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III. Tarquinius Priskus und Servius Tullius.

 

Tarquinius Priskus.

 

1. Wie Tarquinius König wird.

Während der Regierung des Ankus war ein reicher Fremdling, Lukumo mit Namen, nach Rom gezogen. Sein Vater, ein griechischer Kaufmann, war aus Korinth wegen bürgerlicher Unruhen entflohen, hatte sich in Italien bei den Etruskern in der Stadt Tarquinii niedergelassen und dort eine etruskische Frau geheirathet. Nach dem Tode seines Vaters beschloß Lukumo nach Rom zu ziehen, im Glauben, daß er dort wohl sein Glück machen könnte. Und seine Hoffnung täuschte ihn nicht; der König und das Volk nahmen den reichen freigebigen Fremdling gern auf und dieser veränderte seinen Namen in Lucius Tarquinius.

Wegen seiner Klugheit und feinen Bildung wurde Tarquinius vom Könige öfters zu Rathe gezogen; aber er zeigte sich auch als tapferer Krieger und ward bald vom römischen Volke hoch geehrt. Ankus Martius übertrug ihm daher kurz vor seinem Tode die Vormundschaft über seine beiden noch unmündigen Söhne. Doch Tarquinius war ein unredlicher Vormund. Als der Tag der Königswahl erschien, schickte er die beiden Königssöhne auf die Jagd und überredete das Volk, ihn selber zum König zu wählen.

Uebrigens hatten die Römer Ursache, mit ihrer Wahl zufrieden zu sein, denn der Tarquinier war gleich erfahren in den Künsten des Friedens und des Krieges.

 

2. Was Tarquinius für Rom that.

Zuerst zog Tarquinius gegen die Sabiner und Latiner und kämpfte so glücklich, daß Rom auf längere Zeit vor feindlichen Angriffen gesichert war. Die Friedenszeit wußte der rastlos thätige Mann gut zu benutzen. Anstatt des Erdwalles ließ er eine feste Stadtmauer um die ganze Stadt aufführen. Da wegen der vielen Hügel bei Regenwetter sich Schmutz und Schlamm in den niederen Theilen der Stadt anhäuften, waren Abzugskanäle höchst nothwendig. Tarquinius ließ großartige Kloaken mauern, in welche alle Unreinigkeiten aus den Straßen und Wohnhäusern abflossen und dann in die Tiber geleitet wurden. Man muß sich aber diese Kanäle nicht eng und niedrig denken, sondern als große, weite Gewölbe von so fester Bauart, daß sie noch Jahrhunderte nachher die schwersten Thürme trugen. Für öffentliche Kampfspiele und Leibesübungen wurde ein großer Platz angelegt, der Circus maximus genannt. Ringsumher gingen in immer steigender Erhebung Bänke, die nach den Kurien vertheilt waren; der Umfang war so groß, daß der Cirkus 150,000, nach Einigen sogar 250,000 Menschen zu fassen vermochte. Endlich legte der baulustige König noch den Grund zu dem berühmten Kapitol, der mächtigen Tempelburg des Jupiter aus dem kapitolinischen Hügel.

 

3. Wie Tarquinius endet.

Die Söhne des Ankus Martius konnten es nicht vergessen, daß sie vom Tarquinius um den väterlichen Thron betrogen worden waren. Der König hielt sie absichtlich von allen Regierungsgeschäften fern, und ging damit um, seinen Schwiegersohn Servius Tullius zu seinem Nachfolger wählen zu lassen. Da trachteten die beiden Brüder ihm nach dem Leben. Sie gewannen zwei Hirten, die mußten, mit ihren Holzäxten bewaffnet, in die Wohnung des Königs dringen und großen Zank und Lärm erheben. Es war damals noch Sitte, daß die Könige in Person das Richteramt übten, und so kam denn auch der alte Tarquinius aus seinem Hause, um den Streit zu schlichten. Während er aber der erdichteten Erzählung des Einen zuhört, schleicht sich der Andere hinter ihn und schlägt ihn mit seiner Axt zu Boden. Dann flohen beide Hirten davon.

 

Servius Tullius.

 

1.

Servius war in Rom geboren, wo seine Mutter als Gefangene und Sklavin in das Haus des Tarquinius gekommen war. Als Servius noch ein Kind war, brannte ihm einst, erzählt die Sage, das Haupthaar wie in hellen Flammen, ohne daß das Feuer die Haare verzehrte. Die Gemahlin des Tarquinius, die Königin Tanaquil, welche in etruskischer Weisheit wohlbewandert war, erklärte dies Wunder als ein Zeichen der Götter von der künftigen Größe des Knaben. Auf ihren Rath wurde nun Servius wie ein Königssohn für die höchsten Würden erzogen. Er zeichnete sich bald durch Geist und Tapferkeit vor Allen aus; Tanaquil und Tarquinius gaben ihm ihre Tochter zur Frau und bald auch Antheil an der Regierung.

Das Volk ehrte diesen glücklichen und würdigen Emporkömmling und darauf baute Tanaquil die Hoffnung, den geliebten Schwiegersohn einst als König von Rom zu sehen. Als nun Tarquinius ermordet war, die Liktoren den Mördern nachsetzten und das Volk neugierig und bestürzt zusammenlief, ließ Tanaquil sogleich die Königsburg verschließen und den Servius holen. Sie zeigte ihm den entseelten Leichnam und beschwor ihn, den Tod seines Schwiegervaters zu rächen. Zugleich entflammte sie seinen Ehrgeiz. »Nicht die Mörder«, sagte sie, »müssen herrschen, sondern dein ist das Reich, wenn du ein Mann bist.« – Darauf rief sie aus einem oberen Fenster der Burg dem andringenden Volke zu, der König sei blos verwundet und lebe noch; er habe den Servius zu seinem Stellvertreter bestimmt, dessen Befehlen möge Jeder gehorchen.

Servius erschien nun im Königsmantel, entschied Streitigkeiten, stellte sich bei andern Dingen, als ob er erst mit dem kranken Könige Rücksprache nehmen müßte, und gewöhnte so das Volk an seine Herrschaft. Endlich wurde der Tod des Königs bekannt gemacht, die Kurien versammelten sich und bestätigten die Herrschaft des Servius. Die Söhne des Ankus hatten schon auf die falsche Nachricht, daß Tarquinius noch lebe, die Flucht ergriffen.

 

2.

Servius wurde der Wohlthäter seines Volkes und der eigentliche Begründer des römischen Staatswesens. Er theilte das ganze Volk nach dem Vermögen in sechs Klassen; diese nach der Vermögensschätzung oder dem Censusgebildeten Klassen zerfielen wieder in Centurien.

Die Bürger der ersten Klasse waren die vornehmsten und reichsten; sie mußten 100,000 römische As (oder so viele Pfund Kupfer), nach unserem Gelde etwa 2300 Thaler, besitzen. Man nannte solche Bürger vorzugsweise classici und hiervon bedeutet noch bei uns der Ausdruck »klassisch« das Vorzügliche und Ausgezeichnete. Die Bürger der zweiten Klasse mußte 85,000, die der dritten 50,000, die der vierten 25,000, die der fünften 11,000 As im Vermögen haben. Zu der sechsten Klasse gehörten die vielen Armen, die Wenig oder Nichts im Vermögen hatten.

Nach diesem Census richtete sich auch der Antheil an der Regierung und am Kriegsdienste. Die erste Klasse bestand aus 80 Centurien Fußvolk und 18 Centurien Reiterei, stimmte also auch in der Volksversammlung mit 98 Centurien, während die zweite Klasse nur aus 22 Centurien, die dritte aus 20, die vierte aus 22, die fünfte aus 30, die sechste aus einer einzigen Centurie bestand. Wenn es also zur Abstimmung kam, konnten die classici 98 Stimmen gegen 95 aufbringen, und so behielten die Patricier fortdauernd die höchste Gewalt.

Für Bewaffnung und Lebensunterhalt mußte damals jeder Kriegsmann selber sorgen. Darum konnten die Schwerbewaffneten nur aus der ersten Klasse genommen werden; denn zur schweren Bewaffnung gehörte Beinharnisch, Panzer, Spieß, Schwert, Helm und runder Schild; bei den Rittern natürlich noch ein Pferd sammt dessen Ausrüstung.

Die zweite Klasse hatte ähnliche Waffen, nur fehlte ihr der Panzer, und der Schild war nicht rund. Ihr zugesellt waren zwei Centurien von Waffenschmieden und anderen Handwerkern.

Die dritte Klasse hatte weder Panzer, noch Beinharnische; die vierte Klasse bloß Spieß, Schwert und Schild, und an diese schlossen sich zwei Centurien von Trompetern und Hornbläsern.

Die fünfte Klasse bildete die leichten Truppen mit Spieß und Schleuder, die sechste aber war ganz vom Kriegsdienst, die Aermsten derselben auch von Abgaben frei.

Weil das Vermögen einzelner Bürger sich in einigen Jahren sehr vermehren oder vermindern konnte, so verordnete der König alle fünf Jahre eine neue Schätzung ( census), die mit einem Reinigungsopfer ( lustrum) begann. Bei der ersten Musterung fanden sich schon 83,700 waffenfähige Bürger. Diese wurden nach ihren Wohnplätzen in 30 Distrikte oder Tribus getheilt, von denen 26 auf das Land und nur vier auf die Stadt kamen, denn die reicheren Bürger zogen den Ackerbau und das Landleben vor.

Unter Servius wurden auch die beiden letzten römischen Hügel, der viminalische und esquilinische, angebaut und mit besiegten Völkern aus der Umgegend besetzt. So thronte denn die Hauptstadt Roma auf sieben Hügeln.

 

3.

Zum Dank gegen die Götter über die glückliche Vollendung so vieler wichtigen Dinge errichtete Servius Tullius dem Glück zwei Tempel. Aber dennoch verließ ihn das Glück und die Glieder seiner eigenen Familie bereiteten ihm ein schmähliches Ende. Tarquinius hatte zwei Söhne hinterlassen, Lucius und Aruns. Um diese wegen der verlorenen Herrschaft zu trösten und freundlich zu stimmen, vermählte ihnen der König seine beiden Töchter. Die jüngere, Tullia, war wild und herrschsüchtig, diese gab er dem sanften Aruns; die ältere, welche auch Tullia hieß, war viel gutmüthiger und sanfter, und diese gab der Vater dem wilden, herrschsüchtigen Lucius, um dessen Gemüthsart zu mildern. Doch Servius hatte sich verrechnet; dem Tarquin ward seine allzu sanfte und zarte Gemahlin verhaßt und die jüngere Tullia hätte viel lieber mit dem feurigen, kühnen Lucius Tarquinius gelebt. Sie verständigte sich mit diesem und tödtete ihren Mann, Lucius aber brachte seine Frau um und heirathete die Tullia. Nun faßten Beide den Plan, auch noch den König Servius aus dem Wege zu räumen und selbst des Thrones sich zu bemächtigen. Durch schöne Worte und große Geschenke brachten sie einen Theil der Senatoren auf ihre Seite, wiegelten auch Alle, die mit dem König nicht recht zufrieden waren, gegen dessen Regierung auf. Eines Tages erschien Lucius, angespornt von seinem bösen Weibe, im Kriegsmantel auf dem Forum, ging in die Rathsversammlung und setzte sich auf den königlichen Thron. Der alte König, dem man solches meldet, eilt herzu und will den trotzigen Lucius vom Throne stoßen, doch der junge Mann ist stärker als der Greis, stürzt diesen selber die steinernen Stufen hinab, und als derselbe sich blutend wieder erhebt, um zu fliehen, schickt er ihm einige seiner Leute nach, die ihn ermorden. Die unnatürliche Tochter kommt triumphirend in einem Wagen gefahren, um ihren Gemahl als König zu begrüßen; sie sieht ihren greisen Vater auf der Straße liegen und fährt hohnlachend über dessen Leichnam hin, so daß die Räder des Wagens vom Blute ihres Vaters sich röthen. Die Straße, in welcher diese Unthat geschah, hieß von nun an die »verruchte.«


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