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Zweites Kapitel

Wie Meyeli erwarmet

Seltsam war es am Morgen Meyeli zumute, als es, von keinem Vetter aufgerufen, statt in einem rußigen Gaden in einem freundlichen Stübchen erwachte, der Tag an die Fenster hoschete, durch die Umhänge zwitzerte und an der Wand ein loses Spiel trieb. Das Bett war so weich und warm, wie es keines noch gesehen; was das für ein anderes Dackbett war als das dünne Häutchen, mit dem es sich sonst decken mußte, und welch Unterbett gegen das, auf dem es sonst lag, und durch welches hindurch man die Bettladen wenn nicht zählen, doch fühlen konnte. Da war an Federn nicht gespart, und man sah es wohl, daß, je mehr derselben in die Ziehen gingen, desto größere Freude die Bäuerin, welche sie füllte, gehabt haben mußte. Das war so von den Betten eins, in dem man bei müden Gliedern den jüngsten Tag bequem verschlafen könnte. Es war Meyeli schwer, es zu verlassen.

Man glaubt gar nicht, was so ein weiches, warmes Bett für eine Wohltat ist, wenn man an Wind und Wetter gewesen einen lieben langen Tag, und was es für eine Gewalt übt über die, welche in schlechten Betten manche liebe lange Nacht durch geschlottert und von weichen, warmen Betten nur haben reden hören, und so ein weiches, warmes Bett ihnen vorkam ungefähr wie ein Vorhof zum Himmel. Wenn eine Magd von den bessern ist und nicht ihr Geld alles an Fatzenetleni und Gäuggelei hängt, so sinnet sie an ein Bett, und hat sie ein gutes Bett sich angeschafft, so wohlet es ihr; es ist ihr, als ob sie nicht mehr verlassen wäre, als ob sie für ihre alten Tage gesorgt hätte, sie hat ja ein Hey, sie weiß, wo sie ihr Haupt hinlegen kann.

Aus dem Bette aber sah Meyeli auf einem Tischchen seinen Hochzeitsstaat und nebenan in der Ecke seine zwei Bündelchen stehen; dieser Anblick störte sein Behagen, trieb ihns auf. Es packte aus, und erst jetzt, wo es alles nebeneinander auf ein Tischchen legen mußte und noch dazu die Sonne daraufschien, sah es, wie seine Hüdeli und sein Staat gegeneinander abstachen, und da war keine Vermittlung, keine Brücke von einem zum andern; rechts lag einer Bäurin reiche Kleidung, links die baueligen Fetzleni eines Gottswillenkindes, dort alles währschaft und in Fülle, hier alles durchsichtig, zu eng und zu kurz.

Vor alten Zeiten sprach man von einer Bäurin, welche ihren Mägden Hemden zum Gutjahr gegeben, von denen jedes acht Pfund gewogen habe; an diesen waren Kuder und Knöpfe nicht gespart, und die müssen ein handlich Tragen gewesen sein. So handlich waren Meyelis Hemdchen nicht, aber sie waren durchsichtig, kurz und klein, die Hühner konnten den Hafer dadurch picken, und vornen wollten sie ihm fast nicht übereinander. Das Kitteli war viel zu kurz, der Mond schien durch dasselbe und zeigte die bösen alten Strümpfe, von denen man nicht mehr wußte, waren sie gewoben, gelismet oder genäht. In gleichem Stil war das Tschöpli, und wenn Meyeli einmal drinnen war, so machte es ihm den ganzen Tag Kummer, wie am Abend wieder hinaus. Diesen Staat mußte es nun heute anziehen und damit vor dem Publikum erscheinen, vor dem es gestern in reichem Hochzeitgrust aufgezogen war, mußte das Zeugnis an sich herumtragen, daß es nur ein Gottswillenkind gewesen und gleichsam nur dr Gottswille da sei; denn die Leute fassen es nicht, daß wir alle, König und Schelm, eigentlich nur dr Gottswille da sind, wo wir sind, und daß hier kein Unterschied ist zwischen dem Menschen und keine Ausnahme von der Regel.

Meyeli weinte, und wer will es ihm verargen? So konnte es ja nicht einmal in die Kirche gehen, weder das Eine noch das Andere schickte sich, und wenn jemand ins Haus kam, so durfte es sich weder in dem Einen noch im Andern zeigen; das Eine schickte sich nicht für ordinäri Tage, das Andere nicht für eine junge Bauersfrau. Sagen durfte es nichts, mußte ihnen es überlassen, Verstand zu haben, dem Mangel abzuhelfen; aber jetzt mußte es doch in seinen alten Kleidlene hinunter, im Gloschli konnte es nicht bleiben, so wenig als im Bette. Es durfte Jakobli nicht einmal sein Herzenleid klagen, Meyeli brachte nur in Anschlag, was es mit Jakobli erhielt; was er durch ihns erhielt, dem gab es keine Schätzung, Meyeli war noch demütig. Meyeli hatte von der Art junger Weiber keinen Begriff, die zu profitieren wissen, oder die meinen, weil sie dem Manne die Ehre angetan, ihn zu nehmen, so sei es nun seine Hundspflicht und Schuldigkeit, ihnen zu allem zu verhelfen, was ihnen einfällt, und nie satt werden mit Begehren und Drangsalieren und von keinen Rücksichten was wissen; die zu meinen scheinen, ein Mann sei eigentlich nichts als ein großer Lulli, an dem man sauge, bis nichts mehr darin sei, und sei nichts mehr darin, so schreie man wie ein Kind und mache ein Lätschmaul je größer je lieber, und wenns so groß würde wie der lange, lange Schweif des letzten Kometen.

Meyeli hatte von dem keinen Begriff, es erhielt ihn auch nie, sagte sein Lebtag nie: «Es tut ihms sauft, dem Hung, dem Uflat, dem Muffi.» Es wischte endlich seine Tränen ab, zog seine Kleidleni an und ließ schüchtern sich hervor.

Gut Wetter war nicht obhanden. Anne Bäbi hatte das Ölkrüglein nicht vergessen, und das erste am Morgen, was es vornahm, war ein Forschen nach dem Krüglein, und siehe, es stund zwar nicht an seinem ordinäri Platz, doch dicht dabei, wo, wie Anne Bäbi behauptete, man es hätte sehen müssen, wenn es gestern da gewesen wäre. Aber alles Forschen war umsonst, kein Mensch wollte es angerührt, weggenommen, hingestellt haben. Anne Bäbi hätte selbst und zuletzt es in Händen gehabt, behauptete Mädi, und es duech ihns nicht kurios, brummte es vor sich her, daß man am Abend etwas nicht gesehen habe, was am Morgen einem blinzlige in die Augen falle, es sei schon manchem Menschen so gegangen. Meyeli achtete man kaum, doch glaubte es von Mädi einen spöttischen Seitenblick abgekriegt zu haben, was ihns noch mehr in Verlegenheit setzte; denn zu dem Bewußtsein, was für Kleider es anhätte, kam nun noch die Angst, wo es jetzt stehen, absitzen, was es anrühren solle, damit es niemand an seinem Orte stehe und niemand etwas anrühre, welches dieser Jemand nicht angerührt haben wollte.

So eine junge Dame weiß gar nicht, was es heißt, Sühniswyb sein und als Sühniswyb in ein Haus eintreten; entweder zieht sie in ihr eigen Menage, oder aber, wenn sie am Morgen gefrühstückt hat, macht sie die Toilette, setzt sich an ihren eigenen Arbeitstisch und niggelet etwas, bis Visite kömmt oder sie Visite macht, und wenn die Köchin gekocht hat, so sitzt sie ane, und wenn sie gegessen hat, so streicht sie sich, und wenn man nicht den eigenen Weiberteufel im Leibe hat, der nur im Zanken leben kann wie der Fisch nur im Wasser, so kommen Schwiegermutter und Schwiegertochter parfaitement bien aus, es sei dann, die Schwiegertochter sei auch vom Ehrteufel geplagt, wolle die Honneurs machen und die Gästimiertere sein.

Auf dem Lande aber, da ist es anders, da gibt es weder apartigi Arbeitstischchen noch apartigi Menage, weder Visite noch Appartements; da ist ein gemeinsamer Haushalt, der beschafft sein will durch alle vorhandenen Hände. Kommen nun frische Hände dazu, wo sollen sie angreifen, und wer macht ihnen Platz? Wenn böser Wille da ist, so trifft man es nicht, man mag es machen, wie man will. Greift ein Sühniswyb ungeheißen zu, so heißt es, schon am erste Tag hätte es gemacht, wie wenn es da alleine Meister wäre; wartet es aber, bis man es heißt, oder fragt es, was es machen solle, so heißt es, wenn es Vrstang hätte, so käme ihm selbst zSinn, was zu machen wäre, und man sagt ihm, wenn man höflich ist: «He öppe, was gern witt, mir heys bis dahi chönne mache, mir hätte niemere meh gmanglet.» Ist man unhöflicher, so sagt man: «Mira, was d witt, mir hey is gwahnet z'werche u hey nit dr Zyt, enangere dNase uf dSach z'stoße; es sött öppe es n ieders gseh, was z'mache ist.»

Ist ein Hauptwerk da, Anpflanzen im Frühling, Heuet, Ernte, Säet, so macht sich die Sache am leichtesten, da nimmt ein Sühniswyb das Werkholz und geht aufs Feld und trägt mittags und abends, wenn es sich einkaufen will, der Schwiegermutter ungeheißen Holz und Wasser zu und hilft abwaschen und rüsten, was es sich ergeben mag. Jetzt war aber gerade die eigentümliche Zeit, wo man es in jedem Bauernhause anders hat und ungeheißen kein Fremder viel zu machen weiß, die Zeit, wo der Herbst in den Winter übergeht, der Säet zu Ende, die Erdäpfel aus sind, aber Dreschen und Spinnen noch nicht angefangen haben, die Zeit, wo man draußen und drinnen fertigt macht, sich zwegnistet zu behaglichen Winterquartieren. Die einen haben mit Rüben zu tun, andere mit Waschen, mit Obst und Eingraben, mit Fahren und Dörren, mit Plätzen und Fegen, mit Brechen und Hecheln, kurz mit vielen Dingen, und fast in jedem Hause mit etwas anderem, und fast bei jeder Sache ist in jedem Hause ein anderer Brauch, und wenn nicht alles akkurat diesem Brauch nachgeht, so hat man nicht den mindesten Glauben zur Sache, sondern sagt: «Öppis Dumms eso, üser Lebtig chunnt das nit gut.»

Jetzt denke man sich eine Schwiegermutter und ein Söhniswyb beim Wäscheeinlegen, beim Kabiseinmachen, beim Kücheln, und jedere denkt, wenn die andere die Hand rührt: «Herr Jeses, wie dumm, das chunnt üser Lebtig nit gut!» Wie das in beiden worget und kochet! Endlich sagt die Schwieger: «Nit eso, üser Lebtig nit, wie wett das gut cho!» «Mir hey das daheim geng eso gmacht, u niemere het gseit, es syg lätz, ds Kunträri, dArbeitslüt hey nie gnue chönne rühme», antwortet die neue Tochter. «Ho, das müsse wunderlig gsi sy», antwortet die Schwieger, «hie fräßes dSäu nit, we mes so miech.» Somit ist die Kriegserklärung gemacht. Abends sagt die Schwieger zu ihrem Mann: «Mir sy ungfellig gsi, es dümmers Mönsch hätt üse Hans nit chönne übercho, u we es si no öppe ließ brichte, aber e Gring hets wien e beinige Esel. Du, ih hätt mir Lebtig nit glaubt, daß es Lüt gäb, wo dr Kabis so ginge ga gschänge u dStorze usehaue, die sy ja grad am chüstigste u hey am beste dar.»

Das Sühniswyb aber pläret dem armen Mann die ganze Nacht die Ohren voll, es gstangs dä Weg nimme us, es well wieder hey, u gäb es Kabisstorze freß, well es lieber gar nüt.

Und aus ist es mit dem Frieden; es gutet nimmer, bis eins nach dem andern die Augen zutut und ins stille, kalte Kämmerlein muß, wo alles Reden aus ist und niemand mehr Kabis einmacht. Ja, es ist wirklich ein Elend, wie des Menschen Elend so oft aus nichts entsteht, nur aus unserm Kopf hervorgeht, wie die Welt aus nichts entstanden, nur aus Gottes Willen hervorgegangen ist.

Meyeli hatte dieses sich nicht ausgedacht, aber etwas davon fühlte es, und es war ihm, als es in die Küche trat, als sollte es sein nacktes Füßchen setzen in ein aufgeregtes Wespennest. «Guten Tag geb euch Gott miteinander!» sagte es, und ob ihm jemand dankte, oder ob nur das Feuer spretzelte und die Kacheln rasselten, vermochte es nicht zu unterscheiden. «Kann ich etwas helfen», frug es, «etwa Holz tragen oder Wasser holen?» «Wir haben im Brauch, das zu holen, ehe wir zMorgen kochen», antwortete Anne Bäbi. Da Mädi grade das zMorgen hineintrug, sagte Meyeli: «Soll ich dir helfen?» und wollte die Schüssel mit Rösti fassen. «Häb nit Müh», sagte Mädi, «ich habe das schon lange alleine gemacht, es braucht mir niemand zu helfen!» «Soll ich zum Essen rufen?» fragte Meyeli. Niemand antwortete, aber Mädi schoß an ihm vorbei wie ein Hurnuß und brüllte: «Ihr söllit cho esse!» daß man unten im Dorfe bei vielen Häusern meinte, man habe bei ihnen gerufen, und das Mannevolk daherkam und mit dem Weibervolk, das nicht fertig war und nicht gerufen haben wollte, z'branzen anfing.

Drinnen wollte Meyeli zu unterst am Tische absitzen, da fuhr ihns Mädi an, es werde ihns doch nicht von seinem Platz vertreiben wollen, wo es bald hundert Jahr ghocket sei, und als Meyeli mit dem Weinen zuvorderst in der Stube stand und nicht wußte, wo zum Tisch, daß es recht sei, sagte Anne Bäbi: «Warum chunnst nit cho hocke, soll me di no aparti heiße?» Es wisse nicht recht, wo es zuche söll, sagte Meyeli, daß es niemere am Weg syg. «Gsehst de nit, daß da uf em Vorstuhl (der bewegliche Stuhl vor dem Tisch) Platz isch?» schnauzte Anne Bäbi. Meyeli hatte den Platz wohl gesehen; da er aber oberhalb Anne Bäbi war, so saß es nicht gerne ungeheißen da ab und ebenso wenig unterhalb, wo der Platz derjenigen war, die über Tisch les honneurs machte.

Über Tisch war die Rede vom heutigen Tagwerk, und es war beschlossen, die Rüben herbeizumachen. Es werde sie doch nicht alleine ziehen sollen, frug Mädi, es werde jetzt wohl neuer da sein, der ihm helfe. Mädi gramselte es schon vor Freude in allen Gliedern, mit dem armselig gekleideten Sühniswyb durchs Feld auf den Acker zu gehen, und hatte bereits daraufhin schon den bessern Kittel an, ein währschaft Fürtuch zurechtgelegt und eine Kappe, an welcher der Sammet noch schwarz war. Beim ordentlichen Wetter war sicher das Feld voll Leute und alle neugierig, die neue Frau zu sehen, die noch niemand kannte. Und im ganzen Feld, dachte es, werde kein Christenmönsch sein, der nicht denke, was Jakobli für ein Löhl sei, ein solches Faaggeli un es selligs Häpeli (das erstere bezieht sich auf schlechte Kleider, das letztere auf einen schlechten, das heißt schmächtigen Leib) zu nehmen, wo er es doch näher und zehnmal besser hätte haben können. Ds Jowägers Jumpfere, ds Mädi, wär ihm doch de hundertmal lieber gsi. Kein römischer Held konnte sich auf seinen Triumphzug mehr gefreut haben als Mädi auf seinen Gang durchs Feld mit dem armen Meyeli.

Da sagte Hansli, Mädi hätte die Rüben schon manchmal alleine gezogen, und wenn es sie heute nicht möge, so könne man noch morgen daran machen. Es wolle gerne mit, sagte Meyeli, es sei ja da, für etwas zu machen. «Das wirds schon noch geben», sagte Hansli, «u daheim wird wohl noch etwas zu machen sein.» «Wes doch gern käm», sagte Mädi, «und zweimal zu laufen trägt auch nichts ab.» «Du hasts gehört», sagte Anne Bäbi, «was Hansli gesagt hat.» «He nu so de», sagte Mädi, «so sygs de mira!» und schoß hinaus, als wenn es ein Habicht wäre, der einer Taube nachfährt. Anne Bäbi hatte Mädis Absicht halb erraten, halb ärgerte es sich selbst über Meyelis Aufzug, und so gerne es demselben die Schande gegönnt hätte, so fühlte es doch, daß dieselbe auf ihr eigenes Haus zurück fiele, denn einmal war Meyeli jetzt Jakobli Jowägers Frau, und daran war nichts zu ändern; was man gegen ihns hatte, konnte man an ihm auslassen, doch es nicht unter die Leute lassen.

So alt Anne Bäbi war, so wußte es doch nicht, wie unklug es ist, eine ertaubte Jumpfere allein auf ein Feld zu schicken, auf dem viele Leute sind, und zu dem man vom Hause weg nicht sieht. Mädi schoß hinaus wie ein entronnener Wolf, der nicht warten mag, bis er seine Zähne ins erste beste Fleisch schlagen kann. Natürlich war Mädi eine willkommene Erscheinung im Freien. «Wo us, wo wottsch, warum alleini, ih ha glaubt, du sygist zHochzyt?» so redete man ihns allenthalben an, und jeder stellte sich bei ihm, und wo auf einem Acker Leute waren, da riefen sie: «Chumm, los neuis!» und Mädi ließ umsonst sich nicht rufen. Und allenthalben packte es seinen Grimm aus, und wenn man ihns fragte, warum die junge Frau nicht mitgekommen, man hätte geglaubt, Anne Bäbi möge nicht warten, bis es sie schicken könne, Rüben zu ziehen, so zog es seine Maulecken zu den Augen herauf, stellte die Fäuste in die Seiten und sagte: «Es ist Anne Bäbi nit wegem borge (schonen) gsi, o Jere, das borget niemere; aber es het si gschämt, gschämt het es sie uf my armi Türi wien e Hung. I dr ganze Gmeind ist kes Bettlermönsch schlechter bkleit as das neu Sühniswyb; dem gseht mes o so recht a, daß es ab dr Gasse chunnt, die leydist Jumpfere chunnt besser daher.» Und Stück für Stück legte es Meyelis Kleider aus und dann sein ganzes Wesen, wie es nichts anders sei als ein akaareter (angemalter) Hauenstiel u no vo de leydere eine. Hatte man es so lange auf einem Acker stehen sehen, so nahm es begreiflich die Leute auf dem andern Acker auch wunder, was Mädi zu brichten hätte mitten im halben Tag; es mußte auch ihnen sein Herz leeren, so daß es nicht lange nachher, als Mädi in ihre Rüben zu stehen kam, Mittag läutete.

Das arme Mädi sah das ganze Feld voll Leute für seine besten Freunde an, die den innigsten Anteil nähmten an seinem Zorn und das lebhafteste Bedauern fühlten über seine erlittene Behandlung, es ließ sich nicht träumen, daß alle den köstlichsten Spaß an seinem Zorne hätten und alle es ganz begreiflich fänden, daß man so mit ihm umgehe und nicht anders.

Während Mädi die Posaune machte auf dem Felde herum, ging auch daheim etwas vor.

Anne Bäbi hatte Meyelis Kleidung übel vermerkt und sah ihm mit sauern Augen nach, aber lange sagte es nichts, es hätte lieber gehabt, Jakobli oder Hansli würden davon anfangen; aber die hüteten sich wohl, sie wußten, daß die Mutter am Ende den Verstand habe, sobald nur niemand ihr ihn machen wolle. Richtig brach sie endlich auch mit der Frage los: «Warum leyst du dich so an? Leyder kommt hier kein Straßenmensch.» «Verzeiht, Mutter!» sagte Meyeli, «das sind meine besten Kleider. Ich habe sie erhalten, als ich vom Herrn kam, und seither ließ mir der Götti keine andern machen, und Geld habe ich keins gehabt, um selber anzuschaffen; ich habe mich müssen leiden.»

«Schäme söttst di, e sellige Götti z'ha!» sagte Anne Bäbi, «wes mr nit um e Jakobli wär, u daß dLüt nit müßte dFreud ha, uf my Armi, ih ließ dr ganz Winter di so desumelaufe. E sellige Staat ga z'ha am Hochzyt u de morndrisch ke gute Fetze am Lyb! Aber so hets die hütigi Welt; du wirsch o es rechts Täschli sy, sust hättisch meh Vrstang gha as eso.»

«Mutter», sagte Jakobli, «ds Meyeli vrma si desse nüt, es het dHochzytkleider nit selber agschaffet, u angeri Kleider, het me denkt, chönn me ihm de la mache, wes hie syg.» «Wer het de die schöne Kleider agschaffet?» fragte Anne Bäbi, «emel du o nit, oder sy si öppe gar no entlehnt?» «Nei, Mutter», sagte Jakobli, «ds Wirts Tochter zRaxige het dSach gmacht.» «Wer seyst?» schnauzte Anne Bäbi. «Ds Wirts Tochter zRaxige!» antwortete Jakobli.

«Jetz no gar, nei, jetz ist mr nüt meh z'helfe», antwortete Anne Bäbi, «jetz ist afe Zyt, daß ih da dänne chume, u lieber hüt as morn; zur Mutter, wo eim ungerm Herze treyt het, het me kes Zutraue u lauft zun ere Wirtshusmore! Oh, wien ih doch die Trücher hasse! Die wird di schön bschisse ha, wohl, u huse mir doch sövli! He nu so de, mira, su gang jetz zu dere u säg, si söll dr o la Kleider mache für e Werchte; ih wott mi nüt drymischle, wott nüt säge. Es einzigs King u macht eims eso, lat dMutter hocke u son e donnerschießige Schlarp im Geld krüschle. So geyhts hützutag, wohl, allbets hätt mes eso sölle mache! Es nähm mi ke wunger, we scho üse Herrgott dWelt umen e Stud ume schlug, bis si i tusig Fetze fuhr, nei, vrwungere täts mi nit!»

Jakobli hatte Mühe, die Mutter zu besänftigen; je mehr er sich unterzog, desto mehr Ursache glaubte Anne Bäbi zum Aufbegehren zu haben; das ganze Wetter, welchem Meyeli gestern entronnen war, brach heute los, aber es machte schon nicht mehr halb so viel, war es doch nicht mehr der erste, sondern der zweite Tag. Da es immer wieder darauf zurückkam, wie das Donnstigs Trüch ihn werde bschisse ha, so hatte endlich Jakobli den glücklichen Gedanken, die Mutter zu bitten, sie möchte kommen und dSach gschaue, sie werde dann selbst sagen müssen, daß dSach recht sei us niemere wöhlfeler hätt chönne mache. Anne Bäbi rurete gewaltig über diese Zumutung; sellig Hoffertschiß begehre es nicht zu sehen, sagte es. Indessen war doch in Anne Bäbi des Weibes Ferse, sein weicher Punkt, getroffen, der immer und alleweil verwundbar ist, gäb wie sonst Leib und Seele geharnischt sind. Wenn von Kleidern die Rede ist, die zu kaufen oder zu sehen sind, da wird wohl selten ein Weib sein, das nicht Ohren hat dafür und nicht Augen, und auf Erden ist sicher keine Schwiegermutter, welche nicht zu bewegen wäre, den Hochzeitstaat ihrer Schwiegertochter in Augenschein zu nehmen.

Es geht die Rede, wenn man einem wilden, jungen Kühlein (um es so höflich als möglich zu sagen) einen nassen Lappen übers Kreuz lege, so schlage es nicht mehr, sondern werde zahm wie ein Lamm; aber würde nicht (wohl verstanden, nicht zusammengezählt) noch manche junge Frau zahm und zärtlich wie eine Taube, wenn ihr der Mann jeweilen, ich will nicht sagen was Nasses, sondern was Neues, einen schönen Shawl oder einen schönen Kittel ums Kreuz legte, wenn es spuken täte im Kopf! Ach, die Weiber haben einen sichern Takt, ein richtiges Gefühl; sie wissen, wie wüst und gebrechlich der Mensch von Natur ist, wie nötig er es hat, ein neues Wesen zu werden, wenn er Wohlgefallen finden will vor höhern als Menschenaugen. Und wenn sie nun in den Irrtum fallen, daß dieses Neue der Krämer verkaufe und der Schneider mache, wer ist schuld daran als die wüsten Männer, welche die armen Weiber nicht besser brichten und es oft selbst nicht besser wissen!

Immer protestierend gelangte Anne Bäbi vor des Stüblis Türe, es wußte nicht wie, und als die einmal offen war, da war ihm natürlich nicht mehr zu helfen, und die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend trat es zum Tischchen und rief: «O Jocheli, o Jocheli, Herr Jemer, was soll das bidüte? Für kes Lieb möcht ih e Zopfe arühre, das wär ja z'schön für e Ratsherretochter, vrschwyge de für –. Wo ich Hochzeit gehabt, und tausend Pfund hat mein Vater Ehesteuer gegeben, habe ich auch Hochzeitkleider bekommen, und ich habe geglaubt, wie hoffärtig ich sei; aber was? Es sind Hüdeli gewesen gegen die; der Kittel hat sieben Kronen gekostet, ds Gloschli füfzg Batzen und dHafte dryßig, und sonst habe ich neue nichts gehabt, das neuis kostet het als neue Schuhe, und die haben achtzehn Batze gekostet, und jetz selligs, und wer hets la mache, u wo ist dEhstür?» Während dem Reden ließ Anne Bäbi Stück für Stück durch die Finger laufen, hielt sie gegen das Licht, seufzte bei jedem Stück: «Herr Jemer, Herr Jemer, o Jocheli, o Jocheli!» «Hundert Taler machen es nicht», rief es endlich, «und wer hat das zahlen müssen! Wohl, das fängt gut an, und haben wir doch so ghuset u kes Freudeli uns gönnt! Aber wo sind die Göllerketteli?» frug es plötzlich, «bei einer solchen Pracht wirst du doch nicht geliehene annegehabt haben?»

Meyeli hatte schon lange geschlottert, und Anne Bäbis Worte waren ihm durchs Herz gegangen wie die alten Schweizerspieße ehedem den Landsknechten und andern Östreichern. Da rührte sich auch der Satan in seinem Herzen und legte ihm die Worte auf die Zunge: «DsWirts Tochter het mr ihri gä gha», und schon waren sie auf der Zungenspitze, als es Meyeli war, es gebe ihm jemand eine tüchtige Ohrfeige und nehme die Worte ihm ab der Zunge. Es wandte sich um, nahm mit schwerem Herzen die Ketteli aus seinem Bündelchen und legte schweigend der Mutter sie dar.

«Aber nei, aber nei, u wettigi, u wettigi!» rief Anne Bäbi, «selligi sy im ganze Dorf nit; emel füfzehe Krone hey si kostet, u myni werde nit meh als sechse kostet ha, u bin ih doch e Buretochter gsi, u wie wird ech no das Dolder Mönsch, wo alles het müsse chaufe, bschisse u zwüsche use gno ha, daß me möcht Plätze ab pläre! U dr Mutter vrtrauet me selligs nit a, aber ihr werdet zum vorus gwüßt ha, daß si ech selligs Tüfelwerch nit is Hus ließ, e sellige Kittel u es selligs Gloschli u e selligi Scheube u de gar no selligi Ketteli, wo me ja e Stier dran könnt zMärit führe. U de selligi Hüdeli drzu», fuhr Anne Bäbi fort, welches sich während seiner Rede zu Meyelis Bündeli gewandt hatte, «gschauit, luegit doch, wettigi Hemmeli u was für Strümpf! He nu so de, mira, es cha jetz kehrum mache; ei Tag chas probiere, wies i de Hudle isch, u ei Tag, wies an ere Ratsherretochter isch; so öppis het me doch üser Lebtig nit erhört. Sy das dyner Sache all?» «Jo wäger, Mutter», sagte Meyeli, «dr Götti het mr nüt la mache, sit ih vom Herre cho bi.»

«Säg doch eme sellige Uflat nit Götti!» antwortete Anne Bäbi, «ih wotts nit ha, ghörst? Er wird o über di z'chlage gha ha, junge Meitscheni sy hürmehi nüt meh wert; aber we d scho ds wüstist Trüch gsi wärist, so hätt er di doch nit sölle la gah sövli vrhudlet u nütwertig. E sellige Uflat hey mr doch notti keine i üser Vrwandtschaft, Gottlob!» «Ja, Mutter, u we d wüßtisch, was er mir fürgha het, und wien er mi mit dem Bese vom Hus furtgjagt het! Hudellüt, het er gseit, syge mr», sagte Jakobli. «Es ist dr recht gscheh», sagte Anne Bäbi, «u wenn er di ume no wyter gjagt hätt, warum gheyst unger es selligs Dach? Aber Hudellüt sy mr doch de gottlob nit, u vom e sellige söll me si de nit so la säge, Bub, ghörst?» «Ebe», sagte Jakobli, «han ih du denkt, dä söll gseh, ob mr de Hudellüt syge oder nit, un ha ds Wirts Tochter gseit, uf es paar Neutaler uf oder nider kömms de nit a, und Meyeli het nit welle, für e Tusig nit; aber es het du emel müsse sy, u dZyt isch z'kurz gsi, für no angeri Kleider la z'mache, mi hätt süst dra gsinnet gha.»

«Dra gsinnet gha», sagte Anne Bäbi, bedeutend besänftigt, «dra gsinnet gha, jawolle, wer het selligs welle sinne, selligs chunnt öppe geng a mi. Aber mi wirds de öppe einist erfahre, wo dr Vrstang hercho ist, wenn er nit meh da isch un ih o nit. U was soll me jetz mache, mi darfs vor ke frömde Mönsch la, u Arbeitslüt, Schnyder u Nähyere u dere Züg darf me nit emal bschicke, si vrbrüllete is ds Land uf u ds Land ab, wie mr es Sühniswyb heyge, keis Bettlermeitli chömm schlechter daher, u gmachti Sache fingt me öppe niene z'kaufe weder öppe a Steigerige, un ih weiß vo ker sellige, u my Sach schickti si dir nüt, am ene sellige Mägerlig, am ene sellige Meyerysli.»

Das sei ihm dr größte Chummer gsi, sagte Meyeli; es hätte scho vo Afang dra denkt, und es heygs duecht, wes ume mit Jakoblis Mutter z'rede cho chönnt, aber dr Götti hätts nit la gah, u cho hätts nit dörfe. «Hets di duecht», fragte Anne Bäbi, «hets di notti duecht?» Aber we me ihm Rustig füregä wett, so ds Nötigist wett probiere z mache, daß me si de öppe vor de Handwerkslüte nüt z'schüche bruchti! Sy Mutter syg e Nähyere gsi, un es heyg ere gar viel müsse helfe, ehe sie gstorbe syg, un si heyg ihm öppe alles zeigt, was nötig gsi syg. «So, e Nähyere isch si gsi, he nu so de, ebeso mähr! Mir hey im Mooshüsli o Huslüt gha, u drei Wyber hingerenangere hey mr gha, wo Nähyere gsi sy bi ihrer ledige Zyt, u das sy die nütnutzigste Wyber gsy, wo uf em Bode glüffe sy. Wo si ledig gsy sy, het öppe üse Herrgott nit hoffärtigere gseh, u wo sie Wyber gsy sy, sy si vo dene strübste gsi, wo me het welle gseh, mi het längs Stück nit chönne wüsse, was hingefer, was vorfer isch, gäb wie me glueget het. Es sy aber o all drei Husmanne ds Hudels gange, u Gmein cha dKing erhalte. Also e Nähyere isch dy Mutter gsi, u du bist o dere Züg?»

Meyeli verwerchete seine Tränen, so gut es konnte, und erzählte, wie seine Mutter eine exakte Frau gewesen früh und spät, wie sie die Kinder zu allem gehalten, weil sie nicht wüßten, wozu es ihnen gut käme, und je früher man etwas könne, desto weniger brauche man später zu lernen; aber wie Unglück und Krankheit über ihnen gewesen und beide Eltern ins Grab gedrückt, wie sein Nähen ihm bei dem Götti kommod gewesen, und nicht für ihns, sondern für dessen Kinder, denen er nichts hatte machen lassen. Aber deswegen hätte es nichtsdestoweniger draußen gemacht und im Hause; aber zwischenhinein gehe viel, wenn man die Zeit zu ehren wisse.

«He ja, ja» sagte Anne Bäbi, «was me nit gseh het, muß me glaube, un ih wott nit säge, daß de lügist; aber uf dem Desumehöckle u Nähyerle u Lismerle han ih nüt, u no anger Lüt hey o nüt druff, u wenn hützutag eini ful isch u dSunne nit ma erlyde, su gratet si zun ere Nähyere. Aber we d öppis chast u di nit ume drfür usgist, wies hützutag dr Bruch isch, wo jede Schnuderbub alles cha will, hexe u ds angere o, su ischs mr graglych, we d dr ds Nötigist machst, daß d öppe o eyere glychist, die us eme Burehus chunnt, wo me öppe ds Tuch selber het u nit en iedere Fetze hinger em Zun füregrüblet oder vom ene Hudilumper ytuschet. Chumm, ih will dr füregä, aber ghörst, es Nähyerli bigehre ih de nit ds ganz Jahr im Hus, un ufs Abhaue achte ih mi de, u ds Verschleipfe isch de notti i üsem Hus nit dr Bruuch gsi; wer Geld mangelt, cha ds Mul uftu; wenn er e Bitz Brot ychela will, su muß er o.»

Anne Bäbi holte die Spycherschlüssel und sagte zu Meyeli: «Chast cho!» «Wie dr bifehlit, Mutter», sagte Meyeli, «sust cha ih ume hie blybe.» «Cha ih ume hie blybe», sagte Anne Bäbi, «we di heiße cho! Meinst de, ih well alles eleyni übere schleipfe?»

Der Spycher ist die große Schatzkammer in einem Bauernhause; derowegen steht er meist etwas abgesondert vom Hause, damit, wenn dieses in Brand aufgehe, jener noch zu retten sei, und wenn das Haus angeht, so schreit der Bauer: «Rettit den Spycher, su macht ds angere nit sövli.» Er enthält nicht bloß Korn, Fleisch, Schnitze, Kleider, Geld, Vorräte an Tuch und Garn, sondern selbst Schriften und Kleinodien; er möchte fast das Herz eines Bauernwesens zu nennen sein. Darum, wenn Diebe Beute machen wollen, so brechen sie in den Spycher, nicht ins Haus; darum ist der Spycher wohl verwahret, gewöhnlich aus sogenannten Helbligen (halben Tonnen) gebaut und mit starken und kunstvollen Schlössern wohl versehen.

Wie der König in seine Schatzkammer das Volk nicht läßt, sondern nur den Schatzmeister, und bei guter Laune guten Freunden die Schätze zeigt, aber selten alle, so geht in den Spycher nur der Bauer und als Schatzmeisterin die Bäurin, und diese ist es dann auch, die jeweilen bei besonderer Laune einer nahen Verwandtin oder Schwester die Schätze zeigt, aber ebenfalls selten alle. Doch wird weder Schwester noch Verwandtin je den Wunsch äußern, in den Spycher geführt zu werden; je neugieriger man ist, desto mehr verbirgt man die Neugierde. Man weiß es aus dem eigenen Herzen, daß, sobald man Neugierde sichtbar werden sieht, Mißtrauen entsteht und sorgfältig verborgen wird, was die Neugierde wissen oder sehen möchte.

Anne Bäbi hatte wenige Menschen noch in den Spycher geführt, aber gar sehr sich gefreut, die Zyberlibüri und ihre Tochter in denselben zu führen, wenn sie zu ihnen zDorf kämen. «Die werde luege», sagte es oft zu sich, «was säge si ächt o?» Daß diese Freude ihm verdorben ward durch Jakoblis eigenmächtige Liebe, war eine bedeutende Mitursache, daß es so hartnäckig auf seinem Willen bestand und so wüst gegen Jakoblis Liebe tat. Es ist viel zu wetten, daß, wenn die Zyberlibüri in ihrem Stolze die Schätze nicht gerühmt, sie geringschätzig angesehen hätte, Anne Bäbi selbst böse geworden und ihnen den Bündel vor die Türe geworfen hätte.

Darum war Anne Bäbi so bereitwillig, das neue Sühniswyb mit in den Spycher zu nehmen. Eine Freude, die man sich ausgedacht, steckt einem gar lange im Kopfe, und wenn sie einem vereitelt worden ist, so erfaßt man umso begieriger die erste beste Gelegenheit, sich dieselbe zu verschaffen. Darum aber war Meyeli auch so bescheiden und gab nicht der ersten Einladung Folge, sondern erwartete die zweite, damit die Mutter nicht meine, es sei so gwunderig, daß es nicht warten möge, bis es wisse, was im Spycher sei.

Stolz schritt Anne Bäbi voran und trat mit Majestät in seine heiligen Hallen, Meyeli aber kam demütig nach und schritt fast mit ehrfurchtsvollem Schauer wie in ein dunkles Heiligtum über die bedeutsame Schwelle. Es war noch nie in einem Spycher gewesen, der Götti hatte keinen gehabt und sie noch viel weniger. Was brauchen Hausleute, die keine Schätze haben, einen Spycher! Aber viele hatte es von außen gesehen, hatte viel davon gehört und manchmal gewünscht, wenn es doch nur einmal so in einen sehen könnte nur von weitem, und jetzt ward sein Wunsch erfüllt, und noch dazu trat es in einen, der einmal ihm eigen sein sollte.

Anfangs sah es fast öde aus im halbdunkeln Räume; einige Kleider hingen an Stangen, und Korn lag in Kästen; aber wie die Hexe von Endor Tote aus Gräbern, ließ Anne Bäbi steigen Schätze aus Kisten und Kästen. Wellen Tuch von allen Sorten, gemachte Sachen, gesponnenes Garn und Gspünnst, daß es Meyeli fast gschmuecht ward und es einen Ausruf um den andern loslassen mußte, um nur Luft zu kriegen, und das Beste von allem, die Strichlisäckli mit dem Klingenden, unter Schnitzen und Spreuer verborgen, die zeigte Anne Bäbi ihm noch nicht. Die Ausrufungen taten Anne Bäbi natürlich wohl, und es dachte bei sich selbst, ds dümmst u ds unmanierligist Mönsch sei das neue Sühniswyb doch nicht, und es wäre noch möglich gewesen, daß Jakobli weit übler hätte fahren können. Indessen ward es in Mitte seiner Schätze nicht weniger stolz und ließ manchen Seitenhieb fallen. Was solches zu tun gebe, wisse der nicht, der seine Sache nur vom Krämer hätte kaufen müssen, sagte es, und das Unglück sei, daß solche Leute, wenn sie Gfellhüng seien und ungsinnet zu solchen Sachen kämen, nicht Sorge dazu tragen könnten und bald mit ihnen fertig seien. Das würde ihm das Herz zerreißen, wenn es das erleben und sehen müßte, wie ein Stück hier aus wandere, das andere dort aus; aber davor wolle es sein, den Schlüssel gebe es nicht ab, bis der Tod ihns strecke, dann könnte man seinethalb mit der Sache machen, was man wolle. Indessen legte es doch vom schönern Tuch zweg für Hemder, schönen Halblein für ein Kuttli, währschafts Scheubenzeug, und unter seinen Kitteln suchte es nicht den schlechtesten aus für dNot, wie es sagte, ein neuer müsse dann doch sein so für die gmeine Sunntige.

In Meyeli stritten wunderbar ein gewisses Behagen, eine kindliche Freude, Anteil an diesem allem zu haben, der Gedanke, einst selbst Besitzerin von diesen Herrlichkeiten zu werden, die es zum ersten Male mit seinen Augen erschaute; diese stritten mit der unverstellten Demut, ein solches Glück unverdient erhalten zu haben und nie abverdienen zu können. Glück und Reichtum scheinen dem Menschen gar zu oft gleichbedeutend. Einem Armen, der aus beängstigenden Nöten in des Wohlstandes Fülle gerät, ist dieser Glaube zu verzeihen, aber Menschen, die in des Wohlstandes Fülle dennoch unter Seufzen und Stöhnen ihren Lebtag am Angstkarren gezogen, beständig ein Genügen gesucht und keines gefunden, ist es nicht zu verzeihen, wenn sie, um ihre Kinder glücklich zu machen, sie an den gleichen Angstkarren spannen zu müssen glauben, außer Geld keine Seligkeit kennen für sie.

Die Demut gewann in Meyeli die Oberhand, und statt sich zu erheben, begann es zu weinen (einem Herrn soll es einst übel geworden sein, als er hörte, wie groß seiner Frau Reichtum sei; so hat ers gesagt) und sagte Anne Bäbi, wenn es gewußt, wie reich sie seien, und was sie alles hätten, es hätte Jakobli nie warten dürfen, sondern wäre geflohen, so weit es seine Füße getragen hätten. «Du Göhl du, was d bist», sagte Anne Bäbi, «jawolle, laufe, so weit einem dFüß träge, wenn man zu einem reichen Manne kommen kann!» Und wunder nehme es ihns nicht, daß sie es so ungern gesehen, fuhr Meyeli fort, sövli es arms Meitschi, wie es sei, mit nicht einmal einem rechten Kleidli auf dem Leibe. Das sei ihm jetzt so schwer, daß es es nicht sattsam erzeigen könne, daß es sein Glück erkenne, und wie man noch gut gegen ihm sei und jetzt sövli schöns Tuch für Hemder und e sellige brave Kittel ihm gebe und hätte doch scho sövli Kosten mit ihm gehabt, es wüß ke Mönsch wieviel. Wie es das alles vergelten solle, wisse es nicht, aber was man ihm auch zumute, keis Brösmeli wells drgege ha.

«Was man dir auch zumutet!» sagte Anne Bäbi. «Zumutet, es wird dir kein Mensch öppe viel zumuten; ih weiß nicht, was du damit meinst, und ob das soll ghaue oder gstoche sy, öppe die wüstesten Leute sind wir doch notti nit. Aber halts nur nicht mit Mädi; wenn du mir mit dem den Kopf zusammensteckst, su lue o, wies dr geyht, ih schryße dr ne bim Donnstig ab. Und dann mit dem Mannevolk, dene Schnürfline, häbs o nit, u mein nit öppe, daß de dene dHäng unger dFüß lege wellist, sust geyhts nit gut, ih cha drs scho säge. Lue ume uf mi, wie ihs mache! Wey si hüst, so wott ih hott; wey si das, so wott ih äys u gibe de bim Tüfel nit nah; so geyhts am beste, u de weiß me doch de o, wer Meister ist, u wer z'bifehle het. Wenn ihs nit so miech, es wüßt ke Christemönsch, ob mir no e Krüzer hätte, u doch seit mr niemere Dankeygist, ds Gunträri, es wär ne recht, wenn ih ne us Weg käm, je eher je lieber. Aber ih wett e Narr sy un e das zGfalle tue; das würd schön gah, wenn ih nimme wär. Öppe einist wirds wohl müsse sy, aber de chast du furtfahre, we d öppis nutz bist us geng schön mit mir hest. Aber chumm jetz, ih muß ga füre. Üses Mannevolch mahnt mi a nüt bas as an e alti Füllimähre, wo Zäng het wie Zunstecke; we die nit e ganze Tag dr Bahre voll het, so überchunnt si es Tags kenist gnue. Wenn ume kene dere Züg wär uf dr Welt! Allbets ischs mr no graglych gsi, aber we my Bub nit wär un ih Herrgott wär, es duechti mi, ih gheyti si all ufern ganze Erdbode i eys Loch u de e brave Stey druf, öppe e siebezentnerige oder meh; sie hätte si de öppe still, die Uflät, wo si sy, die Freßhüng.»

Meyeli zog mit seinen Schätzen ins Haus hinüber, ging gleich handlich an die Arbeit, nahm aber nicht alles auf einmal vor, wie so ein junger Sturm manchmal es pflegt, sondern styf eins nach dem andern. «Bsinn di wohl!» sagte Anne Bäbi, als Meyeli zuerst Halblein zum Kuttli abschnitt, «bsinn di wohl, es Kuttli ist kes Narrewerch, u so dr Halblin so mir nüt dir nüt so la vrtüfle möcht ih doch o nit, lieber wett ih zletzt e Schnyder». «Heyt nit Chummer, Mutter!» sagte Meyeli.

Aber ihm machte es doch selbst Kummer und noch mehr Jakobli, und während Meyeli mit größter Vorsicht schnitt und maß, schlotterte Jakobli dabei und frug sogar mehr als einmal: «Wärs ächt nit äy Weg besser?» und bei jedem Schnitt sagte er: «Gib emel brav zu, e Hang oder zwo; es ist gäng besser, alles syg z'großes as z'chlys.»

Obschon Mädi diesen Morgen nicht fleißig gewesen war und nachmittags ihm ein groß Stück Arbeit blieb, wenn Sami ein Füderchen Rüben heimführen sollte, so kam es doch noch früher als sonst heim und schoß zur Stube hinein wie ein Wespi zu einem Loch hinaus, wenn es endlich eins findet. Der Gwunder hatte ds Mädi heimgetrieben, was Meyeli daheim mache, und was Anne Bäbi diesen Morgen mit ihm angefangen hätte. Es hoffte auf bös Wetter, verplärete Augen und hatte schon seinen Plan sich ausgedacht, wie es Meyeli helfen und gegen Anne Bäbi aufreisen wolle. Es nehmte ihns doch wunder, hatte es gedacht, wenn sie zwei recht zusammenspielten, ob sie dann der alten Surrmummle nicht Meister würden.

Jetzt hörte es niemand zanken in der Küche, sah niemand plären hinter dem Hause, und als es die Türe aufriß, sah es Meyeli hinter vielem Tuche und da dreinhauen mir nichts dir nichts, als obs auf hundert Ellen mehr oder weniger nicht ankäme. Es schoß alsobald wieder hinaus. Zur Küche hinein kam eben Anne Bäbi und machte eine fast lächerliche Miene und sagte zu Mädi: «Bisch scho hey?» «Warum sollte ich nicht heim sein?» sagte Mädi, «es macht mir meine Sache daheim niemand. Aber dir wärs vielleicht nützer, du wärest drinne, wenn du noch öppe Tuch, das nicht verschnäflet ist, behalten willst. Nit e Handbreit groß bleibt übrig, wenn das noch eine halbe Stunde so geht. U wo me üserein nit e halb Ell gönnt hätt, chunnts jetz uf es ganzes Stück nit a, mit Schyn.» «Ghäb di de», sagte Anne Bäbi, «wes us dym Tuch geyht; es duecht mi, für mys Tuch könntest du mir den Kummer überlassen und einstweilen deine Sachen machen, deretwegen du sövli früh heimgekommen bist.»

Daß es nichts recht machen, nichts recht reden könne, das hätte es schon lange gewußt, sagte Mädi; aber daß es ein Faulhung sei, den man seine Sachen müsse machen heißen, das hätte ihm noch niemand gesagt. Öppe gnue gwerchet hätte es allen Leuten, wo es hingekommen sei, und dFulheit hätte ihm noch kein Mönsch vorgehalten. Aber es sehe wohl, je reicher die Leute würden, desto wüster Hüng würden sie, und sie dächten nicht mehr daran, wo alles hergekommen, und wer ihnen dazu geholfen habe. Es geschehe ihm aber recht, die Leute hätten ihm schon lange gesagt, es werde ihm so gehen, aber es hätte es niemere geglaubt, sövli e dumme Hung sei es gewesen. Aber es mache nichts, sage doch unser Heiland: «Selig seid ihr, die ihr um der Gerechtigkeit willen verfolgt werdet!» für die Angere werde de wohl no öppe e Tüfel sy. Gäb wie Anne Bäbi sagte, es solle schweigen, es hätte ihm nicht gesagt, daß es faul sei, es hörte das Eine nicht, und das Andere faßte es beim Schwanz und verdrehte es, daß jedes Wort Öl ins Feuer ward. Es sehe wohl, sagte es, warum man es ihm so mache; es sei jetzt überflüssig, und man wolle ihm den Verstand machen, zu gehen, jetzt, wo der Winter vor der Türe sei und alle guten Plätzg besetzt. Aber das mache nichts, es könne Spinnerin sein, oder vielleicht gebe es noch öppe am e angere Ort e arme Bub, der gute Abwart mangle; dr Herrgott werde scho für ihns sorgen, heiße es doch, er gebe auch den Lilien auf dem Felde zu essen. O Jere, dem Werteli (Schoßkind) da inne könne es schon Platz machen, aber Anne Bäbi könne dann sehen, wer dSach mach.

So kifelte Mädi, daß es Meyeli drin ganz angst wurde, aber Jakobli sprach ihm Mut zu, bat ihns, es sollte nichts dreinreden, es werd schon guten, das gehe zuweilen so; aber wenn man sich nicht hineinmische, so sei die Sache gewöhnlich bald vorbei. Diesmal ging es aber länger. Mädi vertubelte das Essen und ging ungegessen wieder auf das Feld, und am Abend redete es nichts, aß aber wieder, machte dazu jedoch ein Gesicht, daß man nicht recht wußte, war es ein Entlebucher Morgenstern oder ein Kübel voll Bschütti, und was es für fürchterliche Vorsätze und Anschläge in seinem Busen wälzte, war ein Geheimnis; aber einmal sagte es halblaut zur Katze: «Du arms Tierchen du, es schätzt dich auch niemand mehr, mir heys glych; wey mr zäme gah? U wenn ih wüßt, daß Sami mr nicht nachliefe oder sich gar hintersinnete, bim Dolder, noch heute müßte es sein.»

Es ist kein Ding auf der Welt, welches nicht zu etwas gut ist, so sagt ein altes Sprüchwort, und richtig gefaßt hat das alte Sprüchwort echt.

Meyelis Hüdeli zwangen es zu einer Beschäftigung, wo es durch die Sache selbst weder Anne Bäbi noch Mädi ins Handwerk griff oder handlangern mußte; es nahm einen ganz neuen Platz ein, wo es niemand in den Weg kam, es mußte sich nicht in die Haushaltung einzwängen wie ein Keil in hartes Holz.

Das war nämlich eine von denen Haushaltungen, in denen weder ein Stich genäht noch ein Latsch gelismet wurde. Gabs irgendwo ein Loch, so trug man es, bis der Schneider kam, und der kam zweimal im Jahr ordinäri und plätzete dann alles von den Strümpfen weg bis zu den Zwilchhandschuhen, und dann mußte alles halten, bis er wiederkam. Es war wohl auch ein Fadenkörbchen auf der Bank, aber das brauchte niemand als Hansli, wenn er einen neuen Lulli an einen Pfeifenspitz, den er mit dem zahnlosen Mund nicht mehr recht halten konnte, machen wollte, oder Sami, wenn er sich gehauen hatte und mit bloßem Faden, über den er dann Wagensalbe strich, die Wunde verband. Anne Bäbi und Mädi sagten oft, öppis z'schnurpfe wär manchmal kommod, sie hätten nichts darwider, aber das Dolders Fädmen sei ihnen im Weg. Es gebe neue keiner Nadle meh wie allbets; allbets heyg me son e Fade düregha wie gwünscht, u jetz well kene meh düre, bald syg dr Fade z'grob, bald das Loch zu klein.

Gespannt sah man dem ersten Produkt der neuen Hauskunst entgegen; Jakobli zitterte, und Mädi sagte, es nehme es auch wunder, das werde öppe e Luzernerkutte gä, die me kem Posterli (Vogelscheuche) alege dörf. Die Kutte aber stand gut; Hansli sagte, er hätte es nicht glaubt, Jakobli lächelte, und Anne Bäbi meinte, kommod wärs doch, we me neuis vrstand, nit ume vom Nähyen, sondern auch vom Schnitt, u bsungerbar fädme chönn es, das gang ihm wie ghexet, und es brauch dafür ume nit aparti a dHeiteri z'stah u dFenster ufztue.

Mädi muckelte, das sei keine Kunst, wenn es es gelernt hätte, es könnte es auch und noch viel vrflüchter; aber wenn man ihm schon tausend Pfund geben wollte, es sollte so ein Nähyerli sy, es sieg: «Ih schyße druf». Damit aber, da ihm der erste Schuß hintenausgegangen war, lud es einen zweiten. Es stichelte, wo es anzubringen war, über die Untauglichkeit der Näherinnen in einer Haushaltung, wie sie nichts könnten, nichts erleiden, und wenn nur einmal ungsinnet der Bysluft gang, gäb wie leicht, so nehme er so einer Näherin die Haut weg und manchmal noch das Fleisch, wenn nämlich noch da sei. Anne Bäbi war dies kein ärgerlich Kapitel, es hatte die, welche nicht werchen, das heißt mit einem groben Werkzeug dreinschlagen konnten, selbst auf dr Mugge und wußte gar manche Geschichte zu erzählen, wie es dieser Näherin ergangen oder jener. Es hatte kein Arg dabei, aber es tat Meyeli doch weh. Es nähte daher Tag und Nacht darauf los, nähte, um nur das Nötigste fertig zu machen und zeigen zu können, daß es etwas anders auch konnte als Fädmen und Nähen. Anne Bäbi sagte manchmal, für son es Jungs sei es bsungerbar es Flyßiges u heyg si zur Sach. Dann sagte Mädi, das duech ihns nicht anders für sones Arms, wie es gewesen sei; es werds so haben machen müssen, wenn es nicht hätte wollen Hungers sterben.

Unterdessen, während Meyeli das Nötigste für sich gemacht hatte, so daß es recht anständig daherkam, war alles hineingewerchet worden, und eines Montagmorgens sollte das Dreschen beginnen. Meyeli, dem Mädis Reden tief ins Herz gegangen waren, stellte sich am Morgen ungeheißen im Tenn, löste die Bänder an den Garben auf und verspreitete das Korn, als ob es sein Lebtag nichts anderes gemacht hätte. Als Hansli dazukam, fragte er, was das heißen solle. Es solle wieder an seine Arbeit, sie hätten es bis dahin ohne ihns machen müssen; er wüßte nicht, warum es jetzt helfen sollte, und wenn man so schnell mit Dreschen fertig würde, was dann das Mannevolk machen sollte den ganzen Winter lang? Aber Meyeli dröschete den ganzen Tag munter und wacker, hielt nieder und stellte den Flegel, daß Mädi ganz schalus wurde; aber Hansli sagte, es sei ein recht kurzweilig Dreschen dä Weg, der Tag sei ihm umegange wie gsunge; das war auch nicht zu verwundern.

Hansli Jowägers Haus war eins von den sehr vielen, wo es ist, als ob immer die gleiche trübe Wolke auf ihnen sich lagere, die Sonne nie recht durchscheinen möge. Sie hatten von allem mehr als genug, hatten keinen eigentlichen Streit, nicht Unfrieden, kein Laster, und doch fehlte das rechte Lebensglück, fehlte fröhliche Heiterkeit, liebliche Freundlichkeit.

Das Weibervolk war reizbar und voll Kifel, das Mannevolk schweigsam und nahm das Weibervolk kaltblütig; daher ward wenig gelacht, alles ging seinen Trab, über Tisch ward wenig gesprochen, und wenn es nur nicht donnerte und blitzte, so war man froh und mißte nichts, denn man war es so gewohnt, nahm Sauersehen für Freundlichkeit.

Nun war es, als ob in dem Maße, als Meyeli erwarmete, die trübe Wolke über dem Hause dünner würde; einzelne Sonnenstrahlen brachen sich Bahn und verkündeten, daß die Sonne da sei.

Das Wort erwarmen steht nicht umsonst da, es ist ein gar prächtig, herrlich Wort. Wärme ist Leben, Kälte ist Tod. Wenn es kalt uns umweht, wenn dünn der Wind durch dünne Höschen fährt, durch durchsichtige Kitteli, da läuft nicht nur kalt unsere Haut an, schrumpft das Fleisch zusammen, klappert das Gebein, es zieht sich auch das Herz zusammen, es sinkt der Mut zusammen, es wird trübe über unserer Seele.

Wie aber laue Winde wieder um uns spielen, warm die Sonne über uns scheint, eine warme Stube uns empfängt, dann beginnt es zu rieseln wie neues Leben über unseres Leibes Oberfläche; wohl wird es uns, als ob nach und nach starre Bande sich lösten, als ob auftaue über uns eine harte Eisdecke, es wird uns, wie es dem Veilchen wird, über dem der Schnee schmilzt, und das noch während dem Schmelzen freudig duftet und blühet. Und es taut nicht nur der Leib auf, sondern auch das Herz, das gebunden; in wonniger Behaglichkeit dehnen sich unsere Glieder, und in dem Maße, als wir erwarmen, öffnen sich auch die Türen und Riegel, hinter welchen unserer Seele Wesen und ihre Gedanken verborgen liegen, und frei und fröhlich drängen sie sich zutag wie eine muntere Quelle aus duftigem Waldesdunkel. Es wird uns wohl an Leib und Seele, munter fließt das Blut in den Adern, wohlige Empfindungen füllen das Herz, heitere Gedanken strömt auf fröhliche Weise die Seele aus oder versinkt in ein stilles, süßes Behagen, wo es einem wird, als wäre das Leben eine Ankenschnitte, über und über Honig darauf fingersdick. Das heißt Erwarmen.

(Ein alter herumziehender Soldat und Schnapsbruder aus dem Luzernbiet sagte einmal, allemal wenn er in den Kanton Bern komme, so sei es ihm, als käme er in eine warme Stube.)

Nun gibt es Lebenszustände, wo es einem beständig ist, als hätte man zu dünne Kleider an, als fahre einem der Wind über die Haut, als friere man. Es ist einem unwohl, man weiß nicht was einem fehlt, aber in unserm Innern wird es starr, und Mißmut lagert sich über unser Gesicht; und Häuser gibt es, wo es ist, als wäre da nie ein warmer Ofen, in denen die ächte, trauliche Behaglichkeit nie gesehen wird, keine fröhliche Freundlichkeit aufblüht weder Sommers noch Winters.

Meyeli war in einem so fröstelnden Lebenszustande gewesen, hatte die liederlichsten Kleider getragen im strübsten Wetter, und wenn es einmal auf den Ofen sich setzte, so hieß es, man hätte doch geglaubt, es hätte mehr Verstand als so, den kleinen Kindern den Platz zu verschlagen auf dem Ofen, die hätten die Wärme nötiger als es, die könnten noch nicht werchen, wenn es etwas nutz wäre, so könnte es sich erwärmen ohne Ofen. Und zu dieser Kälte kam des Göttis unheimeliges Wesen, dem alles nicht recht war, in welchem der Teufel sein Spiel trieb, während er Gott zu Ehren die Augen verdrehte, der im Gegensatz mit Gott, der niemand etwas vorrucket, dem Meyeli jeden Tag Wohltaten vorruckte und das Gotteswillenbrot und dabei sich nicht einfallen ließ, wie er sich damit gegen seinen Heiland, den er immer sein nannte, verging, der da saget, daß man die Linke nicht wissen lassen solle, was die Rechte tut. Aber der hatte es auch wie Mancher, der brauchte von der christlichen Religion nur die Namen; die Lehren machte er selbst, und für sich machte er sie so und für die Andern ganz anders. Meyeli hatte bei ihnen keinen Lohn und keine Kleider und durfte weder das eine fordern noch das andere, noch durfte es beides an einem andern Orte suchen, wenn es nicht wollte, daß der Götti den Fluch der Undankbarkeit ihm nachsende und es verbrülle bei Gott und Menschen, so weit es kommen möge; so war das arme Kind böse dran, wie es vielleicht Wenige erfahren.

Aber wie es Quellen gibt, welche nie gefrieren, wie streng auch die Kälte werden mag, die immer reich, offen und flüssig bleiben, wenn auch ringsum zu Eis alles wird, so war auch Meyelis Gemüt nicht zu erstarren; eine innere Wärme trotzte der äußern Kälte, unter dem Gletscher hervor, der von allen Seiten über ihm sich zusammendrängte, drängte sich fort und fort heiteres Grün, blühten duftende Blumen empor.

Die Welt redet oft von fröhlichen, leichtsinnigen, liederlichen Häuten, die immer hellaufseien, immer zu lachen machten, nennt sie Hauderidau, Lachbenze, Hurlibusse, redet recht verächtlich von ihnen. O wie unrecht tut die Welt! Die Erde ist ein vergänglich Wesen und noch dazu ein unvernünftiges, und doch hat sie nicht nur einen Frühling, wo alles jauchzt, alles lacht, sondern ist ein Frühling vorbei, so kömmt nach wenig Tagen ein anderer, und ist er hier vertrieben, so sproßt er in einer andern Weltgegend wieder auf. Und der ewige Mensch sollte hier nur einen Frühling haben und mancher gar keinen, sollte nur wenige Tage lachen und jauchzen und viele gar nie? Sollte eben nicht in ihm, dem Ewigen, ein ewiger Frühling sein voll Heiterkeit und Freude und Früchte dabei und Gottes Segen allenthalben trotz allen irdischen Stürmen, allen menschlichen Zuständen; sollte das Ewige im Menschenherzen nicht emporragen, sichtbarlich trotzend dem Wechsel der Zeit, den Wettern der Erde?

Was dem Verständigsten so oft nicht gelingt, das vermochte Meyelis kindliches Gemüte: es hatte das göttliche Lachen und Weinen noch beisammen, und wie die Tränen ihm auch rannen, weil die Vorwürfe der Undankbarkeit sein Herz ihm zusammenquetschten, sein Fleiß Faulheit genannt wurde, im Umsehen lachte es mit einem Kinde, das freundlich ihm entgegen sprang, brachte mit der herzlichsten Freundlichkeit dem Götti ein zufällig gefundenes Nest voll Eier, welche die Hühner verlegt hatten. Weinen und Lachen lagen friedlich nebeneinander in seinem Herzen, zwei Schwestern, die sich liebten, ablösten, eine der andern unentbehrlich war; aber Groll und Gram, die das Lachen verzehren und das Weinen auftrocknen, die kannte es nicht.

Aus diesen Lebenszuständen und mit diesem Herzen kam es in das neue Haus, wo sonst die Sonne auch nicht schien, wo es aber doch ganz anders war als im frühern Hause. Gift war da keines, weder geistliches noch weltliches, war weder Knickerei noch Heuchelei, und schon anfänglich trat Meyeli wie ein heller Schein ins Haus hinein, und wenn es auch unterm Weibervolk knurrte und brummte, es war mehr das Schnurren der Katze, der man den Balg streicht, als ihr Rauen, wenn man ihr auf den Schwanz tritt; unterm Mannevolk dagegen war ein Wohlbehagen, dessen der wüsteste Knüder sich nicht erwehren kann, wenn ein lieblich Weibsbild in seine Nähe kömmt und gar noch sich freundlich umtut.

Seit Meyeli da war, bartete Sami alle Sonntage statt über den andern; es fange ihn neue an gar zu beißen, wenn er länger als acht Tage alt sei, sagte er; er verwunderte sich gar, warum er ihn erst jetzt zu beißen anfange und früher ihn nicht gebissen hatte; bei allem Nachdenken ergründete er den Grund davon nicht, und als Mädi ihm sagte: «Du alte Möff, wottsch o no dr Göhl mache und di öppe gar no hinger die Jungi la?» sagte Sami: «Du bist geng ds glich Laschi, emel hinger di mach ih mi nit, häb nit Kummer!«

Aber auch Meyeli blieb nicht das gleiche, es begann zu erwarmen jeden Tag mehr. In den warmen, währschaften Kleidern war ihm unglaublich wohl. Oh, erst jetzt begriff es den Unterschied zwischen einem halbleinenen Kuttli, selbst gefüttert, und einem Kuttli von Aargauerzeug und Schneiderfütteri. Es hatte ein herrlich Bett, niemand jagte es vom Essen, auf dem Ofen konnte es sitzen Sonntag und Werktag, so oft es wollte. Es enstand das Gefühl in ihm, daß es da nicht nur entlehnt sei, sondern von Gott und Rechts wegen hier daheim. Aber es sah auch, daß es ihm unendlich besser ging als es anfangs fürchtete, daß die Sternschnuppe seinen Wunsch zu Gott getragen und vom gütigen Vater derselbe gewährt worden sei. Es fühlte, daß es jemand lieb war, jemand angehöre, und nicht nur Jakobli, sondern auch Hansli; es sah, daß auch mit Anne Bäbi auszukommen sei und hundertmal leichter als mit dem Götti, daß es niemand absichtlich quäle als vielleicht noch hie und da Mädi, aber Mädi hatte hier eben nicht zu bedeuten, was der Götti dort. Es kam ihns ein Wohlsein an, daß es ihns manchmal dünkte, es möchte zämefüßlige in den Himmel gumpen, und dann zuweilen eine Wehmut, eine Angst, es könne nicht so bleiben, es sei viel zu wohl, daß es weinen mußte, man hätte die Hände waschen können in seinen Tränen.

Dieses Wohlsein schlug bei ihm aber nicht in Hochmut um und in Anmaßung, die immer mehr begehrt, je mehr sie hat und nicht genug an die Sache tun kann, sondern Meyeli war in seinem Wohlsein so von Herzen lustig und fröhlich und demütig, daß es ihns dünkte, es müsse allen die Hände unter die Füße legen. Es ging kein Tag vorüber, daß es sie nicht einmal zu lachen machte, was sonst im Jahr kaum dreimal sich ereignet hatte. «Dä Göhl!» sagte dann Anne Bäbi. «Oh, mi weiß nicht, wie dumm me isch, we me jung isch, aber es wird dir scho angers no cho, wart ume!» aber lachen tat es doch, ja es lächerte ihns manchmal, wenn es Meyeli nur ansah.

Mädi sagte, es nehme ihns nicht wunder, daß es so jungs scho e Ma übercho heyg; wenn es so dr Löhl hätt welle mache, es hätt mängs hundert welle übercho, aber es hätt si gschämt; aber auch es lachete und ließ sich zu Meyeli, suchte es gegen Anne Bäbi zu gewinnen.

Aber Meyeli machte nicht Partei, tat jedem, was es ihm an den Augen absehen konnte, plätzete Sami die Zwilchhäntsche und Mädi seine Fürfüße. Man sehe wohl, sagte dieses zum Dank, daß das der Schneider nicht gemacht habe, der mache es anders bravs, es werde öppe nit lang ha, brachte aber dennoch trotz seines Zweifels böse Hemder zum Plätzen, und Meyeli plätzete unverdrossen daran, wenn die andern schon längst Feierabend hatten, und gäb wie Anne Bäbi sagte, nit besser als Mädi es mit ihm meine, wollte es mit seiner Sache sich nicht sövli plage.


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