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Dritter Abschnitt.
Heroenzüge.
Der Argonautenzug. Der trojanische Krieg.

I. Jason oder der Argonautenzug.

Nach L. Stacke »Erzählungen aus der griechischen Geschichte.«

Als eine Vereinigung Vieler zu einem Zuge in's Ausland ist zuerst der Zug der Argonauten merkwürdig; er fällt in die früheste Periode der griechischen Geschichte, noch 60 Jahre vor dem trojanischen Krieg. Der Hauptheld dieser Unternehmung war Jason, ein thessalischer Königssohn.

In Thessalien lag die Stadt Jolkus, die von dem Großvater des Jason, der Kretheus hieß, gegründet ward. Des Kretheus Sohn, Aeson, hätte seinem Vater in der Herrschaft folgen sollen; aber Pelias, ein Anverwandter des königlichen Hauses, entriß diesem die Herrschaft, und Aeson mußte mit dem kleinen Jason auf das Land wandern, wo er in stiller Zurückgezogenheit seine Tage verlebte. Jason bearbeitete das Feld, wurde aber auch von dem Centauren Chiron in allerlei schönen Künsten unterrichtet und wuchs zu einem starken Jüngling heran.

Einst wollte Pelias dem Poseidon, dem Beherrscher des Meeres, ein Opfer darbringen und lud viele Gäste dazu ein. Jason, der so eben seinen Erzieher verlassen hatte und in seine Heimath zurück wanderte, hörte von dem Feste in Jolkus und wollte es auch sehen. Als er an den Bach Anauros kam, war dieser durch Regengüsse sehr angeschwollen. Am Ufer weilte ein kleines schwaches Mütterchen, das auch gern hinüber wollte, nun aber unschlüssig am Ufer wartete. Jason hatte Mitleid mit der Frau, nahm sie auf seine starken Arme und trug sie wohlbehalten über das Wasser. Am andern Ufer bemerkte er zu seinem Schrecken, daß er einen Schuh habe im Schlamme stecken lassen, und mit dem andern Schuh allein auf das Fest zu gehen, schien doch nicht rathsam. Schon wollte er wieder umkehren; doch die alte Frau rieth ihm mit beredten Worten, getrost seine Wanderung fortzusetzen. Und kaum hatte sie gesprochen, so verschwand sie vor seinen Augen. Da erkannte Jason, daß er eine Göttin über den Fluß getragen hatte und ging getrosten Muthes weiter.

Dem Pelias hatte einst ein Orakel geweissagt, er solle sich vor dem Manne mit Einem Schuh hüten, denn er werde ihm Verderben bringen. Als nun Pelias den Jason mit Einem Schuh ankommen sah, erschrak er denn er dachte an die Weissagung. Gern hätte er den Jüngling sogleich fortgeschickt oder heimlich ermordet; doch scheuete er sich, so sträflich das Gastrecht zu verletzen. Da sann er auf eine List. »Ich werde dir, Jason, mein Scepter abtreten und dir die Herrschaft geben, zu der du ohnehin ein Recht hast, wenn du ausziehest und mir das goldene Vließ eroberst.« Der heldenmüthige Jüngling nahm sogleich diesen Vorschlag an und rüstete sich eiligst zu der großen Fahrt.

Mit dem goldenen Vließ verhielt es sich aber also. In der Stadt Orchomenus in Böotien herrschte einst ein König, welcher zwei Kinder hatte, einen Sohn, der Phrixus, und eine Tochter, die Helle hieß. Die Mutter dieser Kinder starb und es kam eine böse Stiefmutter, die ihnen nach dem Leben trachtete. Um dem Tode zu entgehen, floh der kühne Phrixus mit seiner Schwester Helle auf einem goldwolligen Widder über das Meer. Als sie aber an die Meerenge kamen, die Asien von Europa trennt, fiel Helle von dem Widder herab ins Meer, das von ihr den Namen »Hellespont,« d. i. Meer der Helle, erhielt. Den Phrixus trug der Widder an die Küste des Schwarzen Meeres, in das Land Kolchis. Dort opferte er das goldwollige Schaf den Göttern, und das Fell oder Vließ hing er in dem heiligen Haine des Kriegsgottes Ares auf. Der König von Kolchis, Namens Aeetes, hielt das schöne Fell hoch in Ehren, denn es war ihm geweissagt worden, er werde so lange regieren, als er das goldene Vließ behielte. Darum ließ er auch den heiligen Hain mit einer großen Mauer umgeben und stellte einen feuerschnaubenden Drachen, dem nie der Schlaf in die Augen kam, vor den Eingang. Solches war dem Pelias wohl bekannt, und er vermeinte, der Drache sollte den Jason verschlingen.

Jason rüstete indessen, und lud die berühmtesten Helden Griechenlands, unter ihnen den Herkules und Theseus, Kastor und Pollux und den Sänger Orpheus, zur Theilnahme ein. Es ward ein langes Kriegsschiff, eine funfzigruderige Galeere, gezimmert, welche den Namen Argo Arco heißt im Phönizischen »lang.« erhielt. Die Argoschiffer nannte man Argonauten. Der Kiel des merkwürdigen Schiffes war aus einer Eiche von Dodona gezimmert, welche die Gabe hatte, zu reden, ja zu wahrsagen; diese Gabe ging nun auch auf das Schiff über.

Als die Argo mit allen Walzen und Hebeln, woran die Helden selbst zogen, nicht vom Lande zu bringen war, sang der alte Orpheus und spielte dazu auf seiner Leyer, die ehemals Bäume bewegt hatte; alsbald erhob sich das Schiff und glitt vom Ufer herunter. Hierauf verband er die Argonauten durch ein großes Opfer, eine feierliche Rede und einen vorgesprochenen Eid, ihrem erwählten obersten Befehlshaber Jason in allen Gefahren treu zu bleiben.

Unter Jasons Anführung segelten nun die Helden ab. Beim Eingange in das Schwarze Meer trafen sie auf die Symplegaden; das waren zwei Felsen, die beständig zusammenschlugen, so daß jedes Schiff, welches hindurch wollte, von ihnen zerschmettert wurde. Die Argonauten erhielten von dem Wahrsager Phineus den Rath, eine Taube abzuschicken; wenn diese glücklich hindurch flöge, so möchten sie getrost vorwärts segeln, wenn sie aber umkomme, sollten sie die Durchfahrt nicht versuchen. Sie ließen eine Taube aus ihrem Schiffe fliegen; dieser wurden von den zusammenschlagenden Felsen nur ein paar Schwanzfedern ausgerissen, sonst kam sie mit dem Leben davon. Da bekamen die Argonauten Muth, sie fuhren hindurch und nur der hintere Theil des Schiffes wurde verletzt. Von dieser Zeit an standen die Symplegaden fest auf dem Grunde des Meeres, denn es war ihnen eine Weissagung zu Theil geworden, daß sie feststehen würden, wenn zuerst ein Schiff glücklich hindurchgefahren sei.

Auf einer Insel, die von den Dolionen bewohnt ward, herrschte ein König, mit Namen Cycicus. Diesem war die Ankunft der Argonauten geweissagt worden, und er nahm die Gäste freundlich auf, versah sie auch bei ihrer Abfahrt mit allerlei Lebensmitteln. Kurze Zeit, nachdem die Argoschiffer wieder abgesegelt waren, trieb sie ein widriger Wind in denselben Hafen zurück, den sie eben verlassen hatten, den sie aber in der Finsterniß nicht erkannten. Die Dolionen glaubten, ihre Feinde, die Pelasger, wären gelandet, und trieben sie mit den Waffen in der Hand zurück. Darüber entstand ein hitziges Gefecht und Jason rannte dem Cycicus seinen Speer durch den Leib. Bei Tagesanbruch erkannten beide Theile ihren Irrthum. Man begrub den König mit großer Pracht und stellte ihm zu Ehren Leichenspiele an. Obgleich Jason den Mord wider Willen begangen hatte, so war doch Rhea, die Schutzgöttin des Landes, so erzürnt über ihn und seine Gefährten, daß der Steuermann Tiphys das Schiff nicht von der Stelle bringen konnte. Die Nacht darauf erschien Minerva dem Tiphys im Traume und gab ihm den Rath, der Göttin Rhea auf dem Berge Dindymus zu opfern; das that er, und Argus schnitzte ihr Bildniß aus Holz und erbauete ihr eine Kapelle.

Als die Schiffenden wieder abfahren konnten, geriethen sie nach manchen Abenteuern wieder aus eine Insel, und wurden da von den grimmigsten aller Raubvögel, den Stymphaliden, angefallen. Um sie von sich abzuhalten, setzten sie ihre Helme auf und schlugen mit den Spießen auf ihre Schilde. Durch dieses Getöse und das Winken der Federbüsche auf den Helmen wurden sie verscheucht.

Endlich gelangten die Helden an den Fluß Phasis in Kolchis, und da landeten sie. Jason ging alsbald zum Könige Aeetes und richtete seinen Auftrag aus, daß er das goldene Vließ dem Pelias überbringen müsse. Der König versprach ihm zu willfahren, wenn er zuvor zwei wilde Stiere mit ehernen Hufen und feuerspeienden Rachen allein, an einen Pflug spannen, vier Hufen Ackerlandes damit umpflügen und in die Furchen Drachenzähne säen würde. Dann solle er noch eine Schaar Riesen erlegen, die aus den Drachenzähnen hervorwachsen würden. Das waren harte Bedingungen und Jason gerieth in nicht geringe Verlegenheit. Doch Medea, die Tochter des Königs und eine kluge Zauberin, half ihm aus der Noth. Sie hatte den schönen und tapferen Jüngling lieb gewonnen und versprach ihm ihren Beistand, wenn er schwören wolle, sie zu heirathen und in die Heimath mitzunehmen. Als Jason geschworen hatte, gab ihm Medea eine Salbe, mit welcher der Held seinen Schild, seine Lanze und seinen Körper bestrich. Diese Salbe machte ihn fest gegen alle Tritte und Stöße und Feuerflammen der Stiere.

Nun spannte Jason muthig die Thiere, welche im Haine des Tempels gepflegt wurden, an den Pflug, ohne von dem glühenden Athem der Stiere versengt zu werden. In die gezogenen Furchen streuete er die Drachenzähne und versteckte sich dann eiligst in den nahen Wald. Und siehe! es dauerte auch gar nicht lange, da wuchsen geharnischte Riesen aus dem Acker empor. Medea aber reichte ihrem Geliebten einen Stein, den warf Jason mitten unter die Schaar der Riesen. Da begannen diese unter sich selbst einen Zank und Streit, und in der Wuth erschlug einer den andern.

So hatte Jason seine Aufgabe glücklich gelöst; aber dennoch weigerte sich Aeetes, ihm das goldene Vließ zu geben; ja, er wollte sogar die Argo in Brand stecken und die Helden ermorden. Aber Medea führte den Jason des Nachts in den heiligen Hain, wo das Vließ hing; mit ihren Zauberkünsten schläferte sie den Drachen ein, der die Wache hielt, und Jason konnte unangefochten das Vließ fortnehmen. Noch in derselben Nacht bestieg er mit seinen Gefährten die Argo, nahm auch die Medea mit ihrem kleinen Bruder Absyrtus mit und fuhr in aller Stille von dannen.

Am andern Morgen gewahrte König Aeetes, daß er hintergangen sei, und zornigen Muthes setzte er den Flüchtlingen nach. Als Medea an den Segeln das Schiff ihres Vaters erkannte, ergriff sie ihren kleinen Bruder, schlachtete ihn, streuete die Glieder auf dem Wasser umher, den Kopf aber steckte sie auf einen Felsen an der Küste des Meeres. Aeetes erkannte bald die Glieder seines gemordeten Sohnes und sammelte sie mit kummervollem Herzen, um dem Todten die letzte Ehre zu erweisen. Indessen gewannen die Argonauten einen Vorsprung und entkamen glücklich der Verfolgung.

Als Jason mit der Medea in Jolkus ankam, überlegte er, wie er sich an dem Pelias für alle Grausamkeiten rächen sollte, die er und seine Familie von ihm erfahren. Medea nahm diese Rache allein über sich. Sie versprach den Töchtern des Pelias, ihren alten Vater wieder jung zu machen. Damit sie an dieses Kunststück glauben möchten, zerstückte sie einen alten Widder, that ihn in einen Kessel und kochte ihn. Bald darauf sprang ein junges Lamm aus dem Kessel. Die Schwestern (Alceste ausgenommen, welche keine Hand hierbei anlegen wollte) zerstückten ihren Vater und kochten ihn mit den Kräutern, die ihnen Medea gab. Weil sie ihnen aber die unrechten gegeben hatte, ward er nicht wieder lebendig.

Einige sagen, Medea habe noch vorher den Aeson, Jason's Vater, wieder jung gemacht; Andere aber leugnen dies und behaupten, daß Pelias ihn durch Ochsenblut hingerichtet habe, weil er vernommen hätte, daß die Argonauten umgekommen wären.


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