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Wilhelm Heinrich Riehl

Über Riehls »Die deutsche Arbeit«.

Die Schriften W. H. Riehls, Professor der Volkswirtschaft in München, genießen, zumal seit sie die Cotta'sche Buchhandlung in einer Klassikerausgabe herausgibt, einer großen Verbreitung und Gunst.

Nicht nur denen sind sie willkommen, die den Ansichten des Verfassers, seinen halb und halb verhüllten Bestrebungen zum Mittelalter zurück anhängen, auch andere, die für den Kampf politischer und sozialer Meinungen keine Teilnahme besitzen, fühlen sich von dieser novellistischen Weise, die Volkswirtschaft und Volkskunde darzustellen, in hohem Grade angezogen. In der Tat, eine Wissenschaft, die man sich immer nur im Panzer statistischer Tabellen denkt, tritt uns hier mit leichtem Fuß, im Gewand einer griechischen Muse entgegen – Kornblumen, Kirchengesang, Abendsonnenschein sind ihre unwandelbaren Begleiterinnen.

Ein so dorniges Ding die Arbeit ist, Riehl macht sie in seinem neuesten Buche: »Die deutsche Arbeit« (Stuttgart, Cotta, 1861), wieder zu einer blauen Wunderblume, nach der die Völker, etwa in der Gesinnung Heinrich Ofterdingens in Novalis' Roman, wallfahrten sollten. Auf Riehls Anschauungsweise hat die Natur Süddeutschlands, der Charakter seiner Bewohner ebenso mächtig eingewirkt wie seine eigentümliche Begabung und früheste, dem Feuilleton gewidmete Beschäftigung. Riehls Talent dringt nicht unter Bücherstaub in die Tiefe der Dinge und Begriffe, mit denen es die soziale Wissenschaft zu tun hat, er haftet durchaus an der einzelnen, ihm begegnenden Erscheinung; er sagt selbst, daß er die Hälfte seiner Bemerkungen im Spazierengehen, von der Straße aufgelesen.

Glückliche Natur, möchte man ausrufen, die im Anblick unerbittlicher Gesetze, einer starren und erschreckenden Notwendigkeit, die ganze Geschlechter im Dienst der Maschinen aufopfert, gräßlicher als auf einem Schlachtfelde, sich an dem harmlos gefälligen Spiel der äußern Erscheinung ergötzt! Ein geborener »Mitarbeiter gelesener Journale«, bemüht sich Riehl wenig um die eigentlich wissenschaftliche Seite seines Gegenstandes, er verarbeitet nur die künstlerische zu kleinen Bildern und Skizzen. Diese Behandlung gefällt sich in Gegensätzen, welche den Leser reizen, seine Phantasie beschäftigen, aber selten den Gegenstand erschöpfen. In der »Deutschen Arbeit« werden so der Bauer und der »Geistesarbeiter« gegenübergestellt, die Mitglieder werden kaum berührt; die »Fabrikarbeiter« haben eine »Zwitterstellung«, die »große soziale Gefahren« in sich birgt. Daß der Wert und das Wesen der modernen Arbeit in den Produkten der Maschine besteht, daß man nicht Ähren und Hopfen, sondern Lokomotiven, Spinn- und Sämaschinen auf die Ausstellungen sendet, scheint Riehl nicht bemerkt zu haben – oder vielleicht, seiner romantischen Denkweise nach, nicht bemerken zu können. Hierzu ist freilich trockenes Buchwissen und Studieren nötig. Von den Tatsachen, welche die Fabrikwelt regieren, findet sich keine »auf einem fröhlichen Reiterzug« durch das bayrische Gebirge, noch dazu im Gefolge eines kunstsinnigen Königs. Riehls Weise kommt ebenso dem Geschmack der Frauen für ländliche Abgeschiedenheit, Waldeinsamkeit entgegen wie denen, die im guten oder bösen Sinn die »Einkehr in das Volksleben« predigen. Daß hier für die Volkskunde der reichste und ergiebigste Boden, leugnet keiner, aber die Gefahr, in dem Stehengebliebenen, in den »uralten Bauernsitten« das Wahre und einzig Schöne zu sehen, liegt zu nahe; man glaubt noch der Wissenschaft zu huldigen und erzählt schon Spinnstubenmärchen.

Es ist richtig, wie Riehl behauptet, daß nicht all diese Gebräuche und Gewohnheiten Folgen des mittelalterlichen Drucks und der Knechtschaft der Bauern sind. Wie indessen auch ihr Ursprung sei, in ihren Folgen haben sie nur der Unterdrückung, der Ausschließlichkeit gedient. Dies ist in seinen Augen ein Vorzug! Er bedauert, daß Bauernsöhne studieren; er möchte am liebsten, der Sohn träte nicht nur in die Fußtapfen, sondern auch in das Gewerbe des Vaters. Wenn Riehl ein Mann der Konsequenz ist und seinen vorzüglichsten Lesern, den Mitgliedern unserer Ersten Kammern, rechte Freude machen will, so kommt er auf die indische Kasteneinteilung und das Gesetz des Menu zurück, das die Gebundenheit des Sudra für eine Notwendigkeit und göttliche Einsetzung erklärt.

Freilich, in Riehls Anschauungen ist ein Bruch. Er vermag oder wagt sich nicht ganz den Einflüssen des Tags zu entziehen; hier wird sich zwischen den Zeilen eine Verteidigung des Zunftwesens finden – eine Seite weiter muß er denn doch die Gewerbefreiheit anerkennen – alles in jener gebildeten, sprung- und zitatenreichen Form, von der man sich, selbst im Widerspruch der Ansicht, gefesselt sieht. Als einzelne Skizzen betrachtet, ohne Frage nach ihrem innern Zusammenhang, machen die verschiedenen Aufsätze über die Arbeit einen so erfreulichen wie anregenden Eindruck; es ist eine Sommerfahrt durch ein lachendes Land. Neben weisen Lehren ist auch die Dekoration nicht gespart; durch das Ganze zieht ein musikalischer Zug, allerlei Volksmelodien – selbst die »Spitzbubenarbeit« hat hier ihren Platz. Aber eine philosophische Ergründung seines Themas ist nicht gegeben. Riehl schafft sich die Lehrsätze aus Beobachtungen, aus zufälligen Entdeckungen, kleinen Details, witzigen Vergleichen, und muß bei solcher Denk- und Arbeitsmethode oft nicht nur aus der Mücke einen Elefanten machen, sondern auch in Widersprüche mit sich selbst geraten; denn zuweilen kehrt das, was er theoretisch als Denker bekämpft, plötzlich eine dem – Dichter imponierende Seite heraus. Dieser an Riehl latente Dichter wäre gewiß eine sehr anziehende Empfehlung dieses Autors, wäre nur das Leben und sein ernstes Gesetz allein für die Dichtung gemacht.


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