Franz Gräffer
Franciscéische Curiosa
Franz Gräffer

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Der Bernadotte'sche Auflauf in Wien 1798.

Von einem Augenzeugen»Getreue Darstellung des Auflaufes, welchen die französische Bothschaft durch Aushängung einer dreyfarbigen Fahne am 13. April 1798 in Wien veranlaßt hat. Von einem Augenzeugen« – 30 Seiten in Octav. (Wien) 1798.. Mit Zusätzen.

Der Gemeingeist und die Fürstentreue der österreichischen Unterthanen hatte den französischen Kriegsheeren in eben dem Augenblicke, als sie dem Herzen der Erbstaaten sich näherten, einen mächtigen Damm entgegen gestellt, und durch die Präliminarverhandlungen zu Leoben den Grund zu dem nachher in Campo formio geschlossenen Frieden gelegt. Der Kaiser, in der Erwartung, daß die französische Regierung den Frieden ebenso sehnlich wünsche als sie es allenthalben zu versichern sich angelegen seyn ließ, glaubte zur Herstellung der Ruhe in ganz Europa den Grund zu legen, indem er seinen Unterthanen auch mit bedeutenden Aufopferungen den Frieden bewirkte, der immer der Herzenswunsch dieses menschenfreundlichen Monarchen war.

Die Ankunft einer französischen Gesandtschaft mußte die natürliche Folge des Friedensschlusses seyn. Aber es mangelte eine vorläufige freundschaftliche Übereinkunft über die wahrscheinlichen Neuerungen, welche die französischen Gesandten bey fast allen Mächten forderten. Wenigstens ward das Publicum in Wien durch die unvermuthete Ankunft des General Bernadotte überrascht. Er selbst, in diplomatischen Geschäften ganz ungeübt, nur an den Krieg gewohnt, befand sich in dem Falle, beynahe in Allem von seinen Secretären und Adjutanten abzuhängen, welche über den kriegerischen Ungestüm des Botschafters eben so wenig, als dieser über das zudringliche trotzige Betragen jener, zufrieden schienen. Er selbst that sich alle Gewalt an, um, wenigstens im Anfange, verbindlich und eingezogen zu seyn; aber sein Gefolge erschien nicht in dem nähmlichen Lichte. Es bestand aus einem Trupp junger verwilderter unverständiger Leute, welche ohne Achtung für Völkerrecht und gesellschaftliche Bande über alles, was andern Nationen heilig oder ehrwürdig war, spotteten, alles gering schätzten, was sie anders fanden als es in ihrer Heimath ist, und durch Pralereyen wenig guten Willen bezeugten die neuen Freundschaftsbande zwischen zwey ausgesöhnten Mächten fester knüpfen zu wollen. Männern, deren Blick tief in die Zukunft sah, ahnte schon damahl wenig Gutes; aber die Gutmüthigkeit der Wiener duldete den Übermuth dieser Jünglinge, den es auf Rechnung ihres Alters und ihres Mangels an Erfahrung oder an Erziehung schrieb, und das k. k. Ministerium sah mitleidig über viele Insolenzen weg, benahm sich gegen die Bothschaft mit schonender Mäßigung, behandelte sie mit zufriedenstellender Nachgiebigkeit, und hoffte von der Zeit und der Einsicht der französischen Regierung Abhülfe. Unmöglich konnte dieselbe von den persönlichen Eigenschaften dieser Leute genau unterrichtet seyn; sie würde sonst keine Personen gewählet haben, welche so wenig geschickt waren das gute Vernehmen zwischen beyden Mächten zu erhalten, zu befestigen, und ihrer Nation bey derjenigen, zu der sie gesandt waren, Achtung zu erwerben.

Aber auch in dieser Lage blieben die Sachen nur durch kurze Zeit. Das Betragen des Bothschafters ward mit jedem Tage zudringlicher und der Übermuth seiner jungen Leute unerträglicher. Die Bothschaft vermied mit auffallendem Widerwillen allen Umgang mit geachteten Personen, und beschränkte sich auf verworfene Flüchtlinge, und auf wenige Fremdlinge, welche an dem Lande, das sie gutwillig in seinen Schoos aufnahm, undankbar wurden.

Die französische Bothschaft schien es darauf angelegt zu haben, die beyden Mächte, es koste was es wolle, zu entzweyen. Nachdem unzählige Neckereyen und Zudringlichkeiten mit weiser Mäßigung von dem k. k. Ministerium theils befriediget, theils abgelehnet wurden, glaubte sie den Augenblick vorhanden, in welchem sie die friedlichen Bewohner Wiens entzweyen, und, falls es mißlingen sollte, unter gutem Vorwande sich entfernen und zwischen den beyden Mächten neue Mißverständnisse erregen könnte.

Die folgende Geschichts-Erzählung wird den Plan und den Gang ihrer Ideen näher entwickeln.

Wie wenig kannten sie die Anhänglichkeit und die Treue der Österreichischen Unterthanen für einen allgeliebten Landesfürsten; wie irrig hofften sie in Wien die Auftritte zu wiederhohlen, welche, leider, in andern Hauptstädten durch Emissäre vorbereitet, und durch junge Brauseköpfe sind erregt worden!

Am 12ten und 13ten April nahm der General Bernadotte alles, was er vermög seiner Creditsbriefe bey den Banquiers noch stehen hatte, zu sich. Er erklärte sich gegen den Logenmeister des Hoftheaters, daß er auf das Abonnement eines ankommenden fremden Sängers sich nicht einlassen könne, weil er in kurzem von hier abzureisen gedenke. Er ließ heimlich eine Fahne verfertigen und betrieb bey den Handwerksleuten diese Arbeit mit der ahndungsvollen Dringlichkeit, daß sie bis zum 13ten April Nachmittags fertig seyn müsse, weil sie ihm sonst nichts mehr nütze. Hätten diese Handwerksleute ihrer Pflicht gemäß die Bestellung dieser seltsamen Arbeit der Obrigkeit angezeigt, so würde vielleicht auch dieser Versuch noch fruchtlos geblieben seyn! Aber alles geschah in größter Stille! und noch am 13. April ward das Publicum mit einem unerwarteten Anblicke überrascht.

Abends gegen 7 Uhr steckte der General Bernadotte auf dem Balcon seiner Wohnung eine bey vier Ellen lange dreyfärbige Freyheitsfahne tief in die Gasse hinaus.

Wer je in Hauptstädten sich aufgehalten hat, kann von dem Erfolge eines so auffallenden Phänomens sich eine Vorstellung machen. Die ersten Vorübergehenden, welche im Erstaunen über dieses ungewöhnliche Schauspiel stehen blieben, konnten sich weder die Veranlassung noch die Absicht davon erklären; als aber die Zahl der Zuschauer wuchs und Gelegenheit gab Betrachtungen darüber anzustellen, waren die Deutungen über diese in hiesigen Gegenden so ungewöhnliche Erscheinung sehr verschieden. Einige hielten es für eine Blutfahne, welche den Krieg ankündet; andere für einen, dem Kaiser zum Trotze, der österreichischen Nation angethanen Schimpf; noch andere für eine Aufforderung zum Aufruhr. Diese Muthmaßungen wurden durch das sich verbreitende Gerücht noch vermehrt, daß auf der Fahne die Worte Freyheit und Gleichheit in deutscher Sprache geschrieben seyen; ein Umstand, welcher wegen der eingebrochenen Dämmerung nicht auf der Stelle zu berichtigen war.

Schon hatte sich in dieser volkreichen Stadt vor der in einer der besuchtesten Gegenden sich befindlichen Wohnung des Botschafters viel Volk aus allen Classen versammelt, und sein Mißvergnügen um so lauter geäußert, je beleidigender das Betragen der am Thore harrenden Dienstleute des Botschafters, je spöttischer die Gebehrden der auf dem Balcon befindlichen Personen waren, als der Polizey-Oberdirector, und der Platz-Oberste von diesem Vorfalle unterrichtet, mit einigen Officieren und Beamten herbeyeilten und alle Beredsamkeit aufbothen, um die zahlreiche Versammlung zum friedlichen Abzuge zu bewegen. Die Achtung, welche die erstgenannten Personen bey dem ganzen Publicum genießen, würde wahrscheinlich auf die bekannte Folgsamkeit der Einwohner Wiens mit gutem Erfolge gewirket haben, wenn nicht in eben diesem Augenblicke der General Bernadotte mit wüthender Gebehrde, mit der einen Hand auf dem Griffe des Säbels und mit geballter Faust an das Thor gerannt wäre, und mit beleidigenden Drohungen und pöbelhaften Schimpfwörtern die Erbitterung der Anwesenden auf das höchste getrieben hätte. Er befand sich nach dem glaubwürdigen Berichte des verdienstvollen Polizey-Oberdirectors und mehrerer Augenzeugen, in einem Zustande, der von einer Veranlassung herzurühren schien, welche man von einem Manne von Erziehung, am allerwenigsten von einem Manne seines Ranges, kaum vermuthen sollte!

Nun gewann der Auftritt ein ernstlicheres Ansehen; das immer häufiger herzuströmende Volk fing an lauter zu werden, und die Hinwegschaffung der Fahne unbedingt zu fordern. Vergeblich ward der General Bernadotte angegangen, die Fahne einzuziehen; vergebens begab sich der Platz-Oberste von einem Officier begleitet in des Bothschafters Wohnung, um ihn durch Zurückziehung der anstößigen Fahne zur Stillung der Unruhe zu bewegen. Der General Bernadotte empfing den Obersten mit den beleidigendesten Drohungen, und vergaß alle Achtung, die er dem Character dieses Mannes, und dem Amte, das er bekleidet, schuldig war. Die Beamten schickten um Cavallerie und Infanterie-Pikete, welche zwar eiligst herbey kamen, und die Anhäufung der Volksmenge möglichst abhielten, aber die Straße nicht mehr zu leeren vermochten, wo das Volk, durch die empörenden Drohungen immer mehr gereitzt, mit Steinen nach den Fenstern des Generals Bernadotte zu werfen begann. Dieser hatte inzwischen das Thor des Hauses geschlossen; aber der Steinregen dauerte, aller Vorstellungen der Beamten ungeachtet, fort, und der Kaiser, welcher das Völkerrecht auch dann ehrt, wenn man es an ihm verletzt, gab den Militär-Behörden den Befehl, die Garnison ausrücken zu lassen, und die Stadtthore zu sperren, so wie die Civil-Behörden von Seiner Majestät die zweckmäßigsten Weisungen erhielten, um die Ruhe auf das baldigste herzustellen.

Der französische Bothschafter, da er sich im Gedränge sah, schrieb einen drohenden Brief an den k. k. Minister der auswärtigen Geschäfte, in welchem er es sich herausnahm, die vor seinem Hause versammelte Menge einen zügellosen Pöbel zu nennen, und mitten in der Nacht augenblickliche unbedingte Genugtuung forderte.

Er erhielt hierauf die mündliche Versicherung, daß man alles anwenden würde um die Ruhe herzustellen. Auf eine abermahlige Note erhielt er diese nähmliche Zusicherung in einer schriftlichen Antwort, und der nach Paris bestimmte k. k. Minister, Freyherr von Degelmann, der sich mit Mühe und Gefahr zur Wohnung des Bothschafters wagte, brachte den größten Theil dieser stürmischen Nacht bey ihm zu.

Indessen alle Behörden mit den zweckmäßigsten Anstalten beschäftiget waren, versuchte es einer aus der Menge den Balcon von außen zu erklettern, und die Fahne herabzuwerfen. Diese ward theils verbrannt, theils zerrissen, und der Überrest, von einer Menge Volks begleitet, auf die Hauptwache gebracht, wo sie, um mehrere Auftritte zu hindern, von dem kommandirenden Officier in Verwahrung genommen ward.

Nachdem es nun einmahl so weit gekommen, und das Volk durch den Spott und die Beschimpfungen, die ihm aus des Bothschafters Hause widerfuhren, auf das Äußerste gebracht war, kann es Niemanden befremden, daß die Sachen noch weiter getrieben wurden. Noch bevor die Verstärkungen der Reiterey, und der Grenadiere aus den entlegenen Vorstädten herbeyeilen konnten, wurden die Thore des Hauses, in welchem der Botschafter wohnte, eingesprengt, die Fenster und das Küchengeschirre in den Wohnungen zu ebener Erde zertrümmert, ein Paar Wägen beschädigt und hinweggeführt, welche letztere aber von den Wachen wieder in Sicherheit gebracht wurden. Nur mit der äußersten Mühe gelang es dem Militär die Haupttreppe zu besetzen, das Volk von dem Eindringen in die Zimmer des Botschafters abzuhalten, und sowohl seine Person als sein Gefolge von aller Verletzung zu bewahren, welche um so mehr zu besorgen war, als von dem Gefolge mehrere Schüsse, jedoch zum Glücke ohne allen Erfolg, auf das Volk geschahen.

Endlich ward bis nach 2 Uhr Nachts die Ruhe wieder hergestellt. Zu größerer Vorsicht blieben auch noch am folgenden Tage (den 14ten) die Zugänge der Straße, welche zu der Wohnung des Bothschafters führt, durch Militärwachen geschlossen, die Garnison blieb fortwährend unter den Waffen, und es erschien sogleich eine Proclamation des Polizey-Ministers, in welcher auf Befehl Seiner Majestät, und in dem väterlichen Tone, mit welchem dieser Monarch immer zu seinen Unterthanen zu sprechen pflegt, er die Eigenmächtigkeit, mit welcher das Volk sich selbst zum Richter aufwarf, mißbilligte, es zur Ruhe ermahnte, und die Urheber eines neuen Zusammenlaufes auf die Ahndung verweiset, welche die Gesetze für jede Gewaltsamkeit bestimmen. Der französische Botschafter hielt sich nun an keine Form mehr, an keine unter allen Völkern bestehende Gewohnheit. Er schickte am 14ten April Morgens, unerachtet die angränzenden Straßen noch mit Volk angefüllt waren, welches die Neugierde herbeyzog, einen seiner Officiere ohne aller Begleitung mit einem Schreiben gerade an den Kaiser, in welchem er unbedingt auf Ertheilung eines Passes zu seiner Abreise drang; dieß ward ihm durch den Cabinetts-Minister Grafen v. Colloredo auf die verbindlichste Weise beantwortet. Am nähmlichen Tage Nachmittags sandte der Kaiser den Grafen v. Saurau und den Freyherrn v. Degelmann an den Bothschafter um dieß Mißverständniß auseinander zu setzen; aber der Botschafter drang unaufhaltsam auf seine Abreise, obschon die Stadt wieder der nähmlichen Ruhe genoß, in der sie sich seit undenklichen Zeiten befand.

Der Paß ward ihm ertheilt, ein von ihm abgeschickter Courier, auf dessen Verlangen sogar durch einen k. k. Officier begleitet, und der Botschafter reisete am 15. April um Mittagszeit unter einer Menge ruhiger Zuschauer sammt seinem Gefolge in fünf Wägen von Wien nach Rastadt ab. Er erhielt bey seiner Abreise alle seinem Range gebührenden militärischen Ehrenbezeugungen, und, auf sein ausdrückliches Verlangen, eine ansehnliche Militär-Bedeckung.

Nun einige Betrachtungen über diesen in der Geschichte der Diplomatie merkwürdigen Vorfall, von welchem in den Jahrbüchern des friedlichen Wien kein Beyspiel vorhanden ist.

Erstens. Ist der französische Botschafter berechtigt gewesen, an dem Hofe, bey dem er accredidiret ist, solche Neuerungen einzuführen, welche nach den dortigen Begriffen als Zeichen der Zwietracht und Empörung angesehen werden müssen?

Zweytens. War er berechtigt, irgend eine auffallende und in ihren Folgen so bedenkliche Neuerung, ohne vorläufiger Übereinkunft mit dem k. k. Hofe, einzuführen, welcher nach dem 23. Artikel des aus allen Zeitungen bekannten Friedensschlusses von Campo Formio mit der französischen Republik übereingekommen ist, Ceremonien, Rang und Etiketten, auf die Art, wie es vor dem Kriege bestand, ferners zu beobachten? Die vormahligen französischen Botschafter waren nie geneigt, auch nur das geringste von ihren Rechten fahren zu lassen; aber sie haben nie in Wien ein Wappen aufgehängt; – eine Fahne auszustecken hätten sie sich nie erlaubt.

Drittens. That er klug an dem Hofe, an den er gesandt war, sich solche Neuerungen zu erlauben, welche bey dem Hofe und bey der ganzen Nation Widerwillen, Abneigung und Mißtrauen erregen mußten?

Viertens. Wenn ein kais. Gesandter in Paris eine k. k. Fahne aufpflanzen wollte, würde er wohl bey der französischen Regierung die nähmliche Mässigung – den nähmlichen Schutz für seine persönliche Sicherheit finden, welche der General Bernadotte bey der österreichischen Regierung gefunden hat? Würde das Pariser Volk in seinem Feuereifer nicht weiter als die Wiener gegangen seyn? Würde der k. k. Hof es nicht an seinem Minister geahndet haben, daß er sich vorsetzlich und leichtsinnig dem Spotte und der Mißhandlung preisgegeben hat?

Fünftens. Welche Absicht konnte der Bothschafter haben, indem er in Wien eine Fahne aussteckte, welche nach unseren Begriffen ein Allarmzeichen ist, da man sie bey Feuersbrünsten an Thürmen aufzupflanzen die Gewohnheit hat? Selbst nach den dermahligen Begriffen in Frankreich ist der Ausdruck arborer-faire flotter le drapeau tricolore – ein Zeichen der Eroberung – Ausbreitung seiner Herrschaft; und mit welchen Augen mußte dieses Wagestück in Wien angesehen werden?

Sechstens. Zu welchem Endzwecke hat General Bernadotte so viele Jünglinge ohne Erfahrung und Weltkenntniß mit sich geführt? wozu sollten ihm mehrere Adjutanten bey einer diplomatischen Sendung dienen, in welcher er nicht einen einzigen Soldaten zu commandiren – keine militärische Operation zu leiten hatte?

Siebentens. War es klug von dem Botschafter – war es dem natürlichen Zwecke eines Friedensbothen angemessen zu seinen Gefährten einen Haufen ungezogener Jünglinge zu wählen, welche durch Ausgelassenheit und Übermuth das ganze Publicum auf beleidigende Art zu erbittern bemüht waren?

Achtens. Welche Entwürfe mochte General Bernadotte haben, da er Anstalten zu seiner Abreise machte? da er noch am 13. April (als dem Tage, da er durch Aufsteckung der Fahne den Unwillen des Wiener Publicums reizte) sich zur Abreise fertig machte?

Neuntens. Warum hat General Bernadotte, wenn seine Absichten rein waren, das k. k. Ministerium von seinem Vorhaben nicht unterrichtet, warum hat er die Fahne heimlich verfertigen lassen, warum hat er zu ihrer Aufsteckung gerade den Zeitpunct der Dämmerung abgewartet?

Zehntens. Warum hat General Bernadotte, statt dem allgemeinen Unwillen nachzugeben, oder auf bescheidene Art die Hülfe des Gouvernement anzurufen, das Publicum mit Drohungen und Schimpfworten gegen sich zu reizen gesucht, und, statt dem Militär für Sorgfalt und geleisteten Schutz zu danken, dem Platz-Obersten und Polizey-Oberdirector mit Hindansetzung der schuldigen Achtung begegnet, – sogar durch sein Gefolge auf das Publicum Feuer zu geben die Unbesonnenheit gehabt?

Die ganze Welt mag hier den Richter machen und diese Fragen beantworten. Dem unparteyischen Augenzeugen genügt es, die Thatsachen, so wie sie sich zugetragen haben und gerichtlich sind erhoben worden, zu erzählen, und zu bedauern, daß die Gesandtschaft einer Nation, welche die Abschaffung der Wappen und aller Unterscheidungszeichen zu einem ihrer Grundgesetze gemacht hat, wegen Aussteckung einer bunten Fahne, die Hauptstadt einer Macht, der sie Freundschaft zugesichert, der Verwirrung eines Aufstandes ausgesetzt, und das Leben mehrerer Menschen auf die Spitze gestellet hat.

Zusätze des Herausgebers.

Zuerst müssen wir bemerken, daß der Verfasser vergessen hat, das Haus zu nennen, an und in welchem der außerordentliche Vorfall sich ereignet hat. Dieß Haus ist das letztlich Geymüller'sche in der Wallner- (Waller-) Straße. Der Balcon ober dem Thore wird von zwey Atlanten getragen; nichts war leichter, als an einem derselben hinauf zu klettern, sich der Fahne zu bemächtigen.

Warum der Verfasser wohl auch des Umstandes nicht gedenkt, daß Bernadotte sich rückwärts durch das Haus und durch die Naglergasse in das Nuntiatur-Gebäude geflüchtet, und sich da einige Zeit verborgen gehalten?

Der Zeit- und Ortsgenosse Geusau stimmt in seiner Geschichte Wiens (Band 5., Theil 1., Seite 194) mit der obigen Broschure überein; er fertigt aber die Sache auf einer einzigen Seite ab.

In des Freyh. v. Hormayr »Wien, seine Geschichte« &c. (Band 5, Heft 1, Seite 124) wird die Begebenheit folgender Maßen erzählt:

»Am 13. April Abends gab der französische Bürger-Botschafter ein häusliches Fest und plötzlich sah man vom Balcon seines Hauses die dreyfarbige Fahne wehen. Der höchst unerwartete Anblick zog sogleich einen Rudel Neugieriger herbey. Alles gerieth in Bestürzung, weil man ein Versammlungssignal oder eine Aufforderung zu revolutionären Bewegungen dahinter vermuthete. Bald wuchs der Haufe zu Tausenden an. Die Kunde flog in die Vorstädte und es entstand ein heftiger Tumult. Die Polizey sendete zwey angesehene Beamte hin, um den Bothschafter durch die höflichsten Vorstellungen zu bewegen, die Fahne einzuziehen, die das Volk beunruhige. Da er es rund abschlug, stieg der Zorn des Volkes. Aus Mangel an Steinen warf es die Fenster mit Kupfermünze ein, stieß das Hausthor mit Brunnröhren auf, riß die Fahne vom Balcon, die in Procession durch mehrere Gassen nach der Freyung getragen und endlich dort verbrannt wurde. Die Polizeybeamten mehrten sich, das Militär rückte an. Doch dauerte die Unruhe bis gegen Morgen. Da jedoch die Thore gesperrt und die ganze Garnison unter Waffen war, stellte sich die Ruhe bald wieder her. Sonntags am 15. April wurde der Botschafter zur Abschiedsaudienz beym Kaiser eingeführt, von seinem Haus über den Kohlmarkt und Michaelerplatz, über die Treppen der Burg, ja bis ins Audienzzimmer durch eine Spalier von Grenadieren geschützt. Auf den Plätzen waren starke Cavallerieposten. Der Volkszulauf war groß, aber tiefes Schweigen. Unmittelbar darauf fuhr der Botschafter und Bürgergeneral unter starker Cavalleriebedeckung nach Rastadt ab. – Zwey Tage darauf war das Aufgebothsfest unter ungeheurem Zulauf, wobey nicht die geringste Unziemlichkeit vorfiel, zum rühmlichen Beweise der herzlichen Ergebenheit und Ehrfurcht dieses guten Volkes gegen den Fürsten und sein Gesetz, inmitten seiner lautesten Freude und Begeisterung, aber auch seines gerechten Zornes gegen jeden Versuch einer Verhetzung oder Verführung.«

Die Allgemeine Zeitung 1844, 27. May, Beylage, sagt: »Der Auftritt, wozu er (Bernadotte) hier durch das Aushängen der drey Farben am Bothschaftshotel Anlaß gab, ist bekannt genug. Weniger bekannt ist, daß er dabey nur den vom Directorium erhaltenen Befehlen Folge geleistet.«

Herr Matth. Koch in seinem »Wien und die Wiener« (Carlsr. 1844) bringt einige interessante Details, nämlich: »Bernadotte feyerte an jenem Abende die Hochzeit eines seiner Secretäre . . . Gegenüber vom französischen Gesandten wohnte der englische. Im Hause des Letztern war man eben mit einer neuen Brunnenanlage beschäftigt, und hatte Erde und Schutt sammt der ausgehobenen alten Brunnenröhre auf die Straße geworfen. Von dieser Masse versah sich das Volk mit Steinen und warf nach den Fenstern des französischen Botschafters . . . Mit der Fahne setzte sich die ganze Masse in Bewegung und zog auf den Hof. Einem an ihr eben vorüberrollenden Herrschaftswagen liefen ein paar Lakayen mit Windlichtern voran. An diesen zündeten die Volksführer die Fahne an und verbrannten sie . . .

Als (des andern Tags) gegen Mittag ein in Uniform gekleidetes Mitglied der französischen Ambassade aus dem Thore trat, ein Schreiben in der einen Hand haltend, mit der andern aber den Degengriff erfassend, und festen Schrittes durch die Reihen der Soldaten schreitend, rathschlagten Einige aus dem Volke, ob man den Franzosen packen solle oder nicht? Von den Besonnenern abgemahnt, ging dieser geradeswegs und unangefochten in die Hofburg, wo ihn die Wache in die Mitte nahm und in die Gemächer des Kaisers geleitete.«


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