Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
1. Buch 3. Kapitel
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das dreizehnte Kapitel

Was for gute Täg und Nächte das gräfliche Fräulin im Schloß
genoß, und wie sie selbige wieder verlor.

Ich pflegte meiner Gesundheit und bähete mich aus, wie einer, der halb erfroren aus einem kalten Wasser hinter einen Stubenofen oder zum Feuer kommt; denn ich hatte damals auf der Welt sonst nichts zu tun, als auf der Streu zu liegen und mich wie ein Streitpferd im Winterquartier auszumästen, um auf den künftigen Sommer im Feld desto geruheter zu erscheinen und mich in den vorfallenden Occasionen desto frischer gebrauchen zu lassen. Davon wurde ich in Bälde wieder ganz heil, glatthärig und meines Cavaliers begierig. Der stellte sich auch bei mir ein, ehe die längsten Nächte gar vergingen, weil er der lieblichen Frühlingszeit so wenig als ich mit Geduld erwarten konnte.

Er kam mit vier Dienern, da er mich besuchte, davon mich doch nur der eine sehen dorfte, nämlich derjenige, der mich auch hingebracht hatte. Es ist nicht zu glauben, mit was für herzbrechenden Worten er sein Mitleiden bezeugete, das er mit mir trug, um daß ich in den leidigen Wittibstand gesetzt worden, mit was für großen Verheißungen er mich seiner getreuen Dienste versicherte, und mit was für Höflichkeit er mir klagte, daß er beides mit Leib und Seel vor Lutter mein Gefangner worden wäre.

»Hochgeborne schönste Dam,« sagte er, »dem Leib nach hat mich mein Fatum zwar gleich wieder ledig gemacht und mich doch im übrigen ganz und gar eueren Sclaven bleiben lassen, welcher jetzt nichts anders begehrt und darum hieher kommen, als aus ihrem Munde den Sentenz zum Tod oder zum Leben anzuhören; zum Leben zwar, wann ihr euch über eueren elenden Gefangenen erbarmet, ihn in seinem schweren Gefängnus der Liebe mit tröstlichem Mitleiden tröstet und vom Tod errettet, oder zum Tod, wann ich ihrer Gnad und Gegenliebe nicht teilhaftig werden oder solcher euerer Liebe unwürdig geschätzt werden sollte. Ich schätzte mich glückselig, da sie mich wie ein andere ritterliche Penthesilea mitten aus der Schlacht gefangen hinweg geführt hatte; und da mir durch äußerliche Lediglassung meiner Person meine vermeintliche Freiheit wieder zugestellt wurde, hub sich allererst mein Jammer an, weil ich diejenige nicht mehr sehen konnte, die mein Herz noch gefangen hielt, zumalen auch kein Hoffnung machen konnte, dieselbe wegen beiderseits wider einander strebenden Kriegswaffen jemals wiederum ins Gesicht zu bekommen. Solchen meinen bisherigen elenden Jammer bezeugen viel tausend Seufzer, die ich seithero zu meiner liebwürdigen Feindin gesendet, und weil solche alle vergeblich in die leere Luft gingen, geriet ich allgemach in Verzweifelung und wäre auch - -«

Solche und dergleichen Sachen brachte der Schloßherr vor, mich zu demjenigen zu persuadirn, wornach ich ohne das so sehr als er selbst verlangte. Weil ich aber mehr in der gleichen Schulen gewesen und wohl wußte, daß man dasjenige, was einem leicht ankommt, auch gering achtet, so stellte ich mich, gar weit von seiner Meinung entfernt zu sein, und klagte hingegen, daß ich seine Gefangne wäre, sintemal ich meines Leibs nit mächtig, sondern in seinem Gewalt aufgehalten würde. Ich müßte zwar bekennen, daß ich ihm vor allen andern Cavalieren in der ganzen Welt zum allergenauesten verbunden sei, weil er mich von meinen Ehrenschändern errettet, erkennete auch, daß mein Schuldigkeit sei, solch ehrliche und lobwürdige Rach wieder gegen ihm mit höchster Dankbarkeit zu beschulden; wann aber solche meine Schuldigkeit unter dem Deckmantel der Liebe mit Verlust meiner Ehr abgelegt werden müsse, und ich eben zu solchem Ende an dieses Ort gebracht worden wäre, so könnte ich nicht sehen, was er bei der ehrbarn Welt für die beschehene ruhmwürdige Erlösung für Ehr und bei mir für einen Dank zu gewarten hätte, mit demütiger Bitte, er wolle sich durch eine Tat, die ihn vielleicht bald wieder reuen würde, keinen Schandflecken anhenken, noch dem hohen Ruhm eines ehrliebenden Cavaliers den Nachklang zufreien, daß er ein armes verlassenes Weibsbild in seinem Hause wider ihren Willen etc. Und damit fing ich an zu weinen, als wenn mirs ein lauterer gründlicher Ernst gewesen wäre, nach dem alten Reim:

Die Weiber weinen oft mit Schmerzen,
Gleich als ging es ihn' von Herzen;
Sie pflegen sich nur so zu stellen
Und können weinen, wann sie wöllen.

Ja, damit er mich noch höher ästimiren solle, bot ich ihm 1000 Reichstaler als meine Ranzion an, wann er mich unberührt lassen und mich wiederum zu den Meinigen sicher passieren lassen wolle. Aber er antwortet, seine Liebe gegen mir sei so beschaffen, daß er mich nicht für das ganze Königreich Böhmen verwechseln könne; zu dem sei er seines Herkommens und Standes halber mir gar nit ungleich, daß es eben etwan wegen einer Heurat zwischen uns beiden viel Difficultäten brauchen sollte. Es hatte mit uns beiden ein Ansehen, als wann ein Täubler irgend einen Tauber und eine Täubin zusammen sperret, daß sie sich paaren sollen, welche sich anfänglich lang genug abmatten, bis sie des Handels endlich eins werden. Eben also machten wirs auch, denn nachdem mich Zeit sein bedunkte, ich hätte mich lang genug widersetzt, wurde ich gegen diesen jungen Buhler, welcher noch nicht über zweiundzwanzig Jahr auf sich hatte, so zahm und geschmeidig, daß ich auf seine güldenen Promessen in alles einwilligte, was er begehrte. Ich schlug ihm auch so wohl zu, daß er einen ganzen Monat bei mir blieb; doch wußte niemand warum, als obgemeldter einziger Diener und eine alte Haushofmeisterin, die mich in ihrer Pfleg hatte und Eure Gräfliche Gnaden tituliren mußte. Da hielt ich mich, wie das alte Sprichwort lautet:

Ein Schneider auf eim Roß,
Ein Hur aufm Schloß,
Ein Laus auf dem Grind –
Seind drei stolzer Hofgesind.

Mein Liebhaber besuchte mich denselben Winter gar oft, und wann er sich nicht geschämt hätte, so glaub ich, er hätte den Degen gar an einen Nagel gehenkt; aber er mußte seinen Herren Vatter und den König selbst scheuen, als der sich den Krieg, wiewohl mit schlechtem Glück, ernstlich angelegen sein ließ. Doch macht ers mit seinem Besuchen so grob und kam so oft, daß es endlich sein alter Herr Vatter und seine Frau Mutter merkten und auf fleißiges Nachforschen erfuhren, was er für einen Magnet in seinem Schloß heimlich aufhielt, der seine Waffen so oft aus dem Krieg an sich zog. Derowegen erkundigten sie die Beschaffenheit meiner Person gar eigentlich und trugen große Sorge für ihren Sohn, daß er sich vielleicht mit mir verplempern und hangen bleiben möchte an einer, davon ihr hohes Haus wenig Ehr haben konnte. Derowegen wollten sie ein solche Ehe beizeiten zerstören, und doch so behutsam damit umgehen, daß sie sich auch nicht an mir vergriffen, noch meine Verwandten vor den Kopf stießen, wann ich etwan, wie sie von der Haushofmeisterin vernommen, von einem gräflichen Geschlecht geboren sein und ihr Sohn auch mir allbereit die Ehe versprochen haben sollte.

Der allererste Angriff zu diesem Handel war dieser, daß mich die alte Haushofmeisterin gar vertraulich warnete, es hätten meines Liebsten Eltern erfahren, daß ihr Herr Sohn eine Liebhaberin heimlich enthielte, mit der er sich wider ihrer, der Eltern, Willen zu verehelichen gedächte, so sie aber durchaus nicht zugeben könnten, dieweil sie ihn allbereit an ein fast hohes Haus zu verheuraten versprochen; wären derowegen gesinnet, mich beim Kopf nehmen zu lassen; was sie aber weiters mit mir zu tun entschlossen, sei ihr noch verborgen. Hiermit erschreckte mich zwar die Alte, ich ließ aber meine Angst nicht allein nicht merken, sondern stellte mich darzu so freudig, als wann mich der große Mogul aus India wo nit beschützen, doch wenigst revanchiren würde, sintemal ich mich auf meines Liebhabers große Liebe und stattliche Verheißung verlassen, von welchem ich auch gleichsam alle acht Tage nit bloß liebreiche Schreiben, sondern auch jedesmal ansehenliche Verehrungen empfing. Dargegen beklagte ich mich in Widerantwort gegen ihm, wes ich von der Haushofmeisterin verstanden, mit Bitt, er wolle mich aus dieser Gefahr erledigen und verhindern, daß mir und meinem Geschlecht Spott widerführe.

Das End solcher Correspondenz war, daß zuletzt zween Diener, in meines Liebhabers Liberei gekleidet, angestochen kamen, welche mir Schreiben brachten, daß ich mich alsobalden mit ihnen verfügen solle, um mich nacher Hamburg zu bringen, allda er mich es wäre seinen Eltern gleich lieb oder leid, öffentlich zur Kirchen führen wolle; wann alsdann solches geschehen wäre, so würden Vatter und Mutter wohl ja sagen und als zu einer geschehenen Sach das Beste reden müssen. Ich war gleich fix und fertig, wie ein alt Feuerschloß, und ließ mich so Tags so Nachts erstlich auf Wismar und von dannen auf gedachtes Hamburg führen, allda sich meine zween Diener fortstahlen und mich so lang nach einem Cavalier aus Dänemark umsehen ließen, der mich heuraten würde, als ich immer wollte. Da wurde ich allererst gewahr, daß der Hagel geschlagen und die Betrügerin betrogen worden wäre. Ja mir wurde gesagt, ich möchte mit stillschweigender Patienz vorlieb nehmen und Gott danken, daß die vornehme Braut nicht unterwegs in der See ertränkt worden wäre, oder man sei auf des Hochzeiters Seiten noch stark genug, mir auch mitten in einer Stadt, da ich mir vielleicht eine vergebliche Sicherheit einbilde, einen Sprung zu weisen, der einer solchen gebühre, wofür man wüßte daß ich zu halten sei. Was sollt ich machen? Meine Hochzeiterei, meine Hoffnung, meine Einbildungen und alles, worauf ich gespannet, war dahin und miteinander zu Grund gefallen. Die vertraulichen liebreichen Schreiben, die ich von einer Zeit zur anderen an meinen Liebsten abgehen lassen, waren seinen Eltern eingeloffen, und die jeweiligen Widerantwortbriefe, die ich empfangen, hatten sie abgeben, mich an den Ort zu bringen, da ich jetzt saß und allgemach anfing, mit dem Schmalhansen zu conferirn, der mich leichtlich überredete, mein täglich Maulfutter mit einer nächtlichen Handarbeit zu gewinnen.


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