Franz Gräffer
Franciscéische Curiosa
Franz Gräffer

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Zur Geschichte der Todeskrankheit des Herzogs von Reichstadt.

»Wir verließen Schönbrunn am 16. November 1831. Der Herzog von Reichstadt drang in den Kaiser, ihn den Militärdienst wieder antreten zu lassen. Seine Majestät genehmigten es nicht; er war offenbar in einem zu bedenklichen Zustande.«

»Zu Ende des Jahres starben schnell nach einander die beyden Präsidenten des Hofkriegsrathes: Graf Gyulai und Baron Frimont. Der General Frimont hatte mehr als fünfzig Dienstjahre; ausgezeichnet durch seine Talente, seine Tapferkeit und Biederkeit, genoß er die allgemeine Achtung der Armee. Der junge Prinz bath dringend um die Erlaubniß, dem Leichenzuge dieses alten Kriegers mit den Truppen folgen und ihm die letzten militärischen Ehren erweisen zu dürfen. Der Kaiser billigte diesen Ausspruch von Achtung für das Andenken des verdienten Generals, aber eine Unpäßlichkeit, die den Herzog überfiel, vermochte uns, ihn bis zum 2. Jänner 1832 von der Ausübung des Dienstes zurückzuhalten.«

»So große Schonung man ihm auch aufzuerlegen suchte, so verursachte doch die Anstrengung dem durch Leiden bereits geschwächten Körper bald einen neuen Rückfall, und machte dem Militärdienste des Prinzen ein Ende, obwohl ihn kurze Zeit darauf der Kaiser zum zweyten Obristen im Regimente beförderte. Seine letzte militärische Function fand am 16. Januar 1832 Statt. Er war mit seinem Bataillon während des für den G. d. K. Baron Siegenthal gehaltenen Seelenamtes auf dem Josephsplatz aufmarschirt, verlor bey der Anstrengung in der starken Kälte die Stimme und hatte auch bereits Fieber, ohne es zu gestehen. Dieß nahm den Character eines galligen Flußfiebers an, gedieh aber am siebenten Tage zur Hauptkrise, und ging in ein tägliches Wechselfieber über.«

»Eine bedeutende Schwierigkeit für die Behandlung des Übels lag in dem bedenklichen Zustande der Brust und der Eingeweide, vorzüglich der Leber. Es war zu besorgen, daß, wenn auf diese heftig angegriffenen Organe gewirkt würde, das anfänglich nur zufällige Fieber in ein secundäres Eiterungsfieber überginge.«

»Der Doctor Malfatti hatte beschlossen, den Prinzen in die Bäder von Ischl zu schicken, sobald es die Jahreszeit erlauben würde. Er hoffte hievon günstigen Erfolg, wenn man anders den passenden Zeitpunct erreichen könnte.«

»Mit Klugheit angewandte Heilmittel brachten das Übel zum Stillstande, und hemmten das Fieber. Aber die Lebhaftigkeit seines Geistes riß stets den jungen Prinzen zu unüberlegten Unternehmungen hin, welche die Krankheit zurück führten und ihre Symptome noch gefährlicher machten. Doctor Malfatti war darüber in Verzweiflung. »»Es ist gerade, sagte er, als herrsche in diesem unglücklichen Jünglinge eine Kraft, welche ihn antreibt, sich selbst zu zerstören: alle Berechnung, alle Vorsicht scheitern an dem Verhängniß, welches ihn fortreißt.««

»Die Frühlings-Nachtgleiche war ein böser Zeitpunct. Die Regengüsse, welchen der Prinz trotzte, zogen ihm Verkühlungen und Fieber zu, regten seine langwierigen Leiden wieder auf und vermochten Verschleimungen der Leber und Auswürfe bedenklicher Art.«

»Im Monath April kamen zu diesem peinlichen Zustande noch Anzeichen öfterer Beschleunigung des Pulses mit einem Gefühle von Frost. Die Abmagerung, welche der Auswurf und die Hemmung des Verdauungsvermögens vermochten, überraschte die Doctoren Raimann und Wierer, welche der Doctor Malfatti, durch heftigen Gichtanfall abgehalten, ersucht hatte, ihn in der Behandlung des Prinzen zu unterstützen. Die Lebensweise, welche diese drey Ärzte mit Einstimmigkeit dem Kranken vorschrieben, setzte dem heftigen Fieber Schranken.«

»Die merkliche Besserung des Prinzen hatte die Ärzte vermocht, ihm zu erlauben, zu Pferd und zu Wagen Luft zu schöpfen, unter der Bedingung der größten Mäßigung freylich. Einige Zeit hindurch unterwarf er sich dieser Vorsicht. Eines Tages aber bestand er darauf, trotz des kalten, feuchten Wetters, auszureiten, und müdete sich dabey sehr ab. An demselben Abend machte er im offenen Wagen eine Spazierfahrt in den Prater, der wegen seiner Lage, auf einer Insel der Donau, sehr feucht ist. Hier blieb er bis nach Sonnenuntergang. Er mußte sogar, da ein Rad an seinem Wagen brach, ausspringen. Diesem unklug verlebten Tage folgte ein heftiger Fieberanfall und ein Brusthusten, welche die gefährlichsten Zufälle zur Folge hatten, nahmentlich den Verlust des Gehörs auf dem linken Ohre.«

»Auf Befehl des Kaisers und auf Ansuchen des gewöhnlichen Arztes hatten in Wien und in Schönbrunn mehrere Beratungen über die Krankheit des Prinzen Statt, zu welchen die Doctoren Vivenot, Wierer und Türkheim gezogen wurden. Bey einer dieser Zusammenkünfte theilte ich den Ärzten im Nahmen des Kaisers mit, daß sie, ohne sich an irgend eine politische Rücksicht zu kehren, untersuchen und darüber entscheiden sollten, ob es für den Prinzen zuträglich wäre, sich in irgend ein Land außerhalb den österreichischen Staaten zu begeben. Nachdem sie über die Lage des Kranken sich ins Klare gesetzt, und die gegen seine Krankheit zu beobachtende Verfahrungsweise bestimmt hatten, erklärten sie, es könne nützlich seyn, den Prinzen nach Italien, vorzüglich nach Neapel zu führen.«

»Die Aussicht auf diese Reise verursachte dem Prinzen unaussprechliche Freude: »»Aber, sagte er, glauben Sie, daß es damit kein Hinderniß haben wird? . . . Der Kaiser ist abwesend. . . . Gehen Sie zum Fürsten Metternich, fragen Sie ihn, ob es thunlich ist, daß ich diese Reise unternehme.««

»Ich eilte, dem Fürsten Metternich diese Frage vorzulegen, der mir auf der Stelle die Antwort gab: »»Sagen Sie dem Herzoge von Reichstadt, daß, Frankreich ausgenommen, das ihm zu öffnen nicht von mir abhängt, er sich in jedes ihm beliebige Land begeben kann. Der Kaiser setzt die Herstellung der Gesundheit seines Enkels über jede andere Rücksicht.««

»Als ich dem Prinzen die Antwort brachte, war er bis auf das Äußerste darüber entzückt. Er hing sich mit Leidenschaft an diese Hoffnung, welche leider nicht mehr erfüllt werden sollte.«

»Linderung und zunehmendes Leiden folgten sich auf beunruhigende Weise. Der Prinz fand Trost in der liebevollen Sorgfalt der kaiserlichen Familie, vorzüglich des Erzherzogs Franz und der Erzherzoginn Sophie, welche für ihn die Zuneigung einer Schwester hatte. Diese Prinzessinn, von so ausgezeichnetem und gebildetem Geiste, war in den Tagen seiner Bedrängniß wie eine wohlthätige Vorsehung für den unglücklichen Jüngling, dessen Zustand von Tag zu Tage sich verschlimmerte.«

»Es ist in der kaiserlichen Familie der Gebrauch, daß die Prinzen die heiligen Sterbsacramente in Gegenwart des versammelten Hofes empfangen. Es konnte nur schmerzlich seyn, dem Herzoge von Reichstadt anzukündigen, daß für ihn die Zeit für diese letzte Pflicht gekommen war. Der Hofprälat Wagner, der Lehrer seiner Kindheit, fühlte kaum die Kraft, ihm diese Erinnerung zu machen. Die Erzherzoginn Sophie, welche dem jungen Prinzen schon so viele Proben von Liebe und Theilnahme gegeben hatte, übernahm es, ihn unter milder Täuschung den traurigen Weg der Wirklichkeit zu führen. Sie lag ihn an, mit ihr zugleich das Werk der Andacht zu begehen, er, für seine Genesung, sie für ihre bevorstehende Entbindung. Diese Feyerlichkeit fand unter den Thränen einer zahlreichen Versammlung Statt, welche, ohne daß der Prinz sie bemerken konnte, derselben beywohnte. Wie erhaben der Anblick dieser beyden Glieder des Kaiserhauses, beyde in Gebeth versunken! Der Prinz, bleich, abgezehrt, schon sterbend, am Rande des Lebens das Sacrament des Todes empfangend! Die Erzherzoginn, im vollen Glanze der Schönheit, der Jugend und Mutterwürde in dieser heiligen Handlung sich vorbereitend für die Geburt ihres zweyten Kindes! . . . Wahrlich, wie reich an ergreifender Bedeutung war dieß Bild, wo in gemeinschaftlicher Andacht Leben und Tod, Sarg und Wiege unter sich verbunden erschienen!«

»Die Erzherzoginn Marie Louise hatte im Laufe der Jahre oft ihren Sohn besucht. Sonst, z. B. in den Jahren 1818, 1820, 1823, 1826, 1828 und 1830, trat er, ein blühender Knabe und Jüngling ihr entgegen, und begleitete sie mehrere Tagereisen weit, sobald sie abreisete. Jetzt rief sie die Nachricht seines nahen Endes eilends von Parma. Sie ging über Triest, um den Kaiser zu sehen, welcher sich eben dort befand; da befiel sie schweres Übelbefinden, und zwang sie, sich einige Tage dort aufzuhalten. Sie wartete, durch die kommenden Nachrichten äußerst beunruhigt, ihre Genesung nicht ab, sondern reiste weiter nach Wien und langte Abends da, im Zustande größter Erschöpfung und stechender Leiden, an. Sie wollte demungeachtet sogleich zum Prinzen eilen, welchen man schleunig auf das Wiedersehen vorbereitet hatte.«

»Mit lebhafter Freude erfüllte ihn die Nachricht ihrer Ankunft; er erwartete sie mit Ungeduld: er wollte ihr auch dießmahl entgegen gehen, aber seine Kräfte waren für diese geringe Anstrengung nicht mehr hinreichend.«

»Die Erzherzoginn ließ mich, so wie den Doctor Malfatti, ersuchen, bey dem Kranken zu bleiben, weil sie besorgte, daß seine Erschütterung unseren Beystand erfordern dürfte. Es gibt keine Farben, um diese traurige Umarmung zu mahlen! Der Jüngling, vor kurzem so schön, nun ohne Stimme, und schon den Stämpel des Todes im Antlitz, richtete sich aus seinem Schmerzenlager auf, um in seine welken Arme die selbst halbtodte Mutter zu schließen, welche gekommen war, seinen letzten Seufzer zu empfangen! Beyde blieben lange wie gelähmt durch die tiefe Rührung! Wir hatten Mühe, sie zu beschwichtigen. Mit Gewalt zwang die Erzherzoginn ihre Klagen und Thränen zurück; endlich konnte sie nicht mehr; sie mußte auf einige Augenblicke fort, um sich auszuweinen. Bald kehrte sie wieder, und ihre ganze Sorgfalt, jeder ihrer Augenblicke war sein. Die ersehnte Gegenwart seiner Mutter schien die Leiden des Herzogs während einiger Tage zu mindern. Diese letzte Tröstung hatte der verlöschenden Flamme seines Lebens den letzten Aufblick gegeben.«

»Ganz Wien nahm an der traurigen Lage des Prinzen den lebhaftesten Antheil: wer nur immer einige Auskunft über sein Befinden geben konnte, dem wurde sie abgefragt: von allen Seiten liefen Anzeigen von Heilmitteln, Vorschläge von Arzeneyen ein, die freylich mehr von der liebevollen Anhänglichkeit derer, die sie sandten, als von ihrer Einsicht zeugten. Wenn sich eine hohe und wichtige Person in so kritischer Lage befindet, sieht das Volk in den natürlichsten Ereignissen eine Vorbedeutung. So geschah es, daß bey einem der vielen Gewitter, welche die zu dieser Zeit herrschende Hitze unterbrachen, der Blitz den einen Flügel von dem kaiserlichen Adler über der Uhr auf dem Pallaste von Schönbrunn herabschlug. Hierin meinte das Volk die Hand der Vorsehung zu erkennen, welche den Stab über das Leben des Sohnes Napoleons brach.«

»Des Prinzen Schwäche nahm sichtlich zu, und sein Zustand verschlimmerte sich mit jedem Tage. Man trug ihn manchmahl in eine abgesonderte Verzäunung im Garten von Schönbrunn, oder bereitete ihm einen Sitz auf dem vortretenden Balcon seiner Wohnung, um die Luft zu suchen, die seine zerrissene Brust nur mehr mit Anstrengung einathmen konnte. Bald wurde es unmöglich, ihn aus seinem Bette zu heben. Er war fortwährend im Schwanken zwischen Hoffnung und Mutlosigkeit, was überhaupt das Characteristische seiner Krankheit war; wenn er uns aber von seinem nahen Tode sprach, so geschah dieß mit der hochherzigen Unerschrockenheit eines Tapferen.«

»Am Morgen des 21. July nahmen seine Leiden heftig zu; dabey befielen ihn Beängstigungen bis zur Ohnmacht. Zum ersten Mahle gestand er seinem Arzte, daß er leide, aber gleichzeitig sprach er den entschiedensten Ekel gegen das Leben aus. »»Wie lange wird diese erbärmliche Existenz noch dauern!«« rief er mitten im Brande des verzehrenden Fiebers. Eben trat Marie Louise ins Zimmer. Der Kranke hatte die Kraft sich zu fassen; mit scheinbarer Ruhe antwortete er auf ihre Nachfrage, daß er sich so ziemlich befinde, und suchte sogar sie aufzurichten über seine Lage. Während dem Reste des Tages nahm er Theil am Gespräche, obwohl seine Leiden sich nicht verringert haben konnten, und sprach sogar einige Mahle mit Vergnügen, wie es schien, von der Reise, die er im Herbste machen würde.«

»Am Abende eröffnete uns Dr. Malfatti, daß für die Nacht Alles zu fürchten war. Baron Moll verließ das Zimmer des Prinzen nicht, und hielt sich darin verborgen, denn der Prinz duldete durchaus nicht, daß Jemand bey ihm wache. Er schien zu entschlummern. Gegen halb 4 Uhr früh erhob er sich plötzlich und rief: »»Ich gehe unter! ich gehe unter!«« Baron Moll und der Kammerdiener sprangen herbey, und faßten ihn in ihre Arme. »Meine Mutter! . . Meine Mutter! . . das waren seine letzten Worte. Dabey kam Erstarrung in seine Züge, und seine Augen begannen sich zu verglasen. Baron Moll überließ ihn den Armen des Kammerdieners, und lief nach der Obersthofmeisterinn der Erzherzoginn Marie Louise, und nach dem Erzherzoge Franz, den der Prinz ersucht hatte, bey seinem Hinscheiden Zeuge zu seyn. Alles eilte ganz erschrocken herbey. Marie Louise hatte sich die Kraft zugetraut, sich aufrecht zu erhalten neben ihrem sterbenden Sohne; aber ihr brachen die Knie, und sie sank an das Bette. Der Herzog, unfähig zu reden, schien noch einiges Leben in den Augen zu haben – er heftete den Blick auf seine Mutter, als wollte er ihr damit sagen, was in seinem Herzen wohnte . . da wies der Hofprälat, der ihm beystand, nach dem Himmel, und der Kranke hob den Blick nach oben . . . Es war fünf Uhr acht Minuten . . . er wendete zwey Mahl den Kopf, und – war todt! – Er hatte, merkwürdiger Zufall! in demselben Gemache geendet, das des siegreichen Napoleon Schlafgemach gewesen war; an eben der Stelle, wo dieser, nachdem er den Frieden dictirt hatte, zu allen Träumen des Sieges und des Triumphes, mit allen Hoffnungen für die Zukunft, vielleicht mit dem Gedanken auf die Heirath, die er später wirklich machte, und mit voller Zuversicht in die Dauer seiner Dynastie eingeschlummert war! . . Er hatte geendet am 22. July, am Jahrestage der Acte, wodurch der Sohn Napoleons seinen letzten Nahmen und seinen letzten Titel empfangen hatte; am Jahrestage der Todesnachricht seines Vaters, die ihm gleichfalls zu Schönbrunn mitgetheilt worden war.«

»Marie Louise, in Schmerz gebrochen neben der Leiche ihres Sohnes, verfiel in einen Zustand, den die erst bestandene Krankheit höchst gefährlich machte. Die ganze kaiserliche Familie sank in Trauer auf die Nachricht von dem Tode des Herzogs, welchem sie leider schon seit geraumer Zeit entgegen sehen konnte. Die Erzherzoginn Sophie, eben im Kindbette, litt auf eine Weise, daß man für sie fürchtete. Der Hof war in Thränen, und Wien, wohin die traurige Bothschaft sich schnell verbreitet hatte, lag in Betrübniß. Man fragte – man erzählte – man besprach die liebenswürdigen Eigenschaften, das edle Äußere, das Ansprechende seiner Züge, das verständige Benehmen des unglücklichen Prinzen. Die einfachsten Menschen konnten nicht umhin, den Vergleich zu ziehen zwischen dieses Jünglings Leben ohne Erinnerung, und dem mächtigen Leben Napoleons, das so reich an Ereignissen, und eben so ungeheuer durch das Unglück, als durch die Triumphe war. Noch einmahl entrollte sich vor Jedermanns Auge dieß große Blatt der Geschichte – und solch ein Todesschweigen folgte auf das schreckliche Drama! – so war diese, mit so viel Blut erkaufte Nachkommenschaft in ihrem Keime vernichtet! – Der ungeheure Strom, dessen wüthende Wasser die ganze Welt mit Verheerung bedroht hatten, verlor sich als Bächlein im Ocean der Zeit.«

»Während man sich zu erinnern pflegte, welchen verzehrenden Brand Napoleon über Österreich geschleudert hatte, liebte man, in seinem Sohne ein vergeltendes, wohlthätiges Gestirn zu sehen, und viel von ihm für die Zukunft Österreichs zu erwarten. Man beklagte also seinen frühen Tod. Man fürchtete auch den Eindruck, den die Nachricht davon auf den Kaiser machen würde, denn er hatte den Herzog von Reichstadt ja immer ganz vorzüglich geliebt; geschah es, weil dieser durch seinen munteren Verstand und seine große Anhänglichkeit ihn besonders ansprach, oder weil der Kaiser ihn entschädigen wollte dafür, daß er ihn als Opfer auf den Altar der Pflicht legte, damahls schon, als er, um seiner Völker willen, seine Tochter gewährte, wie damahls, als er, um der Welt den Frieden zu sichern, mit eigener Hand die Krone zerbrach, welche Napoleon auf das Haupt des Sohnes der Kaiserinn Marie Louise gesetzt hatte.«

»Gleich nach des Prinzen Tode verließ Rittmeister v. Moll Schönbrunn, um dem Kaiser die traurige Nachricht davon, und einige mit Thränen benetzte Zeilen von der Hand seiner Tochter zu bringen. Er langte zur Nachtszeit in Linz an. Die Stadt war zur Feyer der Anwesenheit des Monarchen beleuchtet, und die Festlichkeiten dauerten noch tief in die Nacht hinein. Der Kaiser, auf der Rückreise nach Wien, hatte da, einem Manöver der Truppen und den Versuchen der Widerstandsfähigkeit des von dem Erzherzoge Maximilian erfundenen Fortificationssystemes beyzuwohnen, angehalten. Der schreyende Gegensatz dieser öffentlichen Freude, dieser Beleuchtungen, dieser Tänze und Feste mit der traurigen Bothschaft, die er zu bringen gekommen war, und mit dem frischen Bilde des letzten Kampfes des ihm so theuren Prinzen, konnte den Schmerz des Freyherrn v. Moll nur verdoppeln. Er eilte nach der kaiserlichen Burg. Den bitteren Kelch dieser Nachricht empfing der Kaiser aus den Händen der Kaiserinn, die ihn durch alles, was ihr die tröstende Sorgfalt eingab, weniger schmerzlich zu machen bestrebt war. Der Kaiser ließ sogleich den Freyherrn v. Moll vor sich kommen, und sich von ihm den Hergang der traurigen Stunden erzählen. Sein Herz brach darüber in Leid, und drey Mahl konnte er seines Schmerzes nicht Meister werden, und vergoß einen Strom von Thränen. Die Kaiserinn theilte mit ihm den Kummer, so viele schöne Hoffnungen, so viele herrliche Eigenschaften verloren zu sehen. »»Ich hatte darauf gezählt,«« sagte der Kaiser, »»daß, wenn er mir auch nicht erhalten werden sollte, ich wenigstens seine letzten Seufzer empfangen würde!«« – Nach diesen Ausbrüchen eines gerechten Schmerzes sandte der Kaiser den Rittmeister v. Moll an die Erzherzoginn zurück, um ihr sagen zu lassen, daß er sie auf seinem Gute Persenbeug erwarte, um dort mit ihr den Verlust des Gegenstandes ihrer Hoffnung und Liebe zu betrauern.«

»Ohne Vermögen, worüber ihm die Verfügung zugestanden wäre, hatte der Herzog kein Testament zurückgelassen, doch einige Andenken vertheilt. Marie Louise belohnte reichlich die ihrem Sohne erwiesenen Dienste, und gab dessen Leuten lebenslänglichen Gehalt. Bevor sie uns verließ, ertheilte sie mir, so wie dem Rittmeister v. Moll und dem Hauptmanne Standeiski den Constantinianischen St. Georgsorden von Parma, und verehrte uns kostbare Erinnerungen an den Verlorenen.«

»So wie der Kaiser angekommen war, legte ich ihm meinen tiefen Schmerz und meine Trauer zu Füßen. Dieser gute Monarch empfing mich mit Thränen im Auge, und nachdem er mir seine Betrübniß über diesen empfindlichen Verlust ausgedrückt hatte, sprach er: »Ich kann jetzt nichts mehr für ihn thun; aber ich werde seinem Gefühle gemäß handeln, und keinen von denen verlassen, die ihm gedient haben; sie gehören nun alle mir an.««

»Einige Tage darauf erhielt ich folgendes allerhöchstes Handschreiben!«

»»Lieber Graf Hartmann!General Graf Hartmann, seit seinem 16. Jahre im Militärdienste, zeichnete sich bey 2 Cavallerie- und einem Infanterie-Regimente in den Feldzügen 1805, 1809, 1813, 1814 u. 1815 aus. Seine Beförderung zum Obersten und General ausgenommen, avancirte er stets auf dem Schlachtfelde. Im October 1830 wurde er vom Kaiser zum Dienst bey dem Herzog von Reichstadt berufen, welchen er aber erst im Juny 1831 antreten konnte. Er blieb bey ihm bis zu dessen Tode ununterbrochen.

»»In Erwägung Ihrer Mir bekannten persönlichen und militärischen Eigenschaften hatte ich Sie bey Meinem geliebten Enkel, dem seligen Herzoge von Reichstadt, angestellt. Sie haben in Ihrer Dienstleistung, und insbesondere durch die treue Sorge, welche Sie demselben widmeten, Meinem Vertrauen vollkommen entsprochen. Um Ihnen einen Beweis meiner Erkenntlichkeit zu geben, verleihe Ich Ihnen das Commandeurkreuz Meines kaiserlichen Leopoldsordens.««

»»Dem ebenfalls bey dem verewigten Herzoge angestellt gewesenen Rittmeister, Freyherrn v. Moll, und Hauptmann Standeiski verleihe Ich aus gleicher Veranlassung das Ritterkreuz desselben Ordens, welches Sie Ihnen hiemit anzuzeigen haben.««

»»Baden, den 1. August 1832.

Franz m. p.

»Der Herzog von Reichstadt blieb auf seinem Sterbebette den ganzen Sonntag hindurch. Montag am 23. July fand die Leichenöffnung Statt. Der skirröse und krebsartige Zustand der Lunge, der fast gänzliche Mangel des Sternums, und der schwache Bau seiner verengten Brust deckten hinlänglich die unheilbaren Ursachen seines Todes auf, und bewiesen, daß keine Rettung möglich war.«

»In der folgenden Nacht wurde er in einer Trage, unter Fackelbegleitung, nach Wien gebracht. Das Volk drängte sich neben dem Zuge, aber ohne Unordnung und mit tiefem Schweigen. Er wurde in der Burgcapelle ausgesetzt, im alten Theile des Pallastes, der von Ottokar begonnen, und von dem Sohne Rudolphs von Habsburg beendigt worden ist.«

»Am 21., von Morgens 8 Uhr an, wurde das Volk nicht satt, noch einmahl die starren Züge zu betrachten, die es sonst so reich an Leben gesehen hatte. Auch ich begab mich nach der Capelle, und zwar in Gesellschaft des Grafen Johann Paar, des Adjutanten und treuen Freundes des Feldmarschalls Fürsten v. Schwarzenberg. Wir durchschritten die prachtvollen Gallerien, unter dem Nahmen des Spiegelsaales und des Rittersaales bekannt, und noch voll von der Majestät Josephs II. und der Kaiserinn Maria Theresia, und kamen endlich in die Gallerie der Kapelle.«

Der Sectionsbefund.

Bey der am 23. July 1832 im k. k. Lustschlosse Schönbrunn vorgenommenen Eröffnung des Leichnams Sr. Durchl. des Herzogs von Reichstadt wurde von den Endesgefertigten gesehen und gefunden:

A. Äußere Besichtigung.

Der Körper ganz abgemagert, außer den gewöhnlichen Todtenflecken, die Spuren von an dem Halse angesetzten Blutegeln, und am Scheitel und dem Brustblatte Spuren der eingeriebenen Brechweinsteinsalbe, an beyden Armen Flecken von aufgelegt gewesenen Visicatoren, der Brustkasten verhältnißmäßig, gegen den übrigen Körper lang und schmal, das Brustblatt plan, der Hals lang. Die Länge des ganzen Körpers beträgt 5 Schuh 9 Zoll; die ganze Haut rauh anzufühlen und leicht abschuppbar.

B. In der Schädelhöhle.

Die Consistenz in der Hirnschale sehr compact, jedoch an den fast ganz schon verwachsenen Nähten durchsichtig, mit der dura mater an mehreren Stellen ganz verwachsen, und bey der Wegnahme der Schädeldecke floß eine kleine Quantität seröser Flüssigkeit durch die mittelst der Säge zufällig verwundete harte Hirnhaut. Die harte Hirnhaut selbst ungewöhnlich dicht, im Verlaufe des Sichelfortsatzes mit der pia mater durch mehrere fibröse Fäden stark verwachsen; die Blutgefäße auf dem Gehirne von dunkelm Blute strotzend, das Gehirn compacter und von der harten Schädeldecke wie gepreßt aussehend. In der linken Gehirnkammer gegen ein Loth, in der rechten ein Quentchen Serum angesammelt; auf dem Grunde des Schädels nach Herausnahme des Gehirns beyläufig zwey Loth Serum, das kleine Gehirn ebenfalls compacter als gewöhnlich, übrigens gesund.

C. In der Brusthöhle.

Das Sternum nur einen halben Zoll breit und außerordentlich kurz, die rechte Lunge sowohl mit dem Rippen als dem Mittel- und Zwerchfelle stark verwachsen; ihre ganze Substanz aus unzähligen Eitersäcken, welche eine scirrhöse carcinomatöse Grundlage bildeten, mit dünnflüssigem jauchigem, äußerst übelriechenden Eiter bestehend; an dem obern Theile der linken Lunge ein in Eiterung begriffener Tuberkel, der übrige Theil der linken Lunge, so wie Herz und Herzbeutel ganz normal, die Thymusdrüse größer als gewöhnlich, kartilaginös verhärtet, in ihrem Innern grobkörnig anzufühlen, und fast denselben Anblick, wie die zerstörte Lunge nach dem Abflusse des Eiters darbiethend. Die Schleimhaut der Luftröhre durchaus korrodirt, wahrscheinlich vom Durchgange der jauchigen Flüssigkeit aus der Lunge.

D. In der Bauchhöhle.

Die Leber groß, ihre Substanz jedoch normal, die Gallenblase klein, wenig gelblichte Galle enthaltend. Das Pancreas gesund, die Milz ungewöhnlich groß und mürbe.

Der Magen kleiner als gewöhnlich, übrigens normal, Netz und Gekröse fettlos, die mesentarischen Drüsen größer und körniger als gewöhnlich, übrigens im Darmcanale nichts Abnormes; beyde Nieren, besonders die linke, etwas größer als sonst, übrigens nebst der Harnblase gesund.

Semlitsch, k. k. Hofchirurg.
Joh. Malfatti, Leibarzt.
Franz Wierer, Med. Doctor.
Joh. Fr. Edler von Hieber, k. k. Hofarzt.
Dr. Rinna, k. k. Hofarzt.
Dr. Zangerl, k. k. Schloßarzt und Actuar.

Des Doctors Malfatti Erzählung 1830 und 31 und sein Gesundheitsmemoire.

»Ich ward zum Herzoge von Reichstadt unter dem Titel seines gewöhnlichen Arztes, im May 1830 gerufen. Ich folgte hierin drey Männern von hohem Rufe, dem berühmten Staatsrathe Frank und den Doctoren Goelis und Staudenheimer. Herr von Herbeck versah bey dem Herzoge die Dienste seines gewöhnlichen Wundarztes. Gesundheitsjournal war mir keines übergeben worden. Die Güte des Grafen Moriz Detrichstein ersetzte diesen Abgang durch eine Menge mir zu wissen unumgänglich notwendiger Angaben. Der Prinz aß sehr wenig und ohne jede Eßlust: sein Magen schien zu schwach, die Nahrung zu vertragen, welche sein ungewöhnlicher, beynahe beunruhigend schneller Wachsthum erfordert hätte: im sechzehnten Jahre hatte seine Gestalt eine Höhe von 5 Fuß 8 Zoll erreicht. Von Zeit zu Zeit litt er an kleinen Halsübeln, fast ununterbrochen aber am Husten, wobey er täglich Schleim auswarf. Der Doctor Staudenheimer hatte schon die lebhaftesten Besorgnisse über des Prinzen Anlage zur Luftöhrenschwindsucht ausgesprochen. Ich nahm Kenntniß von allen, aus Veranlassung dieser so beunruhigenden Symptome bereits in Anwendung gebrachten Mitteln.«

»Da mir eine in der Familie Napoleon erbliche Krankheitsdisposition bekannt war, so suchte ich ihre Spur, und überzeugte mich bald von dem Bestehen einer Haut-Affection, herpes farinaceum. Ich setzte mich gegen kalte Bäder, die auch schon der Wundarzt v. Herbeck, wahrscheinlich in Rücksicht der schwachen Brust des Herzogs, mißbilliget hatte. Durch Sohlenbäder und Selterwasser mit Milch wirkte ich günstig auf das Hautsystem zurück.«

»Der Prinz sollte im kommenden Frühjahre in die Truppe treten. Dahin eben zogen ihn alle seine Wünsche; dahin wiesen seine liebsten Hoffnungen: auch hatte er die oft angesuchte Erlaubniß bereits erhalten. Sie können sich vorstellen, daß ich mich seiner Gunst dadurch nicht sehr empfahl, daß ich diese Veränderung in seiner Lebensweise förmlich widerrieth: ich setzte meine Gründe in einem Memoire vom 15. JulyDieses Memoire folgt hier unten am Schlusse., welches ich an seine erlauchten Großältern richtete, aus einander. Darin wies ich nach, daß bey seinem außergewöhnlichen, mit der langsamen Entwicklung seiner Organe im Widerspruche stehenden Wachsthume, und bey seiner Schwäche, nahmentlich in den Brusttheilen, jede zufällige Krankheit sehr gefährlich werden könnte, sowohl in der Gegenwart, als in der Zukunft, und daß es sonach von Wichtigkeit wäre, den Prinzen den atmosphärischen Einflüssen nicht auszusetzen, und insbesondere die Anstrengung der Stimmorgane, die im Dienste bey der Truppe erforderlich würde, zu vermeiden.«

»Mein Memoire wurde vom Kaiser berücksichtiget, und der Eintritt in die Truppe auf sechs Monathe hinausgeschoben. Durch fleißige Pflege und künstliche Ableitungen verminderten sich die beunruhigenden Symptome zusehends; der Winter ging gut vorüber; aber der Wachsthum dauerte fort.«

»Im Frühjahre 1831 trat der Prinz in die Truppe. Von diesem Augenblicke an verwarf er alle meine Rathschläge; ich war nur noch der Zuschauer eines Eifers ohne Maß und Grenzen für seine neuen Exercitien. Er glaubte von nun an nur noch seine Leidenschaft hören zu dürfen, die seinen schwächlichen Körper zu Entbehrungen und Anstrengungen, ganz und gar über seine Kräfte, fortriß. Er würde es für Schmach, für Feigheit gehalten haben, nun, da er in der Truppe stand, sich zu beklagen. Übrigens lastete in seinen Augen auf mir das große Unrecht noch, seine militärische Laufbahn schon einmahl hinausgeschoben zu haben; er schien darum meine Beobachtungen zu fliehen, damit ich dieselbe nicht etwa ein zweytes Mahl unterbräche. Wiewohl er fortfuhr, mich in den geselligen Berührungen mit vielem Wohlwollen zu behandeln, sagte er mir als Arzt nicht mehr ein wahres Wort. Es wurde mir unmöglich, ihn dahin zubringen, den Gebrauch der Sohlenbäder und des Selterwassers, die im verflossenen Jahre ihm so ersprießlich gewesen waren, wieder vorzunehmen. Es mangle ihm dazu die Zeit, war seine Antwort.«

»Nicht selten überraschte ich ihn in der Caserne im Zustande außerordentlicher Ermattung. Eines Tages fand ich ihn dort auf dem Soffa liegend, ganz erschöpft und entkräftet, völlig hinfällig. Da er nur nicht läugnen konnte, was ich sah, so rief er aus: – »»Ich zürne diesem erbärmlichen Körper, der nicht dem Willen meiner Seele zu folgen vermag!««

»Es ist wirklich betrübt, erwiederte ich ihm, daß Euer Durchlaucht den Körper nicht austauschen können, wie ihre Pferde, wenn Sie dieselben ermüdet haben; aber ich beschwöre Sie, mein Prinz, bedenken Sie wohl, daß Sie eine eiserne Seele in einem krystallenen Körper tragen, und daß der Mißbrauch des Willens Ihnen nur schädlich werden kann.«

»Sein Leben war damahls ein wahrer Verbrennungsproceß; er schlief kaum vier Stunden, wiewohl er seiner Natur gemäß langen Schlafes benöthigte; er aß fast gar nicht. Er lebte nur mehr im Reiten und in den militärischen Übungen; er kannte Ruhe nicht mehr. Er wuchs noch immer, und magerte verhältnißmäßig ab. Seine Gesichtsfarbe wurde wässerig. Fragte ich, so war seine Antwort: »»Ich befinde mich ganz vortrefflich.««

»Im August befiel ihn ein starkes Catarrhfieber. Alles, was ich zu erreichen im Stande war, beschränkte sich darauf, ihn Bett und Zimmer einen Tag lang hüthen zu machen.«

»Endlich entschieden wir mit General Graf Hartmann, daß der für einen so gebrechlichen Körper so gefährlichen Lebensweise durchaus ein Ende gemacht werden müsse.«

»Sie erinnern sich der traurigen Epoche des Einbruches der Cholera in Wien, der Opfer, die zuerst unter dieser Geißel fielen, des hochherzigen Benehmens der Wiener bey dieser Gelegenheit, der weisen Vorsichtsmaßregeln der Regierung, der Hülfleistungen, des Beyspieles endlich, mit welchem der Kaiser und die ganze kaiserliche Familie vorangingen. Unzugänglich der Furcht, welche diese Krankheit anfänglich verbreitete, wollte der Herzog von Reichstadt die Caserne und seine Soldaten nicht verlassen. Der Kaiser mochte allerdings die Gesinnung des Prinzen, die mit seinen Pflichten im Einklange war, loben; aber auch wir hatten eine heilige und dringende Pflicht, nähmlich den jungen Mann aus einer Lage zu reißen, die ihn zu Grunde richtete. Ich machte, unter diesen Umständen, eine Auseinandersetzung der Gefahren, welchen er nur durch die Veränderung der Lebensweise und durch völlige Ruhe entzogen werden konnte. In seiner Lage würde der geringste Anfall des herrschenden Übels tödtlich gewesen seyn. Graf Hartmann überreichte diesen Bericht dem Kaiser, der mir befehlen ließ, ihm denselben, in Gegenwart des Herzogs, Wort für Wort zu wiederholen, und zwar am nächsten Morgen, nachdem ein eben angesagtes Revüe-Manöver Statt gefunden hatteDas Manöver fand am 26. September 1831 auf der Schmelz Statt. Der Herzog commandirte dabey sein Bataillon.. Ich fand mich zur gegebenen Stunde auf dem Felde ein, wo der Kaiser sich unter Volk und Truppen mischte, um durch sein Beyspiel den Leuten Muth gegen den Schrecken der Krankheit zu geben. Sobald die Revüe zu Ende war, näherte ich mich Sr. Majestät, und wiederholte meinen Bericht. Der Kaiser wandte sich zu dem Prinzen mit den Worten: »»Nun hast Du Doctor Malfatti gehört, und wirst Dich unmittelbar nach Schönbrunn begeben.«« Der Herzog verneigte sich in Gehorsam; aber indem er sein Haupt wieder empor hob, warf er mir einen zürnenden Blick zu. »»Sie also sind es,«« sagte er, »»der mich in Arrest setzt?«« und er entfernte sich schnell.

»Die zwey Monathe völliger Ruhe, die er in Schönbrunn zubrachte, waren belebender Balsam für seine geschwächten Organe. Seine Kräfte kehrten wieder. Sein Antlitz verlor die wässerige Farbe, und wurde voller; er schlief acht bis neun Stunden ohne Unterbrechung; es war, als wollte die Natur an Ruhe nachholen, was ihr entzogen worden war. Auch die Brustschmerzen ließen nach, und verschwanden. Sein Unwillen gegen mich legte sich nach und nach, und es kehrte das frühere Wohlwollen wieder. Kaum war ihm zu Ohren gekommen, daß mich ein heftiger Gichtanfall getroffen hatte, so eilte er mich zu besuchen auf meinem Landhause in Hietzing. In den liebenswürdigsten Ausdrücken bath er mir seinen Unwillen und sein unbilliges Benehmen ab, und that mir die Ehre an, mich oft zu sehen und gerne mit mir sich zu besprechen.«

Gesundheitsmemoire.

Aus den frühern Krankheitsfällen, so wie aus der ärztlichen Behandlung derselben und aus meinen eigenen Beobachtungen über die Gesundheit Sr. Durchl. ergibt sich.

1. daß durch einen zu raschen Wachsthum ein solches Mißverhältniß in der körperlichen Entwicklung Sr. Durchlaucht entstand, daß man, nebst dem allgemeinen Schwächezustande, für jenen insbesondere der Brust besorgt seyn müsse;

2. daß als Folge dessen Seine Durchlaucht leicht catarrhalischen Affectionen und dem Reizhusten unterworfen war, welche hauptsächlich auf die Luftröhre und auf die Bronchien sich festsetzten. Die Dauer und Erregung dieses Localleidens flößte den früheren Ärzten mit vollem Rechte große Besorgnisse ein. Der Prinz trinkt deßhalb dermahlen Selterwasser mit Milch;

3. nebst der verspäteten Entwicklung der Brustorgane, als Ursache dieser Erkrankung, glaube ich eine zweyte annehmen zu müssen, und zwar in einer Discrasie des Hautsystems. Ich fand nähmlich an verschiedenen Stellen seines Körpers, besonders aber an den Oberarmen und am Nacken die Haut so beschaffen, wie dieselbe bey beginnenden Flechten zu seyn pflegt; ja sogar die Hände Sr. Durchlaucht biethen solche Erscheinungen dar, welche den ausgestandenen Frostbeulen allein nicht leicht zugeschrieben werden können. Zweckmäßig fortgesetzte Bäder werden hierauf günstig wirken.

Diese Beschaffenheit der Haut, welche sich so leicht auf die inneren Membrane und besonders auf jene der Bronchien und der Luftröhre fortsetzt, kann auch bey dem Prinzen die Anlage zu dem localen Leiden dieser Organe bedingen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist diese Discrasie der Haut aus erblicher väterlichen Anlage entstanden.

Auf dem gegenwärtigen Standpuncte Sr. Durchlaucht geht die Anomalie der Entwicklung einer tröstenden Ausgleichung entgegen, und die herpetische Discrasie wird sich, wie ich hoffe, allmählich beseitigen lassen. Nichts desto weniger, so lang die Entwicklung des Prinzen nicht vollendet ist, muß beydes nicht einen Augenblick außer Acht gelassen werden, weil jede zustoßende Krankheit in dieser Epoche des Werdens, nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft bedeutend und gefährlich werden kann; um so mehr, als der Prinz keine der gewöhnlichen Hautkrankheiten, als: Masern, Scharlachfieber &c. &c. bestanden hat.

Die Schädlichkeiten, welche Se. Durchlaucht am meisten noch vermeiden muß, sind hauptsächlich: große Anstrengungen, besonders des Sprachorgans, Erhitzungen, Erkühlungen, vorzüglich bey stürmischer Witterung, und Diätfehler. Die Sorgfalt, den Prinzen gegen diese für ihn sehr nachtheiligen Einflüsse zu verwahren, ist um so nöthiger, weil sein feuriges Temperament ihn leicht zur Vernachlässigung der genauen Rücksichten verleiten kann.

Ich werde mir es demnach besonders angelegen seyn lassen, den Prinzen bey dem Eintritte der kalten Witterung eigens zu beobachten, weil die geschilderten Symptome im Herbste hervortreten, und Lebensart und ärztliche Behandlung darnach eingerichtet werden müssen.

Wien, am 15. July 1830.

Dr. Malfatti.


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