Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

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Sami, der Alte, der Herbergsvater, gab sich mit den auswärtigen Angelegenheiten wenig mehr ab, wegen seinem lahmen Knie machte er nicht mehr den Palmerston; er tat, als sei er der Junker untertänigster Knecht, hätschelte sie, schmeichelte ihnen, dagegen war er des Lumpengesindels Freund nach dem Sprüchwort: Gleich und gleich gesellt sich gern. Wenn aber einer der Junker ihm nichts mehr eingebracht hätte oder gar lästig gewesen, so hätte Sami ihn sich ohne Bedenken alsbald vom Halse geschafft, freilich auf seine Weise, das heißt durch andere Hände. Laut der Naturgeschichte fressen die bedeutenderen Tiere der gleichen Sorte sich sonst nicht, höchstens ein Schwein seine Ferkel und ein Kater die Kinder seiner Liebsten. Nun gehören die Menschen alle zu der gleichen Tiersorte, seien sie schwarz oder weiß, so gut als Schimmel und Rappen Pferde von der gleichen Sorte sind trotz der verschiedenen Farbe. Nun scheinen die Menschen durch die verschiedenen Stände in ebensoviel verschiedene Tiersorten sich zu gliedern, von denen die eine die andere auszubeuten oder zu verzehren sucht. So steht der Arme gegen den Reichen und umgekehrt, der Vornehme gegen den Gemeinen und umgekehrt, die Herrschenden zu den Dienenden und wiederum umgekehrt. Und wenn schon namentlich ein Niederer einem Höheren sehr nahesteht, so gleichsam an seiner Brust zu liegen scheint, so werden doch bei gegebenen Fällen unter zehn acht den Höheren verraten, ihn mit Fußtritten regulieren, an ihre Sorte sich wieder anschließen; ähnlich treibt es aber auch die höhere Sorte mit den unteren Sorten und opfert Stück um Stück derselben, besonders wenn das Standesinteresse mit ins Spiel kommt. Gelingt es auch einem aus den Unteren, an die Höheren sich anzukleben, dort festzuhalten, daß er ihresgleichen scheint und als solcher wirklich auch behandelt wird, so wird es ihm doch nie vergessen, woher er gekommen, fort und fort muß er merken, daß man es ihm nicht vergessen, und bei der ersten Gelegenheit stößt man ihn wieder hinunter.

Wird der Mensch ein Christ, so gestalten die Verhältnisse freilich sich anders, aber das Christentum war in dieser Hütte ein unbekanntes Ding. Desto mehr andere Dinge barg diese Hütte; was alles, wußten nur die beiden Alten, vieles kannten des Wirts Genossen von der niederen Sorte, das wenigste die junkerlichen Räuber. Es war eine sehr geistreiche Einrichtung; man konnte da erscheinen und verschwinden, sein und nicht sein, akkurat wie in einem Zauberschlosse. Mit näherer Beschreibung desselben wollen wir uns jedoch nicht abgeben, sondern es der Einbildungskraft der geistreichen Leser überlassen, sich dasselbe selbst auszudenken. Weit und groß war die Küche, welche zugleich das Salon- oder Gesellschaftszimmer vorstellte; in der Mitte derselben wie noch jetzt in uralten Häusern war der Herd, auf welchem das Feuer selten erlosch, und ebenso selten war es, daß über demselben an eisernem Haken nicht ein Kessel hing, in welchem in saftiger, kräftiger Brühe Fleisch weichgekocht ward. Die Brühe war um so kräftiger und saftiger, da der Kessel nie ganz geleert wurde. Drohte das Fleisch, zu weich zu werden, so zog man entweder das Holz unter dem Kessel weg und ließ bloß die Kohlen liegen, oder man drehte ihn durch eine Vorrichtung beiseite; durch diese Vorrichtung waren die Bewohner der Hütte vor der Ungeduld ihrer Gäste geschützt, die groß und grob war. Wer kam, hatte nicht auf das Essen zu warten, nahm etwas Langes und Spitziges zur Hand, gabelte damit ein währschaft Stück auf und steckte es an. Mit Geschmack und Geruch nahm man es begreiflich so genau nicht, wenn es nur gegen den Hunger gut war und das Herz vor dem Hinunterfallen schützte. Die Räuber waren eben keine Diplomaten, die nehmen es genauer, die warten gerne sieben Stunden, leiden gerne höllischen Hunger, wenn sie dann nur etwas Feines und Gutes kriegen, von wegen Diplomaten haben Geduld, haben sie aber auch nötig. Für vorrätigen Wein mußte ebenfalls gesorgt sein; diesen tranken sie gerne so gut als möglich, hatten aber auch Kehlen, daß, wenn nicht besserer zu haben war, sie solchen tranken unbeschadet, den sie nicht in die Schuhe hätten schütten dürfen, weil es alsbald Löcher gegeben hätte. Zu solcher Lauge kam es indessen selten; der Alte hatte eine Quelle, aus welcher bessere Sorten flossen. In einem besondern Verhältnis stand er mit einem Pater Kellermeister in einem Kloster zu Solothurn. In diesem Kloster aß man die allerbesten und schönsten Fische, so daß man auf einen Tauschhandel hätte schließen können. Wir glauben allerdings, es sei so was gewesen, aber nicht eigentlich zwischen Wein und Fischen, sondern Sami, der Fischer, verbarg dem Kellermeister Sünden, und der Kellermeister vergab Sami Sünden, leisteten sich gegenseitig große Dienste, waren sich treu unverbrüchlich, von wegen einer hatte den andern in der Hand. Wenn Sami auch kein Christ war, wie vorhin gesagt wurde, so hatte er doch großen Respekt vor dem Teufel, zu dem wollte er lieber nicht. Er hatte einen großen und starken Glauben, aber nicht zu Gott, sondern an Zaubertränke und Zaubersprüche, und gerade wie er an derselben Macht und Kraft glaubte, glaubte er auch an den Pater Kellermeister, daß er den Teufel so gleichsam im Gütterli habe und Macht, ihn darin zu behalten oder ihn loszulassen, und zwar auf wen er wolle, so gleichsam wie man einen Hund von dem Stricke läßt und ihn jemanden an die Beine hetzt.

Hinter dem Herde nun, gegen den Hintergrund des Raumes hin, stand ein großer Steintisch, man hätte ihn fast für einen Altar nehmen können; es war eigentlich auch einer, aber er trug die Opfer eines bösen Gottes. Hier wurden die Würfel geschüttelt und geworfen; was man gewonnen mit dem Einsatze seines Lebens, das ward hier auf die Würfel gesetzt, ward verloren, gewonnen, dann an Dirnen – welche sich immer einfanden nach einem Raube, so wie Bienen welche sicherlich am Morgen dahin fliegen, wo Honigtau gefallen ist während der Nacht – verschleudert oder verschachert um nichts an das Gesindel, welches ihnen immer nachzog wie der Schweif dem Kometen. Schließlich erhob sich nicht selten ein wilder Streit, es setzte Wunden, und feucht von Blut ward die Küche. Die wildesten der Leidenschaften brausten hier, ungehemmt durch Sitte und Scham, wild durcheinander. Leidenschaften kennen weder Vater noch Mutter, machen keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, sie kennen den eigenen Herrn nicht, drehen gerade ihm am liebsten den Hals um. Leidenschaften sind eben Geister des Abgrundes; heraufbeschworen aus dem Abgrunde, gelöst aus ihren Banden, treiben sie Zerstörung rund um sich, zerstören das Haus, in welchem sie wohnen, den Körper, welcher sie beherberget, richten den eigenen Herrn zugrunde, die Seele, welche sie heraufbeschworen aus den Tiefen, kehren erst wieder zurück in den Abgrund, wenn ihr Werk vollbracht ist, zerstören die Stätte, wo sie weilten, zerstören Leib und Seele dem, der sie herbergete.

In diesem wilden, wüsten, höllischen Treiben war Kurt der Beste, ward aber immer zum besten gehalten, er war der, welcher das meiste tat, das wenigste davonbrachte, der Riese, den die Zwerge narrten. War Kurt der Sturmbock gewesen beim Raube, hatte er die Püffe, welche allen galten, allein aufgefangen, so übervorteilten ihn seine Freunde auch bei der Teilung. War das vollbracht, so trat man zum steinernen Altare, trieb das trügerische Würfelspiel, schwemmte es tapfer ein aus mächtigen Bechern. Der Junker von Flumenthal handhabte die Würfel künstlerisch, so daß sie ihm zu Diensten stehen mußten, sie mochten wollen oder nicht. Der saubere Schwager von Inkwyl stand mit ihm im Bunde, half die Federn teilen, welche den andern ausgerupft wurden. Blieb Kurt zuletzt noch etwas übrig außer dem Rausche, den er sich angetrunken, so borgte es ihm der Landshuter ab. Der war der Lüderlichste unter allen, wenn Grade unter ihnen stattfanden, hatte Weib und einen Haufen Kinder daheim und in jedem Walde eine andere Dirne. Bei ihm zu Landshut war die Armut noch viel größer als bei Kurt und oft der Hunger im Hause; Wald und Wasser waren nicht so reich als in Koppigen, und des Landshuter Frau war keine Agnes, fand den Rat nicht in sich, und wenn jemand ihr einen gab, so wußte sie nicht, was damit machen, das ist fatal. Am meisten betrog Kurt der alte Sami und dessen Weib; sie kauften ihm die Beute ab, nicht um das halbe Geld, versteht sich, und immer wohlfeiler als allen andern. Dafür aber waren sie auch gegen ihn ganz besonders untertänig, krochen um ihn herum wie Hunde um ihres Herrn Füße; daraus schloß Kurt, wie noch viele andere Junker bis auf den heutigen Tag, auf ihre Gutmeinenheit und Ergebenheit, traute ihnen unbedingt. Wenn Kurt einmal hätte hören können, was hinter seinem Rücken über ihn gesprochen wurde, er wäre vielleicht andern Sinnes geworden, vielleicht auch nicht, denn Vorurteile, die einmal fest gefaßt sind, sind zäher Natur, weichen sehr oft den unmittelbaren Eindrücken auf alle fünf Sinne nicht; aber Kurt hatte einen viel zu schweren Tritt, um je unbemerkt in die Nähe und hinter ein solches Gespräch zu kommen. So war Kurt ringsum verraten und gerade von denen, welche er für seine Freunde hielt, und die, welche es im Grunde ihres Herzens allein gut mit ihm meinte, die floh er fast wie die Pest, sah sie oft mehrere Wochen lang nicht; so geht es ebenfalls noch oft in der Welt.

Frau Agnes hatte es um nichts besser, doch war sie eben nicht eine von denen, welche dem Unglück sich feig ergeben und bei der ersten Not die Waffen strecken, sondern sie zog Hosen an und kämpfte im eigentlichen Sinne ritterlich. Ihren wenigen Leuten, welche sie besaß, war sie lieb; sie half, wo sie konnte, und wenn jemand krank war, schmeckten ihm die Tränke viel besser als die der alten Grimhilde; sie hatte auch gute Worte im Vorrat, welche um so besser wirkten, je ungewohnter sie waren, denn Frau Grimhilde hatte deren nie besessen. Daher stand man ihr auch bei nach Vermögen, so daß ihre Küche nie leer war, die Hände nie fehlten, wenn sie etwas brauchte, welches in ihrer Leute Bereich war. Es ging also noch bei ihr ohne eigentliches Hungerleiden, in manchem Burgstall oder Schlößchen ging es zur selben Zeit viel elender zu; es war eben keine Zucht im Lande, dieweil kein rechter Kaiser war, und jeder tat, was ihm wohlgefiel. Solche Zuchtlosigkeit führt gar manchen Mann ins Unglück und bringt Not und Elend in die Häuser, über die Familien, und bis hinein ins dritte und vierte Geschlecht reichen die Strafen, welche auf solche Unzucht folgen. Vor allem drückte Agnes eins: sie konnte niemanden alles klagen, was sie drückte. Mit ihren Schwestern war sie verfeindet, mit Ebenbürtigen stand sie nicht in Verbindung, und bei Untergebenen mochte sie mit Herzensergießungen sich nicht abgeben. Sie vermißte endlich recht sehr ihre Schwiegermutter, dieselbe hatte mit ihrem Keifen den Dienst geleistet, welchen der Wind den großen Wassern leistet, da er sie lebendig erhält durch die Bewegung, in welche er sie bringt, und ließ sie mal mit Keifen nach, so konnte sie mit ihr reden, konnte ihr klagen, konnte sie fragen; sie stellte doch noch jemanden vor, der Anteil an ihr nahm, und mit dem sie von des Hauses Nutzen und Schaden reden konnte. Wenn Weiber über etwas reden können, ists immer ein großer Trost für sie, es wird ihnen um das Herz, als sei die Sache schon halb gemacht.

Der Winter war wieder gekommen über das Land, herb und streng. Der Winter war für Frau Agnes keine schlimme Zeit. Das Holz brauchte sie nicht zu kaufen für achtzehn Taler das Klafter, und in solchen Wintern war um Koppigen herum bei den warmen Quellen, welche nie einfroren, Wild genug, und zwar Hornvieh und Federvieh, über deren größere Nützlichkeit jüngst im Kanton Bern sich ein sehr spitziger Krieg erhoben hat. Für damalige adelige Strauchreiter war es eine schlimme Zeit, eine Art von Fastenzeit. Im Winter und bei den damaligen heillosen Verbindungsmitteln stockte der Verkehr. Fuhren waren nicht auf den Straßen, Wanderer selten und noch seltener solche, bei denen etwas zu erjagen war. Im Winter zudem sind Fährten sicherer zu verfolgen, wenn jemand Lust zur Jagd hat, Wildschweinen und räuberischen Junkern ists möglich, aufs Fell zu kommen. Die Herren lebten also sehr knapp, und mißmutige Gesichter machten sie in ihrem Räuberschloß. Im Kessel war zwar immer Fleisch und eine dicke Brühe darum, der Wein war auch noch nicht ausgegangen, aber zu verdienen war nichts, es waren eben schlechte Zeiten, wie man zu sagen pflegt. Märkte gab es nicht, sie mußten sich an Meierhöfe machen oder Klosterhäuser, aber dabei setzten sie sich der größten Gefahr aus, denn wenn das Volk gegen sie in Harnisch kam, so waren sie alsbald verraten und ausgekundschaftet.

So kam Weihnachten heran, aber in dichten Nebel gehüllt, wie sie üblich sind in wasserreichen Gegenden. Die Sonne scheint erloschen, nur noch ein Funke derselben scheint zu kleben am Ende des Dochts. Was man Tag nennt, ist Dämmerung, der Nebel ist so dicht, daß man glaubt, ihn nicht bloß mit Löffeln schöpfen, sondern mit Messern schneiden zu können.

In der Hütte sah es aus wie üblich. Das Feuer brannte, auf demselben saß der Kessel, neben demselben die Alte und machte ein böses Gesicht. Die Herren waren gegenwärtig nicht einträgliche Gäste, forderten viel und brachten wenig. Sie hatte, wie gesagt, von Natur eins, welches bereits böse genug gewesen wäre, sie machte es aber jetzt mit Absicht viel böser noch und ließ es so recht leuchten im Scheine des Feuers einer ihr gegenübersitzenden Figur. Diese schien lang zu sein, streckte magere Beine aus, hatte ein schmal Gesicht, einen spitzen Bart, eine hohe Stirne, weil sie bis in die Mitte des Kopfes, wo keine Haare mehr waren, zu gehen schien; das ganze Gesicht hatte etwas Spitzbübisches, doch sah man an der Kleidung und den Sporen an seinen Füßen, daß er nicht zum ganz gemeinen Lumpengesindel gehöre, sondern zum herrschaftlichen. Es war der Flumenthaler Junker, der schäbigste von allen, der seine Beute zu machen wußte und zu Neste trug. Er plünderte die andern, ließ sich aber durch Sami und seine Gesellen nicht plündern. Er war der Dirne erster Liebhaber gewesen, hatte sie aber nie durch Geschenke verderbt, darum war ihre erste Liebe nicht bloß erkaltet, sondern in Haß übergegangen. Überdies saß er am meisten in der Hütte, aß das Beste aus dem Kessel, trank Wein für drei, ließ es sich behagen am warmen Feuer, während die andern nach einem Stück Wild trachteten oder nach einer Beute schnappten draußen in hartem Frost und unter Preisgabe ihres Leibes. Ihren Haß zeigte ihm die Dirne auch unverhohlen, höhnte bitter sein Nichtstun, sein Zehren von anderer Beute, sprach offen von seinen Betrügereien und übrigen Schlechtigkeiten, aber das kümmerte ihn nichts, er behandelte die Dirne, wie man einen Hund behandelt, welchem die Zähne ausgebrochen sind. Heiter war also die Gesellschaft in der Hütte eben nicht, und langsam schien die Zeit zu schleichen, und immer öfter sah die Dirne nach, ob niemand kommen wolle.


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