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Wäre dieses nicht gewesen, so hätte es Kurt vielleicht doch nach und nach zu Regensperg gefallen. Das war ein prächtig Leben mit Jagen und Reiten, Essen und Trinken und Kämpfen nach Belieben; da erst lernte Kurt fest sitzen auf dem Roß und jegliche Kampfesweise mit jeglicher Waffe. Rasch ward er mit seiner großen Kraft und mitgebrachten Behendigkeit einer der Besten im Waffenspiel, aber dadurch nicht besserer Laune, und seine Verträglichkeit nahm nicht zu. Eines Tages hatte der Freiherr ihn mit noch einem ausgesandt, sich auf die Lauer zu legen und einen Zug der Züricher auszukundschaften. Hans von Melligen hieß der andere, war Kurts Nebenbuhler in allem bis ans Verhältnis zu den andern. Hans war beliebt, hatte Einfluß, von ihm aus gingen die meisten Neckereien, welche Kurt erdulden mußte. Kurt haßte ihn daher bitterlich, konnte ihm aber wenig anhaben, da Hans neben der eigenen Waffenfertigkeit noch im Schutze der andern stand.
Keiner von beiden kam nach Regensperg zurück; man glaubte sie aufgefangen von den Zürichern, später fand man Hans erschlagen, Kurt blieb verschwunden, was aus ihm geworden, vernahm man in Regensperg nimmer. Hans hatte Kurt geneckt mit spöttischen Worten; Kurt, im Wortgefecht unbehülflich, hatte mit dem Schwerte geantwortet und Hans erschlagen. Begreiflich konnte Kurt nicht nach Regensperg zurück, sondern ritt wild und zornig ins Weite, traf auf einen Reiter, warf diesen ohne Komplimente über den Haufen. Dieser, welchem Ähnliches schon öfter begegnet sein und der in der Welt so viel erfahren haben mochte, daß er blutigen Streit lieber vermied als suchte, versuchte keinen Widerstand, gab auch nicht zornige Worte, sondern setzte sich an des Weges Rand, lud Kurt ein, sich neben ihn ins Gras zu setzen und Bescheid zu tun aus einer großen Flasche, welche er am Sattel hängen hatte. Der Reiter, welcher seinen Fall so kaltblütig nahm, hatte ein altes, verwittertes Gesicht, in welchem trotz seiner Wildheit ein Zug von Gutmütigkeit nicht zu verkennen war. Er gehörte zu den Gesellen, welche ihr Leben lang einem guten Schicke nachziehen und ihn nie machen, weil sie jedem Genusse sich hingeben, sie sind Knechte des Augenblicks, werden daher nie Herren ihres Lebens, erreichen nie das vorgesetzte Ziel. Er hatte in der halben Welt herumgefochten, aber nichts davongebracht als Wunden und manchmal eine volle Flasche, aus welcher er soeben Kurt zutrank. Kurt hatte anfangs gute Lust, ihm diese Gastlichkeit mit einem guten Lanzenstoß zu vergelten, weil er in seinem mißtrauischen Wesen diesen heitern Gleichmut für Spott hielt, tat aber endlich doch Bescheid, setzte sich neben den Alten, aber mit lockerm Dolche, er hoffte Rat zu finden, den er eben nicht hatte.
Die Flasche war noch nicht zu Ende, als Kurt bereits Vertrauen gefaßt, dem Alten erzählt hatte, wo er gewesen, was er getan, und wie er jetzt nicht wisse, wo aus. Der Alte war auf den Herrendienst, wo man sein Blut vergieße, während die Herren die Beute machen, nicht gut zu sprechen; er suchte begreiflich die Ursache seiner Lage und seiner Unzufriedenheit, wie andere Gelehrte auch, nicht bei sich, sondern anderswo und bei andern. Er hatte den Glauben gefaßt, selbständig komme er am weitesten, aber ein tüchtiger Gehülfe hätte ihm gefehlt; das Glück hatte ihm einen zugeführt. Als er Kurt vorschlug, selbst die Herren zu spielen und Krieg zu führen auf eigene Faust, fand er bei demselben Anklang und Beifall. Kurt war das Beugen unter einen Herrn, die Fessel eines fremden Willens äußerst peinlich gewesen; seine alte Freiheit kam ihm vor, wie Adam und Eva das Paradies vorgekommen sein mag, wenn sie auf dem verfluchten Acker schwitzten. Er erzählte seinem Gefährten Uli von Gütsch, was er früher getrieben, wie er gewandt sei im Handwerk und viel erbeutet, obgleich er es nur ganz gemein und zu Fuße getrieben; jetzt, wie sie es treiben wollten auf ritterliche Art so gleichsam, werde die Beute noch viel reicher sein, meinte Kurt. Uli von Gütsch schüttelte der, Kopf und war nicht so hoffnungsvoll. Allweg sei es das Beste, was sie vornehmen könnten, aber ganz richtig sei das Ding nicht und viel gefährlicher als ganz gemeine Räuberei, meinte er. Die adeligen Herren, sagte er, hätten es mit dem Wegelagern wie mit der Jagd: beide seien erlaubt, aber in ihrem Revier ihnen allein und niemanden andern, und wen sie in ihrem Revier über Jagd oder Raub ergriffen, den hingen sie an den ersten Baum oder schmiedeten ihn fest auf einen Hirsch. Man müsse klug und vorsichtig sein, sagte er, und nie verzweifeln, auch wenn man die Schlinge schon am Halse habe, er rede aus Erfahrung; gehe aber endlich einmal die Schlinge zu im Ernste, so geschehe, was doch einmal geschehen müsse, ob endlich einen Tag früher oder einen Tag später.
Man sieht, Uli von Gütsch hatte viel Gesinnung und nicht bloß viel, sondern auch die wahre für dieses Handwerk. Uli von Gütsch hatte aber nicht bloß viel Gesinnung, sondern auch viele Kenntnisse, die sind allezeit was wert, wenn man sie recht zu gebrauchen weiß. Uli von Gütsch kannte nämlich Stege und Wege weitum in der Runde, kannte Schluchten und Höhlen, kannte die Zeichen der meisten Herren, hatte nicht unbedeutende Bekanntschaften unter dem niedrigsten Volke.
Im Gebiete der Reuß, von Luzern weg bis sie in die Aare läuft, oder weiter hinauf der Wigger zu trieben sie ihr Handwerk, doch immer so, daß sie es an Fremden ausübten oder, wenn an Einheimischen, doch an Herrschaften, denen sie sich überlegen glaubten; des niedern Volkes schonten sie sorgfältig, ja sie brachten manch Stück Geld in arme Hütten, teilten mit Hungrigen gute Bissen, daher wandte sich ihnen die Teilnahme zu und die Lust, welche immer im Niedrigen entsteht, wenn der Höhere gefährdet wird. Dagegen suchten sie verdächtig zu machen die Herren und trieben ihre Streiche bald in des einen, bald in des andern Namen. Nun ist wohl nichts unangenehmer, als wenn man von solchen Stücklein nichts haben soll als den bösen Namen; wer nicht muß, läßt solches sich nicht in Frieden gefallen. Anfänglich jedoch griff jeder der Herren nach dem Unrechten, den Herren wurden die Haare zusammengeknüpft; diese wußten, wieviel jedem zu trauen war, darum nahm einer den andern in Verdacht, lauerte ihm auf und trieb es ihm ein. Indessen verständigten sie sich schneller, als es Kurt und Uli lieb war.
Der letztere meinte, erfahren in der Welt, sie sollten sich einen Patron auf der Welt gewinnen, wie Fromme nach einem solchen in dem Himmel trachteten. Das sei eine leichte Sache, meinte er, er wüßte keinen, der gegen einen Teil der Beute sie in seinem Gebiete nicht sicher ließe, wenn sie ihn Namen und Gebiet ruhig ließen. Aber Kurt wollte das nicht, er wollte frei sein und tun, was ihm beliebte; selb war von je ein gefährlich Handwerk, länger als üblich konnten sie es treiben, weil sie in den Hütten natürliche Verbündete hatten. Das machte sie sicher, sie verließen den Schauplatz ihrer Taten nicht, wie Klugheit sonst geraten hätte. In dieser Gegend hatte der Freiherr von Eschenbach große Güter, war ein großer Herr und selten daheim, wie heutzutage auch die kleinen Herren zu tun pflegen; er lebte hier und dort bei großen Herren, deren Freund und Rat er war. Der weilte unerwartet einige Zeit im Aargau, vernahm, was auch unter seinem Wappen getrieben worden, und bot nun große Jagd, wie man hie und da auf Wölfe und Wildschweine anstellt, auf in aller Stille, um die fremden Schnapphähne zu fangen.
Kurt und Uli hatten eben im Gebiete des Eschenbach einen Züricher Metzger überritten, waren mit seinem Gelde talaufwärts geritten und saßen in armseliger Hütte eines Freundes, harrten des Essens und zählten die Beute, als ein junges Mägdlein geschlichen kam und sagte, der Eschenbach biete seine Leute auf, sende Boten aus an seine Freunde, jagen wollte er auf die unbekannten Räuber bis er sie hätte, wissen wolle er, wer sie seien. Sie hielten Kriegsrat, glaubten die Gegend um das Städtchen Zofingen am sichersten, indem man dort am wenigsten sie suche. Sie hatten dort sich nicht versündigt, die Bürger waren handliche Leute, selbst die Bürgerinnen sehr kriegerisch, liebten beiderseits Speise und Trank, und wer ihnen irgendwie in der Sonne stand, lief Gefahr, um seinen Schatten zu kommen. Alsbald machten sie sich auf, zogen fürbaß und hofften, namentlich in den Klüften, Sümpfen, Wäldern, welche zwischen Zofingen und St. Urban lagen, sichere Ruhe zu finden. Zu Fuße gehend, die Pferde, um sie auf den schlechten Pfaden zu schonen, hinter sich, waren sie ihrem Ziele nahe gekommen, bogen bei Tagesanbruch um eine Waldecke, als plötzlich ihre Pferde hellauf wieherten, und es lebendig ward im Gebüsche.
Es waren die Zofinger, welche von der Jagd gehört und gerne wissen wollten, wie sie gemeint sei, was dabei herauskomme, dabei Spektakel liebten und ihren Weibern gerne was Neues erzählten. Was Neues, das wußten die Zofinger damals schon, ist bei Weibern, was ein Blitzableiter bei Gewittern. Sie hatten ein Zunftessen gehabt, waren beieinander gewesen, daher ihr Aufbruch so rasch, daß sie auf dem Anstand lagen, fast ehe die Jagd begonnen. Flinke Gesellen hatten den alten Uli von Gütsch niedergeworfen, ehe er aufs Pferd kam; er ward gebunden und im Triumph gegen Zofingen geschleppt als was Neues, so alt er auch war. Er aber verlor seinen heitern Mut nicht, er hatte Gesinnung; wie er redete, so war es ihm auch, er hielt eben dafür, daß nicht jede Schlinge zugehe, welche man bereits am Halse habe (wahrscheinlich hatte er sich lange um Luzern herum aufgehalten, wo es eben heutzutage noch so geht, mit der Schlinge das Ding so zweifelhaft ist), und gehe sie einmal zu, so werde es so haben sein müssen. Er reizte nicht, aber antwortete heiter auf die zornigen Vorwürfe, entwaffnete dadurch die Zornigen, und ehe man mit ihm in Zofingen Spektakel machte, hatten alle, wenn er ihnen auch nicht lieb geworden, Erbarmen mit ihm, und er wurde nicht gehangen, wenigstens in Zofingen nicht. Kurt, rascher und hinter Uli, der den Wegweiser machte, war im Sattel, ehe Zofingerhände, welche nicht mehr gerne lassen, was sie einmal in den Fingern haben, ihn faßten, und stob instinktmäßig, ohne an Uli von Gütsch zu denken, von dannen. Es kam ihm wohl, daß er nicht auf einem alten Klosterhengst saß und reiten konnte; sein freiherrlicher Gaul ließ die bürgerlichen Verfolger bald hinter sich, war über Hergiswyl hinaus im Umsehen. Da konnte Kurt, da kein Hufschlag mehr hinter ihm hörbar war, das Tier wieder zu Atem kommen lassen, während er selbst seine Gedanken sammelte. Uli von Gütsch hatte ihm oft erzählt von seinem besten Freunde, der ein Mordkerl gewesen und jetzt Einsiedler oder Waldbruder sei. Lahm gehauen, habe er den blöden Leib mit einer frommen Kutte bedeckt, lebe jetzt von seiner Schlauheit und der Menschen Dummheit, wie früher von seiner Kraft und anderer Schwäche. Er hatte ihm oft erzählt, welche lustige Tage er bei dem Waldbruder verlebt habe in dessen düsterer Hütte, welche in der Nähe von Willisau lag; wie derselbe Schabernack getrieben mit den Menschen, ihren Aberglauben ausgebeutet und gerade bei denen am meisten, welche keinen zu haben glaubten und sich für weise hielten. Diesen Waldbruder aufzusuchen, beschloß Kurt, bei ihm konnte er entweder sich bergen oder guten Rat finden, wo Schutz und Schirm für ihn sei.
Wer aufgewachsen ist in Feld und Wald, findet sich ungefragt und ungeführt leichter zurecht als ein schönes, zartes Stadtkind mit einem Plane in der Hand und hundert Anweisungen in der Tasche. Kurt ritt durch Schluchten und Täler, fand sich immer besser zurecht, sah endlich vor sich des Waldbruders Klause oder Höhle, sie war, wie die meisten, beides.
Vor derselben saß der Einsiedler, neben ihm eine Frau; sie legte ihm von einem mächtigen Schinken vor, er aber trank ihr zu aus einem ansehnlichen Kruge, in welchem schwerlich Wasser war. Vertieft in ihre Arbeit, hörten sie Kurts Nahen nicht, bis Fliehen oder Verbergen unmöglich war. Die Frau merkte Kurt zuerst. »Jesus Maria!« schrie sie, sprang auf und ward kreideweiß. Der Waldbruder war nicht so erschrockener Natur, Geistesgegenwart besaß er selbst für Leute seines Schlages in beträchtlichem Maße; gelassen sah er über seinen Krug weg, und sein geübtes Auge erkannte alsbald des Fremdlings Natur. »Frau Gertrude« sagte er, »seid nur ruhig und sitzet wieder ab, Euer Herr, der Pfarrer von Zell, hat Euch nicht zu einem Sündenwerk ausgesandt, darob Ihr Furcht haben müsset, sondern einen Kranken und durch langes Fasten Matten zu stärken. Esset und trinket nur ruhig, auf frommen Wegen seid Ihr müde geworden, Stärkung bedürft auch Ihr zum Heimgange. – Du aber, Junge«, wandte er sich nun zu Kurt, »gib Bericht, was du willst, und wer dich gesandt! Für wessen Seele soll ich beten, wen gesund machen, ein krankes Kalb oder einen lahmen Hund?« »Uli von Gütsch läßt Euch grüßen, er ists, der mich hergewiesen hat«, antwortete Kurt.
Diese Antwort gab des Waldbruders Kaltblütigkeit einen Stoß, denn diese Art von Bekanntschaften brachte er doch nicht gerne zur Kenntnis von des Pfarrers Köchin; er stellte daher das Fragen ein, hieß Kurt sein Roß abzäumen, sich hersetzen und teilnehmen an ihren Stärkungen. Wahrscheinlich rechnete der Waldbruder darauf, die Köchin werde alsbald vor dem Burschen mit dem verwilderten Angesichte die Flucht nehmen, allein er verrechnete sich, er kannte die Schnapphähne besser als die Köchinnen; es schien ordentlich, als werde die Köchin breiter auf ihrem Sitze, als lasse sie sich recht wohlig auseinander, spitzte erst das vierzigjährige Mäulchen, tat zimpferlich, machte dann Witze, neigte sich zur Traulichkeit, kurz, tat akkurat wie eine heutige Köchin, welche im entschiedenen Fortschritt begriffen ist. Der Waldbruder brauchte alle seine Kunst, die beiden auseinanderzuhalten, und da sie immer größeres Gefallen aneinander zu finden schienen, suchte er die Köchin zum Aufbruch zu stimmen. Es lasse sich zu einem Wetter an, sagte er, wer heute noch weiterwolle, dem wäre Eile zu raten. Wenn er nach Zell wolle, sagte die Köchin zu Kurt, so wolle sie ihm den Weg zeigen. Es kam ihr wahrscheinlich sehr angenehm vor, mit Kurt spazieren zu gehen. Kurt hätte wider das Spazierengehen und die Köchin soweit nichts gehabt, aber den Weg nach Zell begehrte er einstweilen nicht kennenzulernen; derselbe führte durch das offene Land, und von dort konnte man schnurstracks auch nach Zofingen. Er nahm daher das Anerbieten der Köchin kühl auf, sagte kurz (denn wenn er auch eingehauen war, so war er doch nicht gehobelt), nach Zell begehre er nicht, das Wetter fürchte er nicht, einstweilen sei ihm wohl da. Die Antwort machte die Köchin ebenfalls kühl. »Nichts für ungut für das Anerbieten, jeder machts, wie ihm beliebt«, sagte sie, grüßte kalt den Waldbruder, akkurat wie eine beleidigte Schönheit es tut, welche sich hintangesetzt glaubt und es einzutreiben gedenkt, und ging ab.