Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

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Frühmorgens ward aufgebrochen, und nachdem man vier Stunden lang mit Wald und Sumpf gerungen, kam man endlich auf einen Hügel und hatte Koppigen vor Augen. Das Schlößchen, obgleich von der Sonne beschienen, sah doch so grau, altersschwach und zusammengeschrumpft aus, daß Kurt, dem ein anderer Maßstab in die Seele gewachsen war, nicht bloß andern, sondern sich selbst gerne eingeredet hätte, das sei das alte Koppigen nicht, welches er verlassen; wenn sie sich nicht verirrt, so hätten böse Geister das frühere weggenommen und dieses verwitterte Krähennest an dessen Stelle gesetzt. Der Herr von Önz dagegen war wie mit Quecksilber ausgestopft; wer was blasen konnte, mußte blasen aus Leibeskräften, er hetzte und schlug die Hunde, daß sie heulten, als käme die wilde Jagd gestoben; es war ein Höllenlärm, wie Frau Grimhilde noch keinen gehört hatte. Der wildeste Zorn fuhr ihr in den magern Leib über diese wilde, vermessene Jagd auf ihrem Gebiete. Ihre ganze Leibwache rief sie zusammen: den grimmigen Jürg, der sich gebärdete, als versuche er, seinen Kopf in den rechten Schwung zu bringen, um ihn als Bombe in den Feind zu schleudern, ihre ganze Meute, bestehend aus zwei Hunden, von denen der eine blind war, der andere zahnlos; ein Junge, den sie ins Schlößchen genommen, Jürg zum Beistand, fehlte, wahrscheinlich war er um was Eßbares aus, woran man eben im Schlößchen bitterlich Mangel litt. Obgleich die tapferste Mannschaft fehlte, die anwesende ziemlich an Gebrechlichkeit litt, beschloß Grimhilde doch in gräflichem Zorne, diesmal Ernst zu zeigen, wenn man sich näher wagen sollte. Kühn stellte sie die gesammelte Macht unter das offene Tor, und als mit Holla! Hussa! und wildem Rüdengeheul der Zug näher kam, griff der grimmige Jürg nach einer Armbrust zum eisernen Gruße, aber leider konnten seine Hände sie nicht mehr spannen, und in Hast fand er den Haken nicht. Da brannte Frau Grimhilde ihre Kartätschen los, ganze Ladungen Schimpfwörter, doch umsonst. Unaufhaltsam, in immer lustigerem Geschmetter und Geheule, zog der Zug heran, bis endlich Grimhilde inneward, das sei keine Jagd, sondern was anderes, aber was, das begriff sie natürlich nicht, dachte aber daran, wie Frauen wie Grimhilde gerne was Arges denken, man wolle sie höhnen und spottweise zum Imbiß bei ihr einreiten, um sich an ihrer Armut und Verlegenheit zu ergötzen. Sie blieb im Tore stehen, während sie Jürg befahl, die Torflügel loszumachen und zum Schließen bereit; aber sie hatte vergessen, daß der eine Flügel aus den Angeln gefallen und anderwärts verwendet worden war, der andere dagegen längst weder Schloß noch Riegel hatte. Dennoch blieb sie trotzig stehen; der alte Jürg zerrte aufs neue an der Armbrust, matt bellten die Hunde.

Da ritt der alte Herr dem Zuge voraus, und als Frau Grimhilde ihn erkannte, lud sie ihre Kanonen mit doppelter Ladung und überschüttete den Junker mit Lästerungen, daß die Engel im Himmel die Ohren zuhielten, denn sie haßte den Önz wegen manchem Schabernack absonderlich. Was aber sollten hinter ihm die Saumrosse, die Karren, der Troß? Sie faßte das nicht. Der lustige alte Junker begann nun eine seltsame Anrede; die Chronik hat sie nicht aufbewahrt, wir wissen nicht, enthielt sie was von einem verlorengegangenen und wiedergefundenen Kreuzfahrer oder einem verschlagenen und heimfahrenden Mohrenritter. Je mehr der Junker redete, desto weiter deckten sich die Zähne der alten Dame ab, so wie alte Klippen ihre Zacken dem Schiffer erst dann in ihrer Gefährlichkeit sichtbar machen, wenn er sein Schifflein über sie hintreibt.

Unterdessen brauchte Jürg statt des Maules seine Augen, musterte den seltsamen Zug, stieß endlich einen Fluch aus und trabte zu dem großen Ritter, welcher hinter dem alten Herrn und neben einem schönen Frauenbild zu Pferde saß; hinter Jürg her wackelten die beiden alten Hunde, schwenkten zärtlich hin und her ihre haarlosen Schwänze. Vor dem Reiter beugte sich Jürg in altertümlichem Respekte, alle Kräfte boten die Hunde auf, am wilden Rosse emporzustehen, jedoch vergeblich.

Das sah Frau Grimhilde, erkannte Kurt, und ihrer Kanone einen Ruck gebend, fragte sie, ob er ein Narr geworden oder sonst was. Kurt sprang vom Rosse, grüßte die Mutter, wie es sich ziemte, sagte, er bringe heim seine Beute aus der Welt, seine Frau und sonst noch was. Ein neues Leben solle nun in der Burg erstehen, und wie sie sich in der Jugend gewöhnt, solle sie es im Alter haben. Wenn es nur das sei, sagte Frau Grimhilde, so hätte er besser getan, selbst voranzureiten und zu klopfen ans eigene Tor, statt erst dummen Lärm zu machen und hintendrein einen solchen Narren zu senden. Anständig sei es vom Sohne nicht, die eigene Mutter entweder erschrecken oder zum besten halten zu helfen.

Indessen trat sie doch unter dem Tore weg, ins Höfchen hinein konnte der Zug reiten. Das Höfchen war enge, faßte sie kaum, war hoch mit Gras bewachsen, denn da war nicht bloß niemand, der es ausriß, sondern leider sogar kein Geschöpf mehr, das Gras fraß, als zuweilen einer der alten Hunde, wenn es ihm gar zu wunderlich ward im Bauche. Außer Gras war nichts im Hofe, so wie sich in alten Küchenschäften, wo man nichts zum Kochen hat, auch nichts als Schimmel findet. Die Koppiger Bewohner hatten keine Ahnung, woher Kurt die schöne Frau bringe; im Eifer des Geredes hatte Kurt den Namen zu nennen vergessen, war überhaupt des Vorstellens nicht gewohnt. Jürg dachte an eine weiße Prinzessin aus dem Mohrenlande, träumte sich die Rosse begabt mit Gold und Edelsteinen und hintendrein einen Mohrenkönig, der ganze Schiffe voll derlei Zeug nachsende. Grimhilde dachte nicht ganz so weit, aber doch an was sehr Reiches und Vornehmes, nahm ihre gräfliche Haltung wieder zur Hand und führte ihre Gäste in des öden Schlößleins Halle.

Voran wie ungezogene Kinder stürzten des Herrn von Önz ungezogene Hunde, und ganz finster ward es im Gemache; es war, als ob unzählige Vögel aufgestoben wären vor der Hunde Gebell, und doch hörte man kein Flattern, und auf einmal erscholl ein schreckliches Gepolter und alsbald ein noch viel schrecklicheres Geheul, eine viel größere Dunkelheit, es schien ein verzaubertes Gemach. Es war es aber nicht, es ging alles ganz natürlich zu. Seit Kurt fort war und die Hunde alt, hatte die Jagd auf Hochwild abgenommen, mit niederm Wilde mußten sie sich befassen, mit Vögeln allzumal, welche man in Netzen und Lätschen fangen kann und ausnehmen aus den Nestern. Der Kürze halber schüttete man die Federn auf Haufen in die Halle, bis man sie anderwärts gebrauchte; diese wurden von den Hunden aufgestöbert, gejagt, der Tisch, das heißt der Torflügel, welcher im Hofe fehlte und hier auf schwachen Beinen stand, umgerannt, die Hunde erschreckt, getroffen, die Federn wilder durcheinandergewirbelt, so daß eine Weile man nicht wußte, wo man war, und was das alles zu bedeuten hatte. Verdutzt schwiegen die Hunde, allgemach setzte sich der Nebel und die Vögel auch, der seltsame Tisch ward wieder aufgerichtet, die Diener brachten die mitgebrachten eßbaren Dinge, denn dafür hatte der alte Herr, der in solchem äußerst klug und vorsichtig war, vortrefflich gesorgt, ebenso an gutem Getränke es nicht fehlen lassen.

Die alte Dame ließ die Diener mit aller Grandezza gewähren, als ob es sie nichts angehe, als ob es sich von selbst verstehe, daß von niedern Wesen für sie gesorgt würde ohne ihr Zutun. Agnes allein machte ganz kuriose Augen, so arg hatte sie sich das Nest denn doch nicht vorgestellt, so entblößt von allem kein Schlößlein, so einem Drachen ähnlich kein altes Weib. Kurt war Agnes ins Herz gewachsen, aber wenn sie Koppigen gesehen hätte, ehe Kurt ihr Mann geworden, wer weiß, wer weiß, ob sie nicht den Kurt aus dem Herzen gerissen hätte, wie man böse Zähne aus dem Munde reißt.

Endlich, als das Getümmel schwieg und Ruhe war, fragte Grimhilde ihren Sohn, woher er seine Frau bringe, und aus welchem Geschlechte sie sei. Da trat der dicke Junker vor, und sprach mit Salbung und großem Anstande: »Aus dem erlauchten Geschlechte derer von Önz ist sie und meine Tochter, von Önz kommt sie, will hier bleiben und Eure Schwiegertochter sein, Frau Grimhilde. So sind wir beide unerwartet nahe Verwandte geworden, ich hoffe, es freut Euch wie mich, und gute Freunde werden wir werden, eins dem andern aushelfen, Ihr mir mit Eurer Tapferkeit, ich Euch mit Speise und Trank, und was Ihr sonst etwa nötig haben mögt.«

Potz himmelblau, was kriegte die Alte für ein Gesicht während der Rede ihres neuen Verwandten! Sie hatte schon manch wüstes Gesicht gemacht, aber so eins doch wirklich noch nie. Die Haare ums Maul rollten sich und zischten, als wären sie dem Feuer zu nahe gekommen, die Zähne deckten sich ab, wie man eine Batterie demaskiert, und schienen sich vorzustrecken zu einem Anlaufe, die Augen spitzten sich zu, schienen Kugeln zu werden, dem Junker von Önz ins Gesicht fahren zu wollen. Das ganze Gesicht glich einer Bombe, ehe sie zerplatzt, und wie die Bombe platzt, wenn sie lange genug gezischt hat um das Zündloch herum, so platzte es endlich auch, als der Junker schwieg, aus Grimhildens Gesicht und zwar grimmiglich. Blitz, Donner, Hagel, Sturm sprühten aus dem Gesichte und zwar stromweise wie bei einem Feuerwerke und alles durcheinander, und bald fuhren die Ströme über Kurt her, der in zwei Jahren zwei Stunden weit gekommen und nichts heimgebracht als so eine und von dem da, der nur ein Edelknecht sei und daneben auch nichts wert und zu nichts tauglich, als alte Weiber zu plagen und mit Mönchen zu saufen und seinen Töchtern, welche er Mönchen nicht geben könne, gerne abkäme zu rechter Zeit, und von diesen Töchtern habe er gerade die mitgebracht, welche ihm der Alte am liebsten angehängt, weil sie zu nichts tauge, ihn am meisten plage; die könne aber auch gleich wieder marschieren, woher sie gekommen. Kurz, die Alte blitzte und donnerte, und zwar mit ganz anderen Worten noch, daß es später allen schien, das Fleisch sei verpfeffert, der Wein habe einen Schwefelgeruch, und in der Halle führen die Blitze fort und fort hin und her.

Der Herr von Önz, durstig durch den langen Ritt, an Grimhildens Feuer gewöhnt, blieb kaltblütig, komplimentierte die Dame an die zerbrechliche Tafel, legte vor und langte zu. Grimhildens Leib folgte unwillkürlich den Nötigungen des alten Herrn, während die Seele fortwährend Feuer und Flamme sprühte. Jürg ward endlich die Mittelsperson; dieser freute sich gar sehr über den jungen Herrn, dessen Äußeres seine Erwartungen übertraf, und Önz oder nicht Önz, wenn nur wieder was ins Haus kam, und ein besseres Leben anfing. Was hatte sein alter Herr von eines Grafen Tochter gehabt? Am Ende kann man weder abbeißen von einem Titel noch mit demselben die Löcher im Gewande flicken. Als dem alten Knaben nicht bloß Kuttlerugger, sondern wieder wirklicher, guter Wein durch die Glieder floß, da schien die alte Kraft wieder zu glimmen, die Beine standen fest, der Kopf ebenfalls; er fragte und ließ sich seines Herrn Schicksale erzählen und kümmerte sich um seiner ungnädigen Herrin Gepülver nicht, er war es eben auch gewohnt.

Wie am Ende jedes Feuer ausgeht, der allergrößte Munitionskasten einen Boden hat, so hat man auch noch von keinem Weibe gehört, das nicht endlich einmal absetzen mußte, wie gut es das Schimpfen und Schelten auch konnte. So ist es hier auf der Welt, im Leben; drüben in der Ewigkeit, da mag es wohl sein, daß es Weiber gibt, welche in alle Ewigkeit tschädern, schnädern, pülvern, aufbegehren, schimpfen und schelten müssen, daß ihre Zunge ganz feurig wird, aus ihrem Munde ein Rauch fährt wie aus dem Kamin eines Bäckers, wenn er seinen Backofen mit grünem Holze heizt. So ging es auch Grimhilde, die Luft zum Reden ging ihr endlich aus, zudem nahm sie es wunder, was Kurt erlebt, oder ob er wirklich nicht weiter als bis Önz gekommen, und überdies wurden durch Speise und Trank, die ihr durch den Mund in den Leib glitten, ihre Empfindungen sanfter und ihre Gefühle gemäßigter. Ist ja doch auch, freilich durchaus nicht zusammengezählt, kein Hund auf der Welt zu finden, wie bissig und hungrig er sein mag, der nach einem guten Fraße nicht ein gewisses Behagen spürt und menschenfreundlicher wird. So zog Grimhilde nach und nach die Zähne ein, und wenn sie sich schon nicht mit der Heirat des Sohnes versöhnte, so wurden ihre Ein- und Vorwürfe doch ganz sanft und milde. Heiraten hätte er nicht gebraucht, dafür hätte man ihn nicht fortgesandt, und dann nur so eine! Hätte er was gewonnen, hätte er heimkommen sollen damit, sie hätte ihm dann schon eine Frau suchen wollen, und zwar eine ganz andere. Wo man nichts zu essen, nichts, sich zu kleiden, habe und kaum trocknen Raum für eine Person, was man da mit einer Schwiegertochter anfangen solle und noch dazu mit einer nur von Önz? Sie frage. Aber dumm sei er sein Lebtag gewesen, und dumm werde er bleiben!

Lautlos war die junge Frau geblieben, aber daß in ihr viel vorging, wird man begreifen. Freilich war man damals nicht so zimpferlich wie jetzt, dachte nicht alsbald an Krämpfe, aber geschaudert hatte Agnes doch, als sie die grenzenlose Armut sah, von welcher sie sich wirklich keinen Begriff gemacht hatte; keine Hütte war ihr noch vorgekommen, in welcher man nichts, so gar nichts sah, nichts als eine Schwieger, welche des Teufels Großmutter zum Schweigen gebracht hätte. Wenn eine Schwiegertochter in ihrem neuen Wohnsitz gar nichts findet als ein solch keifend Hausstück, so muß es ihr knapp ums Herz werden, keine rosenrote Zukunft wird vor ihren Augen stehen, und hat sie Ideale gehabt, so werden dieselben nicht bloß zerrinnen, sondern zerplatzen. Ihr Vater teilte ihre Empfindungen nicht, er nahm die Alte und die Armut von der lustigen Seite, ergötzte sich ob beiden, und je greller die Armut hervortrat, desto mehr hatte auch seine Gutmütigkeit Raum, zu helfen und zu spenden. Indessen, wer weiß, wenn er hätte dableiben müssen, nicht die Aussicht gehabt hätte, abends von dannen zu reiten, ob ihm alles so lustig vorgekommen, das Lachen nicht vergangen wäre. Man lacht im Vorbeireiten über gar manches, muß man dabei bleiben, findet man, daß dasselbe keine lächerliche Nase hat, sondern eine ganz andere.


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