Anastasius Grün
Robin Hood
Anastasius Grün

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung.

Wenn wir die Reihen jener echten Volkshelden mustern, deren Andenken sich in Lied und Sage, in Festen und Gebräuchen der verschiedensten Völker lebendig zu erhalten wußte, so werden wir kaum einen finden, dessen Volkstümlichkeit und Beliebtheit an Höhe und Dauer jene überträfe, deren sich der Name Robin Hood bei dem Volke Englands noch bis zum heutigen Tage erfreut. Wir erfahren aber auch gleichzeitig ans dem Munde der Überlieferung, daß der Träger dieses Namens eine Art Räuber und Wildschütze, ein geächteter und außerhalb des allgemeinen Gesetzes stehender Mann (outlaw), ein aus der Gesellschaft Ausgestoßener und mit dem Makel des Freibeutertums Gebrandmarkter gewesen. Der erste befremdende Eindruck dieser Tatsache kann jedoch unsere Überzeugung nicht erschüttern, daß der gesunde Kern und Keim einer solchen, sechs Jahrhunderte überdauernden Volksgunst denn doch nur in edleren, sittlicheren Motiven zu suchen sei. Und so dürfen wir die richtige Erklärung derselben keinesfalls bloß in dem negativen Standpunkte, den jener Volksheros gegenüber den Gesetzen seines Landes einnahm, und welchen er auch mit dem gemeinen Verbrecher teilt, sondern vielmehr in positiveren Verhältnissen, in wirklichen Verdiensten um sein Volk zu finden hoffen. Wir werden nicht irre gehen,. wenn wir mit gerechtfertigter Wißbegierde noch weiter nach der Lebensstellung und den Schicksalen des Helden forschen, um in diesen den Schlüssel zur Lösung des Rätsels zu gewinnen.

J. RitsonSiehe die Note 25., dessen ausführliche, im Jahre 1795 erschienene Biographie Robin Hoods mehr von dem bienenartigen Sammlerfleiße des Verfassers, der sich keine auf seinen Helden irgend bezügliche Notiz entgehen ließ, als von kritischer Sichtung und Bewältigung des Materiales zeugt, gelangt im wesentlichen zu folgenden Resultaten: »Robin Hood war geboren in Locksley in der Grafschaft Nottingham unter der Regierung König Heinrichs II. und um das Jahr 1160 n. Chr. G. Er war von edler Abkunft und hieß eigentlich Robert Fitzood, ein Name, welcher im Volksmunde sich leicht in Robin Hood verwandelte. Nach ziemlich allgemeiner Annahme soll er ein Earl of Huntington gewesen sein. Ein ungezügeltes Jugendleben soll sein Erbe verzehrt, ihm manche Geldbuße und Schulden halber die Acht zugezogen haben, so daß er nicht minder aus Not, denn aus eigener Wahl eine Zufluchtstätte in jenen Büschen und Wäldern suchte, mit denen zu jener Zeit unabsehbare Strecken Englands besonders in den nördlichen Gegenden bedeckt waren. Unter diesen Forsten liebte er ganz besonders Barnsdale in Yorkshire, Sherwood in Nottinghamshire und nach einigen auch Plumptonpark in Cumberland. Hier fand er bereits oder versammelte er später um sich eine Anzahl von Leuten ähnlichen Schlages und Geschickes, welche ihm als Haupt und Führer willige Folge leisteten. Seine vorzüglichsten Lieblinge in dieser Schar oder doch jene, in die er ob ihres Mutes und ihrer Treue das meiste Vertrauen setzte, waren: Little John mit dem Zunamen Nailor (Nagelschmied); William Scatlock (auch Scathelock oder Scarlet); George a Green, der Hürdenaufseher von Wakefield; Much, eines Müllers Sohn, und ein Mönch oder Klosterbruder, namens Tuck. Auch soll ihm seine Geliebte, ein junges Frauenzimmer namens Marion, in seine Zufluchtsstätte gefolgt sein. Die Schar wuchs mit der Zeit auf beiläufig hundert Schützen und übertraf im Schießen mit dem Langbogen alle andern Schützen im Lande. In dieser Gesellschaft herrschte Robin Hood eine Reihe von Jahren in den Wäldern wie ein unabhängiger Fürst in fast ununterbrochenem Kriege mit dem König von England und dessen Untertanen mit einziger Ausnahme der Armen und Hilflosen, der Verfolgten und Unterdrückten oder sonst seines Schutzes Bedürftigen. Wenn er an dem einen Orte von überlegenen Kräften bedroht war. flüchtete er zu einem andern, immer Trotz bietend der Macht dessen, was »Gesetz und Regierung« hieß. Hieraus folgere man aber nicht, daß er ein Aufrührer oder Hochverräter gewesen: ein Geächteter (outlaw) jener Tage war ebenso beraubt jedes oberherrlichen Schutzes, als er gegen niemanden durch den Eid der Treue gebunden war: ›Seine Hand war gegen jedermann und jedermanns Hand gegen ihn!‹ Die königlichen Forste lieferten unserem Helden und seinen Gefährten durchs ganze Jahr Überfluß an Wild uns Feuerung; den Rest ihrer Lebensbedürfnisse deckte teils der Handel mit benachbarten Ortschaften, teils der ihr Gebiet betretende wohlhabende Reisende. Daß der Held und seine Genossen mitunter auch zum Raube ihre Zuflucht nahmen, läßt sich weder leugnen noch bemänteln. Fordun im 14. Jahrhundert nennt jenen: ›ille famosissimus siccarius‹, und Major bezeichnet ihn und Klein John als ›famatissimi latrones‹, wenngleich letztgenannter Geschichtschreiber beifügt, daß Robin Hood bei solchen Gewalttaten nur die Habe der Reichen sich angeeignet, nie, außer im ehrlichen Kampfe, einen Menschen getötet, nie die Mißhandlung eines Weibes geduldet und nie einem Armen etwas entzogen, im Gegenteil diese wohltätig aus der Beute bewirtet habe, die er reichen Prälaten abgenommen. Den Abt von St. Marys in York scheint er durch besondere Feindschaft ausgezeichnet zu haben: ebenso den Sheriff von Nottingham, der wohl durch allzu pflichteifrige Verfolgung der Geächteten sich seinen Haß zugezogen haben mochte. Nachdem Robin Hood so durch viele Jahre eine Art unabhängiger Selbstherrschaft geführt und Königen, Richtern und Gerichtspersonen Trotz geboten hatte, wurde ein Aufruf veröffentlicht, welcher auf seine Habhaftwerdung und Einbringung, sei's tot oder lebendig, eine namhafte Belohnung aussetzte; dieses Ausschreiben scheint aber keinen besseren Erfolg gehabt zu haben, als die früheren Versuche ähnlicher Art. Endlich als die Gebrechen des Alters auch auf ihm zu lasten begannen und er von einem Krankheitsanfalle durch einen Aderlaß Erleichterung hoffte, wandte er sich zu diesem Behufe an seine Verwandte, die Priorin von Kirkleys in Yorkshire, da Frauen, insbesondere Nonnen jener Zeit, mit chirurgischen Verrichtungen vertrauter waren als heutzutage. Diese ließ ihn verräterischerweise zu Tode verbluten. Solches geschah am 18. November 1247 im 87. Jahre seines Alters und im 31. Jahre der Regierung König Heinrichs III. Er wurde in geringer Entfernung vom Klostergebäude unter einer Baumgruppe begraben, ein Stein auf das Grab gesetzt und mit einer Inschrift zu seinem Gedächtnis versehen. Nach Robin Hoods Tode zerstreute sich seine Schar.«

Aus diesen Hauptmomenten des von Ritson entworfenen lebensgeschichtlichen Bildes leuchten allerdings einzelne Züge hervor, welche vorübergehend die Teilnahme des Volkes für den Helden nähren konnten; aber sie bieten uns bei weitem nicht die genügende Erklärung, die wir erwarten. Wir können uns nicht verhehlen, daß es den Volkssympathien für jenen offenbar hätte Eintrag tun müssen, wenn er, wie dort geschildert ist, nur durch eigene Schuld in die Lage eines vom allgemeinen Rechtsschutze Abgeschlossenen geraten wäre; ja, indem wir in dem Bilde hie und da Streiflichter von Ideen, Spuren von Kämpfen zu erblicken glauben, welche die Menschheit seit Jahrhunderten bewegen, sehen wir diese Ideen nur mit Unlust durch einen Träger vertreten, der denn doch nur als ein nobler Verbrecher, günstigstenfalls als ein begabterer Taugenichts anzusehen wäre. Unbefriedigt verfolgen wir die spärlichen Fußstapfen des Helden, so weit sie auf geschichtlichem Boden erkennbar sind, bis in die Dämmerungen einer fernen und quellenarmen Vergangenheit, um nach genügenderen Ergebnissen zu forschen. An der Hand und mit der Leuchte neuerer Geschichtschreibung und Kritik gelangen wir auf diesem Wege in die Tage der Eroberung und Beherrschung Englands durch die Normannen.

Wilhelm der Bastard, Herzog der Normandie, war mit einem zahlreichen normannischen Heere in England gelandet, um die durch den Tod Edwards des Bekenners erledigte angelsächsische Königskrone gegen seinen Mitbewerber Harald, Herzog von Wessex, der bereits den Titel eines Königs der Angelsachsen angenommen hatte, mit dem Schwerte zu erringen. Der 14. Oktober des Jahres 1066 war der ewig denkwürdige Tag, an dem sich Englands Schicksal durch die bei Senlac in der Nähe von Hastings geschlagene Schlacht entschied, in welcher Harald Leben und Thron an seinen glücklicheren Mitbewerber verlor. Die Krönung Wilhelms zum Könige von England war das Resultat der Begebenheit, die wir mit dem Ausdrucke: »Eroberung Englands durch die Normannen« zu bezeichnen gewohnt sind. Die drückenden und nachteiligen Folgen, welche jede Regierung eines ausländischen Fürsten mit sich führt, wenn er zu gleicher Zeit eine bedeutende Anzahl seiner Landsleute in sein neues Reich mitbringt, mußte durch die gewaltigen Heermassen von Normannen, die natürlicherweise den »Eroberer« begleiteten, für das angelsächsische Volk um so drückender werden. »Die Schlacht bei Hastings,« sagt ein neuerer GeschichtschreiberCh. B. Macaulay, The history of England from de accession of James II. Chap. I., »und die darauf folgenden Ereignisse setzten nicht nur einen Herzog der Normandie auf den englischen Thron, sondern sie gaben auch die ganze Bevölkerung Englands der Tyrannei der normännischen Rasse preis. Die Unterjochung eines Volksstammes durch einen anderen war selten, selbst in Asien nicht, von einer größeren Vollständigkeit. Das Land wurde zerstückt und unter die Führer der Eindringlinge verteilt. Strenge militärische Einrichtungen im engsten Zusammenhange mit den Eigentumsgesetzen boten den fremden Eroberern die geeignete Handhabe zur Unterdrückung der Landeskinder. Ein grausames Strafgesetzbuch, mit Grausamkeit durchgeführt, beschützte die Vorrechte, ja selbst die Vergnügungen der fremden Unterdrücker. Aber der überwundene Volksstamm, wenngleich niedergeworfen und unter die Füße getreten, ließ jene noch immer seinen Stachel fühlen.« Mögen auch die schwereren Versündigungen gegen die Rechte der Eingeborenen mehr den Nachfolgern Wilhelms in der Regierung, als diesem selbst zur Last fallen, so bleibt es doch unbestritten, daß Wilhelm alles Land, das seinen Vorgängern auf dem angelsächsischen Throne angehört hatte, sowie auch die Besitzungen jener Angelsachsen, die gegen ihn gekämpft hatten, wieder für sich genommen; daß er alle von Harald gemachten Verleihungen widerrufen und mit auf diese Art in seinen Besitz gebrachten Gütern sein Heer belohnt habe. König Wilhelm stellte die gesetzliche Norm auf, daß jeder Eigentumstitel, der älter als seine Eroberung, und jede Güterübertragung, welche jünger als diese, ohne seine förmliche Zustimmung und Gutheißung null und nichtig seien. Schon unter seiner Regierung wurden Klagen darüber laut, daß die normännisch-französische Sprache mit Gewalt in den Gerichtshöfen und namentlich in der königlichen Kurie eingeführt worden sei, was für die Angelsachsen um so drückender gewesen, als sie ohnehin gegen die Anmaßungen der normannischen Barone in den gewöhnlichen Volksgerichten nicht zu ihrem Rechte gelangen konnten und daher an die königliche Kurie sich wenden mußten. Die durch den Übermut der Normannen hervorgerufenen Empörungen der angelsächsischen Großen hatten für diese den Verlust ihrer Lehen wegen Felonie zur Folge, und so wurden alle hohen Ämter im Reiche, namentlich die Grafenwürde und die Stellen in der königlichen Kurie nur von Normannen besetzt, während die angelsächsischen Thane immer mehr daraus entschwanden.Siehe G. Phillips, Englische Reichs- und Rechtsgeschichte seit der Ankunft der Normannen im J. 1066 n. Chr. G. Berlin 1827. §. X. Unter Wilhelm I. wurde das Lehnwesen in England auf Grundlage der militärischen Rangfolge organisiert, und dadurch jener Zusammenhang und jene Disziplin, welchen die Glieder des Eroberungsheeres auf dessen Kriegsfahrten unterworfen waren, auch auf dem neugewonnenen Boden bewahrt und verstärkt. Die unermeßliche Ausbeute jener allgemeinen Güterkonfiskationen diente als Sold für die Abenteurer aus allen Ländern, welche sich unter die normännischen Fahnen eingereiht hatten, und denen neue Glücksritter in massenhaften Zügen über den Kanal nachfolgten. »Ihre Namen, niedrig und dunkel auf jener Seite der Meerenge, wurden edel und ruhmreich auf dieser,« sagt Augustin ThierryAugustin Thierry, Histoire de la conquête de l'Angleterre par les Normands. Livre IV., dem wir großenteils in der nachstehenden Darstellung folgen. Authentische Stellen bezeichnen einen Hugo den Schneider, Wilhelm den Kärrner u. dgl. als normännische Ritter in England. Die Mandeville und Dandeville. die Omfreville und Domfreville, die Mohun und Bohun usw., die Bastard, Brassard, Baynard, die Lucy, Lacy, Percy usf. und wie all die Eroberernamen auf den noch vorhandenen gereimten Listen heißen mögen, das waren die Männer, welche ihre Adelstitel für sich und ihre Nachkommen mit gewaffneter Hand nach England verpflanzten; die Diener, Stallmeister und Speerträger der normännischen Krieger wurden urplötzlich zu Edelleuten neben den reichsten und edelsten angelsächsischen Geschlechtern. »Diese Fremdlinge,« erzählt ein alter Chronist, »schützen sich gegenseitig, sie bilden einen engen Bund, dessen Glieder sich fest aneinander schließen, wie am Drachenkörper Schuppe mit Schuppe sich verbindet.« Während die normännischen Barone und Ritter ausgedehnten Grundbesitz mit Schlössern, Ortschaften, selbst ganzen Städten als Beuteteil erhielten, wurden die Vasallen untergeordneten Ranges mit mäßigeren Anteilen bedacht, einige mit barem Geld, andere durch Zwangsheiraten mit den begüterten Witwen der gebliebenen Gegner abgefertigt. Die Mehrzahl der Bistümer und Abteien mußte, wie die Güter der Reichen, die Freiheit der Armen und die Schönheit der Frauen, dazu dienen, die Kosten der Eroberung zu bezahlen. Ein Schwarm geistlicher Abenteurer aus Frankreich ergoß sich über die Prälaturen, Archidiakonate und Dechanteien Englands. Die meisten trugen in ihrer neuen Stellung die schamloseste Sittenlosigkeit zur Schau; einer von ihnen wurde von einem Weibe getötet, welchem er Gewalt antun wollte: andere machten sich berüchtigt durch ihre Völlerei und durch Ausschweifungen aller Art; Bischöfe plünderten Klöster und Kirchen und schmolzen deren Gold- und Silbergeräte für sich ein. Die Eingebornen wurden entwaffnet und gezwungen, dem neuen Oberhaupte, welches ihnen durch Waffengewalt aufgenötigt war, Treue und Gehorsam zu schwören. Sie leisteten zwar den Eid, aber im Grunde des Herzens glaubten sie nimmer, daß der Fremdling Englands rechtmäßiger König sei; ihr zahlreichen, sich immer wieder erneuernden Aufstände und Kämpf gegen diesen sprechen es nur zu deutlich aus. Den weltlichen Waffen gesellten sich geistliche; angelsächsische Bischöfe schleuderten den Bannfluch der Kirche gegen die Unterdrücker, aber er prallte wirkungslos an dem Könige ab, denn »Wilhelm hatte seine (normännischen) Priester, um die angelsächsischen Priester zu entwaffnen, wie er Normannenschwerter hatte, um die Sachsenschwerter zu brechen.« Nach der allmählichen Niederwerfung der organisierten Teile der angelsächsischen Kriegsmacht gab es nur noch einige zerstreute Trümmer des Heeres und der überwältigten Besatzungen, Soldaten ohne Führer und Führer ohne Gefolge. Der Krieg gegen diese nahm den Charakter persönlicher Verfolgungen an. Die hervorragenderen wurden feierlich gerichtet und verurteilt, die übrigen der Willkür der fremden Krieger überlassen, welche sie entweder niedermetzelten oder als Leibeigene auf ihre Ländereien versetzten. Abteilungen normännischen Kriegsvolks durchzogen den Nordosten in allen Richtungen, um das Land zu verwüsten und unbewohnbar zu machen sowohl für die Dänen, deren Landungen man befürchtete, als auch für die Angelsachsen, die man im Verdachte hatte, diese zu begünstigen. So wurde die angelsächsische Bevölkerung notwendigerweise in das Innere des Landes zurückgedrängt. Eine Anzahl Eingeborner, deren Mittel es gestatteten, und denen es glückte, die Häfen von Wales oder Schottland zu erreichen, wanderte ins Ausland. Dänemark, Norwegen, überhaupt die Länder germanischer Zunge, aber mitunter auch der minder stammverwandte Süden wurde das Ziel dieser Auswanderer. Von dem günstigen Lose angezogen, dessen sich die skandinavische Kaisergarde in Konstantinopel, die Waräger, damals erfreute, suchte eine Anzahl junger Leute dort ihr weiteres Fortkommen. Von jenen angelsächsischen Männern jedoch, welche weder auswandern konnten noch wollten, flüchteten viele mit ihren Familien, und wenn sie reich und mächtig waren, mit Dienern und Gefolge in die Wälder. Die großen Heerstraßen, auf welchen die normännischen Reisezüge sich bewegten, wurden von ihren bewaffneten Banden unsicher gemacht; sie holten sich mit List die Entschädigung für ihr verlornes Erbe, oder sie rächten in Blut die Niedermetzelung ihrer Stammgenossen. Während die mit der Eroberung befreundeten Geschichtschreiber diese Flüchtlinge nur als Räuber und Auswürflinge bezeichnen, welche frei- und böswillig gegen die rechtmäßige gesellschaftliche Ordnung in Waffen standen, glaubte die eingeborene Bevölkerung jene Männer ganz in dem guten Rechte, die Güter zurückzunehmen, die man ihnen gewaltsam entrissen hatte: und wenn sie zu Räubern wurden, so war es nach der Volksmeinung eben nur, um sich wieder in den Besitz des ihnen geraubten Eigentums zu setzen. Die Ordnung, gegen welche sie sich empörten, das Gesetz, welches sie verletzten, entbehrte in den Augen des Volkes jeder rechtmäßigen Weihe, und das englische Wort outlaw verlor von nun an im Munde der Unterjochten seine alte ungünstige Bedeutung: im Gegenteile, die alten englischen Erzählungen, Legenden und Volksballaden verbreiteten einen eigentümlichen dichterischen Reiz und Glanz um die Person des Verbannten und dessen unstetes, aber freies Waldleben. Der Norden Englands, welcher am kräftigsten den Eindringlingen widerstanden hatte, wurde vorzugsweise das Land solcher bewaffneter Wanderscharen, dieses letzten Protestes der Überwundenen. Die weiten Wälder der Provinz York wurden der Aufenthalt einer zahlreichen Bande unter der Anführung Sweyns, des Sohnes von Sigg. Im Innern des Landes und selbst in der Umgebung Londons rotteten sich Haufen solcher Männer zusammen, die von Sklaverei nichts wissen wollten, die Wildnis zu ihrer Wohnstätte erkiesend. Ihr Zusammentreffen mit den Eroberern war immer blutig. Neckereien, Überfälle und Kämpfe, Rachetaten an Wehrlosen waren an der Tagesordnung. Schrecken herrschte im Lande. Jede angelsächsische Wohnung war befestigt, von Waffen und Bewaffneten voll, verschlossen und verbollwerkt wie eine belagerte Stadt; nur bis an die Zähne bewaffnet wagte man sich aus seinem Hause. Einer jener Zufluchtsorte und Sammelplätze, das mitten in den Sümpfen der Provinz Cambridge auf der sogenannten Insel Ely errichtete, mit Erdwällen und Verhauen geschützte »Lager der Zuflucht« (camp du refuge – castra refugii) erhielt seine größere historische Berühmtheit und Weihe als »Bollwerk der angelsächsischen Unabhängigkeit« durch den Namen Hereward, der als Verteidiger der angelsächsischen Volksrechte und Rächer der Unbill aus ihm hervorging, und dessen Heldentaten und Märtyrertod (1072) lange in den Liedern des Volkes lebten. Die normännischen Könige, Nachfolger des Bastards, bewohnten und beherrschten längst in voller Sicherheit die Provinzen des Südens, während sie nur im Geleite eines kriegstüchtigen Heeres wagen durften, die nördlich des Humberflusses gelegenen Landstriche zu betreten. Im Norden erhielt sich am längsten der Geist des Widerstandes gegen die durch die Eroberung eingeführte Ordnung der Dinge; hier ergänzten sich durch mehr als zwei Jahrhunderte die Mannschaften der Outlaws, dieser politischen Nachfolger der Flüchtlinge des Lagers von Ely und der Gefährten Herewards. Von der Geschichte verkannt oder mißverstanden, werden sie von dieser entweder mit Stillschweigen übergangen oder nach der üblichen Amtssprache jener Zeit mit Benennungen gebrandmarkt, welche ihnen alle Teilnahme entfremden könnten, nämlich mit den Namen von Aufrührern, Dieben und Banditen. Aber diese Titel sind dieselben, mit welchen in jedem unter Fremdherrschaft schmachtenden Lande die kleine Zahl tapferer und unabhängiger Männer bezeichnet wird, welche es vorzogen. in die Berge und Wälder zu flüchten, als den Aufenthalt in den Städten mit jenen zu teilen, welche das Sklavenjoch zu ertragen vermochten. Das Volk, das ihnen zu folgen nicht den Mut hatte, liebte sie dennoch und begleitete sie mit seinen Wünschen. Während Verordnungen in französischer Sprache die Stadt- und Landbewohner Englands aufriefen, die geächteten Männer des Waldes wie Wölfe zu hetzen und von Bezirk zu Bezirk zu verfolgen, pries das Volkslied in angelsächsischer Sprache den Ruhm dieser Feinde der Fremdengewalt, »deren Schatzkammer die Börse des Grafen, deren Herde das Damwild des Königs« sei.

Zur Vervollständigung des vor uns aufgerollten Geschichtsbildes sei ein Blick auf die normännischen Jagdgesetze geworfen. Wilhelm I. ließ eine zwischen Salisbury und der Seeküste gelegene Landstrecke mit Bäumen besetzen und in Wald umwandeln und nannte sie New forest (novum forestum). Diese Strecke Landes umfaßte vor ihrer Umgestaltung in Wald mehr als sechzig Kirchspiele, welche der Eroberer auflöste und deren Bewohner er vertrieb. Es ist zweifelhaft, ob der Beweggrund hierzu politischer Natur gewesen, oder ob er nur in des Königs und seiner Söhne maßloser Vorliebe für die Jagd zu suchen sei. Dieser ungezähmten Leidenschaft schreibt man auch die sonderbaren und grausamen Verordnungen zu, die er über das Waffentragen in den englischen Forsten erließ; aber man darf mit Recht annehmen, daß diese Verfügungen einen tieferen Grund hatten und gegen die Angelsachsen gerichtet waren, welche unter dem Vorwand der Jagd sich ein Stelldichein in Waffen geben konnten. Die Strafen, die Wilhelm auf die Tötung eines Hirsches oder anderen Wildes gesetzt hatte (Verlust der Augen, Entmannung usw.) waren so strenge, daß eine Chronik ihm nachsagt, »er habe das Wild so sehr geliebt, als ob er der Vater wilder Bestien sei«. Diese Jagdgesetze, mit besonderer Härte gegen die Angelsachsen in Geltung gebracht, steigerten deren Elend, denn vielen aus ihnen war die Jagd das einzige Mittel zur Fristung des Lebens. Die königlichen Jagdreviere Wilhelms umfaßten alle großen Waldungen Englands, er selbst besaß achtundsechzig ForstePhillips a. a. O. II. § 31., welche für die Eroberer furchtbar werden konnten, da sie der Zufluchtsort ihrer letzten Gegner blieben. Jene Gesetze, welche durch ihre Besorgtheit um das Leben der Hasen den Spott der Sachsen weckten, waren doch eine mächtige Schutzwache für das Leben der Normänner, und um die Durchführung derselben zu sichern, wurde die Jagd in den königlichen Forsten zu einem Vorrechte, dessen Verleihung sich der König ausschließlich vorbehielt. Hochgestellte Personen normännischen Stammes, empfindlicher für die ihnen auferlegte Beschränkung, als für die Interessen der Eroberung, murrten gegen die Ausschließlichkeit des Gesetzes. Aber solange der nationale Geist sich unter den Besiegten lebendig erhielt, konnte dieser Wunsch normännischer Großen den festen Willen ihrer Könige nicht erschüttern. Von dem Gefühle der politischen Notwendigkeit geleitet, bewahrten die Söhne Wilhelms ebenso ausschließlich wie er selbst das Vorrecht der Jagd, und erst später, im 13. Jahrhundert, als die Notwendigkeit dieses Privilegiums nicht mehr vorhanden war, ließen sich ihre Nachfolger nicht ohne Bedauern dazu bewegen, auf dasselbe zugunsten der Parkbesitzer normännischer Rasse teilweise zu verzichten. An diese und deren Jagdaufseher ging nun die Befugnis über, den auf Hasen und Damwild lauernden Angelsachsen ungestraft zu töten, bis endlich der arme Abkömmling dieses Stammes dem reichen Sprossen des andern furchtbar zu sein aufgehört und seine Jagdfrevel mit gelinderen Strafen zu büßen hatte.

»Wenn der Leser nun« – wir lassen unsern Gewährsmann A. ThierryThierry a. a. O. livre VI. sprechen – »all diese Tatsachen zusammenfaßt, mag er sich eine richtige Vorstellung dessen bilden, was England zur Zeit seiner Eroberung durch Wilhelm von der Normandie gewesen ist: doch darf er sich nicht etwa einen einfachen Regierungswechsel oder den Sieg eines Thronwerbers vorstellen, sondern das Einbringen eines ganzen Volkes in den Schoß eines andern Volkes, welches durch das erstere zersprengt worden, und dessen zerstreute Trümmer in die neue gesellschaftliche Ordnung nur Aufnahme gefunden als persönliches Zugehör, oder um den Ausdruck der alten Schriftstücke zu gebrauchen, als »Kleid der Erde« (Terrae vestitus, Terrae vestita. Id est agri cum domibus, hominibus et pecoribus). Man darf nicht auf der einen Seite Wilhelm als König und Despoten sich vergegenwärtigen und auf der andern Seite vornehmere oder niedrigere, reichere oder ärmere Untertanen, sämtlich Bewohner Englands und somit sämtlich Engländer, ihm gegenüberstellen; man muß sich eher zwei ganz verschiedene Völkerschaften vor Augen halten, nämlich Engländer durch Abstammung und Herkunft und Engländer durch feindlichen Einfall, beide in ein und dasselbe Land sich teilend und doch auf demselben Boden streng gesondert. Oder man vergegenwärtige sich vielmehr zweierlei Länder unter ganz verschiedenen Verhältnissen; das Land der Normänner reich und abgabenfrei, das Land der Sachsen arm, dienstbar und mit Grundzinsen bedrückt; das erstere voll geräumiger Paläste und gemauerter, mit Schießscharten versehener Burgen, das andere besät mit Strohhüten und ärmlichen verfallenden Wohnstätten; jenes bevölkert von Glücklichen und müßigen, von Rittern und Edlen, dieses bewohnt von Männern des Mühsals und der Arbeit, von Ackersleuten und Handwerkern; in dem einen die Üppigkeit und der Übermut, in dem andern das Elend und die Mißgunst; doch nicht die Mißgunst des Armen beim Anblick fremden Reichtums, sondern die des Beraubten dem Räuber gegenüber. Endlich, um das Bild vollständig zu machen, sind beide Länder gewissermaßen eines von dem andern durchschlungen, sie berühren sich an allen Punkten und sind doch schärfer getrennt, als wenn das Meer zwischen ihnen wogte. Jedes hat seine ihm eigentümliche, dem andern gänzlich fremde Sprache; das Französische ist die des Hofes, der Schlösser, der reichen Abteien, kurz aller Orte, wo die Macht und die Pracht herrschen, während das alte Landesidiom am Herde des Armen und Leibeigenen sich heimisch erhielt. Noch lange pflanzten sich beide Sprachen

.....The folk of Normandie
Among us woneth yet and shalleth evermore.
Of Normans beth these high men that beth in this land
And the low men of Saxons....
Robert of Gloucester's Chronicle.
unvermengt fort und blieben, die eine das Kennzeichen des Adels, die andere das des gemeinen Mannes.« Zur Ergänzung des vorstehenden sei noch erwähnt, daß der fünfte normännische König Englands, Heinrich II., nachdem ein volles Jahrhundert seit der Eroberung verflossen war, noch nicht so viel Englisch wußte, um die Worte »Gode olde kynge«, womit ihn ein Eingeborner in der Grafschaft Pembroke begrüßte, ohne Dolmetsch zu verstehen. Auch von seinem Sohne und Nachfolger Richard – zu dessen Geschichte uns die Spuren des historischen Robin Hood nun leiten – ist es nachgewiesen, daß er nicht imstande war, ein Gespräch in englischer Mundart zu führen; dagegen sprach und schrieb er korrekt die beiden romanischen Sprachen Frankreichs, die langue d'oui und die langue d'oc, und dichtete sogar in der letzteren.

Nachdem Richard I. Löwenherz aus der Gefangenschaft, in die er auf seiner Rückreise aus Palästina geraten, nach England heimgekehrt und gegen die Usurpation seines Bruders Johann in sein königliches Recht wieder eingesetzt war, blieb ihm nur noch der Widerstand der Besatzung von Nottingham zu brechen. Er eilte in Person dahin und siegte auch dort durch seine Tatkraft. »Nach diesem Siege« – wir nehmen wieder Thierrys DarstellungThierry a. a. O. liv. XI. in dessen eigenen Worten auf – »unternahm König Richard zu seiner Erholung eine Lustreise in den größten der Forste Englands, welcher sich auf einem Raume von mehreren hundert Meilen von Nottingham bis in den Mittelpunkt der Grafschaft York erstreckte; die Sachsen nannten ihn Sire-Wode, ein Name, welcher sich im Laufe der Zeit in Sherwood verwandelte. »Noch nie in seinem Leben«, so erzählt ein Zeitgenosse, »hatte er diese Wälder gesehen, und sie gefielen ihm ungemein.«»Anno 1194 vicesima nona die Martii Richardus rex Angliae profectus est videre Clipstone et forestas de Sirewode, quas ipse nunquam viderat antea; et placuerunt ei multum et eodem die rediit ad Nottingham.« Rog. de Hoveden, Annales. Nach einer langen Gefangenschaft ist man besonders empfänglich für die Reize landschaftlicher Schönheit, und zudem mochte sich dieser natürlichen Anziehungskraft auch eine andere, für den abenteuernden Geist Richards noch bestechendere beigesellt haben. Sherwood war damals ein für die Normänner gefährlicher Wald, der Aufenthaltsort der letzten Trümmer jener bewaffneten angelsächsischen Scharen, welche, die Eroberung nicht anerkennend, nach freiem Willen außerhalb des Fremdlingsgesetzes lebten. Überall verjagt, verfolgt, gehetzt wie wilde Tiere, konnten sie nur hier sich in größerer Anzahl behaupten, begünstigt durch die örtliche Lage und unter einer Art militärischer Organisation, welche ihnen einen achtungswerteren Charakter verlieh, als jenen gemeiner Strauchdiebe und Straßenräuber.«

»Zu der Zeit, als der Heros der anglonormännischen Barone den Forst von Sherwood besuchte, lebte in demselben ein Mann, welcher der Held der Leibeigenen, der armen und kleinen Leute, mit einem Worte der Held des angelsächsischen Volkes war. ›Unter den ihres Erbes Beraubten‹, berichtet ein alter Chronist, ›machte sich damals der berühmte Räuber Robert Hode bemerklich, welchen das gemeine Volk mit so großer Vorliebe in Festen und Schauspielen feiert, und dessen Geschichte, von den Minstrels gesungen, es jeder andern vorzieht.‹»Hoc in tempore de exhaeredatis surrexit ille famosissimus siccarius Robertus Hode cum suis complicibus, de quibus stolidum vulgus hianter in comoediis festum faciunt et super caeteras romancias mimos et bardanos cantitare delectantur.« – Forduni Scotor. histor. ed. Hearne p. 774. Auf diese wenigen Worte beschränken sich unsere historischen Daten über das Dasein jenes letzten Angelsachsen, der dem Vorbilde Herewards so eifrig nachstrebte, und um nur einige Züge seines Lebens und Charakters aufzufinden, muß man notwendigerweise zu den alten Romanzen und Volksballaden seine Zuflucht nehmen. Kann man auch den darin geschilderten seltsamen und oft sich widersprechenden Taten und Ereignissen nicht unbedingt Glauben beimessen, so bleiben sie doch ein unanfechtbares Zeugnis der warmen Liebe des englischen Volkes für den Bandenhäuptling, welchen jene Poesien verherrlichen, und für dessen Genossen, die statt für ihre Herren das Ackerland zu bebauen, lieber, wie das alte Lied singt, »froh und frei durch die Wälder streiften«.

»Es steht außer Zweifel, daß Robert, oder im Volksmunde Robin Hood, von angelsächsischer Abstammung gewesen. Sein französischer Vorname ist kein Gegenbeweis, denn schon im zweiten Menschenalter nach der Eroberung kamen durch den Einfluß des normännischen Klerus die alten Taufnamen allmählich außer Gebrauch und wurden durch die in der Normandie üblichen Heiligennamen ersetzt. Der Name Hood ist sächsisch, und die ältesten und daher beachtenswertesten Balladen reihen seine Vorfahren unter die Yeomanry, d. i. die Klasse der freien Landleute ein.

I shall you tell of a good yeman
His name was Robyn Hode.
V Lytell geste of R. H. Fytte I.

oder:

Robin Hood was the yemans name
That was boyt corteys and fre.
Robin Hode and the Potter.

Später, als das Andenken an die durch die Eroberung bewirkte Umwälzung sich abschwächte, verfielen die Dorfpoeten darauf, ihren Liebling mit dem Aufputz der Größe und des Reichtums auszustaffieren; sie machten aus ihm einen Grafen oder doch mindestens den Enkel eines Grafen.Vergl. in der vorliegenden Sammlung die Ballade: »Robin Hoods Geburt«. . . . Diese Annahme jedoch entbehrt jeder historischen Grundlage.«

»Sei es nun wahr oder falsch, daß Robin Hood ›im Walde zwischen blühenden Lilien‹, wie die Ballade singt, geboren ward, das ist dagegen sicher, daß er im Walde sein Leben zubrachte an der Spitze mehrerer Hundert von Bogenschützen, gefürchtet von Baronen, Bischöfen und Äbten, aber geliebt vom Landmann und Arbeiter, von Witwen und armen Leuten.« . . . »Sie waren alle (nämlich Robin Hood und dessen bereits erwähnte Genossen) von fröhlicher Laune, nicht begierig sich zu bereichern, sondern nur bemüht, mit ihrer Beute das Leben zu fristen, und ihren Überfluß teilend mit den Familien derer, welche in der großen Plünderung durch die Eroberer um ihren Besitz gekommen waren.« . . . »Ihre Hiebe fielen nur auf die Agenten der königlichen Polizei und auf die hohen Regierungsbeamten in den Städten und Provinzen, welche von den Normännern Vicomtes, von den Engländern Sheriffs genannt wurden. Der Sheriff von Nottingham war insbesondere derjenige, mit dem Robert Hood am häufigsten zu kämpfen hatte, der diesen am lebhaftesten mit Fußvolk und Reitern verfolgte, auf seinen Kopf einen Preis setzte und seine Freunde und Gefährten – wiewohl immer ohne Erfolg – zum Verrat an ihrem Meister zu verführen suchte.« »Die staunenswerten Abenteuer dieses Bandenhäuptlings des 12. Jahrhunderts, seine Siege über die Männer normännischen Stammes, seine Kriegslisten und Rettungen aus Gefahren waren lange Zeit der einzige Stoff vaterländischer Geschichte, welchen ein Mann aus dem Volke Englands seinen Söhnen überlieferte, wie er selbst ihn von seinen Vorfahren überkommen hatte.«

»Zwischen den Flüchtlingen des Lagers von Ely und den Männern von Sherwood, zwischen Hereward und Robin Hood hatte es eine Reihe von Häuptlingen der geächteten Parteigänger namentlich im nördlichen England gegeben, welche gleichfalls zwar eines gewissen Rufes nicht entbehrten, von denen man aber viel zu wenig Sicheres weiß, um sie als historische Personen gelten zu lassen. Die Namen einiger, wie Adam Bel, Clym of the Clough und William Cloudesley haben sich lange im Andenken des Volkes erhalten. Eine längere, wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert herrührende BalladeIn des Bischofs Th. Percys »Reliques of ancient english poetry« und anderen späteren Sammlungen abgedruckt. besingt die Abenteuer dieser drei Männer, welche voneinander ebensowenig getrennt werden können, als Robin Hood und Klein John. Sie veranschaulicht dem heutigen Leser noch deutlicher den Begriff, welchen sich das englische Volk über den sittlichen Charakter solcher Männer, die lieber Räuber als Sklaven sein wollten, gebildet hatte.«

»Wenn Robin Hood der letzte Häuptling jener angelsächsischen Geächteten (outlaws) bleibt, welcher sich einer wahrhaft volkstümlichen Berühmtheit zu erfreuen hatte, so berechtigt uns dies doch nicht zu der Annahme, daß nicht auch andere Männer desselben Volksstammes nach ihm dieselbe Lebensweise geführt haben, beseelt von dem Geiste politischer Gegnerschaft gegen eine Regierung von Leuten fremder Abkunft und Sprache. Der volkstümliche Widerstand sollte unter der Form des Freibeutertums noch länger fortdauern und die Begriffe: ›freier Mann‹ und: ›Gegner des Gesetzes‹ noch lange unzertrennlich voneinander bleiben. Aber auch dieser Zustand mußte sein Ende erreichen, je mehr man sich von der Zeit der Eroberung entfernte. In dem Maße, als der angelsächsische Volksstamm sich später durch Gewohnheit in Verhältnisse einlebte, welche er früher in Verzweiflung ertragen hatte, verlor jenes Freibeutertum allmählich seine patriotische Weihe und sank zu seiner natürlichen Bedeutung zurück, nämlich zu jener eines entehrenden Handwerks. Von diesem Augenblicke an war ein solches in den englischen Wäldern zwar nicht minder gefahrvoll und erheischte nicht weniger Mut und persönliche Gewandtheit, aber es erzeugte keine Helden mehr. Es blieb in den unteren Volksschichten nur eine große Hinneigung zur Verletzung der Jagdgesetze und eine ausgesprochene Sympathie für jene zurück, die, sei es aus Not, sei es aus Übermut, diese Verordnungen der Eroberer mißachteten. Das Treiben abenteuernder Wilddiebe und das Waldleben überhaupt wird mit Liebe in einer Menge neuerer Lieder gefeiert; sie alle preisen die Unabhängigkeit, deren man sich im grünenden Waldes erfreut, wo man keinen anderen Feind hat ›als den Winter und das Unwetter‹, wo man fröhlich ist, solange der Tag währt und leichten Sinnes wie das Blatt auf dem Baume.‹«Thierry a. a. O. liv. XI.

Noch einmal flammte der alte Rassenhaß der beiden Stämme zur verheerenden Kriegsfackel empor, welche, von einem Fremdling zwar geschwungen, nach dem vorübergehenden Siege der Volkssache bei Lewes (1264) später in den Blutströmen des Schlachtfeldes von Evesham (1265) mit dessen Leben erlosch. Der Name Simon von Montfort (Leicester) aber lebt als der eines ruhmreichen Führers angelsächsischer Scharen, eines Kämpfers und Blutzeugen für die in der Magna charta (1213) errungenen gemeinsamen Rechte und Freiheiten noch im Andenken und Liede des Volkes fort.Als Ausdruck wahrhafter Volkstrauer kann die auch dichterisch schwungvolle Totenklage »The lament of Simon de Montfort« gelten, deren normännisch-französischer Urtext am korrektesten in Thom. Wright's Political songs of England 1839 abgedruckt ist. Englische Übersetzungen davon lieferten W. Scott und G. Ellis. Bei Montforts Unternehmungen war der Volkssache bereits ein Teil des unabhängigen normännischen Adels beigetreten. So langer Zeit hatte es bedurft, um, nach den Worten eines neueren englischen KritikersSiehe den Aufsatz über Robert Hoods Leben und Charakter im London and Westminster Review. No. LXV. März 1840., »die tiefe moralische Kluft, welche die Eroberung zwischen zwei einander durchaus fremde Volksstämme gerissen hatte, so weit auszufüllen. daß es für beide Teile möglich ward, von einem und demselben öffentlichen Geiste beseelt, ein gemeinsames politisches Ziel zu verfolgen, und daß die Nachfolger und Abkömmlinge der militärischen Kolonisten, welche Wilhelm I. nur als gelagert im Lande der Angelsachsen zurückgelassen hatte, sich daselbst als angesiedelt betrachten konnten«.

Endlich sei noch des großen Bauernaufstandes unter Wat-Tyler (1381) Erwähnung getan, als des Schlußaktes in der Reihe der angelsächsischen Volksaufstände und als des Eingangsaktes zu einer ganz andern Gattung politischer Bewegungen. Die tiefe Überzeugung von der Ungerechtigkeit und Verwerflichkeit der Leibeigenschaft und Hörigkeit, welche die vereinigende Losung der Verschwörung von 1381 gewesen war und den angelsächsischen Dienstpflichtigen zur Empörung getrieben hatte, gewann auch bei dem normännischen Herrn allmählich die Oberhand. Zahlreiche Freibriefe, deren Mehrzahl dem 14. und 15. Jahrhundert angehört, geben noch heute Zeugnis, wie Englands Adel freiwillig das Band der Dienstbarkeit des Landmanns löste und somit das verhaßteste Erbstück aus der Eroberungszeit von sich warf. Und als es allmählich auch der Volkssprache in ihrer letzten Mischung gelang. sich wieder zu den Gerichtshöfen und endlich in das Parlament Bahn zu brechen, war auch ihr vollständiger und dauerhafter Sieg ausgesprochen und besiegelt.


 << zurück weiter >>