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Onkel Toms Hütte

Ein Glück, daß die deutsche Flotte verkauft ist; ein Glück, daß wir keine Kolonien haben; ein Glück, daß uns die Frage über die Notwendigkeit oder die Abscheulichkeit der Sklaverei nicht im mindesten persönlich berührt. Wir dürfen somit das Werk der Frau Stowe in Deutschland mit der ganzen Gemütsruhe lesen, die unser Buchhandel voraussetzt, seitdem wir von ihm mit »Onkel-Toms-Hütten« in allen möglichen Formaten und Schriftsorten überschwemmt werden. In Amerika wird dies mit dem ganzen leidenschaftlichen Feuer und der nachdrücklich kaltblütigen Entschiedenheit, deren in solchen polemischen Dingen auch nur Frauenherzen fähig sind, geschriebene Buch mannigfachen Widerspruch gefunden haben; die Engländer und Engländerinnen dagegen fanden hier eine vortreffliche Tröstung, erstens für die enormen Summen Geldes, die ihnen – wie manche gemütlose Nationalökonomen versichern, etwas übereilt und im Ganzen genommen, wie sie sagen, zum Fenster hinausgeworfen – die Emanzipation der Neger kostete, und zweitens Trost für die geringen Wirkungen, welche die gründliche Verachtung Nordamerikas von Seiten aller englischen Ladies und Misses bisher noch immer auf die nordamerikanischen Zustände selbst hervorgebracht hat. Eine Amerikanerin bietet ihnen hier die Waffen des Angriffs gegen ihre eigenen Landsleute dar und wie werden sie geschwungen! Auch die englische Buchhändlerwelt ist außer sich; schon hat sich in London dieses farbigen Stoffes die Bühne bemächtigt, »Punch« wird nächstens Herrn d'Israeli als den Sklavenhändler Haley kenntlich machen.

Für uns Deutsche aber ist es zuvörderst sehr angenehm, dies Buch ohne alle national-ökonomische Kritik lesen zu können. Würde einer bei uns mit gleicher Schonungslosigkeit Proletarierleben, Judenfrage, politische Gefängniszustände darstellen wollen, wir würden von Übertreibung, von raffinierter Absichtlichkeit sprechen oder mindestens geteilter Meinung sein, während die Negerfrage ganz entschieden nur unser Herz, nicht im mindesten unsern Kopf beschäftigt, ja uns die Versicherung, unsere Kattunkleider, Zigarren und Zuckerbäckereien hingen mit dieser schwarzen Frage sehr eng zusammen, auch nicht die mindeste Wahrscheinlichkeit hat, einige berühmte Gelehrte und Staatsmänner vielleicht ausgenommen, die zu der bekannten Schule gehören: »Dem Reichen ist sein Genuß Arbeit und dem Armen seine Arbeit Genuß.«

Genießen wir also das Werk der Mistreß Stowe mit derselben ungestörten glücklichen Übereinstimmung wie eine norwegische Wintergeschichte der Frederike Bremer, bei der unser warmer Ofen uns alle schrecklichen Schneegestöber behaglich wegtaut, oder einen Seesturm von Achenbach, bei dem wir nicht nötig haben, in Verzweiflung auf einem scheiternden Schiffe dem überfüllten Rettungsboote nachzurufen: Barmherzigkeit! Nehmt uns auch noch mit! Wir sehen an dem Buche dieser talentvollen und trefflichen Frau nur das, was menschlich ist und davon ist jede Seite so vollbeschrieben mit Charakterzügen, daß sie unsere ganze Liebe und Bewunderung verdient. Wir sagten schon, so leidenschaftlich streng, so begeistert parteiisch, so unverhohlen und nicht selten grausam einseitig kann auch nur ein Frauenherz sich äußern, wenn das einmal ein Übel der Sitte, der Zeit, des Vorurteils, des Mißbrauchs sich zu bekämpfen vorgenommen hat. Wir Männer würden dem Hasse hundert kleine Ausnahmen gestatten, wir würden zehnmal wieder unsern Verstand zeigen wollen, wenn wir einmal unser Herz zeigten, wir würden so viel Ja's! und Aber's! Freilich's! und Wenn's! mit in unsern Plan, immerhin streng und polemisch sein zu wollen, mit aufnehmen, daß wir die Frage statt aufzuhellen wie immer nur erst recht verwirrten. Jene Frau tut das nicht. Sie geht dem Gegner ohne Gnade zu Leibe, sie duldet keinen Einwand, sie zieht alle Verschleierungen unbarmherzig von der Blöße dessen, was ihr als Lüge und Verbrechen erschienen ist, hinweg, sie ist von einer Unerschrockenheit, die Konsequenzen ihres Themas zu ziehen, daß sie die Übel bis an die Wurzel verfolgt. Sie kennt die Anwandlungen der Schwäche nicht, die uns Männer mitten in den mutigsten Entschlüssen überkommen. Gebt den Frauen Gelegenheit, mehrere solcher Mißbräuche, wie die Sklaverei der »Niggers« auszurotten, sie werden wahrlich und in kürzerer Zeit mehr zu Stande bringen als, in allem Ernste gesagt, je wir sogenannten tatkräftigen Männer.

Neben der Tendenz des »Onkel Tom« ist auch die Charakteristik vortrefflich. Diese Gestalten sind nicht, wie wir deutschen Autoren leider fast alle schreiben, im Zwielicht einer dämmernden Studierlampe erfunden oder um Gotteswillen auf Fußwanderungen von der Landstraße, aus den Wirtshäusern und von einigen plauderhaften mitteilsamen Landbewohnern zusammengelesen. Wir wollen darum unsere Stubenfiguren nicht verachten. Sie entsprechen einem Volke, das seine Bildung aus Büchern schöpft und seine Anweisungen zum Handeln meistens nur aus den Instruktionen einer Anstellung nimmt oder aus sonstigen Motiven der europäischen Zivilisation, die uns alle doppellebig macht, Amphibien, halb auf dem Kontinent unserer Pflichten, halb im stillen Ozean der Sehnsucht oder auf den lilienbedeckten Waldseen unserer romantischen Phantasien. Noch mehr, wir haben Augenblicke, wo wir die träumerische Abstraktheit unserer Romangestalten dem Übermaße englischer und nordamerikanischer Realität vorziehen und uns nur verwundern müssen, wie unsere empfindsamen englisierten deutschen Damen Gefallen finden können an Figuren, die wie Mister Wilson, des Mulatten Georg früherer Herr, jede seiner nachdrücklichen Meinungsäußerungen mit einer gespritzten Ladung »Jauche« aus dem im Münde gehaltenen Tabakspfriemen begleitet. Indessen bei so viel Leben und Wirklichkeit geht das Derbste leicht und gefällig mit. Es ist wunderbar, wie diese resolute Verfasserin das Dasein der Menschen in Küche, Keller, Wirtschaft, Frühstückszimmer, bei Mittag- und Abendessen, Toilette, Plätten, Bügeln, Nähen, beobachtet hat. Das übrige Leben, die Kirche und die geistlichen Tees etwa: ausgenommen, scheint der Verfasserin etwas verschlossener zu sein. Ihr Mister Shelby tut nicht viel und ihr Mister St.-Clare noch weniger. Man lernt beide nur in ihren Beziehungen zu Gattinnen, Kindern und zum Gesinde kennen. Die Welt des Mannes, der vor seinen Rechnungsbüchern sitzt oder von morgens acht bis vier, auch sieben Uhr abends arbeitet, fehlt in ihrem Buche, wie sie auch das Los der Sklaven immer nur schildert, wenn sie gerade gepeitscht werden oder verkauft oder in der Küche, im Hauswesen ab- und zugehen, aber wenig in der Plantage, wo sie eigentlich hingehören, als arbeitende und, wie die südlichen Staaten der Union behaupten, unerläßliche Hilfskraft. Es tut uns leid, von einer so ausgezeichneten, edlen, geistreichen und mutigen Frau, wie Mistreß Stowe ist, wiederum doch auch die alte Erfahrung bestätigt zu sehen, daß wenig Frauen den Mann unter dem Drucke seiner Pflichten, den Mann des Berufs kennen. Auch bei ihr gibt der Mann immer nur aus dem Schreibbüro das Wochengeld heraus: wie es aber hineinkommt, das ist eben die zweite, den Frauen meist verschlossene Hälfte des Männerlebens, die Rückseite der Medaille, die man wohl auch, ein wenig anderslautend, bei Mistreß Stowes feuriger Advokatenschrift der Humanität und der christlichen Liebe wird gelten lassen müssen.

Mistreß Stowe wird uns fortan schon deshalb ein herzgewonnener Name bleiben, weil ihr Buch so außerordentlich reich ist an den lieblichsten Charakterzügen und den rührendsten Situationen. Wir wagen kein Urteil über sie zu fällen als Dichterin im höhern Sinne des Worts. Es gilt vorläufig von ihr: Pectus erat, quod disertam fecit, der mit Begeisterung erfaßte Gegenstand machte sie zur Dichterin. Die Verknüpfung ihrer Genrebilder ist nicht eben bedeutend. Es strickt sich Szene an Szene etwas lose an. Auch der Sklavenjargon ermüdet und die Versuche, aus dem Bereiche der Camera obscura und des bloßen Auffangens der Wirklichkeit herauszutreten und mehr zu geben, als die mit unglaublicher Treue aufgefaßten Lichtbilder der Erfahrung, scheinen nicht ganz gelungen zu sein. Miß Evangeline wenigstens ist eine etwas haltlose Erfindung, eine Art Mignon des Pietismus, ein altkluges Kind, das in ihrer evangelischen Weise Dinge sagt, die sehr kostbar und jedenfalls unmöglich sind. Es ist glaublich, daß die frommen Misses Englands gerade in Evangelinen, namentlich, da sie so rührend sterben muß, ihre ganze Seele befriedigt finden; indessen geht dies kleine verkörperte Gebetbuch mit Goldschnitt, besonders wenn man die nervenschwache Herzlosigkeit ihrer Mutter und den beiläufig gesagt meisterhaft geschilderten – Indifferentismus ihres Vaters bedenkt, über die Grenzlinie der Natur hinaus und wirkt schon gerade wieder so, wie nur irgend unsere deutschen Kritiker unsere eigene Dachstuben-Romanenwelt mit Vorliebe willkürlich und gemacht finden können.

Alles in allem genommen hat »Onkel Toms Hütte« die vollsten Ansprüche, von aller Welt, was hier im eigentlichen Sinne zu nehmen ist, verschlungen zu werden. Nur die französischen Autoren werden es wahrscheinlich für Frankreich nicht aufkommen lassen; die Franzosen haben einen merkwürdigen Stolz auf ihre eigene Literatur und würden diesen deutschen Pfennigs- und Silbergroschen-Industrialismus für ein fremdes Buch nicht begreifen, ja geradezu abscheulich finden. Wir Deutsche indessen, bekanntlich die Hansnarren aller Welt, schließen an diese kleinen Randbemerkungen unsers nach guter Kritikerart tadelgemischten, sonst feurigen Lobes nur noch den einen Wunsch, daß sich die vielen höchst zarten und frömmeln Seelen, die sich an der heldenmütigen Sprache dieser freien Amerikanerin jetzt erbauen, doch auch bereitwillig finden möchten, andere, namentlich deutsche Mißbräuche, als verwerflich anzuerkennen, falls sich denken ließe, daß eine Feder verstünde, sie so lebendig darzustellen, wie in »Onkel Toms Hütte« eine Frau verstanden hat, der ganzen gesitteten Welt die Leiden der Neger ans Herz zu legen.


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