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Madame de Staël

Ein Besuch in Coppet – Über Madame de Staël

Ihr Buch ist ein Denkmal des edelsten Vertrauens. Keine unserer engherzigen Spießbürgerlichkeiten nahm ihr die schöne Vorstellung vom Genius unseres Volks. Sie kannte vielerlei von dem Schutt und Moder, aus dem sich die Blume unserer damals vorzugsweise sich romantisch anlassenden Bildung erst erheben mußte, kannte die Gegensätze des jungen Geistes unserer Universitäten und jener Erbärmlichkeiten der Duodeztyranneien, die Schiller in »Kabale und Liebe« gezeichnet hat; sie hatte ein Auge für die Kriecherei der Sklaven, die hochfahrend gegen die wieder ihnen Untergebenen sind; aber sie sah in alledem nur die Fehler des Menschen überhaupt und unserer Gesellschaft. Keine auf den schlechtesten Landstraßen gebrochene Achse ihres Reisewagens, kein unglückliches Verhängnis fortdauernder Regentage, die ihr ganze Landstriche, die sie bereiste, in ein düsteres Einerlei hüllten, keine unserer damaligen Herbergen zum »Wilden Mann« oder zum »Schwarzen Bären«, die selbst in unsern reputierlichsten Residenzen der an die Eleganz von Paris, den Komfort Londons gewöhnten Diplomatenfrau Unterkunft gewähren mußten, nahmen ihr die gute Laune oder verdarben ihr den Eindruck unseres Vaterlands. Sah sie in der gemischten Gesellschaft eines Marktschiffes, das sie über den Rhein setzte, einen Handwerksburschen in einem Buch lesen, hörte sie unter der rauchgeschwärzten Tür einer hessenländischen Hütte eine Mutter ihrem Kind ein Lied singen, begegnete sie in thüringischen Städtchen einer Knabenschar in langen Mänteln, die wie Luther vor den Häusern Choräle sang, so wußte sie liebevoll Kleines im Großen unterzubringen. Der Prozeß des Gemüts, den sie bei solchen Eindrücken vollzog, erklärt sich durch ihre sinnige Definition vom »Enthusiasmus«. Sie nennt ihn den in reinen Seelen immer vorhandenen »Überschuß an Stimmung«, wo dann das immer vorhandene Mehr dem Minder zu gut kommt.

Kam man früher von Genf, so führte, hart am Seeufer entlang, eine aufwärtssteigende Platanen-Allee, durch ein von einer niedrigen Mauer begrenztes Wiesengrundstück, in gerader Linie auf die herrschaftliche Wohnung, die, nach Demolierung der alten Burg, im Stil der Villen des endenden siebzehnten Jahrhunderts wieder aufgebaut worden ist. Links liegt eine kleine Erhebung, die mit einer förmlichen Waldwildnis und wie aller Pflege entbehrend bedeckt ist – ihre Bestimmung wird uns später erklärt werden daneben, in desto sorgsamerer Hut, ein Gemüs- und Obstgarten mit einer Dependenz des Schlosses, die gegenwärtig zur Schule und zum Gottesdienst der Eglise libre bestimmt ist. Dann führt ein von Wirtschaftsgebäuden flankierter, durch einen rauschenden Brunnen belebter, von einem gewaltigen Neufundländer, der mit unheimlichem Ansatz auf den Besucher einspringt, bewachter Eingangshof zu einem mit Ziegeldächern, teilweise in abgestumpfter Turmform, bedeckten Gebäude, dessen Längenausdehnung wieder der rechte Flügel des eigentlichen Schlosses ist. Die vordere Seite desselben, mit einem Balkon geschmückt, liegt dem See zugewandt, seine beiden Flügel bilden einen im Sommer mit Blumenterrassen geschmückten kleinen Hof, den eine stattliche, von künstlich gearbeitetem Schmiedeeisen geformte, mit Wappenkrone überragte Pforte vom kleinen Park trennt. Noch erkennt man Überbleibsel der alten Burg aus einigen starken Mauerwällen heraus, durch deren Beibehaltung die herrschaftliche Wohnung dicht in den Weiler Coppet hineinragt. Unmittelbar begrenzen sie die Scheuern und die Ställe des Orts, der im wesentlichen nur aus einer einzigen am See sich hinziehenden Straße besteht. Waren die auf den Balkon führenden Fenster und Türen des Unterhaltungszimmers geöffnet und Frau von Staël huldigte mit ihren Gästen ihrer Leidenschaft der Konversation, deren kunstvolle Handhabung sie für eine der wesentlichsten Proben eines feinen Geistes gehalten hat; so konnten die Gespräche Sismondis, Constants, Châteaubriands, Schlegels, Chamissos, Bonstettens, des Prinzen August von Preußen, der Récamier über die Wipfel eines schönen Kranzes von Platanen hinweg, der die Stelle eines Vorgartens vertritt, den Spionen Napoleons nur von Vorteil sein, auch bildend für die Bevölkerung wirken. In der Tat wird man romantisch angeweht bei einem etwaigen Morgenimbiß im Wirtshaus »Zur goldenen Orange«, gegenüber dem Spezereigeschäft von – »Natural, Fils«.

Im Innern des Schlosses genießt man die alte Poesie des Wohnens entre cour et jardin. Vestibules, Treppen, Antichambres, Empfangszimmer, alles, als wäre der Faubourg St. Germain von Paris an den Genfersee versetzt. Auch eine »dunkle Geschichte« Westfalens von Levin Schücking könnte hier spielen. Ein kleiner Gesellschaftssaal mit Billard; zur Rechten das Unterhaltungszimmer mit dem gemütlichsten Apparat von Divans, Fauteuils, Ecksesselchen, ganz ein Tempel für jenen Kultus der »Causerie«, für welchen Frau v. Staël unter den deutschen Autoren nur Wieland ganz nach ihrem Geschmack ausgebildet angetroffen haben will; zur Linken ihr Arbeitszimmer, das mit seinem großen, fern vom Fenster, in die Mitte des Zimmers gerückten fachwerkreichen Schreibtisch eher dem Atelier eines Ministers gleicht – alles das ist in seinem frühern Zustande, mit den alten Tapeten, Teppichen, Sofa und Stuhlüberzügen, Spiegeln, Bildern und Kaminschirmen gelassen worden. Beim Anblick der gewaltigen Kamine, die diese hohen und weiten Räumlichkeiten erheizen sollen, und in Erinnerung an unsere eignen Pensionsrechnungen für »Chauffage« gedenkt man mit schauerlicher Ahnung des Augenblicks, wo auf unserer Mutter Erde, die sich ohnehin, trotzdem daß sie dort vom See und von den Bergen her so lieblich durch die Fenster grüßt, immer mehr abkühlt, die Wälder ausgeholzt und die Kohlenschachte abgefahren sein werden. Das Schlafgemach der Dichterin ist den Blicken der Neugier entzogen. Unten dagegen, im Erdgeschoß, wird ein »Schlafzimmer der Frau v. Récamier« gezeigt, worunter wohl zu verstehen, daß überhaupt die bevorzugten Fremden hier ihr Nachtlager fanden unter einem wohlplazierten Himmelbett, umgeben von gewirkten Wandtapeten mit Zeichnungen, die in ihrem zusammengewürfelten, halb antiken, halb modernen, halb mythologischen, halb niederländischen Inhalt auf die Mannigfaltigkeit der Träume, wie sie uns durch die beiden Tore bei Homer zuzukommen pflegen, berechnet scheinen, gegenüber einer aus einer Menge kleiner Vierecke zusammengesetzten Spiegelwand, in welcher sich allerdings wohl am häufigsten oder glücklichsten die berühmte unveränderliche Schönheit der Frau v. Recamier, der Ninon de l'Enclos der Kaiserzeit und der Restauration, wiedergefunden haben mag. Alles das ist in seiner alten Weise unverändert; nicht eben mit den Spuren des bekannten imperialistischen, dem Zeitalter des Augustus sich anschließenden Geschmacks, sondern in dem ältern schäferhaft arkadischen der Rokokozeit. Es war ein Akt der Pietät, daß Frau v. Staël diese Anordnungen so ließ, wie sie die Besitzung von ihren Eltern übernommen hatte.

Im Vergleich mit der geringen Vorliebe für Quellenstudien, die man bei Schriftstellerinnen heutigen Tags antrifft, ist der Bibliotheksaal wahrhaft imponierend. Manche Benediktinerabtei wird keinen größern haben. Man betrachtet ihn mit dem ganzen intimen Interesse, das sich bei unsern Zeitgenossen, in einer für die gegenwärtige Literatur immer bedenklicher sich steigernden Progression, für »alte Bücher« verbreitet. Wo mag der reiche Inhalt, der hier aufgeschichtet stand und gewiß auch für die französische' Revolution wertvolle Ausbeute gewährte, hingekommen sein? ... Da wo man Montesquieu und Voltaire erwartet, stehen Gläser und Porzellanservice. Nur die Bibliothèque Universelle de Genève füllt einen der Schränke in Hunderten von Bänden des alten zierlichen Halbfranz mit den sauber auf hellfarbigem Lederrücken golden ausgeprägten Titeln. In einem andern sieht man eine reiche Sammlung von Broschüren und Zeitschriften, sorgfältig zusammengelegt und des Buchbinders harrend. Kirchliche Erbauungsliteratur! So ändern sich die Zeiten. Schon die Tochter der Staël, die Herzogin v. Broglie, machte jenen Übergang der Frau v. Krüdener vom Geist ihrer Mutter, deren Weise die fromme Kurländerin anfangs nachahmte, zur evangelischen Inspiration und Erweckung mit. Sie war eine religiöse Schriftstellerin...

Die Staël hat sich ein Grab gewählt, das halb an das Platen-besungene Grab im Busento, halb an das Mausoleum Hadrians, die Engelsburg, erinnert. Leben und Tod sollte es zugleich bezeichnen, Sichtbarkeit und Unzugänglichkeit. Inmitten eines Mauerrings ohne Pforte, von Tannen, Buchen, Pappeln eines völlig abgesonderten Gehölzes überwachsen, verschließen zwei Gräber die sterblichen Reste der Staël und ihres zweiten Gatten, des Herrn v. Rocca. Niemand darf diese Einfriedigung betreten. Wild wachsen darinnen Baum und Busch, Blumen, Moos und Unkraut durcheinander. Wurm und Schmetterling, Vogel und Eidechse können sich darin ergehen nach Gefallen. Drüber waltet der Baldachin des Himmels mit den Sternen der Nacht; die Säulen, welche ihn tragen, sind der Jura, der Salève, der große Molé. Kein enger Sarg schließt das weite Herz ein, das verhältnismäßig früh zu schlagen aufhörte, und doch ist seine Asche nicht in alle Winde zerstreut. Man hat hier die Pyramide der Wüste, den Aschenkrug der Via Appia und die mondbeschienene Harfe Ossians in den flüsternden Wipfeln der Bäume beisammen. Romantischer Traum der Berechnung! Hundert Schritte weiter die – Eisenbahn dem See nahegerückt, und die Expropriationsgesetze hätten diese seltsame Grabstätte, die sich gegen den Glauben an ewige Vernichtung sichtbar wehren zu wollen scheint, unbarmherzig durchschnitten.

Natürlich war auf die Säkular-Erinnerung auch nicht ein einziger Blumentopf in Coppet eingerichtet! Die Jalousien waren, wie immer, wenn die Herrschaft in Paris ist, herabgelassen. Da gab es keine festlich gekleidete Schuljugend; kein Blumenkranz schmückte die Pforte; kein Comité in schwarzem Frack und weißen Handschuhen bewillkommte im Bahnhof ankommende Sängerchöre und begleitete sie auf eine mit Flaggen geschmückte Festtribüne... Diese Schweizer halten zäh am Augenblick und gehen nur mit den veränderten Münzstempeln der Zwanzigfrancsstücke vorwärts. Ja, wo einst ihr Morgenstern die Tyrannen und die Fremdlinge niederschlug, da jubelt wohl auch die eidgenössische Erinnerung hochauf; sonst aber müssen die Herren Minister der verschiedenen Eglisen erst «die Anregung geben, ob außer den heurigen Wahlen und der Emanzipation der Neger sonst noch etwas die besondere Aufmerksamkeit des Volkes beschäftigen darf. Hier, einer so heidnischen Vergangenheit und den dermalen überwundenen Standpunkten der Unchristlichkeit angehörenden Frau zu Gefallen hätte erst zu viel vergeben und vergessen werden müssen, ehe zu einem Merkzeichen der Erinnerung die Erlaubnis gekommen wäre. »Es ist heute Sonntag!« hieß es fast ablehnend im Munde der Beschließerin, als sich der einzige Säkularfestbesucher Coppets durch den Neufundländer gemeldet hatte! Der Sonntag hieß aber Jubilate, und der Evangeliumstext war die Auferstehung, und so konnte denn doch einer für alle opfern, er wurde zugelassen.


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