Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

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In Solothurn war von je der südliche Sinn, welcher große Kirchlichkeit nicht bloß, sondern auch große zeitweise Zerknirschung mit heiterem Weltsinn und fleischlichen Genüssen auf wunderbare Weise zu vereinigen weiß. Diese wunderbare Mischung fand schon damals in Klöstern und namentlich in weiblichen statt. Der Kampf des Fleisches mit dem Geiste wird bestehen, solange die Erde in ihren Angeln geht, und ebensolange wird die Vermittelung zwischen beiden gesucht, nach welcher ein inniges Sehnen ist. Die wahre Vermittelung geschieht durch Christus im Inwendigen, daß der neue Mensch aufersteht, die Zügel führt, dem alten Menschen seine angebornen Rechte läßt, aber keine mehr. Die falsche Vermittelung hat der Teufel in die Welt gesetzt, um abzulenken von der wahren; es ist eine äußere durch Zeremonien, äußern Dienst, zeitweise Züchtigung des Fleisches. Je größer diese Buße wird oder scheint, desto mehr wird dem Fleische zeitweise gestattet, desto kräftiger macht es seine Rechte geltend, weil es der Bezahlung sich gewiß glaubt. Diese Vermittelung hatte sich auch in manchem Kloster festgesetzt und thronte dort sichtbarlich und fiel, als in einem Orte auf viele zusammengedrängt, weithin in die Augen. Wahre Christen nahmen von je an dieser Vermittelung und solchen Klöstern, welche dieser Vermittelung sichtbare Repräsentanten waren, welche taten, als entsagten sie der Welt, jedoch nur, um sie desto besser und sicherer zu genießen, ihr Ärgernis.

Einem großen Teile der Welt waren damals solche Klöster willkommen; man fand dort die Vermittelung, welche der weltliche Sinn liebt und ein unerleuchtet Gewissen befriedigt. Wenn der Mensch zum Selbstgötzen wird, dann scheint ihm jede Vermittelung unnötig, ja ein Majestätsverbrechen gegen seine Selbstherrlichkeit, dann haßt er alle Klöster, in welchen irgendeine Vermittelung, sei es die wahre, sei es die falsche, sichtbarlich oder gleichsam personifiziert in die Welt hineintritt, ja Steine hebt man auf gegen den hohen Vermittler selbst und will ihn steinigen mitten in dem, was seines Vaters ist. Seltsam war zur selben Zeit die Welt voll Furcht und Lust, voll Andacht und Wildheit, daher hochbeliebt die äußere Vermittelung. Wir wollen nun nicht sagen, die Berner seien der echten Vermittelung mehr zugetan gewesen als die Solothurner, und die Welt sei weniger mächtig über sie gewesen, sondern bloß das wollen wir sagen, daß die Berner für Wünsche der Klosterfrauen weniger Sinn gehabt; der Ehrgeiz war mächtig in ihnen, und in dessen Dienste ging ihnen Anstrengung über Genuß, sie entschuldigten sich daher gar zu oft bei anderweitigen Ansprüchen mit Mangel an Zeit und wichtigen Geschäften; freilich war es selbst dazumal bloßer Vorwand, indem sie an einem bequemen Behagen viel wohler lebten als an einem Genusse, der etwelche Bewegung erforderte. Der Berner, welcher nach dem fünfzigsten Jahre noch den Narren mit Tanzen macht, ist ein rarer Vogel und muß stark blonde Haare haben.

Wenn an andern Orten im Lande der Nebel einem Erbsmus gleicht, so ist er in Solothurn akkurat wie eine Schokoladecreme, Geruch und Geschmack ausgenommen. Ein solcher Nebel ist keiner Reise förderlich, sondern macht schwerfällig, legt sich wie Blei über jede Bewegung, lähmte sogar die Köchinnen, welche die Vorräte bereiteten, welche die edlen Herren mitzunehmen gedachten. Es war nämlich nicht ein Ritt hungriger Ritter, welche wie Heuschrecken über ein Kloster herfallen wollten und, einmal eingebrochen, nicht abzogen, bis der letzte Bissen gegessen, der letzte Tropfen aus dem Keller getrunken war. Es waren geistliche Väter und leibliche Verwandte, welche den jungen Schwestern Geschenke aus der Welt bringen und ihnen nicht lästig fallen wollten, denn wie gesagt, das Kloster war jung, hatte zu leben, war aber nicht reich, wurde es erst später. Als man in den dichten Nebel vor die Türe kam und abreiten wollte, trat noch mancher ältliche Herr zurück, versah sich mit währschafteren Tüchern, doppelten Pelzen und versäumte darob sich länger, als er dachte. Ohnehin gehts, wenn viele zusammen reisen und alle dem letzten warten wollen, oft eine Ewigkeit, bis endlich dieser letzte da ist und vom Lande gestoßen werden kann.

Endlich waren die dicken Herren alle auf ihre Pferde gekugelt; die mageren saßen längst oben und taten ungeduldig, mochten nicht warten, bis sie als Nebelspalter voraufreiten konnten. Einige Mütter und einige Brüder, welche Schwestern im Kloster hatten, schlossen sich an, und hintendrein kamen einige Saumrosse und zuletzt einige Knechte, bewaffnet wie bräuchlich. An Gefahr dachte man übrigens, wie gesagt, durchaus nicht, wenn auch alle, die geistlichen Herren nicht ausgenommen, bewaffnet waren. Wer nichts hatte, sich zu wehren, mußte darhalten vor allen andern, so war es schon damals; freilich sagte man damals ebenfalls auch schon: »Wehr dich nicht, es schickt sich nicht!« So war es finster geworden in Solothurn, ehe man abritt. Gasbeleuchtung hatte man damals noch nicht in Solothurn, indessen war die Straßenbeleuchtung gut wie jetzt, wenn der Mond schien, und noch besser, wenn die Sonne schien, aber wenn der Nebel ist wie ein Wollhut und Nacht dazu, was helfen da Laternen, und wären es Pariser? Mit Not fand man die Brücke über die Aar, die Aar selbst sah man nicht, hörte sie bloß rauschen.

Da hielt man jenseits, die Knechte mußten die Fackeln anbrennen, die Herren stärkten sich durch einen tüchtigen Schluck bei der Herberge innerhalb dem Tore; die Damen nahmen zwei Schlücke, freilich etwas kleinere, sie vertrugen die Schlücke schon damals recht gut, begreiflich: es ist kein Boden, welcher soviel Nasses schluckt und so leicht verbrennt, wenn das Nasse fehlt, als der Kalkboden, aus welchem bekanntlich die Solothurner gewachsen sind. Es war eine merkwürdige (romantische, würde man heutzutage sagen) Fahrt: ungefähr drei Dutzend Reiter von allen Arten, mehr als ein halbes Dutzend Fackeln, rabenschwarz die Nacht, soweit die Fackeln den Nebel nicht blutrot färbten, voll weißen Reifes die sonst schwarzen Tannen, hie und da rosenrot angehaucht von blutrot gefärbtem Nebel, dazu viel Lachens und Schwatzens, hie und da ein lauter Aufschrei, wenn ein Pferd einen Satz tat, ohne daß ein Mensch wußte, warum, und dann allen einfiel, wie die Pferde gewahrten, was den Menschen verborgen bleibe. So zogen sie durch den langen, wüsten Wald Hügel ab Hügel auf, waren in Lohn, ehe sie daran dachten, und ließen sich von dem gastfreien Pfarrherrn, der sie erwartete und über dem Warten fast erfroren war, trefflich erquicken. Dann gings unter manchem Stolpern den jähen Berg ab durchs sumpfige Tal hinauf in den schauerlichen Altisberg, in dem verirrte Römer schlummern sollen den Tag über und nachts den Weg suchen nach dem schönen Lande Italien hin, ohne ihn finden zu können. Suchen und immer suchen zu müssen, ohne je finden zu können, ist schauerlich. Allen ward es unheimlich, und dichtgedrängt ritten sie; die Römer ließen sie in Ruhe, sie kamen glücklich aus dem Walde, glücklich über die Brücke des trügerischen Moosbachs, Limpach genannt, wahrscheinlich Lehmbach ursprünglich, da hier Lehm und Lehmart überall die Hauptrolle spielt in den Äckern und in den Herzen.

Im freien Lande schwand das Bangen, und rascher ging es dem sich nahenden Ziele zu; seltsam glühte der Nebel, es war, als wenn der Straße entlang derselbe zu Gestalten sich geballt, welche lautlos hielten und gleichsam Spalier bildeten wie Soldaten an der Straße, durch welche der König zur Messe schreitet. Plötzlich fährt ein gellender Pfiff durch den Nebel, fährt Mann und Roß durch Mark und Bein, lebendig wird der Nebel, wilde Gestalten zu Fuß und zu Roß werfen sich von allen Seiten über den Zug, werfen die Reitenden von den Rossen, ehe sie sich aus den warmen Gewändern gewickelt, die Waffen blank gemacht oder die Pferde gewendet, das Heil in der Flucht gesucht. Wenigen gelang diese, fast der ganze Zug war zusammengeworfen, ehe man ein Vaterunser hätte beten können; auf die Niedergeworfenen warfen sich die Plünderer, wälzten sich mit den Widerstand Leistenden am Boden; Geschrei und Fluchen, schlagende Pferde und blutrot glimmende Fackeln, welche besonnen die Räuber brennend erhielten, es war ein wildes, greuliches Bild. In der Mitte dieses Bildes war ein grimmiger Kampf: wild schlugen die Reiter, wild bäumten die Pferde sich, Jammergeschrei ringsum von den von wilden Hufen Getretenen, Geschlagenen. Zwei wilde, kampfgewohnte Junker hatten ihre Mütter geleitet, wollten ihre Schwestern besuchen; Gibeli hieß der eine, Gäbeli der andere. Der Anprall hatte sie nicht niedergeworfen, an Flucht dachten sie nicht, ihre Schwerter hatten sie frei bekommen, gebrauchten sie mit Macht, und mehr als eine der seltsamen Gestalten welche aus dem Boden hervorgewachsen, aus dem Nebel geballt schien, sank heulend zusammen. Kurt und der Landshuter ließen die Beute, warfen sich ihnen entgegen, während die andern die Tenne fegten und in Sicherheit brachten, was sie errafft. Der Kampf war hart, die Junker waren keine Milchbärte, schienen im Feuer gehärtet, waren gut gerüstet, machten den beiden Strauchrittern heißes Blut, heiß rauchte es aus mancher Wunde in die kalte Winternacht hinein; zweifelhaft war das Ende. Da floh windschnell der Flumenthaler, der Fliehende gegen Frauenbrunnen hin verfolgt hatte, vorüber, rief dem Landshuter was zu, führte im Vorüberjagen einen scharfen Hieb, traf Kurt statt einen Junker und verschwand im Nebel. Der Landshuter hob sich hoch in den Bügeln, schmetterte sein Schwert mit aller Kraft auf seines Gegners Haupt, daß dasselbe sich bog bis auf den Sattelknopf herab, sprengte dann dem Flumenthaler nach der Emme zu. Vom Flumenthaler getroffen, doch nicht schwer, war Kurt plötzlich zwei Gegnern gegenüber allein; da erfaßte ihn eine ungeheure Wut, was in der Hütte so rasch erloschen, loderte jetzt doppelt so wild wieder auf; er hieb sich frei, stürmte den andern nach in den Nebel hinein.

Sobald die Waffen schwiegen, hörte er von Fraubrunnen her wilden Rosseslauf einer ganzen Schar schon ganz nahe; da erst ward ihm klar des Flumenthalers Verrat, der ihn den Feinden in die Hände liefern wollte. Tief in seines Rosses Leib fuhren seine Sporen, und ehe sie an der Emme waren, hatte er die andern erreicht, hieb den Flumenthaler vom Rosse, stürzte sich auf den Landshuter, aber hinter ihnen schnaubten Rosse, die Sorge für ihre Sicherheit trieb sie auseinander und über die Emme.

Es waren nämlich in Fraubrunnen mehrere Edle aus der Umgegend eingeritten, um bei dem glänzenden Gottesdienste im Kloster die heilige Nacht zu feiern; auch von Bern waren einige gekommen ihren Verwandten zu Lieb und Ehre. Als die von Solothurn immer nicht kamen, als es längst Nacht geworden war, bangte man, es möchte ihnen etwas zugestoßen sein, und die Herren wurden tätig, ihnen entgegenzureiten. Daß die Gegend unsicher sei, war zwar bekannt, aber daß die Strauchreiter die Tollkühnheit haben sollten, über einen solchen Zug herzufallen, daran dachte man nicht.

Bei allzu langem Ausbleiben von Freunden entsteht ein allgemeines Bangen, und in hunderterlei Gestalten stellt sich das Unglück dar, welches ihnen, wie man glaubt, begegnet sein muß, bis sie wohlbehalten vor einem stehen oder von etwas betroffen, an das man eben gar nicht gedacht. In der kalten Winternacht ritten die Herren scharf, und gut wars, denn noch waren sie oberhalb Bätterkinden, als die Flüchtlinge sie ansprengten und Kunde brachten vom Überfall. Da spornten sie die Rosse zum schnellsten Lauf, verjagten die Räuber, und wer der Gegend in etwas kundig war, jagte dem Geräusche der Fliehenden nach; sie fingen jedoch niemanden, denn die Räuber kannten die Gegend doch noch besser, und bei Nacht und Nebel durch Sumpf und Busch, Fluß und Wald Fliehende verfolgen, ist ein schlimmes Unternehmen, welches man aufgibt, sobald man kann. Da die Verfolger so nahe hinter ihnen waren, ritt Kurt um der allgemeinen Sicherheit willen nicht auf die Hütte zu, sondern hielt sich rechts weiter hinauf. Die Rache kochte in seinem Herzen, blutig sollte sie sein, das nahm er sich vor, und noch in dieser Nacht wollte er sie vollziehen.

Die verfolgenden Feinde blieben zurück; Kurt ließ ab vom harten Jagen, und in dem Maße, als sein Hengst langsamer ging, kühlte sich sein Blut ab, kehrte die Besonnenheit zurück, rascher als vielleicht vor einigen Jahren noch. Aber es bringen allgemach die Jahre dem Menschen, der nicht ganz hirnlos ist, die Besonnenheit, welche die Kräfte wiegt und den Erfolg ermißt. Es war ja möglich, daß Hinterhalt gelegt, die Hütte gesucht, gefunden, umstellt wurde, und war das alles nicht, was sollte er allein unter den andern, allein, wo alles gegen ihn, niemand für ihn sein würde? Denn wenn schon das Gesindel, welches sich sicherlich auch einfand, ihm am besten wollte, weil es den größten Nutzen von ihm zog, so würde es doch in diesem Falle es mit der Mehrzahl gehalten haben, wie üblich damals und jetzt. Müde und wundenmatt, nahm er sich vor, heimzukehren und einen andern Tag zur Rache zu erwarten.


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