und Basen mußten mithelfen; man fegte und scheuerte Kammern, Gänge und Treppen, daß die männlichen Familienmitglieder entsetzt von einem Raum in den andern flohen, und erweiterte im Hinblick auf Lampes stattliche Statur sogar hinter dem Rücken des Urgroßvaters die Hauptröhre.

Am Sonntag früh aber schickte Frau Laputz die noch schulpflichtige Jugend unter Aufsicht der von diesem Auftrage keineswegs sehr erbauten mit Nikoline gleichaltrigen vier Töchter zu einem Tagesausflug in den Wald und versteckte ihren erst drei Tage alten letzten Satz in einer entlegenen Notröhre, deren Eingang sie dann sorgsam zuscharrte und mit ihrer Losung verwitterte.

Man mußte es dem jungen Landwirt lassen: er war ein Mann, der ein einmal gegebenes Wort unter allen Umständen hielt. Mit vorbildlicher Pünktlichkeit stellte er sich vor dem Karnickelbau ein und wurde von Linchens Mutter mit unverkennbarer Freude und gutgespielter Überraschung empfangen. Als er sein Erstaunen über die ausgedehnte Wohnung der Familie äußerte, ließ sich's Frau Laputz nicht nehmen, dem Besuch sämtliche Räume zu zeigen. Manchmal, wenn man durch eine gar zu enge Röhre kam, hatte Lampe seine liebe Not, sich durchzuzwängen, worauf seine Führerin dann mit gutem Humor erklärte: »Ja, der Bau ist leider ein bißchen unbequem und in seiner Einrichtung schon recht veraltet; denken Sie nur, Herr Lampe, wir haben in der ganzen großen Wohnung nicht einmal ein Innenklosett! Aber was läßt sich da tun? Solange der Urgroßvater lebt, der die ganze Anlage nach eigenen Plänen gegraben hat, darf nicht das Geringste daran geändert werden.«

Lampe lächelte verständnisvoll und bemerkte: »Ja ja, gnädige Frau, alte Herren sind in solchen Dingen ein wenig eigen.«

»Unser guter Urgroßvater ist sogar sehr eigen«, erwiderte sie. »Aber man muß ihm lassen, daß er in geradezu rührender Weise um das Wohl seiner Angehörigen besorgt ist. Und deshalb ertragen wir auch alle seine kleinen Absonderlichkeiten mit Geduld. Wer weiß, wie lange wir den lieben Alten noch unter uns haben! Und hier diese Nebenröhre«, fuhr sie, auf einen Seitenkorridor deutend, fort, »haben wir samt der dazu gehörenden Kammer an ein Hohltaubenpaar vermietet, das erst im Frühjahr geheiratet hat. Aus purer Gefälligkeit natürlich, denn nötig haben wir's ja Gott sei Dank nicht. Aber die jungen Leute konnten keine passende Wohnung finden, und da sie so schrecklich verliebt waren und mit dem Heiraten nicht länger warten wollten, mußten wir sie schon aufnehmen.«

Man war wieder in dem Kabinett angelangt, das als Empfangsraum diente. Da Frau Laputz den Besucher nun ein paar Augenblicke allein ließ – sie mußte doch ihren Mann holen! –, hatte Lampe Muße, sich in dem für seine Begriffe recht engen Raum umzusehen. Die Einrichtung war ein wenig kleinbürgerlich-altmodisch und durch den langen Gebrauch unverkennbar abgenutzt. Verrieten die Möbel doch nur zu deutlich, daß unzählige Sätze von Laputzsprößlingen an ihnen ihre scharfen Zähnchen erprobt und gekräftigt hatten. Was das Gemach an künstlerischem Schmuck aufwies, bestand zumeist aus billigem Kitsch; nur eine in einer Nische aufgestellte lebensgroße Tonfigur trug den Stempel wahrer Kunst: die Statue einer Kegel machenden Karnickeldame, die, wie der Beschauer annahm, beide Vorderläufe im Eisen gelassen hatte, und auf deren Sockel man die Aufschrift »Venus von Milo« lesen konnte.

Nach einem Weilchen kehrte Frau Laputz in Begleitung ihres Gatten zurück, der sich über Lampes Besuch ebenfalls sehr erfreut zeigte und mit großem Glück den Unbefangenen spielte. Er begann sofort über das Wetter zu reden, einen Gegenstand, der für den Landwirt ja von besonderer Bedeutung ist, und erkundigte sich nach dem Stande der Saaten und den Ernteaussichten. »Ich komme ja selbst nie weit von Hause weg«, erklärte er. »Als vielgeplagter Familienvater, der für so viele hungrige Mäuler Brot schaffen muß, habe ich zum Spazierengehen leider keine Zeit. Du lieber Himmel, wenn ich daran denke, was ich als Junggeselle für ein fideles Leben geführt habe! Da kam man mitunter Tag und Nacht nicht aus dem Raps heraus, und hatte man sich dann bis zum Platzen voll geäst, so holte man sich drüben beim Sandberg noch zarte Wacholdernadeln zum Nachtisch.«

Ein bedeutsames Räuspern seiner besseren Hälfte brachte ihm zum Bewußtsein, wie wenig gerade dieses Thema dem Ernst der Stunde entsprach. Zum Glück verfügte er jedoch über ein ausreichendes Maß von geistiger Beweglichkeit, um auch bei der Unterhaltung einen Haken schlagen zu können, und so fuhr er denn, gleichsam in einem Atem, fort: »Und doch, mein lieber Herr Lampe, möchte ich mein jetziges Leben um keinen Preis mit der ungebundenen Zeit von damals wieder vertauschen. Einer treuen Gattin ein liebender Gatte, fröhlich gedeihenden Kindern ein sorgender Vater zu sein, das ist doch die wahre Bestimmung eines vernunftbegabten Nagers. Was sind die rauschenden Freuden der Welt gegen das stille Glück eines gesegneten Familienlebens! Wie süß ist es, in ungetrübter Harmonie mit Geschöpfen zu verkehren, mit denen man durch die Bande der Liebe und des Blutes verknüpft ist! Kann es ein köstlicheres Gefühl geben als das Bewußtsein, daß alle die kleinen Wesen, die einem das Leben verdanken, so nach und nach zu anständigen Tieren, zu brauchbaren Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen?« Und sich an seine Frau wendend, fragte er: »Auf wieviel Lapützchen haben wir's eigentlich gebracht, ich meine, einschließlich des Satzes vom Donnerstag?«

»Aber Lapinus, auf die Kopfzahl kommt's doch am allerwenigsten an!« erwiderte die kluge Frau, die den Eheherrn für diese neue Entgleisung am liebsten tüchtig geknufft hätte, milde, »damit wirst du Herrn Lampe wohl kaum sonderlich imponieren können. Er wird, wenn er einstweilen ja auch noch Junggeselle ist, doch schon wissen, daß es auch bei den Kindern weit mehr auf die Qualität als auf die Quantität ankommt. Und wir dürfen, Gott sei Dank, ohne Überhebung behaupten: wir haben in unserer langen Ehe bisher noch keinen Mißerfolg zu verzeichnen gehabt. Irdische Schätze werden wir unseren Sprößlingen ja wohl schwerlich hinterlassen können, aber an einer sorgfältigen Erziehung haben wir's nie fehlen lassen. Und das ist ja doch das Beste, was man seinen Kindern mit auf den Lebensweg geben kann. Unsere Jungens haben ohne Ausnahme ein gesichertes Fortkommen gefunden, und die Töchter sind durch die Bank vortreffliche Hausfrauen geworden. Der Mann freilich, der einmal Linchen bekommt, kann von Glück reden, denn Mädchen mit so ausgesprochen praktischem Sinn und einem, ich möchte sagen: instinktiven Trieb zum sparsamen Wirtschaften sind heutzutage rar. Und wie die kleinen Geschwister an ihr hängen, das ist einfach rührend. Ich denke schon mit Schrecken an den Tag, wo wir die Kleine ziehen lassen müssen.« Sie fuhr sich mit dem Vorderlauf über die Seher und schlenkerte ein paar Tränen auf den Boden.

Herrn Lamprecht Lampe überlief es glühendheiß. Er fühlte, wie die Blicke des Ehepaares sich in sein Inneres bohrten, und begriff, daß er jetzt Farbe bekennen müsse. Und während er an seiner Krawatte zerrte – die dumpfige Luft in der niedrigen Kammer benahm ihm den Atem! –, stammelte er: »Wenn dem so ist, gnädige Frau, so muß ich allerdings befürchten, daß das, was ich Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl zu sagen habe, nicht gerade Balsam für Ihre Löffel sein wird. Ich bin nämlich gekommen, um mir von Ihnen Fräulein Nikolinens Vorderläufchen zu erbitten. Ich weiß, daß ich ein gewaltiges Opfer von Ihnen fordere, und ich hätte nie den Mut dazu gefunden, wenn ich Ihre Tochter nicht mit der ganzen Glut meines Hasenherzens liebte. Ich habe das Glück, die junge Dame seit dem 12. April, 6 Uhr 40 Minuten abends, zu kennen, und ich danke dem Himmel noch täglich für die achtzehn Zentimeter Regen, die wir damals hatten, nicht nur wegen der Sommergerste, die schon vierzehn Tage in der Erde lag und dringend der Feuchtigkeit bedurfte, sondern vor allem, weil mir der Guß Gelegenheit bot, die Bekanntschaft des holdesten Geschöpfes dieser Welt zu machen. Und so wiederhole ich denn meine Bitte: geben Sie mir Ihre Tochter Nikoline und machen Sie mich dadurch zum glücklichsten aller Hasen!«

Herr Laputz, der gar nicht mit so ernsten Absichten des jungen Landwirts gerechnet hatte, und dem nun, wo sich alles so glatt abwickelte, ein Stein vom Herzen fiel, war nahe daran, in seiner Freude dem Freier seiner Tochter um den Hals zu fallen, denn er sagte sich, wenn erst eine vom Junisatz an den Mann gebracht sei, so würden auch die anderen vier bald folgen, aber ein Rippenstoß, den ihm seine Ehehälfte in sehr diskreter Weise beibrachte, veranlaßte ihn, den Ausbruch seiner Gefühle zurückzudrängen und dafür nach dem Vorbilde der Gattin sein Antlitz in tragische Falten zu legen. »Ihr Antrag, von dem ich nicht leugnen will, daß er uns und unser ganzes Haus ehrt, kommt uns nicht ganz überraschend, Herr Lampe«, erwiderte er. »Als aufmerksame Eltern, die wir in der Seele unserer Kinder zu lesen verstehen, haben wir natürlich bemerkt, welche Veränderung seit dem 12. April mit Linchen vorgegangen ist. Äste sie doch kein Gänseblümchen mehr, ohne vorher die weißen Blütenblättchen einzeln abzurupfen, und was das bei einem jungen Mädchen mit gesundem Appetit zu bedeuten hat, das weiß man ja. Und da wir Linchen etliche Male in Ihrer Begleitung eräugt haben, konnten wir uns alles zusammenreimen, um so mehr, als wir die Buchstaben L L mehr als einmal in die Rinde von Schlehdornstämmchen eingenagt fanden. Also, wie gesagt, völlig unvorbereitet finden Sie uns nicht, und doch muß ich bekennen – und ich glaube da auch im Sinne meiner Frau zu sprechen! –, daß uns Ihr Antrag wie ein Donnerschlag trifft. Gewiß, wir müssen auch diese Tochter weggeben, wie wir schon so viele weggegeben haben; das ist ja nun einmal das Los der Eltern. Aber daß es schon so bald geschehen soll, geht uns sehr, sehr nahe.«

»Ja, da hat mein Mann recht«, ergriff jetzt, den von der langen Rede ermüdeten Gatten mit frischen Kräften ablösend, Frau Laputz das Wort. »Muß es denn durchaus Linchen sein, Herr Lampe? Sehen Sie, das Mädchen hat mir in der letzten Zeit beinahe die ganze Hausarbeit abgenommen. So klein und zierlich sie ist: man glaubt gar nicht, was sie alles leistet. In aller Herrgottsfrühe ist sie schon munter, besorgt das Frühstück, zieht die kleinen Geschwister an und sorgt dafür, daß sie rechtzeitig zur Schule gehen. Dann macht sie die Betten, kauft ein, putzt das Gemüse zum Mittagessen, kocht ganz selbständig, richtet an, deckt den Tisch und erledigt den großen Aufwasch, ohne auch nur einen Teller zu zerbrechen. Nach dem Kaffee beaufsichtigt sie die Schularbeiten der Kleinen, liest dem Urgroßvater die Parteiblätter und die Allgemeine Kaninchen-Zeitung vor und findet dabei noch Muße, unsere gesamte Wäsche in Ordnung zu halten. Und wenn wir anderen längst schon zur Ruhe gegangen sind, sitzt sie noch auf und trägt das Haushaltungsbuch nach oder führt die Korrespondenz mit unseren auswärts verheirateten Kindern. Sie werden begreifen, Herr Lampe, daß man solch ein Juwel von einer Tochter ungern mißt, und deshalb frage ich Sie nochmals: muß es denn durchaus Linchen sein? Wäre Ihnen nicht vielleicht auch mit einem von unseren anderen Mädchen gedient?«

Herr Lamprecht Lampe hätte kein praktischer Landwirt sein müssen, wenn ihm seine Angebetete, nachdem er so viel Rühmliches von ihr gehört hatte, nicht doppelt begehrenswert erschienen wäre. Und da er für seine eigenen Schwächen keineswegs blind war und ganz genau wußte, daß er eine flotte Ader hatte und sich zwar aufs Erwerben, nicht aber aufs Zusammenhalten verstand – die Ernte mochte ausfallen, wie sie wollte, so hatte er doch gewöhnlich schon im Dezember nichts Rechtes mehr zu brechen und zu beißen! –, erschien ihm die Zumutung, sich mit einer der anderen Laputztöchter abfinden zu lassen, zum mindesten seltsam. »Linchen oder keine, gnädige Frau!« rief er, den Vorderlauf aufs Herz pressend. »Bei Ihren bewährten Erziehungsgrundsätzen wird es Ihnen ein leichtes sein, sich für eine so häusliche Tochter einen vollwertigen Ersatz heranzubilden. Ich weiß, es ist ein großes Opfer, um das ich Sie bitte, aber ich meine auch, wenn sich ein junges Mädchen so lange für Eltern und Geschwister aufgeopfert hat, dann könnte man ihm auch die Freude gönnen, endlich einem eigenen Haushalt vorzustehen.«

»Das ist ja alles ganz richtig, Herr Lampe, und mein Mann und ich fühlen ja auch, daß es vergeblich wäre, uns Ihren Wünschen zu widersetzen, um so mehr, als wir wissen, wie tief die Neigung ist, die Linchen für Sie gefaßt hat, aber wir sind schließlich nur die Eltern. Bei den patriarchalischen Verhältnissen in unserer Familie ist der Urgroßvater auch in diesen Dingen die höchste und letzte Instanz, und wir müssen Sie deshalb schon ersuchen, auch ihm Ihren Antrag zu unterbreiten. Ist er einverstanden, woran wir keinen Augenblick zweifeln, so wollen wir Ihnen unsern Segen nicht vorenthalten. Man rief den Großvater herein, stellte ihm Linchens Freier vor und bat ihn, den Besuch beim Urgroßvater anzumelden. »Der gute Alte ist ein wenig schwerhörig, und sein Sohn, mein Schwiegervater, vermag sich noch am leichtesten mit ihm zu verständigen, während er Fremde nur zu oft mißversteht«, erklärte Frau Laputz.

Nach einer Weile kehrte der Großvater mit der Meldung zurück, sein Vater lasse bitten.

Nicht ohne einiges Herzklopfen folgte Lampe den Herrschaften die schmale finstere Stiege zum Altersstübchen des Seniors hinauf.

Dieser saß beim Eintritt seiner Angehörigen und des jungen Landwirts in noch leidlich strammer Haltung auf den Keulen und streckte dem Freier der Urenkelin den Vorderlauf entgegen. »Schön, daß Sie mich alten Knaben auch einmal besuchen, mein lieber Herr Lampe!« schrie er ihn an. »Aber sagen Sie mal, sind Sie denn nicht schon lange tot? Ich dächte. Sie wären doch damals im Kampfe mit den Zweibeinen bei der Brombeerhecke gefallen.«

»Das war mein Vater, Herr Laputz«, erwiderte Lampe schlicht.

»Ein Kater? Gott bewahre, mein Lieber! Ein Hase war es ganz bestimmt, und ich müßte mich sehr irren, wenn Sie es nicht gewesen wären.«

»Es war Herrn Lampes Vater!« brüllte der Sohn dem alten Herrn in den Löffel.

»So so! Na drum auch! Ich konnte mir's auch nicht vorstellen, daß Sie wieder lebendig geworden sein sollten. Denn wenn die medizinische Wissenschaft ja auch in den letzten Jahren gewaltige Fortschritte gemacht hat, so dürfte das Wort: ›Was tot ist, nagt nicht mehr‹ im allgemeinen doch noch seine Gültigkeit haben. Aber was führt Sie denn zu mir, Herr Lampe? Bloß, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, werden Sie ja wohl schwerlich gekommen sein.«

Lampe lächelte befriedigt. Der alte Herr, der bei weitem nicht so unzugänglich zu sein schien, wie er nach allem, was ihm über seine Eigenheiten zu Löffeln gekommen war, hatte fürchten müssen, gedachte ihm offenbar selber die Wege zu ebnen. »Ich bitte um die Ehre, mich fortan als Ihren Urenkel betrachten zu dürfen«, sagte er.

»Meine Schnürsenkel betrachten zu dürfen?« rief der Senior heiter. »Bester Herr, da kommen Sie ein paar Jährchen zu spät; ich trage seit langem nur noch Hausschuhe.«

»Herr Lampe möchte dein Urenkel werden, Vater«, erklärte der Großvater, »er hält um deine Urenkelin Linchen an.«

»So so! Um Linchen! Hat für einen Landwirt keinen üblen Geschmack, dieser Herr Lampe. Aber sagen Sie mal, mein Bester«, wandte er sich an den Freier, »können Sie denn auch eine Frau ernähren?«

»Aber Urgroßvater! Herr Lampe ist doch Domänenpächter!« warf Herr Lapinus nicht ohne einen leisen Ton des Vorwurfs ein.

»Wenn's sein muß, sogar sechse!« erklärte der Besucher etwas voreilig.

Die präsumtive Schwiegermutter warf ihm daraufhin einen mißbilligenden Blick zu und meinte: »Sechs Frauen wären doch etwas viel. Wir leben ja, Gott sei Dank, nicht in der Türkei, und ich hoffe, daß auch Sie den streng monogamistischen Grundsätzen huldigen, zu denen sich die Herren in unserer Familie wohl ohne Ausnahme immer bekannt haben.«

»Selbstverständlich, gnädige Frau!« beeilte sich der junge Landwirt zu versichern. »Ich meinte ja nur, daß es mir auch dann keine Schwierigkeiten bereiten würde, Ihre Tochter zu ernähren, wenn sie für sechse äste.«

»Wie steht's denn aber mit den Wohnungsverhältnissen bei Ihnen, Herr Lampe?« fragte der Senior. »Begnügen Sie sich immer noch mit einer Sasse?«

»Allerdings, Herr Laputz, und ich hoffe, daß sich auch meine liebe Frau von den Vorteilen einer solchen Wohnweise überzeugen wird. In ökonomischer wie in hygienischer Hinsicht scheint mir die Sasse vor dem unterirdischen Bau doch den Vorzug zu verdienen, ganz abgesehen davon, daß man in ihr bei einiger Aufmerksamkeit nicht so leicht von räuberischem Gesindel überrumpelt werden kann. Vor dem Frettiertwerden brauche ich mich nicht zu fürchten.«

Der Urgroßvater, der von dieser Erklärung das wenigste verstanden hatte, ließ sie sich Wort für Wort von seinem Sohne wiederholen. »Na ja, das sind ja so die modernen Anschauungen«, bemerkte er. »Kenne das schon. Sogar in meiner eigenen Verwandtschaft gibt's Leute, die von einem ordentlichen Bau nichts mehr wissen wollen und sich ihr Domizil in Wegeunterführungen, Abzugsgräben, Drainageröhren und Reisighaufen eingerichtet haben. Alles Geschmackssache! Ich gebe zu, daß sich's in einer Sasse während der warmen Jahreszeit ganz gut wohnen läßt. Aber wie ist's im Winter? Ist da so ein Ding nicht verdammt luftig?«

»Das kann ich nicht finden, Herr Laputz. Man muß sie natürlich hübsch tief ausscharren und sich so hineinsetzen, daß man den Wind, wenn eben möglich, im Rücken hat. Und tritt ein starker Schneefall ein, so läßt man sich eben für ein paar Tage einschneien und ruht sich unter der warmen, leichten Decke einmal gründlich aus, was der Gesundheit ohne Frage sehr zuträglich ist.«

Der Alte schüttelte sein graues Haupt und kratzte sich gedankenvoll hinter den Löffeln. »Nun, Ihnen scheint diese Lebensweise ja ganz gut bekommen zu sein, Herr Lampe,« sagte er, den jungen Landwirt mit einem prüfenden Blicke betrachtend, »Sie haben gesunde Farben und machen auch nicht gerade den Eindruck eines Rheumatikers. Wenn Sie die Überzeugung gewonnen haben, daß Linchens Liebe zu Ihnen – nicht wahr, es handelt sich ja wohl um Linchen? – stark genug ist, daß sie gegen das Wohnen in der Sasse nichts einzuwenden hat, dann will ich Ihrer Verbindung mit meiner Urenkelin kein Hindernis in den Weg legen.«

In überströmender Dankbarkeit bemächtigte sich Lampe der Vorderläufe des alten Herrn und schüttelte sie so kräftig, daß er ins Wanken geriet und von Sohn und Enkel gestützt werden mußte. Und während der Karnickelgreis noch über die stürmische Jugend jammerte, die gar nicht daran denke, daß alte Leute nicht mehr so fest auf den Keulen säßen, eilte Frau Laputz hinaus, um die Tochter zu rufen.

Das Mädchen mußte sich wohl in nicht zu weiter Entfernung vom urgroßväterlichen Altersstübchen aufgehalten haben, denn es war sogleich zur Stelle und fiel dem Verlobten unter Tränen der Rührung um den Hals. Und dann empfing das junge Paar den feierlichen Segen dreier Generationen.

Der neugebackene Bräutigam, dem in dem engen, dumpfigen Bau längst die klaren Tropfen auf der Stirn standen, hatte darauf gerechnet, daß man ihn nun wieder an die frische Luft entlassen werde. Aber diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Man geleitete ihn vielmehr im Triumph in das Speisezimmer, wo um die festlich gedeckte und mit den zartesten jungen Gemüsen besetzte Tafel schon ganze Scharen von Onkeln und Tanten erwartungsvoll versammelt waren, und wo er, die strahlende Braut am Vorderlauf, ein wahres Kreuzfeuer von Glückwünschen über sich ergehen lassen mußte. Und dann saß er als der gefeierte Mittelpunkt der Gesellschaft mit umflorten Sehern an Linchens Seite, ließ es ergeben geschehen, daß seine neuen Verwandten ihm ganze Berge von Löwenzahnsalat, jungen Hopfenschößlingen und Schwarzdornrinde auf den Teller häuften, und lächelte matt zu all den Trinksprüchen, in denen immer aufs neue betont wurde, daß man im Hause Laputz vorurteilslos genug sei, über die schwächere Entwicklung der Elle, die breitere hintere Nasenöffnung und den kürzeren hinteren Jochbogenfortsatz, also im Grunde genommen ganz unwesentliche anatomische Eigentümlichkeiten des Hasengeschlechtes, hinwegzusehen und den verehrten Bräutigam als ein vollberechtigtes Glied der Familie zu betrachten.

Die Abenddämmerung senkte sich schon auf die Waldwiese herab, als es dem jungen Landwirt endlich gelang, sich etwas gewaltsam den tausend Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeiten zu entziehen, mit denen ihn zu überschütten die braven Leute im Karnickelbau nicht müde wurden. Aber er vermochte nicht zu verhindern, daß ihm die ganze Gesellschaft bis vor die Hauptröhre das Geleit gab, und daß ihn Linchens vier gleichalterige Schwestern, die in diesem Augenblick gerade mit den vor Müdigkeit quarrenden Kleinen von ihrem Tagesausflug heimkehrten, unter großem Jubel als Schwager begrüßten. Endlich war jedoch auch das überstanden, und er durfte, nachdem er sich den Sand aus dem Balg geklopft und ein paar tiefe Atemzüge getan hatte, unbehelligt, wenn auch ein wenig steifläufig, seiner geliebten Sasse zuhoppeln.

*

Der Lärm vor dem Karnickelbau war dem Kantor Waldkauz und seinen Angehörigen nicht entgangen. Sie kamen aus ihrer Wohnung im Innern des hohlen Eichenwipfels, verteilten sich auf dem dürren Zacken, der ihnen als Balkon diente, und äugten, auf ihre Schutzfärbung vertrauend, mit recht gemischten Empfindungen auf das lustige Treiben ihrer Nachbarn hinab.

»Da haben sie die Verlobung gefeiert«, nahm der Vater das Wort, mit etwas nervöser Hast seine Brille putzend. »Kinder, Kinder, wenn wir doch auch erst so weit wären! Ein wahrer Jammer, daß Vetter Jako noch immer keine Miene macht, sich zu erklären! Morgen sind übrigens die Bucheckern wieder alle. Wie das ins Geld läuft, ist nicht zu sagen. Wenn man nur wenigstens wüßte, auf welche von euch er's eigentlich abgesehen hat! Aber ich merke schon: die Fähigkeit, einen Mann zu fesseln, geht euch allen beiden ab. Ihr solltet auch ein bißchen mehr auf euer Benehmen achten, Mädchen! Du, Tilla, mußt dir das alberne Lachen abgewöhnen, das du bei jeder Gelegenheit hören läßt. Und wenn du deine Heiterkeit durchaus nicht zu unterdrücken vermagst, so lache wenigstens silberhell und nicht mit so dumpfem Geheul, daß man denkt, ein betrunkenes Zweibein torkelte im Walde herum. Und du, Eulalia, wirft unserm Afrikaner mit deiner vulgären Redeweise auch nicht imponieren. Eine wohlerzogene junge Dame redet doch nicht immer von Feldmausgescheide, veraasten Maulwürfen und fetten Mistkäfern. Was soll ein Mann, der in seiner Heimat doch mit Nashornvögeln, Pisangfressern und Perlhühnern verkehrt, überdies dazu sagen, daß du nur für so materielle Dinge Interesse bekundest? Wenn unser Gast eines Tages sein Bündel schnürt und unverlobt abreist, so habt ihr das ganz allein euch selbst zuzuschreiben.

Was meint ihr nun dazu: sollen wir gleich hinunterfliegen, um Laputzens zur Verlobung ihrer Tochter zu gratulieren? Wenn wir bis zum Empfangstag warten, können wir nicht ohne Blumen kommen, und die kosten natürlich wieder einen Haufen Geld. Gehen wir aber gleich hin, so sparen wir das, und außerdem bringen wir dadurch zum Ausdruck, daß wir an den Angelegenheiten der Leute da unten mit besonders herzlicher freundnachbarlicher Gesinnung teilnehmen, und das ist schließlich auch etwas wert.«

»Hör' mal, Vater, jetzt schon zu gratulieren, halte ich doch für verfrüht«, erwiderte die Frau Kantor, eine etwas grobknochige Dame, die die Gewohnheit hatte, beständig mit dem linken Seher zu zwinkern, und deren Toilette immer den Eindruck machte, als käme sie das ganze Jahr nicht aus der Mauser heraus. »Die Sache ist doch noch gar nicht öffentlich, und wir müssen doch auch den Anschein vermeiden, als ob wir die Abschiedsszene da unten beobachtet hätten. Die Beglückwünschung hat doch Zeit, bis man die Anzeige bekommt, oder bis es im Tageblatt steht. Überhaupt verschnupft mich's nicht wenig, daß uns Laputzens mit der Verlobung zuvorgekommen sind, wo die Geschichte bei uns doch schon mindestens ebensolange im Gange ist, und da wäre es mir eine große Genugtuung, wenn wir die aufgeblasene Gesellschaft mit einer viel vornehmeren Verlobung ärgern könnten.«

»Ich möchte nur wissen, was die Bande heute zum Mittagessen gekröpft hat. Im besten Falle doch wieder Grünzeug. Was verstehen solche Leute auch von Delikatessen wie Spitzmausgehirn und Siebenschläfergekröse!« bemerkte Fräulein Eulalia geringschätzig.

»Huhuhuhuh!« lachte die Schwester so dröhnend, daß eine Mopsfledermaus, die bei der Jagd auf Nachtschmetterlinge gerade nichtsahnend an der Kantorwohnung vorübergaukelte, vor Schrecken eine scharfe Schwenkung machte. »Sie redet schon wieder vom Fraß! Da brauchst du dich freilich nicht zu wundern, wenn der Vetter auf dich nicht anbeißt!«

»Sei du doch nur ganz still, meine Liebe! Du mit deiner Nachtwächterstimme! Bildest du dir etwa ein, du hättest irgend etwas Weibliches in deinem Wesen, das Männer fesseln könnte?«

»Kinder, zankt euch nicht!« mahnte der Vater. Und zu seiner Gattin gewandt sagte er: »Was meinst du, wollen wir mit unserm Afrikaner, wenn er heute nach Hause kommt, nicht endlich einmal deutsch reden? So geht die Sache doch nicht weiter. Bei dieser kostspieligen Gastfreundschaft setzen wir ja unsere ganzen Ersparnisse zu. Ich habe durchaus keine Veranlassung, ein Blatt vor den Schnabel zu nehmen, und werde ihn klipp und klar fragen, ob er sich denn noch immer nicht für eins der Mädchen entschieden habe.«

»Ich bin ganz deiner Meinung, mein lieber Aluco«, erwiderte die Frau Kantor, eine verschlissene Feder aus ihrem Kleide rupfend. »Wärest du nur schon eher auf diesen Gedanken gekommen!« Und nachdem sie ein Weilchen in die Ferne hinausgelauscht hatte, bemerkte sie: »Ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht eben die Stimme des sauberen Mosjö drüben hinter der Oberförsterei vernommen hätte. Wo mag er sich nur wieder den lieben langen Tag mit seinem Busenfreunde, dem jungen Bussard, herumgetrieben haben?«

»Ich finde, daß dieser Verkehr für jemand, der bei uns als Logierbesuch wohnt, ziemlich unpassend ist«, erklärte Vater Waldkauz verstimmt. »Daß wir mit Bussards auf gespanntem Fange leben, weil sie von pfleglicher Behandlung der Feldmäuse keine blasse Ahnung haben und auf alles stoßen, was ihnen vor den Schnabel kommt, sollte der Vetter nachgerade auch gemerkt haben. Zum mindesten hätte er sich doch zuerst bei uns erkundigen müssen, wie wir über diesen Umgang denken. Aber still! Er scheint schon ganz in der Nähe zu sein. Na warte, Bürschchen, komm du mir nur nachhause!«

Man hatte sich nicht geirrt. Herr Jako steuerte, wenn auch nicht auf dem geradesten Wege, der Wohnung seines Gastfreundes zu. Jetzt ließ er aus der Fichtenschonung seine seltsamen Rufe erschallen: »Gib Küßchen, alter Schafskopf! Komm, Köpfchen krauen!« Und dann stimmte er mit der Unbefangenheit, die nur ein makelloses Gewissen oder völlige Abgebrühtheit zu verleihen vermag, das Lied an:

»Goldne Abendsonne, wie bist du so schön,
Nie kann ohne –«

Weiter kam er jedoch nicht, denn infolge der vielen Zerstreuungen, denen er sich in den letzten Wochen hingegeben hatte, war ihm der Text entfallen. Als er endlich schwerfälligen Flügelschlages auf Waldkauzens Balkon landete, traf er nur den Kantor an, da sich dessen Damen zu ihrem gewohnten Abendspazierfluge wegbegeben hatten.

»Nun, lieber Herr Vetter, sieht man Sie auch wieder einmal daheim?« begrüßte ihn der Schulmann. »Ich dächte. Sie entzögen uns Ihre angenehme Gesellschaft mehr als billig.«

»Papchen, nicht beißen!« stammelte der Ankömmling, sich der ihm offenbar äußerst schnabelgerechten Sprache der Zweibeine bedienend. Dann aber nahm er sich, da der Kantor nicht wie zu Scherzen geneigt aussah, zusammen und sagte: »Verehrter Freund, sollte Ihnen an meiner Gesellschaft wirklich soviel gelegen sein? Dann wundert's mich, daß man den Tag über von Ihrer Familie nie jemand zu sehen bekommt. Sie selbst sind ja durch Ihren Beruf in Anspruch genommen, aber Ihre liebe Gattin und Ihre reizenden Fräulein Töchter ziehen sich, sobald es morgens nur ein wenig hell wird, in ihre Gemächer zurück und sind bis zur Abenddämmerung nicht mehr zu sprechen. Da mußte ich natürlich annehmen, daß die Herrschaften Wert darauf legen, möglichst wenig behelligt zu werden.«

»Wir hatten allerdings angenommen. Sie würden sich unserer Hausordnung fügen und den Tag mit seinem grellen Licht zur Ruhe benutzen, um dann in der Nacht körperlich und geistig desto frischer an unserem traulichen Familienleben teilnehmen zu können. Das kleine Opfer hätten Sie meiner Tochter schon bringen dürfen.«

»Ihrer Tochter? Welche meinen Sie, Herr Kantor?«

»Das brauche ich Ihnen doch nicht zu sagen, lieber Freund! Die natürlich, für die sich Ihr Herz entschieden hat.«

»Da wissen Sie allerdings mehr als ich. Wenn ich ganz offen sein soll: mir ist die eine so lieb wie die andere. Ich komme mir manchmal vor wie der Esel zwischen den beiden Heubündeln, wobei ich aber hervorheben will, daß der Vergleich nur insoweit paßt, als es sich dabei um meine Person handelt. Mit der Zeit hoffe ich jedoch mit mir darüber ins reine zu kommen, welches der beiden Heubündel – Verzeihung! – welche der beiden jungen Damen die stärkste Anziehungskraft auf mich ausübt.«

»Da rechnen Sie wohl noch mit einer längeren Zeit?«

»Offengestanden: ja! Warum sollte ich auch eine so wichtige Angelegenheit überstürzen? Anfangs war's ja meine Absicht, schon bald wieder nach Afrika zurückzukehren. Aber dann habe ich mir gesagt: auf den Plantagen ist deine Anwesenheit nicht unbedingt nötig, du hast zuverlässige Leute, die in jeder Hinsicht dein Interesse wahrnehmen, und ein angenehmeres Leben als hier bei deinen Verwandten kannst du auch drüben in Afrika nicht führen. Und da habe ich mich entschlossen, noch ein halbes Jährchen hier bei Ihnen in Europa zu bleiben.«

Es war gut, daß es mittlerweile völlig finster geworden war, sonst hätte Herr Jako das lebhafte Mienenspiel seines Wirtes bemerken müssen, das immer eine starke innere Erregung andeutete.

»Noch ein halbes Jährchen?« fragte der Kantor. »Und so lange wollen Sie bei uns wohnen?«

»Es wird wohl das beste sein. Jedenfalls möchte ich mir später um keinen Preis den Vorwurf machen lassen, ich hätte unter Ihren Töchtern die unrichtige gewählt. Sie sehen, wie ernst ich diese Angelegenheit auffasse.«

»Ihre Gewissenhaftigkeit verdient alle Anerkennung, Herr Vetter. Ich kann mich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, als überschätzten Sie die Barmittel eines deutschen Lehrers. Ich bin leider nicht auf Mäusen gebettet, und Extraausgaben wie die Verpflegung eines lieben Gastes sind in meinem Budget nicht vorgesehen. So angenehm Sie mir sind, und so sehr ich die Ehre zu schätzen weiß, einen Mann von Ihren Qualitäten in meinem bescheidenen Heim beherbergen zu dürfen, so will ich Ihnen doch nicht verhehlen, daß mir die Sache auf die Dauer ein wenig kostspielig wird. Die Bucheckern zum Beispiel, die Sie heute zum Frühstück gekröpft haben, habe ich schon auf Kredit anschaffen müssen. Ich wäre Ihnen deshalb zu großem Danke verbunden, wenn Sie Ihre Entscheidung hinsichtlich meiner Töchter ein wenig beschleunigen könnten.«

»Das Luder will beißen! Ei du garstiges Papchen!« rief Herr Jako in der Sprache der Zweibeine, die sein Gastfreund zum Glück nicht verstand, wußte sich jedoch schnell zu beherrschen und erwiderte ohne den leisesten Ton der Gekränktheit: »Ich hatte allerdings angenommen, daß hier in Europa die geistigen Arbeiter ihrer Bedeutung für die Kultur entsprechend entlohnt würden. Sie werden mir jedoch zugeben, daß sich der Aufwand, den Sie für mich machen, doppelt und dreifach bezahlt macht, wenn ich Ihnen eines Tages die Sorge um den Unterhalt einer Ihrer Töchter abnehme.«

»Schon richtig, lieber Freund. Ich denke ja auch gar nicht daran. Ihnen die Gastfreundschaft aufzukündigen, aber ich würde es doch freudig begrüßen, wenn Sie sich wenigstens schon mit einem der Mädchen verlobten. Einmal der Leute wegen, sodann aber auch, weil sich andere Freier, solange die Sache nicht geklärt ist, geflissentlich fernhalten. Ich verstehe übrigens nicht, weshalb Ihnen die Wahl so schwer fällt. Meine beiden Töchter sind einander, abgesehen von der Verschiedenheit der Färbung, so überraschend ähnlich, daß ich als Vater sie bei Tage wenigstens, wo ich nicht so scharf äuge, fortwährend verwechsele. Das ist ja auch kein Wunder; sie entstammen derselben Brut, und wir mußten schon eines der Eier mit roter Tinte bezeichnen, damit beim Wenden während der Bebrütung kein Irrtum passierte. Ich rate Ihnen also: machen Sie kurzen Prozeß und verloben Sie sich mit Eulalia, von der ich glaube, daß sie sich ihres sanften Charakters wegen besonders gut zur Gattin eignet. Jedenfalls geht's so wie bisher nicht weiter, und ich muß ernstlich darauf bestehen, daß Sie endlich eine Klärung der Lage herbeiführen.«

Das war so deutlich gesprochen, daß sich sogar ein so welterfahrener Mann wie Herr Jako in die Enge getrieben sah. »Gut, mein Verehrter, ich bin nicht abgeneigt, die Entscheidung in Ihre Krallen zu legen«, sagte er, »aber zuerst muß ich mir noch über eine prinzipielle Frage schlüssig werden, über die nämlich, ob es für mich überhaupt zweckmäßig ist, eine Frau mit so ausgesprochener Neigung für das Nachtleben zu nehmen. Da mein Beruf es mit sich bringt, daß ich den ganzen Tag auf den Füßen sein muß, und dementsprechend abends hundemüde bin, so werden wir voraussichtlich nicht allzuviel voneinander haben.«

»Aber lieber Freund, gerade dieser Umstand scheint mir die Garantie für eine harmonische Ehe zu bieten«, rief der Kantor mit überzeugender Wärme. »Es kommt wirklich nicht darauf an, daß man ununterbrochen zusammenhockt und sich über die kleinen tierischen Schwächen des andern ärgert. Die Ehen, wo ein Teil den andern nur gelegentlich sieht, sind immer die glücklichsten. Und bedenken Sie ferner: wie peinlich ordentlich muß ein Hauswesen sein, wo der Mann während des Tages, die Frau aber bei Nacht die Seher aufhält! Und dann – aber das bleibt ganz unter uns Männern, teuerster Vetter! – jede Frau, auch die allervortrefflichste, liebt es, ihren Eheherrn bei seinem Tun und Lassen ein bißchen zu kontrollieren. Davor werden Sie bewahrt bleiben, denn wenn Sie munter sind, wird Eulalia schlafen, und wenn Sie der Ruhe pflegen, ist Ihre Frau in der Wirtschaft beschäftigt oder nimmt Mondbäder. Auf Grund meiner Erfahrungen kann ich Ihnen schon heute prophezeien, daß Sie mit meinem Kinde eine geradezu ideale Ehe führen werden.«

Dieser letzte Beweisgrund Waldkauzens schien seine Wirkung auf den Heiratskandidaten nicht zu verfehlen. »Na schön, wenn's denn durchaus nicht anders sein kann: auf die Verlobung soll mir's nicht ankommen«, erklärte er. Dann füllte er sich den Kropf noch gehörig mit Haferkörnern und Bucheckern, knackte zum Nachtisch ein Dutzend Haselnüsse und zog sich mit kurzem Gruß in sein Logierzimmer zurück. Aber er schlief in dieser Nacht recht unruhig, und der Kantor, der bis zum Morgengrauen Hefte korrigierte, vernahm deutlich, wie sein Gast, von bangen Träumen geängstigt, laut aufstöhnte und von Zeit zu Zeit mit lallender Zunge die Worte ausstieß: »Papchen, du alter Schafskopf!«


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