Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

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Nach sicheren Nachrichten sollen schon damals Fräuleins zuweilen der Langeweile unterworfen gewesen sein; sie verstanden freilich damals das Spinnen und Weben, vielleicht sogar das Nähen, sahen zu Milch und Eiern, zu Küche und Keller, was heutzutage nicht mehr Mode ist, zerlegten die Leute, welche ihnen vor die Augen kamen, welches dagegen in der Mode geblieben (es würde ein sehr kurios Werk geben, wenn jemand zusammenstellen wollte, was aus der Mode gekommen, was Mode geblieben, und was neue Mode scheint, aber eigentlich eine uralte ist, nur mit einem neuen Mäntelchen); trotzdem hatten schon damals Fräuleins Langeweile und sahen nach etwas Neuem aus, besonders wenn der Vater nicht zu Hause war. Freilich, das muß man sagen, sie hatten damals den Eugen Sue nicht, die Sand nicht, den Storch nicht, und wenn sie dieselben schon gehabt, hätte es mancher wenig geholfen, weil sie im Lesen keine Hexe war. Indessen Mädchen sind eben wunderlich, sie tun, als fehle ihnen etwas, und fragt man sie darnach, so wollen oder können sie es einem nicht sagen. Die Fräulein von Önz machten von der Regel keine Ausnahme, es waren gute Kinder mit schönen Wangen und weiten Herzen, in welchen viel leerer Platz war, daher wahrscheinlich es ihnen so oft öde war ums Herz. So saßen sie auf ihrem Söller, sahen nach etwas Neuem aus, als die zwei Knechte mit Kurt langsam ihrem Schlößlein zuritten; sie schrien laut auf im Wahne, die Knechte brächten den Vater, liefen ihm entgegen, voran Agnes, die Jüngste, ein Mädchen wie Milch und Blut, aber scheu wie ein Reh; sie stürzte auf den vermeintlichen Vater zu, umschlang ihn, wollte drücken ihr Haupt auf sein Haupt, aber ach, oh, da war das Haupt nicht ein altes, graues, sondern ein ganz junges; daß Agnes einen Gix ausließ, wird man begreiflich finden, daß Knechte und Schwestern lachten, ebenfalls. Nun hatte glücklicherweise das junge Haupt die Augen zu, wußte nicht, was mit ihm geschah, vor ihm brauchte sich also Agnes nicht zu schämen, vor den andern fürchtete sie sich nicht, sie war wohl scheu wie ein Reh, konnte aber auch trotzig sein einer jungen Katze gleich; sie floh daher nicht, sondern als der erste Schreck vorüber war, nahm sie sich Kurts mit besonderer Sorgfalt an.

Für drei Mädchen, welche das ganze Jahr kaum jemand anders sahen als ihren alten Vater, einige säbelbeinige Knechte, dicke Mönche von Herzogenbuchsee, den Junker von Seeberg und seine rauhen Töchter, tote Hirsche und Wildschweine, war das Bringen eines ohnmächtigen Junkers ein Ereignis. Geschniegelt und geschleckt war Kurt nicht, aber die Mädchen wußten auch nicht, was das war. Kurt war zum mächtigen Burschen herangereift, den man fast für einen Mann nehmen konnte; er hatte im Gesicht das Wilde und Trotzige, welches Jünglingen wohl ansteht, und welches Mädchen mehr anzieht als der Magnet das Eisen, welches sie dagegen am Manne so schlecht leiden mögen, und welches sich bei demselben allerdings verlieren und in ruhiges Selbstbewußtsein übergehen muß, wenn es dem Manne fürder wohlstehen soll. Das Wilde und Trotzige steht nämlich dem gereiften Manne grundschlecht, weil es von einer Gemütsbeschaffenheit zeugt, welche schlechte Früchte tragen, irgendwie ausarten wird.

Wenn drei schöne, rasche Mädchen einen Jüngling pflegen, so muß es schlecht mit ihm stehen, wenn er sich nicht erholt und gesünder wird, als er je war, wenn nämlich nicht eine andere Krankheit über ihn kommt. Im ersten Augenblick, als er die Augen aufschlug, da entfuhr allen dreien ein halber Gix, und fast wären sie davongeflohen wie Rehe, wenn ein Jäger das Feld betritt, auf welchem sie weiden. Indessen Rehe und Hasen machen wohl eine rasche Wendung, aber ehe sie wirklich davonlaufen, tun sie noch einen Blick rückwärts, fassen die Gefahr ins Auge, ob es eigentlich eine sei oder keine. Gar oft nun drehen sie sich wieder um und bleiben, weil sie merken, daß das Ding nicht halb so gefährlich sei. Ungefähr so machten es auch die Fräulein von Önz; aber Kurt hatte so gar nichts Gefährliches, lag so matt und hülfsbedürftig da, daß sie sich nicht bloß umwandten, sondern leise näher traten und am Ende ganz zahm wurden, besonders die beiden älteren. Kurt war ein Jäger so rechter Art, der um der Jagd und nicht bloß eines Bratens oder einer Haut willen jagt. So ein rechter Jäger stellt lieber mit Lebensgefahr über Zinken und Zacken einer flüchtigen Gemse nach, als daß er eine fette Sau bequem im Lager abfängt. Nun, mit dem wirklichen Jagen auf den Beinen hatte es einstweilen noch gute Weile, denn der klösterliche Schlag war so gepfeffert und gesalzen gewesen, daß Kurt das Laufen einstweilen bleiben ließ, bloß seine Augen konnte er nachsenden, wem er wollte.

Der alte Herr war nach dem Kloster zurückgeritten, tat wegen Kurt seiner Andacht begreiflich keinen Abbruch; lebte er, so wußte er ihn daheim wohlversogt, lebte er nicht mehr, so wäre es ja dumm gewesen, seinetwegen religiöse Pflichten zu beschränken. Als endlich allem ein Genüge getan war, dem Leib und der Seele, ritt der Junker von Önz mit den andern nach Hause; der letzte, der aus dem Tore ritt, war er nicht, aber fast gar. Man muß sich jedoch nicht täuschen und glauben, wie Ungeweihte es oft tun, als ob solche Zusammenkünfte bloß stattfänden, um zu schlemmen und zu prassen unter religiösem Scheine; zumeist geht dabei noch etwas anderes vor, einem Zwecke wird nachgestrebt, freilich oft so, daß die Mehrzahl weder Zweck noch Streben merkt, aber willfährig die Hand bietet, den Zweck zu erreichen.

Den Herrn von Önz freute es wirklich, als er Kurt lebendig antraf und nicht tot, und zwar mit raschen Beinen auf dem Wege der Besserung; nun hatte er jemand, zu dem er sich setzen, dem er erzählen konnte nach Herzenslust, und der mit ihm trank, solange er wollte. Daß Kurt ihn selten hörte, daß seine Augen immer spazieren gingen und der ganze Kurt mit ihnen, und wohin sie gingen, das merkte der alte Herr nicht, er gehörte zu den schlechten Schulmeistern, welche wohlleben am Reden und sich nicht darum kümmern, höre jemand oder niemand ordentlich zu. Desto besser bemerkten die Sachlage die älteren Schwestern; sie hätten ihn alle gerne gehabt, wie es oft geht, wenn die Gelegenheiten rar sind, und der Wille gut wäre. Kunigunde, die mittlere, war ein gutes Fräulein, sie hätte zwei Männer genommen, wenn es hätte sein müssen; wenn sie aber keinen bekam, hintersinnete sie sich deswegen doch nicht, sie dachte, alles erzwingen könne man nicht, und fütterte die Hunde desto besser. Anders war es mit Brigitte, der ältesten. Dem Porträt, welches Moses von Labans Tochter, der Lea, gemacht, glich sie nicht ganz, war ein handfest Mädchen, noch nicht im Schwabenalter, doch über zwanzig hinaus, verstand das Regieren wohl, nach ihrer Pfeife mußte alles tanzen, so daß sie glauben mußte, es müsse einem Manne wohlgehen und derselbe glücklich werden sonder Maß, wenn er unter ihre Zucht und Regiment käme. Daneben hatte sie aristokratische Grundsätze und meinte wie Laban, daß der erste Mann der Ältesten gebühre von Rechts wegen, so gut als dem ältesten Sohne des Königs der Thron des Königs. Brigitte glaubte sich also zur sicheren Hoffnung berechtigt und sah mit allerhöchstem Zorne, wie Kurts Augen an der Agnes hängenblieben wie Fliegen im Honig, und wie die scheue Agnes das wohl merkte, nach und nach zahmer wurde, wenn sie in Kurts Nähe saß, fast nicht wegzubringen war, und hatte starken Verdacht, daß, wenn Brigitte und Kunigunde nicht zugegen waren, sie noch näher rückte, weit näher, als nötig war; das empörte sie, sie fand Kurts Betragen schändlich, die Familienehre in Gefahr, ihren Ruf auf dem Spiele; zu dulden war das nimmermehr.

Es ist sehr kurios, wie verschieden man eine Sache ansehen kann, je nachdem sie uns oder jemand anders angeht; hätte Kurt seine Augen an ihr hängenlassen und gerne gehabt, wenn sie neben ihm saß, je näher, desto lieber, Brigitte hätte dieses nicht bloß prächtig, sondern sogar edel gefunden, denn war Kurt nicht eigentlich von Gott und Rechts wegen schuldig, die zu lieben, welche ihn geheilt, den Kopf ihm wieder zurechtgesetzt? Jetzt, da es Agnes anging, fand sie gerade das Gegenteil, Kurts Betragen schlecht und schändlich. Sie trat zum Vater, als er einmal allein beim Becher saß, machte ein Gesicht wie ein Hofmarschall, der seinem König eine Verschwörung gegen dessen Leben eröffnen will, tat den Mund auf, sagte dem Vater, Kurt stelle Agnes nach, und Agnes laufe nicht davon, und erwartete nun, der Alte werde auffahren wie ein Pulverturm, in den der Blitz geschlagen, aber sie täuschte sich, der Alte blieb sitzen, schmunzelte, trank mit großem Behagen Schluck um Schluck. Brigitte, im Wahn, der Vater habe sie nicht recht verstanden, malte ihm noch einmal die Greueltat vor mit gerungenen Händen und zehnmal ärger als vorher, und der Alte trank Schluck um Schluck den zweiten Becher leer und zehnmal behaglicher als den ersten. Der alte Herr besaß eine gutmütige Natur, solche sind schwer zu hetzen, sie haben für das meiste nicht bloß einen, sondern zwei Entschuldigungsgründe. Sein Lebtag hatte er nie gemeint, daß man jungen Leuten das Lieben verbieten oder, wenn es einmal angegangen, es ausblasen könne wie eine Lampe, jetzt im Alter war er nicht dümmer geworden; aber er fühlte sein Alter, kannte seine wilde Zeit, wußte, wie notwendig tüchtige Männer seinen Mädchen seien, wenn sie bei ihrer Sache bleiben sollten. Kurt war ihm gar nicht der Unrechte, sein Geschlecht war gut, sein Arm stark, und wenn er auch arm war, so hatte dies nicht viel zu bedeuten, da er stark und tapfer war, schwach und feig war damals, was jetzt Armsein bedeutet. Es freute also den alten Herrn, daß Hoffnung sich zeigte zur Erfüllung seines Wunsches. Er dachte, wenn einmal eine seiner Töchter an Mann gebracht sei, werde es den andern auch nicht fehlen. Schwestern bilden eine Art von Zauberring, das Brechen des Ringes ist das schwerste, ist einmal das erste Stück heraus, bricht sich der Rest leicht in gesonderte Stücke; das überschlug der Junker von Önz behaglich in seinem Gemüte, und wie man frisch gepflanzte Pflanzen begießt und einschlemmt, damit sie gehörig wurzeln und anwachsen, so goß auch er über die neuen, jungen Gedanken Becher um Becher.

Brigitte redete sich heiser, brannte wie ein Schmelzofen und schloß endlich statt des Amens: »Und jetzt, Vater, willst du ihn in den Turm werfen oder aus dem Tore jagen wie einen räudigen Hund?« »Einstweilen keins von beiden«, sagte der alte Herr kaltblütig, »oder hättest du ihn etwa gerne selbst?« setzte er mit väterlicher Schalkhaftigkeit hinzu. Aber potz Blitz, das wäre dem alten Herrn fast übel bekommen, Brigitte fuhr zweg wie eine angezündete Rakete, fuhr in die Kreuz und die Quere, und wenig fehlte, sie wäre dem alten Papa ins Gesicht gefahren; himmelschreiend jammerte sie: »Wenn die Mutter im Grabe wüßte, wie er gegen seine Kinder wäre, sie kehrte sich nicht bloß um im Grabe, sondern sie käme aus dem Grabe und drehte ihm den Hals um!« »Brigge«, sagte der Alte, »tue nicht so! Daß Kurt dich nicht mag, bin ich nicht schuld. Weißt du einen andern, der dich mag, so bring mir ihn, ihr sollt meinen Segen haben, lieber heute schon als morgen.«

Aber jetzt wars, als ob die Brigitte selbst ein Pulverturm sei, in welchen der Blitz geschlagen, sie fuhr auf, zur Tür hinaus, schrie und drohte, sie wolle auch zur Welt hinaus, wolle nicht mehr in einer Welt sein, wo solche Väter lebten, wie sie einen hätte. Indessen, ob das Wasser zu naß war, die Bäume zu hoch, der Turm zu schwindlicht, oder ihre Füße ihr den Dienst versagten, ist unbekannt geblieben, aber kurz, Brigitte lief nicht zur Welt hinaus, lief bloß dem Kurt nach, wollte sehen, wie weit oder nahe Agnes bei ihm saß. Der alte Herr lief ihr nicht nach, blieb gemütlich sitzen und dachte über das Ding des weiteren. Es schien überhaupt eine Zeit gewesen zu sein, welche dem Denken günstig war, so wie es wiederum Zeiten gibt, wo niemand, selbst die nicht, welche sich am weisesten dünken, zu denken scheinen der Nase lang.

Selbst Kurt dachte damals. Da war er nun wieder nach mehr als zweijährigem Herumtreiben, nicht ganz zwei Stunden weit von seinem verfallenen Neste und ohne Ruhm und ohne Beute. Der alte Hengst war in St. Urban, den jungen hatte der Kuckuck zu Langenthal geholt; der Helm war zerschlagen, der Kopf beinahe mit; sollte er barhaupt und zu Fuß, einem Mönche gleich, heimkehren, sollte er sehen, wie Jürg verächtlich die Achseln zucke, den Kopf schüttele und aushalten der Mutter Hohn und Schelten? Oder sollte er dem alten Hengste nach, Mönch werden zu St. Urban? Gelehrt brauchte er nicht zu sein, eines guten Lebens war er sicher, brauchte fürder weder dem Glücke nachzujagen oder gar ihm nachzudenken. Beides war ihm sehr zuwider, er mochte denken, wie er wollte, so mochte er beides nicht. Ein drittes fiel ihm nicht ein, das Heiraten vollends nicht. Der alte Herr merkte, daß Kurt in großer Verlegenheit war und guten Rat nicht fand; er hatte Kurt gesagt, er sei kein Gefangener, hatte ihn gefragt, ob es ihn nicht wundernähme, was die Mutter mache. Kurt hatte etwas gemunkelt, er wußte kaum, was, und mit der Agnes munkelte er auch nur so, machte gar nicht ab Brett, den Handel nicht richtig.


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