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Julian Schmidts Verdammungsurteil über die Theorie des epischen Nebeneinander

... Gutzkow ... sagt selber mit einem gewissen Selbstgefühl, daß er sich von den französischen Feuilletonisten wesentlich unterscheide; diesen kommt es nur darauf an, zum Schluß jedes Kapitels eine Spannung eintreten zu lassen, die das Publikum auf die Fortsetzung neugierig macht. Zugegeben, daß das eine sehr untergeordnete Kunstform ist, so wird man doch nicht bestreiten, daß sie zum Wesen des Feuilletonromans gehört, denn ohne sie ist es auch für den geduldigsten Leser unmöglich, die Erzählung tropfenweise einzunehmen. Man wird ferner nicht bestreiten wollen, daß auch zu dieser von der Suffisance unserer Romantiker so niedrig angeschlagenen Manier ein Talent gehört, welches z. B. Gutzkow nicht besitzt; er ist eine viel zu subjektive und reflektierende Natur, um einfach, unbefangen und anschaulich erzählen zu können.

In der Beilage zur Zeitung ist es mir also unmöglich gewesen, den Roman zu verfolgen. Wie ich glaube, wird es den meisten Lesern nicht besser ergangen sein. Der Wiederabdruck desselben in einem getrennten Bande verschafft uns jetzt eine Gelegenheit dazu.

Es geht mir ganz eigentümlich mit Gutzkow. Für mich hat diese unermüdliche, ängstliche, fieberhafte Tätigkeit, die sich so herzlich danach sehnt, etwas recht Neues und Großes zu leisten, etwas Rührendes; bei jedem neuen Werk, das mir von ihm in die Hände fällt, gebe ich mir die aufrichtigste Mühe, das Gute, Anerkennenswerte, Dauerhafte herauszufinden. Aber diese Mühe hat denselben Erfolg, wie Gutzkows eigne Anstrengung. Die Prätensionen, die der Dichter macht, sind so groß, und das, was er leistet, so gering, daß die Kritik treulos gegen ihre Aufgabe sein würde, wenn sie nicht jedesmal eine sehr ernsthafte Zurechtweisung eintreten ließe.

In jeder neuen Phase seines Lebens hat Gutzkow das Publikum zu überreden gesucht, und ist vielleicht selbst davon überzeugt gewesen, daß er ihm etwas ganz Neues, Unerhörtes, noch nie Dagewesenes darböte. Nach der Reihe hat er sich im vollsten Ernst für den Erfinder des sozialen Romans, der Tendenznovelle, des bürgerlichen Dramas gehalten. Die Weisheit unsers seligen – oder noch nicht seligen? – Bundestags, der in Ermangelung einer bessern Beschäftigung sich bemüßigt fand, mit den Kräften des gesamten Deutschlands gegen die Herren Gutzkow, Mundt u.s.w. zu Felde zu ziehen, um das Vaterland vor dem sicher bevorstehenden Untergang zu retten, und der elende Zustand unserer Journalistik, die sich damals fast ganz, und auch jetzt noch zum Teil, in den Händen weggelaufener Commis und Jünglinge von einer entsprechenden Bildung befand, die mit einigen abgelauschten philosophischen Brocken und Reminiszenzen aus Heine und Börne ihre Gedankenlosigkeit aufputzten, und die überglücklich waren, wenn sich ein Mann wie Gutzkow zum Handwerk rechnete, hat eine solche Selbsttäuschung möglich gemacht.

Auch diesmal ist Gutzkow überzeugt, eine neue Phase des Romans herbeigeführt zu haben. Er findet, daß der alte Roman sich auf das »Nacheinander« beschränkt habe. »Der neue Roman ist der Roman des Nebeneinander. Da liegt die ganze Welt! Da liegt die Zeit wie ein ausgespanntes Tuch! Da begegnen sich Könige und Bettler! Die Menschen, die zu der erzählten Geschichte gehören, und die, die ihr nur eine widerstrahlte Beleuchtung geben. Der Stumme redet nun auch, der Abwesende spielt nun auch mit. Das, was der Dichter sagen, schildern will, ist oft nur das, was zwischen zween seiner Schilderungen als ein Drittes, dem Hörer Fühlbares, in Gott Ruhendes, in der Mitte liegt. Nun fällt die Willkür der Erfindung fort. Kein Abschnitt des Lebens mehr, der ganze, runde, volle Kreis liegt vor uns; der Dichter baut eine Welt und stellt seine Beleuchtung der der Wirklichkeit gegenüber. Er sieht aus der Perspektive des in den Lüften schwebenden Adlers herab. Da ist ein endloser Teppich ausgebreitet, eine Weltanschauung, neu, eigentümlich, leider polemisch. Thron und Hütte, Markt und Wald sind zusammengerückt. Resultat: Durch diese Behandlung kann die Menschheit aus der Poesie wieder den Glauben und das Vertrauen schöpfen:

daß auch die moralisch umgestaltete Erde von einem und demselben Geiste doch noch könne göttlich regiert werden.« –

Ich bemerke beiläufig, daß die betreffenden Stellen bereits im Original unterstrichen sind.

Und wozu diese ganze, weit aussehende Deduktion? – Lediglich um sich zu rechtfertigen, daß man einen neunbändigen Roman schreibt; während das Publikum einem Dichter, der es neun Bände hindurch zu unterhalten versteht, nur Dank wissen wird, wenn er nicht früher abbricht, denn es scheidet von jedem Buch, das es amüsiert, mit Bedauern und Pietät. –

Nur in Deutschland ist es möglich, mit einem so vollständigen Gefasel der Welt ins Gesicht zu schlagen. Es ist kaum der Mühe wert, näher darauf einzugehen, doch darf man keine Gelegenheit vorüberlassen, unserm noch immer viel zu sehr von sich selbst eingenommenem Publikum die Schamröte ins Gesicht zu rufen über das, was es sich bieten läßt. – Ich will mich dabei auf die Bilder, die man bei Gutzkow schon gewohnt ist, z. B. das von dem polemischen Teppich, während doch nur das Auge, das ihn aus der Vogelperspektive betrachtet, polemisch sein kann, gar nicht einlassen. – Also der neue Roman soll nicht das Nacheinander, sondern das Nebeneinander darstellen. Wie man erzählen kann, ohne die Sukzessivität der Zeit zu beobachten, ist nicht recht begreiflich, wenn man nicht annehmen will, Gutzkow meint jene Kunstform, die uns in medias res versetzt und das vorher Vorgefallene nachträglich berichtet – eine Kunstform, die so wenig neu ist, daß sie bereits mit Homer beginnt. Oder meint er, daß zu dem Knoten der Entscheidung mehrere Fäden führen, die man einzeln abspinnt, bis zu jener Entscheidung, so ist auch das eine Methode, die bereits von sämtlichen Romanschreibern angewendet ist. – Also eine hohle Phrase. – »Da liegt die ganze Welt!« – Wir wollen abwarten, ob in den »Rittern vom Geist« auch die Tscherkessen, Abessinier, Hottentotten u.s.w. eine Rolle spielen, ob sämtliche Zeiten darin auftreten, ob außer dem Erdball noch die Monde und die Fixsterne figurieren; bis jetzt bewegt sich der Roman in dem engen Kreis des bekannten, von Jean Paul entwickelten Flachsenfingen. Eine Weltanschauung! Eine Feige für die Phrase! – »Da begegnen sich Könige und Bettler!« – Was sie in Jean Paul, dem eigentlichen Urbild Gutzkows, ohne daß er es weiß, auch schon getan haben. – »Die Menschen, die zu der erzählten Geschichte gehören, und die, die ...« – Sonst hielt man es bei einer Erzählung allerdings für nötig, daß nichts darin vorkomme, als was dazu gehört; aber Gutzkow will das eigentlich auch nicht ändern, er meint nur Figuren anzubringen, deren unmittelbare Beziehung zu der Haupthandlung man nicht sofort übersieht. Was auch nicht neu ist. – »Der Stumme redet nun auch –« – Redet nun auch!! Gut. – »Der Abwesende spielt nun auch mit«, was er früher, brieflich oder durch Intrigen u.s.w. gleichfalls getan hat. – Über die Bedeutung des neuen Glaubens, der sich aus dem Romane ergeben soll, rede ich gar nicht, denn eine bloße Kombination von Buchstaben entzieht sich der Kritik. –

Wie ist es nun möglich, daß ein Mensch von leidlichem Verstand einen solchen Galimatias zu Tage fördern kann? – Es ist hier nicht jene Überreizung des Gehirns, das ins Unklare gerät, weil es zu Vieles zugleich denken will, sondern die reine Leere, das blöde Stammeln der Impotenz. – Es drängt sich dabei der Vergleich mit Hebbel auf. Unter allen Kritikern habe ich diesen Dichter vielleicht am schärfsten angegriffen, und leider haben seine späteren Schriften, was ich damals vielleicht in zu jugendlichem Übermut aussprach, auf das vollständigste gerechtfertigt; aber es darf auch nicht verschwiegen werden, daß zwischen den Irrgängen eines starken Denkens, welches seine Grenzen überschreitet, und jenem Radotieren, das vor den unendlichen Vorbereitungen nie zum Anfang des Denkens kommt, ein himmelweiter Unterschied besteht. Um ein nicht neues Bild anzuwenden, trägt bei Hebbel, wie im König Lear, die Vernunft, auch wo sie irre redet, noch immer das Diadem ihrer göttlichen Abstammung an der Stirn. Und gerade darum erschreckt sie uns; die Muse der »Ritter vom Geist« ist nicht in Gefahr, geisteskrank zu werden. –

Über den Roman des Nebeneinander

Diese kurze Entwicklung des neuen Romans schließend, benutzt der Verfasser die Gelegenheit, einen Ausdruck zu erklären, der vor einigen Jahren das Schicksal gehabt hat, nur von wenigen kritischen Berichterstattern verstanden zu werden. Es ist die Bezeichnung »Roman des Nebeneinander«. Dies Wort ging auf Inhalt und Form. Den Roman des Nebeneinander wird man verstehen, wenn man z. B. in einem Bilderbuche sich die Durchschnittszeichnungen eines Bergwerks, eines Kriegsschiffes, einer Fabrik vergegenwärtigen will. Wie hier das nebeneinander existierende Leben von hundert Kammern und Kämmerchen, die eine von der andern keine Einsicht haben, doch zu einer überschauten Einheit sichtbar wird, so glaubte der Aufsteller jenes Begriffs im Roman des Nebeneinander den Versuch gemacht zu haben, den Einblick zu gewähren in hundert sich kaum sichtlich berührende und doch von einem einzigen großen Pulsschlag des Lebens ergriffene Existenzen. Der Autor glaubte durch eine Betrachtungsweise, wo ein Dasein unbewußt immer wieder Schale oder Kern eines andern ist, wo jede Freude von einem Schmerze benachbart ist, der über das, was jene himmelhoch erhebt, seinerseits tief zu Boden gedrückt sein kann und wo andrerseits eine Unbill auch schon wieder unbewußt den Rächer auf ihren Fersen haben wird, den Roman noch mehr als früher zum Spiegel des Lebens gemacht zu haben. Dem sozialen Roman ist das Leben ein Konzert, wo der Autor alle Instrumente und Stimmen zu gleicher Zeit in- und nebeneinander hört. Wiedergeben läßt es sich natürlich nur in der Form des Nacheinander, aber auf die erste Anschauung kommt es an. Ist diese so viel wie möglich nach allen Lebensrichtungen zugleich gewendet und könnte man hoffen, durch diese immer von einem großen Hintergrund ausgehende Romanform in manche Dissonanz Wohlklang, in manche Verzweiflung Trost, in manches unbefriedigte und unlösbare Einzelne einen lösenden und beruhigenden Widerklang aus Sphären zu bringen, die mit dem Nächstgeschilderten in sichtlichen Zusammenhang zu bringen unnatürlich scheinen müßte, so wäre man vorläufig wenigstens da wieder angelangt, wo die Poesie schon oft gestanden hat: Der Dichter ist Seher, die Poesie Religion; ein Thema, über das wir abbrechen, weil es mit einer gelegentlichen Bemerkung nicht erschöpft ist.

Zur dritten Auflage der »Ritter vom Geiste«

Einen wiederholten Neudruck dieses Buches konnt' ich nicht vorübergehen lassen, ohne die Gelegenheit zu benutzen, dies Werk soweit als tunlich zu verbessern. Es ist Zeile für Zeile von neuem durchgesehen worden. Der Ausdruck, den im Niederschreiben oft der drängende Gedanke verkürzt, wurde vielfach richtiger gestellt, mögliche Unklarheiten wurden vorauserkannt und beseitigt. Die Feder der Revision fuhr in manche Partien tief hinein. Sie strich, was sich an kleinem ausschmückenden Detail zu breit gemacht, sie setzte neu hinzu, teils was zu besserm Verständnis dienen konnte, teils, was zur Herstellung gewisser gegenseitiger Beziehungen unerläßlich schien. Erst am fertigen Ganzen sieht man, wo in Schatten und Licht nachzuhelfen ist, wo die Einheit, die dem geistigen Auge vorschwebte, dem körperlichen sich vielleicht zu sehr entzog. Dies umfangreiche Werk ist bis zum achten Buch in einem Zuge geschrieben worden, aber die Veröffentlichung geschah periodisch. Die Macht, die dann für die Herstellung einer oft den Autor selbst erschreckenden Objektivität im gedruckten Buchstaben liegt, ist allen Schriftstellern bekannt genug.

Es sollte mich nun drängen, diese Auflage mit einer Schutzrede zu begleiten. Mein Buch hat zwar im ganzen genommen eine ungewöhnliche Teilnahme gefunden, war aber zugleich vieler Mißdeutung ausgesetzt. Ich will dem Gelüst zur Polemik widerstehen und mich nur auf die notwendigsten Einreden, die ich zu beantworten habe, beschränken.

Da ich die Verteidigungsgründe nur aus mir selbst nehmen kann, da vielleicht manchem durch die Unterhaltung, die ihm die »Ritter vom Geiste« gewährten, eine Veranlassung wurde, auf die zahlreichen und größtenteils minder gewürdigten frühern Proben meines Strebens zurückzublicken, so bemerk' ich, daß dabei vielleicht dem, der Herz und Sinn offen hatte, der Einblick geworden ist in ein Leben, das sich unter eigenen Bedingungen entwickelte. Die Menschen haben ein Recht darauf, alles, was wir ihnen bieten, zu beurteilen nach dem Verhältnis, wie sich das Gebotene zu ähnlichem stellt, was vorhanden ist. Sie rühmen das, was den allgemein geltenden Voraussetzungen gleichkommt, und verwerfen mit noch größerm Recht das, was hinter dem zurückbleibt, was sein zu wollen es sich den Anschein gibt. Es gibt glückliche Dichterentwicklungen, die, wie ein Kind mit seinem ersten Lallen den Eltern auch nur die Worte sagen zu wollen scheint, die die Eltern überglücklich genug sich dabei vollkommen zu vernehmen einbilden, so auch sogleich das treffen, was auf aller Herzen und auf aller Munde liegt. Sie können mit wenigen Gedichten, mit einem einzigen Drama ihre Zeit ergreifen, alles in ihre Hörweite bannen und durch eine mühelose Bewährung ihres angeborenen Genius die Lieblinge der Nation werden.

Sind diese Glücklichbegabten weise genug, sich immer auf der Linie zu halten, wo einmal das innige Verständnis und die glückliche Umarmung des Gebenden und Empfangenden wie zweier Freunde stattgefunden hat, so werden sie um den Stolz und die Besitzesfreude dieses Bundes selten betrogen werden. Treten sie aber von jener Linie ab, versuchen sie, die Teilnahme, die sie für den einen Ton auf ihrer Leier gefunden, sich auch für einen andern zu erobern, so erspart ihnen die Muse selten den Kummer, daß ihnen dorthin das Verständnis der alten Freunde nicht folgen will. Wen nun sein Wille mit Macht ergreift, den kümmert freilich der sich immer mehr verkleinernde Zug, der ihm nachfolgt, wenig; ist er nur stark genug und von mehr begeistert als von Selbstvertrauen, so kann ihm noch einst die Freude werden, daß die Welt erkennt, sein scheinbares Irren hatte die tausendhändige Begrüßung einst auf der ersten Linie, auf der er sich zur Freude aller hielt, nicht verwirkt. Wie die Dichter heutzutage sind, haben wenige den Mut solcher Entwicklungen. Popularität ist ein süßer Besitz; wer sie einmal gekostet hat, bleibt gern in der Gegend, wo Publikum und Autor ihr erstes schönes Erkennen feierten.

Der Lebensgang des Verfassers dieser Geschichte ist noch ein anderer. Fand sich je eine gute Voraussetzung über ihn, so hat er sie gewiß nach kurzem Genuß der Anerkennung durchkreuzt. Die Augenblicke glücklicher Übereinstimmung dessen, was er wollte und was er konnte, mit dem, was man erwartete, kamen ihm selten. Hätte er sich entschließen können, auf der Linie des hie und da einmal gefundenen Einverständnisses zu bleiben, Irrungen wären ihm genug erspart worden. Aber was mag es sein, das ihm ein stetes Wandeln auf dieser geraden Linie der einmaligen Voraussetzung unmöglich macht? Er ist kein Dichter der ausschließlichen Form. Die Form ist ihm etwas Zufälliges, und wesentlich ist ihm nur der Gedanke. Zuweilen kam bei seinen Wanderungen durch das Leben und im Gebiet des Erkennens und Träumens, Wollens und Schaffens dieser Gedanke an jenen schönen grünen und gefälligen Plätzen an, die alle so lieben, zuweilen aber auch und viel öfter noch an schroffem und unwirtbarem Gestein. Diesen Lebenslauf trieb selten der Witz des Verstandes, es trieb ihn von je nur die Sehnsucht des Herzens. Er suchte das Glück der erkannten Wahrheit, er suchte die Pforte, die zu den Geheimnissen des Lebens führt: ein einziger rätselhafter Ton der Luft, fernherklingende Menschenstimmen, eine Kunde von neuen Wendungen und Begriffen der Zeit konnte ihn sogleich wieder aufscheuchen von einem Lager, wo die, die nur die Form lieben und diese nur pflegen, sich die Hütte, die oft der Tempel ihres Ruhmes wird, behaglich aufschlagen. Dies Wechseln der Stimmungen, der Absichten, der behandelten Gegenstände bringt Nachteile genug schon an sich in seiner Wirkung, mehr noch aber den Schein des Allesversuchenwollens. Die Zeit ist zu gewaltig, das große Individuum, das man die Menschheit nennt, ist zu sicher in sich selbst, um sich noch besonders gemüßigt zu sehen, bunten literarischen Entwicklungen, die nicht Spezialitäten auf einer Saite sind, im innern Grunde zu folgen. Wem die Vorliebe für die Form versagt ist, wer sich nur in der Allseitigkeit seines Strebens nach Selbstbildung und Bewährung naturgemäß ausleben kann, wer sozusagen Poet nur erst in der Umarmung des Stoffes sein will und die Poesie wie eine gesuchte ferne Geliebte liebt, nie sich mit ihr vermählt, der wird in Zeiten, wie die unsrigen sind, darauf verzichten müssen, daß man solchem geheimen Lebensgange nachspürt, die stille Verbindung seiner zuweilen oft ganz heterogenen offenen Kundgebungen sich in Reime bringt und sich ein Leben, das wie das Leben des Matadors und Virtuosen aussieht, nach seinem wahren innern Zusammenhang erklärt. Sehen doch selbst die, deren Amt es wäre, den Lebensgängen der Schriftsteller zu folgen, nur den Matador und Virtuosen und registrieren in ihren vorschnell geschriebenen Literaturgeschichten, in ihren grundeinseitigen Sammlungen und Anthologien von zu früh gebrochenen Dichterernten nur die Spezialität der einseitig ausgebildeten Form.

Daß nun ebenso auch diese »Ritter vom Geiste« ein Roman, der seine eigene Theorie vorauszusetzen schien, wurden, hatte der Verfasser nicht bezweckt. Er schrieb sein Buch um der darin entwickelten Idee willen. Erst der Gedanke gab die Form. Die Theorie, die der Verfasser über den sozialen Roman in seinem frühern Vorwort aussprach, war erst der Same, der aus fertiger Blüte und Frucht abfiel, nicht der Same, aus welchem die Blüte und Frucht entstand. Das Gesetz, nach dem ein Schaffender arbeitet, erkennt er meistens erst nach dem Geschaffenen. Ich würde vielleicht besser getan haben, dies Gesetz in meinem Fall nicht ausgesprochen zu haben. Es ist angegriffen worden; es stellte hier die Vorrede eines noch nicht ganz erschienenen Buches das Modell einer neuen Romanform auf, ohne mehr zu tun, als es mit einigen flüchtigen Strichen zu bezeichnen. Dies war um so gewagter, als gerade in unserer gegenwärtigen Literatur die poetische Spezialgeschichte die Lieblingsform des Tages ist.

In den »Unterhaltungen am häuslichen Herd« gab der Verfasser vom Roman des Nebeneinander, diesem souffre-douleur der mehrfach befahrenen Kritik, die nähere Erklärung, man würde ihn verstehen, wenn man sich gewisse Durchschnittszeichnungen eines Bergwerks, eines Kriegsschiffs vergegenwärtigen wollte, wo das nebeneinander existierende Leben von hundert Kammern und Kämmerchen, wo die eine von der andern keine Einsicht hat, doch zu einer überschauten Einheit sichtbar wird. Der Autor glaubte durch eine Betrachtungsweise, wo ein Dasein unbewußt immer wieder Schale oder Kern eines andern ist, wo jede Freude von einem Schmerz benachbart ist, der über das, was jene himmelhoch erhebt, seinerseits tief zu Boden gedrückt sein kann, und wo andererseits eine Unbill auch schon wieder unbewußt den Rächer auf ihren Fersen haben wird, den Roman noch mehr als früher zum Spiel des Lebens gemacht zu haben. Und die Tendenz der »Ritter vom Geiste« selbst mußte ihn auf jene angerühmte Form führen.

Sie sind hervorgegangen aus dem mächtigsten Drang der Menschenliebe. In den Tagen von 1849, in einer Zeit des Hasses und der Verfolgung, sah sich das bekümmerte Auge sehnsüchtig nach den gleichen Kennzeichen der Bildung um, nach den gleichen Kennzeichen edlerer und humaner Empfindung. Die Hand des Dichters führt zuweilen den zerschmetternden Blitz, der die starre Ruhe träger, versteinerter Zustände auseinanderreißt; da aber, wo die Leidenschaften rasen, wo die Geister und noch mehr die Herzen gegeneinanderstürmen, da wird sie Rosenketten winden und Haß durch Liebe versöhnen wollen. Die Grundlage und Voraussetzung einer solchen Aussöhnung, die der Verfasser in trüber Zeit bezweckte, mußte der Glaube sein an das ewig Gleichartige im Menschen, an den Widerklang derselben Wahrheiten in allen Gemütern, an die gleiche Verteilung des reinen Gottäthers der Idee in allen Herzen. Wenn Siegbert Wildungen schon in den ersten Entwickelungen der Handlung von einer armen Magd, die der Zufall an ihm und seinem Bruder den höchsten Anteil nehmen läßt, sagt: »Wir Menschen gehen uns alle einer dem andern als Heilige und Propheten auf, wir wissen es nur nicht« – so ist das zum Wissen gelangende Nichtwissen dieser Tatsache eben die Idee vom Bunde der Ritter vom Geiste, zu gleicher Zeit aber auch vom Roman des Nebeneinander. Durchgängig hat der Verfasser diese wechselseitige Befruchtung eines Menschenzustandes durch den andern, das geheimnisvoll Korrelate unseres ganzen Lebens darzustellen versucht. Von den gemütlichen kleinen idyllischen Zufallstatsachen an, die in das Leben großer mit Weltenlauf und mit millionenfachem Menschenschicksal beschäftigter Monarchen spielen können, bis zu den Kindern Guido Stromers, die in der stillen Winterabendstunde aus denselben Gedichten lesen lernen, die ihr in der Ferne weilender Vater als Flügelschläge seines zum Ausbruch kommenden sogenannten Genius auf Frauen dichtete, die wir besser kennen, als die Kinder und ihre Mutter, geht durch unser Buch das Bestreben, einen Menschen dem andern wissentlich und unwissentlich wichtig, wertvoll und notwendig erscheinen zu lassen.

Es liegt in dieser formellen und ideellen Bezüglichkeit und in der Korrelation, wie ich vielleicht das »Nebeneinander« richtig ausgedrückt hätte, auch jene Darstellungsform meines Buches, die man mit der allmählichen Instruktion eines Prozesses vergleichen könnte. Kleine Tatbestände, kleine Zufälligkeiten, harmlose Zeugenaussagen sollen einen letztlichen Richterspruch veranlassen, und anders gibt sich das Leben nicht. Nur in den seltensten Fällen entwickeln sich aus einem einzigen, mit Ausschluß aller Nebengedanken festgehaltenen Einzelgedanken Taten und Begebenheiten. Die Welt der Ausschließlichkeit gehört bekanntlich dem Dramatiker. Der Romandichter hat die Menschen in ihrer zufälligen und harmlosen Begegnung zu nehmen. Sie sind vielleicht alle z. B. an einem großen Unrecht, an einem großen Unglück, an einer dunklen Tat beteiligt, aber sie wissen es kaum selbst, und wenn sie nicht gerade die nächsten Urheber oder Opfer derselben sind, so werden sie doch noch unendlich viel Zeit übrig behalten, Sonnenschein, Regen und Sturm zu befahren, ihrer eigenen Lust und Liebe zu folgen, zu leben und zu weben unter dem großen Himmelszelt nach freier eigener Regung, bis sie da wieder ankommen, wo sie sich wieder in den roten Faden der Absicht des Dichters mit verwickelt sehen. Diese Freiheit der Individuen neben der Notwendigkeit des bezweckten Themas einer Geschichte darzustellen, das war meine Absicht, und ich überlasse es jedem Unparteiischen, zu entscheiden, ob die allerdings absolute Unmöglichkeit jenes Mechanismus, den ich mit dem alten Templerorden, mit dem Prozeß der Brüder Wildungen, dem Schrein, dem Bilde, den alten Dokumenten anlegte, sich auch, was ich leugnen muß, mitgeteilt habe dem durch diese mechanischen Hebel hervorgerufenen individuellen Leben. Daß diese Hebel willkürlich sind, dieser Mechanismus oft klappert, schon weil er oft geradezu von Holz ist, darüber möge man doch nicht die Stirn zu sehr in aristarchische Falten ziehen. Man möge darüber lächeln. Jeder vernünftige Beurteiler wird einsehen, daß der Zweck des Dichters auf die Gärungen und Zersetzungen, die er schilderte, gerichtet war; die Säure, womit er diese Zersetzungen hervorbrachte, ist ein zufälliges Reagens, eine humoristische Nachahmung der Weltkomödie, wie sie der Allphantasie Gottes gegenüber eben anders die Menschenphantasie nicht geben kann.

Die Charaktere dieses Romans, um in meiner Haus- und Herdrede fortzufahren, hat man gewöhnlich eingeteilt in zwei Klassen, in reelle und abstrakte. Zu jenen sollen vorzugsweise die satirischen, auch einige der Volkscharaktere gehören; zu diesen solche Personen, welche Gedankenrichtungen vertreten. Ich will dagegen keinen Einspruch tun. Nur möchte ich ein wenig mehr gewahrt sehen ein doch sonst hochgehaltenes Recht unserer Literatur, das Recht der Idealisierung. Wir haben gewiß alle Ursache, uns Glück zu wünschen zur kräftigern Gestaltung unserer Romancharaktere, zu den in Fleisch und Blut verwandelten alten Goetheschen und Jean-Paulschen Abstraktionen; allein warnen möchte man doch vor einer zu weit gehenden Sucht, vom Romancharakter immer auch nur die in Szene gesetzte absolute Wirklichkeit zu verlangen.

Schließlich möge mir noch gestattet sein, ein Wort von der Zeit- und Sittenschilderung des Buches zu sagen. Wer sich in Zeit- und Sittenschilderungen zu sehr an das Nächste hält und seine Darstellung an die flüchtige Mode verschwendet, wird in kurzer Zeit erkennen, wie sehr seine Farben verblassen. Dennoch gehe man auch hier nicht zu weit! Mein Roman ist keine Satire. Die Satire stirbt allerdings mit ihrem Gegenstande. Ist der Reiz der Anspielung auf das, was den Witz wiederzuerkennen am meisten belustigt mit der Sache selbst verschwunden, so verliert sie. Ich glaube jedoch, daß dem Satirischen in diesem Roman so viel anderweitige positive Tatsache beigemischt ist, daß letztere noch selbständig für sich bestehen kann. Ich glaube, der Gegensatz jener Weltauffassung, aus welcher dies Buch hervorging, wurzelt tiefer als in einigen Karikaturen des Tages, deren Konterfei seinen Reiz verliert, wenn es dazu eines Kommentars bedarf. Endlich gibt es Charaktere, die in solchem Grade öffentlich sind, daß sie nur durch ihre individuelle Art, nur erst durch ihre eigenste Persönlichkeit, ja fast möchte man sagen, mit ihrem direkt angegebenen Namen eine historische Richtung bezeichnen, die aufbauend oder zerstörend eben durch sie in der Welt vertreten wird. So erfand sich die alte Komödie nicht etwa einen nur in sokratischen Grundsätzen erzogenen, die alten Götter stürzenden Sonderling von Wolkenkuckucksheim, keinen dem Euripides nur nachahmenden unbekannten Dichterling, sondern sie führte Euripides, Sokrates, Kleon in unverkennbarer Ähnlichkeit selbst vor die Augen von Zuschauern, deren Amt es war, zu entscheiden, ob diese Form von Polemik von ihnen geteilt wurde der Kunst sowohl wie der Gesinnung nach. Ein Name, der groß und ausgiebig auf die Zeit wirkt, ist nie in Sorge darüber, wie seine eigene Person für das, was er erstrebt und schafft, einzustehen hat. Nur die kleine Fürsorge des Nichtsbedeutenden ereifert sich gewöhnlich auf eigene Hand, um die Rechte der Persönlichkeit in Fällen zu wahren, wo jeder bedeutende Name sich mit Freuden einsetzt. Daß man in solchen Kopien übertreiben, in der Wahl sich vergreifen, ihre Anzahl bis zur Aufhebung aller eigenen Erfindung vermehren kann, wird niemand bestreiten. Ich glaube von einer in diesem Roman eingehaltenen Grenze sprechen zu können.

Was nun auch unsere von neuen Sorgen bedrängte Zukunft bringen möge, auf die Gedankenelemente, die sich in diesem Buch befehden, werden wir immer wieder zurückkommen. Wenn auch die neuen Templer von Dankmar Wildungen am ersten Versammlungstage des Bundes keine Geheimnisse enträtselt erhielten (auch diese törichte Forderung ist ausgesprochen worden!), so werden doch alle Kämpfe, die uns noch bevorstehen dürften, darauf hinauskommen, immer wieder jene Ausscheidungen hervorzurufen, wo die reine und interesselose Humanität den Krieg zu erklären hat allen trüben Gärungen des Eigennutzes, der Herrschsucht und der unwissentlich oder wissentlich verblendeten Lehre.

Möge denn mein Buch, in diesem Sinne hoffentlich nicht veraltend, auch in seiner jetzigen Form versuchen, den Kreis seiner Freunde sich zu erhalten und zu mehren!

Dresden, im Februar 1854.

Selbstanzeige: Die Ritter vom Geiste. Dritte Auflage.

Drei Bände dieser neuen Auflage sind erschienen. Jeder derselben kostet 2/3 Taler. Die ganze Beteiligung an diesem Unternehmen, das im nächsten Jahr vervollständigt sein wird, kommt demnach einem Freunde des Buches, der es selbst besitzen will, auf sechs Taler zu stehen.

In öffentlichen Blättern haben wir noch keine Vergleichung dieser neuen Ausgabe mit den frühern gefunden und halten es daher für erlaubt, die Freunde des Verfassers aufzufordern, eine solche selbst anzustellen.

Der Grundtext und der wesentliche Inhalt des Ganzen ist geblieben. Eine Annahme also, daß in dieser dritten Auflage etwas fehle, ist unstatthaft. Die neue Auflage bringt die wesentliche frühere Fassung wieder, nur ist Stil, Präzision des Ausdrucks, vorzugsweise die herzustellende Harmonie mancher in der frühern Fassung nicht vollkommen zusammenstimmender Teile ein Hauptaugenmerk der neuen Redaktion gewesen.

Der Drang der Mitteilung war im ersten Niederschreiben dieses Buchs so lebhaft, daß sich der Verfasser beim Einzelnen nicht zu lange aufhalten konnte. Kaum war das Ganze im Entwurf und in der ersten Abfassung beendigt, begann auch schon die Veröffentlichung. Eine ruhige, über dem Ganzen sich haltende Beurteilung war dem Verfasser während der Arbeit und des Drucks nicht möglich. Eine solche ist erst für diese neue Auflage eingetreten. Ermuntert von dem Erfolge, eingeschüchtert von mancher Mißdeutung, gewann er diejenige in der Mitte zwischen Wärme und Abkühlung sich haltende Stimmung, die ein solches Werk, wenn nicht wie ein fremdes, doch wie ein Erzeugnis abgeschlossener Stunden, über die man sich Rechenschaft abzulegen hat, betrachten läßt, und aus dieser Stimmung schreibt sich die neue Redaktion her. Wer sich die Mühe der Vergleichung geben will, wird auf jeder Seite so viel Beweise von Selbstkritik finden, daß auch er diese neue Auflage hoffentlich eine verbesserte nennt.

In Stuttgart hat Julius Schnorr eine entsprechende Zeichnung zu besondern Einbänden dieser neuen Auflage entworfen, die vom Buchbinder Koch daselbst um ein Geringes durch jede Buchhandlung bezogen werden können.

Vorwort zur fünften Auflage.

Wieder sind fünfzehn Jahre vergangen, ereignisreich für die Lage der Welt, für die Anschauungen der Zeitgenossen, lehrreich auch für den Verfasser dieses Buches selbst.

Das freundlichst bereitwillige Entgegenkommen eines neuen Verlegers hat für diese fünfte Auflage eine gänzliche Umgestaltung meines Werks dahin ermöglicht, daß sich der bisherige Umfang von neun Bänden, welcher früher auf manchen mit diesem Buch noch nicht bekannten Leser abschreckend wirkte, gegenwärtig nur noch in vier darstellt, ohne daß darum für die Vollständigkeit des Ganzen irgendeine nennenswerte Einbuße geschah. Außerdem hat eine mit den Jahren gewonnene reifere Einsicht des Autors den Text einer nochmaligen Prüfung unterworfen und ist dabei durchgängig mit solcher Strenge der Selbstkritik verfahren, daß diese neue, durch den verhältnismäßig geringen Kaufpreis den ausgedehntesten Kreisen sich darbietende fünfte Auflage als eine durchweg umgearbeitete bezeichnet werden darf.

Für die dabei maßgebend gewesenen besonderen Grundsätze verweist der Verfasser auf sein in der Tat vollkommen neugestaltet vorliegendes Werk selbst und eine Vergleichung des früheren Textes mit dem gegenwärtigen. Nur noch zu jenen Schutzworten, womit schon vorstehend die dritte Auflage eingeleitet wurde, fügt er hinzu, daß er sein dort gegebenes Zugeständnis, daß bei einem Zeitgemälde allmählich »die Farben verblassen«, in bezug auf diesen Roman entschieden zurücknehmen muß. Im Gegenteil habe ich bei dieser erneuerten Überarbeitung gefunden und spreche es, ohne dabei den Schein der Überhebung oder der Paradoxie zu fürchten, offen aus, daß ein Gemälde derjenigen Zeit, die ich in diesem Buche schilderte, der Reaktionszeit von 1849-1851, wohl nach einigen Jahren, verglichen mit inzwischen eingetretenen Veränderungen, für nicht mehr zutreffend erkannt werden durfte, aber nach zwanzig Jahren wieder seine volle Frische und für jede kommende Zeit anwendbare Gültigkeit behält. Denn in den großen Intervallen der Geschichte kehren immer wieder die Erscheinungen einer einmal vorhanden gewesenen bedeutenden Geschichtsepoche zurück. Es wiederholen sich dieselben großen und kleinen Triebfedern, dieselben Persönlichkeitsgattungen, dieselben Umgestaltungen der Charaktere durch die Zeitumstände. Ja, ich habe gefunden: Was neuere Autoren, wenn sie einen politischen Roman schreiben wollten, haben erfinden müssen und nach irgendeinem fingierten Orte und in eine fingierte Zeit verlegten, das ist in meinem Buche wie eine unmittelbar dem Leben entnommene Chronik bereits vorhanden. Meine Schilderung der Parteigegensätze, z. B. selbst schon der Arbeiterfrage, schon des Lassalleanismus lange vor Lassalle) u.s.w., griff den damaligen Erfahrungen vor. In Egon von Hohenberg wird kein nur irgend mit den neuern Zeitgeschichten Vertrauter jetzt und auch wohl früher nicht den »Bändiger der Revolution«, den preußischen Staatsminister von Manteuffel, haben finden wollen. Wohl aber paßt z. B. die Buch 9 Kapital 6 gegebene Schilderung Egons gegenwärtig auf bekannte Stimmungen eines viel berühmter gewordenen andern Staatsmannes, den ich hier nicht nennen will. Der Kreislauf der Geschichte ist eben spiralförmig. Was einmal gewesen, kehrt mit gewissen Modifikationen immer wieder. Die Aufgabe des Dichters, falls er sein Zeitbild nicht hatte zum Pasquill machen wollen, ist eben die, die historische Treue so zu mildern, das Gegebene so zu verklären, daß die Anwendbarkeit für jede Zeit gesichert bleibt, nie also ein Veralten eintreten kann.

Möge hiemit einer gereifteren Zeit und einer durch die im buntesten Wechsel begriffene Zeit vielseitiger gebildeten jüngern Generation ein Buch neu empfohlen sein, das in seinem äußern Rahmen allerdings nur ein Phantasiebild, ja eine Art Allegorie zu nennen ist, in seinem innern Gehalt jedoch, in den Einzelheiten der Ausführung, nach dem wohlwollenden Zeugnis eines Anteils, der sich seit Jahren gleichgeblieben ist, die Merkmale der Wiedergabe wirklichen Lebens besitzt.

Bregenz am Bodensee, im April 1869.

Vorwort zur sechsten Auflage.

Seit unsern glorreichen Jahren 1870 und 71 haben wir in Deutschland ein Gefühl sozusagen von Raschlebigkeit bekommen, so daß innerhalb der Literatur fast nur die uns als unantastbar eingeprägten Werke unserer hohen Klassiker die Erlaubnis bekommen, in der Lektüre auf uns retardierend, den Willen, den Aufschwung, den Flug der Phantasie, die Ungeduld verlangsamend zu wirken.

Unser Blut läuft seitdem so bewegt um, unsere Nerven sind in solcher Spannung, daß wir das ästhetische »sensationelle Bedürfnis « nicht bloß durch einen verdorbenen Modegeschmack, sondern auch historisch-psychologisch, ja physiologisch erklären müssen!

Ob bei meinen »Rittern vom Geist« die Leseungeduld noch standhält, hängt von der Bildung des Lesers ab. Ist dieser nicht imstande, mit Interesse, mit vollem Anteil an Personen und Zuständen in die Manteuffelsche Reaktionszeit, in die mittelalterlich gestimmte Romantik am preußischen Hofe, in das gesinnungslose Treiben der am sogenannten »Treubunde« (bei mir »Reubund« genannt) arbeitenden konservativen Wühler sich zu versetzen, und kennt er überdies das alte Berlin nicht oder weiß die Anheimelung durch Schilderung vergangener Dinge nicht zu schätzen, so wird er meinen Roman nicht verstehen und nicht genießen können. Ich wollte die 1850 verbotene freisinnige Debatte in höhere Sphären versetzen, mag mich aber darin nach dem Geist unserer Tage vergriffen haben, daß ich unbestimmte, unbestimmbare Ideale aufstellte, keine Reorganisationen der Gesellschaft nach dem Muster von Marx und Lassalle, die freilich auch, wir hoffen es wenigstens, Utopien bleiben werden! Ästhetisch aber und in der Kritik gab dieser Radikalismus positiver Erwerbungen den Ton an.

Die trotzdem fortdauernde Teilnahme für mein Buch bürgt mir für die Annahme, daß es unter unsern Gebildeten noch eine ruhige Betrachtung gibt.

G. Sachsenhausen bei Frankfurt, 14. Mai 1878.


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