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Walter Scott und der historische Roman.

Nachdem die letzten Stanzen des großen Heldengedichtes Napoleon in den Trauerweiden auf St. Helena verklungen waren und sich die Weltgeschichte so dicht vor jedermanns Augen entwickelt hatte, daß man das Schnurren der Räder und das elektrische Spinnen des Weltgeistes mit sah und vernahm; da hatte sich die ganze europäische Phantasie in den Spinnweben historischer Kombinationen verfangen; man machte aus Spaziergängen Begebenheiten, aus Erholungen Tatsachen; man wollte nichts mehr anerkennen, als was auf historischen Fundamenten beruhte. Die Politik, welche Napoleons Bienenmantel an die siegreichen Kriegsknechte in einzelne Fetzen zerschnitt, blätterte in alten Pergamenten; die Philosophie, ermüdet von den vorangegangenen Luftspiegelungen und Fantasmagorien, begann aus der Geschichte nachzuweisen, daß man auch früher um die Breite eines Haares sich gestritten hatte; auch die Poesie, diese schüchterne kleine Mondscheinnymphe, die sich früher nur mit der Historie abgegeben, höchstens, wenn es den Ahnungen der Zukunft galt, wandte sich jetzt auch rückwärts und schlüpfte in alte Zeiten und Erinnerungen, drängte sich graziös durch Jahreszahlen, Friedensschlüsse, Landtagsabschiede, sah Feldschlachten und Belagerungen zu und tupfte oft recht naiv in Blutströme, von denen sie kaum wußte, warum sie vergossen waren. So entstand die historische Romantik, deren großer Apostel Walter Scott war.

Walter Scott ist einer der größten Detaildichter, welche nach Homer gelebt haben. Die Brautkränze der Liebe, welche er zwischen die Lücken der Geschichte hing, mögen von fabelhaften Bäumen gebrochen, all das romantische Moos, womit er die kleinen Löcher der Tatsachen verstopfte, mag von trügerischen Wassern genommen sein; an die Wahrheit streifte er nahe heran, so nahe und so entfernt, als er mußte, um Dichter zu bleiben. Er hat der Geschichte ein bezauberndes Relief gegeben; ja noch mehr, er löste der stummen Vergangenheit das Zungenband, und, siehe, sie sprach in Lauten, welche wir noch alle verstanden. Was Schade für seinen Toryismus! Es ist wahr, er gehörte zu jener abscheulichen Partei, welche servil und näselnd die legitimen Lilien küßte, er ist ein ganz feudaler Mensch gewesen, ein Chouan, ein Vendeer; aber seine Dichtungen sind meisterhaft, und der originelle Professor meiner Schuljahre hatte ganz Recht, wenn er uns sagte: Leute, während ich hier Geschichte vortrage, und ihr da unter dem Tisch heimlich Bücher lesen wollt, duld' ich absolut nur zwei Schriftsteller zu diesem Zweck, den Tacitus oder den Walter Scott! Denn beide haben für die Geschichte gleichen Wert. Dieser treffliche Professor hieß Brunnemann.

Erst die Nachahmung der historischen Romane Scotts war es, welche diese Gattung der Poesie etwas verdächtig machte. Die Stereotypie wurde erfunden nicht nur im Druck von Tauchnitz, sondern auch im Roman von andern Taugenichtsen. Bestimmte Figuren wurden stehend in den historischen Romanen, namentlich die Meg Merilies, und allmählich war der historische Roman heruntergekommen auf ein Amalgam von Sentimentalität, Unglück und Weltgeschichte, auf eine unverantwortliche Zuschneiderei von Tatsachen. Unsre Vandervelde und Tromlitz verarbeiteten einen Band der Becker'schen Weltgeschichte nach dem andern. Sie zersetzten mit ihren hergebrachten Erfindungen jedes beliebige Stück Geschichte. Es sind dieselben Zärtlichkeiten, dieselben Nebenbuhler, dieselben Hindernisse der Verheiratungen, welche in allen ihren Romanen wiederkehren, und sich nur durch das Kolorit und die Situation unterscheiden, die sie verschiedenen Zeiten und Völkern entlehnen. Das nannte man die Geschichte romantisieren, obgleich es nichts war, als eine Verstümmelung der Begebenheiten, ein Herabziehen wichtiger und ernster Zeitabschnitte in das Interesse oft sehr matter Erfindungen und unzulänglicher Charaktere...


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