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II. Aristodemus und Aristomenes.

743 v. Chr., 686 v. Chr.

 

Aristodemus. Nach Ludw. Stacke.

 

1.

Westlich von Lakonien lag die fruchtbare Landschaft Messenien, nach deren Besitz die Spartaner um so mehr strebten, da ihr eigenes Land jener gesegneten Gegend an Fruchtbarkeit weit nachstand. Unter solchen Umständen konnte es an Feindseligkeiten zwischen beiden Nachbarvölkern nicht fehlen, bis endlich nach zwei blutigen Kriegen Messenien den Lacedämoniern unterworfen ward. Die Veranlassung zum Ausbruch des Krieges wird folgendermaßen erzählt:

Polychares, ein vornehmer Messenier, besaß viele Rinder, aber nicht so viel eigenes Land, daß sein Vieh hinlängliche Weide gehabt hätte. Er übergab es daher einem Spartaner, Namens Euäphnos, unter der Bedingung, daß er es auf seinen Grundstücken werden und dafür einen Theil der Nutzung von dem Viehe haben sollte. Dieser Euäphnos war ein Mensch, der ungerechten Gewinn höher achtete, als Treue und Ehrlichkeit, und dabei durch seine Worte sich einzuschmeicheln wußte. So hatte er auch jetzt die Rinder des Polychares an Kaufleute, die in Lakonien gelandet waren, verkauft und ging nun selbst als Bote zu Polychares. Diesem sagte er, Seeräuber wären an's Land gestiegen, hätten Gewalt gegen ihn gebraucht und als Beute Rinder und Hirten mit fortgenommen. Allein während Euäphnos den Polychares zu täuschen suchte, entlief den Kaufleuten einer von diesen Hirten, kehrte zu seinem Herrn zurück und traf hier den Euäphnos, den er in Gegenwart des Polychares Lügen strafte. Ueberführt und nicht im Stande, es abzuleugnen, bat er inständig den Polychares und dessen Sohn um Verzeihung. Dann gab er an, wie viel er für die Rinder bekommen hätte, und bat den Sohn des Polychares, ihm zu folgen und den Preis in Empfang zu nehmen. Auf dem Wege aber erschlug Euäphnos den Sohn des Polychares. Als dieser die That erfuhr, ging er häufig nach Sparta zu den Königen und Obrigkeiten, um Genugthuung zu erhalten, und als er sie nicht erhielt, gerieth er außer sich und, hingerissen vom Zorne, ermordete er, weil er sein eigenes Leben nicht achtete, jeden Lacedämonier, der ihm in die Hände fiel. Die Lacedämonier verlangten nun die Auslieferung des Polychares, und da sie verweigert wurde, begannen sie den Krieg.

In aller Stille betrieben sie ihre Rüstungen und ohne Kriegserklärung brachen sie in Messenien ein, nachdem sie sich zuvor durch einen feierlichen Eid verpflichtet hatten, nicht eher die Waffen niederzulegen, als bis sie das messenische Land erobert hätten. Zur Nachtzeit überfielen sie die Grenzstadt Amphea, wo sie, da die Stadt ohne Wachen war, sogleich eindrangen und die Bewohner theils auf ihrem nächtlichen Lager, theils an den Altären der Götter, wohin sie ihre Zuflucht genommen hatten, tödteten. Der König der Messenier ermahnte jedoch in einer Volksversammlung die Bürger, sich durch das Schicksal Amphea's nicht entmuthigen zu lassen, und übte seine Schaaren sorgfältig in den Waffen. Die Lacedämonier durchstreiften nun Messenien, verwüsteten aber das Land nicht, da sie es schon als das ihrige ansahen, fällten weder Bäume, noch rissen sie Wohnungen nieder; nur das Vieh, das ihnen in die Hände fiel, trieben sie mit fort, auch Getreide und andere Früchte nahmen sie, wogegen ihre Versuche, die Städte des Landes zu erobern, mißlangen. Aber auch die Messenier raubten und plünderten an den Seeküsten Lakoniens und in den Feldern umher. Erst im fünften Jahre, nachdem der messenische König die Seinen zum entscheidenden Kampfe vorbereitet hatte, kam es zu einer mörderischen Schlacht; der Verlust war auf beiden Seiten gleich groß und beide Theile fühlten sich sehr geschwächt. Aber den Messeniern fehlte es an Mitteln zur Fortsetzung des Krieges, dazu kamen böse Seuchen und andere Unglücksfälle und die verheerenden Streifzüge der Feinde dauerten fort. Die Messenier vermieden daher offene Feldschlachten und zogen sich in die feste Bergstadt Ithome zurück. Von hier aus befragten sie das Delphische Orakel, was zur Rettung Messeniens zu thun sei, und erhielten den Spruch:

»Aus dem Geschlecht des Aepytus fordert das Loos eine Jungfrau!
Gib sie des Unterreichs Göttern, und retten magst du Ithome!«

Das Loos traf die Tochter des Lyciskus, aber der Seher Epebolus verbot sie zu opfern, da die Jungfrau nicht die Tochter des Lyciskus sei. Da bot Aristodemus, der auch aus dem Geschlechte des Aepytus stammte und durch Kriegsthaten ausgezeichnet war, seine Tochter freiwillig zum Opfer dar. Aber ein Messenier liebte die Tochter des Aristodemus, erhob Widerspruch gegen ihn und reizte durch seine Einwendungen den Vater so sehr, daß dieser in Wuth gerieth und im Zorn seine Tochter ermordete. Epebolus verlangte nun, daß ein Anderer seine Tochter dazu hergebe, denn des Aristodemus Tochter helfe ihnen nichts, da sie vom Vater ermordet, nicht aber den Göttern geopfert sei. Nur mit Mühe erwirkte der König die Erklärung des Volkes, daß es keines weitern Opfers bedürfe. Aus Furcht vor der Wirkung des Orakels wagten die Lacedämonier fünf Jahre lang keinen Angriff; erst im sechsten erschienen sie in der Ebene von Ithome, wo es zu einem Treffen kam, in dem der König der Messenier tödtlich verwundet ward, so daß er bald darauf starb. An seiner Stelle wurde Aristodemus zum König erwählt. In den ersten fünf Jahren seiner Regierung fielen nur kleine Gefechte vor, bis im sechsten Jahre beide Heere mit ihren Bundesgenossen einander ein entscheidendes Treffen lieferten, in welchem die Lacedämonier eine schwere Niederlage erlitten. Dennoch hatten die Messenier von ihrem Siege wenig Vortheil, denn zweideutige Orakelsprüche, deren Sinn man nicht erkannte, beunruhigten und entmuthigten sie. Im zwanzigsten Jahre des Krieges befragten sie von neuem das Delphische Orakel, das ihnen folgenden Spruch ertheilte:

»Wer Dreifüße zuerst an des Zeus Altar in Ithome
Stellet im Kreis' umher, an der Zahl zehen mal zehn,
Dem gibt Gott mit dem Ruhme des Kriegs die messenischen Fluren.«

 

2.

Diese Antwort des Orakels erfuhren die Lacedämonier; ein gemeiner Bürger verfertigte hundert Dreifüße aus Thonerde und zog als Weidmann verkleidet nach Messenien, wo er sich unter die Landleute mischte und mit ihnen in die Stadt Ithome ging. Hier stellte er mit Einbruch der Nacht die Dreifüße im Tempel des Zeus auf und entkam glücklich nach Sparta. Durch diese List geriethen die Messenier in große Bestürzung und dazu kamen noch andere unheilbringende Vorzeichen, die den Untergang Messeniens verkündigten: ein Seher, der von Geburt an blind gewesen war, bekam plötzlich das Gesicht und verlor es bald nachher wieder; die Bildsäule der Artemis ließ ihren Schild fallen; die Hunde kamen an einem Orte zusammen und heulten die ganze Nacht; die zum Opfer bestimmten Widder stießen die Hörner mit solcher Gewalt in den Altar, daß sie von dem Stoße starben; vor Allem aber erschütterte den Aristodemus selbst ein Traumgesicht. Es träumte ihm, er wolle zu einem Treffen ausziehen und sei gerüstet und die Eingeweide der Opferthiere lägen vor ihm auf einem Tische; seine Tochter erscheine ihm in schwarzer Kleidung und zeige ihm die aufgeschnittene Brust und die Erscheinung werfe das aus dem Tische Liegende um, nehme ihm die Rüstung ab, setze ihm statt ihrer einen goldenen Kranz auf und werfe ihm ein weißes Gewand über. In diesem Traume sah Aristodemus die Verkündigung seines nahen Todes, er erwog, daß er vergebens der Mörder seiner Tochter geworden sei, und da er keine Hoffnung zur Rettung seines Vaterlandes mehr sah, tödtete er sich auf dem Grabe seiner Tochter. – Im letzten Jahre des Krieges wurde Ithome belagert und erobert, die meisten Messenier waren zu ihren Gastfreunden in benachbarte Länder geflohen; die zurückgebliebenen aber wurden von den Spartanern mit Härte behandelt und mußten die Hälfte des Ertrages ihrer Felder nach Sparta abliefern und bei den Begräbnissen der spartanischen Könige und Obrigkeiten in Trauerkleidern erscheinen, weshalb die Sieger in ihren Liedern von ihnen sangen:

»So wie Esel gedrückt tragen sie mächtige Last,
Unter dem traurigen Zwang darbringend ihren Gebietern
Alles zur Hälfte getheilt, was sie von Früchten erbaut.«

und von Leichenbegängnissen:

»Männer und Weiber betrauern zugleich mit Seufzen die Herren,
Raffte des Todes Geschick einen vernichtend dahin.«

 

Aristomenes.

 

1.

Die Messenier ertrugen mit Unwillen die drückende Herrschaft der Spartaner, am meisten das jüngere Geschlecht, das von den Drangsalen des vorigen Krieges nichts erfahren hatte. Daher wurde die Empörung beschlossen. Unter den Jünglingen, die in Messenien herangewachsen waren, zeichnete sich vor Allen Aristomenes durch Muth und Tapferkeit aus. Das erste Treffen mit den Lacedämoniern blieb unentschieden, aber Aristomenes hatte so glänzende Thaten verrichtet, daß ihn die Messenier zum König wählen wollten. Da er sich aber diese Ehre verbat, wählten sie ihn zum unumschränkten Anführer im Kriege. Um die Lacedämonier gleich im Anfänge des Krieges in Schrecken zu setzen, ging er bei Nacht nach Lacedämon und stellte einen Schild an den Tempel der Minerva, auf dem geschrieben war: »Aristomenes weiht diesen Schild der Göttin als Zeichen des Sieges über die Spartaner.« Die Lacedämonier aber hatten einen Orakelspruch aus Delphi, daß sie den athenischen Rathgeber holen sollten. Sie baten also durch Gesandte die Athener um einen Mann, der ihnen riethe, was nöthig wäre, und diese schickten ihnen den Tyrtäus, einen Kinderlehrer, der am wenigsten mit scharfem Verstände begabt zu sein schien und an dem einen Fuße lahm war. Tyrtäus wußte durch seine Kriegsgesänge die Lacedämonier so zu begeistern, daß sie ihn als ein göttliches Geschenk betrachteten. Beide Theile rüsteten sich bei dem sogenannten »Denkmal des Ebers« zur Schlacht. Aristomenes war von einer Schaar von achtzig auserlesenen Messeniern umgeben, von denen jeder sich hochgeehrt fühlte, daß er gewürdigt worden war, an der Seite des Aristomenes zu fechten. Diese selbst und Aristomenes hatten zuerst schwere Arbeit, da sie gegen den spartanischen König und den Kern des lacedämonischen Heeres kämpften; aber keine Wunde scheuend und ihre Kampfwuth bis auf den höchsten Grad steigernd, schlugen sie durch fortgesetzten Kampf und ihre Wagstücke die Schaar des spartanischen Königs zurück. Diese Fliehenden ließ Aristomenes durch eine andere Abtheilung der Messenier verfolgen; er selbst stürzte sich auf die, welche den meisten Widerstand leisteten. Als er auch diese geworfen hatte, wandte er sich wiederum gegen Andere; schnell drängte er auch diese zurück, und ungehindert warf er sich nun auf die, welche noch Stand hielten, bis er die ganze Schlachtordnung der Lacedämonier und ihrer Bundesgenossen in völlige Unordnung brachte. Und da sie nun ohne Scham und Scheu flohen und Keiner mehr den Andern erwarten wollte, drängte er die Nachhut furchtbarer, als man von einem einzigen Manne hätte erwarten können. Bei der weiteren Verfolgung der Feinde verlor Aristomenes seinen Schild, und dieser Umstand war Schuld, daß sich mehrere Lacedämonier durch die Flucht retteten, weil er, während er den Schild suchte, Zeit verlor. Die Lacedämonier waren durch diesen Schlag sehr entmuthigt; aber dem Aristomenes warfen, als er nach Hause zurückkehrte, die Weiber Bänder und Blumen der Jahreszeit zu und sangen die Verse:

»Sparta's Schaaren verfolgt Aristomenes bis in die Mitte
Von Stenykleros Stenykleros hieß der Ort, wo sich das Denkmal des Ebers befand. Gefild und bis zum hohen Gebirg.«

Seinen Schild fand Aristomenes bald daraus wieder und überfiel sogleich mit einer auserlesenen Schaar zwei spartanische Städte, wobei er beträchtliche Beute wegführte.

 

2.

Einst erfuhr er, daß zu Aegila, einem Orte in Lakomen, wo der Ceres ein Heiligthum gestiftet war, die Frauen ein Fest feierten. Aristomenes brach mit seinen Gefährten auf und suchte sie zu rauben. Allein die Weiber setzten sich zur Wehr; die meisten Messenier wurden mit den Messern, womit die Frauen die Opferthiere schlachteten, und mit den Spießen, woran sie das Fleisch steckten, um es zu braten, verwundet; auf Aristomenes aber schlugen sie mit brennenden Fackeln und nahmen ihn gefangen. Doch Archidamia, die Priesterin, ließ ihn frei und gab vor, er habe die Stricke durchgebrannt und sei entronnen. Aristomenes aber rettete sich in derselben Nacht nach Messenien.

Doch im dritten Jahre des Krieges erlitten die Messenier bei Megalotaphros, d. i. beim großen Graben, eine schwere Niederlage. Aristokrates, König der mit ihnen verbündeten Arkadier, war von den Lacedämoniern bestochen worden und zog sich gleich im Anfänge der Schlacht mit den Seinen zurück, wodurch die Messenier so in Verwirrung geriethen, daß die Lacedämonier ohne Mühe einen leichten Sieg davon trugen und eine große Menge der Messenier erschlugen.

Nach diesem Treffen sammelte Aristomenes die Reste der Messenier und zog sich mit ihnen nach der Bergfestung Eira, die nun von den Lacedämoniern elf Jahre lang belagert wurde. Von hier aus unternahm Aristomenes Streifzüge bis in das Innere des lakonischen Landes; auf einem solchen Zuge stieß er einst aus eine starke Abtheilung der Lacedämonier. Er vertheidigte sich, erhielt mehrere Wunden, ein Stein traf ihn an den Kopf, es verdunkelten sich ihm die Augen, er fiel, haufenweise liefen die Lacedämonier hinzu und nahmen ihn gefangen. Es wurden aber auch fünfzig seiner Gefährten gefangen genommen; diese alle beschlossen sie in die sogenannten Käaden, eine Grube, worein man Missethäter warf, zu stürzen. Die übrigen Messenier nun, die hineinfielen, kamen sogleich um, den Aristomenes aber soll ein Adler, der unter ihm geflogen, auf seinen Flügeln gehalten und unverletzt und ohne irgend eine Wunde auf den Boden hingebracht haben. Als er auf den Grund des Schlundes gekommen war, legte er sich nieder, zog das Gewand über das Gesicht und erwartete den Tod, den er für unvermeidlich hielt. Am dritten Tage darauf hörte er ein Geräusch, er enthüllte sein Gesicht und erblickte einen Fuchs, der an den Leichnamen fraß. In der Voraussetzung, daß das Thier irgend woher einen Eingang habe, wartete er es ab, bis der Fuchs sich ihm näherte. Als er ihm nahe gekommen war, ergriff er ihn, mit der andern Hand aber hielt er ihm, so oft er sich gegen ihn wendete, das Gewand vor und ließ ihn hineinbeißen. Den größten Theil lief er mit dem laufenden Fuchse; an Stellen, wo schwer durchzukommen war, ließ er sich auch von ihm nachziehen. Endlich sah er ein Loch, das für den Fuchs zum Durchkriechen groß genug war, und Licht durch dasselbe. Der Fuchs eilte, als er von Aristomenes losgelassen worden war, seiner Höhle zu. Aristomenes aber machte das Loch, das zum Durchkommen für ihn zu klein war, mit den Händen weiter und entkam zu den Seinen nach Eira.

Den Lacedämoniern wurde sogleich von Ueberläufern gemeldet, daß Aristomenes unversehrt zurückgekommen sei. Sie hielten es aber für unglaublich, bis er eine Schaar von Korinthern, die den Lacedämoniern zu Hülfe zogen, schlug und ihre Anführer tödtete. Nach dieser That brachte er dem Jupiter das Opfer dar, welches man Hekatomphonia nennt und das jeder Messenier, der hundert Feinde erlegt hatte, verrichtete. Aristomenes hatte es zum ersten Male dargebracht, als er am Denkmale des Ebers gefochten hatte; auch zum dritten Male soll er es in der Folge wiederholt haben.

 

3.

Die Lacedämonier schlossen einst, als sie das Fest der Hyacinthien feierten, mit den Messeniern in Cira einen Waffenstillstand auf vierzig Tage. Als nun Aristomenes, ohne etwas zu fürchten, sich eine Strecke von Eira entfernt hatte, wurde er von kretischen Bogenschützen, die in Messenien umherschwärmten, gefangen und mit den Riemen, die sie an ihren Köchern hatten, gebunden. Sie brachten ihn in einen Meierhof im messenischen Gebiete, wo eine Mutter mit ihrer Tochter wohnte; der Vater war gestorben. Dieser Jungfrau war in der vorhergehenden Nacht ein Traumgesicht erschienen: Wölfe führten zu ihnen in den Meierhof einen gefesselten Löwen, der keine Klauen hatte; sie selbst löste dem Löwen die Fesseln, fand seine Klauen und gab sie ihm, so wurden im Traume die Wölfe von dem Löwen zerrissen. Jetzt, da die Kreter den Aristomenes hereinführten, merkte die Jungfrau, daß das in der Nacht erschienene Traumgesicht in Erfüllung gehe, und fragte ihre Mutter, wer das wäre. Als sie seinen Namen erfuhr, faßte sie Muth, das auszuführen, was ihr im Traume befohlen worden war. Sie schenkte daher den Kretern so viel Wein ein, als sie nur trinken wollten, und als sie berauscht waren, entwendete sie dem, welcher am tiefsten schlief, sein Messer und zerschnitt die Fesseln des Aristomenes; er aber ergriff das Schwert und tödtete die Kreter. Die Jungfrau aber gab er, um ihr den Lohn der Rettung zu zahlen, seinem Sohne zur Gemahlin.

Aber im elften Jahre der Belagerung war es vom Schicksal bestimmt, daß Eira erobert und die Messenier vertrieben werden sollten. Als Aristomenes und der Wahrsager Theoklos nach der Niederlage am Graben nach Delphi kamen und das Orakel wegen ihrer Rettung befragten, erhielten sie vom Gotte folgende Antwort:

»Wenn ein Tragos Das Wort Tragos bedeutet einen Ziegenbock und einen wilden Feigenbaum. Die Neda ist ein Fluß, der viele Krümmungen macht. trinket der Neda sich schlängelndes Wasser,
Schütz' ich Messena nicht mehr, denn es nahet sich schon das Verderben.«

Nach diesem Orakelspruche hüteten die Messenier die Böcke, daß sie nicht aus der Neda trinken möchten. Doch damals stand an diesem Flusse ein wilder Feigenbaum, der nicht gerade in die Höhe gewachsen war, sondern sich zu dem Strome der Neda hinneigte und das Wasser mit den Spitzen seiner Blätter berührte. Als dies der Wahrsager Theoklos sah, errieth er, daß in dem Orakelspruche unter dem Tragos dieser wilde Feigenbaum zu verstehen sei und daß nun den Messeniern ihr Schicksal nahe bevorstehe. Auch dem Aristomenes theilte er seine Entdeckung mit.

 

4.

Ein lacedämonischer Ueberläufer besuchte damals oft eine messenische Frau, die außerhalb der Festung ihre Wohnung hatte, in Abwesenheit ihres Mannes, wenn dieser auf dem Wachtposten stand. Einst war eine mondlose, stürmische Nacht und der Regen ergoß sich in dichten Strömen vom Himmel. Da verließen die Messenier, die in dieser Nacht keinen Angriff besorgten, die Wache; Aristomenes aber lag an einer kurz vorher erhaltenen Wunde darnieder und konnte nicht wie gewöhnlich die Runde bei den Wachtposten machen. So kam denn auch jener Messenier in seine Wohnung zu seiner Frau, die, als sie die unerwartete Ankunft ihres Mannes bemerkte, den lacedämonischen Ueberläufer schnell versteckte. Der Messenier erzählte, daß wegen des stürmischen Wetters alle Posten unbesetzt wären. Als dies der Ueberläufer in seinem Verstecke hörte, schlich er sich leise davon und meldete Alles dem spartanischen Feldherrn. In der Nacht erstiegen nun die Spartaner auf angelegten Leitern die Mauern von Eira und erst das Bellen der Hunde weckte die Messenier aus ihrem Schlafe. Obschon Aristomenes und der Wahrsager wußten, daß Messeniens Untergang unvermeidlich sei, gingen sie doch zu allen Messeniern und ermahnten sie, wackere Männer zu sein, und riefen die Zurückbleibenden aus den Häusern. In der Nacht setzte die Finsterniß dem weitern Vordringen der Feinde Schranken, mit Anbruch des Tages aber erhob sich ein verzweiflungsvoller Kampf, an dem sogar die Weiber Theil nahmen, indem sie Dachziegel und was jede hatte auf die Feinde warfen. Aber noch dichter schoß der Regen herab unter dem heftigen Krachen des Donners und entgegenstrahlende Blitze blendeten die Augen der Messenier, während die Lacedämonier, da es ihnen zur rechten Hand blitzte, dies für ein günstiges Zeichen hielten und sich von größerem Muthe beseelt fühlten. Schon drei Tage und Nächte hindurch dauerte der Kampf, die Messenier waren durch Schlaflosigkeit, Regen und Kälte abgemattet, dazu quälte sie Hunger und Durst. Da lief der Wahrsager Theoklos gegen die Feinde und rief ihnen begeistert die Worte zu: »Wahrlich, nicht in allen künftigen Zeiten werdet ihr fröhlich die Früchte der Messenier genießen.« Hierauf stürzte er sich unter die Feinde und hauchte, nachdem er seine Rache mit dem Blute der Feinde gesättigt hatte, tödtlich verwundet den Geist aus. Nun rief Aristomenes die Messenier vom Kampfe zurück, nahm die Weiber und Kinder in die Mitte und ging mit gesenktem Speere, zum Zeichen, daß er um Durchzug bitte und abzuziehen beschlossen habe, auf die Feinde zu, die ihre Reihen öffneten und sie ungestört durchziehen ließen. Sie gingen zu den Arkadiern, ihren Bundesgenossen. Aristomenes aber wählte 500 der tapfersten Messenier aus, mit denen er Sparta, während das lacedämonische Heer noch in Messenien stand, überfallen wollte. Allein Aristokrates übte zum zweiten Male an den Messeniern Verrath, er zeigte den Lacedämoniern den Plan an, wodurch die Unternehmung vereitelt wurde. Dafür steinigten die Arkadier ihren König zu Tode und warfen seinen Leichnam unbegraben über die Grenze. Die meisten Messenier zogen nun nach Unteritalien, wo sie die nach ihnen benannte Stadt Messana bewohnten. Aristomenes, den sie zum Führer haben wollten, lehnte es ab mit den Worten, er werde, so lange er lebe, gegen die Lacedämonier Krieg führen; er wisse genau, daß immer irgend ein Unheil durch ihn für Sparta entstehen werde. Später ging er nach Delphi. Als der Herrscher einer Stadt auf der Insel Rhodos, Damagetos, das Orakel befragte, wessen Tochter er zur Frau nehmen sollte, erhielt er die Antwort, die Tochter des tapfersten Mannes unter den Griechen zu heirathen. Daraus heirathete er die Tochter des Aristomenes, dieser zog nach Rhodos, wo er nach einiger Zeit an einer Krankheit starb. Die Rhodier errichteten ihm ein ausgezeichnetes Denkmal und erwiesen ihm besondere Verehrung.


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