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Balzac

Rezension von Balzacs Vater Goriot.

Familiengemälde aus der höheren Pariser Welt. Nach dem Französischen des Balzac. Zwei Bände, Stuttgart, Hallberger. 1835.

Wer diesen ausgezeichneten Roman mit Balzacs früheren Schriften, jenen dämonischen Mixturen, die ihm den Namen des französischen Hoffmann verschafften, vergleicht, wird erstaunen, bis zu welcher Vollendung das Genie gelangt, wenn es sich frei erhält von ästhetischen Sympathien jeder Art und den Geschmacksbestimmungen der Mode. Balzac besitzt eine tiefe, schöpferische Kraft, Phantasie und Kombination, welche ihn in keinem Felde verlassen würden, selbst in dem nicht, in welches er ohne irgend einen Instinkt, ohne irgend eine Verwandtschaft despotisch sich selbst einst hineinschleudern wollte. Die Vortrefflichkeit dieses Talentes konnte erst zur Reife kommen auf dem Gebiete, wo es jede Straße und jeden Schlupfwinkel zu kennen scheint. Man kann sagen, Paris kennen, heißt auch die Welt kennen, denn Paris ist der Puls der Zivilisation; man muß auch sagen, Paris kennen, heißt das Herz kennen, denn welche Interessen, welche Gefühle müssen sich nicht in einer Stadt offenbaren, welche Frankreich und die Bildung Europas in sich absorbiert? Paris ist so liebenswürdig durch seine Kontraste; das Erhabenste wird vom Naivsten berührt, neben den zwanglosen Schlägen jener Uhr, deren Zifferblatt auf den Stand der höhern Politik, der Börse und zahlloser Interessen zeigt, hört man tausende von kleinen Genfer Uhren picken, auf Herzen, welche die ganze Reihenfolge der kleinen Freuden und Leiden des Lebens, die wir nur in isolierten Sphären zu sehen gewohnt sind, durchmachen. Jules Janin mit seinen naiven Empfindungen, Michel Raymond mit seinen Werkstatt-Erzählungen, keiner würde sich die Ehre rauben lassen, etwas andres zu sein als ein Pariser, doch geben sie Empfindungen und Situationen wieder, von denen wir immer behaupten würden, daß man sie nicht haben kann, ohne auf dem Lande oder in einer kleinen Stadt zu leben. Balzac ist der glücklichste Beobachter, seine Sehkraft durchdringt alle Regionen der Pariser Existenz. Er anatomiert diesen großen Kultus, dem sich Paris opfert und von dem man kaum weiß, ob er bloß der Kultus der Mode oder der des Geldes ist. Das Geld ist der revolutionärste Grundsatz unsres Jahrhunderts. Das Geld reißt die Schranken der Privilegien nieder und führt eine neue Rangordnung der Stände ein. Wie laufen die Interessen ineinander, wo es sich um das Umsatzmittel der Bedürfnisse und der Waren handelt! Balzac ist der Dichter des Geldes, einer neuen Maschinerie, die ihre Wunder hat, so gut wie das alte Epos. Wäre der Pariser geizig, käme seine Geldbegierde nur darauf zurück, Silber und Gold in seinen Truhen zu haben, so würde die Poesie wenig Vorteile von seinem Gottesdienste ziehen. Aber der Pariser liebt das Geld nur, um sich nichts zu versagen, und um mit den Reichtümern andrer zu wetteifern, er sammelt das Geld immer, um es zu seinem Vergnügen auszugeben und um den Schmerz nicht zu haben, in einer Stadt, welche alles bietet, leben zu müssen und doch nach nichts greifen zu dürfen. Darum ist mit dem Gelde in Paris so viel poetische Abwechslung verknüpft, und die Erfindungen Balzacs können nicht ermüden.

Man ist gewohnt, eine Auffassung des Pariser Lebens, wie sie Balzac gibt, nicht mehr anerkennen zu wollen. Man hat sich dazu bestimmen lassen, weil es heißt, die Franzosen seien ernst, schweigsam, nüchtern und tugendhaft geworden seit den großen Ereignissen, welche sie so viel Blut gekostet haben. Man spricht von einer Verwechslung der Gegenwart mit einem verflossenen Zeitalter, dessen Frivolität die alte französische Literatur liebreizend genug geschildert hat. Aber selbst wenn man eingestehen wollte, daß in Frankreich jemals die Freiheit der Sitten aufgehört hat, wenn man leugnen wollte, daß mitten unter den Schrecken der Revolution der Leichtsinn seine rosigen Triumphe feierte; so scheint doch im gegenwärtigen Augenblicke, wo der Friede der Nation keine Beschäftigung gibt, alles wieder in Paris reif zu sein zu einer Laxität der Sitten, welche die alte übertreffen würde, wenn nicht die politische Frage noch immer etwas Wermut in die Becher der Lust mischte. Der alte Adel, der neue bonapartistische, die Aristokratie des Geldes, welche sich in dem Königtum des Bankiers Louis Philippe sonnt; dies sind die drei Faktoren der jetzigen Pariser Gesellschaft, welche untereinander wetteifern und es nicht können, ohne sich im Luxus und in eigentümlicher Bestimmung der Fashion zu überbieten. Welch ein Raum bleibt hier, nicht bloß den Erfindungen, sondern schon der nackten Auffassung des Künstlers! Balzac weiß ihn meisterhaft zu benutzen ...

Notiz über Balzac

Die vernünftigen, gescheiten, praktischen Franzosen waren vor einigen Jahren auf dem Wege, recht fad und albern zu werden. In Schuhen, die wir längst ausgetreten haben, machten sie die ungeschicktesten Sprünge, die Romantik hatte den Franzosen den Kopf verwirrt; es war zum Lachen, wenn sie Hoffmann und den Satan in den Mund nahmen. Eine hagere Gestalt, ein blasses Gesicht, langstarrendes Haar, ein glühendes Auge, der Spieltisch, perdre, ein versuchter Selbstmord, eine Engelschönheit, eine Verführung, Blasphemie; das waren die Farben, mit denen sie den Teufel an die Wand malten, das waren ihre Vorstudien der Hölle. Hätten die Franzosen nicht im Stile ihre bewundernswerte Leichtigkeit und das Talent besessen, aus jeder Kleinigkeit etwas Anziehendes zu machen; sie würden mit ihrer ästhetischen Desperation, mit ihren Bizarrerien und Nachtstücken eine recht klägliche Rolle gespielt haben.

Balzac hat drei schriftstellerische Perioden gehabt; die erste war obskur, in der dritten lebt er jetzt. In der zweiten wollte er um jeden Preis der französische Hoffmann sein. Er war unerschöpflich in Erfindungen, die auch er die Nachtseite des Lebens nannte. Er hatte einen Bund mit dem Satan geschlossen, dessen Früchte seine Phantasiestücke, seine braunen Erzählungen, seine Elendsfälle waren. Was fehlte ihnen? Der Witz, den einem Hoffmann die Natur gab, die heitere ironische Laune, die einen Janin so liebenswürdig macht, die Wahrheit des Lebens und der Natur, die man selbst in den grausamen Erzählungen eines Eugene Sue nicht vermissen wird. Balzac schrieb in der unnatürlichsten Champagnerbegeisterung, einem Feuer, das den wäßrigsten Weintrinkern von der Welt, den Franzosen bisher fremd war. Balzac schilderte keine Menschen, sondern nur Schatten. Was die Tiefe ihres Charakters sein sollte, war etwas, mit dem man sich nicht befreunden konnte. Seinen Wahlspruch: gemein im Gemeinen, und erhaben in Erhabenen führte er in beiden Fällen nicht göttlich genug aus.

Aber wer nun drei Jahre später den Vater Goriot mit Balzacs früheren Schriften, jenen dämonischen Mixturen vergleicht, die ihm den Namen des französischen Hoffmann verschafften, wird erstaunen, bis zu welcher Vollendung man gelangen kann, wenn man sich von ästhetischen Sympathien und den Geschmacksbestimmungen der Mode frei erhält. Balzac, dem eine ursprüngliche Tiefe, schöpferische Kraft, Phantasie und Spekulation zu Gebote standen, brachte die Vortrefflichkeit dieses Talentes doch erst durch seine Zeitgemälde zur Reife. Man kann sagen, durch die Beobachtung der Straße ist Balzac geworden, was er jetzt ist.

Über die Persönlichkeit Balzacs

Man klagt hier über Mangel an Nachrichten. Die Franzosen langweilen sich, die deutschen Berichterstatter sind in Verlegenheit, Neues nach Augsburg und Berlin zu melden, und doch geschieht so viel, drängt sich so viel, Leben und Tod, Sieg und Niederlage. Hier wird etwas geboren, dort etwas begraben. Leichen und Wiegen, wo man hinblickt, und die Morgue wird von den Opfern der Seine nicht leer.

Es ist ein eignes Leben in Paris. In jeder Stunde geschieht etwas ganz im Stillen, das uns auswärts, wenn wir davon hören, tagelang beschäftigt. Hier kündigt sich Unzähliges pomphaft an und endet unbedeutend, und manches scheint anfangs geringfügig und wird bedeutend. Das unglückselige Wetter! Der Schmutz von Paris! Ich hätte nicht ausbleiben sollen, den Obsequien Cherubinis in der Kirche St. Roch beizuwohnen.

Mit Cherubini ist die letzte Stütze des klassischen Kontrapunktes in Frankreich gestorben. Wenn man Auber zum Nachfolger in seinem Direktorat des Conservatoires erwählen würde, so bewiese dies, wie verlegen man wäre, einen würdigeren zu finden. Halévy, den man als gründlichen Theoretiker schätzt, würde, wenn er nicht zu jung wäre, Cherubini gefolgt sein, denn er besitzt alles, was zum Akademiker gehört, theoretische Kenntnisse und kein Genie. So wird man nun, glaub' ich, Auber wählen, der weder kenntnisreich, noch genial ist, aber ein ungeheures Talent. Wird Auber die große Trommel in die Kirchenmusik einführen?

An demselben Tage, wo man den Komponisten des Wasserträgers zur Ruhe bestattete, wurde auch Balzac begraben. Er lebt noch, aber seine Dramen sind tot. Dem Vautrin sind die »Hilfsquellen Quinolas« auf dem Fuß gefolgt. Seit acht Tagen redete man von der bevorstehenden Aufführung des Quinola. Man lockte das Publikum mit falschen Affichen ins zweite französische Theater, das Theater de l'Odéon, jenseits der Seine, man wies es ab, lockte wieder, und machte die, die Lust hatten, das Stück ohne Prozeß zu verurteilen, irre. Und doch ist es gefallen. Ich erstaunte, das ganze Pariser Publikum gegen Balzac so gereizt zu finden. Alles haßt ihn, alles verfolgt ihn. Kein Bedauern über seinen Fall, allgemeine Schadenfreude. Es ist, als wenn die geistvollen Erfindungen dieses Erzählers nicht vorhanden wären, als wenn Frankreich nicht Ursache hätte, auf dies seltene Talent stolz zu sein!

Balzac scheint durch seine Persönlichkeit viel von dem Vorsprung seines Talents zu verlieren. Man wirft ihm Arroganz und Geldgier vor. Beides sind Fehler, die allerdings den Ruhm eines Dichters untergraben können. Daß Balzac anmaßend ist, bestätigt die Manier seiner Erzählungen, seine Art, sie einzuleiten, seine Selbstbespiegelung, seine Selbstkritik. Er geht von dem Grundsatz aus, daß ein Schriftsteller, der etwas gelten wolle, zuvörderst selbst etwas auf sich halten müsse. Daher kommt er jedes Mal, wenn ihm der Stoff ausgeht, auf sich zu sprechen. Man hält dies, was vielleicht nur Verlegenheit und Nothilfe ist, für Eitelkeit. Balzacs Geldgier findet man in vielen flüchtigen, seinem Namen keine Ehre machenden Produktionen bestätigt. Man vergibt einem guten Autor wirklich nichts schwerer, als ein schlechtes Buch. Balzac hat unter viel vorzüglichen mehre Werke geschrieben, die seiner unwürdig sind. Man nennt dies nicht Erschöpfung, man bemitleidet es nicht, als die notwendige Folge dieser ewigen Anstrengung, dieses ewigen Schaffens, nein, man haßt es, als seinen Geiz.

Vollends war Balzac verloren, als man erfuhr, er hätte sich die drei ersten Vorstellungen des Quinola als Entschädigung für die Tantieme der folgenden Vorstellungen bedungen. Es ist hier Sitte, daß die Autoren, um sich schnell in Besitz einer großen Summe zu setzen und den Weitläufigkeiten der späteren Verrechnungen auszuweichen, mit der Gesamteinnahme der ersten Vorstellungen dem Impressario das Recht verkaufen, alle folgenden Einnahmen ungeschmälert für sich zu behalten. So Scribe im Théatre Francais. Wenn nun der Autor die Plätze so verkauft, wie sie kassenüblich sind, so ist diese Finanzoperation ganz in der Ordnung; wenn aber, wie Balzac es tut, eine Agiotage eröffnet wird, wenn man für die Stalles statt fünf Franken fünfzehn fordert, für Logen 100 Franken, so kann sich der Verfasser des Quinola nicht wundern, wenn man Eugenie Grandet und den Père Goriot vergißt und seine Werke kläglich zu Fall bringt. Heute sind wohl nahe an hundert Kritiken über Quinola erschienen. Ich glaube, Balzac liest nicht eine einzige und zählt seine Fünffrankentaler.


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