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George Sand

Ein Gespräch mit George Sand

Und hier muß ich gestehen, daß ich nun doch bei George Sand gewesen bin. Sie hatte mir geschrieben: »Sie finden mich jeden Abend zu Hause. Sollten Sie mich aber in Verhandlung mit einem Advokaten treffen oder gezwungen, schnell auszugehen, so müssen Sie mir dies nicht als Unhöflichkeit auslegen. Ich bin jeden Moment den Folgen eines Prozesses ausgesetzt, den ich in diesem Augenblicke mit meinem Verleger führe. Sehen Sie darin einen Zug unserer französischen Sitten, über den mein Patriotismus erröten muß. Ich klage gegen meinen Verleger, der mich körperlich zwingen will, ihm einen Roman zu schreiben nach seinem Gefallen, d. h. nach seinen Grundsätzen. Unser Leben vergeht in den trübsten Notwendigkeiten und erhält sich nur durch Kümmernisse und Opfer. Übrigens werden Sie die Züge einer Frau von vierzig Jahren finden, die ihr ganzes Leben darauf verwandt hat, nicht durch Anmut zu gefallen, sondern durch ihre Offenheit zu mißfallen. Mißfall' ich Ihren Augen, so werde ich doch in Ihrem Herzen die Stelle behalten, die Sie mir eingeräumt haben. Ich verdanke sie der Wahrheitsliebe, einer Leidenschaft, die Sie auch aus meinen literarischen Versuchen herausempfunden haben.«

Ich ging eines Abends zu ihr. In einem kleinen Zimmer (wir würden es eine Kammer nennen, der Franzose nennt es: »la petite chapelle«), in einem Raum von kaum zehn Quadratfuß saß sie beim Kamin und stickte an einer Handarbeit. Ihr gegenüber ihre Tochter. Der kleine Raum spärlich erhellt durch eine Lampe mit düsterm Schirm. Nicht mehr Licht als nötig war, um die Zeuge zu erhellen, an denen Mutter und Tochter arbeiteten. Auf einem Eckdivan saßen im tiefsten Schatten zwei Männer, die nach französischer Sitte nicht vorgestellt wurden. Sie verhielten sich schweigend, was die feierliche, ängstliche Spannung des Augenblicks noch vermehrte. Ein leises Atmen, eine drückende Schwüle, eine große Beängstigung des Herzens. Die Flamme in der matten Leuchte zitterte, still bewegt; im Kamin verglühten die Kohlen zu weiß schimmernder Asche, nur das geisterhafte Klopfen einer Uhr schien das einzige Leben zu verraten. Es klopfte in meiner Brusttasche. Es war meine Uhr, nicht mein Herz.

Ich saß auf meinem Sessel.

»Verzeihen Sie mein mangelhaftes Französisch. Ich las zu oft Ihre Werke und zu selten die Komödien Scribes. Bei Ihnen lernt man die stumme Sprache der Poesie, bei Scribe die Sprache der Konversation.«

»Wie gefällt Ihnen Paris?«

»Ich finde es, wie ich's erwartet habe. Neu ist allerdings ein Prozeß wie der Ihre. Wie steht es damit?«

Ein bitteres Lächeln statt der Antwort.

»Was heißt in Frankreich körperlich zwingen?«

»Gefängnis.«

»Man wird eine Frau nicht in ein Gefängnis setzen, um einen Roman zu schreiben. Was nennt Ihr Verleger seine Grundsätze«

»Die, die von den meinen abweichen. Ich bin ihm zu demokratisch geworden.«

Und die Handwerker kaufen keine Romane! dacht' ich. »Hat die Revue indépendante guten Fortgang?«

»Für ein junges Blatt sehr bedeutenden. Eben Buloz von der Revue des deux mondes, will mich zwingen, ihm einen Roman zu schreiben.«

Hier hätt' ich viel gegen die neue Tendenz der Romane George Sands einwenden mögen, doch würd' es nicht diskret gewesen sein.

»Sie sind Dramatiker?«

»Ich habe für die moderne Literatur den Übergang oder soll ich sagen, den Rückzug auf die Bühne gesucht. Es ist ein gutes Mittel, das Maß zu prüfen, bis zu welchem die Literatur gehen darf. Der Roman geht weiter, als die Masse folgen kann. Um den Roman wieder einzuholen, bedarf es des Dramas. Der Masse unmittelbar gegenüber, lernt man das schätzen, was man geben muß, um der Masse begreiflich zu bleiben!«

»Haben Sie gute Schauspieler in Deutschland?«

»Ebenso große Talente wie in Frankreich, nur nicht so ausgebildete Spezialitäten. Unsere Oper, wenn sie hier, ehe sie nach London geht, singen sollte, könnte den Italienern zu schaffen machen.«

»Die Malibran und die Pasta sind gewesen. Waren Sie im Theater francais?« »Um es nie wieder zu besuchen, wenigstens nicht für die Tragödie.«

»Unsere Tragödie ist wirklich sehr veraltet, sagte George Sand. Es sind übertriebene Leidenschaften, verzerrte Gefühle. Der Anflug von chevaleresker Höflichkeit und Courtoisie erscheint uns jetzt so lächerlich, wie er früher bewundert wurde. Das französische Theater ist gänzlich in Verfall. Nur die mittelmäßigsten Geister sind es, die sich noch mit ihm beschäftigen. Unter den zahllosen Stücken nicht eine Erscheinung, die dauern wird. Scribe ist gewiß ein großes Talent. Seine Kombinationen sind vortrefflich, aber sie sind nur auf eine momentane Wirkung basiert. Tiefere Bedeutung geht ihm ab. Von allen diesen Dramatikern versucht niemand, seinen Werken einen tieferen Sinn unterzulegen.«

»Souvestre vielleicht, doch ist er trocken und dürr.«

»Souvestre. Sie haben Recht.«

Gegen meinen Wunsch gerieten wir tiefer in die Interessen der dramatischen Literatur hinein, als mir für die Verfasserin der unglücklichen, durchaus verfehlten Cosima lieb sein konnte. George Sand hat in diesem Drama unser gewöhnliches Theaterpublikum für eine tiefere Gefühlsdialektik begeistern wollen, war aber in der abstrakten Absicht stehen geblieben, ohne vorzudringen zur Gestaltung, zu jener freien, rein anekdotischen Beherrschung des Stoffes, die im Drama jede Tendenz, sie mag sein, welche sie wolle, zusammenzuzwängen hat. Ihre Cosima fiel gänzlich auseinander, da ihr diese Klammern und Angeln fehlten. Ich hätte gern dieses mißliche Thema aufgegeben, aber wir gerieten immer wieder hinein. Von Schiller und Shakespeare wurde gesprochen, vom Dekorationswechsel, von der altenglischen Bühne, von Balzac. Sie kaprizierte sich, Balzac zu loben.

»Er wird in Deutschland viel übersetzt? Er verdient es. Balzac ist ein Mann von Geist, er hat außerordentlich viel erlebt und viel beobachtet.«

Die ängstliche Spannung des Gespräches hatte nachgelassen. George Sand ließ die Handarbeit liegen, schürte das Kaminfeuer und zündete eine jener unschuldigen Zigarren an, die mehr Papier, als Tabak, mehr Koketterie, als Emanzipation enthalten. »Sie sind jünger, als ich dachte«, sagte sie und erlaubte mir jetzt zum ersten Mal, am Schein der Lampe einige Streiflichter zu verfolgen, die mir einen volleren Anblick ihrer Züge gestatteten. Das bekannte Bild ist ähnlich, doch ist das Urbild bei weitem nicht so stark, nicht so rundlich, wie dort. Aurora Dudevant ist eine kleine, behende Figur, mehr schmächtig und gazellenartig, als man nach jenem, einer Büste nachgebildeten Stahlstiche vermuten sollte. Sie ähnelt Bettinen.

»Wer übersetzt mich in Deutschland?«

»Fanny Tarnow, die ihre Übersetzungen aber Bearbeitungen nennt.«

»Wahrscheinlich läßt sie die sogenannten unmoralischen Stellen aus.«

Sie sprach dies mit großer Ironie. Ich antwortete nicht, sondern blickte zu ihrer Tochter hinüber, die die Augen niederschlug. Die Pause, die hier folgte, war eine Sekunde, aber sie drückte das Gefühl einer ganzen Periode aus.

George Sand weiß nichts von Deutschland. Darum kann sie es doch besser verstehen, als die, welche hier Profession davon machen, Deutschland zu verstehen. Die französischen Gelehrten, die deutsche Zustände studierten, kennen uns meist nur einseitig. Besser man ignoriert uns, als daß man uns falsch beurteilt und meistert. Wer, wie G. Sand, nichts von Deutschland weiß, kann darum doch eine tiefe Hochachtung vor dem deutschen Geiste hegen. Wer unsere Sprache nicht versteht, lernt uns durch unsere Musik kennen. George Sand würde Deutschland besuchen, wenn sie ihre Reisen nicht dem Zwecke widmete, allein zu sein. Sie hat von Bettina gehört und fragte mich nach Frau von Chézy. Von allen unsern Dichtern, Philosophen und Gelehrten war ihr nur ein Name geläufig: Frau von Chézy! Sie erstaunte, daß Frau von Chézy jetzt nur noch eine Stellung in der Memoirenliteratur hat. Sie hatte sie für eine große Dichterin gehalten.

»Ich war kürzlich in der Deputiertenkammer, fuhr ich fort. Ich sah diesen Kampf jämmerlicher Leidenschaften. Morgen werden über eine Szene, die mehr in die Schulstube als in das Asyl der Volksfreiheiten gehört, hundert große Journale berichten. Alle Spalten werden darüber mit Räsonnements bedeckt sein. Wie kann eine geistreiche Nation sich einbilden, daß man sie noch länger für geistreich hält, wenn sie täglich sich dieselbe nüchterne Speise vorkäuen läßt, diese ewigen Fragen: Guizot oder Thiers, Thiers oder Guizot? Sind dies Debatten, würdig unserer Zeit? Wahrlich, die täglich hier verschwendeten Hunderte von Foliospalten in den Zeitungen würden besser angewendet werden, wenn Frankreich sich um die geistigen und moralischen Leistungen anderer Völker kümmerte und sich in ihnen über ein benachbartes Volk belehren ließe, von dem es mehr lernen kann, als aus dem trostlosen Parteigetriebe, welches in Frankreich die Tagesordnung ist.«

Hier blitzten zum ersten Mal George Sands Augen auf. Jetzt erst wurd' ich von ihrem vollen Glanz getroffen. Es war die Region, wo ihre neueste Richtung sich entwickelt hatte. Sie sagte: »Das ist es, das ist es!« Ich war auf dem Punkte des tieferen Bezuges zwischen uns, auf dem elektrischen Punkte der Übereinstimmung. Warum benutzt' ich nicht die wärmere Stimmung dieses Augenblicks? Warum lähmte mir ein unheimliches, drückendes Gefühl die freiere Entwicklung?

Als ich von G. Sand geschieden war und hinunterstieg in das Dunkel der Nacht, war mir's wie ein Traum. Das kleine Zimmer, die matte Beleuchtung, die schweigende Tochter, die beiden männlichen Schatten an den Wänden, diese Stille, diese Pausen, diese aphoristische Unterhaltung! Es schien, als wenn der Zufall das Zufälligste, die Absicht das Absichtlichste, die Zurückhaltung das Zurückhaltendste geben wollte, und doch war das Ganze ein Gedicht geworden. Ich hatte mehr, als die wunderliche Frau geben wollte. Sie wollte nichts geben. Sie wollte eine Pflicht der Höflichkeit erfüllen und mir unmöglich machen, diese Höflichkeit zu mißbrauchen. Sie gab sich kalt, mißtrauisch, sogar gereizt. Sie zeigte Angst, verraten zu werden. Sie fürchtete, mich zu enttäuschen, und wollte mich absichtlich enttäuschen. Sie gab das mit erkünstelter Freiwilligkeit auf, was ich vielleicht selbst hätte verlieren können. Sie schnitt mir die Möglichkeit einer Prüfung ab, indem sie dem Fremden absichtlich die Elemente dieser Prüfung entzog. Dieser spitze, frostige Ton ihrer Stimme war nicht der natürliche ihres Herzens. Dies stille, unheimliche Auflachen hätte gemütlos erscheinen können, diese kurzen Fragen, diese noch kürzern Antworten, dieses Abwenden des Antlitzes – es erfüllte mich mit tiefem Mitleid für ein Herz, das durch bittere Erfahrungen in diesem Wesen, in dieser Art, sich zu geben, einen Wall finden mußte gegen bösen Willen, Verleumdung und Entstellung. Wie gern hätt' ich der genialen Frau gesagt: »Fürchten Sie sich doch nicht! Man kann sich fürchten vor denen, die uns hassen, zuweilen sogar vor denen, die uns lieben. Nie aber soll man sich fürchten vor denen, die uns verehren.«

Die Erwartung unter meinen Freunden, wie ich G. Sand gefunden hätte, war groß. »Sind Sie nun auch enttäuscht, wie alle andern, die sie sahen, enttäuscht sind?« fragte man mich von allen Seiten.

»Ich bin nicht enttäuscht«, antwortete ich. »Ich habe sie allerdings anders gefunden, als ich dachte. Aber auch so hat sie mich um einen Blick in die Menschenseele reicher gemacht.«


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