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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Was ein alter Pfarrer tut, und was ein Vikari meint

Der Frühling war aufgebrochen aus der Erde Schoß, der Sonne Kuß hatte ihn in seiner weißen Winterwiege getroffen und zu frischem Leben ihn entzündet. Der Hirt trieb mit neuer Sorgfalt die Herde zur Weide, mit frischer Kraft der Landmann den Pflug durch erhärtetes Land, streute neuen Samen mutig aus mit neuer Sorgfalt und in altem Vertrauen. «Weide meine Lämmer!» hatte zwischen Ostern und Pfingsten Jesus zu Petrus gesagt, ihn zum Hirten gesetzet über die zu sammelnde Herde; zu gleicher Zeit hat er seine Jünger alle ausgesandt, die Völker zu taufen, zu lehren, zu sammeln zum Himmelreich. Es ist diese Zeit der Berufung die Zeit der Prüfung des geistlichen Hirtenamtes. Es muß in dieser Zeit jedem geistlichen Hirten sein, als nehme er neu den Stab zur Hand, zu weiden die Herde des Herrn, in der Zeit der Zerstreuung, in des Sommers arbeitsvollen, weltlichen Tagen. Da ists auch billig, daß die Herde sage, ob die vergangene Hut eine getreue gewesen, durch des Hirten Schuld kein Schaf verloren gegangen, oder ob sie eine neue Weise des Weidens begehren und größere Treue.

Schon lange hatte es sich zu Gutmütigen geistig gereget, aber nicht zu des Vikars Gunsten. Ihr alter Herr war ihnen lieb und wert, seine Glaubensweise war auch die ihre, die Mehrzahl der Gemeinde hatte er getauft und unterwiesen, in alle Lebensverhältnisse einen scharfen Blick, für alle einen guten Rat, und was er schrieb, das war geschrieben. Er stund in großer Achtung rundum. Die geistige Verschiedenheit zwischen ihrem alten und jungen Herrn hatte die Gemeinde längst erkannt, und vom Jungen war sie absichtlich nicht verhehlt worden; der Vorfall bei Jowägers war bekannt und in der Gemeinde mehr beredet worden als man im Pfarrhaus ahnete.

Den meisten Menschen war das Tun des Vikari gar fürchterlich vorgekommen; so einen, der die Leute dä Weg verkehr, duldeten sie nicht, sagten sie, der müsse sie denn notti nicht dem Teufel zutreiben mit seiner Geistlichkeit. Bald vierzig Jahre sei der alte Herr da und öppe bi Mängem gsi, aber no Keine hätte er wirbelsinnig gemacht. Dem wollten sie es aber reisen, es werde dem Alte o ds Rechte sy. Sie wollten ihrem alten Vater auch einmal etwas zLieb und zEhr tun, aber etwas, das nichts kostete. Sie rateten ab, an der Visitaz den Vikar zu verklagen wegen allerlei Dingen, wie er zum Beispiel zu lange predige, zu lange unterweise und so weiter, aber dann vorzüglich gestützt auf den gedachten Fall seine Versetzung zu begehren. Sie hätten ihn afe lang genug gehabt, es nehme sie wunder, wie auch ein Anderer sei. Der Statthalter, der gewöhnliche Wortführer, sollte das styf zFade schla u de vorbringe, daß es öppe e Nase heyg, einstweilen brauche man öppe nicht viel davon zu reden.

Es war nicht lange vor der Visitaz, so kam der Statthalter zum Pfarrer, auch einer, den er unterwiesen hatte, eben kein Hexenmeister im Setzen. Schreiben könne er noch gut genug, pflegte er zu sagen, aber mit dem Dolders Setzen könne er nichts machen; der Pfarrer war meist sein Kumm-mer-zHülf, er tat es gerne und umsonst, dazu gab ein traulich Wort das andere. Und wenn Präsident und Sekretär des Sittengerichtes schon zuweilen ein traulich Wort miteinander reden, so schadet es wahrlich der Gemeinde selten viel.

«Aberbo» (apropos), sagte der Statthalter, «wüßt Drs?» «Was?» fragte der Pfarrer. «Eh, Ihr werdets wohl vrno ha, un es wird Ech recht sy?» «Ich habe nichts vernommen», sagte der Pfarrer, «und so weiß ich nicht, wie es mir ist; was ists, was gibts?» «He, daß mr dr Vikari wey vrklage a der Visitaz, u daß mr e angere wey.» «Aber um Gottes willen», fragte der Pfarrer, «was kömmt Euch an, was hat es gegeben?»

Nun erzählte der Statthalter, wie eigentlich niemere viel uf em Junge hätte, und was sie ihrem Alte zLieb und zEhr tun wollten. Der Pfarrer erschrak ordentlich, als er das hörte, und hatte seine liebe Not, dem Statthalter begreiflich zu machen, daß, wenn sie ihm etwas zLieb und zEhr tun wollten, sie den Vikar nicht verklagen dürfen. Nit, sagte er, daß er es ihm in allen Dingen recht mache und er immer sei, wie er sein sollte; aber er sei noch jung, und wenn er einmal die rechte Erfahrung hätte, so werde es sicher schon mit ihm gehen, guten Willen hätte er, und geschickt sei er auch wie nicht leicht einer. Das möge sein, sagte der Statthalter, aber ströfli dumm zytewys. Letzten Herbst sei er zSchnäflige übers Feld gegangen und hätte die Leute gefraget: «Syt er am Kornsetze?» Seither hielte man ihnen das allenthalben vor. Sobald man an einem Markt oder in einem Wirtshause vernehme, daß einer von Gutmütigen sei, so frage man ihn: «Wottsch ga Korn setzen?» Sie hätten es afe ungern und wette, daß dr Vikari mit seinem Kornsetze es weiß ke Mönsch wo wäre.

Sie sollten ihm das nicht so übel nehmen, antwortete der Pfarrer; das lehre man sie halt nicht, daß man das Korn säe, nicht setze, und daß man mit solchen Irrtümern so grob fehlen könnte, das begriffe man in der Stadt nicht, dort werde man je länger je gebildeter, aber vor lauter Bäumen sehe man den Wald nicht mehr, so wie man ja auch vor lauter Gesetzen bald kein Recht mehr finde und keinem Handel ein Ende. So junge Menschen könnten einen recht erbarmen, und man müsse Geduld mit ihnen haben, zuletzt gebe es doch noch was Rechtes aus ihnen. Wenn sie ihn verklagten, so meine er sicher, er, Pfarrer, habe sie dazu aufgestiefelt, und das wäre ihm sehr leid, und allerdings, wenn der Vikar das meinte, so hätte er das Recht, zu klagen, er, Pfarrer, sei nicht christlich gegen ihn, am allerwenigsten amtsbrüderlich. Denn wirklich sei nichts unchristlicher, als wenn Geistliche einer Gemeinde einer gegen den andern hetzen, und am allerunchristlichsten wäre es an einem Alten, der ein Vorbild der Jugend sein soll und wissen solle, was Jugend sei, denn er sei jung gewesen, der Junge aber noch nie alt, der wissen solle, wie nötig gegenseitige Geduld sei, der freudig sie üben solle, weil er wohl fühle, wie er selbst sie alle Tage nötiger hätte, der am besten wissen solle, wie Friede nähre, Unfriede zerstöre, und nicht nur eine Gemeinde, sondern auch das Reich Gottes auf Erden, es begreifen solle, wie eine Jugend nachwachsen, allmählig an des Alters Platz treten müsse, wenn das Alter nicht trostlos sein solle, eine Erde ohne Sonne. «Nein, lieber Statthalter, das tut mir nicht, verklagt ihn nicht! Seht, ich bin in der Sache vielleicht zuerst im Fehler, ich hätte ihn warnen, vor Vielem ihm sein können, wenn ich nicht empfindlich geworden, die Geduld verloren hätte. Aber er war anfangs schon so mißtreuisch, betrachtete mich gleichsam als nicht von den Rechten einen, man hatte ihm wahrscheinlich gesagt, ich gehöre zu den Weltgläubigen oder Verstandesmenschen, oder wie man ihnen heutzutage sagt, ich weiß es nicht, und da war er wunderlich gegen mich und nahm Lehren von mir mit dem gleichen Lächeln in den Maulecken auf wie Lättlochsameli. Am Lättlochsameli konnte ich sie ertragen, am Vikari nicht, ich ward empfindlich, schwieg, das war nicht recht von mir, mich könntet ihr deswegen verklagen; aber mir zLieb und zEhr verklagt den Vikari nicht!«

Der Pfarrer hatte ernstlich Mühe, mit seiner Bitte durchzudringen, und auch vor dem Sittengerichte mußte er sie sehr ernstlich geltend machen; vielleicht hätte er weniger Mühe gehabt, wenn nicht die Täubi über das Kornsetzen sich sehr tief gefressen hätte. Noch am Morgen der Visitaz war der Pfarrer seiner Sache nicht sicher, mußte den Visitator nebenaus nehmen, ihn bitten, daß er allem aufbieten möchte, eine Klage gegen den Vikar zu verhindern, er selbst habe bereits sein Möglichstes getan; allein wenn seine Leute was im Kopfe hätten, hätten sie es nicht in den Füßen.

Der Visitator war ein angesehener, verständiger Mann mittlern Alters, der klar ins Leben sah und offen in der Menschen Gesichter. Er ward ordentlich gerührt von des Pfarrers dringlichen Bitten und sagte: «An mir, Herr, soll es nicht fehlen, ach, wenn sie alle so wären! Nirgends wird schärfer und strafender das Wort des Herrn, daß jedes Reich, welches in sich selbst uneins ist, zerfalle, als an uns, und niemanden ist böser predigen als uns selbst, da jeder meint, er könne es selbst am besten. Wie not täte es uns, daß der Herr unter uns erscheinen, sich gürten und das Fußwaschen sichtlich unter uns vornehmen möchte! Ach, manchmal kömmt man ordentlich in Versuchung, auch uns ein sichtbar geistlich Oberhaupt zu wünschen, da unser gegenwärtiges Oberhaupt zu weltlich geworden ist. Man möchte alle Tage beten: ‹Vater, vergib ihm, es weiß nicht, was es tut›; denn während es den Katholizismus zu verfolgen scheint, führt es, soviel an ihm, die Leute auf die Wege, welche direkt nach Rom führen. Da täte dieses brüderliche Wesen so not, dem Feuer der Jugend die reife Weisheit des Alters, und da steht so gerne die Welt dazwischen mit der Jugend Überhebung und des Alters Grämlichkeit, und was der Eine baut, zerstört der Andere wieder in unseliger Verblendung. Seid sicher, was ich vermag, soll geschehen, und ohne Segen soll dieser Tag nicht sein!«

Es predigte der Vikar über den Text: «Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Böses wider euch, so sie daran lügen. Freuet euch und hupfet vor Freuden, dann es wird euer Lohn groß sein im Himmel. Denn also haben sie die Propheten verfolget, die vor euch gewesen sind.» Es war eine etwas anfechtige Predigt, worin gezeigt war, wie noch heutzutage die verachtet seien, die sich wieder dem reinen Evangelium zuwendeten.

Nach der Predigt trat der Vikar ab, die Visitaz begann, die üblichen Fragen liefen alle mit dem üblichen Ja ab, wobei jedoch bei jedem Anlaß, den sie darboten, dem alten Herrn und seiner Familie ein warmes Lob gespendet ward. Der Visitator, an das Ding nicht rührend, lobte auch die Gemeinde, daß ihr ein gutes Zeugnis von ihrem Hirten gegeben worden, und freute sich der schönen Eintracht zwischen Hirt und Herde, welche sein müsse, wenn das Reich Gottes gedeihen solle. Der Meinung, sagte der Statthalter, sei er auch, aber eben deswegen möchte er noch ein Wort reden, wenn es erlaubt wäre; er begehre nicht, daß es aufgeschrieben würde, aber der Herr Visitator solle daraus nehmen, was er für gut finde.

Nun erzählte er, was wir schon wissen, wie sie den Vikar hätten verklagen wollen, der alte Herr aber abgewehrt. Sie hätten es ihm zu Gefallen getan, weil er es sei, einem Andern hätten sie es nicht getan, von wegen die Sache hätte sie z'taub gemacht. Aber lieb wäre es ihnen doch, wenn er den Vikar nebe us nähme und ihm einen braven Zuspruch geben würde, daß er dere Züg müßig gang; es heyg ihm neue niemere nüt druf. Er söll uf ihre alte Herr luege u dems styf nahmache, dä heyg nes breicht, und wenn ers mach wie dä, su gäbs no öppis us ihm, aber dä Weg heyg niemere nüt uf ihm. Und säge söll er ihms ume, daß, wenn dr alt Herr nit gsi wär, si angers mit ihm gredt hätte. Sie hätten es schon manchmal zusammen gesagt, man sei doch gfellig, wenn man so einen alten Herrn habe, der fest i dr Sach syg, als son e Junge, wo selber nit wüß, wo dure, und lang geng dFäister bi dr Türe hinger such.

«Das freut mich einmal», sagte der Visitator, daß er das Alter rühmen höre, das sei gegenwärtig eine seltene Sache; alles schreie nach Jungen, die nache möchten, die vorwärts wollten, die wüßten was die Glocke geschlagen, die Zeit, die nur Galopp fahren wolle, schätze das bedächtige Alter nichts, das meine, man müsse allbeeinist verschnaufen und nichts verkarren. So seien an vielen Orten alte Lehrer, alte Pfarrer, alte Leute überhaupt übel dran und unwert, und die Lehre der Bibel, daß man vor einem grauen Haupte Ehrfurcht haben und aufstehen solle, ganz verkehrt. Ja freilich komme man mit einem jungen Knechte weiter, aber sicherer sei, Haus und Hof einem alten anzuvertrauen, und wenn schon ein alter langsamer werde, so werde er desto sorgsamer, und was er gemacht, sei gemacht, und was er geredet, sei geredet, das sei nicht heute so und morgen anders.

Doch klagen solle man nicht darüber, denn diese Zeit habe Gott gemacht wie jede andere Zeit, aufmerksam machen wolle er nur auf der Zeiten Eigentümlichkeit. Es habe nicht bloß jedes Jahr seine Jahreszeiten, sondern diese Jahreszeiten seien auch merkbar im großen Weltenlauf. Da gebe es Zeiten, wo nichts zu wachsen, alles Leben erstarret scheine, dann komme plötzlich der Frühling, und es sei, als wenn alles, alles neu werden müßte, und da, meine man, müßte man lauter junge Gärtner haben, die alle Tage was Neues brächten. Aber wie schön der Frühling auch sei, mit ihm wäre den Menschen nicht geholfen, und lauter Neues alle Tage sei wohl kurzweilig, aber nicht nützlich; übel daran wäre der Mensch, wenn alle Tage neue Blumen kämen, aber nie die Frucht. «Darum muß das Neue auch bleiben, alt werden, wachsen, reifen, Früchte tragen, was Zeit braucht, und treue, sorgsame Gärtner, die in Geduld das Altgewordene zu pflegen wissen zur Zeitigung. So eine junge Zeit haben wir; drum sind auch die jungen Leute so wert, und torrechte Knaben, junge Lehrer und junge Ratsherren meinen, es müsse immer so bleiben, es seien halt Kinder, würden es aber auch nicht immer bleiben, wären einmal froh, wenn man auch auf dem Alter was hielte. Und das müsse wiederkommen, und kömmt es nicht, so kann man daraus abnehmen, daß Gott im Sinne hat, die Welt zu zerstören, darum ließe er die Menschen kindisch werden, daß sie die Blumen zerrupften, statt sie zur Reife zu bringen.

Sie aber hier stünden nicht mehr im Frühling, in der neuen Zeit, vor vielen Jahren schon hätte der alte Herr, damals jung, ihnen einen jungen Frühling gebracht mit vielem Guten und Schönen, das sei ihnen lieb und wert geworden und der Gärtner, der es gebracht, auch, und beide, Pflanze und Gärtner, hegten und pflegten sie jetzt in Liebe und Ehr, ihr Gefühl sage ihnen, daß beide zusammengehörten, die Frucht dest süßer werde, je mehr sie zeitige, der Gärtner dest treuer, je mehr er alte. Es wäre manchem Jungen gut, wenn er käme und hier ein Beispiel nähme, wie man im hohen Alter auch in Lieb und Ehr bleiben könne, und mancher Gemeinde würde es frommen, wenn sie hier ein Beispiel nehmen würde, wie das Neue alt werden müsse, wenn es zu Heil und Frommen dienen solle. Und eben im wahren Christentum liege die Kraft, immer das alte zu bleiben und doch immer neu zu werden, und jeder junge Gärtner in Gottes Reiche könne nichts Neues bringen, aber das Alte verjüngen in neue Kraft, zu neuen Früchten, die aber wiederum nur die alten seien.

Jetzt aber müßte er abbrechen, sagte der Visitator, sonst könnten sie im Pfarrhause meinen, wie sie uneins seien, oder was alles geklagt werde. Aber er rede gerne ein vertraulich Wort zu seinen lieben Mitchristen neben Lob und Klage hinein. So eine Visitation sei eine wichtige, aber christliche Verhandlung, kein oberamtliches Verhör; darum, glaube er, solle auch ein freundlich, christlich Wort, zu dem man so selten untereinander komme, seine gute Stätte finden. Herzlich habe es ihn gefreut, wieder einmal eine solche Gemeinde zu finden, und wenn Gott sie gesund erhalte, so werde er sich das ganze Jahr herzlich darauf freuen, nächstes Frühjahr wieder zu ihnen zu kommen.

Im Pfarrhaus war man allerdings sehr gespannt über die lange Verhandlung. Die Pfarrersleute hatten Angst, es möchte etwas Unangenehmes geben, neue Störung in ihren Frieden kommen, und der alte Herr sagte mehr als einmal: «Sie hätten es mir wohl zu Gefallen tun können, ich weiß nicht, was das ist, sonst hätten sie es mir getan.» Die gute Mama jammerte, so etwas hätte sie noch nie erlebt, das werde ihr den ganzen Tag verderben; so mißvergnügte Gesichter könnten sie viel unglücklicher machen als eine angebränntete Suppe, und wie man auch anwende, es dünke einen, niemand lebe wohl an Essen und Trinken, und es sei gerade, als ob die Leute es wisse kein Mensch was im Munde hätten.

Gereizt ging dagegen der junge Herr sein Zimmer auf und ab; das werde wohl eine Anzettlete gegen ihn sein, aber er fürchte sich nicht, eine eigene Eingebung müsse es gewesen sein, daß er diesen Text erwählet. Ei nun denn, er wolle gewärtigen, was komme, der Herr werde auch da ihn nicht verlassen; aber von wem es komme, das wisse er wohl. Endlich kam der Visitator. Er sah nicht verlegen, gespannt aus wie gewöhnlich die Visitatoren, wenn sie Klagen in der Tasche haben; ernst, aber hell war sein Auge und freundlich sein Gruß. Der alte Herr ging ungeduldig ihm entgegen und fragte: «Hey sis doch nit chönne la blybe?» «Wohl, wohl», antwortete der Visitator, «es ist alles gut gange, heyt key Kummer!» «He nu, gottlob!»antwortete der Pfarrer. «Ih hätt ne welle!» «Mag er denn nicht warten, bis er es vernimmt?» dachte der junge Herr, als er den Pfarrer unter der Türe sah, «da sieht man doch jetzt gleich, wie er es meint. He nu, so ist man doch nicht im Irrtum und weiß gleich, von wem es kömmt.»

Als der Visitator droben in der Stube beim Vikar war, um die Pfarrbücher nachzusehen, und dieser ihm sie vorlegte, sagte der erstere: «Erlaubet, Herr Vikari, ehe ich anfange, non es Wörtli! Ihr habt eine fatale Geschichte gehabt und die Leute sie sehr übel genommen, hütet Euch vor solchen Dingen und seid vorsichtiger! Die besondere Seelsorge ist wie ein zweischneidend Schwert, und großer Erfahrung und Besonnenheit bedarf es, wenn man damit nicht mehr schaden als nützen will, und wenn eine Seele zu Schaden kömmt, wo hat die Welt etwas, den Schaden wieder zu heilen?»

«Also geklagt haben sie über mich?» fragte der Vikar. «Geklagt nicht, aber mich ersucht, Ihnen eine freundliche Mahnung zu geben für die Zukunft.» «Es ist doch auch nicht recht», sagte der Vikar, gleichsam vor sich hin, «so die Leute gegen mich aufzureisen. Ich bin immerhin ein Amtsbruder, aber ich weiß wohl, so einen Vikar sieht man nicht dafür an und behandelt ihn ärger als einen Juden.» «Was meint Ihr damit?» fragte der Visitator, «wer soll aufgereiset haben, und wer behandelt Euch ärger, als ob Ihr ein Jude wäret?» «Die ganze Sache hat mir der Herr Pfarrer angerichtet, den Leuten wäre das nicht in Sinn gekommen», antwortete der Vikar, «er kann mich halt nicht leiden und wirkt mir entgegen, wo er kann und mag; aber daß er mich gar verklagen ließe, hätte ich doch nicht von ihm geglaubt.»

Da stand der Visitator auf, legte die Hand auf des Vikars Achsel und sagte: «Herr Vikar, Ihr versündigt Euch schwer. Der Herr Pfarrer ists, der ein schwer Wetter von Eurem Kopfe gewendet hat. Die Gemeinde wollte Euch verklagen, ihm zu Lieb und Ehr unterließ sie es. Er ists, der die Liebe in sich trägt, an der Jesus seine Jünger einst erkennen will, und ohne diese Liebe ist jeder Glaube eitel, und diese Liebe ist die, welche dem Samariter half, den der Priester um des Glaubens willen hülflos gelassen. Junger Mann, trachtet nach dieser Liebe; sie ist es, welche Euch einen neuen Glauben schaffen, den Glauben, daß in Euern Mitmenschen nicht bloß der Teufel wohnt, sondern auch Gott, der Euch in Euerm Pfarrer, den Ihr für einen Feind gehalten, einen Vater verehren lassen wird.»

Den Vikar schlug diese Rede mit fast betäubender Gewalt, sie kam so unerwartet, war so fest, so hoch, beugte ihn, der sich bald zum Märtyrer erhoben glaubte, hinunter zum fast knabenhaften Sünder. Während er das Herz voll Groll trug und meinte, von Verfolgen und Vergeben reden zu können, trugen Andere das Herz voll Liebe, hatten im stillen für ihn gewirket, hatten wirklich feurige Kohlen auf sein Haupt gesammelt. Die Tränen standen ihm zuvorderst, der böse Geist flüsterte ihm böse Worte ein von Spiegelfechterei, sich nicht täuschen lassen, und wenn man jetzt schon zum Schweigen gemahnt, habe man doch zuerst die Sache angebahnt.

Aber diese Worte sprach er nicht aus, er schämte sich ihrer vor dem Visitator, der so hoch und ernst vor ihm stand, den er früher so oft geistlich bedauert hatte, weil er nicht von den Rechten sei, dessen überlegene Kraft er jetzt so mächtig fühlte, daß er die Augen nicht zu ihm emporzuheben vermochte. Es lag in diesem Augenblick eine Demütigung, die ein Leben nicht verwischt, eine Bußzucht so gewaltig als je eine, die erdacht und angeordnet worden.

Die beiden alten Leute machten gerne die Visitaz zu einem heitern Tage, und daß allen Gästen so recht von Herzen wohl bei ihnen sei, das war beider Augenmerk; wie es ihnen war, sollte es allen werden. So lange war der Pfarrer im Amte gestanden, daß man hätte glauben sollen, eine Visitaz sei ihm zur Gewohnheit geworden, des Verlaufes derselben sei er sicher; so war es aber nicht. Tief im Herzen, man sah es ihm freilich nicht an, stand immer der Spruch geschrieben: «Wirket die Seligkeit mit Furcht und Zittern!» Er ward sich immer bewußt der Schwachheit, die nie vergeht, des Reizes der Welt, der nie erlöscht, daß Greis und Jüngling wachen und beten müssen, wenn sie nicht in Anfechtung fallen sollen.

Wem es so ist, der freut sich immer, wenn er am Ende eines Jahres noch aufrecht steht in Ehren vor Gott und Menschen; so viel des Weges hat er glücklich wieder hinter sich, um so näher ist ihm die Herberge, um so sicherer ist ihm der selige Eingang. Des Pfarrers geistliches Neujahr ist seine Visitaz, und wird er aufs neue in Ehre und Treue freilich von Menschen nur erfunden, so muß es ihm leichter ums Herz werden; einen neuen Absatz zum Himmel hat er erstiegen, und in dem Maße als, je höher man steigt, die Luft lebendiger, reiner, frischer wird, in dem Maße wirds auch dem geistigen Steiger klarer, heller, freudiger ums Herz, je näher er der Höhe kömmt, dem Berge der Verklärung. Darum war der Pfarrer allemal so hell und froh an der Visitaz; sie war ihm wirklich ein Fest, und seine Freude teilte er gerne mit Vielen.

Aber ebenso glücklich war sein Mamali, die Freude ihres Herren war doppelt in ihr, seine Freude war ihre Freude, dann pries sie sich glücklich, ihn zum Gatten zu haben, ein so schönes Los mit ihm teilen zu können. Und zu dieser Doppelfreude gesellte sich noch die Nebenfreude der Hausfrau, die auch nicht klein war, in Ehre und Freude speisen und tränken zu können an ihrem Tische frohe Gäste, die gerne kamen und ungern wieder gingen.

Auch der Doktor war da, sonst so lebendig, lustig, wenn auch immer etwas sprützig und anfechtig, diesmal aber still und grämlich. Die Pfarrer erzählten, wie die Leute um ihn gejammert, als er krank gewesen, wie man nur ein Urteil vernommen, daß in der ganzen Gegend niemand sterben könnte, wo es so übel ginge, als wenn er sterben sollte, wie die Leute nicht genug zu rühmen wüßten von ihm. Zu dem sagte der Doktor wenig; schmerzlich, fast höhnisch zog er die Lippen in die Höhe und gab, so oft er konnte, dem Gespräch eine andere Wendung.

Die gute Mama sah das bald, meinte immer, das werde bessern, da die Herren immer auf diesen Gegenstand zurückkamen, so daß man wirklich sah, diese Reden waren nicht nur Komplimente, sondern gingen von Herzen; als aber immer das gleiche Lächeln in den Mundwinkeln zuckte, sagte sie: «Növö, heute hat nicht nur mein Herr Visitaz, sondern auch du, und zwar eine schöne. Jetzt glaubst du hoffentlich doch, was ich dir alle Tage sage, wie lieb und wert du bist, wie übel es gegangen, wenn du gestorben, und wie du dich schonen solltest. Es ist doch eine Freude, wenn die Leute so erkenntlich sind für das, was man an ihnen tut.»

Da der Doktor nicht darauf antwortete, sagte sie: «Hörst, Növö, mir zGfalle mach ein fröhlich Gesicht und glaub, wie lieb du allen bist! Sieh, wie mein alter Herr so ein heiteres macht! Aber ich glaube gewiß, es sei den jungen Leuten heutzutage angetan, daß sie gar nicht mehr lustig sein können, ich verstehe mich nicht mehr darauf. «Wir Alten machen Gesichter, wie wir sie ehedem gemacht haben, wenn ein Ball angehen sollte, und unsere jungen Leute sehen drein, wie wenn man ihnen kehrum auf die Füße trappete.» «Tante», sagte der Doktor, der diese Wendung abschneiden wollte, «wenn alle Menschen wären wie Ihr, dann wäre gut Doktor, dann wäre überhaupt gut in der Welt sein. Dann, Tante, wollte ich ein Gesicht machen wie das Morgenrot.»

«Du bist ein Lecker, Növö», sagte die Tante, «und willst mich foppen. Aber nein, gewiß, ich weiß nicht, wie die jungen Leute heutzutage sind, es ist gerade, als ob ein eigenes Unglück in die Welt gekommen wäre, welches wir Alten nicht merken, sondern nur die Jungen, so ein Gespenst, welches die Wenigsten sehen, sondern nur die Fronfastenkinder, und so ein apartig Fronfastenkind wird wahrscheinlich jetzt jeder junge Mensch sein. Sie wissen viel mehr als unsereiner, bhütis, si sy am klyne Finger gschickter als wir an der ganzen Hand, und wenn ein Meitschi zwölf Jahre alt ist, so könnte es der Mutter ihre Lehrgotte werden und macht schon ein Gesicht dazu, daß man zu unsern Zeiten Angst bekommen und gefragt hätte: ‹Ach, liebes Kind, gschwind, gschwind, was fehlt dir, hast Kopfweh, oder wottsch öppe dBlattere übercho?› Und wenn ich in meiner Einfalt so zu einem laufe und frage, so sagt man mir, ich verstehe das nicht, aber man möge machen, was man wolle, so habe man heutzutage keine Anerkennung. Du mein Gott, von dem Züg het me allbets nüt gwüßt. E jedere het gmacht, was er möge het, und ist froh gsi, wenn ne Gott gsund gla het, und jetzt sy dZytunge, mi ma dNase ha, i weli me will, voll Lob, Prys und Ehr, und de chlagt me de, es syg kei Anerkennung! Und de an ere Visitaz ißt mr ume kei Mönsch vo mym Griespuddäng, u han ih doch so agwendet!»

«Tante, Ihr seid ein Schalk», sagte der Doktor, «das hätte ich nicht hinter Euch gesucht.» «Nein», sagte das Mamali, «das bin ich auch nicht, aber höhn bin ich, daß ihr Jungen da mir nicht esset und trinket und lustig seid, das ist zu unsern Zeiten anders gewesen. So ein Doktor hätte angefangen zu singen, und dVikarene het me nit dörfe z'fast pressieren, es hätt sust chönne fehle, und doch het es brav Lüt gä, gället, Herr Visitator?» «Aber, Frau Pfarrere», sagte der Visitator lachend, «soll das ghaue oder gstoche sy? Ich hätte gar nicht geglaubt, daß Ihr Euch auf das Trümpfen so gut verstündet, kein Mensch würde es Euch ansehen. Ja, damals gings lustig zu, manchmal nur zu lustig; aber die ganze Welt ist lustiger gsi als jetzt, und niemand hät Ärgernis daran genommen.»

Als einmal das Gespräch auf diesem Bödeli war, kam eine lustige Geschichte nach der andern zum Vorschein, die alten Herren wurden recht jung und konnten so herzlich lachen, wie man es ihren ernsthaften Gesichtern gar nicht angesehen hätte. Aber weder den Vikar noch den Doktor steckten sie damit an; beide verließen frühe die Gesellschaft, der eine ging Patienten nach, der andere seinen Gedanken, waren aber vielleicht auch Patienten, diese Gedanken.


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