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Julian Schmidt über »Die Ritter vom Geist« von Karl Gutzkow

Roman in 9 Büchern von Karl Gutzkow. Zweite Auflage. Leipzig, Brockhaus.

Ein Roman, dessen Umfang beinahe die Größe des Konversationslexikons erreicht, scheint der Kritik unübersteigliche Hindernisse zu bieten. Schon die Kunstform des Romans an sich ist weniger auf bestimmte Gesetze zurückzuführen, als das Drama, weil die Wirkung des letzteren auf einen bestimmten Moment berechnet sein muß, und daher eine strenge Ökonomie in den Mitteln, eine sichere Technik, eine energische Konsequenz des Plans, eine vollkommene Durchsichtigkeit der Charaktere erfordert, während der für die Lektüre geschriebene Roman, mit dem der Leser nach seiner Bequemlichkeit umgehen kann, eine größere Mannigfaltigkeit und Freiheit gestattet. Wenn vollends der Umfang so groß ist, daß man nur mit einiger Mühe die verschiedenen Fäden im Gedächtnis behalten kann, welche die Handlung miteinander verknüpfen, so sollte man meinen, daß eine Form, für die man kein Maß finden kann, sich auch dem Urteil entziehen müsse.

Allein die eigentümliche Art, in der Gutzkow produziert, erleichtert der Kritik das Geschäft. Gutzkow ist ein Reflexions- und Verstandesdichter, der nicht von den Eindrücken der Tatsachen überwältigt oder von der Macht des Gefühls fortgerissen wird, sondern überall mit sehr bewußten Intentionen an seine Arbeit geht. Diese Intentionen kann man auffinden und an ihnen den Wert der Ausführung prüfen.

Wir haben beim Erscheinen des ersten Bandes vorzugsweise auf die Vorrede aufmerksam gemacht. Der marktschreierische Ton, den Gutzkow jedesmal anstimmt, sobald er sich auf ein neues Genre legt, weil er jedesmal die Überzeugung hat, der Erfinder dieses Genre zu sein, ging in ihr so über alles Maß, daß er für das Kunstwerk das Schlimmste befürchten ließ. Gutzkow versprach eine Totalanschauung von dem Ganzen des Menschengeschlechts zu geben, oder wenigstens von den Fragen und Zerwürfnissen der Gegenwart in sämtlichen Gebieten des Denkens und des Lebens. Wir hielten eine solche Totalanschauung für einen Widerspruch gegen den Begriff der Kunst, und ihre Ausführung nur unter der Bedingung für möglich, daß man die bestimmten endlichen, konkreten Erscheinungen zu unbestimmten, physiognomielosen Allgemeinheiten verflüchtigt; daß man die Individualitäten nach symbolischen Gesichtspunkten auseinanderreißt, und die Ideen in unvollkommenen Trägern, in schlechten Individualitäten untergehen läßt. Die nachfolgende Exposition möge zeigen, ob wir uns in dieser Voraussetzung geirrt haben.

Um in die fast unübersehbare Masse der Figuren und Ereignisse einige Form und Perspektive zu bringen, hat Gutzkow die Hauptintrigen, auf welche sich die Aufmerksamkeit des Lesers konzentrieren soll, mit übertrieben starken Strichen angedeutet. Er mußte es tun, weil eine durch die verschiedensten Abwege zerstreute Aufmerksamkeit von Zeit zu Zeit einige recht derbe Paukenschläge verlangt, um sich rege zu erhalten; aber er hätte es nicht nötig gehabt, wenn er sich in seinen Absichten beschränkt, oder wenigstens das vollständig Überflüssige ausgemerzt hätte.

Gutzkow hat nicht das anmutig naive, liebenswürdige Talent der gleichzeitigen Romanschreiber, bei denen es auf die Komposition des Ganzen weniger ankommt, weil sie uns für das, was sie unmittelbar bieten, hinlänglich interessieren, ohne daß wir nötig hätten, über die tiefere Bedeutung nachzudenken.

Dickens z. B. erzählt uns in den Pickwickiern eine lange Geschichte ohne alle Gliederung und fast ohne allen Zusammenhang, aber alles Einzelne ist so reizend und schön, daß wir diesen Mangel kaum fühlen, und trotz der großen Länge des Werks betrübt sind, wenn es zu Ende ist. Er hat so viel unbefangene Freude an dem, was er gibt, und so viel Grund zu dieser Freude; eine so wohlwollende Natur, und ein so scharfes Auge für alle komischen und erhebenden Seiten des Menschenlebens, eine solche Fülle des Gemüts und der Phantasie, daß wir mit derselben Aufmerksamkeit lauschen, wie den Plaudereien eines naiven Erzählers, der auch das Unbedeutende durch lebendige Natürlichkeit, warmes Gefühl und gute Laune zu idealisieren versteht. – Eine solche Befriedigung ist bei Gutzkow nicht zu finden. Sein Talent ist durchaus analytisch, nicht synthetisch; seine Gestalten gehen ihm nicht unmittelbar auf, mit jener innern Notwendigkeit, die auch den ungläubigsten Kritiker sofort überzeugt, sondern er erfindet sie, nach bestimmten Absichten oder nach zufälligen Eindrücken; er hat keine Liebe für sie, denn sie haben keine Existenz für sich, sie sind nur dazu da, seinen eigenen Geist zu zwecklosem Sprühfeuer anzuregen, und noch ehe er sein mechanisches Kunststück zu Ende gemacht hat, ist er schon beschäftigt, es wieder aufzulösen. Er fängt die Darstellung eines Charakters mit der besten Intention an, aber kaum hat er ihn einige Worte reden lassen, so reflektiert er schon über ihn, bringt ihn in Beziehung zu allgemeinen Fragen, hadert mit ihm, entschuldigt und lobt ihn, noch ehe der Leser einiges Interesse, geschweige ein bestimmtes Bild von ihm gewonnen hat. Jener Unglaube in Beziehung auf die allgemeinen Fragen des Lebens, der sich alle Augenblicke durch fliegende Hitze, durch einen künstlich erzeugten Rausch von sich selber zu befreien sucht, um dann sofort wieder in trübe, ironische Nüchternheit zu verfallen, zeigt sich auch in der Schöpfung seiner Gestalten. Eine ganz sonderbare psychologische Gedankenverbindung kann man fast bei jeder seiner idealen Figuren verfolgen. Zuerst Entzücken über die werdende Größe des Helden, dann plötzlich halb wider Willen, aus innerer Verstimmung hervorgehend, einzelne gemeine, rohe Züge, in Folge dieser ihn selbst überraschenden Einfälle die Empfindung: es sei doch eigentlich nur ein Lump! und endlich der halb faunische, halb weltschmerzliche Trost: wir sind ja alle sterbliche Menschen! – An solchen Einfällen kann man keine unmittelbare Freude haben, man kann sich weder über sie belustigen, noch sich für sie begeistern, und der Wert eines Romans, der sich ausschließlich in ähnlichen Figuren bewegt, kann nur in der Beziehung auf eine bestimmte Tendenz, in der Komposition des Ganzen gesucht werden.

Ähnlich verhält es sich mit den Geschichten, die Gutzkow erzählt. Die naiven Romanschreiber, z. B. Dumas, sind unermüdlich in der Erfindung spannender Ereignisse, die uns zwar nicht belehren, aber unterhalten. – Eine solche Naivität des Erzählens ist für Gutzkow unmöglich, weil er eine wesentlich reflektierende Natur ist. Ihn interessiert kein Factum, an welches sich nicht allgemeine Gedanken, psychologisch ausgearbeitete Stimmungen, tiefere Gefühle anknüpfen lassen. Jedes Ereignis muß ihm eine symbolische Bedeutung haben. Allein bei diesem lobenswerten Bestreben vergißt er fast regelmäßig, daß die Mittel mit den Zwecken in einem innern Zusammenhang stehen müssen. Er läßt z. B. einen seiner Helden ausgehen, nachdem dieser sich mit »gentlemanliker« Entschiedenheit angekleidet hat; die Straßen, durch die er kommt, gewinnen eine ganz eigentümliche Physiognomie; er knüpft landschaftliche, vielleicht auch staatsökonomische Betrachtungen daran. Dann geht er weiter, und begegnet einem Freund, den er lange nicht gesehen hat; dieser Freund ist z. B. ein Maler; sie vertiefen sich in Gespräche über Kunst und Literatur. Der Maler entfernt sich, und unser Held, durch irgend etwas angeregt, erhebt sich zu gewaltigen Plänen über politische Verbesserungen. Im Weitergehen verliert er den Mut, und brütet über weltschmerzlichen Vorstellungen, bis er dieselben zu einem lyrischen Gedicht abklärt. Dann kommt wieder ein anderer guter Freund, und fordert ihn auf, etwa in die Reiterbude zu kommen, oder auf den Fortunaball; eigentlich war der Zweck seines Ausgehens irgendein wichtiges Geschäft, und diesem entsprechend die Stimmung, in der wir ihn zuerst antrafen, aber das hat er über den vielen Abenteuern, die ihm widerfahren, wieder vergessen, er folgt seinem Freunde in die Reiterbude, oder tut doch irgend etwas anderes. – Solche Geschichten ohne Pointen, solche Widersprüche gegen die leitende Stimmung erfüllen fast das ganze Buch. Der Dichter will überall seine Empfindungen über den Zustand des Menschengeschlechts, seine politischen und ästhetischen Raisonnements, seine landschaftlichen Anschauungen u. dergl. anbringen, und da im gewöhnlichen Leben dergleichen auf einem Spaziergange alles zusammentreffen kann, so glaubt er, es sich auch im Roman so bequem machen zu dürfen. Aber die Kunst hat andere Gesetze; in ihr muß jede Stimmung, jede Anschauung auch der unbeseelten Natur, jedes Gefühl und jedes Raisonnement aus dem jedesmaligen geistigen Inhalt der Situation hervorgehen. Unnützes Retardieren, auch wenn es zu geistreichen Einfällen Gelegenheit gibt, ermüdet, verstimmt und langweilt. In der Kunst des Retardierens ist aber Gutzkow wunderbar zu Hause. Nicht bloß im Anfang des Romans, wo eine langsame und zögernde Abwicklung der Handlung notwendig ist, um die verschiedenen Verhältnisse und Charaktere, die uns beschäftigen sollen, deutlich zu machen, sondern bis zum Ende hin, wo man schon längst alle Geduld verloren hat. Dagegen versteht er es ebensogut, da, wo man eine genaue und gründliche Entwicklung in den Charakteren und in den Situationen, über die wir Aufklärung zu erwarten berechtigt sind, mit Stillschweigen zu übergehen. – Wir kommen auf alles dieses noch im einzelnen zurück; zunächst suchen wir uns die Anlage des Ganzen klar zu machen. –

Bei der Totalanschauung der Gegenwart darf natürlich die Politik nicht fehlen. Politische Reflexionen und politische Ereignisse spielen eine große Rolle im Roman. Wir müssen uns, um diese richtig zu würdigen, zuerst nach Ort und Zeit umsehen.

Nach einigen vorläufigen, in Jean Paul'scher Manier gehaltenen Genrebildern von fürstlichen Landschlössern und abgelegenen Hofhaltungen erfahren wir bald, daß der preußische Hof der Mittelpunkt der Ereignisse ist. Gutzkow führt eine Reihe von Persönlichkeiten ein, die sich, trotz ihrer leichten Maske, augenblicklich als bekannte historische Größen ankündigen. So tritt der König und die Königin auf, der Prinz von Preußen (als Prinz Ottokar), der General Radowitz (General Voland von der Hahnenfeder), Prokesch-Osten (genannt Rochus vom Westen), der Hofmaler Krüger, Kroll mit seinem Etablissement und viele andere. Das ist eine Manier, die in den letzten Jahren vielfach angewendet ist, die aber die strengste Rüge verdient. Teils will es sich der Dichter bequem machen, indem er seine Unfähigkeit, plastische Gestalten zu zeichnen, hinter alten bekannten Gemälden versteckt, die er mit leichter Mühe auf seine Wand anklebt, teils will er auf die Neugierde des Publikums spekulieren, das, wenn es einmal ein bekanntes Gesicht entdeckt hat, sich nun bei jeder Maske den Kopf zerbricht, wer wohl dahinter stecken möchte. Es erwartet geheime Aufschlüsse über die Skandalgeschichte der Zeit, und wenn z. B. von einem Propst Gelbsattel, der beim preußischen Hofe gut akkreditiert ist, oder von einer Geheimrätin von Harder, die das ganze preußische Ministerium in ihrem Strickbeutel trägt, die skandalösesten Geschichten erzählt werden, so fragt sich das Publikum natürlich: sollte nicht etwas Wahres dahinter sein? sollte nicht dieser oder jener wohlbekannte Präsident, dieser oder jener Konsistorialrat wirklich in seinem Privatleben schwache Stunden gehabt haben? Natürlich täuscht es sich in dieser Vermutung; mit Ausnahme von einigen bekannten Charakterzügen, von Radowitz u.s.w., die man ebensogut bei Laube und anderen nachlesen kann, ist alles Erfindung; aber der Dichter hat seinen Zweck erreicht, er hat durch seine Rebusse die Neugier des Publikums rege gemacht, und diese Zutat gibt seinen Erfindungen jenen pikanten Beigeschmack, ohne den sie sonst ungenießbar sein würden. Gutzkow hat sogar sorgfältig bei seinen historischen Persönlichkeiten einzelne Züge angebracht, die nicht auf sie passen können, um sich nach allen Seiten hin sicher zu stellen; er hat die hochgestellten Personen, auch wo er auf sie stichelt, mit jener Schonung behandelt, die heutzutage unvermeidlich ist, die aber auch jede ernste, große Auffassung unmöglich macht. Durch diese Methode wird einerseits die Geschichte entstellt, andererseits die Kunst, denn aus einzelnen Anekdoten und Charakterzügen geht kein lebendiger Charakter hervor. Wo man historische Persönlichkeiten künstlerisch nachschaffen will, muß man, wie W. Scott, aus vollem Holze schneiden dürfen.

Eine Geschichte der Revolution von 1848, mit genauer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Zustände, zu schreiben, wäre eine sehr dankbare Aufgabe, wenn auch nicht gerade jetzt; aber an sehr ernsthafte, tragische und fratzenhafte Kollisionen, an denen wir noch heute bis in unser innerstes Mark leiden, einen der Wirklichkeit widersprechenden Roman anzuknüpfen, bei dem man vergebens nach Absicht und Zweck fragt, ist doch wohl ein ebenso frevelhafter als ungeschickter Einfall.

Dieser politische Inhalt des Romans ist folgender. Wir finden uns ungefähr in den Zeiten des Ministeriums Hansemann; wenigstens wird das Ministerium ein bürgerliches, vom Hof, wie von der Demokratie verachtetes genannt. Freilich wollen manche von den geschilderten Zuständen nicht in diese Zeit passen. Von der Existenz einer Straßendemokratie ist nicht die Rede, in allen Gesellschaften und Ständen ist vielmehr der Reubund (Treubund) übermächtig. Noch steht es aber so, daß eine opponierende Majorität in der Nationalversammlung die Regierung stürzen kann. Das Ministerium macht die Frage: ob ein Minister das Recht hat, in der Kammer das Wort zu jeder Zeit zu ergreifen, zu einer Kabinettsfrage, bleibt mit einigen zwanzig Stimmen in der Minorität und tritt infolgedessen ab. Der König erhebt einen Fürsten Egon von Hohenberg, den Sohn eines berühmten Feldmarschalls, zum Ministerpräsidenten. Dieser geistreiche junge Mann' hat einige Jahre in Paris als Tischlergeselle gelebt und von diesem Aufenthalt sozialistisch-demokratische Grundsätze, freilich mit stark aristokratisch-monarchischem Beigeschmack, mitgebracht. Er stimmte bisher in der Kammer mit der Opposition, und sein nächster Umgang war ein sozialistischer Gesell aus Paris, Louis Armand, und ein demokratischer Referendarius, Dankmar Wildungen, die späteren Gründer des Ordens vom Geist. Man erwartet anfangs, daß er diese in sein neues Ministerium berufen wird, welches sich die Aufgabe stellt, einen neuen Staat auf Grundlage der Arbeit zu gründen; statt dessen bietet er die Portefeuilles dem General Voland-Radowitz, dem Probst Gelbsattel und – sonderbare Zusammenstellung! – einem starklungigen Heidekrüger (Schenkwirt), namens Justus, an. Diese Kombination scheitert; über die wirklichen Mitglieder des Ministeriums erhalten wir keinen nähern Aufschluß. Genug, Egon fängt damit an, die Kammer aufzulösen, beruft eine neue, die er augenblicklich wieder nach Hause schickt, oktroyiert ein neues Wahlgesetz, weist alle verdächtige Individuen aus Berlin und den preußischen Staaten aus, seine ehemaligen Freunde voran, führt ein geschärftes Polizeisystem ein, ordnet Verhaftungen im großartigsten Maßstabe an, übt eine höchst bedenkliche Kabinettsjustiz, läßt bei ganz unpassenden Gelegenheiten unter das Volk schießen usw. usw., bis ihm endlich die Ideen des Hofs doch zu reaktionär werden. Als der Hof die Majorate wieder einführen will, nimmt er seinen Abschied, versöhnt sich mit den »Rittern vom Geist«, erklärt feierlich, wie einem malcontenten Staatsmann, dessen Dienste man verkannt hat, geziemt, er habe jetzt eingesehen, daß mit der Monarchie nichts mehr anzufangen sei, und reist mit seiner jungen Frau nach Italien, von den Segenswünschen der jungen Republikaner begleitet.

Was soll diese sonderbare Erfindung? Wir wissen doch sehr genau, daß nicht ein geistreicher, sozialistisch-aristokratischer junger Prinz, dem die Fülle seiner Ideen über den Kopf wuchs, sondern daß zwei sehr nüchterne, praktische, solide Geschäftsmänner, denen man alles andere eher vorwerfen kann, als eine Überfülle von Ideen, in Preußen die Demokratie zu Paaren getrieben haben. Herr von Manteuffel wird über den wunderlichen Heiligen, der die Verantwortlichkeit der »rettenden Taten« tragen soll, ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken können. Durch diese Einmischung willkürlicher Fiktionen in die Darstellung wirklicher Ereignisse wird der politischen Satire die Spitze abgebrochen. Denn wenn auch Herr von Manteuffel das meiste von dem wirklich ausgeführt hat, was hier dem Prinzen Egon zugeschrieben wird, so hat er es doch aus anderen Gründen getan. Wenn er die Demagogen auswies, so hatte er nicht nötig, mit dieser Maßregel seine alten persönlichen Freunde zu treffen, und wenn er für die Interessen des Hofes arbeitete, so opferte er dabei nicht höhere Zwecke auf. Die Ironie fällt also auf den Dichter und seine Helden zurück. So wie Egon würden im betreffenden Fall seine sämtlichen »Ritter vom Geist« gehandelt haben, denn nichts macht so despotisch, als die Einbildung eines höhern Berufs, verbunden mit Unklarheit über die Bestimmtheiten dieses Berufs.

Und Gutzkow ist dabei keineswegs ohne Talent für die Satire. Er hat, und das ist vielleicht das Hauptverdienst dieses Buches, ein sehr scharfes Auge für die kleinen Niederträchtigkeiten, in die hohle Charaktere leicht verfallen, wenn sie auf einen unangemessenen Standpunkt gestellt werden. So sind einzelne Bemerkungen über den Reubund, die innere Mission, die kleinen geistreichen Zirkel bei Hofe etc. ganz vortrefflich, aber es bleibt auch bei diesen einzelnen Einfällen; dem Schlechten auf den Grund zu gehen und es in seiner Wurzel aufzuzeigen, hat Gutzkow zu wenig Energie und zu wenig Aufrichtigkeit gegen sich selbst. Daher widerfährt es ihm alle Augenblicke, daß er mit seiner Satire gegen Windmühlen ankämpft, daß er Zustände angreift, die nirgend anders existieren, als in seinem eigenen Kopfe.

Ein eklatantes Beispiel, wie unklar er über die sittlichen Voraussetzungen der Gesellschaft ist, die er in ihrer Totalität darzustellen unternimmt, möchte folgender Zug sein, der einen der Knotenpunkte seiner Intrige bildet. Ein gewisser Hackert, ein Schreiber, ist in das Fräulein Melanie, die Tochter des Justizrats Schlurk, verliebt, mit der er zusammen erzogen ist. Man hat das Verhältnis für unpassend gefunden und ihn aus dem Hause entfernt. Eines Morgens bemerkt ihn Melanie, die eben in Gesellschaft des Stallmeisters Lasally ausreitet, im Garten. »Da ist schon wieder dieser häßliche Mensch«, ruft sie ihm zu. Augenblicklich springt Lasally auf ihn los, läßt ihn von seinen Knechten zu Boden werfen, von den Hunden zerfleischen, stößt ihm mit seinen Spornen in den Nacken und läßt ihn so lange blutig peitschen, bis er leblos liegen bleibt. Nach unsren gewöhnlichen Vorstellungen würde das ein Kriminalfall sein und der Herr Lasally auf einige Jahre ins Zuchthaus kommen; aber das fällt weder Lasally, noch Melanie, noch Hackert, noch dem Dichter selbst ein. Melanie ist es zwar unangenehm, daß ihr alter Jugendfreund so mißhandelt wird, und Hackert sucht sich auf eine merkwürdige Weise zu rächen, indem er dem Stallmeister ein Paar Pferde verdirbt, aber als dieser ihn wegen dieser Untat den Gerichten überliefern will, kriecht er demütig zu Kreuz. Was sind das alles für unsinnige Voraussetzungen! Und diese sittlichen Voraussetzungen sind doch wesentlich, um danach die Handlung zu beurteilen. Eine Gesellschaft, in der von einem solchen Verbrechen nichts weiter gesagt würde, als: »Dieser Lasally ist doch ein recht roher Mensch«, widerspricht allen demokratischen und ästhetischen Finessen, die bei der spätem Handlung zum Vorschein kommen.

Wenn die materiellen Voraussetzungen falsch sind, so kann es mit den Reflexionen darüber auch nicht viel besser bestellt sein. Gutzkow hat für seine politischen Raisonnements, die etwa ein Drittel des Werks ausmachen, die Form gewählt, die durch Radowitz in seinen »Unterredungen über Staat und Kirche« der feinen Welt zugänglich gemacht ist. Es sind Disputationen, in denen die verschiedenartigsten politischen Standpunkte sich gegeneinander aussprechen, ohne daß diese Dialektik ein Resultat hätte. Gutzkow hat mehr Mühe darauf verwendet, in den Ansichten der verschiedenen Personen eine gewisse Einheit festzuhalten, als in ihren Charakteren. Allein bei Radowitz wurde die Aufmerksamkeit des Publikums nicht sowohl durch den objektiven Wert des politischen Raisonnements gefesselt, als durch die Neugierde, zu erfahren, was für Ansichten eigentlich der in den letzten Jahren so einflußreiche Mann selber habe. Bei Gutzkow fällt dieses Interesse weg. Ferner hatte sich Radowitz bemüht, so gut es gehen wollte, von den verschiedenen großen Parteien der Politik die charakteristischen Repräsentanten auszuwählen und in jedem einzelnen ein Totalbild von den Voraussetzungen Vorurteilen, Hoffnungen und Kräften seiner Partei zu geben. Bei Gutzkow dagegen haben wir es eigentlich, so sehr auch die Ansichten auseinander gehen, immer nur mit einer einzelnen Klasse zu tun: junge strebsame Männer, die vor allem darauf ausgehen, ihren eigenen Geist leuchten zu lassen, einer belletristischen Clique von Dilettanten. Zwar kokettiert der eine mit dem Sozialismus, der andere mit der Republik, der dritte mit dem absoluten Staat etc.; das sind aber alles nur Masken. Die verschiedenen Klassen der Gesellschaft, die eigentliche Basis der Parteien, treten nicht in ihrer Reinheit auf. Ein Prinz von Hohenberg, der nicht bloß in Paris ein Handwerk treibt, sondern auch in seinem eigenen Schlosse sich mit Tischlergesellen und Referendarien duzt und mit ihnen zu Tische sitzt, während eine Reihe galonnierter Bedienten dahinterstehen und aufwarten, ist kein wirklicher Repräsentant der Aristokratie, ebensowenig wie der Handwerker, der sich mit dem Fürsten duzt, mit ihm Champagner trinkt und philosophiert, ein Repräsentant der Demokratie; es sind das alles jungdeutsche Literaten, die sich der Abwechslung wegen als Handwerker und Prinzen verkleidet haben, die aber nicht verfehlen, ihr feines Taschentuch aus der Bluse hervorsehn zu lassen, und die hinter dem Ordensband ein Manuskript verstecken, das sie dem Buchhändler überreichen sollen. Bei dieser Durcheinanderwirrung der natürlich geschiedenen Gegensätze können sich auch die politischen Ansichten weder in den Personen, noch in den Ideen zur Totalität gestalten, denn politische Überzeugung ist undenkbar ohne energischen Haß, und in dieser unbeschäftigten Literatengesellschaft neutralisieren sich alle Gegensätze. Am besten sind daher diejenigen politischen Ansichten geschildert, welche als ganz außerhalb des Rittertums vom Geist liegend betrachtet und daher rein satirisch behandelt werden, z. B. die Staatsphilosophie eines Epikureers; am schlechtesten diejenigen Parteien, die in ihrem Streben zu ernst sind, um mit Esprit aufzutreten, so namentlich die Bourgeoisie, die Doctrinairs, das Juste milieu, das konstitutionelle Prinzip überhaupt, auf welche alle landüblichen Schimpfwörter des Kladderadatsch und der Kreuzzeitung zusammengehäuft werden.

Dies ist wahrscheinlich auch der Grund gewesen, daß die Demokratie sich eine Zeitlang schmeichelte, das Werk sei zu ihrer eigenen Verherrlichung geschrieben; wenigstens drückte sich einmal die Nationalzeitung so aus. Wir müssen gestehen, daß wir eigentlich doch immer von der Demokratie eine bessere Meinung gehabt haben. Wir schrieben zwar nicht der Demokratie im allgemeinen, aber doch wenigstens dem politischen Teil derselben eine Art von Organisation, eine gewisse Konformität in den Ansichten und Bestrebungen zu; wir glaubten, daß die Demokratie nur wartete, daß ihren Führern das Portefeuille übertragen würde, um dann sofort mit allen ihren Verbesserungen des Staatslebens vorzuschreiten. Von einer solchen geschlossenen Ansicht ist aber bei den Rittern vom Geist keine Rede. Sie haben nur das eine gemeinsam, daß sie alle strebsam sind, geistreich und abgeneigt gegen den Despotismus; im übrigen aber gehen sie in ihren Ansichten so weit auseinander, daß auch der wohlwollendste König oder das wohlwollendste souveräne Volk nicht im Stande wäre, aus ihnen ein Kabinett zusammenzusetzen. Wir glauben nicht, daß sich die Demokratie ein besonders vorteilhaftes Zeugnis ausstellt, wenn sie ihr Prinzip mit dem Suchen eines Prinzips identifiziert, denn bloß strebsame Gemüter ohne einen positiven Inhalt haben nicht das Recht, die Regel umzustoßen, die bis auf weiteres die verwickelten Verhältnisse der Gesellschaft zusammenhalten muß.

Neben diesen politischen Raisonnements gehen Reflexionen über Kunst, über Philosophie, über Landwirtschaft, Finanzsystem, Gewerbe und Handwerk, Handelspolitik, Justiz u. s. w. Gutzkow hat sich die Mühe gegeben, von allen diesen verschiedenen Branchen eine gewisse Anzahl technischer Ausdrücke zu memorieren, die er auf dieselbe Weise bei passenden und unpassenden Gelegenheiten anbringt, wie er es Herrn von Radowitz vorwirft. Diese technischen Ausdrücke machen zuweilen ein Geklapper, daß man darüber den Sinn vollständig überhört; aber in keiner einzigen Branche hat es der Dichter zu jener sichern und vollständigen Kenntnis gebracht, die geeignet wäre, seine Unbefangenheit wieder herzustellen. Er hätte sich an den englischen Romanschreibern ein Muster nehmen sollen, die, wenn sie z. B. einen Prozeß oder eine Krankheitsgeschichte darstellen, sich nicht mit einigen oberflächlichen Kunstausdrücken begnügen, sondern ihren Gegenstand so lange studieren, bis sie seiner völlig Herr sind. So begegnet es ihm aber, daß er z. B. in dem großen Prozeß, dem Mittelpunkt seiner Geschichte, die wunderlichsten Verstöße gegen das preußische Zivilrecht begeht; so begegnet es ihm auch, daß er in schneidende und dreiste Urteile verfällt, die er bei genauerer Kenntnis vermeiden würde.

Jetzt zu dem Knotenpunkt der Geschichte.

Man wird sich erinnern, daß Eugen Sue in seinem Ewigen Juden als Hauptfaden der Handlung den Prozeß um ein unermeßliches Vermögen darstellte, mit welchem einerseits die Jesuiten ihre schändlichen, andererseits die Nachkommen des ewigen Juden ihre menschenfreundlichen Absichten ins Werk setzen wollten. Einen ähnlichen Vorwurf haben die Ritter vom Geist. – Zwischen dem preußischen Staat und der Stadt Berlin schwebt seit vielen Jahrhunderten ein Prozeß um einen Teil der Hinterlassenschaften des alten Templerordens, die den Wert von einigen Millionen betragen. Ein junger Referendarius, Dankmar Wildungen, findet nun beim Durchstöbern der Akten, daß keine von beiden Parteien, daß vielmehr er selbst zu dieser Erbschaft berechtigt sei. Er nimmt also den Prozeß auf, und zwar mit der Absicht, dieses Vermögen nicht zu Parteizwecken, sondern zur Gründung eines Ordens zu verwenden, der die alten Ideen der Templer und der Freimaurer in zeitgemäßen Formen durchführen soll. Er verliert den Prozeß in den beiden ersten Instanzen und gewinnt ihn in der dritten. Vorher hat er seinen Orden der »Ritter vom Geist« gestiftet, der sich gegen das Ende hin schon so weit ausgebreitet hat, daß die Verfolgungen der reaktionären Regierung an ihm seinen Mittelpunkt finden.

Gutzkow hat nun durch alle möglichen äußerlichen Mittel die Aufmerksamkeit der Leser, die sonst durch die vielfachen Episoden abgezogen würde, auf diesen Prozeß hingeleitet. Das mystische Symbol des neuen Ordens ist ein vierblättriges Kleeblatt; dieses war zugleich das Symbol desjenigen Teils vom Templerorden, von dem die Erbschaft herrührt. Es ist auf ihren Kirchen, auf den Häusern, die von ihnen herstammen, und die zugleich den meisten Figuren des Romans zum Wohnplatz oder doch zum Rendezvous dienen, und noch an allen möglichen anderen Orten angebracht. Gleich bei Eröffnung des Romans erregt es die Aufmerksamkeit eines Malers, und wird dann fortwährend wieder ins Gedächtnis gerufen. Zuletzt legitimieren sich alle Personen, die uns einigermaßen interessieren, durch vierblättrige Handbewegungen als Ritter vom Geist; und um den Faden recht deutlich festzuhalten, ist es ein bestimmter Schrein, mit diesem Symbol bezeichnet, um den sich die gesamte Intrige dreht. – Abgesehen von diesem sinnlichen Mittel, wird fortwährend das Gespräch, von welchem Punkt es auch ausgehen möge, auf geheime Verbindungen übergeleitet, auf Templer, Johanniter, Freimaurer, Jesuiten etc., und diese zu dem Bund der Zukunft in eine ahnungsvolle Beziehung gebracht.

Dieses Verfahren ist an sich durchaus verständig, aber zugleich zeigt sich in der Art und Weise, wie die Intrige durchgeführt wird, die Unfähigkeit Gutzkows, einen Plan, der über Anspielungen und Ahnungen hinausgeht, energisch festzuhalten. Um dies nachzuweisen, müssen wir dem symbolischen Schrein noch einige Aufmerksamkeit schenken.

Dankmar findet ihn mit den Dokumenten für seine Erbschaftsberechtigung in einem geheimen Fach der Pfarrwohnung, die seiner Mutter noch zur Benutzung überlassen ist. Er entführt ihn, indem er das Zweifelhafte seiner Berechtigung, sich seiner zu bemächtigen, beiseite setzt, und übergibt ihn einem Fuhrmann, um ihn nach einem andern Ort zu schaffen. Unterwegs geht er verloren. Dankmar macht sich also schnell auf, seine Spur zu verfolgen. Es wird ihm mitgeteilt, daß man ihn in den Händen eines gewissen Justizrats Schlurk gesehen habe, eines höchst gewissenlosen Menschen, der nicht bloß der Anwalt seiner Gegenpartei ist, sondern auch persönlich das größte Interesse daran hat, daß die Erbschaft der Stadt erhalten bleibe, von dem man daher mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit voraussetzen kann, er werde die Dokumente unterschlagen oder wenigstens verfälschen. Man sollte also meinen, Dankmar würde durch diese Nachricht zu den schnellsten und entschiedensten Maßregeln getrieben werden; aber nein! während sonst der Schrein die fixe Idee seines Lebens geworden ist, läßt er sich nun mehrere Bände hindurch in eine Reihe von Abenteuern und Zerstreuungen ein, die mit seinem Zweck nicht in der geringsten Verbindung stehen. Freilich benutzt sein Gegner die Zeit ebenso schlecht. Zwar öffnet er den Schrein, nimmt die wichtigsten Papiere heraus und legt sie beiseite, aber gleichzeitig läßt er in das Intelligenzblatt setzen, er habe den bewußten Schrein gefunden. Dankmar meldet sich, und Schlurk, nach einigen ungeschickten Unterhandlungen, verweigert ihm die Rückgabe des Schreins aus dem gar nicht unhaltbaren Grund, daß jene Papiere nicht den Parteien, sondern den Gerichten angehören. Dankmar will scheltend abgehen, da bemerkt er in einer Ecke den Schrein, stürzt darauf los und entführt ihn, ohne auf die heftigen Protestationen des Justizrats zu achten. Nun fehlen in dem Schrein gerade die wichtigsten Papiere; aber noch ehe Dankmar es bemerkt, schickt ihm die Tochter des Justizrats dieselben zu, ohne daß der Vater sie daran hindert. Dankmar schreibt ein höfliches Billett, worin er seine Gewalttat entschuldigt, und der Prozeß nimmt seinen Fortgang, ohne daß irgend einer von den mit so größer Wichtigkeit ausgeführten Umständen auch nur den geringsten Einfluß auf den weitern Gang der Handlung ausübte. Weder daß sich Dankmar des Schreins zuerst ohne Berechtigung bemächtigt, noch daß der Justizrat ihn ihm gestohlen, noch daß Dankmar ihn wieder gewaltsam geraubt, noch daß Fräulein Schlurk ihm die Papiere freiwillig ausgeliefert: – keiner von allen diesen Umständen wird in der Folge wieder aufgenommen. Es ist also vollständig eine Geschichte ohne Pointe und als solche um so auffallender, da sich die ganze Geschichte des Schreins in einer zweiten Geschichte von einem ebenso symbolischen Bilde noch einmal wiederholt. – Zunächst verfolgen wir den Schrein. Wir haben schon erwähnt, daß Dankmar in dritter Instanz den Prozeß gewinnt. Infolgedessen wird die Kommune von Berlin verurteilt, ihm eine Million Taler auszuzahlen. Zu diesem Zweck kreiert sie eine Million Kämmereischeine. Diese werden aber nicht an Dankmar ausgeliefert, sondern wiederum in jenen symbolischen Schrein getan. Dankmar ist nämlich in dem Augenblick politischer Gefangener, und sein älterer Bruder, der eigentliche Erbe, im Ausland. Dankmar wird aus seinem Gefängnis durch die verbündeten Ritter vom Geist befreit; er bricht an dem Ort ein, wo jener Schrein steht, und entführt ihn wiederum mit Gewalt, aber er geht auf der Flucht noch einmal verloren. Endlich ergibt es sich, daß er im Besitz jenes schon angeführten Hackert ist. Dieser bewahrt ihn getreulich für die beiden Brüder Wildungen auf, findet es aber nicht unangemessen, etwa 5000 Tlr. daraus einem ehemaligen Feinde aus Großmut zu übergeben. Endlich hat er das Unglück, gerade als die Ritter vom Geist ein Ordensfest feiern, mitsamt dem Schrein zu verbrennen. Es fragt sich nun, ob die Kommune gerichtlich gezwungen werden kann, neue Scheine auszustellen, und mit dieser ungelösten Frage schließt der Roman, gerade ebenso ohne Pointe, wie in Beziehung auf den politischen Ausgang.

Von dem symbolischen Schrein gehen wir zu der Geschichte des symbolischen Bildes über. – Prinz Egon von Hohenberg kehrte aus seiner Pariser Tischlerwerkstatt in seine Heimat zurück, gerade als die Gläubiger seines Vaters im Begriff sind, sich seiner Habseligkeiten zu bemächtigen. Durch Testamentsverfügung sind die Ahnenbilder der Versteigerung entzogen. In einem derselben sollen, wie Egons Mutter kurz vor ihrem Tode an ihn geschrieben hat, sich Papiere befinden, in denen die geheimnisvollen Lebensbeziehungen des Fürstenhauses auseinandergesetzt werden. Es liegt also Egon daran, sich dieser Papiere zu bemächtigen; aber die alte Feindin seiner Mutter, die Geheimrätin Pauline von Harder, ist gleichfalls von dem Geheimnis unterrichtet, und sucht es durch ihre Verbindungen dahin zu bringen, daß die Bilder, deren Eigentümer, der Prinz, noch nicht zugegen ist, zuerst nach der Residenz geschafft werden. Prinz Egon könnte diese Intrige am einfachsten dadurch vereiteln, daß er sich als der, der er ist, legitimierte und das Bild ohne weiteres in seinen Besitz nähme. Statt dessen schleicht er sich in der Verkleidung eines Tischlergesellen in das Schloß ein und sucht das Bild zu stehlen; er wird dabei ertappt und als Vagabund und Dieb ins Gefängnis geführt. Dort besucht ihn Dankmar, dem er sich durch ein Batistschnupftuch und eine Visitenkarte als Prinz offenbart hatte. Egon forderte ihn auf, an seiner Statt den Diebstahl auszuführen, und Dankmar ist auch augenblicklich dazu bereit. Er geht aufs Schloß, und wird für den verkleideten Prinzen gehalten, unter anderen von Fräulein Melanie, die gern einen Prinzen heiraten möchte, und sich deshalb bereit findet, ihm das Bild zu verschaffen. Das Bild ist bereits auf einen Güterwagen gepackt, um unter der Aufsicht des Geheimrats von Harder nach der Residenz geschafft zu werden. Melanie bestellt diesen, einen alten verliebten Herrn, auf ein Rendezvous, und während er als treuer Schäfer auf sie harrt, stiehlt sie das Bild, und bringt es Dankmar. Dieser reist damit nach Berlin ab, legt es zu Hause in eine Kommode, und denkt nicht weiter daran. Während er sich in einer Nacht auf einem Kroll'schen Ball herumtreibt, dringt die Polizei in seine Wohnung, angeblich um nach demagogischen Papieren zu suchen, und bemächtigt sich bei dieser Gelegenheit des Bildes, das sie der Frau von Harder überbringt. Diese nimmt die Papiere heraus und schickt das leere Bild zurück. Man sollte denken, daß es nun Dankmar, und namentlich seinem Bruder Siegbert, der das Geheimnis entdeckt, die Papiere gelesen und gefunden hat, daß sie die wichtigsten Aufschlüsse für Egon enthielten, daran gelegen sein müsse, den Prinzen, dem sie nun endlich die Aufwartung machen, von dem Raub der Papiere in Kenntnis zu setzen. Statt dessen legen sie es darauf an, ihn zu betrügen. Sie legen ein gleichgültiges frommes Buch in das Bild, und der Prinz wird nur durch einen Zufall von dem wahren Tatbestand unterrichtet. Sofort begibt er sich zu Pauline und fordert die Papiere zurück. Da diese durch dieselben aufs höchste kompromittiert wird, so sollte man glauben, sie würde sie vernichtet haben; aber sie hat es nicht getan, und sie gesteht sogar dem Prinzen zu, daß sie noch existieren. Darauf erklärt dieser, er habe von seinen Freunden das Haus umstellen lassen, und werde sämtliche Schlösser aufbrechen, bis er die Papiere gefunden habe. Eingeschüchtert durch diese Drohung, gibt sie die Papiere heraus. Der Inhalt derselben ist aber von der Art, daß der Prinz seinen bisherigen Haß gegen sie aufgibt, und in die vollständigste Abhängigkeit von ihr gerät. Warum sie ihm also die Papiere nicht freiwillig übergeben, erfährt man nicht, und alle die übrigen Dieb- und Raubgeschichten, die sich an das Bild knüpfen, bleiben ebenso ohne Einfluß auf die weitere Handlung, wie die Dieb- und Raubgeschichten in Beziehung auf den Schrein.

Als dritter Knotenpunkt der Intrige dient ein altes Försterhaus im Walde, in welchem eine Art wahnsinnige Hexe wohnt, die durch ihr gräßliches Geschrei alle Augenblicke die Nachbarn in Unruhe versetzt. Hier wird die Verwicklung ernsthafter. Die Hexe ist die Schwester eines blinden Schmiedes, Zeck. Ein anderer Bruder ist früher Falschmünzer gewesen, und nachdem er lange Zeit eine Rolle in der vornehmen Welt gespielt und unter anderm auch mit jener Pauline von Harder ein Liebesverhältnis unterhalten, verurteilt worden; er ist aber aus dem Gefängnis entkommen und nach Amerika gegangen, wo ein wohlhabender und philanthropischer Mann aus ihm geworden ist. Er kehrt zurück, um einen Sohn zu suchen. Zu diesem Zweck veranlaßt er eine Zusammenkunft zwischen seiner Schwester, der Hexe, und seinem Bruder, dem blinden Schmied. Diese beiden würdigen Geschöpfe geraten in heftigen Zank, und der Schmied ist im Begriff, auf seine Schwester mit dem Hammer zu schlagen, da zieht sein Bruder eine Pistole, und schießt ihn nieder. Im gewöhnlichen Leben gilt Brudermord für eine unter allen Umständen sehr unangenehme Begebenheit; in der Sphäre aber, in der sich die Ritter vom Geist bewegen, ist man über dergleichen Vorurteile hinaus. Nicht bloß das Gericht spricht ihn frei, weil er den Mord nur zur Abwehr einer Untat begangen, sondern auch sein eigenes Inneres: Er setzt seine philantropischen Bestrebungen fort, ohne weitere Gewissensbisse über den Tod seines Bruders.

Dies sind die Schablonen der Intrige; die darin eingeführte Färbung ist düster genug. Fast alle beteiligten Personen haben entweder in vielfachen unsittlichen Liebesverhältnissen gelebt, oder sind daraus hervorgegangen. Es ist in den genealogischen Verhältnissen eine Verwirrung, die man nur mit der Verwirrung in Hoffmanns Teufelselixieren vergleichen kann. So ist z. B. Prinz Egon nicht der wirkliche Sohn des alten Feldmarschalls, sondern eines gewissen Rodewald. Dieser hat zugleich mit Egons Mutter und mit Paulinen im Verhältnis gestanden. Egons Mutter war schon geneigt, ihrem Gemahl das Verhältnis zu entdecken, sich von ihm scheiden zu lassen und Rodewald zu heiraten – der Gedanke, was der alte Feldmarschall dazu für Augen gemacht haben würde, stößt ihr gar nicht auf –; da macht ihr Mann eine große Erbschaft und wird in den Fürstenstand erhoben. Sofort gibt sie ihr Vorhaben auf. Und der Dichter findet das ganz natürlich!

Man sieht schon aus dieser einzelnen Probe, daß hier eine Reihe dunkler Mysterien stattfinden, die Eugen Sue nichts nachgeben; aber der Dichter ist in seiner Erzählung zu unruhig und zu unstet, um auch nur jene materielle Spannung hervorzubringen, die den französischen Mysteriendichtern so leicht wird. Seine verschiedenen Intrigen haben keine innerliche Einheit, sie sind nur äußerlich ineinander verwebt und wirken ermüdend und einschläfernd, obgleich alle bekannten Mittel des Gespenstischen und Unheimlichen aufgeboten werden. – Wir lassen damit den historischen Stoff beiseite und gehen auf die Charaktere über.

Die Charakterzeichnung ist von jeher Gutzkows schwächste Seite gewesen. Den vollständigen Mangel an allem Idealismus hat er mit den neueren Franzosen und Engländern, z.B. mit Balzac und Thackeray, gemein, aber es geht ihm auch jene Sauberkeit und Sicherheit der Zeichnung ab, die den düsteren Bildern dieser Dichter wenigstens einiges Interesse verleiht. Schon seit seiner frühesten Zeit hat er theoretisch und praktisch die Ansicht ausgeführt, daß nur gemischte Charaktere, d.h. Charaktere, in denen sich das Gute und Böse gleichmäßig begegnet, in die Poesie wie in das Leben gehören. Diese Ansicht, die in einer Zeit ihren Wert hatte, wo man gegen das einseitige Tugendprinzip der abstrakten Moralisten die Fülle des konkreten Lebens geltend machte, hat nur in dem Fall ihre Berechtigung, wo sich den harten Anforderungen des Gesetzes gegenüber eine kräftige und in sich übereinstimmende Natur regt, die, wenn auch nicht in ihrem Verhältnis zum Allgemeinen zu billigen, doch an sich betrachtet als lebendige Totalität von Interesse ist. So versteht es aber Gutzkow keineswegs. Seine »gemischten Charaktere« gehen nicht aus der Einheit einer kräftigen Natur hervor, sondern sind Aggregate aus den verschiedenartigsten, widerstrebendsten Bestandteilen. Er fühlt die Gewalt der akzidentellen Umstände als eine zwingende, weil sein eigenes Gefühl nicht stark und sicher genug ist, um ihn darüber hinauszuheben. Seine Charaktere sind zwar in der Regel im höchsten Grade von sich selber eingenommen, aber sie haben nicht jenes Selbstvertrauen, das sie frei macht und unabhängig von gemeinen Rücksichten. Niemals ist Gutzkow im Stande gewesen, ein edles, starkes, kräftiges Herz zu schildern, das nicht bloß im Augenblick aufflammender Leidenschaft die Reflexion beiseite wirft, sondern sie überhaupt zu überwinden weiß, wo eine ernsthafte Situation einen bestimmten Entschluß fordert. Alle seine Charaktere sind bis ins innerste Mark hinein »von der Blässe des Gedankens angekränkelt«, alle haben eine abgöttische Verehrung vor diplomatischer Weltklugheit, vor »gentlemanliker« Bildung, alle eine große Abneigung gegen die ehrliche, kräftig handelnde Mittelmäßigkeit. Von grenzenloser Willkür und Kaprice verfallen sie regelmäßig in die feigsten Rücksichten. Wie es optische Gläser gibt, in denen die Verhältnisse eines Gesichts gewaltsam auseinandergerissen werden, so geht es Gutzkow mit seinen Charakterbildern, weil er überall nur endliche Seiten von ihnen ins Auge faßt. Er gibt niemals eine organisch gegliederte Individualität, sondern immer nur Aggregate aus empirisch aufgenommenen, anekdotischen Portraitzügen und willkürlichen Einfällen. Die Blasiertheit, der Indifferentismus und der Unglaube, der mit unsrer deutschen Geistreichigkeit, wenn sie nicht durch konsequentes Streben geklärt wird, unzertrennbar verbunden sind, breiten über seine Darstellungen eine verdrießliche, trübe Dämmerung, die keine Freude aufkommen läßt. Jene Freude, die z. B. W. Scott, oder Dickens, oder Jeremias Gotthelf an ihren Gestalten empfinden, weil sie die Fülle ihres eigenen frommen Seelenlebens darin niederlegen, jener energische Stolz, mit dem Byron auch die Schwächen seiner Gestalten vertritt, weil er weiß, daß doch ein edler Fond darin ist, und jene versöhnende Humanität, mit der Goethe auch das Unbedeutende vor dem Auge Gottes verklärt: – von dem allen ist keinen Augenblick bei Gutzkow die Rede. Seine Helden sind hochmütig, aber nur solange sie keinen Widerstand finden, weltklug, aber nur wo es kleine Intrigen gilt, humoristisch, aber nur wo sie zersetzen, human, aber nur wo sie sich einbilden, die Welt zu ihren Füßen zu sehen. Und zwar ist es nicht die Absicht des Dichters, sie so zu schildern, er verhält sich nicht von vorn herein ironisch zu ihnen, sondern er geht mit dem besten Willen daran, sie zu Idealen zu machen, aber sie verwandeln sich unter seinen Händen in Fratzen, weil ihm die eigentliche Kraft des Dichters abgeht: das Auge, das in jedem Augenblick das Wesentliche vom Unwesentlichen scheidet. Wir führen hier ein kleines, aber sprechendes Beispiel an. (Bd. V, p. 215.) Ein Mädchen aus dem Volke will einen Brief schreiben. Sie kauft erst Feder, Papier, Oblaten ein. »Dann erschrak sie, daß sie die Tinte vergessen hatte. Es war ein Gefäß dafür da, es stand immer in der Ofenröhre, aber es war eingetrocknet. ... Sie goß Wasser dazu, und rührte mit einem Span den schwarzen Brei um; er gab hinlängliche Flüssigkeit, um einen kurzen und bündigen Brief zu schreiben.« – Bloßer Pragmatismus ohne Zweck. Seine Kunst ist der allertrockenste Pragmatismus, d. h. das Herleiten großer Dinge aus unangemessenen Ursachen. Sowie er irgendein Ereignis eintreten läßt, ist er nicht mehr Herr darüber, es verstockt sich gegen ihn mit der Macht der Tatsache. Diese pragmatische, ängstliche Gewissenhaftigkeit in der Motivierung gleichgültiger Dinge, verleitet zu Erfindungen, die dem Wesen des Charakters wie dem Wesen der Situation widersprechen. Wenn man sich in wilden Verwirrungen taumeln will, so muß man das Talent und das ungenierte Selbstvertrauen eines Dumas besitzen, dem es nicht darauf ankommt, wo es nötig ist, auch ein Wunder zu tun.

Von diesem pragmatischen Zersetzungsprozeß ist das beste Beispiel derjenige Charakter, der als das eigentliche Ideal des Romans aufgefaßt werden muß, Dankmar Wildungen, der Stifter des Ordens vom Geist. Von der Konsequenz in der Ausführung seiner Unternehmungen und von seinem gesetzlichen Sinn haben wir schon gesprochen; hier ein neuer Zug. Er hat mit seinem Bruder eine Zusammenkunft. Zu dieser ist er auf einem gemieteten Pferde geritten. Ein dringendes Geschäft ruft ihn nach einer andern Seite ab; er möchte das Pferd gern los sein. Hackert erbietet sich, es zurückzubringen. Dankmar geht zuerst darauf ein, dann aber besinnt er sich, daß er mit einem Vagabunden zu tun hat. Hackert, beleidigt durch das Mißtrauen in seine Ehrlichkeit, wirft ihm als Pfand ein Päckchen von hundert Talern zu und reitet ab. Dankmar, der zu seiner Weiterreise Geld braucht, nimmt keinen Anstand, zwanzig davon in seine Tasche zu stecken und so bei dem Vagabunden eine unfreiwillige Anleihe zu machen. Hackert kehrt zurück; er hat das Pferd abgeliefert und bittet um Rückgabe seines Geldes. Dankmar aber, der nicht eingestehen will, daß er einen Teil davon in die Tasche gesteckt, weiß ihn durch eine geschickte Manipulation zum Schweigen zu bringen. Nachher fällt ihm alle Augenblicke wieder ein, Hackert könnte mit dem Pferde doch durchgegangen sein, und er überhäuft ihn, wo er ihn nur sieht, mit Vorwürfen und Schimpfwörtern, ohne allen Grund, denn das Pferd ist wirklich abgeliefert. – Was sollen nun diese Geschichten, die auf die Handlung selbst keinen Einfluß ausüben, und die doch auf den Charakter des Helden ein schlechtes Licht werfen müssen? Der geheime Grund ist folgender. Gutzkow möchte seinen Helden gern nicht bloß als bedeutend und geistreich, sondern auch als aristokratisch, als nobel, als gentlemanlike darstellen, und dazu gehört nach seinen Begriffen Rücksichtslosigkeit und hochfahrendes Wesen gegen das gemeine Volk, auch wenn man noch so sehr Demokrat ist. – O gute Demokratie, was hast du für Propheten! – Aber es kommt noch schlimmer. – Dankmar spricht mit dem Stallmeister Lasally über Hackert, von dem der letztere behauptet, er sei feige, und würde nicht wagen, auf jemand zu schießen. Um einen theatralischen Effekt hervorzubringen, zieht Dankmar drei Körperchen aus seiner Tasche, die er für Spitzkugeln hält, und sagt: »Diese hier hat Hackert in meinem Wagen zurückgelassen.« Lasally besieht sie und ruft freudig aus: »Die sind also von Hackert? Nun habe ich den Spitzbuben. Es sind keine Spitzkugeln, sondern Uhrgewichte, wie sich deren einige in den Ohren meiner Pferde gefunden haben, die darüber toll geworden sind. Ich werde ihn also jetzt als Täter denunzieren, und Sie werden mir als Zeuge dienen.« – Dankmars Erklärung war eine Lüge; er hat jene drei Gewichte nicht in seinem Wagen gefunden, sondern auf einem Platz im Walde, und nur ganz entfernte, zweifelhafte Indizien haben ihn zu der Vermutung gebracht, daß es möglicherweise Hackert sein könne, der sie dort verloren habe. Statt nun als Jurist über die unvermutete Wichtigkeit seines Einfalls zu erschrecken und ihn sofort zurückzunehmen, schweigt er aus Eitelkeit, und läßt also die Anklage auf Grund einer falschen Aussage zu. Er findet später, daß Hackert im Grunde ein interessanter und bemitleidenswürdiger Mensch ist. Er geht also zu Lasally, um ihn zur Zurücknahme seiner Anklage zu veranlassen; er findet diesen aber in so verdrießlicher und gereizter Stimmung, daß er sich gar nicht weiter darauf einläßt, sondern sofort zu anderen Zerstreuungen übergeht ...

Mit Dankmar zusammengestellt treten die übrigen idealen Charaktere entschieden in den Hintergrund. Sie sind eigentlich nur Tendenzfiguren, die verschiedenen Nuancen der freisinnigen politischen Ideen auszudrücken. Gutzkow versäumt es zwar nicht, von jedem von ihnen irgendeinen charakteristischen anekdotenhaften Zug anzuführen, aber dann läßt er ihn fallen, und der Charakter fällt ganz mit seinem theoretischen Inhalt zusammen, wie bei Radowitz. Alle diese Ritter sind nur Träger der Konversation, und eben darum wird der Dialog steif und unnatürlich, weil er sich nicht in natürlichen individuellen Empfindungen, sondern in allgemeinen Abstraktionen fortbewegt. – Unter diesen idealen Charakteren sind anzuführen: die weichen theoretischen Idealisten Siegbert, Louis Armand und Oleander, die praktisch tugendhaften Rodewald, Werdeck und Rudhard, und die in Jean Paulischer Manier angelegten Humoristen Leidenfrost und Dystra. Einzelne Einfälle, die den letzteren in den Mund gelegt werden (z. B. die Rede Leidenfrosts über die Gleichgültigkeit unsrer Zeit gegen den Tod), sind trotz ihrer Paradoxie gar nicht uninteressant und würden eine noch viel größere Wirkung ausüben, wenn sie etwas mehr wären, als bloß theoretische Einfälle.

Aber auf alle diese Figuren kann man ein sehr treffendes Wort anwenden, welches Gutzkow mit einer Art instinktivem Scharfsinn ausspricht, ohne zu merken, daß er sich selber damit trifft: »Was soll uns die wuchernde Überfülle des Geistes, die nur der Form, nicht dem Inhalt der Wahrheit dient! Seht diese Geistreichen! Wie sie sich recken und dehnen, um wunderbare Figuren zustande zu bringen, und der gerade, schlanke Wuchs der Überzeugung fehlt! Diese Menschen sind unser Unglück. All ihr Geist befruchtet nichts, schafft nichts, gestaltet nichts ... Ich lobe mir die Einfältigen, die wissen, was sie wollen.« – Gutzkow hätte keine bessere Selbstkritik geben können. Und wenn er an einer andern Stelle sagt: »Der Witz macht schwach, nur Pedanten haben Kraft«, so ist auch das wahr und auf ihn selber anzuwenden, wenn man der Formel auch eine andere Wendung geben möchte.

Viel besser angelegt, als diese idealen Charaktere, sind die irrationellen Figuren, von denen wenigstens eine Masse interessanter Einzelheiten gegeben werden, z. B. Egon und Melanie; die letzte übrigens eine Wiederaufnahme früherer Charaktere, Wally, Seraphine, Sidonie u. s. w. Aber die Ausführung entspricht der Anlage nicht. Es genügt nicht, daß der Dichter uns eine Reihe spannender Anomalien vorführt; er hat auch die Pflicht, sie aufzulösen und zu erklären. Das hat Gutzkow nicht einmal versucht. Er oktroyiert uns die ungewöhnlichsten, unerklärlichsten psychologischen Tatsachen, ohne sie zu begründen, ohne uns auch nur einen Leitfaden für den Zusammenhang zu geben. Egon zeichnet sich vor ähnlichen Charakteren Gutzkows dadurch aus, daß in seinem Leben wenigstens ein Wendepunkt eintritt, der Augenblick nämlich, wo er von seiner illegitimen Geburt unterrichtet wird. Dafür ist aber schon in seiner äußersten Erscheinung, in seinem Verhältnis zu Dankmar, zu Louis Armand u.s.w. so viel Affektiertes, Verschrobenes und Unwahres, und seine spätere Rückkehr zum alten Bunde hat so wenig Sinn, daß auch dieser Charakter sich in Effekthascherei verliert. – Bei Melanie kann man ohne Übertreibung sagen, daß man keine einzige ihrer Handlungen, keine einzige ihrer Empfindungen versteht. Sie entwickelt die entgegengesetztesten geistigen Eigenschaften; wie aber diese in einer Person Raum haben können, darüber erhalten wir keinen Aufschluß. – Ein anderer weiblicher Charakter, über dessen Wendungen wir gleichfalls im dunkeln bleiben, Olga, ist eine Reminiszenz aus Mignon. Beide Frauen sind nicht ohne Reiz, aber es ist nur ein sinnlicher Reiz. – Ganz schlecht dagegen ist eine Lieblingsfigur Gutzkows, der schon öfters erwähnte Hackert, in dem er uns ein Symbol, einen Typus des Volks geben will. Er ist nicht bloß in allen seinen Phasen unwahr und unnatürlich, sondern, was ebenso schlimm ist, bis zum Ekel häßlich; ekelhaft, wo er leidet, und ekelhaft, wo er sündigt. Es ist die bête noire des Romans, die von jedermann mißhandelt wird, für die wir nicht einmal Mitleid empfinden können, weil auch dieses ohne lebendiges Interesse an den Inhalt der Persönlichkeit unmöglich ist.

Die besten Figuren des Romans sind die satirisch behandelten, soweit sie der höhern Gesellschaft und der höhern Literatur angehören. Hier weiß Gutzkow die Schwäche, Schlechtigkeit und Lächerlichkeit mit großem Scharfsinn aufzuspüren. Dahin rechnen wir den Justizrat Schlurk, die Geheimrätin Pauline von Harder und den Literaten Guido Stromer. Die einzelnen Züge sind ebenso pikant als treffend, und wenn der Zusammenhang auch viel zu wünschen übrig läßt, so kommt darauf bei dieser Art Charaktere weniger an. Dagegen haben sie einen andern wesentlichen Makel. Die poetische Darstellung auch erbärmlicher Charaktere muß immer dem höchsten Zweck der Poesie, der sittlichen Läuterung und Reinigung des Gemüts dienen. Auch dazu ist eine innere Dialektik der Charaktere nötig, die zu einer Katastrophe und damit zu einer sittlichen Befriedigung führen muß. Dazu aber fehlt dem Dichter die Sicherheit, Härte und Entschlossenheit des sittlichen Gefühls. Wenn er uns eine ganze Zeit hindurch diese Menschen als die ausgesuchtesten Exemplare menschlicher Hohlheit und Niederträchtigkeit dargestellt hat, und wenn es dann dazu kommen soll, daß die Wirkungen ihrer Natur sich gegen sie wenden, so wird er auf einmal weich und gerührt. Er entdeckt plötzlich ungeahnte gute Seiten an ihnen und sucht das Mitleid des Lesers rege zu machen. Das ist eine sehr unzeitige, eine verdammliche Toleranz! Es ist ein sehr verbrauchtes Manöver, daß der Schurke, der bisher den Kopf hoch getragen hat, wenn er sich entlarvt sieht, in Tränen ausbricht, und seine Richter darauf aufmerksam macht, daß er auch manche gute Eigenschaften habe, daß er seine Kinder und seine Bedienten gut behandle u.s.w.; für ein gesundes sittliches Urteil ist ein solcher Effekt nur noch ein Moment mehr des Widerwillens und der Verachtung. Wer sich dadurch rühren läßt, zeigt damit, daß er – und auch in ästhetischen Dingen – zum Geschwornen nicht taugt, und das ist zugleich das Kriterium, ob man zum Schaffen wahrer Gestalten fähig ist oder nicht. Es zeigt sich in diesem Fall, daß die Theorie von den gemischten Charakteren, von den in Rechnung aufzunehmenden Nebenumständen auch für die Poesie unhaltbar ist. Allerdings gibt es keinen Menschen, in dem nicht eine Spur vom Guten, keinen, in dem nicht eine Spur vom Bösen aufzufinden wäre; aber so wie im Leben der Richter trotzdem ein bestimmtes Urteil über Schuldig oder Nichtschuldig auszusprechen hat, so ist es auch in der Poesie. Man muß sehr genau wissen, wen man mit moralischen Fußtritten zu entlassen hat, und die weichliche Rücksicht, daß Fußtritte wehe tun, darf bei diesem Schluß nicht stören.

Die Charaktere und Begebenheiten, die in den niederen Ständen spielen, sind viel schlechter als bei Eugen Sue. Für diese Sphäre des Lebens scheint Gutzkow nie ein lebendiges Interesse gehabt zu haben; auch wo er idealisieren will, bringt er nur Fratzen hervor. Sein Fränzchen Hennisch, Louise Eisold, Auguste Ludmer u. s. w. sind unendlich viel widerwärtiger, als Rigolette, Fleur de Marie, Rose Pompon u. s. w. Grisetten muß der Deutsche überhaupt nicht schildern wollen; davon hat er keinen Begriff.

Die Sprache des Romans, auf die wir jetzt übergehen, entspricht dem Inhalt. Wir verkennen nicht, daß Gutzkow auch darin einen Fortschritt gemacht hat. In seinen früheren Schriften, namentlich in seinen Dramen, stößt man fast auf jeder zehnten Seite auf eine Sünde gegen die Grammatik oder gegen die Logik. Diese Sünden fehlen auch hier nicht, aber sie sind seltener geworden. Einige davon führen wir unten an. 7, p. 35: »Kann es etwas Blasphemischeres geben?« – 4, p. 101: »Ich trenne noch mehr von der oberen Wand hinweg; da wird die untere ein von Kalk bespritzter bretterner Widerstand.«– 1, p. 104: »Er kannte ihn nur von seiner klaren und immer helldenkenden Vernunftseite.« – 9, p. 310: »Dies plötzliche nun in die Verbannung und in Kerker gerufene Glück hatte etwas Romantisches.« – 6, p. 363: »marmorgelbgraukalt.« – 4, p. 51: »sehr gewählt toilettiert.« – 7, p. 40: »Meine glänzende Situation, in die ich vom Spielen gekommen war.« – 6, p. 8: »Das Wesen des Jesuiten war wie das Schnalzen eines Fisches.« – 2, p. 225: »Dankmar entging nichts, was nur irgendeiner gefühligen Stimmung ähnlich sah; er bereute in seinem Herzentakte jetzt die Erwähnung so trauriger Erinnerungen.« Sie gehen meistens aus einer gezierten Effekthascherei hervor, aus einem Streben nach Bildern, die Gutzkow nicht natürlich zufließen, sondern die er mit großer Mühe zusammensucht, und die daher in der Regel ins Unnatürliche spielen; ferner aus jener Selbstironie, die beständig aus forciertem Pathos und gespreizter Sentimentalität, nicht, wie Jean Paul, ins Komische und Burleske, sondern geradezu ins Gemeine, Triviale und Häßliche überspringt. Seine Empfindsamkeit verkehrt sich, einzelne Ausnahmen, die allerdings vorhanden sind, abgerechnet, meistenteils in Schwulst; sein Humor ist verdrießlich, süßsauer und affektiert; sein Streben, auch dem Unbedeutenden durch den Ausdruck einen höhern Sinn beizulegen, führt zu Manier, und sein Versuch, die Sprache, namentlich im Dialog, zu individualisieren, zu Rohheiten und Geschmacklosigkeiten. Z. B. ›ich mache nach Berlin«, statt »ich reise«, läßt er seine Gebildeten sprechen; oder »Rand halten« u.s.w. Einen Dialog zu schreiben, fällt Gutzkow überhaupt sehr schwer, weil er weder einen Gedankengang, noch eine organisch sich entwickelnde Leidenschaft ruhig und konsequent zu durchdenken versteht. Er führt die unwesentlichen, ganz gewöhnlichen Phrasen der Unterhaltung mit großer Breite aus, während er diejenigen Momente, auf die es im Gespräch vorzugsweise ankommt, bloß leise andeutet. Er fällt seinen Personen alle Augenblicke ins Wort und raisonniert über sie. Bald läßt er sie, um charakteristisch zu sein, eine ganz ungebildete Sprache reden, bald legt er den Grisetten oder Eckenstehern jungdeutsche Wendungen in den Mund. – Was dieses Buch aber vorzugsweise charakterisiert, ist das Streben, den Goethe'schen Geheimratsstil aus seiner letzten Periode nachzuahmen. Das zeigt sich unter anderm in der Neigung, alle Ereignisse, auch die unbedeutendsten, zu einer sententiösen Form abzurunden und eine allgemeine Regel an sie zu knüpfen, die teils durch den verwickelten Ausdruck ihre Trivialität überkleidet, teils auch sich geradezu durch eine affektierte Einfachheit Geltung zu verschaffen sucht. Denn man kann mit der Einfachheit ebenso kokettieren, wie mit dem Pathos, wenn man sie zur Schau trägt, wo es sonst keinem Menschen einfallen würde, anders als einfach zu sein. Diese Vorstellung, als tiefer denkender und empfindender Geist hoch über der Welt der Erscheinungen zu schweben und sie aus der Vogelperspektive zu betrachten, zeigt sich auch in einzelnen Stilwendungen, welche den stofflichen Zusammenhang vom höhern Gesichtspunkt aus limitieren sollen und die zuletzt in reine Manier ausarten. So hat schon Ranke die Partikel » doch«, um den Begebenheiten gegenüber seine skeptische Freiheit anzudeuten, in so überreichem Maß angewendet, daß sie zuletzt ein reines Flickwort geworden ist. Gutzkow macht es ihm nach und fügt ganz in derselben Manier noch eine Reihe von Partikeln hinzu, z. B. fast, nur, ja, etwa, nun, oft, kaum, mehr u. s. w., nicht in der gewöhnlichen Bedeutung, sondern um den höheren Standpunkt des Dichters abzugrenzen. – Neben dieser Ziererei kommen dann aber Augenblicke, wo sich der Dichter gehen läßt und ganz Clauren oder Kotzebue wird. – Wir müssen uns hiermit begnügen, obgleich noch viel zu sagen wäre, und fügen nur hinzu, daß sich einzelne schöne Stellen vorfinden, die leider in dem unangenehmen Eindruck des Ganzen verlorengehen, die aber zeigen, daß Gutzkow wenigstens in diesem Punkte etwas Besseres leisten könnte, wenn er in seinen Arbeiten gewissenhafter wäre und nicht bloß auf den Effekt ausginge.

Wir schließen mit der moralischen Tendenz des Romans. Daß Gutzkow ein Portrait der Zeit, wie seine Verehrer behaupten, darin nicht geliefert hat, wird der Unbefangene wohl von selbst erkennen. Die Zeit ist besser, als ihr Ruf. Gutzkow versteht darum seine Zeit nicht, weil er sein ganzes Leben hindurch nur auf die auf der Oberfläche schwimmenden Erscheinungen geachtet hat, die zwar aus der allgemeinen Bewegung des Geistes hervorgehen, aber ihr keinen Ausdruck verschaffen. Die Individualitäten, welche von jeder einzelnen Regung des Geistes irgend einen oberflächlichen Eindruck mitnehmen, sind das Schwächste an der Zeit; in denjenigen Regionen dagegen, wo die Individualität sich an das Werk hingibt und sich selbst verleugnet, um das Ganze zu fördern, blüht das deutsche Leben noch immer so hoffnungsreich fort, daß wir an unsrer Zukunft nicht verzweifeln dürfen. Das Heilmittel, welches Gutzkow vorschlägt, ist das schlechteste von der Welt, weil es gerade die schlechteste Seite unsres öffentlichen Lebens begünstigt, das egoistische, eitle Hervorheben der Individualität über die Sache. Der von ihm vorgeschlagene Bund der Ritter vom Geist ist eine Verbindung interessanter Persönlichkeiten, die, ganz abgesehen von ihren bestimmten Zwecken, sich gegenseitig tragen und fördern sollen. Er hat ganz die Natur einer Coterie, wie wir dergleichen in der elenden romantischen und jungdeutschen Periode unsrer Literatur über Gebühr wirklich erlebt haben, nur daß dieser Assekuranzverein für strebsame Gemüter sich durch den Schein einer allgemeinen kosmopolitischen Richtung in ein leeres symbolisches Getändel verliert. Was Gutzkow über die Organisation des Bundes vorschlägt, ist so kleinlich und abgeschmackt, daß er heute bei ruhiger Überlegung vielleicht selbst darüber erstaunen wird.

Daß bei der Zerfahrenheit unsrer Verhältnisse der einzelne das tiefe Bedürfnis fühlt, sich einem Ganzen anzuschließen, in dem er sich geltend machen und sich weiter bilden kann, liegt in der Natur der Sache; allein dieses Ganze muß von der Art sein, daß es durch strenge Zucht die Willkür des einzelnen zügelt, nicht sie begünstigt. Fast in jedem praktischen und gelehrten Berufszweig finden sich wenigstens schon Anlagen zu dergleichen Organisationen, in denen der einzelne durch Hingebung an den objektiven Zweck den Egoismus und die Willkür in sich selbst bekämpfen kann. Abgesehen davon, haben wir die großen politischen Parteien. In ihnen kann der einzelne lernen, zuerst einer großen Sache zu dienen, ehe er in diesem Dienst auch sich selber zur Geltung bringt. Durch sie kommt in unsre zerfahrenen Wünsche Gestalt und Maß, und was in ihnen noch von Einseitigkeit vorhanden sein mag, wird teils durch den gegenseitig befruchtenden Kampf, teils durch die Macht der Tatsachen korrigiert. Wer nicht imstande ist, sich einer solchen Partei, die er wenigstens im großen und ganzen billigt, anzuschließen, zerfällt in die zusammenhanglosesten Einfälle, und ist am abhängigsten von den zufälligen Umständen, wenn er am meisten auf eigenen Füßen zu stehen glaubt. Der Glaube, dessen Mangel Gutzkow so lebhaft fühlt, und die damit verbundene Freude am Leben wird nicht durch trunkene Phantasien, nicht durch künstliche Exaltationen hervorgebracht, wie sie die alten und die neuen Romantiker in ihren Evangelien anpreisen; nicht durch geheime Verbindungen geistreicher, aber konfuser Menschen, die zu den Zeiten der Freimaurer, der unsichtbaren Loge, allenfalls des Wilhelm Meister denkbar waren, aber nicht mehr in unsrer Zeit, wo nur der klare, bestimmte und auf einen erreichbaren Zweck gerichtete Wille Geltung findet: – sondern durch den entschiedenen Kampf gegen die Verstocktheit des Egoismus, der nur durch hingebende Arbeit und selbstverleugnende Demut geführt werden kann. Wessen Auge scharf genug ist, um die Einseitigkeiten der bestimmten Parteien zu durchschauen, der soll nicht eine neue Partei gründen, die sich doch bald in fades Cliquenwesen verliert, sondern er soll innerhalb seiner Partei den Geist der Humanität geltend zu machen suchen, der nach dem Vorbild der homerischen Helden auch in den Feinden, die er tödlich bekämpft, das Menschliche ehrt. Nur in dieser Beschränkung kann jeder gebildete und ehrlich strebende Mann, um bei Heines an sich gar nicht schlechtem Einfall zu bleiben, sich als »Ritter vom Geist« bewähren.


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