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1.
Als Pelopidas in Thessalien kämpfte, griff er auch in die Angelegenheiten des makedonischen Reichs und befestigte den König Alexander, den ältesten Sohn des Amyntas, auf dem Thron; den jüngsten aber, Philipp, nahm er als Geisel mit nach Theben. Hier lebte Philipp im Hause des Epaminondas und hatte Gelegenheit, sich nach dem Vorbilde dieses großen Thebaners zum tüchtigen Feldherrn und Krieger auszubilden; vor Allem aber lernte er in Theben die Verwirrungen und Zerwürfnisse, sowie die Sittenverderbniß der griechischen Staaten kennen.
Nach dem Tode des makedonischen Königs Perdikkas machte Philipp Ansprüche auf den erledigten Thron; doch befand er sich anfangs in einer sehr schwierigen Lage, da sich mehrere Bewerber um den Thron erhoben und das Reich von allen Seiten durch furchtbare Feinde bedroht ward. Dennoch verlor Philipp den Muth nicht; er besaß Selbstvertrauen genug, alle seine Feinde überwinden zu können. Freilich war ihm auch jedes Mittel recht, wenn es nur zum Zwecke führte, und wenn er auf der einen Seite durch Klugheit, Tapferkeit und Feldherrntalent sich hervorthat, so war er auf der andern Seite nicht minder treulos und hinterlistig. Stets unterhielt er in den griechischen Städten für große Summen Verräther unter den Bürgern, die, durch seine Bestechungen gewonnen, die Freiheit ihres Vaterlandes an den fremden Eroberer verkauften.
Durch seine List und Klugheit schlug Philipp alle andern Thronbewerber aus dem Felde und sobald er allein König war, zog er aus gegen die Barbaren, die von Norden und Westen her das Reich bedrohten, und brachte ihnen blutige Niederlagen bei. In diesen Kriegen bildete er sich ein geübtes und furchtbares Heer, das er unüberwindlich machte durch die eigenthümliche Schlachtordnung, welche er von Epaminondas erlernt und dann selber noch verbessert hatte. Diese Schlachtordnung wurde die makedonische Phalanx genannt; 8000 Mann schwerbewaffnete Krieger standen 16 Reihen tief hinter einander und die fünf ersten Glieder hielten ihre 14 bis 16 Fuß langen Speere vor; die Masse hatte das Ansehen eines Keiles und bildete einen undurchdringlichen Wald von Speeren.
Vor Allem suchte Philipp die griechischen Pflanzstädte an der makedonischen und thracischen Küste zu unterwerfen; er nahm Amphipolis, besetzte Pydna und entriß die Stadt Krenides den Thasiern; diese Stadt befestigte er stark und nannte sie Philippi. Mit ihr fielen auch die reichen Goldbergwerke am Pangäus in seine Hände; er ließ diese Minen so eifrig bearbeiten, daß sie ihm jährlich tausend Talente eintrugen. So gewann er Geld für die zahlreichen Bestechungen, durch welche er sich in den griechischen Städten Verräther erkaufte. Sein Grundsatz war: keine Mauer sei so hoch, daß nicht ein mit Gold beladener Esel hinüber schreiten könnte.
Denn Philipp, nicht zufrieden mit seinem Königreiche Makedonien, hatte es sich zur Aufgabe seines Lebens gemacht, die durch Zwietracht und Sittenverderbniß zerrütteten griechischen Staaten zu unterwerfen. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte er sich bereits die Freundschaft der Thessalier erworben, die er gegen die Anmaßungen des herrschsüchtigen Tyrannen von Pherä, der ganz Thessalien zu unterjochen drohte, schützte. So war ihm der Durchzug durch Thessalien nach dem eigentlichen Griechenland gesichert und er wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, sich in die Angelegenheiten dieses Landes zu mischen. Die Veranlassung fand sich bald.
Die Phocier, in deren Gebiet die heilige Stadt Delphi lag, berühmt durch den Tempel und das Orakel des Apollo, hatten einen dem Apollo geweihten Landstrich bebaut. Für dieses Vergehen ward ihnen eine schwere Geldstrafe auferlegt, die sie nicht bezahlen konnten. Die schon lange den Phociern feindlich gesinnten Thebaner begannen nun den Krieg, welcher der »heilige« genannt ward, weil die Beschützung des dem Gotte geheiligten Landes den Vorwand dazu gab. Die Phocier, die sehr arm waren, überfielen aus Verzweiflung den delphischen Tempel und verwandten die geraubten Tempelschätze zur Anwerbung von Söldnerheeren. Vier Feldherren stellten sich nach einander an ihre Spitze und führten den Krieg nicht ohne Glück. Bis nach Thessalien drangen die siegreichen Phocier vor, die Thessalier aber riefen den Philipp zur Hülfe. Er erschien und schlug die Phocier in einem großen Treffen. Gern wäre er schon jetzt durch die Thermopylen nach Griechenland vorgedrungen, allein hier traf er auf ein athenisches Heer und mußte für diesmal seinen Plan noch aufschieben. Dafür eroberte und zerstörte er im folgenden Jahre (347) die von den Athenern unterstützte Stadt Olynth auf der Halbinsel Chalcidice.
2.
Die Griechen in ihrer Verblendung hielten den kleinen nordischen König für gar nicht gefährlich; aber Ein Mann durchschauete früh den Plan Philipp's, ganz Griechenland unter seine Botmäßigkeit zu bringen, und erhob sich mit aller seiner Kraft, seine Mitbürger vor dem gefährlichen Feinde zu warnen. Dieser brave Grieche hieß Demosthenes. Er war der Sohn eines Waffenschmieds in Athen und ließ selbst noch dieses Geschäft durch Sklaven betreiben. Seinen Vater verlor er schon als siebenjähriger Knabe. Da er schwächlich und kränklich war, konnte er an den Leibesübungen der übrigen Knaben nicht Theil nehmen und mußte deshalb manchen Spott über sich ergehen lassen. Niemand ahnte damals in ihm den künftigen großen Redner, denn er besaß eine schwache Brust und stotterte, konnte auch das R nicht aussprechen. Einst hatte er eine Rede des Redners Kallistratos gehört und war von derselben so ergriffen worden, daß er den Entschluß faßte, selber die Kunst der Beredtsamkeit zu studiren. Er las nun mit dem größten Fleiß die Werke der griechischen Schriftsteller, um sich ihre Darstellungsweise anzueignen und ein großes Werk, die Geschichte des Thucydides, schrieb er achtmal ab. Auch hörte er den berühmten Weisen Plato und den Redner Isäos.
Zuerst trat er mit einer Anklage gegen seine Vormünder auf, die ihn durch ihren Eigennutz um sein Vermögen gebracht hatten. Er gewann den Prozeß, erhielt aber nur einen kleinen Theil seines veruntreueten Geldes zurück. Nun wagte er es, auch öffentlich vor dem athenischen Volke aufzutreten, aber seine Rede wurde ausgepfiffen und verlacht. Dasselbe Schicksal hatte er auch bei einem zweiten Versuche. Voll Verdruß und Mißmuth lief er nach Hause und beklagte sich bei seinem Freunde Satyros, der ein Schauspieler war, bitter über die Ungerechtigkeit des Volkes, das so viele ungebildete Menschen gern höre und ihn, der allen Eifer auf die Beredtsamkeit verwandt habe, so schmählich behandele. »Du hast Recht«, sagte Satyros, »doch ist vielleicht dem Uebel abzuhelfen, wenn du mir eine Stelle aus dem Sophokles oder Euripides hersagen willst.« Demosthenes that es und nun wiederholte der Schauspieler dieselbe Stelle mit einem so lebendigen Vortrage und ausdrucksvollen Mienenspiele, daß Demosthenes eine ganz andere Stelle zu hören glaubte. Da sah er ein, daß ihm noch Vieles fehle, und ohne sich abschrecken zu lassen, ging er nun mit verdoppeltem Fleiß an seine Ausbildung.
Um seine Stimme zu stärken, begab er sich an die Meeresküste und suchte das Tosen der an die Ufer schlagenden Wellen zu überschreien. Dann nahm er Kieselsteine in den Mund und versuchte dennoch deutlich zu reden; er ging steile Berge hinan und sagte dabei Reden her, um seinen Athem zu stärken. Um sich längere Zeit den Ausgang unter das Volk zu versperren, schor er sich das Haupt auf einer Seite. Während dieser freiwilligen Verbannung übte er sich in einem unterirdischen Gemache vor dem Spiegel in der Haltung des Körpers und im Mienenspiel. Nach solchen Vorübungen trat er von Neuem vor dem Volke auf und jetzt erntete er allgemeinen Beifall. Was das Aeußere der Beredtsamkeit betrifft, hat kein Mann schlechtere Anlagen zum Redner gehabt, als Demosthenes, und keiner ist so berühmt und so vollkommen gewesen, als der größte Redner Demosthenes.
Seine mit so heldenmüthiger Anstrengung errungene Kunst weihete Demosthenes ganz dem Wohle seines Vaterlandes. Schon waren die Griechen sittlich verdorben; aber mit unermüdlichem Eifer suchte Demosthenes den alten Muth und die alte Tugend wieder in dem leichtsinnigen Volke anzufachen; er erinnerte die Athener an die Heldenthaten des Miltiades und Themistokles, ermahnte sie, nicht ihren Nacken dem Unterdrücker zu beugen, nicht die Beschützung ihrer Freiheit gemietheten Söldlingen zu überlassen. Er forderte die Reichen auf, Beisteuern zum Kriege zu geben und der trägen Ruhe und Bequemlichkeit zu entsagen. Leider hatten aber die besten und begeistertsten Reden des trefflichen Mannes wenig Erfolg, denn es gab in Athen nicht bloß viel verdorbenes Volk, sondern auch unter den bessern Bürgern Viele, die an der Rettung des Vaterlandes verzweifelten und den Frieden mit dem makedonischen Könige um jeden Preis erhalten wollten. Diese Ansicht theilte auch Phocion und wurde deshalb einer der Gegner des Demosthenes.
Phocion soll der Sohn eines Löffelmachers gewesen sein. Sein Leben lang war er in großer Armuth und zeigte in seinem ganzen Wesen einen tiefen Ernst, denn Niemand sah ihn je lachen oder weinen. Nie besuchte er ein öffentliches Bad, und er hielt stets die Hände unter dem Mantel verborgen, was bei den Griechen für ein Zeichen des Anstandes galt. Auf den Feldzügen ging er stets unbeschuhet und leicht gekleidet, so daß die Kriegsleute es für ein Zeichen eines strengen Winters hielten, wenn er davon eine Ausnahme machte. Sein Aeußeres war finster und mürrisch, weshalb auch Niemand seinen Umgang suchte. Als ein Spaßmacher einst seine finstere Miene verspottete und die Athener ein Gelächter erhoben, sagte er: »Meine Miene hat noch Niemand ein Leid zugefügt, aber das Gelächter dieser Umstehenden hat dem Staat schon viele Thränen verursacht!« Ungeachtet seiner Armuth nahm er nie Geschenke an, und makedonische Boten, welche ihm ein Geschenk von hundert Talenten überbringen wollten, kamen eben dazu, wie seine Frau den Brodteig knetete und er selber das Wasser hinzutrug. In Phocion's Hause herrschte die größte Einfachheit; die Athener nannten ihn den »Rechtschaffenen.« Während Demosthenes zum Kriege gegen Philipp rieth, ermahnte Phocion stets in kurzen, aber scharfen Ausdrücken zum Frieden. Wenn sich Phocion erhob, pflegte Demosthenes heimlich zu seinen Freunden zu sagen: »Das Beil meiner Reden ist da!« Und dieses Beil fürchtete Demosthenes mehr, als alle übrigen athenischen Redner. Als sie einst mit ihren verschiedenen Meinungen heftig an einander geriethen, rief Demosthenes unwillig aus: »Phocion, die Athener werden dich tödten, wenn sie rasend werden!« – »Und dich« – antwortete Phocion, »wenn sie bei Verstande sind!« Da Phocion den Athenern ihre Fehler, namentlich ihren Leichtsinn, mit bitterem Tadel vorwarf, so mußte er dann auch gewöhnlich hören, wie seine Vorschläge verworfen wurden. Als einmal seine Worte Beifall fanden, verwunderte er sich sehr und rief: »Habe ich vielleicht etwas Dummes gesagt?« Im Jahr 318 v. Chr. ward Phocion von den Athenern der Verrätherei angeklagt und er mußte den Giftbecher trinken. Als einer seiner Freunde sagte: »Welch unwürdiges Schicksal trifft dich, o Phocion!« antwortete er ruhig: »Aber kein unerwartetes, denn es hat noch alle großen Athener betroffen!«
3.
Während Philipp seine Eroberungen in Illyrien und Thracien immer weiter ausdehnte, wurde von den Griechen der heilige Krieg mit der größten Erbitterung fortgesetzt. Die Phocier hatten die letzten Tempelschätze weggenommen, um Söldner anzuwerben, und die Thebaner sahen sich wiederholt genöthigt, den König Philipp um Hülfe anzusprechen. Philipp wußte die Athener durch listige Unterhandlungen zu täuschen und durch glänzende Versprechungen zu bethören; dann zog er durch die Thermopylen gegen die unglücklichen Phocier, deren Städte, zwanzig an der Zahl, von den siegreichen Macedoniern mit schrecklicher Grausamkeit zerstört wurden.
Philipp war übrigens klug genug, für den Augenblick sich wieder zurückzuziehen; nur den Paß von Thermopylä hielt er besetzt. Listig wartete er aus eine neue Gelegenheit, wo er sich wieder in die griechischen Händel mischen konnte, und seine Boten wanderten unterdeß von einer griechischen Stadt in die andere, um die einflußreichsten Männer zu bestechen. Der bekannteste unter denen, die schlecht genug waren, ihr Vaterland zu verrathen, ist der athenische Redner Aeschines. Dieser und Andere seines Schlages bewirkten, daß bald wieder ein heiliger Krieg beschlossen wurde gegen die Einwohner der Stadt Amphissa in Lokris, welche die dem Apoll geheiligte Ebene von Krisa angebauet hatten. Auf den Rath des bestochenen Aeschines ward Philipp sogar zum Oberfeldherrn ernannt (337).
Zwar gelang es den Bemühungen des Demosthenes, die Athener zu bewaffnen; doch konnten diese nicht hindern, daß Philipp Amphissa eroberte und dann auch noch Elatea in Lokris besetzte. Nun hatte der Macedonier festen Fuß in Lokris gefaßt, und der Uebergang nach Böotien war leicht.
Jetzt ward es den Athenern klar, daß ihnen im folgenden Jahre der Entscheidungskampf um ihre Freiheit bevorstände. Mit rastlosem Feuereifer ermahnte Demosthenes seine Landsleute zur Eintracht und zum Kampfe gegen den gemeinsamen Feind. Die Thebaner, welche auch die Gefahr erkannten, verbanden sich mit den Athenern, und im J. 338 v. Chr. zog das vereinigte Griechenheer nach Böotien in die Ebene von Chäronea, den Macedoniern entgegen. Philipp stand den Athenern, sein achtzehnjähriger Sohn Alexander den Thebanern gegenüber. Tapfer fochten die Griechen, aber die heilige Schaar der Thebaner, 400 Mann stark, ward niedergehauen, die Athener wichen dem Andrange der makedonischen Phalanx und bald war die Flucht des Griechenheeres allgemein.
Selten mag sich ein Feldherr so gefreuet haben, wie Philipp über den glänzenden Sieg von Chäronea. Aber zu seinem Ruhme gereicht es, daß er große Mäßigung und wirklichen Edelmuth zeigte. Als man ihm rieth, Athen zu zerstören, wies er diesen Vorschlag mit den Worten zurück: »Wie, ich habe so Vieles für den Ruhm gethan, und sollte jetzt den Schauplatz des Ruhmes zerstören?« Freilich verlor Athen den Chersonnes, fast alle Inseln und seine Herrschaft zur See, aber es bekam doch keine makedonische Besatzung. Strenger wurden die Thebaner behandelt, weil diese es Anfangs mit Sparta gehalten hatten. Ihre Burg Kadmea ward von Makedoniern besetzt, ihre Stadt unter den Befehl von 300 makedonisch gesinnten Truppen gestellt, und viele Feinde Philipp's wurden verbannt oder hingerichtet. Theben war nur kurze Zeit mächtig gewesen, und Pelopidas und Epaminondas hatten vergeblich gearbeitet.
Philipp wollte die Kraft der Griechen nicht brechen, er wollte sie vielmehr gebrauchen zum Feldzuge gegen das persische Reich in Asien. Darum bewies er so viel Schonung und Milde, als nur möglich, damit die Griechen die Alleinherrschaft eines Königs erträglich finden möchten. Als in Korinth eine allgemeine Versammlung von Abgeordneten aus den verschiedenen Staaten Griechenlands gehalten wurde, wählte man ihn einstimmig (337) zum Oberanführer gegen die Perser, die wegen ihrer früheren Einfälle in Griechenland gezüchtigt werden sollten. Nur Sparta wollte nichts von dem Fremdlinge wissen und verweigerte jede Unterstützung. Zornig schrieb ihnen Philipp: »Wenn ich nach Sparta komme, soll kein Einziger von euch im Lande bleiben!« – »Wenn!« schrieben ihm die Spartaner zurück, und sonst kein Wort. Philipp ließ vorerst seinen Streit mit Sparta ruhen und rüstete sich gegen die Perser. Als er in Makedonien noch die Hochzeit seiner Tochter feierte, ward er von Pausanias, einem Befehlshaber seiner Leibwache, ermordet. Der Mörder ward ergriffen und hingerichtet, er hatte in einer Streitsache vom Könige nicht Recht bekommen und aus Rache die Uebelthat verübt.
Philipp hatte noch kurz zuvor das delphische Orakel über seinen Feldzug nach Asien befragt und die Antwort erhalten:
»Siehe, der Stier ist bekränzt, sein Ende da, nahe der Opfrer.«
Diesen Spruch bezog der König auf die Perser; nun aber war er selber das Opfer, das durch die Hand eines Meuchelmörders fiel.