Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Büchner

Dantons Tod, von Georg Büchner

Die Kritik ist immer verlegen, wenn sie prüfend an die Werke des Genies herantritt. Sie, die sonst so schnelle und wortreiche Base, blickt hier scheu und wählt ängstlich in ihren Ausdrücken, um das Würdige mit Würde zu empfangen. Die Kritik kann hier nicht mehr sein, als der Kammerdiener, der die Tür des Salons öffnet und in die versammelte Menge laut des Eintretenden Namen hineinruft; das übrige wird das Genie selbst vollbringen. Es wird dem matten Gespräche plötzlich eine neue Wendung geben, es wird Ideen aus seinem Haupte schütteln. Das Genie bedarf keiner Empfehlung. Das fühlen wir, wenn wir von Georg Büchner reden, und treten auch im folgenden nur abseits in einen Winkel, um die Sache für sich selbst reden zu lassen.

Eine tragische Katastrophe der französischen Revolution entwickelt sich in Büchners Danton vor unsern Augen. Die Autorität Robespierres ist im Steigen, und die zweite Reaktion gegen die Revolution beginnt. Die erste Reaktion war der Sturz der Gironde, die zweite der Sturz des Moderantismus. Die Revolution verschlang wie Saturn ihre eignen Söhne. Welch ein Unterschied aber schon in den verschiedenen Klassen dieser Rückwirkungen! Die Girondisten waren Männer, welche nicht durch Absichten und Systeme in die Revolution hineingerissen wurden, sondern durch einige Sympathien, durch einige Prinzipien und durch den erhabenen Enthusiasmus, welcher alle Gemüter in jenen sturmvollen Zeiten ergriffen und sich endemisch wie ein Fieber fortgepflanzt hatte. Die Girondisten starben mit ihren blumenreichen Reden, mit dem noblem Ernste und dieser vornehmen Geringschätzung, welche die Doktrin in der Theorie und das Juste-Milieu oft in der Praxis zu begleiten pflegt; sie starben, weil sie die Revolution ohne die Massen wollten. Die Dantonisten hatten schon Blut an den Händen, das Blut des Septembers, das nicht vergossen wurde, um zu strafen, sondern um zu schrecken. Die Aristokraten in der Stadt, die Könige vor den Toren hatten sie in eine chirurgische Verzückung versetzt, die mit lächelnder Miene ein faules Glied amputiert. Die Dantonisten hatten der Revolution ein Opfer gebracht, ihr Gefühl, ihre Humanität, ihre der Ruhe geweihten Nächte. Sie hatten so viel getan, daß sie nicht glaubten, die Revolution verlange sie selbst noch als Opfer. Robespierre gab zwei Anklagen: die eine auf übertriebene Mäßigung, die andre auf Unsittlichkeit. Waren die Girondisten die Römer der Revolution gewesen, so waren die Dantonisten ihre Griechen. Man hatte die Charaktere guillotiniert, jetzt wollte man die Genialität guillotinieren. Danton war Alcibiades. Camille Desmoulins lebte nur in Athen. Alle seine Anschauungen gingen vom Ilissus aus: er nannte das Palaisroyal den Keramikus, er wollte eine Republik, worin man patriotisch wäre wie Demosthenes, weise wie Sokrates und genial in den Sitten, wie die Kreise, die sich um Aspasia sammelten. Die dritte Phase der Revolution war die religiös-fanatische Robespierres. Die Revolution war ein Kultus geworden und hatte ihre Altäre, ihre Dogmen, ihre Zeremonie. Dem Blut-Messias Robespierre, wie ihn Camille nannte, stand St. Just zur Seite, die Apokalypse neben dem Evangelium.

Nichts bezeichnet die drei blutigen Epochen der französischen Republik besser, als die Begriffe, die zu verschiedenen Zeiten über die Revolution herrschten. Die Gironde hielt die Revolution für etwas, das man ersetzen könne, Danton für etwas, das man abschließen könne, Robespierre für eine Offenbarung, welche ganz außer dem Bereiche des menschlichen Willens läge, also für die Vorsehung und die Gottheit selbst. Aber alle sahen sie die Revolution als etwas Fertiges, Abgegrenztes über ihrem Haupte: die ersten als eine Last, die zweiten als ein Hindernis, die dritten als eine Idee, wie die Messiasidee, in welche sie sich hineinschoben, wie auch Christus nichts anders tat, als eine Vorstellung seiner Nation adoptieren und sich selbst zum Substrat und Subjekt einer Tatsache machen. Eine Idee despotisierte hier die Menschen, die Menschen waren nur die Beamten eines Begriffes. Alle beriefen sich auf die Revolution, wie auf eine unsichtbare Gottheit, die sie doch wahrlich in Händen hatten, wie einen Hut, der mein ist!

Georg Büchners Auffassung der französischen Revolution verrät eine tiefe Kenntnis derselben. Seine Charakteristiken der Tendenzen und der Personen sind meisterhaft. Seine Gemälde sind skizzenartig hingeworfen; aber die Umrisse der Kohle sind so scharf, daß unsrer Einbildungskraft sich von selbst eine Welt vorzaubert. Danton, Robespierre, St. Just, Camille Desmoulins – sind vortrefflich gezeichnet – so wie in allen Nebenpartien, in den Volksszenen und dem Gespräche der untersten Klassen sich die Vertrautheit mit seinem Gegenstande zu erkennen gibt. Warum sollte er dies auch nicht! Unsre Jugend studiert die Revolution, weil sie die Freiheit liebt und doch die Fehler vermeiden möchte, welche man in ihrem Dienste begehen kann.

Man darf sagen, daß in Büchners Drama mehr Leben, als Handlung herrscht. Die Handlung selbst ist eine abgeschlossene, schon da, als der Vorhang aufgeht. Der Stoff ist so undramatisch, wie Maria Stuart. Schiller wollte eine Tragödie geben, und gab die Dramatisierung eines Prozesses: Büchner gibt statt eines Dramas, statt einer Handlung, die sich entwickelt, die anschwillt und fällt, das letzte Zucken und Röcheln, welches dem Tode vorausgeht. Aber die Fülle von Leben, die sich hier vor unsern Augen noch zusammendrängt, läßt den Mangel der Handlung, den Mangel eines Gedankens, der wie eine Intrige aussieht, weniger schmerzlich entbehren. Wir werden hingerissen von diesem Inhalte, welcher mehr aus Begebenheiten, als aus Taten besteht, und erstaunen über die Wirkung, welche eine Aufführung dieser Art auf dem Theater machen müßte, eine Aufführung, die unmöglich ist, weil man Haydns Schöpfung nicht auf der Drehorgel leiern kann.

Wir nähern uns dem besondern künstlerischen Verdienste dieser Produktion, von welchem wir gestehen müssen, daß es die Auffassung des Stoffes noch bei weitem zu übertreffen scheint. Wer so sehr an der Fähigkeit der Deutschen, sich mit Geist, Grazie, kurz mit Stil auszudrücken, verzweifeln muß, wie der Herausgeber einer kritischen Revue der täglich aufwuchernden literarischen Erscheinungen, muß bei der Beurteilung eines Buches, wie Dantons Tod von Büchner ist, eine Freude empfinden, die viel zu nuanciert und zusammengesetzt ist, als daß ich sie hier ganz wiedergeben könnte. In Bildern und Antithesen blitzt hier alles von Witz, Geist und Eleganz. Keine verrenkten Gedanken strecken ihre lange Gestalt gen Himmel und schlottern wie gespenstische Vogelscheuchen im Winde hin und her. Keine ungebornen Embryonen stehen in Spiritusgläsern um uns herum und beleidigen das Auge durch ihre Unschönheit, sie mögen auf noch so tiefe Entdeckungen zu deuten scheinen. Es ist alles ganz, fertig, abgerundet. Staub und Schutt, das Atelier des Geistes sieht man nicht. Ich wüßte nicht, worin anders das Kennzeichen eines literarischen Genies besteht. Als ein solches muß man Georg Büchner mit seiner Ideenfülle, seiner erhabenen Auffassung, mit seinem Witz und Humor begrüßen. Was ist Immermanns monotone Jambenklassizität, was ist Grabbes wahnwitzige Mischung des Trivialen mit dem Regellosen gegen diesen jugendlichen Genius!

Ich bin stolz darauf, der erste gewesen zu sein, der im literarischen Verkehr und Gespräch den Namen Georg Büchners genannt hat.

Nachruf auf Georg Büchner

Um die Wehmut zu verstehen, welche diesen Nachruf an einen früh vollendeten jungen deutschen Dichter durchbebt, denke man sich eine Freundschaft, die aus der Ferne, ohne persönliche Begrüßung, nur durch wechselseitige Bestrebungen, durch gleiche Gesinnungen hervorgerufen, und durch das Band tatsächlicher Ideale zusammengehalten wurde! Man wechselt Briefe und Zusprüche, man tauscht seine Zukunft aus und schüttet ein reiches Füllhorn lachender, dreister Hoffnungen sich einander in den Schoß; man spricht sich in trüben Stunden Mut zu und malt sich eine Wendung der Dinge aus, in welcher wir selbst vom Winde, der sich dreht, gefaßt werden dürften; man hofft auf persönliche Begrüßung und gibt sich Kennzeichen, wenn man sich plötzlich begegnen sollte. Ein solcher Gemüt und Geist bewegender Verkehr dauert ein Jahr; da tritt eine kleine Unterbrechung ein; der eine bestellt sein Haus, der andre rüstet sich zu einer Reise und neuen Lebensbahn. Der Briefwechsel stockt. Man ist ohne Sorge über den still fortglimmenden Freundschaftsfunken und tritt eines Tages an einen öffentlichen Ort, wo sich das Echo der tausend Tagesgerüchte, der Irrtümer und der Verfolgungen in Zeitungen durchkreuzt. Man ergreift sorglos eine derselben und liest, daß der Freund, der hoffnungsvolle, strebende, mutige, schon seit Monaten hinübergegangen ist in das Reich des Friedens, sanft entschlummert im Arme einer Geliebten, ausgelöscht aus dem jungen Nachwuchsregister unsrer Hoffnungen, tot – ja mehr als tot – schon seit Monden verstorben!

So ging es mir mit Georg Büchner, einem strebenden Jünglinge aus Darmstadt, dessen Freundschaft ich mir durch die Tat erworben hatte und der sie mir leistete mit vollem, ideenreichem Herzen, ging es mir mit einer Knospe, deren Entfaltung ein herrliches Farbenspiel am Sonnenlicht gespiegelt hätte, die die volle Ahnung eines nicht bloß genießenden Frühlingslebens in sich trug, sondern auch das Versprechen eines durch außerordentliche Fähigkeiten gesicherten Gewinnes für seine Nation. Noch glaubt' ich einen jungen Titanen aus widerwärtigen Verhältnissen sich losringend zu wissen; und in dem Augenblicke barg ihn schon der kühle Schoß der Erde. Ich sah ihn seine Waffenrüstung zum Kampfe mit der Unbill der Zeiten schmücken – und schon schlummerte er in jenem ewigen Reiche des Friedens, wo die Widersprüche versöhnt und der Egoismus des Zeitalters in kalte Asche verwandelt ist. Mein Herz bebte vor Rührung. Ich kann jenes tiefe, grausame Weh verstehen, auf dem Totenbette mit seiner Liebe zum Leben und seinen Zukunftsträumen zu ringen, sich trennen zu müssen von dem Großen und Edlen, was man noch von sich bewahrheiten und bewähren wollte, und in jener Hand, die sich eben ausstreckte, um ein Reich des Ruhmes und der Ehre zu erobern, den lähmenden Tod zu fühlen! Junger Kämpe, vielleicht warst du ergeben, als sich die Sinne und dein Bewußtsein lösten, vielleicht lächeltest du, schon verklärt über der Menschen ehrgeiziges Rennen und Treiben und dachtest selig, daß alles eitel wäre, daß auch die Irrtümer, die du bekämpfen wolltest, ja selbst die Dichterträume, die wie Lorbeer schon auf deiner Stirne lagen, an der Pforte der Ewigkeit zerschellen und wie bunte Farben sich in Vergängliches auflösen. Vielleicht vermißtest du, schon im Vorhofe der Ewigkeit, den Nachruf deiner Freunde nicht. Aber sie sind ihn dir schuldig; sie müssen dein Andenken mit frischem Rasen belegen und einen Kranz von Immergrün um das bescheidne Kreuz hängen, welches deine Grabstätte bezeichnet. Du gehörtest in die Legion der edlen Streiter für die Sache des Jahrhunderts. Die Menschen, die du haßtest, sollen wissen, wer du warst; und die du liebtest, sollen hören, was sie an dir verloren haben.

In den letzten Tagen des Februar 1835, dieses für die Geschichte unsrer neuern schönen Literatur so stürmischen Jahres, war es, als ich einen Kreis von ältern und jüngern Kunstgenossen und Wahrheitsfreunden bei mir sah. Wir wollten einen Autor feiern, der bei seiner Durchreise durch Frankfurt am Main nach Literaturart das Handwerk begrüßt und lange genug zurückgezogen gelebt hatte, um uns zu verbergen, daß er im Begriff war, Bücher herauszugeben, welche, ob sie gleich jüdischen Inhalts waren, dennoch von der evangelischen Kirchenzeitung kanonisiert werden sollten. J. Jacoby war dies. Kurz vor Versammlung der Erwarteten erhielt ich aus Darmstadt ein Manuskript nebst einem Briefe, dessen wunderlicher und ängstlicher Inhalt mich reizte, in ersterem zu blättern. Der Brief lautete:

Mein Herr!

Vielleicht hat es Ihnen die Beobachtung, vielleicht, im unglücklicheren Fall, die eigne Erfahrung schon gesagt, daß es einen Grad von Elend gibt, welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht. Es gibt zwar Leute, welche behaupten, man solle sich in einem solchen Falle lieber zur Welt hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem seit kurzem erblindeten Hauptmann von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich totschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die einen verhindern, seinen Leib zum Notanker zu machen, um ihn von dem Wrack dieser Welt in das Wasser zu werfen, und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Türe aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manuskript auf die Brust setze und ein Almosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich, das Manuskript so schnell wie möglich zu durchlesen, es, im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dies erlauben sollte, dem Herrn S....zu empfehlen, und sogleich zu antworten.

Über das Werk selbst kann ich Ihnen nichts weiter sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dies, um Ihr Urteil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich, zu motivieren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selbst nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber rot zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen.

Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolgs können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.

Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplik zu überreichen und fast leichter, die Pistole in der Hand: la bourse ou la vie! zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn' es! zu flüstern.

G. Büchner

Dieser Brief, den ich abdrucke, um gleich ein Bild von der Aufregung des Charakters zu geben, dessen Erinnerung wir feiern, den ich auch, unbekümmert um seine noch lebenden, vermöglichen Eltern, abdrucke, weil wir die kleine Affektation und das unmotivierte Elend darin bald erklären werden, reizte mich, augenblicklich das Manuskript zu lesen. Es war ein Drama: Dantons Tod. Man sah es der Produktion an, mit welcher Eile sie hingeworfen war. Es war ein zufällig ergriffener Stoff, dessen künstlerische Durchführung der Dichter abgesetzt hatte. Die Szenen, die Worte folgten sich rapid und stürmend. Es war die ängstliche Sprache eines Verfolgten, der schnell noch etwas abzumachen und dann sein Heil in der Flucht zu suchen hat. Allein diese Hast hinderte den Genius nicht, seine außerordentliche Begabung in kurzen scharfen Umrissen schnell, im Fluge, an die Wand zu schreiben. Alles, was in dem lose angelegten Drama als Motiv und Ausmalung gelten sollte, war aus Charakter und Talent zusammengesetzt. _ Jenes ließ diesem keine Zeit, sich breit und behaglich zu entwickeln; dieses aber auch jenem nicht, nur bloß Gesinnungen und Überschweifungen hinzuzeichnen, ohne wenigstens eine in der Eile versuchte Abrundung der Situationen und namentlich der aus der köstlichsten Stahlquelle der Natur fließenden kristallhellen und muntern Worte. Dantons Tod ist im Druck erschienen. Die ersten Szenen, die ich gelesen, sicherten ihm die gefällige, freundliche Teilnahme jenes Buchhändlers noch an dem bezeichneten Abend selbst. Die Vorlesung einer Auswahl davon, obschon von diesem oder jenem mit der Bemerkung, dies oder das stünde im Thiers, unterbrochen, erregte Bewunderung vor dem Talent des jugendlichen Verfassers.

Kaum hatte Georg Büchner einen Erfolg, so erfuhren wir, daß er auf dem Wege nach Straßburg war. Ein Steckbrief im Frankfurter Journal folgte ihm auf der Ferse. Er hatte in Darmstadt, vor seiner Familie sogar, verborgen gelebt, weil er jeden Augenblick befürchten mußte, in eine Untersuchung gezogen zu werden. Er war in jene unglückseligen politischen Wirrnisse verwickelt, welche die Ruhe so vieler Familien untergraben, so vielen Vätern ihre Söhne, und Frauen ihre Gatten genommen haben. Ob ihn Verdacht oder eine vorliegende Beschuldigung verfolgte, weiß ich nicht; man versicherte, daß er den Frankfurter Vorfällen nicht fremd gewesen. Vielleicht hatten ihn auch nur seine in Straßburg früher fortgeführten Studien verdächtig gemacht. Jedenfalls ergab sich, daß Büchner die Partie der Flucht gern ergriff. Er war mit einer jungen Dame in Straßburg versprochen; das Exil, für andre eine Plage, war Wohltat für ihn. Er gestand mir ein, daß er die Teilnahme seiner (wahrscheinlich loyalen) Eltern durch seine tollkühnen Schritte auf eine harte Probe stelle, und daß er nicht den Mut hätte, diese abzuwarten. Dies spornte ihn an, sieh selbst einen Weg zur bürgerlichen Existenz zu bahnen und von seinen Gaben die möglichen Vorteile zu ziehen. Daher das verzweifelnde Begleitungsschreiben des Danton: daher das Pistol und die unschuldige Banditenphrase: la bourse ou la vie!

Mehrere der aus Straßburg an mich gerichteten Briefe Büchners sind mir nicht mehr zur Hand. Ich hatte indessen große Mühe mit seinem Danton. Ich hatte vergessen, daß solche Dinge, wie sie Büchner dort hingeworfen, solche Ausdrücke sogar, die er sich erlaubte, heute nicht gedruckt werden dürfen. Es tobte eine wilde Sansculottenluft in der Dichtung; die Erklärung der Menschenrechte wandelte darin, nackt und mit Rosen bekränzt. Die Idee, die das Ganze zusammenhielt, war die rote Mütze. Büchner studierte Medizin. Seine Phantasie spielte mit dem Elend der Menschen, in welches sie durch Krankheiten geraten; ja die Krankheiten des Leichtsinns mußten ihm zur Folie seines Witzes dienen. Die dichterische Flora des Buches bestand aus echten Feld- und aus Quecksilberblumen. Jene streute seine Phantasie, diese seine übermütige Satire. Als ich nun, um dem Zensor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rotstift ergriff, und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Schere der Vorzensur beschnitt, fühlt' ich wohl, wie grade der Abfall des Tuches, der unsern Sitten und unsern Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigentümlichste Teil des Ganzen war. Lange, zweideutige Dialoge in den Volksszenen, die von Witz und Gedankenfülle sprudelten, mußten zurückbleiben. Die Spitzen der Wortspiele mußten abgestumpft werden oder durch aushelfende dumme Redensarten, die ich hinzusetzte, krumm gebogen; Der echte Danton von Büchner ist nicht erschienen. Was davon herauskam, ist ein notdürftiger Rest, die Ruine einer Verwüstung, die mich Überwindung genug gekostet hat. Büchner schrieb im Sommer 1835 an mich:

»Straßburg.

Verehrtester!

Vielleicht haben Sie durch einen Steckbrief im Frankfurter Journal meine Abreise von Darmstadt erfahren. Seit einigen Tagen bin ich hier; ob ich hier bleiben werde, weiß ich nicht, das hängt von verschiedenen Umständen ab. Mein Manuskript wird unter der Hand seinen Kurs durchgemacht haben.

Meine Zukunft ist so problematisch, daß sie mich selbst zu interessieren anfängt, was viel heißen will. Zu dem subtilen Selbstmord durch Arbeit kann ich mich nicht leicht entschließen; ich hoffe, meine Faulheit wenigstens ein Vierteljahr lang fristen zu können, und nehme dann Handgeld entweder von den Jesuiten für den Dienst der Maria oder von den St. Simonisten für die femme libre, oder sterbe mit meiner Geliebten. Wir werden sehen. Vielleicht bin ich auch dabei, wenn noch einmal das Münster eine Jakobiner-Mütze aufsetzen sollte. Was sagen Sie dazu? Es ist nur mein Spaß. Aber Sie sollen noch erleben, zu was ein Deutscher nicht fähig ist, wenn er Hunger hat. Ich wollte, es ginge der ganzen Nation wie mir. Wenn es einmal ein Mißjahr gibt, worin nur der Hanf gerät! Das sollte lustig gehen, wir wollten schon eine Boa Konstriktor zusammen flechten. Mein Danton ist vorläufig ein seidnes Schnürchen und meine Muse ein verkleideter Samson.«

Der wilde Geist in diesem Briefe ist die Nachgeburt Dantons. Der junge Dichter muß seinen Thiers und Mignet loswerden; er verbraucht noch die letzten Reste auf seiner Farbenpalette, mit welcher er jene dramatischen Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft gemalt hatte. Der Ausdruck ist ihm wichtiger als die Sache. Die revolutionäre Phraseologie reißt ihn hin, für sie nach idealen Unterlagen zu suchen. Er wird bald andere Ansichten haben und sich von jener Unruhe befreien, die man immer spürt, wenn man eben vom Reisewagen absteigt. Der Puls schlägt dann öfter in der Minute, als man Gedanken für jeden Schlag hat. G. Büchner hörte bald auf, von gewaltsamen Umwälzungen zu träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker schien ihm auch die Revolution zu verschieben. Je mehr jene zunimmt, desto mehr schwindet ihm eine Aussicht auf diese. Er schrieb mir unter anderm: »Die ganze Revolution hat sich schon in Liberale und Absolutisten geteilt und muß von der ungebildeten und armen Klasse aufgefressen werden; das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt, der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin und nur ein Moses, der uns die sieben ägyptischen Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias werden. Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topf jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden.«

Inzwischen hatte ich den erschienenen Danton nach Verdienst im Phönix gewürdigt. Büchners Bescheidenheit schmollte, daß ich ihn zu hoch gestellt; er käme in Verlegenheit, meine in seinem Namen gegebenen Versprechungen zu erfüllen. Meine Kritik hatte aber noch eine andere Folge, die für unsere Zustände nicht uninteressant war. Ich erhielt nämlich aus der Schweiz einen anonymen Brief, der allem Anscheine nach von der dortigen jeune Allemagne herrührte und worin mir über mein Lob eines patriotischen Apostaten, wofür Büchner nun schon galt, die heftigsten Vorwürfe gemacht wurden. Es war zu gleicher Zeit der Neid eines Schulkameraden, der sich in dem Briefe ausgällte. Den Verf., den ich wohl errate, ärgerte das einem ehemaligen Freund gespendete Lob und um seine kleinliche Empfindung zu verbergen, hüllte er sich in pädagogische Vorwände. Der geärgerte Schulkamerad schrieb: »Bei der unbedingtesten Gerechtigkeit, die ich Büchners Genie widerfahren ließ, ist es mir doch nie eingefallen, mich vor ihm in eine Ecke zu verkriechen!« Darauf folgte ein Erguß über die Eitelkeit, in der nun der Kamerad bestärkt werden würde, eine Versicherung, daß er Büchners wahrer Freund wäre und in einem Postskript – ob ich nicht eine Antikritik abdrucken wollte! Mir schien dies anonyme Treiben so verdächtig, daß ich Büchner einen Wink gab und von ihm Aufklärung erhielt. Ich will die betreffende Stelle hersetzen; nicht, weil das ganze Verhältnis von Bedeutung ist, sondern weil ich darin eine Abspiegelung von Jugenderinnerungen sehe, die gewiß in vielen Lesern dieses Gedächtnisses auftauchen. Wer hätte nicht in Beziehung gestanden, wo brechen so schwer, fast unmöglich ist, und wo man durch das freundschaftliche Verhältnis doch nicht erquickt, sondern im Gegenteil nur belästigt wird, und mit Freuden jede Gelegenheit ergreift, sich mit gutem Grund die Last abzuschütteln! Büchner antwortete: »Was Sie mir über die Zusendung aus der Schweiz sagen, macht mich lachen. Ich sehe schon, wo es herkommt. Ein Mensch, der mir einmal, es ist schon lange her, sehr lieb war, mir später zur unerträglichen Last geworden ist, den ich schon seit Jahren schleppe und der sich, ich weiß nicht aus welcher verdammten Notwendigkeit, ohne Zuneigung, ohne Liebe, ohne Zutrauen an mich anklammert und quält und den ich wie ein notwendiges Übel getragen habe! Es war mir wie einem Lahmen oder Krüppel zu Mut und ich hatte mich so ziemlich in mein Leiden gefunden. Aber jetzt bin ich froh, es ist mir, als wäre ich von einer Todsünde absolviert. Ich kann ihn endlich mit guter Manier vor die Türe werfen. Ich war bisher unvernünftig gutmütig, es wäre mir leichter gefallen ihn totzuschlagen, als zu sagen: Pack dich! Aber jetzt bin ich ihn los! Gott sei Dank! Nichts kommt einem doch in der Welt teurer zu stehen, als die Humanität.«

Weil sich Büchner mit allen Kräften auf eine akademische Stellung vorbereitete, so konnte er seine Mußezeit nur leichten Arbeiten widmen. Er übersetzte in der Serie von Victor Hugos Werken die Tudor und Borgia mit echt dichterischer Verwandtschaft zu dem Originale. Einen seiner Briefe, wo er die Schwächen Victor Hugos mit feinem Auge musterte, kann ich nicht wiederfinden. Alfred de Musset zog ihn an, während er nicht wußte, »wie er sich durch V. Hugo durchnagen« solle, Hugo gäbe nur »aufspannende Situationen«, A. de Musset aber doch »Charaktere, wenn auch ausgeschnitzte.«

Wie wenig er auch arbeitete und erklärte, für den Danton, der so hurtig nicht zustande gekommen, wären »die Darmstädtschen Polizeidiener nicht seine Musen gewesen«; so trug er sich doch mit einer Novelle, wo Lenz im Hintergrunde stehen sollte. Er wollte viel Neues und Wunderliches über diesen Jugendfreund Goethes erfahren haben, viel Neues über Friederiken und ihre spätere Bekanntschaft mit Lenz.

Büchners spätere Briefe beschäftigten sich meist mit seinen Zukunftsplänen. Sein Herz war gefesselt, er suchte eine Existenz, als Schmied seines Glückes. Er hatte die Medizin verlassen und sich auf die abstrakte Philosophie geworfen. Er schrieb (wie gewöhnlich ohne Datum):

»Straßburg.

Lieber Freund!

War ich lange genug stumm? Was soll ich Ihnen sagen? Ich saß auch im Gefängnis und im langweiligsten unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geschrieben in die Länge, Breite und Tiefe. Tag und Nacht über der ekelhaften Geschichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld hergenommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächsten Semester zu Zürich einen Kurs über die Entwicklung der deutschen Philosophie seit Cartesius zu lesen; dazu muß ich mein Diplom haben und die Leute scheinen gar nicht geneigt, meinem lieben Sohn Danton den Doktorhut aufzusetzen.

Was war da zu machen?

Sie sind in Frankfurt, und unangefochten?

Es ist mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch nicht im Rebstöckel, (Straßburger Gasthof) angeklopft haben. Über den Stand der modernen Literatur in Deutschland weiß ich so gut als nichts; nur einige versprengte Broschüren, die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen mir in die Hände.

Es zeigt sich in dem Kampf gegen Sie eine gründliche Niederträchtigkeit, eine recht gesunde Niederträchtigkeit, ich begreife gar nicht, wie wir noch so natürlich sein können! Und Menzels Hohn über die politischen Narren in den deutschen Festungen – und das von Leuten! mein Gott, ich könnte Ihnen übrigens erbauliche Geschichten erzählen.

Es hat mich im Tiefsten empört; meine armen Freunde! Glauben Sie nicht, daß Menzel nächstens eine Professur in München erhält?

Übrigens; um aufrichtig zu sein, Sie und Ihre Freunde scheinen mir nicht grade den klügsten Weg gegangen zu sein. Die Gesellschaft mittels der Idee, von der gebildeten Klasse aus reformieren? Unmöglich! Unsere Zeit ist rein materiell, wären Sie je direkter politisch zu Werke gegangen, so wären Sie bald auf den Punkt gekommen, wo die Reform von selbst aufgehört hätte. Sie werden nie über den Riß zwischen der gebildeten und ungebildeten Gesellschaft hinauskommen.

Ich habe mich überzeugt, die gebildete und wohlhabende Minorität, so viel Konzessionen sie auch von der Gewalt für sich begehrt, wird nie ihr spitzes Verhältnis zur großen Klasse aufgeben wollen. Und die große Klasse selbst? Für die gibt es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsre Zeit braucht Eisen und Brot – und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß in sozialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volk suchen und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben desselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann.

Sie erhalten hierbei ein Bändchen Gedichte von meinem Freunde Stöber. Die Sagen sind schön, aber ich bin kein Verehrer der Manier à la Schwab und Uhland und der Partei, die immer rückwärts ins Mittelalter greift, weil sie in der Gegenwart keinen Platz ausfüllen kann. Doch ist mir das Büchlein lieb; sollten Sie nichts Günstigeres darüber zu sagen wissen, so bitte ich Sie, lieber zu schweigen. Ich habe mich ganz hier in das Land hineingelebt; die Vogesen sind ein Gebirg, das ich liebe, wie eine Mutter, ich kenne jede Bergspitze und jedes Tal und die alten Sagen sind so originell und heimlich und die beiden Stöber sind alte Freunde, mit denen ich zum erstenmal das Gebirg durchstrich. Adolph hat unstreitig Talent, auch wird Ihnen sein Name durch den Musenalmanach bekannt sein. August steht ihm nach, doch ist er gewandt in der Sprache.

Die Sache ist nicht ohne Bedeutung für das Elsaß, sie ist einer von den seltnen Versuchen, die noch manche Elsässer machen, um die deutsche Nationalität Frankreich gegenüber zu wahren und wenigstens das geistige Band zwischen ihnen und dem Vaterland nicht reißen zu lassen. Es wäre traurig, wenn das Münster einmal ganz auf fremdem Boden stände. Die Absicht, welche zum Teil das Büchlein erstehen ließ, würde sehr gefördert werden, wenn das Unternehmen in Deutschland Anerkennung fände und von der Seite empfehle ich es Ihnen besonders.

Ich werde ganz dumm in dem Studium der Philosophie; ich lerne die Armseligkeit des menschlichen Geistes wieder von einer neuen Seite kennen. Meinetwegen! Wenn man sich nur einbilden könnte, die Löcher in unsern Hosen seien Palastfenster, so könnte man schon wie ein König leben; so aber friert man erbärmlich.«

Dies Ganze ist die Zusammensetzung zweier Briefe; der letzte Teil ist älter als der erste. Der Umzug nach Zürich brachte eine momentane Störung hervor. Die Habilitation beschäftigte Büchner, der übermäßig arbeitete; ich drang auf keine Nachrichten, weil ich hoffte, die Zürcher Niederlassung würde gute Wege haben. Inzwischen erkrankte Büchner und starb.

Beweisen nicht schon diese von mir mitgeteilten Brieffragmente, um welch einen reichen Geist mit ihm unsre Nation gekommen ist? Alles, was er berührte, wußte er in eine bedeutsame Form zu gießen. Er hatte die Rede und den Gedanken stets in gleicher Gewalt und wußte mit einer an jungen Gelehrten so seltenen Besonnenheit, seine Ideen abzurunden und zu kristallisieren. Seine Inaugurationsabhandlung wird als ein seltener Beleg von Gelehrsamkeit und Scharfsinn gerühmt. Büchner würde, wie Schiller, seine Dichterkraft durch die Philosophie geregelt und in der Philosophie mit der Freiheitsfackel des Dichters die dunkelsten Gedankenregionen gelichtet haben. Alle diese Hoffnungen knickte der Sturm. Ein frühes Grab war der Punkt, in welchem sich all die frischen, kühnen Perioden, die wir von einem Jünglinge in diesen Mitteilungen gelesen haben, enden sollten. Zu dem Trotze, der aus diesem Charakter sprach, lachte der Tod. Der Friedensbogen, der sich über diese gährende Kampfes- und Lebenslust zog, war die Sense des Schnitters, von welcher so frühe gemäht zu werden, uns schmerzlich und fast mit einem gerechten Scheine die Unbill des Schicksals anklagen läßt. Könnt' ich diese Erinnerungsworte ansehen, als in Stein und nicht in Sand gegraben, daß sie vom Winde nicht verweht werden! Könnt' ich in künftigen Darstellungen unsrer Zeit, wie sie war, rang, litt und hoffte, wenigstens den Namen: Georg Büchner in der Zahl derjenigen, welche durch ihr Leben und ihr Arbeiten die Entwicklung unserer Übergangsperiode bezeichnen, dauernd und mit goldnem Scheine erhalten! Wenn diese Flut der Vergessenheit über uns alle kommt, möcht' er einer der ersten sein, von welchen, wenn der Zorn Gottes verronnen ist, wieder ein grünes Blatt die Friedenstaube in die Arche der dann entscheidenden Gerechtigkeit trägt!

Die schönste Belohnung, die ich für diesen Nachruf erhalten konnte, waren die saubern Abschriften des poetischen Nachlasses Büchners von der Hand seiner Geliebten. Es ist ein vollendetes Lustspiel Leonce und Lena, in der Weise des Ponce de Leon von Brentano. Sodann das Fragment des Lenz und ein Heft von Briefen, die ohne Absicht geschrieben und doch voll künstlerischen und poetischen Wertes sind. Es findet sich wohl Gelegenheit, einen dieser Schätze nach dem andern bekannt zu machen.

Über Leonce und Lena. Ein Lustspiel von Georg Büchner.

Ich habe das Versprechen gegeben, einige der von Georg Büchner noch vorhandenen poetischen Reliquien zu veröffentlichen. Das Lustspiel Leonce und Lena erinnert stark an Ponce de Leon von Clemens Brentano; derselbe zarte Elfenmärchenton, dasselbe bühnenwidrige Mondscheinflimmern der Charakteristik, dasselbe lyrische Übergewicht der Worte über die Handlung; nur ist Brentanos Witz keuscher als Büchners. Büchner war derb in seinen Anspielungen und die politischen darunter kennt Brentano gar nicht. Auch dieses kleine Lustspiel ist wie Dantons Tod von G. Büchner nur ein schnell hingeworfener Versuch und würde, wenn man es ganz veröffentlichen wollte und – dürfte, nur die Hoffnungen andeuten, die man auf des jungen Dichters Zukunft setzen konnte. Ich will, indem ich den einfachen Gang des kleinen idyllischen Lustspiels verfolge, sehen, ob sich eine oder die andre Szene im Zusammenhang wiedergeben läßt...

Das ist Georg Büchners Leonce und Lena! Unsre grassierenden Bühnendichter könnten ruhig schlafen, selbst wenn der Dichter noch lebte; er würde ihnen keinen Schaden zugefügt haben! Das Ganze ist ein Hauch, ein Klang; es duftet und läutet, aber »Mise en Scene« ist damit nicht möglich, selbst wenn A. Lewald käme. Erreichte Büchner auch nicht die klassische Höhe eines Angely, eines Nestroy, so haben wir doch in ihm ein bescheidenes Talentchen entdeckt, welches allenfalls mit untergeordneten Kräften, etwa mit Achim von Arnim und mit Clemens Brentano verglichen werden dürfte!

Über Lenz. Eine Reliquie von Georg Büchner.

In meinem Buche: »Götter, Helden, Don Quixote,« und im »Konversationslexikon der Gegenwart« findet man die Lebensmomente eines Dichters erzählt, der unsern Lesern auch aus den sinnigen Bruchstücken des folgenden Lustspiels Leonce und Lena lieb werden wird. Hier teilen wir eine andere Dichtung dieses zu früh gestorbenen Genies mit. Sie hat den Straßburger Aufenthalt des bekannten Dichters der Sturm- und Drangperiode, Lenz, zum Vorwurf und beruht auf authentischen Erkundigungen, die Büchner an Ort und Stelle über ihn eingezogen hatte. Leider ist die Novelle Fragment geblieben. Wir würden Anstand nehmen, sie in dieser Gestalt mitzuteilen, wenn sie nicht Berichte über Lenz enthielte, die für viele unsrer Leser überraschend sein werden. Sollte man glauben, daß Lenz, Mitglied einer als frivol und transzendent bezeichneten Literaturrichtung, je in Beziehung gestanden hat zu dem durch seine pietistische Frömmigkeit bekannten Pfarrer Oberlin in Steinthal, von dem Steffens in seinem sonst so verwerflichen Romane: die Revolution, ein nicht mißlungenes Bild gegeben hat? Büchner hat alles, was auf dieses Verhältnis Bezug hat, glaubwürdigen Familienpapieren entnommen. Lassen wir seine meisterhafte Darstellung des halbwahnsinnigen Dichters beginnen ...

Bis hierher reicht Büchners Darstellung. Leider ist es uns in ganz Hamburg unmöglich die Tieck'sche Einleitung zu Lenzens Schriften aufzutreiben und zu vergleichen, wo sich dies Bruchstück aus dem Leben des Dichters den über ihn bekannten Tatsachen erklärend und ergänzend anreiht. In Betreff Georg Büchners aber wird man einräumen, daß diese Probe seines Genies aufs neue bestätigt, was wir mit seinem Tod an ihm verloren haben. Welche Naturschilderungen; welche Seelenmalerei! Wie weiß der Dichter die feinsten Nervenzustände eines, im Poetischen wenigstens, ihm verwandten Gemüts zu belauschen! Da ist alles mitempfunden, aller Seelenschmerz mitdurchdrungen; wir müssen erstaunen über eine solche Anatomie der Lebens- und Gemütsstörung. G. Büchner offenbart in dieser Reliquie eine reproduktive Phantasie, wie uns eine solche selbst bei Jean Paul nicht so rein, durchsichtig und wahr entgegentritt. Wir möchten den Verf. des Büchner'schen Nekrologs im »Konversationslexikon der Gegenwart« fragen, ob er nach Mitteilung dieses Lenz nun noch glaubt, daß wir die Gaben des zu früh Dahingegangenen überschätzten?

Späte Erinnerung an Georg Büchner

Am selben Tage hatte mir ein Flüchtling, ein Gießener Student, Georg Büchner, aus Straßburg ein Manuskript geschickt. Es war jenes an witzigen Einfällen und charakteristisch wiedergegebenen Momenten der französischen Revolution beachtenswerte Drama: »Dantons Tod«. Der gleichfalls anwesende Buchhändler J. D. Sauerländer erbot sich sofort, es zu verlegen und schickte dem von allen Mitteln entblößten, von seinem Vater zur Strafe für seine politische Gesinnung sich selbst überlassenen jungen Mann, der später in Zürich ein vielversprechender Physiolog wurde und allzufrühe starb, hundert Gulden als Honorar.


 << zurück weiter >>