Jeremias Gotthelf
Kurt von Koppigen
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als er bald darauf das Schlößlein des Edelknechts von Önz sah, dachte er an Jürgens väterlichen Rat, nicht blöde zu sein, sondern kühn zu klopfen ans erste beste Tor, ehe der Hunger ihm über den Kopf wachse. Dessen hatte es zwar noch keine Gefahr, so weit von heim war er nicht, aber wußte er, was zwischen hier und dem nächsten Tore ihm begegnen konnte, und wann er wieder zum Essen kam? Der Hengst mußte ähnliche Gedanken wie sein Reiter haben, er hob höher seine alten Beine, stieß ein fröhliches Gewieher aus, was dem Junker das Hornen vor verschlossenem Tore ersparte; denn als er zu selbigem kam, war es offen, im Hofe der Burgherr bereit zu freundlichem Empfang. Der Edelknecht von Önz gehörte freilich zum niedrigsten Adel, aber er hatte etwas, welches schon damals nicht unangenehm war, er hatte bedeutende Güter und drei schöne Töchter. Er war ein munterer, lustiger Mann, früher ein wackerer Haudegen, jetzt ein tapferer Trinker. Er brauchte die Sorgen sich nicht über das Haupt wachsen zu lassen, hatte Freude, wenn jemand kam und mit ihm trank; kam niemand, so trank er alleine oder suchte wackere Zecher auf, gleichviel, fand er sie in Burgen oder Klöstern.

Von Kurt hatte er allerlei munkeln gehört, denn wenn schon nicht alles an die Sonne kommt, so geschieht doch wenig unter der Sonne, von dem man nicht Wind hat. Als er nun auch Kurts Schild, das Koppiger Zeichen erkannte, wußte er, wen er vor sich hatte, und als er ihn so seltsam ausstaffiert auf seinem steifen Hengste sah und in Verlegenheit, wie und auf welcher Seite er heruntersollte, da lachte er gar herzlich. Kurt wußte nicht, wie er es nehmen solle, und ob etwa der Fall eingetreten sei, nach dem Spieß zu greifen und mit dem Spießen den Anfang zu machen. Kurt war ein gewaltiger Bengel und hübscher als häßlich, wenn er gesäubert gewesen und angezogen wie bräuchlich. Aber struppicht sah er aus dem alten Zeug heraus, wußte nicht, was mit seinen Gliedern machen, er glich eher einem jungen Waldtier als einem ehrbaren Menschen. Der alte Herr ließ Kurt nicht zur Lanze kommen, sondern ihm vom Pferde helfen und führte ihn freundlich zur Halle. Eine Halle von damals war bekanntlich kein Salon von heute, indessen sah die von Önz doch anders aus als die von Koppigen. Alles, was Kurt darin sah, kam ihm überschwenglich üppig und reich vor. Wein wie hier hatte er noch keinen getrunken, von wegen der Herr von Önz pflanzte ihn nicht selbst an der ersten besten Halde, sondern ließ ihn sich kommen vom Rheine her, vom Leman her, kurz allenthalben her, wo er was Gutes wußte, und die Wege fahrbar waren. In den Speisen war mehr Gewürz, als Frau Grimhilde in einem Jahr verbrauchte; die drei Töchter dagegen waren Mädchen, akkurat wie man sie noch frisch im Gebirge und im Lande findet, dieweil wohl alle Moden wechseln, Mieder bald kurz,. bald lang, die größten Narrheiten bald hinten, bald vorn gesehen werden, die menschliche Natur dagegen die gleiche bleibt trotz allen Konstitutionen und Schulmeistern. Kurt gefiel ihnen, und doch saß ihnen der Spott in allen Zügen, sie schossen sich Blicke, sie kicherten, sie lachten ihn aus fast offenbar, kurz, sie trieben es, wie noch heutzutage junge Mädchen es treiben, welche durch keine ernste Zucht in Schranken gehalten werden. Zu einer solchen nun war er gute Herr nicht geschickt, die Mutter ihnen frühe gestorben, sie hatte mit ihrem Mann treuherzig gezecht, bis sie die Zeche mit dem Leben bezahlen mußte.

Kurt mußte Bericht geben, so gut er konnte, denn das Kichern von Mädchen ist einem jungen Redner nicht förderlich, von der Ursache seiner Erscheinung und seinem Vorhaben. Der alte Herr schüttelte bei seiner besseren Erfahrung den Kopf und sagte: »Du guter Junge meinst, das Glück sei gleich einer Wildsau, du brauchest nichts als mit dem Speer zu werfen, so stecke es daran.« Er bot ihm an, einige Zeit bei ihm zu bleiben, unterdessen wolle er ihm einen tüchtigen Waffenmeister suchen, der ihn zurüste zu einem tüchtigen Kämpfer.

Der junge Herr nahm begreiflich solche Reden schief, das Kichern der Mädchen noch schiefer; der schöne Wein, den er trank, als wäre er Schattenseite an der Glarner Seite gewachsen, da, wo Schiefern und Schabzieger geboren werden, machte ihn am allerschiefsten, denn er machte eine Postur wie ein Schiff, welches nur auf eine Seite geladen hat, und dazu brauste ihm ein Mut durch die Adern, daß er mit seiner Lanze auf den Riesen Goliath losgefahren wäre. Er war also nicht zu halten, sondern pressierte fort und dachte bei sich, wenn er mal zurückkehre als vornehmer Ritter, so wolle er es den Mädchen eintreiben, daß sie seiner gedenken :sollten. Er hatte also bereits zwei Mädchenrudel auf dem Kerbholz zur einstigen Abrechnung. So ging es sicher schon manchem jungen, ungeleckten Junker, und sicher mancher kriegte mehr als ein Dutzend auf das Kerbholz, ehe er standesgemäß geleckt war. Der Junker von Önz hintersinnete sich deswegen nicht, er war nicht von denen einer, welche meinen, sie müßten alles erzwingen, sondern von denen einer, welche sich gleichmütig drein schicken, wenn andere was erzwingen. Er dachte bloß, er hätte Ursache, Gott zu danken, daß er nicht des Junkers Nase sei, die werde was zu leiden haben in der Welt draußen, und wenn er sie mal halb heimbringe, so habe er von großem Glück zu sagen.

Das setzte aber noch was ab, ehe Kurt der Schiefe auf seinem Hengste saß und denselben zum Tore hinaushatte. Dem Hengst hatte es hier gefallen; wahrscheinlich meinte er, für seine alten Beine sei die Tagereise hinlänglich groß gewesen, er drehte sich immer wieder dem Stalle zu statt dem Tore, und lautes Lachen vom Turme her begleitete jedesmal des Hengstes sinniges Streben. Kurt ward immer zorniger, der Hengst immer eigensinniger; der Ausgang des Kampfes wäre bei Kurts Ungeübtheit nicht zweifelhaft gewesen, aber der alte Herr fühlte Erbarmen, Knechte bugsierten Roß und Reiter zum Tore hinaus und machten es zu. Da begriff endlich der Hengst, woran er war, und zottelte mißmutig weiter, St. Urban zu, welches der Herr von Önz ihm zur Nachtherberge angeraten hatte. St. Urban war ein junges Kloster, aber bereits ein reiches; reich war es begabt worden, lag in der korn-, wild- und fischreichsten Gegend der Schweiz, noch jetzt wachsen um dasselbe herum die schönsten Edelkrebse von der Welt.

Das Kloster war zwei gute Stunden von Önz, der Weg führte durch Wald und Sumpf, hie und da glitzerte ein kleiner See durch das junge Laub. Der Herr von Önz war der Mönche guter Freund, jagte und tafelte oft mit ihnen und nicht zu ihrem Schaden, er hatte eine offene Hand, war kein Schmarotzer und gehörte nicht zu den Strauchdieben, welche das Brandschatzen von Witwen, Waisen, Klöstern für eine Ehre halten und davon leben. Fast hätte Kurt diesen Nachmittag ein Abenteuer erlebt. Eine wilde Jagd stob an ihm vorüber mit Holla und Hussassa; wahrscheinlich war es der Herr von Aarwangen mit seinen Gesellen. Die letzten im Zuge, Stallbuben vermutlich, spotteten im Vorbeifliegen des unbehülflichen, schwerfälligen Reiters, waren aber längst entschwunden, als Kurt die Lanze eingelegt, den Hengst in mühseligen Trab gesetzt hatte; überflüssige Bewegung schien derselbe nicht zu lieben, um so mehr wunderte sich Kurt, als er bald darauf den Kopf aufwarf, die Nase hoch in die Lüfte hielt, in fröhliches Gewieher ausbrach und einen stattlichen Galopp anschlug. Der alte Bursche hatte das Kloster gewittert und gebärdete sich fast wie ein Hund, welcher, in ferner Haft gehalten, sich losgerissen hat und die Nähe seines Herrn wittert. Die Mönche empfingen Kurt gastlich, warteten gut ihm auf mit Speise, Trank und Rat; sie rieten ihm, gen Zürich sich zu wenden, die Stadt liege mit ihren Nachbarn in beständiger Fehde, auf beiden Seiten sei Hülfe willkommen, Sold und Beute reich. Die guten Aussichten machten Kurt früh munter, hellgemut und wohlgenährt wollte er zu Pferde weiter. Der Hengst aber war anderer Meinung, wollte nicht vom Flecke, tat wie wütend mit Bocken, Beißen, Schlagen; er zeigte viel Gesinnung, weder mit Liebe noch mit Gewalt brachte man ihm eine andere Meinung bei, er hatte seinen Beruf erkannt, er begriff, wo er hingehöre, da wollte er bleiben lebendig oder tot. Voll Zorn und ohne Rat stand Kurt da; die Knechte lachten, sie rieten auf den wahren Grund und hatten ihre Freude dran. Die Mönche waren gute und verständige Menschen, sie begriffen, daß Kurt nicht den gleichen Beruf zum Kloster hatte wie der Hengst, und es denn doch ein grober Zwang gewesen wäre, wenn man ihm denselben aufgedrungen hätte; sie schenkten ihm einen tüchtigen Klepper, damit er in die Welt hinaus seinem Berufe nachreiten könne. Der Klepper paßte auch besser zu Kurt als der steife Hengst; er war Stall und Kloster satt, trug rasch und gern den Junker ins Freie, und der Junker fand sich alle Tage besser im Sattel zurecht, fand aber keine Abenteuer und leer den Weg. Hie und da stießen ihm Gestalten auf, welche ihm verdächtige Blicke zuwarfen oder scheu huschten über den Weg; er begriff gleich, was sie trieben, ihn gelüstete oft, vom Klepper zu springen und mit ihnen zu laufen. Das war doch ganz ein ander Leben, im grünen Walde, auf keinen Weg beschränkt, durch kein Gesetz gebunden, ein freies Leben zu führen als so umherzutraben, hie und da vor einer Burg zu harren, lange umsonst, bis endlich ein graues Gesicht den Bescheid brachte, der Ritter sei nicht zu Hause, und in seiner Abwesenheit öffne sich die Burg nicht, so am Hungertuche nagen oder vorliebnehmen zu müssen, was Landleute aus gutem Willen gaben, ungefähr wie heutzutage die gemeinsten Bettler.

So ritt er mehrere Tage am gleichen Stück, welches man jetzt in einem Tage durchreiten kann. Damals waren noch keine obrigkeitlichen Wegknechte und keine obrigkeitlichen Ingenieure, von denen die letztern immer für neue Straßen sorgen, die erstern zuweilen für die alten; und wenn man auch politische Parteien hatte, so war es doch noch keiner in Sinn gekommen, die Vaterlandsliebe in der Straßenliebe zu verkörpern und im Glanze derselben in aller Stille sich zu mästen.

So war Kurt gezogen, bis an einem heißen Mittage er in einer Herberge hörte, selben Abend noch werde er zu Zürich am Tore sein, ohne daß er scharf zu reiten brauche. Das machte ihm denn doch bange; seit er in der Welt war, fühlte er, daß das Präsentieren eben nicht seine starke Seite sei; er sann vor der Herberge, wo er über Mittag eingeritten, ernstlich über die Rede nach, welche er zu Zürich am Tore halten wolle, denn er hatte gehört, sein Glück dort hänge hauptsächlich von seiner Rede ab. Reden sei dort die gangbarste Münze.

Ungewohnte Arbeit macht durstig; der Krug mit Züricher Rebensaft wurde Kurt mehr als einmal gefüllt, über dem letzten schlief er ein, wahrscheinlich in der Hoffnung, da er die rechte Rede nicht ersinnen konnte, eine zu träumen, eine Kunst, welche wirklich imstande wäre, manchem Rednertalent beträchtlich auf die Beine zu helfen. Er träumte wirklich, aber leider keine Rede, er hatte aber auch keine nötig; er träumte von einem großen, schwarzen Eber, er sah ihn durch die Büsche brechen, er streckte ihm den Speer entgegen, der Speer glitt ab, Kurt glitt aus, mit seinen Hauern hieb der Eber Kurt in die Seite; er fuhr auf, und vor ihm hielt auf hohem Rosse ein stolzer Ritter, der ihn mit der Lanze etwas unsanft geweckt hatte. Kurt verstand sonst nicht Spaß und hätte ein solch Wecken sich gern verbeten, aber er war zu verblüfft dazu und gab knurrigen Bescheid auf die gestellten Fragen. Als der Ritter vernommen, wer der große Bursche sei, und was er da wolle, was Kurt auch ohne Rückhalt sagte, lud der Ritter ihn ein, mit ihm zu reiten, wo er ein besseres Leben und reichere Beute fände, denn er sei der Freiherr von Regensperg. Gerade der war Zürichs mächtigster und kühnster Feind.

Solchen Reichtum und prächtigen Haushalt hatte Kurt nie gesehen, wie er ihn in Regensperg fand. Da war des Herrn von Önz Wohnsitz Bettlerwerk dagegen, ein solch bewegtes Leben hatte er sich kaum geträumt: Jagden, Fehden, Besuche wechselten jeden Tag, und wenn irgendwie eine ruhige Beschäftigung vorgenommen wurde, so war es eine in der Halle hinter dem Humpen, wobei es oft laut genug herging. So lustig und wild bewegt hier das Leben war, hatte Kurt doch ein böses Sein. Mehr in der Wildnis als unter Menschen hatte er gelebt, war wild und scheu oder mißtrauisch wie ein Gemsbock aus den Walliser Bergen. Solche Gemsböcke wissen ihre Hörner zu brauchen, wehe dem Jäger, der sie reizt, nicht tötet, ihnen nicht ausweichen kann! Der Freiherr hatte Kurts Tüchtigkeit teilweise erkannt und bald ganz erprobt; wie selten einer verband er Kraft und Schlauheit, in seinem Bereiche, nämlich: er konnte durch den Wald huschen fast wie ein Indianer, aber auch einrennen wie ein Urochse. Er brauchte ihn oft als Kundschafter, hatte ihn gerne in seinem Begleit. Das wäre schön gewesen, aber es dünkte Kurt doch, dabei komme er zu nichts oder vielleicht erst, wenn er graue Haare hätte. Die Ungeduld unserer Jungen, welche ihren Dienst gerne als Feldherren anfangen oder wenigstens als Brigadiers, war auch beim Junker von Koppigen, kam eben aus Mangel an Bildung. Daneben lebte er wie Hund und Katze mit dem jüngeren Teile der Dienerschaft des Freiherrn; um die Gunst des Herrn beneideten sie ihn, und weil er Necken nicht vertrug, neckten sie ihn beständig, wie es üblich und bräuchlich ist bis dato. Es ist, als ob die Welt den Teufel im Leibe habe, was wahrscheinlich auch sein wird: was einer nicht mag, das muß er haben, wenn einer nicht kann pfeifen hören, so wird ihm gepfiffen, und wenn einer nicht Spaß versteht, so wird ihm dessen desto mehr aufgetischt. Nun war es freilich nicht ungefährlich, mit Kurt zu sehr zu spielen; er hatte Tatzen wie ein junger Löwe und schlug alsbald drein wie ein junger Löwe. Aber bald wußte man sich zu sichern, ließ sich nicht in seine Nähe, bald hetzte man die Gefolge von Gästen an ihn, welche dann mit ihm sich lustig machten, bald schlug ihm ein Alter auf die Tatzen, wenn er die Krallen zu tief einschlagen wollte. So kam er fast immer zu kurz, wie man zu sagen pflegt, und gewann nichts als Zorn und Beulen. Bis einer sich eingefügt hat in der Welt, kostet es ihn viel, und gewinnen tut er nichts, und mancher wird sein Lebtag nie eingefügt. Lehrgeld muß bezahlt werden in der Welt, solange die Welt besteht, und wenn auch alle Zölle aufgehoben werden; Lehrgeld entweder beim Antritt der Lehrzeit oder nach Verlauf derselben, je früher man es zahlt, desto wohlfeiler kommt man weg.


 << zurück weiter >>