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Achtes Kapitel

Beschreibung des Empfangstages bei Laputzens. Auch ein höchst lehrreiches Kapitel, aus dem hervorgeht, daß es jederzeit geraten ist, eine Gesellschaft als letzter zu verlassen.

 

Heute, am letzten Sonntag im Mai, war bei Laputzens großer Empfang. Von allen Seiten strömten die Verwandten, Freunde und Bekannten herbei, um Herrn Lapinus und seiner Gattin Glückwünsche darzubringen, die strahlende junge Braut zu sehen, die unter ihrem schlichten Kränzlein von Heidelbeerreisern verschämt lächelte, und dem Bräutigam, der sich in die ihm aufgezwungene Rolle mit Gleichmut fand, den Vorderlauf zu drücken.

Mit Rücksicht darauf, daß der weitläufige, aber doch recht enge alte Bau die große Zahl der Gratulanten schwerlich zu fassen vermocht hätte, ganz abgesehen davon, daß sich für Herrschaften von hoher Statur der Eintritt in die niedrigen Röhren ganz von selbst verbot, hatte man den etwas erhöhten Vorplatz an der Südseite der Anlage, den man »die Terrasse« zu nennen pflegte, und der dem jungen Nachwuchse der Familie während der guten Jahreszeit als Tummelplatz diente, mittels eingepflanzter grüner Birkenzweige in eine Art geräumiger Laube verwandelt. Überall prangten geschmackvoll angeordnete Sträuße von blauem Ehrenpreis, zartfliederfarbigem Wiesenschaumkraut, schneeigem Weißdorn und goldgelbem Besenginster. Ein etwas seitwärts stehender, schon halb verwitterter Baumsturzel war durch kunstvolle Bekleidung mit den filzigen Blättern des Großen Huflattichs zu einem Büfett hergerichtet worden, auf dem mancherlei Schüsseln mit kalten Gerichten wie Löwenzahn-, Zichorien- und Kuhblumensalat, Sauerampferblättern, frischer Weidenrinde und jungem Klee, aber auch mit Ameisenpuppen, Froschkaviar und rosigen Regenwürmern standen. Laputzens hatten sich in nicht geringe Unkosten gestürzt, aber sie meinten, wenn man noch vier heiratsfähige Töchter im Hause habe, dürfe man bei der Verlobung der ersten vom Satze nicht knausern.

Familie Waldkauz, die es ja bis zum Karnickelbau nicht weit hatte, stellte sich zuerst ein, natürlich in Begleitung ihres Bräutigams, mit dem sie als einem reichen jungen Ausländer gebührend Staat zu machen gedachte. Der Kantor war in glänzenderer Laune als je, gab die drolligsten Schulanekdoten zum besten, richtete an Linchen die anzügliche Frage, ob sie das Wort Hase immer noch mit zwei A schreibe, und empfahl ihr, wenn sie erst verheiratet sei, um die Osterzeit genau darauf zu achten, wie ihr Gatte die berühmten Ostereier lege, damit sie von dieser Kunst etwas profitiere.

Auf Eulalia schien das junge Glück einen verjüngenden und verschönernden Einfluß ausgeübt zu haben. Sie hatte sich die Stirnfedern mit der Brennschere kokett gekräuselt und sah in der Tat wieder ganz leidlich aus. Auch auf ihre Toilette schien sie große Sorgfalt verwendet zu haben. Natürlich wich sie nicht von Herrn Jakos Seite, nannte ihn ihren süßen Nußknacker oder ihr herziges Kolonialrotschwänzchen, putzte fortwährend an seinem aschgrauen Rock herum, obgleich dabei immer ganze Wolken von feinem weißen Puderstaub aufstiegen, und machte alle Welt darauf aufmerksam, daß an seinen Füßen zwei Zehen nach hinten gerichtet seien – genau wie beim Förster Grünspecht, allerdings mit dem Unterschiede, daß ihr Herzallerliebster nicht nur damit zu klettern, sondern auch die feinsten Handarbeiten herzustellen verstehe. Überhaupt sei er ungeheuer vielseitig, spreche mehrere Sprachen – und zwar lauter lebende! – und habe seine schöne Stimme auf dem Konservatorium zu Windhuk ausbilden lassen. Sie wollte ihn durchaus veranlassen, das Lied von der goldenen Abendsonne vorzutragen, aber er weigerte sich mit aller Entschiedenheit, da er heute nicht recht disponiert sei, und das Lied, wenn der ganze Stimmungsgehalt nicht verlorengehen solle, überdies nicht am Vormittag, sondern am Abend gesungen werden müsse. Überhaupt machte er keineswegs den Eindruck eines bis über die Ohrlöcher verliebten Bräutigams, der bereit ist, dem Mädchen seiner Wahl jeden Wunsch an den Lichtern abzulesen, behandelte seine Eulalia vielmehr mit einer beinahe kränkenden Gleichgültigkeit und kraute sich aller paar Minuten im Nackengefieder, wobei er gewöhnlich »armes Papchen!« flüsterte. Mit wunderbarem Instinkt hatte er in Herrn Lamprecht Lampe sofort einen Schicksalsgefährten erkannt, und die Blicke, die er mit ihm tauschte, hätten aufmerksameren Beobachtern, als es die vom Glück berauschten Waldkauzens und Laputzens waren, zu denken geben können.

Der nächste Gratulant, der erschien, war der beim Tiefbauamt beschäftigte Ingenieur Maulwurf, ein überaus kurzsichtiger alter Junggeselle, der sich jedoch aus Eitelkeit keiner Augengläser bediente und mit seinen wohlgepflegten Händen und dem schwarzen Samtrock wie aus dem Ei gepellt aussah. Daß er Nikoline für den Bräutigam und Lampe für die Braut hielt, erregte große Heiterkeit, war aber nicht weiter verwunderlich; unliebsames Aufsehen erregte er dadurch, daß er sich sogleich über das Büfett hermachte und die Regenwürmerschüssel in unglaublich kurzer Zeit leerte.

Wenig später als Herr Maulwurf stellte sich die Gattin des Getreidehändlers Hamster ein, eine sehr redselige und wegen ihres Hanges zum Protzen ziemlich unbeliebte Dame. »Daß ich heute selber komme und nicht, wie ich erst vorhatte, zum Gratulieren meine Zofe schicke, können Sie mir hoch anrechnen, liebe Laputzen«, wandte sie sich an die Brautmutter. »Es ist mir verflucht schwergefallen, meine vierzehn Kleinen der Aufsicht der Dienerschaft zu überlassen; Sie wissen ja, wie unzuverlässig heutzutage die Domestiken sind. Ich will nur hoffen, daß inzwischen zuhause nichts passiert. Mein Gemahl ist wohl noch gar nicht da?«

»Bis jetzt noch nicht, liebe Hamstern«, erwiderte die Hausfrau, deren schlichtem Sinn die Großtuerei ihrer ehemaligen Schulfreundin um so mehr widerstrebte, als diese aus ganz einfachen Verhältnissen stammte.

»Geben Sie mal acht, der Dussel ist imstande, Ihren Empfangstag zu vergessen. Es ist schrecklich, wenn die Männer nur das Geschäft im Kopf haben. Gewiß, es ist ja nötig, daß sie aufs Geldverdienen sehen, wo heute alles so scheußlich teuer ist, aber bloß Geschäfte machen wollen, das ist auch nicht das Rechte. Wie oft habe ich meinem gepredigt, er solle sich doch ein bißchen für höhere Dinge begeistern, zum Beispiel für gebildete Kunst oder für Dramatik, aber es hat alles nichts genützt. Nicht einmal für seine Gesundheit tut er was. Doktor Adebar hatte ihm dringend geraten, bei seiner Neigung zum Starkwerden doch ein bißchen Sport zu treiben. Jawoll, Sport treiben! Tennisschuhe hat er sich angeschafft, und drin herumlaufen tut er den ganzen Tag, weil sie ihm so bequem sind, aber gespielt hat er noch nicht einmal! Und nervös ist er nicht zum Aushalten! Über jede Lapplandie regt er sich auf, und dann stellt er sich an wie ein historisches Weib. Na, ich bin nur froh, daß ich jetzt meine Villa für mich bewohne, da habe ich doch meine Ruhe.«

»Sie wohnen jetzt von Ihrem Gatten getrennt, liebe Hamstern?« fragte Frau Laputz, die ihren Löffeln nicht traute.

»Und ob! Ich hatte den ewigen Krach satt, und da haben wir uns denn in aller Freundschaft geeinigt, daß ich Chambre séparée ziehe; auf die lumpigen paar tausend Mark kommt's uns ja, Gott sei Dank, nicht an. In jedem April besucht mich mein Mann auf einige Tage, damit wir die nötigsten Familienangelegenheiten in Ordnung bringen – Sie verstehen mich schon, Laputzen! –, aber ein Vergnügen ist das auch nicht gerade. Ich glaube, er leidet zeitweise an Halunkinationen. Denken Sie sich, als er vorigen Monat bei mir war, und ich zufälligerweise ein paar befreundete Damen zu einem Täßchen Mokka geladen hatte, plumpste er plötzlich durch das Falloch mitten auf den Kaffeetisch. Und warum, meine Liebe? Weil ihn ein alberner Bussard, der über ihn weggestrichen war, vollständig kopflos gemacht hatte. Sie sollten sich übrigens mein Buenretirado einmal ansehen, Laputzen. Ich glaube, das Villachen würde Ihnen gefallen. Ganz einfach natürlich, wie sich's für Leute unseres Standes schickt, aber hochfeudal.«

»Sie haben Ihrem Gatten übrigens unrecht getan, als Sie behaupteten, er würde unsern Empfangstag vergessen. Dort kommt er«, bemerkte die Hausfrau, den Redestrom der Freundin unterbrechend.

»Wahrhaftig, da ist er ja!« rief diese. »Das ist wirklich ein Wunder. Aber sehen Sie nur, wie er sich wieder kostümiert hat! Erscheint der Mann zu einer offiziellen Visite in Khakirock und weißen Tennisschuhen! Und zu dem hellen Rock trägt er jahraus, jahrein eine schwarze Weste! Es ist unglaublich! Immer und immer habe ich ihm gepredigt, er solle doch mehr auf sein äußeres Interieur geben, aber er kümmert sich nicht drum und zieht an, was ihm gerade in die Pfoten kommt.«

Herr Hamster war in der Tat ein wenig seltsam gemustert, aber er hatte, was weit schlimmer war, zu dem Besuche bei Laputzens auch seinen Pessimismus und sein cholerisches Temperament mitgebracht. Sein Glückwunsch sah mehr wie eine Beileidsbezeugung aus, und er meinte, das Brautpaar mit feinen blanken schwarzen Äuglein kritisch betrachtend: »Ich bin nur gespannt, was bei dieser Ehe herauskommt. Viel Gescheites wird's wohl nicht sein.« Und ohne von den verdutzten Gesichtern der Laputzfamilie Notiz zu nehmen, zog er den Bräutigam beiseite und schlug ihm ein Termingeschäft in Weizen vor, auf das der vorsichtige junge Landwirt jedoch nicht einging.

Es versteht sich, daß diese Ablehnung die Laune des Getreidespekulanten nicht verbesserte. Er ging geradezu darauf aus, allen Leuten etwas Unliebenswürdiges zu sagen, fragte Kantor Waldkauz, ob er sich denn immer noch nicht pensionieren ließe, da er doch mit jedem Tage klapperiger werde, und bemerkte Fräulein Tilla gegenüber, sie solle sich von ihrem Schwager einen Nashornvogel als Mann verschreiben lassen, denn von den einheimischen Heiratskandidaten werde wohl kaum einer auf sie hineinfallen. Die taktlosesten Scherze machte er jedoch über den greisen Ahnherrn der Karnickelfamilie, der mit blödem Lächeln auf seinem Ehrenplätze saß und sich von seinem Sohne fortwährend Bruchstücke der Unterhaltung wiederholen ließ. Dann schimpfte er auf den Staat, der beständig auf neue Mittel sinne, den Bürgern die Backentaschen zu leeren, und brüstete sich ganz offenherzig mit seinen Kniffen und Pfiffen, die Steuerbehörde hinters Licht zu führen.

Seine Gattin, die sich zwar auch nicht durch ein Übermaß von Feingefühl auszeichnete, die sich jedoch über sein plebejisches Gebaren ärgerte, mahnte: »Aber Kornelius! Wenn man dich so reden hört, sollte man wirklich glauben, du nähmest es dem Steuerphysikus gegenüber mit der Ehrlichkeit nicht so genau, und dabei weiß doch jeder, wie patriotisch du gesinnt bist.«

»Stimmt, Alte! Patriotisch bin ich, und ich möchte keinem raten, dran zu zweifeln, es sei denn, er lege Wert darauf, die Backzähne in den Hals gehauen zu kriegen, aber man darf den Patriotismus auch nicht übertreiben. Meiner hört beim Geldbeutel auf, und wenn mich der Staat bis zum Weißbluten schröpfen und mir womöglich noch ins Geschäft hineinreden will, dann fauche ich auf Thron und Altar.«

Man empfand es begreiflicherweise als eine Erlösung, als das Erscheinen eines neuen Gratulanten dem peinlichen Gespräch ein Ende machte. Es war Lampes Gutsinspektor Rebhahn, ein noch jüngerer Mann von sehr bescheidenem Wesen. Sein Anzug, der sich durch eine absonderliche, mit einem großen kastanienbraunen Hufeisen bestickte Weste auszeichnete, war sauber, aber schon stark ausgeblichen und abgenutzt und schien die Wahrheit des Gerüchtes zu bestätigen, daß ihm sein Brotherr das Gehalt gewöhnlich bis nach der Ernte schuldig bleibe. Er brachte Empfehlungen von seiner Frau, die zu ihrem lebhaften Bedauern verhindert sei, selbst zu kommen, da sie vorgestern mit Brüten begonnen habe und sich für allerhöchstens fünf Minuten von dem Gelege entfernen dürfe. Nachdem er das Büfett einige Male mit begehrlichen Blicken umstrichen hatte, trippelte er in den Winkel, um mit Laputzens Mietern, dem jungen Hohltaubenpaare, mit dem er ein wenig bekannt war, eine Unterhaltung anzuknüpfen.

Inzwischen waren zwei sehr gewichtige Besucher erschienen: Wasserbaudirektor Dr.-Ing. Bockert aus dem altberühmten Geschlecht der Biber mit Gemahlin. Sie waren bei weitem die größten und angesehensten aus der ganzen Nagetierverwandtschaft und wurden von Laputzens, die gar nicht darauf zu hoffen gewagt hatten, daß sie sich persönlich einfinden würden, mit großem Jubel bewillkommnet. Die Kleinen, die Onkel und Tante Bockert nur aus den Beschreibungen der älteren Familienglieder kannten, verkrochen sich zunächst aus Furcht vor den kolossalen Herrschaften hinter die Eltern und größeren Geschwister. Als sie jedoch wahrnahmen, daß die vornehmen Verwandten recht umgängliche Leute waren, wurden sie von Minute zu Minute zutraulicher, untersuchten genau deren Kellen und mit Schwimmhäuten versehenen Hinterfüße, staunten die gewaltigen dreikantigen Nagezähne an, deren Vorderseite prachtvoll orangerot glänzte, und strichen das dichte Haar des braunen Wollkleides der Tante auseinander, weil sie hofften, einen der berühmten Flohkäfer zu finden, die man bei Bockerts als eine Art beweglicher kleiner Ehrenzeichen trug.

Der Onkel lachte über die Neugier der kleinen Neffen und Nichten, ermutigte sie, sich auf seine breite Kelle zu setzen, und kutschierte sie erst langsam, dann immer geschwinder im Kreise herum, bis eins nach dem andern, vor Vergnügen jauchzend und sich ein paarmal überschlagend, von dem glatten Sitze herunterpurzelte. Die Tante aber lud die ganze kleine Sippschaft ein, sie in den großen Ferien einmal in ihrer Burg am Ufer des Altwasserarmes zu besuchen, wo sie dann mit köstlichen Seerosenwurzeln und würzigem Kalmus bewirtet werden solle. Da brach der Jubel aufs neue los, und der Lärm wurde so toll, daß Frau Laputz, um ihn zu beschwichtigen, mit dem Iltis drohen mußte, bevor sich die aufgeregte Kinderschar wieder einigermaßen beruhigte.

»Jetzt, wo die nobeln Verwandten sie mit ihrem Besuche beehrt haben, wird mit der Karnickelblase wohl überhaupt nicht mehr zu verkehren sein«, bemerkte Aktuar Eichhorn zum Förster Grünspecht, dem er sich unterwegs angeschlossen hatte, obwohl dieser keineswegs gut auf ihn zu sprechen war, da er sich als streng monarchisch gesinnter Beamter durch die hämische Kritik, die der kleine Rote an allen Maßnahmen der Regierung übte, im höchsten Grade abgestoßen fühlte.

»Ich würde auch stolz darauf sein, wenn ich einen so bedeutenden Mann wie den Wasserbaudirektor zu meiner Familie zählen dürfte«, erwiderte der Förster, mit der langen wurmförmigen Zunge ein Fäserchen von seiner schmucken Galauniform schnellend. »Bockert ist ein Genie, wie es die Natur nur in besonders glücklichen Stunden hervorbringt. Ich wüßte kein Tier, das sich mit ihm in bezug auf technische Leistungen messen könnte. Das erkennen sogar die Zweibeine an, die sich doch sonst für tausendmal gescheiter halten als unsereinen. Neulich war ich einmal drüben in Dessau, und da habe ich mit Staunen gesehen, daß sie Lockert schon bei seinen Lebzeiten ein sehr würdiges Denkmal gesetzt haben. Eine solche Ehrung ist um so höher anzuschlagen, als sie doch von feindlicher Seite erfolgt ist.«

»Na ja, die Zweibeine, so schwachsinnig und beschränkt sie auch sein mögen, haben allmählich einsehen gelernt, daß sie alle ihre vielgerühmten Kulturerrungenschaften doch nur uns Tieren verdanken. Ich glaube übrigens nicht, daß sie Lockert nur wegen seiner technischen Leistungen ein Denkmal gesetzt haben. Der Mann hat verstanden, sich mit den Zweibeinen anzuvettern, und soll, wie mir Doktor Adebar, dessen Kunst sie ja auch oft genug in Anspruch nehmen, versichert hat, mit Professor Friedrich auf du und du stehen. Unter solchen Umständen ist es natürlich nicht schwer, zu einem Denkmal zu kommen. Leider gibt es unter uns Tieren eine ganze Anzahl, die sich durch so etwas Sand in die Seher streuen und in Sicherheit wiegen lassen, während das ganze tierfreundliche Getue der Zweibeine doch nur auf schlauer Berechnung beruht. Ich halte es für einen Skandal, daß sich sogar unsere Regierung immer wieder düpieren läßt. Sollte man's für möglich halten, daß unser Landesvater mit seiner ganzen Hofgesellschaft jeden Winter die Fütterungen annimmt, die unsere Erbfeinde für ihn herrichten? Entspricht das seiner Würde als Fürst und Regent? Geben Sie einmal acht, Herr Förster, eines Tages wird sich diese Gutgläubigkeit bitter rächen, und dann sind's selbstverständlich wir Kleinen, die die Dummheit der regierenden Herren auszubaden haben. Und deshalb sage ich immer: weg mit der überlebten Institution der Monarchie! Das Volk ist mündig geworden und hat die Pflicht, die Lenkung seiner Geschicke in die eigene Pfote zu nehmen!«

Dem Förster, der an der Unbelehrbarkeit des Fanatikers keinen Augenblick zweifelte, konnte niemand gelegener kommen als der joviale alte Knasterbart Hans Joachim von Swinegel, der als Major beim Bezirkskommando die bewaffnete Macht repräsentierte und dank der allgemeinen Beliebtheit, deren er sich erfreute, sofort der Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft war. Der kleine, bewegliche Herr, der seinen Stachelküraß nicht einmal ablegte, wenn er sich zur Ruhe begab, küßte sämtlichen Damen galant die Pfote und überreichte der Braut einen prächtigen Strauß selbstgepflückter Maiglöckchen. Dann richtete er eine kurze und kernige Ansprache an den Bräutigam, die mit der Erklärung schloß, daß jeder Ehemann mehr oder weniger unter den Pantoffel komme, daß es jedoch eine Freude sein müsse, unter ein so leichtes und zierliches Pantöffelchen zu gelangen, wie es Fräulein Nikoline ohne Zweifel trage. Im übrigen schien er sich ein Vergnügen daraus zu machen, die Damen durch allerlei kleine Anzüglichkeiten in Verlegenheit zu sehen, bis die Unterhaltung auf das große Ereignis des letzten Frühjahrs kam, den plötzlichen Zuzug einer Bisamrattenfamilie aus Böhmen, die sich im Altwasserarm niedergelassen und zu Bockerts Verdruß ganz in der Nähe seiner Besitzung eine regelrechte Wasserburg aufgeführt hatte. Daß sich der fremde Ansiedler – er sollte sich Fiber Edler von Dobrisch nennen und von Beruf Zivilingenieur sein – aufs Bauen verstehe, vermochte auch der Wasserbaudirektor nicht zu leugnen; desto mehr verstimmte diesen, daß der Kollege offenbar keinen Verkehr mit ihm zu haben wünschte und nur bei einem andern Berufsgenossen, dem Zivilingenieur Schermaus, mit dem er angeblich ziemlich nahe verwandt war. Besuch gemacht hatte. Man gewann den Eindruck, daß sogar ein so bedeutender Mann, dessen Lehrbuch des Deichbaus an allen technischen Hochschulen benutzt wurde, nicht ganz frei von tierischen Schwächen war, und daß es seine Eitelkeit verletzte, als unbestrittene Kapazität auf dem Gebiete der Flußregulierung und des Kanalwesens von dem fremden Ingenieur geschnitten zu werden.

Waldkauzens waren die ersten, die sich wieder empfahlen. Sie waren kaum außer Hörweite, als Inspektor Rebhahn seiner Verwunderung darüber Ausdruck gab, daß man Fräulein Eulalia nie in Gesellschaft ihres Bräutigams eräuge. Immer treibe sich Herr Jako mit dem jungen Bussard, diesem total verbummelten Studenten der Rechtswissenschaften, auf der Feldflur umher, während die Braut zu Hause sitze und fieberhaft an ihrer Aussteuer nähe.

Aktuar Eichhorn meinte, der Afrikaner wolle sich wohl beizeiten an das Mäusekröpfen gewöhnen, und daran tue er recht, denn nach der Hochzeit werde er wohl nichts anderes als Mäuse vorgesetzt bekommen. Daß er mit dem verbummelten Studenten so intim sei, müsse seinen künftigen Schwiegervater allerdings verdrießen. Seien doch Bussards dessen schärfste Konkurrenten im Mäusefang, und das empfinde er jetzt um so schmerzlicher, als ihn die eigene starke Kurzsichtigkeit immer häufiger um den Erfolg bringe.

»Ich kann mich mit der Liebhaberei des Kantors für kleine Säugetiere ganz und gar nicht befreunden«, bemerkte Herr Maulwurf, seinen Rüssel sorgenvoll in Falten legend. »Jedenfalls würde ich, wenn ich verheiratet wäre und Kinder hätte, diese um keinen Preis zu ihm in die Schule schicken, sondern lieber, so schwer es auch für mich wäre, die Kosten für einen Hauslehrer aufwenden.«

»Ach was, mein Bester!« rief Major von Swinegel lachend. »Daß Waldkauzens und Bussards das kleine Nagevolk ein bißchen kurzhalten, nehme ich ihnen gar nicht übel. Im Gegenteil, die Bande sollte ihnen für ihre Bemühungen dankbar sein, denn bei ihrer unglaublich starken Vermehrung kommt es ihr doch nur selbst zugute, wenn die erblich belasteten und deshalb minderwertigen Individuen – und nach meinen Erfahrungen lassen sich nur solche erwischen! – beseitigt werden und nicht erst zur Gründung eines Hausstandes gelangen. Keine Sentimentalitäten, meine Herrschaften! In der ganzen Natur herrscht ja ein beständiger Krieg; der Krieg ist der Urquell aller Dinge, er ist die Triebkraft jedes Kulturfortschritts, ein Stahlbad, das alle, die es überstehen, ertüchtigt. Und deshalb spreche ich den Wunsch aus,« schloß er, sich an die hold verschämte Braut wendend, »daß die Leporinenrammlerchen, mit denen die zukünftige Frau Lampe hoffentlich ihren Herrn Gemahl beschenken wird, alle einst stramme Soldaten werden mögen, die bereit sind, in der Stunde der Gefahr Wolle und Schweiß für Fürst und Vaterland zu opfern.« Nach diesen mannhaften Worten salutierte der alte Haudegen, die Fersen aneinanderklappend, nach allen Seiten und ging mit leisem Schnaufen gemessenen Schrittes davon.

Er hatte sich einen wirksamen Abgang gesichert, und besonders die Damen waren von seinem forschen Wesen entzückt. Aktuar Eichhorn jedoch machte, bevor auch er sich verabschiedete, einige abfällige Bemerkungen über Swinegels rauhes Landsknechttum und meinte, die Zeit sei nicht mehr fern, wo man den Militarismus als eine überlebte Sache belächeln werde.

»So ein ekelhafter Kerl, dieser Eichhorn!« sagte Herr Hamster, als der Aktuar weg war. »Der täte doch besser daran, vor der eigenen Tür zu kehren, als sich über andere Leute aufzuhalten. Schickt sich das etwa für einen Beamten, daß er sich große Vorratskammern anlegt und Schätze sammelt? Und dann die lächerliche Neigung, über seinen Stand hinauszugehen! Haben Sie beachtet, daß sich dieser Subalterne den Schwanz genau so stehen läßt wie der Regierungsassessor von Malepart? Und könnte er sich nicht wie andere anständige Nager mit einer Wohnung im Parterre oder Souterrain begnügen? Gott bewahre, so ein Gernegroß muß sich hoch oben im Baumwipfel einen Kobel anlegen, der im Winter kaum warm zu bekommen ist! Na, diese Protzerei wird schon einmal ein Ende mit Schrecken nehmen. Geben Sie acht, meine Herrschaften, wenn sich wieder so ein Orkan einstellt wie vor drei Jahren, fliegt der kleine Rotbalg mitsamt seiner luftigen Bude herunter! Sehen Sie einmal mich an! Meine Verhältnisse würden mir gestatten, einen Adlerhorst zu beziehen, der zehnmal größer als so ein Eichhornkobel sein könnte. Aber ich werde mich schön hüten, denn eine mit allem neuzeitlichen Komfort ausgestattete Erdvilla ist nun einmal für unsereinen das Gegebene, und auch meine Frau, die doch für alles Höhere schwärmt, war vernünftig genug, sich ihr Landhaus genau nach den Plänen des meinigen bauen zu lassen, wenn sie dabei natürlich auch auf die großen Speicherräume verzichtet hat.« Nach diesem Trumpf bot er seiner Gattin den Arm, um sie, wie er sagte, nach Hause zu geleiten und sich dann bei einem soliden Diner in seinem eigenen Heim von den gesellschaftlichen Anstrengungen des Vormittages zu erholen.

»So ein Knallprotz!« meinte Ingenieur Maulwurf, den Rüssel rümpfend, »immer muß er mit seinem Geld großtun! Und dabei weiß doch jeder, wie er dazu gekommen ist! Mich wundert nur, daß es die Staatsanwaltschaft nicht für nötig hält, sich einmal um sein Geschäftsgebaren zu bekümmern. Gleich nach der Ernte lagert er ganz unheimliche Mengen Getreide ein, das, nebenbei bemerkt, zum nicht geringen Teile verdirbt, da er die Kosten für eine rationelle Lüftung scheut und wohl auch von modernen Einrichtungen wie Elevatoren keine Ahnung hat, und hält es zurück bis zum Winter oder Frühjahr, wo dann die Not die Leute zwingt, die von ihm geforderten Wucherpreise zu bezahlen. Ich persönlich werde ja dadurch glücklicherweise nicht betroffen, denn bei mir kommen niemals vegetabilische Nahrungsmittel auf den Tisch, aber ich weiß sehr wohl, wie es den vielen Vögeln und kleinen Nagern, die auf den Kornverbrauch angewiesen sind, in der schlimmen Jahreszeit zumute ist.«

»Wer im Glashause sitzt, sollte lieber nicht mit Steinen werfen«, bemerkte Förster Grünspecht, als Herr Maulwurf gegangen war. »Der Schwarzkittel häuft doch selber – das weiß bei uns jedes Dunenjunge! – Vorräte auf, die er unmöglich allein vertilgen kann, Und spricht man dann im Winter einmal eines Engerlings wegen bei ihm vor, den man selbstverständlich nicht geschenkt haben will, sondern anständig bezahlen würde, so heißt's allemal: ›Bedauere mein Verehrter, ich bin selbst schon in Verlegenheit und kann auch nicht den kleinsten Regenwurm abgeben!‹ Und daß er beständig eine schwarze Samtjacke trägt und mit seinen langen Nägeln renommiert, soll auch so etwas heißen. Schließlich ist er doch Ingenieur und kein Künstler.«

Der Förster blieb natürlich auch nicht von dem Lose verschont, nach seinem Weggange von den Zurückgebliebenen durchgehechelt zu werden. »Haben Herr Lampe bemerkt, wie Grünspecht wieder nach Ameisenschnaps roch?« wandte sich Inspektor Rebhahn an seinen Brotherrn. »Der Mann schämt sich nicht, schon am hellen Vormittag im Gasthaufen zum dunkeln Goldkäfer einzukehren und sich ein Glas nach dem andern von dem scharfen Gesöff hinter die Kehlfedern zu gießen. Darf man sich da wundern, daß er über Appetitlosigkeit klagt und überall Mücken zu sehen glaubt?«

»Na ja, einen starken Tropfen lieben die Herren von der grünen Farbe wohl mehr oder minder alle, aber Unmäßigkeit im Alkoholgenuß kann man Grünspecht doch wohl kaum vorwerfen«, erwiderte Herr Bockert, der mit dem Förster auf gutem Fuße stand, weil ihm dieser jederzeit bereitwillig das Lang- und Knüppelholz zuwies, dessen er zu seinen Bauten bedurfte. »Bedenken Sie auch den weiten Reviergang, den er bei jedem Wetter zurückzulegen hat! Ich meine, einem Forstmann, der täglich einige hundert Bäume untersuchen muß und sich dieser Aufgabe mit der größten Gewissenhaftigkeit unterzieht, könnte man eine gelegentliche kleine Herzstärkung schon gönnen.«

Rebhahn, der gar nicht damit gerechnet hatte, daß Grünspecht in dem berühmten Mann einen so beredten Anwalt finden werde, schwieg betroffen und trippelte bald darauf, nachdem er sich mit allen Anzeichen tödlicher Verlegenheit verabschiedet hatte, nach Hause.

Lampe hielt es für geboten, seinen Inspektor in Schutz zu nehmen. »Sie müssen wissen, Herr Wasserbaudirektor, daß Rebhahn überzeugter Gegner des Alkohols ist. Daher sein etwas scharfes Urteil über den Förster. Im übrigen kann ich ihn jedoch als einen kreuzbraven Mann und einen ebenso zuverlässigen wie umsichtigen Gutsbeamten rühmen, dessen einziger Fehler vielleicht ist, daß er seiner guten Frau doch ein wenig zuviel zumutet. Jetzt sitzt die Bedauernswerte wieder auf fünfzehn Eiern!«

Da sich das Hohltaubenpaar längst rucksend und schnäbelnd in seine Kammer zurückgezogen hatte, waren von Gratulanten nur noch Bockerts zugegen. Bevor auch sie aufbrachen, kam das Gespräch noch einmal auf die aus Böhmen zugezogene Bisamrattenfamilie. Lampe, dem die Gelegenheit günstig schien, für seinen Gönner, den Baron Capreoli, Stimmung zu machen, äußerte, es sei unbegreiflich, daß Exzellenz Basse noch keine Schritte getan habe, die Einwanderung fremder Tiere, die durchaus nicht in die Fauna des Landes gehörten, ein für allemal zu verhindern. Wäre Capreoli an Basses Stelle Staatsminister – und er müßte es, wenn's auf der Welt immer mit rechten Dingen zuginge, schon längst sein! –, so wäre im Staate gewiß manches anders, und Leuten von anerkanntem Verdienste bliebe es erspart, sich von einer so problematischen Existenz, wie es dieser Herr Fiber Edler von Dobrisch sei, brüskieren zu lassen.

Damit sprach der junge Landwirt dem vornehmen Verwandten aus der Seele – wenigstens, soweit es sich um die Pensionierung des Grafen Basse handelte, dem der Wasserbaudirektor nicht verzeihen konnte, daß er sein Projekt eines großen Deichbaus ohne eingehendere Prüfung verworfen hatte. Daß ein anderer das Portefeuille des Staatsministers erhalten müsse, damit war Herr Bockert ohne weiteres einverstanden, daß dieser andere aber nur Baron Capreoli sein könne, wollte ihm weit weniger einleuchten.


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