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Hegel

Über Hegels Ankunft in Berlin

Als die Berliner die sogenannte Franzosenzeit vergessen hatten, als sich eine Universität unter ihnen entwickelt hatte, und nun mancherlei Dinge nach überstandenen Gefahren wieder zur Sprache kamen, da sah es in unsern Köpfen wohl seltsam aus...

Da gab es denn keinen andern Trost mehr, als die Tiefen der Wissenschaft und Kunst, und die Schöngeisterei begann nun recht hochfahrend zu werden, da sich der ungestüme Geist doch irgendwohin ablenken mußte. Wir kennen die hitzige Periode unserer Literatur, Fouqué, Hoffmann, Lutter und Wegener haben es mit ihr zu tun. Allein auch mit diesem künstlichen Rausche war die Folge der Nüchternheit und Überladung nicht ausgeschlossen, und so war's denn Hegels Ankunft, die der ganzen Periode ihren Beruhigungspunkt, ihre Beschwichtigung gab. Nun offenbarten sich bald tiefsinnige Mysterien von dem Philosophenlande, dem Preußischen, von Preußen, als dem wiedergeborenen Deutschland, von den französischen Staatsformen als konsequenter Ausbildung der Atomistik und des Materialismus. Freilich waren solche Lehren dem größten Publikum noch zu hoch, darum erhielt es denn, da Kunst und Wissenschaft doch einmal die Losung, ein neues Theater und mit ihr – die Sontag. Und wir segneten diesen siebenten Tag und heiligten ihn, darum, daß wir an demselben ruheten von all unsern Werken, die wir geschaffen und gemacht hatten.

Über F. G. Kühne und Hegel, anläßlich Kühnes Eine Quarantaine im Irrenhause

Da er überhaupt nicht drei Schritte gehen kann, ohne daß ihm ein Buch zwischen die Beine kommt, so finden sich der kritischen Schönheiten sehr viele. Trefflich sind die Urteile des Verfassers über Goethe, Shelley, Hegel, namentlich über den letzteren, dem Kühne mit einem Enthusiasmus ergeben ist, daß er alles, was ihn betrifft, apotheosiert. Sein Buch ist das letzte Zucken eines Hegelianers, der wahrscheinlich die Hegel'sche Lehre aufgegeben hat, zugleich aber so unglücklich ist, aus Gewöhnung noch immer mit Hegel'schen Kategorien denken zu müssen. Die wahrhaft anziehende, rührende Empfindung, welche in diesem Romane herrscht, scheint uns keinen andern Grund zu haben. Es ist die Resignation auf eine Geliebte, welche man zwar nicht ehelichen kann, der man aber ewig treu zu sein gelobt.

In Betreff Hegels weiß ich noch nicht, ob es Kühne für erlösend hält, sich von der Schule frei zu machen, und dafür dem Leben und der Geschichte hinzugeben. Das Leben und die Geschichte haben eben so viele Klippen, wie das System, es sind dieselben Rätsel, welche hier wie dort wiederkehren. Aber der Lunge bekommt die freie Luft besser, freudiger blicken die Augen, und Massen sind es, die man durch den Gebrauch seines Talentes erquicken kann. Es ist mir, als sähe ich Kühne auf diesem Abschiede des Lebens von der Schule. Aber er macht sich den Abschied zu schwer; Hegel aufgebend, glaubt er den ganzen Himmel aufgeben zu müssen, alle seine Träume und Ahnungen faßt er in jenem Namen zusammen; Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, Tugend. Alles sieht er nun rückwärts gewandt, und auf ewig verloren. Aber dies sollte nur eine augenblickliche Stimmung sein, der Himmel ist überall, wie die Ahnung der Unsterblichkeit. Unter jene säuselnde Linde setze dich und blicke hinüber in das grünende Tal, schwellenden Saatfeldern wende dein Auge zu, oder des Nachts zu dem bestirnten Teppich des Himmels, und deine Seele wird mit Adlerflügeln rauschen, dein Geist wird Worte der Erhabenheit und Schönheit sprechen! Nur von einem solchen Standpunkte aus kann man seine Nation erleuchten und das Leben wecken, welches die Systeme der Schule eingesargt haben.

Die Manier, mit welcher Kühne an Hegel geglaubt hat, und wie er sie in seinem Buche beschreibt, ist jedenfalls nur durch die Jugend zu entschuldigen. Die Jugend verwechselte hier ein System mit der Philosophie selbst, Hegel mit Pallas Athene. Auch ist es unwahr, daß Kühne behauptet, im Hegel'schen Kursus hätten die Dinge der Welt hin und her geschwankt, alles wäre beanstandet worden, Staat, Kirche, Wissenschaft hätten die alten Sitze verwechselt und ein wirrer Taumel hätte sich der jugendlichen Auffassung bemächtigt. Kühne urgiert das Aufheben in Hegels Philosophie und würde besser getan haben, wenn er von dem Zugrundegehen gesprochen hätte. Das Zugrundegehen mit allem etymologischen Witze, den die Herren daran verschwendeten, war der rechte Hegel'sche Terminus; aber im Zugrundegehen lag eben nichts, als das Fixieren, das Anketten der Dinge an ihr Fundament, ja leider! Das Anketten der Dinge an ihr Vorurteil, an die positive Wirklichkeit. Indem Hegel zeigen wollte, daß die Wahrheit weder vor noch hinter den Dingen läge, sondern in ihnen, indem er in seiner Art nachwies, daß nichts wahr daran sei, als der Begriff, fixierte er die Dinge und veranlaßte eine Philosophie, die an dem Bestehenden ein sehr verdächtiges Genüge hat.

Über Hegel und die Traditionen des Christentums

Hegel hat sich vielfach und mit Entschiedenheit als einen Protestanten bezeichnet. Seine Schüler, die mit ihrer Konstruktionssucht überall zur Hand sind, rechnen selbst den Besitz eines norddeutschen Katheders hieher. Der dialektische Scharfsinn seiner Untersuchungen ist den positiven Satzungen der Kirche, den Lehren des Athanasius und Augustinus zugute gekommen. Was dem katholischen Lehrbegriff noch am nächsten steht, ist die bestimmte Ausbildung der Lehre vom heiligen Geist, der auch die späteren Christen in alle Wahrheit leiten würde, daher die Annäherung an die Lehre von der Tradition. Der Sinn, den die Identitätslehre in die Dogmen von der Erbsünde, Dreieinigkeit, Gnadenwahl, Genugtuung legte, soll kein hineingetragener, kein Erklärungsversuch sein, sondern er beruht auf dem tiefsten logischen Gesetz und ist dies Gesetz selbst. Der Übergang vom Nichts zu allem Sein, das ewige Moment der Negation, des Abfalls von Gott, das innere Erbeben der Kreatur, ihr ängstliches Sehnen und Harren, des göttlichen Seins wieder teilhaftig, aus dem unseligen Zustande des ewigen Werdens erlöst zu werden, die Überwindung des verneindenden Prinzips durch den werdenden Gott, der nicht nur ein einzelnes Moment der primitiven Gottesidee, sondern diese vollständig, in bestimmtester Konkretion selbst ist, das endliche Reich des Geistes, der mit sich selbst versöhnt und aus sich selbst wieder geboren ist; alle diese Begriffe sind die Grundlagen des Hegel'schen Systems, und ihre Beziehung auf die christlichen Dogmen kann nicht schwer fallen.

Über Hegel, Schelling und die jungen Hegelianer

Zwischen Schelling und Hegel schürt sich die polemische Debatte immer glühender an. Die Hegel'schen sind zaghaft, die Schelling'schen vornehm. Professor Hinrichs hat in den Berliner Jahrbüchern eine sentimentale Klage erhoben, daß der Freund vor'm Freunde, der Bruder vor'm Bruder nicht mehr sicher sei, und vergaß dabei im Schmerze die neuesten Behauptungen Schellings zu widerlegen. Wäre das letztere denn so unmöglich gewesen? Schelling übersah, daß Hegels Philosophie kein System, sondern ein Akt ist, daß man ihre einzelnen Fundamentalsätze für Stationen auf dem Wege eines logisch-subjektiven Prozesses halten muß. Wenn Schelling das Hegel'sche Vor- und Rückschlagen der Ideen nicht begreifen kann, so findet ja Hegel in seiner Negation nur eine Elastizität, die gar nicht in den Dingen, sondern in der größern oder geringern, in der unendlichen Energie des beliebigen Denksubjektes liegt. Man nenne diese ewige Persönlichkeit des real-idealistischen Prozesses Abstraktion, oder Absorption, oder Annihilierung, oder Reduktion des unbestimmten, prädikatlosen, wie die Alten sagten, Seienden, oder, wie Hegel sagte, reinen Seins, so ist die Formel, daß alles Sein gleich Nichts sei, entweder eine große Torheit, oder nichts als der belauschte Zustand des Denkenden, die einfache Beschreibung einer reflektierenden Tätigkeit im Menschen, die psychologische Erklärung einer nur historischen Tatsache. Allein das Unglück der jungen Hegel'schen Schüler ist, daß sie nicht gewohnt sind, selbst zu denken. Von der Phrase über die Objektivität des Gedankens verführt, nehmen sie die Gedanken gleichsam als etwas, das am Wege fix und fertig liegt, und vergessen es, die Wahrheit, wie ihr Meister es tat, aus sich herauszuspinnen, und an ihre innere Befähigung zur Gedankenentwicklung zu appellieren.

Über Hegels Geschichtsstupor

Die glänzendste Seite des Hegel'schen Systems, welche die etymologische Dialektik und das Stehaufmännchen der Negation vergessen macht, ist die Philosophie der Geschichte. Man kann sagen, wenn auch Hegel noch im Grabe darüber erschrickt, seine Geschichtsansicht war göttlich, frei, freudig, und evolutionär. – Und doch ist, wenn das Leben spricht, der Augenblick, die Tat, wenn unsere Zeit wimmert, wie sie daliegt in den Wehen ihrer Geburt, ist sie die Klippe ihrer selbst; denn da sie alles objektiviert, tötet sie den Entschluß und erzeugt eine Apathie, welche in schwachen Gemütern Feigheit werden kann. Die Hegel'sche Konstruktionssucht erzeugt ein moralisches, oder meinetwegen, ein politisches Laster, nämlich den Geschichtsstupor. Bewundert den Schematismus der Begebenheiten, die Symmetrie in dem, was war und ist; aber in dem, was sein wird, reckt eure eigene Hand und werdet, statt Kritiker, Schöpfer! Noch keine Philosophie hat gewagt, solche Entnervung zu lehren, daß wir objektiv auch leben sollen. Kurz, es wäre besser, weniger von der Zeit zu wissen, und mehr für sie zu tun.

Über Hegels Geschichtsphilosophie

In der Geschichte hat eigentlich nichts ein absolutes Recht; denn die Geschichte ist ein Komplex von ungezählten Individualitäten, die kommen und gehen, und das Recht haben, in die Waagschale der Ereignisse zu werfen, was sie wollen, Gold oder ein Schwert, wenn es nur wiegt! Man spricht von dem Finger der göttlichen Vorsehung; sollte aber damit sagen, daß Gott nur zeige und andeute. Alles, was geschieht, kletterte an jener steilen Höhe hinauf, wo jedes Wagnis durch das Rollen eines Steinchens vereitelt werden konnte. Jede Tat hat ihr eignes Recht, jede Zeit hat es. Man sollte eine Philosophie verlassen, welche behauptet, daß alles in der Geschichte dem Christentume zuliebe geschehen sei.

Das Buch der Geschichte hat breite Ränder, und weite Zwischenräume laufen durch seine einzelnen Linien. Man betrachte diese Ränder und Zwischenräume! sie sind nicht leer. Mit sympathetischer Tinte, die dem Auge des unbefangenen Forschers sichtbar wird, sind zahllose Arabesken und Karikaturen von der Göttin Tyche gekritzelt, die sich lächelnd dem greisen Vater der Welt über die Schultern lehnt, und ihn scherzhaft in seinen lapidarischen Schriftzügen zu verhindern sucht. Da ist ein Dolchstoß; um ein Haar glitt er vorbei. Da sind tausend Möglichkeiten und embryonische Anfänge und Begebenheiten, die sich würden entwickelt haben, wenn die Geschichte nicht eilte, und der höchste Dichter, Gott, in seiner Diktion nicht ein Feind der Anakoluthe wäre. Man nenne diese Geschichtsansicht nicht atomistisch oder glaube, daß ich ein Apologet des Zufalls wäre! Ohne Zweifel liegen Gesetze in der Geschichte, aber es sind Gesetze, die sie sich selbst gegeben hat. Ich möchte die Menschen von den Begebenheiten, und von den Ereignissen das Individuelle trennen. Ich möchte die Geschichte in ihre subjektiven Faktoren auflösen, und vieles dem Mute, der Tapferkeit und der Tugend vindizieren, was unsere Philosophie immer gewohnt ist, auf die Rechnung des Himmels zu setzen... Wenn ich mich hierauf endlich gegen die sogenannte Geschichtskonstruktion erkläre, so möchte ich doch nicht, daß man mich für einen Verkleinerer der Hegel'schen Philosophie ansähe. Dieses System war notwendige Schlußfolge einer vierzigjährigen spekulativen Aufregung Deutschlands und mußte alle Radien vorangegangener Bestrebungen in seinen Mittelpunkt zusammenfassen. Ich habe selbst zu den Füßen Hegels gesessen, und aus dem unkünstlerischen Vortrage seiner Lehrsätze die entschiedene Wirkung wahrgenommen, welche seine weiten Umrisse, diese ungeheuren Konturen seiner Kategorien auf die Gymnastik der Seele haben. Hegels konkrete Methode, das materielle Füllsel seiner leeren Begriffsschemen machte seine Philosophie zu einem Surrogat der Erziehung, das weder von der psychologischen noch mathematisch-scholastischen Methode anderer Lehrer erreicht wird. Die Masse von eigenen Kenntnissen, die man in Hegels System vergraben kann, ohne in seinem Besitze verkürzt zu werden, die eigne Durchbildung des Kopfes, die sich mit dem Hegel'schen Systeme immer in einen vertraulichen Zusammenhang bringen läßt, kurz das im Grunde Unverbindliche, Laxe und Leichtwendbare der Hegel'schen Prinzipien schuf eine sehr freie, bunte und der Individualität alles einräumende Schule, zu der sich die unabhängigsten Geister bekennen. Wir haben hier z. B. nicht die über einen Leisten geschlagene Propaganda des Kritizismus, diese Heydenreich, Feder, Schmid, Kiesewetter, wo einer immer in Gefahr kam, mit dem andern verwechselt zu werden, sondern ich erinnere nur an das tiefe und in der Kunst beinahe mystische Gemüt eines Hotho und an den in hundert Farben blitzenden Esprit eines Gans. Es würde mich schmerzen, wenn sich die nachstehende Polemik nicht mit der größten Hochachtung vor dem Gegner vertragen sollte.

Was ist Konstruktion der Geschichte? Ein kleiner Demiurgos sitzt mitten im Weltgebäude und sucht mit einem Zirkel die Zahl der historischen Breiten- und Längengrade zu bestimmen. Er hockt dem Schöpfer der Welt auf der Schulter und beginnt am siebenten Tage, wo jener zur Ruhe gegangen, den Himmel und die Erde, die Tiere in und über dem Wasser, die Bäume und den Menschen so nachzuformen, wie er an dem Allvater sich die Handgriffe gemerkt hat. Geschichskonstruktion heißt, die einzelnen Höhepunkte der Geschichte mit Spinnweben verbinden und das Disparateste zu witzigen Harmonien zusammenschnüren. Sie ist zuletzt prophetischer Natur, sowohl in dem Sinne, daß sie, wie Äneas es bei Virgil tun konnte, einen August und Marcellus prophezeit, als auch in rein kassandrischem Sinne, daß sie noch wirklich das Ungesehene in der Zukunft zu erblicken glaubt.

Jedem wird hier Mephistopheles im Faust einfallen, wo er die philosophische Methode persifliert, welche uns beweist, daß die Dinge nicht nur so sind, sondern auch so sein müßten, wie sie sind und daß gleichsam jedermann kein anderer wäre, als er selbst. Doch müssen wir hinzufügen, daß das Reagens dieser Geschichtskonstruktion die logische Idee ist.

Von der logischen Idee muß man sich eine sehr ausgedehnte Vorstellung machen. Sie ist allerdings zunächst nur ein Begriff, oder, wenn wir dem Meister trauen dürfen, zu gleicher Zeit auch der Inhalt dessen, was dieser Begriff ausdrücken soll. Sie ist mit einem Worte der metaphysische Urstoff, aus welchem sich die Dinge als die Ideen darüber entwickeln, vielleicht Gott selbst, wenn man Beweglichkeit des Geistes genug hat, sich unter diesem Stoffe nichts Ruhendes und Abstraktes, sondern ewig Gebärendes und Schaffendes vorzustellen. Dieses hohle Prädikat des Seins ohne Subjekt, diese noch unbestimmte und unwirkliche Kategorie wird uns immer in die Vorstellung des Nichts verfließen und wir werden jenen Moment ahnen können, wo es noch keine Welt und keine Geschichte gab. Hegel nimmt jene Periode des reinen Seins oder des Fürsichbegriffes als die Periode der Urwelt, wo die Geschichte wie der Dotter im Eie schwimmt, wo die Götter auf der Erde wohnten und das Paradies die Ordnung des Tages war. Geschichte war noch nicht. Geschichte ist das Produkt zweier Faktoren und dieser zweite Faktor, die Negation, brauste in das Chaos hinein, die Idee stürzt aus ihrem Gehäuse, die Natur öffnet ihren Drachenmund, Geschichte ist das Werk der Rebellion. Hegel kennt nur Alte und Neue Welt: was in der Mitte zwischen beiden liegt ist Kampf. Das Mittelalter ist Streit zwischen der Natur und dem Geiste, zwischen dem zweiten und dritten Teile des Systems. Christus war die Idee des Anundfürsich, die in ihren Anfang aber mit Geistesbewußtsein zurückgekehrte Idee. Sein Reich ist das Reich der Freiheit, Wahrheit und Wissenschaft, des vollständigen dritten Teiles, welcher mit dem Triumphe der Philosophie und beinahe mit jenem Horazischen Satze schließt: der Philosoph ist König, Gott Alles, wenn er nicht zufällig den Schnupfen hat.

So gesund und frisch die Ansicht Hegels ist, nach welcher man die Wahrheit doch nicht immer an entlegnen Orten suchen möchte, daß man stündlich über sie wie über die Tatsache der Straße stolpere, daß ferner das Äußere der Dinge fast immer ihr Inneres sei und wir uns doch nicht einbilden mögen, was Wunder für große Begebenheiten auf dem Uranus und der Milchstraße geschähen; so möchte es doch schwerlich ein großer Triumph der philosophischen Wahrheit sein, wenn die historischen Facta unsres Erdballs ihre ausschließlichen Belege wären. Inzwischen will ich der konstruktiven Methode drei Punkte entgegenhalten, welche ein praktischer Grundsatz und zwei Verlegenheiten sind.

Herder verfiel in den Fehler, die Geschichte kritisieren zu wollen. Hegel übt gegen sie eine Toleranz, welche die Moral in Gefahr bringt. Ich klammere mich nicht an die fünffüßige Phrase: die Weltgeschichte ist das Weltgericht; denn Millionen Tränen sind in der Geschichte ungetrocknet, tausend Verbrechen ungestraft geblieben, das Recht war immer dessen, der der Stärkere war; aber in allem Notwendigkeit sehen, wo bleibt die Freiheit? Starb in Cato ein Begriff oder eine große Seele? War Philipp IL, war Robespierre ohne moralische Zurechnung? Ist der Weltgeist der Souffleur aller großen Worte gewesen, die von Menschen gesprochen wurden; des non dolet der Arria, des sancta simplicitas Hussens und selbst jenes wehmütig herben Spruches, womit ein Gladiator den Kaiser grüßte: Caesar, moriturus te salutat? Dieser philosophische Schematismus betrügt die Menschheit um ihre Zierden und die Seele um ihre hohen Entschlüsse. Er erzeugt einen indifferenten Quietismus für die gegenwärtige Zeitlage, und selbst wenn er richtig wäre, müßte man ihn bestreiten, weil er der Tatkraft die Sehnen zerschneidet.

Das zweite Unglück der konstruktiven Methode ist die Sackgasse. Wo hinaus? Welche Regeln gibt uns der Tag? Natürlich ist es eine weite Zeit, von der schon Plato träumte, wo alle Menschen Philosophen würden. Aber wie es mit der Wiederkunft Christi war, der eine spricht von tausend Jahren, der andere: über ein Kleines! Hegel selbst hat sich verleiten lassen, seine eignen politischen und wissenschaftlichen Verhältnisse für den unmittelbaren Durchgangspunkt der Geschichte anzuerkennen, er hat an den Staat, welcher seine Verdienste belohnte, eine so entschiedene Mission ausgeteilt, daß man verführt wird, ein ziemlich nahes Ende der gedachten und geschehenen Dinge anzunehmen. Hegel fing alle historischen Strahlen zu jener Sonne zusammen, welcher der Preußische Adler kühn entgegenfliegt, und brachte dadurch seine Schüler selbst in Verlegenheit.

Meine Einwürfe gegen die Konstruktion müssen desto schlagender werden, wenn ich imstande bin, einige Inkonsequenzen derselben nachzuweisen. Der Hegel'schen Philosophie der Geschichte schwebt das Bild einer auf- und herabsteigenden Linie, oder vielmehr eines Nieder- und Aufganges vor. Das Christentum ist ihr der mittlere Durchschnittspunkt, der Kreuzweg, wo sich die Bahnen brechen und alle Begebenheiten in eine neue Strömung geraten. Wie aber, wenn es welthistorische Ideen gäbe, welche sich in der Neuen Welt mit Energie geltend machten und aus der Alten herüber kamen, ohne vom Christentume fingiert zu werden? Noch bis zu dieser Stunde ist die humanistische Bildung die erweislich beste Mitgift, welche man dem Jünglinge für seine Vermählung mit dem Leben geben kann. Sie hat sich ganz frei erhalten vom Christentume, ja sie flieht das Christentum, weil sie fürchtet, von dem linguistischen Apparate desselben barbarisiert zu werden. Oder um etwas zu nehmen, was keine Überlieferung, sondern in der Tat eine Institution ist. Wer kann nachweisen, daß das Römisch-Deutsche Kaisertum eine Idee des Christentums ist? Die Hierarchie und das Kaisertum ist ein Widerspruch, der auf heidnische Verhältnisse zurückgeht. Daß am Weihnachtsfeste der Bischof Zacharias Karl den Großen salbte, hab' ich immer nur für eine Überraschung halten können, die der Kaiser, er, der Harun al Raschid ebenbürtig grüßen ließ, von dem Priester als einen Dienst der Höflichkeit annahm. Das Kaisertum sollte die unmittelbare Fortsetzung der Auguste, Trajane und Diocletiane sein. Dieser unveränderliche Gedanke, der das ganze Mittelalter erschütterte, schwebte allen deutschen Kaisern vor und beweist, daß die Form der Geschichte nicht Auf- und Absteigen, nicht der konzentrische Kreis oder die Spirale ist, sondern der epische Parallelismus, bald kongruierend, bald divergierend. Nichts macht namentlich diese Form so einleuchtend, wie der Islam, den die konstruktive Methode nicht erklären kann. Schon in meiner Skizze über das Leben des jetzigen Sultans führt' ich an, daß diese Methode den Islam für wildes Fleisch, für ein Überbein, den sich der stürmende Geist der Geschichte getreten habe, halte und noch jetzt wüßt' ich nicht, daß irgendein Theolog oder Philosoph aus der Hegel'schen Schule den Islam anders behandelt hätte, denn als ein zufälliges Korollarium der neuern Geschichte. Wir wollen sehen, wie in dreihundert Jahren ein türkischer Gelehrter die Historie konstruieren und welche Dinge er für wildes Fleisch ausgeben wird.

Hegels Vortragsweise

Lehrer: Nichts, wie gesagt, Nichts, meine Herren, also Nichts ist Alles. Jeder, meine Herren, ist also Keiner. Denn gesetzt also, zum Exempel, es klopfte, gesetzt also, es klopfte Jemand, Jemand also an meine Tür, an meine Tür also: wie? nun wie? was würd' ich sagen? also sagen? Wie gesagt, ich würde fragen: wer da? Also wer da? Nun aber, wie gesagt, würde draußen geantwortet, also geantwortet: Ich! Ja, Ich! Was bin Ich? dumm! Ich ist Jeder! also Jeder: Jeder also, also Jeder ist so viel wie Keiner. Nun aber, also, nun ist doch ohne Zweifel, also ohne Zweifel ist doch Jemand da. Sie sehen also, meine Herren; wie gesagt, das Sein ist so gut als Nichts. Denn ich, ich, der ich frage, bin denkend freilich, aber die Person draußen, also draußen ist Nichts; denn wie gesagt, sie sagt: Ich! Ich kann aber also Jeder sein. Nun sehen Sie, wer also pocht, ja pocht auf seine bloße Existenz, seine natürliche Existenz also, ist nichts; denn wie gesagt, das abstrakte Sein ist Nichts.

Erster Schüler: Auch das Meinen ist nichts, also wie gesagt, das Meinen –

Lehrer: Ja, wer denkt, meine Herren, der ist also: aber Meinen, also Meinen kommt, wird hergeleitet, hergeleitet, deriviert also von Mein; aber das Partikuläre, wie gesagt, das Personelle entscheidet nicht, also Mein, Mein also ist Nichts.

Zweiter Schüler: Das Organ des Denkens nun, wie gesagt, ist der Geist, das heißt also, nichts, was ich besitze, so daß es also, also etwas Partikuläres sei, sondern der Geist, also der Geist kommt, wird hergeleitet, hergeleitet, deriviert also von Sein, Geist ist das Geist. Also – Lehrer: Also das wahre Sein; so daß also zuletzt das Sein doch wieder Etwas ist. Ist? Etwas? Wieder? Doch? O, meine Herren, die Sprache also, ist also das größte Hindernis der Philosophie; denn man stößt an, wie gesagt, bei jedem Worte an. Die Wissenschaft braucht aber jedes Wort also, also jedes Wort in einem andern Sinne, also als dem gewöhnlichen also, drum, meine Herren, drum ist die wahre Philosophie also eine stumme, obschon, wie gesagt, dies Schweigen, dies Schweigen also leicht in Mystizismus übergeht; die wahre philosophische Sprache also ist die Sprache, wie gesagt, die Sprache Gottes.

Über Hegel und Fourier

Es zieht sich eine tiefe Verstimmung durch unser Leben, es nagt ein tiefer Schmerz an unsrer Gesellschaft. Die wachsende Bildung erhebt unsere Gedanken und der Gedanke steigert unsere Gefühle. Der Kenntnis des Schönen folgt die Begierde nach dem Schönen. Was die Phantasie sich ausmalt, will die Leidenschaft besitzen. Die arbeitende Hand träumt von der genießenden und die Träume verdüstern die Wirklichkeit. Die kleinen Freuden des Lebens reichen nicht mehr aus, um die großen Entbehrungen zu heilen. Die Last dieses Daseins erdrückt die Freude an ihm. Hat man endlich ein Leben geschaffen, so stirbt man. Und der Tod? Und das Jenseits? Trübe Nebel, die auf dem Jahrhundert ruhen!

Philosophen sind aufgestanden, um diesen Schmerz zu lindern. Nicht in Deutschland; nicht der egoistische Hegel, nicht der prahlerische Schelling. Diese suchen den Urgrund der Dinge, diese denken – an Gedanken, diese fühlten nichts für die Menschheit als einen fühlenden Organismus. Owen dagegen lehrte eine gesellschaftliche Philosophie in England; Fourier in Frankreich. Fourier war ein armer Kaufmann, der einem Stand leben mußte, den er haßte, er schrieb Werke, die man verlachte, oder, was in Frankreich noch gefährlicher ist, ignorierte, umfangreiche, stillose, verworrene Bände; er starb in gedrückter Lage, verzweifelnd, hoffnungslos, umstanden von wenigen Schülern, den 10. Oktober 1837.

Ich glaube nicht an Fouriers Tat, aber ich glaube an seinen edlen Willen. Ich glaube nicht an seine Mittel, aber an seinen Zweck. Ich glaube nicht einmal an die Voraussetzung seines Systems, an die Bestimmung des Menschen glücklich zu sein. Mich erschreckt sein Hedonismus, sein Entgegenkommen an das Bedürfnis der Bequemlichkeit. Unsre irdische Bestimmung ist, gut, nicht glücklich zu sein. Ich würde das Gefühl, das mich in ein Jenseits ruft, nicht verstehen, wenn ich schon hienieden glücklich wäre. Ich bin unglücklich und freue mich, daß ich, dem Geschick zum Trotz, gut sein, gut bleiben kann. Wir sind Geschöpfe der Natur und haben die Bestimmung, vom Geist – der Natur gleichsam abgewonnen zu werden. Wir sind von Natur schlecht, die Erfahrung, die Erziehung, das innerste böse Gelüst beweisen es. Daß wir gut werden, ist das Werk einer zweiten Schöpfung, einer Schöpfung aus dem Geiste, aus der Offenbarung Gottes in die Welt, aus der Geschichte. Fühlen wir diese Bestimmung in unserm ganzen Menschen nach, so werden wir vor dem Unglück, dem Wirrsal dieser Welt, werden wir vor der ungleichen Verteilung der Güter nicht zurückschrecken. Alles, und nichts mehr als das Unglück, wird uns zum Besten dienen. Diese trübe Aussicht des Lebens ist die der Stoiker und die des Christentums. Wenn es sich um eine moralische Erziehung des Menschengeschlechts handelt, so weiß ich keine bessere.

Erinnerungen an Hegel

Jede der Hegelschen Beweisführungen hatte eine praktische Perspektive. Am Ende einer langen, allerdings höchst monotonen und langweiligen Allee von Begriffsspaltungen sah man immer einen Erfahrungssatz, der bestätigt, oder einen Traditionssatz, der umgestoßen werden sollte. Der logische Prozeß, das Sein und Werden, das Ansich und Fürsich, war allerdings ein Becherspiel unter der Hand eines Jongleurs, der sein Spielzeug so lange betreibt, bis er uns das Auge verwirrt und durch Aufdeckung eines der blanken Gefäße erst wieder zur Besinnung bringt. Hob Hegel den Becher auf, so lag gewöhnlich ein Unerwartetes da, ein Wort von Goethe oder Spinoza, eine mystische Stelle Taulers oder Jakob Böhmes, eine Etymologie von Grimm, ein politisches Wort Montesquieus, ein Vorkommnis der Geschichte. Man mußte staunen und bewundern. Die schärfste Polemik nach links und rechts, die absolute Verachtung der »abstrakten«, »endlichen«, »flachrationalistischen« »Wahrnehmungen« begleitete durchweg den Vortrag und erkräftigte den Geist. Allerdings erfüllte er ihn auch mit Hochmut. Man sah nur Denk-Parias um sich, während man sich selbst, mit seiner Mappe unterm Arm, ein Bramine erschien beim Heraustreten aus dem Hörsaal – war es nicht Nr. 6? Die Hegel'sche Philosophie der Geschichte, deren Gefahren ich erst später erkennen lernte, war in der Tat jenes Webermeisterstück, wovon Mephisto im Faust spricht. Die Fäden gingen auf und nieder, jeder Tritt war sicher und berechnet, die Welt wurde dem Schöpfer nachkonstruiert, das Geheimnis der Parzen, ihr System, wonach sie die Verhängnisse bestimmten, schien enträtselt. Die Art, wie aus jedem Volk gleichsam die Wurzel seines Seins gezogen wurde, von jedem Zeitabschnitt die Blüte gepflückt seiner gesamten Tendenzen und Strebungen, erfüllte den jugendlichen Hörer mit andächtigen Schauern.

Und dennoch konnte ich über die eine Klippe nicht hinweg, daß das Denken gleich sein sollte dem realen Sein! Ich bewunderte einige leidenschaftliche Adepten der neuen Lehre, denen diese Fähigkeit vollkommen innezuwohnen schien. Sie konnten das Nichts ordentlich festhalten, das Sein und Werden wie mit Fingern greifen. Sie konnten sich die Welt, das Stein- und Mineralreich, die preußische Wachtparade mit den himmelhohen Haarbüscheln an den damaligen »Czakos« der Garde, die lange Friedrichsstraße ebenso wie die Milchstraße am Himmel alles auch aus puren Ideen gebildet denken. Ich gehörte nicht zu ihnen. War ich doch sonst keiner von den Massiv- und Grobkörnigen, die nur das begriffen, was sie, wie Marheinecke gesagt hatte, »in ihren Leib hineinfraßen« – ich bekämpfte im Gegenteil eifrigst mein Behagen an der Erscheinungswelt – aber diesen Augenblick begriff ich nicht, wo plötzlich der Logos das Wort war und das Wort die sichtbare Welt. Um mich dann zum abstrakten Denken, zu einer mehr süd- als norddeutschen Ekstase und Idealität reifer zu machen, besuchte ich ab und zu einige der wenigen damals auftauchenden Lokale für – »fremdes Bier«. Aus mächtigen Pokalgläsern sprach ich lediglich dem Erlanger und Nürnberger zu, das amalgamiert mit den gepfeffertsten und gezwiebeltsten Beefsteaks (die damals ebenfalls noch eine Neuerung für Berlin) dem Menschen eine himmelstürmende Elastizität zu geben vermag und aus dem Vaterland Hegels, dem poesievollen Süden kam – aber alles umsonst! Die verbesserte Nahrung wirkte lediglich auf die Vermehrung der Tatkraft und brachte wiederum die Wälle von Spandau in Gefahr. Entbehrung hätte für die Ideen Platos gewiß besser gewirkt. Aber die Ideen Platos kannte ich schon als Schattenbilder, als bloße Abdrücke der Wesenheiten in einem sonnenverklärten Jenseits. Ich suchte das Denken gleich Sein. Um mich von meinem Unvermögen, dies zu finden, zu heilen, besuchte ich noch die Vorträge zweier Schüler Hegels, Michelets, der sich aus Hegels Logik eine liberale Weltanschauung zu konstruieren im Begriff war, und des äußerlich coulanten und gefälligen Herrn Leopold von Henning, dem dieselbe Logik das Material zur Unterstützung Jafkes und Phillips' bot jener Ultrakonservativen, die bald ihre Konfession wechseln, katholisch werden und nach Österreich auswandern sollten. Aber ich kam über den Moment, wo auch diesen braven Männern das Denken gleich Sein war, nicht hinweg. Ich sah nur Betrachtende und Betrachtetes in der Welt. Meine Röcke und Stiefel kosteten ein »reelles« Geld – eine schwarze Pikesche mit kunstvollen Schnüren und zierlich übersponnenen Knöpfen machte mich auf ein halbes Jahr zum Schuldner meines Schneiders – wie ich aber eine so kostspielige materielle Welt rein aus meinen Gedanken heraus ableiten und Gläubiger mit Ideen zufriedenstellen sollte, ich habe es nicht begriffen, so lebhaften Teil ich auch an einem Disputatorium nahm, das Leopold von Henning, ein ehemaliger Offizier und auch noch damals Lehrer an der Kriegsschule, förmlich als eine Art Hegel'schen Exerzierplatzes errichtet hatte. Der große, hagere Baron konnte für unsern Flügelmann gelten. Wir waren einige Zwanzig und machten Rechts schwenkt! Augen links! In Zügen! In Colonnen! Alles mit ihm durch, legten Hinterhalt mit Trugschlüssen, schossen Beweisführungen, avancierten und retirierten, alles nach den Regeln der Dialektik. Mein Denken aber und – das alte zerschnittene Pult vor mir mit den eingekerbten Namen und schwarzen Tintenflecken erhob sich nicht zur absoluten Identität, so sehr ich geneigt war, anzunehmen, daß allerdings alles anfangs Gott und Gottes war, daß sich Gott in seinem Bestreben, einmal aus dem Ansich herausspazieren zu gehen, einer, so zu sagen, elektrischen Strömung im All bedient haben konnte, woraus die Materie entstand. Hatte man doch Beispiele, so stärkte ich meinen Glauben, daß aus einem Gewitter, also aus reinen Luftphänomenen, helle, schwere Steine gefallen waren. Mit Meteorsteinen und aus gewissen rätselhaften Vorgängen, namentlich der Generatio aequivoqua, suchte ich mir die Möglichkeit des Nichts – Etwas zu erklären. Ich Unglücklicher, wenn ich schon damals hätte erfahren müssen, daß auch die Generatio aequivoqua nur auf Täuschung beruhte und daß alles, was entsteht, die Virchow'schen Eier voraussetzt!


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