Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

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Der erste, welcher die Gesellschaft vermehrte, war der alte Sami. Bart und Haare starrten voll weißen Reifes, und noch weiter als sonst bog sich die Nase vor aus dem gekrümmten Gesichte. Er war dem Fischfang obgelegen, brachte einen schweren Lachs oder Salm, wie man sie in dieser Gegend nennt, heim, den er mit dem Ger geworfen, und prächtige Forellen, welche er in eigentümlichen Netzen, welche man Wartlef nennt, in der Nähe ihrer Laichgruben gefangen hatte. Obschon die Beute gut war, war doch seine Laune schlecht, denn das Fischen in dieser Jahreszeit war eine kalte Sache und Sami nicht mehr in den Jahren, in denen man sich aus der Kälte nichts macht. Überdem mochte er denken, bei der schmalen Beute und den vielen und hungrigen Gästen trügen ihm die Fische eben nicht sonderlich viel ein. Mürrisch tat er dem Flumenthaler, der ihm seinen Becher reichte, Bescheid: er wolle nehmen, während noch da sei, der Wein werde hier, wenn es nicht anders komme, bald eine rare Sache sein, setzte er hinzu.

Der Flumenthaler ließ sich durch diese Bemerkung weder in seinem Trinken noch in seinem Behagen stören, doch ward ihm nachgerade die Zeit auch lang, da keiner der Spießgesellen kommen wollte, und die Nacht in der Hütte die draußen einbrechende Abenddämmerung verkündete. Unheimlicher noch ward es drinnen, giftiger flogen die Worte hin und her. Es schien ein verlorener Tag werden zu sollen, der nichts brachte als aus den Herzen herauf auf die Zunge den allerbittersten Bodensatz. Endlich wieherte draußen ein Roß; vorsichtig öffnete der Alte. Draußen stand Kurt, weiß von Schnee, und über das Roß schien nackt und tot ein Mensch zu hängen. Da ward der Alte noch giftiger und fragte, ob sie nichts mehr zu fangen wüßten als Leichen, und ob sie fürohin mit Menschenfleisch ihren Hunger stillen müßten. Da ließ Kurt den vermeintlichen Leichnam vom Pferde rutschen, dem Alten vor die Füße purzeln, daß der, obgleich sonst nicht erschrockener Natur, weit in die Hütte zurückfuhr. Der Flumenthaler kam herbei, und da fand es sich, daß es kein Mensch, sondern ein abgestochenes, großes, zahmes Schwein war. Nun gab es Spaß, und einige Sonnenblicke fuhren über die Gesichter. Kurt erzählte, wie der Landshuter, der Inkwyler und er hungrig umhergeritten seien, ohne etwas aufzustechen. Schon seien sie tätig geworden, beim Pfaffen zu Kriegsstetten einzusprechen und ihm mit guter Manier zu Ader zu lassen. Da er zwar sehr herrschsüchtig sei und gewalttätig, jedoch seine bedenklich schwachen Seiten hätte, hätten sie gedacht, sie könnten dies probieren ohne große Gefahr. Schon hatten sie ihr Vorhaben ins Werk gesetzt, als ihnen der reiche Müller von Subigen in die Hände fuhr, er wollte mit zwei schweren Müllerschweinen und viel Mehl von allen Sorten nach Solothurn. Wohl war der Pfaff von Subigen sein ordinärer Beichtiger. Aber so ein Müller von Subigen hatte so viel Gelegenheit zu extraordinären Sünden, daß er alle Jahre um Weihnachten in die Stadt fuhr und dort bei den Kapuzinern gründlichen Ablaß suchte. Er wollte seiner Sache sicher sein und sie nicht so ungefähr haben, denn, sagte er, schlechter würde sich im Fegefeuer niemand ausnehmen als ein weißer Müller, denn bis er schwarz gebrannt wäre, wie die andern von Natur seien, müßte er Höllenqualen leiden. Dem Dinge wollte er also zuvorkommen und sorgte freigebig dafür. Sie warfen ihn also nieder, was ein schwer Stück Arbeit war, fanden bei ihm noch einen schweren Beutel, in welchem Geld war, machten sich damit fort, verscharrten im Walde, was sie nicht auf ihren Pferden fortschleppen konnten, und suchten auf verschiedenen Wegen ihre Herberge, wo also Kurt der erste war, die andern kamen jedoch bald nach. Nun, es war also der Tag nicht eitel gewesen, sondern etwas zum Teilen da, was alsbald zur Hand genommen, doch nicht ohne Zank vollbracht ward.

Manch hartes Wort mußte der Flumenthaler hören über seine Faulenzerei am warmen Feuer, schuldig, blieb er die Gegenrede nicht, sondern warf ihnen vor, daß sie die Abrede nicht gehalten, er sie an dem bestimmten Orte nicht gefunden, nicht in der Irre habe umherreisen wollen, sich zum besten halten lassen usw. In Zorn hinein redeten sie sich, im Zorn aßen sie, was unterdessen bereitet war, im Zorn traten sie an den Tisch zum Spiel. Da verging der Zorn erst nicht, sondern ward alle Augenblicke heißer, denn beim Spiele ging es wie üblich, dem Flumenthaler zugunsten fielen fort und fort die Würfel. Bald war der größte Teil der baren Beute sein, und je zorniger Kurt ward, desto höhnischer grinste der Flumenthaler ihn an; sein spitzer Bart schien boshaft geradeaus zu stehen und in zwei Hälften gesondert Rübchen zu schaben.

Da fuhr Kurt der Zorn ins Haupt wie eine Feuerflamme durch ein Strohdach, er faßte den steinernen Krug, der neben ihm stand, und warf ihn nach des Flumenthalers spöttischem Gesichte. Diesem hätte sein Lebtag kein Zahn mehr wehgetan, wenn der Krug sein Ziel erreicht, aber mit Kurt so gut bekannt als mit seinen Würfeln, war er auf seiner Hut, beugte aus und stieß mit dem Dolche nach dem auf ihn einstürzenden Kurt, aber traf ihn eben auch nicht. Ein plötzlicher Stoß von der Seite her ließ ihn taumeln weit durch die Hütte hin, daß er Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben. Die Dirne hatte das getan, sie sah den Streit voraus und rüstete sich, dafür zu sorgen, daß der Vorteil nicht auf des Flumenthalers Seite sei, wie es bei seiner Tücke und Kurts Ungestüm schon mehr als einmal der Fall gewesen war. Kurt, einmal im Zorne ein wütender Löwe, wollte ihn fassen mit seinen gewaltigen Händen, hätte ihn erwürgt damit. Da warfen sich die andern dazwischen, wollten mitteln wahrscheinlich. Aber niemand stiftet leichter Streit als halbtrunkene Vermittler. Schwerter wurden blank, Hiebe wurden gewechselt, gebrüllt ward von allen Seiten, mit einem Feuerbrand fuhr die Dirne unter die Streitenden, dem Flumenthaler nach dem Gesichte, der hielt den Dolch entgegen, Blut floß, Leben wären entflohen, denn die Vermittler waren die zornigsten Streiter geworden. Der Alte fuhr mit einem langen Ger daher, als er das Blut seiner Tochter sah.

Da krachte es über ihnen, und mitten unter sie hinein stürzte plötzlich ein dunkler Körper. Wohl, da fuhren sie auseinander, wie Funken aus glühendem Eisen fahren, von der Schmiede schwerem Hammer getroffen, oder wie schwatzende Weiber auseinanderfahren würden, wenn mitten unter sie eine Bombe fiele. Das hereingeplatzte Wesen war wie zu einem Klumpen gerollt am Boden, akkurat wie es der Teufel machen soll, wenn er wie vom Himmel herab unter die Leute fällt und sich den ausersieht, mit welchem er davonfahren will. Es war auch keiner unter ihnen, der ihn nicht für den Teufel gehalten hätte. Das Plötzliche ist es, was heraufsprengt das Eigentümliche in den Tiefen der Seelen, und dies ist bei den Ruchlosesten und scheinbar Ungläubigsten zumeist der dickste Aberglaube.

»Sami, dein Dach mußt neu machen, es hält ja keine Krähe mehr, geschweige einen Menschen!« so sprach endlich das dunkle Wesen mit kläglicher Stimme und rieb sich die Beine. Da erhob sich ein lautes Gelächter rings aus allen Ecken der Hütte, wohin die Erschrockenen sich geflüchtet, sie erkannten die Stimme des vermeintlichen Teufels, sie gehörte Xaveri, dem Erzschelm. Lachend und spottend umringten sie den gefallenen Teufel, und Lachen und Spotten wollte nicht enden, bis Xaveri endlich zornig ward und sagte: Es sei ihm leid, daß er hier lauter Narren finde, er wolle weisere Leute suchen, um ihnen die Nachricht, welche er habe, mitzuteilen. Potz Kuckuck, wie rasch verstummte das Gelächter, näher drängte sich jeder, das Wichtige zu vernehmen, und Wein und Zorn und Angst, alles war verschwunden, und nur der Raubinstinkt streckte die Fühlfäden aller fünf Sinne aus als wie die fünf Finger, um die wichtige Nachricht zu hören.

»Heute war ich in Solothurn«, sprach Xaveri, »um einigen Fräuleins, welche gerne Männer hätten, zu weissagen, ob sie welche bekämen und was für welche? Das wäre ein gut Geschäft, sie geben, was sie haben, wenn man ihnen, sagt, sie kriegten einen, haben aber leider nicht eben viel zu geben. Hatte dann bei einem Domherrn viel zu tun, er hat Hühneraugen, die Köchin Hühner, diese Hühner mußte ich das Legen lehren, welches sie bisher nicht konnten trotz Hafer und Grütze, welche an ihnen nicht gespart wurden. Die Köchin war sehr beschäftigt, ich wußte lange nicht, warum, vernahm endlich, es würde diesen Abend ein Zug von geistlichen Herren und einigen reichen Familien von Solothurn nach Frauenbrunnen aufbrechen, um dort die Weihnacht würdig zu feiern, den Dienst der Kirche zu versehen und die verwandten Schwestern, Fräuleins aus den vornehmen Geschlechtern, zu besuchen. Da wäre Beute, dachte ich, das Beste, was jeder hat, zieht er an, und mit leeren Händen geht keiner. Ich forschte nach dem Geleite und vernahm, daß es nur aus einigen Klosterknechten bestehen solle mehr zum Dienste als zum Schutze, denn an Gefahr auf dem kurzen Wege in befreundetem Lande denkt niemand. Da mache ich mich auf die Beine, renne her, es euch anzusagen zu rechter Zeit, klopfe, pfeife draußen, niemand hört mich, drinnen ist höllischer Lärm und Geschrei. Da krieche ich aufs Dach, will runtergehen und rufen, aber wie ich oben bin, bricht es ein; glücklicherweise bin ich nicht in den Kessel gefallen zum andern Fleisch; geschunden bin ich wohl, doch lieber geschunden als gesotten. Aber jetzt tut Eile not, wenn ihr was wagen wollt.«

Wie die Katze vor dem Mäuseloch hatten die Bewohner der Hütte die Ohren gespitzt bei diesem Bericht. Zorn und Rausch waren verflogen wie abgejagten Hunden die Müdigkeit, wenn eine frische Fährte ihnen unerwartet vor die Nase kommt. Verwandelt wie durch ein Zauberwort war auf einmal das Leben in der Hütte. Die Weibsbilder mußten in den sogenannten Stall, der eigentlich mehr ein Loch war als ein Stall; keinem vernünftigen Menschen wäre eingefallen, dort Pferde zu suchen, aber eben das wollte man, als man ihn einrichtete. Die Männer aber setzten sich ums Feuer, suchten neue Stärkung im Kessel und hielten Rat in aller Besonnenheit. Man sah, es war nicht die erste derartige Beratung, sie war rasch und kurz; alsbald war der Nagel auf den Kopf getroffen, zu Deputierten in erster oder zweiter Kammer oder gar zu schweizerischen Tagsatzungsgesandten hätten sie durchaus nicht getaugt. Es wäre, beiläufig gesagt, sehr wünschenswert, man würde, um den Wert einer Rede zu bestimmen, vom bisherigen Längenmaß abgehen und wieder die Schwere zum Schätzungsmittel nehmen, mit Zentnern wägen statt mit Klaftern messen.

Der fürchterliche Nebel, in welchem man am hellen Tage nicht drei Schritte vor sich sah, machte die Nacht undurchdringlich, war eine bessere Deckung als Wald oder Berg. So konnten sie zum Überfall eine freie Stelle wählen, wo sie im Fall der Not nach allen Seiten auseinanderstäuben und ihren Schlupfwinkeln zureiten konnten auf ihnen allen bekannten Wegen durch Emme, Busch und Sumpf; denn zwischen ihrer Hütte und der Straße von Solothurn nach Frauenbrunnen floß die Emme, welche in dieser Jahreszeit leicht zu durchreiten war, wenn man die Gelegenheit kannte, aber halsbrechend, besonders in Nacht und Nebel, für Unbekannte. Die passendste Stelle zum Überfall schien ihnen unterhalb Bätterkinden zu sein im ebenen Lande, auf freier Heide, wo man einen Überfall am wenigsten erwartete, der Zug dann doch am leichtesten von allen Seiten zu fassen war, und ringsum der Weg zur Flucht oder Rückzug offen.

Der beste Rat ward rasch und einstimmig angenommen. Diese Strauchritter, welche sich kurz zuvor ans Leben wollten, machten sich nicht mutwillig Opposition, nur um sich selbst geltend zu machen; was dem Zweck am besten diente, das entschied. Waren halt weder Advokaten noch sonstige Schreiber. So einstimmig waren die Pferde nicht; allen, das des Flumenthaler ausgenommen, welches geschont war und Ruhe gehabt, war der nächtliche Ritt zuwider, sie sträubten sich gegen neues Satteln und Zäumen, die Junker mußten selbst dazusehen und ihre selbsteigene Autorität gebrauchen. Dieser unterzogen sich denn auch die Tiere, wenn auch mißmutig, ließen sich aus dem Loche ziehen, wenn auch langsam, als ob sie bei jedem Beine, welches sie heben sollten, erst überdächten, ob sie eigentlich wollten, oder ob sie nicht wollten.

Solothurn, die uralte Stadt, war von je hochberühmt wegen vielen Dingen, berühmt wegen Fabrikation von Schwefelholz und Vogelkräzen, wegen Gottseligkeit und Frömmigkeit, wegen Fastenspeisen und Lustigkeit, wegen Treuherzigkeit und Behaglichkeit. Essen tat man, was man hatte, und je besser, desto lieber, trinken ebenso, und wenn man im Zweifel stand, ob man hinreichend habe für sich, begehrte man keinen fremden Gast; die Erfahrung hatte sie zu der Erkenntnis gebracht, daß bloß Selbstessen fett mache. Man fastete dort nie länger, als man mußte; hatte man selbst nichts, suchte man was anderwärts, am liebsten was Gutes; Fasttage liebte man mehr als Arbeitstage, und bei hinreichenden Schnecken zu dienlichem Sauerkraut, ellenlangen Forellen, tellergroßen Fröschen und Krebsen wie alte Katzen hätte man sich eine Verlängerung der Osterfasten gefallen lassen.

Fraubrunnen war ein junges Frauenkloster, lag in der Mitte zwischen Bern und Solothurn, drei Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stammten die meisten Nonnen. Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend, noch jetzt berühmt durch Korn und Stiere, Schnepfen und Fische, Reb- und andere Hühner. Mit beiden Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und kirchlicher, denn zu feierlichem, würdigen Gottesdienste an großen Festen, wie Weihnachten zum Beispiel, bedurfte es auswärtiger Hülfe, in sich hatte es die Mittel nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothurn hin, hatte mit dieser Stadt den stärkeren Verkehr.


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