Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

Vom Rumor in einem Pfarrhause, und wie ein Mädchen einem Vikar predigt

Der Sturm war vorüber, die Sonne schien wieder, der Schnee lag hoch und fest, und mit gewaltigen weißen Perücken waren die Bäume bedeckt, die weiße Winterkappe hatten sie sich über die Ohren gezogen und bis tief in die Augen hinein. Noch war nicht allenthalben Bahn, hier und da sah man nur einzelne Tritte; die Menschen hoben daher die Füße, wie der Storch es tut, wenn er auf dem Großen Moos spaziert, oder ein Ratsherr, wenn er zum ersten Male aufs Rathaus geht. Meyeli konnte nicht den Fußweg ab, dort war noch niemand gegangen, es mußte durchs Dorf, und als die Leute es gegen das Pfarrhaus gehen sahen ohne Säckli, ohne Körbli, worin eine Zupfe oder Metzgete verborgen sein konnte, nahm es sie grusam wunder, was es wolle. So zur Unzeit, für nüt und wieder nüt werd es gwüß nicht scho am Morge so zytlig da sein, und mehr als eine Frau scheute den Schnee nicht zwischen ihrem Haus und dem Nachbarhaus, tunkte kühn ihren Unterteil hinein wie eine Kastanie in gestoßene Nidel und drückte sich zur Nachbarin hin und sagte: «Du, was hets ächt gä bi ds Jowägers? Denk, die Jungi ist scho zum Herr, u dä ist chum uf, u dr Vikari wird no liege.»

Die Gelehrten waren von verschiedener Meinung, die einen meinten, es hätte wieder etwas mit Anne Bäbi gegeben, man werde den Herrn rufen wollen, die andern meinten, die Junge werde Streit gehabt haben und jetzt dem Herrn klagen wollen. Ihre (ihr Mann) sei gestern spät heimgekommen und vielleicht trunkne, u da werds gegangen sein wie etwa an andern Orten auch. Aber wenn man allemal gehen und es dem Herrn klagen wollte, so hätte der kaum Ohrens genug. Aber so gehe es, wenn man mit dem Herrn zu bekannt werde, da meine man, wenn einen eine Laus gebissen, so müsse man hurtig springe unds ga kläfele.

Glücklicherweise traf dicht vor dem Pfarrhause eine Frau auf Meyeli und fragte: «Was bringt dich so früh daher?» Ganz ehrlich sagte es dieser den Grund, und wie diese weiter ging, stand hier eine, dort eine und frug: «Du, was hets gseit, warum geyhts?» Als die Leute hörten warum, da sagten die meisten: «Es wär lätz, wenn dä dahingerblieb, er chönnt mi grusam reue, er ist wohlfel gsi u het dSach doch vrstange, u de ists ihm grusam dra glege gsi. Und er het nit bigehrt, wies mänge angere tut, dLüt desumezzieh, für se um Geld z'bringe; wenn er Rustig gha het, won er gwüßt het, daß si hilft, su het er ne se o gönnt.»

Einige, und darunter namentlich Scherrer Joggis Sohn, der einige alte Guttern mit Träychern von seinem Vater geerbt hatte und daraus noch dokterte «dem Tüfel ebe», sagten, es geschehe ihm recht, warum heyg er welle besser sy as die angere. Aber sie hätten ihn wohl gemerkt, das sei der schlimmst Schelm vo alle gsi. Der hätte getan wie ein Narr, daß die Leute gemeint, er gebe nicht nur die Sache vergeben, sondern noch Geld dazu, und sei nachegfahre, ärger als e hungerigi Katz am ene Schnäfeli Fleisch oder dr Tüfel an ere arme Seel, daß man hätte meinen sollen, wie es ihm daran gelegen sei, ja, als ob er seinem Vater oder seiner Mutter nachfahre, die sich gehängt hätten im nächsten Tannenwald. Wenn er aber die Leute einmal gehabt hätte u dr Ruhm, er syg dr best, su hätt me de chönne luege, was das für e Uflat worde wär, der wüstist Hung vo alle. Es sött allne eso gah, wo afangs nit gnue chönne a dSach tue, u wo meine, si welle besser schyne als die angere. Dr Ätti selig, sagte Scherrer Joggis Sohn, hätte allbets gseit, un er syg e gstudierte Ma gsi, wies se öppe nimme dick gäb, wenn dHeustüffel scho im Heuet gumpe, su gäbs e schlechte Emdet un e frühe Winter, un wenn son e Junge grad wott dr Däche sy obea u tut, as wenns no keyne so gä hätt, su zell me ume druf, dä duret nit lang, entweder geyht er ab, oder er wird zletscht eso uwert, daß ne ke Hung meh a–.

Ins Pfarrhaus brachte Meyelis Nachricht, welche es mit aller Sorgfalt vorbrachte und nicht etwa fragte: «Erschrecket nit, aber ih ha welle cho frage, ob dr nüt vrno heyget, ob dr Dokter gstorbe syg oder nit?» große Aufregung. Der Pfarrer sagte: «Richtig, es geht ihm wie dem Bruder selig, sein Beruf tötet ihn, ich habe das schon lange gesagt, für so heiße Herzen ist er nicht.» Sophie wurde blaß, drehte stumm sich ab erst zum Fenster, und als es das Weh nicht lautlos verwerchen konnte, zur Türe hinaus. Der Mama liefen die Tränen bachweise übers runde Gesicht, aber sie verlor keinen Augenblick ihre ruhige Klarheit. «Papa», sagte sie, «wir wollen sogleich hin, es wird wohl irgendwo ein Roß zu haben sein; wenn schon viel Schnee ist, so kann man den Schlitten nehmen, dr Luft het ghört, und mir chönne is gut ymache. Aber ga luege muß ih, und du kannst ihm de o öppis säge, viellicht lost er dr jetz und bigryft, wie ds meinst. Dä gut Vetter! Käthi wird scho zu ihm luege, es weiß, was me öppe macht, aber us dr Hut wird es ne sust sprenge mit sym Klage, und wie es mit de Lüte umgeyht. Viellicht wärs gut, wenn ih es paar Tag dert blieb, ih chas mit em Käthi gut, und wenn es öpper byn ihm lat, su bin ihs. Uf all Fäll will ih es Päckli mitnäh, öppis Nachtzüg und öppis dürrs Züg. Mir hey gar vortreffli bschnittni dürri Birli, dr Dokter, dä arm Rudi, het se geng so vortreffli gfunde u mengist gseit, öppis Bessers für Krankni als die wüßt er nit.» «Und ds Sophie?» fragte der Pfarrer. «Das», sagte die Mama, «lassen wir daheim. Lue, mr wüsse nit, wie mrs atreffe, und du kennst ds Sophie, es muß geng zeige, wies ihm ist, es cha nit anders, und du weißt, wie dLüt sy und bsunders i dem Nest, wo er ist. Ih bigryfe gar nit, wie er geng dert sy ma. De ist no das, ds Käthi hasset ds Sophie, und sie zanggete gwüß um Rudis Bett, wie sie mängist e Tüfel und e Engel um ene armi Seel zangge sölle. Nit, daß ih drmit säge well, ds einte oder ds andere syg e Tüfel oder syg e Engel.»

So lauteten der Mama alsbaldige Gedanken, welche auch sogleich in Ausführung gebracht wurden. Es wurde nach einem Pferde geschickt, und je nachdem man eins haben konnte, wollte man alsbald verreisen oder früher zu Mittag essen und dann gleich nachher. Papa ging, Sachen auf die Post zu rüsten. Meyeli rühmte noch den Doktor, wie gut er gegen sie gewesen sei, und wie er sich afe hätt möge gmühye, aber von dessen letzten Reden zu Jakobli sagte es nichts. Nachdem es noch den Gruß aufgetragen und gefragt, ob sie wohl dürften fragen lassen, wie es gehe, es nehme sie grusam wunger, nahm es sittigen Abschied. Es wolle die Frau Pfarrerin nicht aufhalten am Zwegmachen, aber wenn sie öppe kein Roß haben könnten, so stehe ihre Mähre zu Diensten, sie sei öppe nit die gleitigst meh, aber dest frömmer.

Auf dem Heimweg stand manche Frau ihm zweg, um nähern Bericht zu vernehmen vo wegem Dokter. Es hatte sich schon mehr als eine Erzählungsweise gebildet. Die Einen wollten haben, Jakobli habe ihn erfroren gefunden, und auf dem Wägeli sei er ihm wieder zweggekommen, während die Andern das Gegenteil behaupteten, er hätte ihn lebendig gefunden, und erst auf dem Wägeli sei er gestorben. Daß der Doktor noch gelebt, als Jakobli ihn verließ, und wöhler als er ihn gefunden, war allen recht, aber Meyelis einfache Erzählung glaubten sie nicht recht. Daß so ein Herr Bauchweh kriege, daß er nicht mehr fürers möge, das hätten sie nie gehört; sie wüßten auch nicht, wie so einer, der Spys heyg, wie er ume well, es auflesen wollte. Das müß öppis angers gsi sy, aber er werds nit ha welle säge oder heygs am Jakobli verbote z'säge, son e Herr syg gar schlimm u wüß geng e Usred, aber es müsse nüt z'mache sy, oder si welle ihm drübercho.

Sobald Meyeli fort war, suchte die gute Mutter ihre Tochter und fand sie in ihrem Stübchen, den Kopf ans Bett gedrückt und bitterlich weinend. «Sophie», sagte die Mama, «nimm dich zusammen, die Sache ist nicht so bös; wäre es schlimmer geworden, so hätten wir sicher schon Bericht erhalten, glaubs!» «Wenns besser worde wär, so hätte er es uns sagen lassen, damit wir nicht erschrecken; denn er hat doch wohl denken können, daß wir vernehmen würden, wie der Jowäger ihn gefunden, und weil er nichts hat sagen lassen, so kann er es nicht, ist vielleicht schon tot, glaubs!» so sagte Sophie.

«Sieh, Kind, das legt jeder aus nach seiner Angst oder seinem Glauben, und ich glaube nicht, daß so ein Kolikanfall gleich töte; dr Vetter hat sonst eine starke Natur und ist dem nicht unterworfen. Aber nimm dich zusammen und los, was ich dir zu sagen habe, wenn ich vielleicht diese Nacht nicht heimkomme. Vielleicht ists em Vetter eine Erliechterung, wenn ich bei ihm bleibe, und wenn Käthi öpper duldet, so duldets mi.» «Aber Mama, ich bleibe nicht daheim, ich will mit, ich stehe es hier nicht aus, und niemand hält mich zurück, ih will gah, ih muß!»

Mit großer Mühe gelang es der Mutter, die Tochter eines Bessern zu brichten, ohne ein Machtwort des Vaters nötig zu haben; denn Sophie nannte Pflicht, wozu das Herz ihns trieb, und wo das Herz im Trieb ist, da hat die Mutter schweren Stand, die Tochter auf die Pflichten des Anstandes und der Klugheit zurückzuführen, ihr begreiflich zu machen, daß es Umstände gebe und Krankheiten, wo eben solche Erscheinungen, wie es beabsichtige, peinlich seien und gefährlich werden könnten. Sie sprach Sophie Mut ein, sagte ihm, so solle man bei einer bloßen Gefahr nicht machen, man könne sich versündigen; wie es sich denn gebärden wollte, wenn das Unglück wirklich eintreten sollte!

Dann gab sie ihm ihre Aufträge: ds Mittag sei rangiert, sagte sie, und für zNacht solle es ein Silleryköchli rüsten, der Papa hätte ihn gar gern, den Nachtrock solle es ihm auf den Ofen legen und dPantoffle vor seinen Fauteuil stellen, und wenn sie nicht heimkomme, so solle es dem Papa das Nachtzeug rüsten, das Nastuch unter das Hauptkissen tun, dieses wohl hinaufziehen, ein Ohrenkissen aus dem Bette tun, das andere schön glatt auf das Hauptkissen legen und die Federn im Volet hinunterschütteln zu der Fußete. Dann solle es den Papa fragen, ob es kommen solle, ihm das Licht zu löschen, und in acht solle es sich nehmen, ob er seine Tabatière auf das Nachttischli gelegt, und wenn sie nicht dort sei, er vergesse sie manchmal, so solle es sie aus dem Rocke nehmen und hinlegen. Jetzt aber solle es hinaufgehen auf den Estrig und ein Körbchen beschnittene Gelbbirli aus dem Schnitztrog nehmen, von den letztjährigen, sie seien besser, linker Hand im dritten Untergschlacht, es wisse wohl. Verirre söll es si nit, nebezuche syge Lederbire, die wäre öppe nit am beste.

Da die Nachricht kam, daß man in einer halben Stunde das Roß haben könne, so entstand ein lange nie erlebter Auflauf und Aufruhr im ruhigen Hause. Mamali mußte dem Papali Kleider füretue und beorderte Sophie ans gleiche Geschäft für sich. Beim Papa ging das geschliffen zu; ob die Auswahl nicht groß war oder der Sinn einig, bleibt dahingestellt, item, was Mamali füretat, zog Papali an sonder Bemerkung, geschweige Widerrede. Bei der Mama gings schon anders. «Diesen Rock willst du doch nicht anziehen, Mama?» sagte Sophie, immer noch die Augen abwischend, die ganz rot waren. «Ich habe ihn hervorgelegt, weil du es befohlen hast, aber es ist es rechts Uflätli, abgschosse u ganz us dr Mode; leg doch dä a, wo dr dr Papa vorfern oder no länger zum Neujahr gä het.» «Aber was denkst, Sophie! Wenn ih es paar Tag dert blybe sött, su müßt ih de no eine mitnäh, dä reuti mi de für all Tag, denk doch, häb o Vrstand!»

«Mama, wenn dr Papa Euch einen neuen Rock schenkt, so sollte er Euch gleich einen zweiten schenken, damit Ihr den ersten sparen könnt, und dFrag wär no, ob Ihr nicht noch einen dritten kauftet, um den zweiten zu sparen.» «Aber Herr Jeses, Sophie, was bringst du mir da für eine Haube, die schönsti, won ih ha, wo de mr zum Namestag gmacht hest! Nei, Sophie, die lege ih nit a, denk doch, unter e Hut u no son es Ding drüber, ih vrgisse geng, wie me ne seit, es wurd die schöne Band ganz vrdrücke. Nei, bring mr die mit de gäle Lätsche, won ih fern a dr Visitaz agha ha, du weißt wohl, die, wo ds Papali gseit het, ih gfall ihm so wohl drin. Aber gang lue gschwind, ob de am Papali nit chönnist dGetere ytue, es dunkt mi, ih ghör ne berze. Ih will drwyle die Hube suche.»

Sie waren noch nicht fertig, so kam schon der Bericht, das Pferd sei zweg; Sophie tribelierte, Mamali zappelte, Papali klagte, das sei ihm doch afange es Gjast, und er haß nüt meh als das, und auf eine Viertelstunde komme es jetzt nicht an, dr Christe chönn ja em Roß no e weneli Ryterkorn gä, wenn key Haber meh syg. Endlich war man fertig. Mäntel, Schlüpf, Bettflasche, Roßhaarfinke, kurz alles, alles bei der Hand; Christe spannete an, da sagte die Frau Pfarrerin: «Sophie, reich doch gschwind das Hammli, wo wir letzthin gekocht haben, es ist noch fast ganz, und ds Käthi ißt für sys Lebe gern Hamme.» «Mama, worein soll ich es tun?» «Wickle du es in einen von den groben Kuchilümpen, dert rechter Hand im Schaft, du weißt.»

Sophie tat wie geheißen, es war angespannt; da, als Sophie mit dem Hammli kam, sagte die Mama: «Es chunnt mr no zSinn, ds Käthi wird nüt zMittag ha für is, und ds Papali wartet nit gern länger als bis am zwölfi. Was meinst, Sophie, wenn mr no die kalte Kotelettes mitnähmte, die wäre doch bald gwärmt, und mir lebte viel besser dra als so am ene Bitzli vrraxetem Bratis, wo Käthi is viellicht ließ reiche.» «Aber Mama, und de mir?» fragte Sophie, «mir hey ja das sölle zMittag ha?» «Mach de öppis, mach, was d witt; es ist no es Rüppeli i dr Beizi, nimm das und Kalbfleisch im Fliegehus, du chönntist einist zur Abwechslung Kalbervögel machen.» «Aber Mama, wory söll ih se tue?» fragte Sophie. «Tue se in es Druckli, da werde si am wenigste vrdrückt; lue, dert ist Papier, und es Druckli findst uf dr Laube, aber nimm eys, wos nüt schad ist, du weißt, Käthi git nüt ume.»

Sophie ging. «Sophie, Sophie!» rief die Mutter nach, «es chunnt mr zSinn, mi chönnt ds Hammli o grad drzu tue und dr Kuchilumpe hie bhalte, er ist vom ene ganze Dotze. Nimm es größeres Druckli, nimm das, wo mr im Herbst Trübel drin übercho hey, es ist nüt schad drum, es ist ganz vrhudlet, und tue ds Hammli unte dry u dKotelettes obedruf u deck de schön mit Papier, lue, es sy dert Zytunge, es ist nüt schad drum.» Sophie machte das alles ohne Widerrede und schlug keine einzige Türe deswegen dest härter zu.

Endlich hatte es sie im Schlitten eingepackt, hatte drunglich angehalten mit Tränen in den Augen, Papa solle früh heimkommen, es verzapple sonst. Christen hatte «Hü!» gesagt, und ein struber Münch war mit dem ungewohnten Schlitten einige Dutzend Schritte in die Kreuz und in die Quer gelaufen, da hieß es: «Christe, häb still!» Christen hielt still; dann hieß es wieder: «Ih ha my Tabatière vergesse, und die sött ih doch ha!» Christen sagte: «Söll ih se ga reiche?» «Nei», sagte die Mama, «häb ds Roß recht, ih will gah.» Sophie, welches stehen geblieben war und ihnen nachgesehen hatte, kam daher gesprungen. «My Tabatière sött ih no ha, si wird im andere Kleid bliebe sy», sagte der Pfarrer. «So geyhts, wenn me so jastet, dest länger chunnt me de nit ab Fleck.» Sophie sprang fort. Wie üblich fuhr der alte Herr fort zu suchen, er heyg doch gmeint, sagte er, er hätte sie zu sich gesteckt, und wie er das sagte, fand er sie richtig im Giletsack. «Wenns ume jetz ds Sophie wüßt», sagte die Mama, «das arm Meitschi sucht si sust no zTod.» «Soll is dr Jumpfere ga säge?» fragte Christen. «Lue, lue», ruft die Frau Pfarrerin, «er geyht hintersi, häb, häb!» Christen zwickte das Roß, das Roß schnellte vorwärts, da riß Christen wieder rückwärts, und nicht mehr richtig ward das Ding. Gäb wie der Pfarrer sagte: «Gang ab, Christen, und häb ds Roß!» Christen blieb sitzen, wollte zeigen, daß er fahren könne; son e Ketzers strube Buremünch müsse nicht meinen, daß er Meister sei, zwickte, und wenn der Münch vorwärts wollte, so riß Christen dest stärker am Leitseil.

«Häb still, Christen, häb still!» schrie die Frau Pfarrerin; aber je mehr sie schrie, dest stärker schriß Christen, und dest strenger ging es dem Dorfbach zu, und wer weiß, wie weit oder wie tiefes gegangen, wenn nicht der Sigrist zu Hülfe gekommen wäre. Der brachte das Roß zur Vernunft und sagte zu Christen: «Zwicke und Schryße geyht neue nit zäme, däych dra!» «Es ist aber auch ein Roß darnach, da macht e jedere, was ne gut duecht», sagte Christen. «Ja, ja, du hest recht», sagte der Sigrist, «a dr nächste Wahlvrsammlig gibe ih dr dStimm für Ratsherr, du hest die rechte Grundsätz u dUsrede grad drzu; wenn menge scho ds einte het, su fehlt ihm doch ds angere.» Der Sigrist war nämlich ein Schalk; so redete er vor dem Pfarrer und besonders vor der Frau, kam er aber zum Statthalter oder gar ins Pintenschenk, da redete er ganz anders.

Unterdessen hätte man Sophie und Tabatière fast vergessen, wenn nicht sie selbst gekommen wäre mit mehreren alten Tabatièren und einem großen bleiernen Hafen. «Papa», sagte sie, «leset selber aus, welche Ihr wollt; die rechte, welche Ihr sonst braucht, habe ich nicht finden können, ich habe Euch alte gebracht und der Hafe zum Fülle, weli Ihr am liebste heyt.» «Dankeigist», sagte der Papa, «ih ha se gfunde.» «Exgüsi, Jumpfere», sagte der Sigrist, «ists erlaubt?» und längte mit gstabeligen Fingern in den Hafen. «Hü, du –» sagte Christen und verschluckte aus Respekt den Rest. «Leb wohl, Kind!» sagte die Mama, «häb gut Sorg, und wenn dKalbervögel machst, su hau se emel nume dünn!»

Sophie war ein starkes, stolzes Mädchen, das nicht leicht sich bloßgab, seine Gefühle in sich zu verwerchen wußte, mit seinen Grundsätzen aber nicht hinter dem Berge hielt; wäre es ein Mann geworden, es hätte was Mannhaftes vorgestellt, jetzt war es das Licht seiner Eltern in ihren alten Tagen, und das ist das Höchste, was ein Kind sein kann. Was Sophie machte zwischen der Abreise der Eltern und dem Mittagessen, das wissen wir nicht, allweg keine Kalbervögel.

Als um zwölf Uhr aufs Läuten der Vikari hinunter kam, war Sophie gefaßt und seine Augen nicht mehr rot. Ganz verwundert sah der Vikari sich mit Sophie alleine, von der Abreise des pfarramtlichen Paares wußte er nichts. Er hatte wohl anfänglich außergewöhnlich viel Türen gehen hören, später eine ungewöhnliche Stille; aber was das zu bedeuten hätte, hatte ihm niemand gesagt, und darnach zu fragen, hielt er unter seiner Würde. Man glaubt es gar nicht, wie gstabelig und gemessen das in einem Pfarrhause zugehen kann, wenn Vikari und Familie sich gegenseitig aufs hohe Roß gesetzt haben, wie wenig Worte da gewechselt werden, wie wenig man von einander Notiz zu nehmen scheint, während man sich jeder Miene achtet, jedes Räusperns, jedes ungewohnten Schrittes, ihn zum Gegenstand ernsthafter Betrachtungen macht, die recht peinlich werden, weil man nie fragen darf, ob man mit seinen Schlüssen und Erklärungen das Rechte getroffen.

Nun geht es im Menschen wie im Wetter, das trocken geworden ist. Es gibt eine Zeit, wo die Trockenheit steiget, und gäb wie es Wolken gibt, für Guggers Gewalt kein Regen fallen will, und wiederum eine andere Zeit, wo es noch trocken ist unten, in höhern Luftschichten der Regen sich bereitet und husch da ist, ehe man es sich versieht, ja meint, erst jetzt wolle es recht trocken werden. Gerade so ists in sogenannten gespannten Verhältnissen. Während der Spannungsstoff im Herzen aufgehäuft ist, wächst die Spannung; man wird alle Tage trockener, redet alle Tage ein Wort weniger, nimmt eine Notiz weniger, und wenn jemand ein Bein brechen sollte, so besinnt man sich, ob man nach dem Falle fragen oder kaltblütig abwarten wolle, ob man ihn erzähle. Aber wie der Zahn der Zeit nichts Zeitliches verschont, so beißt er sich auch in diesen Stoff, verzehrt ihn allmählig, und bei kleinem Anlasse löst sich die Spannung, es gibt einen herzhaften, nahrhaften Streit, auf den gut Wetter folgt, oder einen sanften Regen und noch besseres Wetter darauf. Zuweilen aber erzeugt sich der Spannstoff neu in ungeheurer Masse und hält dann lange vor.

Vor einem halben Jahre hätte der Herr Vikar an den Tisch sich setzen können siebenmal mit Sophie alleine, er hätte nicht gefragt warum. Und Sophie hätte ungefragt ihm die Ursache noch siebenmal weniger angegeben. Nun stand es aber anders als vor einem halben Jahre, die Erklärung, daß Sophie und der Doktor wahrscheinlich zusammenkommen würden, die Gewißheit, daß man ihm Sophie nicht aufdrängen wolle, hatten ihn milder gestimmt, an Gift und Argwohn ihm gezehrt, und ein recht aufrichtiges Bedauern mit Sophie hatte sich in sein Herz geschlichen; mit dem frivolen, rohen Doktor, der für nichts Höheres Sinn hatte, mußte sie steinunglücklich werden, dachte er, mit einem Menschen ohne Religion! Und schade sei es doch um sie, vortreffliche Anlagen hätte sie, dachte er. Was sie lese, scheine sie zu verstehen, ohne Empfindung sei sie nicht, und manchmal komme ihr wirklich etwas in Sinn, das einem noch zu denken gebe, es sei recht kurios.

Freilich habe sie ein böses Maul und sei im hohen Grade spöttisch. Er glaube aber nicht, daß das aus bösem Herzen komme und von wirklich boshafter Richtung, der leidige Doktor werde daran schuld sein, der habe eine satanische Zunge, die ihm der Böse selbst ins Maul gesteckt zu haben scheine. Es sei aber auch kein Wunder, bei den Grundsätzen, welche der Doktor habe, wundere es ihn nur, daß es nicht ärger sei. Wäre einmal das böse Beispiel nicht mehr da, der fatale Doktor überhaupt beseitigt, Jungfer Sophies natürliche Gutmütigkeit würde sich sicher wieder Bahn brechen, und mit ihrer Seele wäre wohl etwas zu machen, sie wäre zu retten, meinte er. Schade, daß kein Vermögen da sei, daß die Leute gelebt hätten wie im Himmel, geholfen allem Lumpenpack und sonst gelebt als wären sie reich, und nicht gedacht, daß man sparen müsse, weil man nie wisse, wie man es brauchen könne. Wäre Vermögen da, so wäre Sophie eine so üble Partie nicht, mit der Haushaltung wisse sie umzugehen, alles gehe ihr flink von der Hand, auch sei sie so übel nicht, alles gesund und frisch, das sei nicht zu verachten, aber ds Vrmöge, ds Vrmöge, das fehle, und so heyg eigetlich alles gfehlt, das syg zletzt doch dHauptsach.

So stund der Thermometer, als er die leeren Plätze erblickte und sich mit Sophie alleine. Warum Herr und Frau fehlen, frug der Vikari. Wo sie hin seien und warum, berichtete Sophie. Sophie war weich im Herzen, hatte Mühe an sich zu halten, die innige Angst zu verbergen. Das gab ihr etwas Weiches, Mildes, an welches der Vikari nicht gewohnt war, ihm war hauptsächlich die schnippische, spöttische Seite zugekehrt gewesen. Nun gab ein Wort das andere, Sophie erzählte, wie der Doktor sich opfere, Jugend, Gesundheit, der Treue in seinem Berufe, und wie ihm nicht zuzusprechen sei, wie er selbst seinem Eifer nicht abbrechen könne, wenn er sich es auch vorgenommen, auch das, was er opfere, in keinem Verhältnisse stehe zu dem, um deswillen er es einsetze. Mache man ihm darüber Vorwürfe, so antworte er, an ihm sei es nicht, zu berechnen, was er tue, den Wert von dem zu ermessen, um weswillen er es tue, dafür habe Gott allein die Waage.

Ja, ja, sagte der Vikari, er hätte nichts darwider, so was man sage, sei der Doktor ein vortrefflicher Mann, desto mehr sei es schade, daß er nicht christlicher sei, sondern ein so frivoles Wesen hätte und so verderbliche Grundsätze und Ansichten. Sophie ward rot, und der Geist des Zornes regte seine Flügel. Ja, sagte sie, das sei wahr, Herr, Herr sagen tue er nicht viel, auch nicht an die Brust schlagen und beten vor den Leuten, aber den Willen des Vaters tue er, und dem wandle er nach, der für andere gestorben sei. Die Leute möchten das Nervenfieber oder die Röteln haben und Weg und Wetter sein, wie sie wollen, er frage nie, könnte ich es auch bekommen, könnte es mir schaden?

Da war am Vikari der Kehr, rot zu werden. «Jumpfer Sophie», sagte er, «ich weiß wohl, was Ihr meint, Ihr hauet mir wieder eins nach altem Brauch, aber Ihr tut mir unrecht. Es ist wahr, ich bin zu niemand gegangen, welche die Rötle oder das Nervenfieber hatten, aber es verlangte mich niemand, und denket, wie leicht ich die Rötle hätte auflesen können, denn ich habe sie noch nicht gehabt, denket!» «Und dann», sagte Sophie, «was wäre das gewesen; es hat schon mancher Mensch sie gehabt, und wenn es anfangs schon rote Punkte im Gesichte gibt, die vergehen bald, sagt man, und man sei nachher nicht weniger hübsch als vorher.» «Um das ists mir nicht, Jumpfer Sophie», sagte der Vikari, «ich bin kein so eitles Ding, wie deren so viele herumlaufen; aber meine Mutter hat mir gesagt: ‹Ludi, schon di, dRötle hest no nit gha, ds Scharlachfieber nit. Überhaupt vor alle asteckete Krankheite hüt di; i üser Familie möge mir se nit erlyde, mr hey gar es lebigs Blut.› Han ih mi jetz so für nüt und wieder nüt sölle ga ussetze, wo mi ja niemer begehrt het?»

«Herr Vikari», sagte Sophie, «was meint Ihr, wenn die alti Jowäger ds Scharlachfieber gehabt hätte, wäret Ihr auch gegangen, ihre Seele zu retten? Dorthin seid Ihr ja auch ungerufen gegangen.» «Jumpfer Sophie», sagte der Vikari, «solche Fragen muß ich mir verbeten, Ihr seid nicht mein Visitator, und es ist besser, wir kommen nicht wieder in diesen Ton! Indessen», setzte er nach einigem Besinnen hinzu, da die Milde in ihm vorherrschend war, «ich schäme mich nicht, es zu sagen, ich habe meine Schwächen so gut als andere Menschen, und eine davon ist die, daß ich mich vor Krankheiten fürchte. Es ist mir schrecklich, nur zu denken, wie ich krank werden könnte, geschweige denn krank zu sein. Meine Mutter selig hat mir von Jugend auf gesagt: ‹Ludeli, Ludeli, häb Sorg, du chönntest krank werde, und Kranksy ist e schröcklichi Sach, du glaubst nit.› Das ist mir nachgegangen, ich kann nicht helfen, und das wird mir der Herr wohl verzeihen. Aber solche Ansichten zu haben wie der Doktor, keinen Glauben zu haben wie er, das ist schröcklich, glaubet mir das, Jumpfer Sophie! Ich meine es gewiß gut; aber wenn ich so einen Menschen ohne Glauben ansehe, es kömmt mich allemal ein Schauer an und besonders wenn ich mir dabei denke, wie ein solcher Mensch Frau und Kinder unglücklich machen muß, ja imstand ist, sie um ihr Seelenheil zu bringen.» «Herr Vikari», sagte Sophie, «ich weiß nicht, soll ich böse werden, oder soll ich lachen; aber wie gspässig Ihr mr vorchömet, cha ih Ech nit säge.» «Was ist denn da Gspässigs, ih möcht Ech gfragt ha?» sagte der Vikari. «Werdet nit höhn!» sagte Sophie. «Da Ihr es gut meinen möget, so will ich es auch nicht werden, obgleich ich alle Ursache dazu hätte; aber meine Meinung erlaubt mir zu sagen, Ihr habt mir die Eure gesagt, ich denke, an mir sei jetzt auch dr Kehr. Wenn ich Euch ansehe, so geht es mir mit Euch wie Euch mit dem Doktor, Ihr dauert mich, aber auch er dauert mich, Ihr dauert mich alle beide. Ihr dauert mich, und warum? Ihr seid ein Meisterlösli von Jugend auf, Euere Person ist Euch alles, und die ganze Welt wertet Ihr nach dem Maßstabe, welchen die Meisterlosigkeit verfertigt, und Euer ganzes Tun hängt wieder von der Meisterlosigkeit ab, oder mit andern Worten, reine Selbstsucht, oder, mit Euch zu reden, der alte Mensch regiert Euch noch vollständig, hat sich aber hinter schöne Ansichten verkrochen, mit Dogmatik verschanzt und wehrt sich gewaltig mit Bibelsprüchen, so daß, wenn man nicht durch die Spalten sieht, es rund um Euch wie wahres Christentum aussieht. Aber es ist es doch nicht. Ihr wollt die Welt bekehren; aber an Euch selbst erprobet Ihr Euer Christentum nicht, seine Kraft habt Ihr nicht erfahren. Bedenkt doch, wie empfindlich Ihr seid, wie mißtrauisch, wie eifersüchtig auf meinen guten Papa, wie besorgt um Eure Person, wie ängstlich, fast als ob Ihr von keiner Vorsehung etwas wüßtet, wie gebunden an ein gut Plättlein, das wir Euch übrigens von Herzen gönnen, wie so ganz ohne alle Freudigkeit! Seht, und eben deswegen bedaure ich Euch; denn auf dem Wege werdet Ihr nichts werden als ein grämlicher Greis, der den Himmel nie blau sieht, werdet in düsterem Sinn verkümmern, werdet am Ende auch um alle Euere schönen Redensarten kommen und nichts als Seufzer und Klagen haben über die Menschen nicht nur, sondern auch über die Führungen Gottes.

Was aus Euern Ansichten werden wird, weiß ich nicht; aber Ansichten, die nicht eins geworden sind mit dem Tun, wie die Seele mit dem Leibe, scheinen mir nur Nebel, und die gestalten sich bekanntlich alle Augenblicke anders. Ob Ihr mit diesem grämlichen Sinn eine Familie glücklich machen werdet, weiß ich nicht, aber ich glaube es nicht, Ihr werdet den Fehler nie an Euch suchen wollen und in all Euern Wunderlichkeiten nicht den Ausdruck des vermeisterlösleten Kindes erkennen wollen, sondern nichts als Euere natürlichste Natur, die Ihr schonen müßtet, und somit werdet Ihr Euere Leute unglücklich machen oder werdet von ihnen zum Besten gehalten, verachtet werden, und Ihr werdet jedenfalls nicht die heitern Tage haben, wie unser gute Papa sie hat.

Aber auch den armen Doktor bedaure ich, dem sein Leben in seinem Berufe aufgeht, der nie das Seine sucht, Geld verschmäht, das Hemd weggibt, sich selbst in jede Gefahr stürzt, um einen Bettlerknaben zu retten. Der hat nie Zeit, an sich zu denken, sein Sinnen geht auf Andere, er kennt keine Bequemlichkeiten, hat keine Rücksichten für sich und fordert keine. Er ist heftig, wild, aber nicht für sich, für Andere; wenn man ihn verfolgt in seinem Tun, so kömmt er einem fast wie ein Engel vor, und doch bedaure ich ihn, möchte manchmal bitter weinen für ihn. Seine Treue, seine Liebe sprudeln aus seiner edlen Natur, sind aber eben ungeregelte Triebe, sie reißen ihn fort zu ungemessenem Fluge, bis er zu nahe der Sonne kommt und zurücksinken muß in tiefe Nacht. Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, ich ungelehrtes Mädchen, daß Ihr mich nicht unrecht versteht, nicht böse werdet.

Ihr habet einen Glauben; ob er der rechte ist, weiß ich nicht, aber Euer Tun entsteht nicht aus Euerm Glauben, sondern aus Euerer Natur; eben daher kommen auch des Doktors Werke, aber wie gut sie auch sind, seine Natur ist doch die rechte nicht, ist eine sündhafte, treibet zur Sünde, treibt ihn zur höchsten Sünde, sein eigener Gott sein zu wollen, seines Schicksals Schmied, wie man sagt. Das tut aber ein Mensch nie ungestraft, und das Gefühl seiner Ohnmacht, der eigenen Unzulänglichkeit kömmt früher oder später mit zermalmender Gewalt über ihn, wie Papa sagt, macht ihn zum Menschenhasser oder führt ihn zu der Lasterhaftigkeit, die aus innerer Zerstörung kömmt, oder zu Schwermut oder Wahnsinn. Denn, sagt der Papa, es bedarf der Demut, der Anerkennung unserer Ohnmacht, der Allgewalt Gottes, es bedarf das Bewußtsein unserer Sündhaftigkeit und der Erlösung und Genugtuung in Jesu, der Notwendigkeit, daß der Geist des Herrn unserer Schwachheit aufhelfe, um weder ein Narr noch ein Vieh zu werden; so wie aber alle diese Worte, sie möchten ausgesprochen werden wie sie wollten, nichts hülfen, wenn sie nicht zur aufopfernden Liebe und Treue, zur Tötung unserer Selbstsucht uns brächten.

Und das ist, was dem Doktor fehlet, früher oder später wird er an den Menschen oder an sich verzweifeln, weil er den freundlichen Vater im Himmel nicht kennt, der denen, die ihn lieben, alles zur Seligkeit wendet und den Treuen lohnet, der bis ans Ende ausharret, und wohin das ihn führen wird, weiß Gott. Doch er ist so gemütlich, so herzinnig gut im Grunde, daß Gott ihm vielleicht sein Tun mit seinem Glauben auf sanfte Weise vermittelt, auf welche Weise, weiß ich nicht, aber er verdient es.»

Während Sophie sprach, hatte ihr ganzes Wesen sich erhoben, die Wangen waren blendender geworden, die Augen schwammen in eigenem Glanze. Verstummt war der Vikari gegenübergesessen; kein Auge hatte er von Sophie gewendet, und als sie schwieg, fragte er endlich: «Also Ihr glaubet, der Doktor sei besser als ich?» Fast wehmütig klang sein Ton. «Euern beidseitigen Wert abzuwägen, habe ich keine Waage, und Urteil sprach ich noch keins aus; aber daß Ihr mir beide einen Mangel zu haben scheint, das habe ich ausgesprochen. Euch fehlt die Frucht des Glaubens, ihm das Fundament zu seinem Tun, Euch die Kraft in Euern Ansichten, ihm die Verklärung seiner Werke; wem mehr fehlt, weiß ich nicht, fraget Gott!» «Aber ich bin doch ein Christ, und er ist keiner», antwortete der Vikari. «Wer hat Euch das Eine oder das Andere gesagt?» antwortete Sophie. «Vergesset nicht: ‹Mit welchem Maße ihr messet, mit dem wird euch wieder gemessen werden!›» «Spricht hier nicht die Bibel?» fragte der Vikari. «Die Bibel spricht gerade wie ein Spiegel», antwortete Sophie, «wen das eigene Licht blendet, sieht sich immer im Licht, Andere im Schatten, und wen geistige Verblendung plagt, wird weder auf sich noch Andere getreu die Bibel anzuwenden wissen.»

Da sagte der Vikari: «Ihr kommt mir da sehr streng, Jumpfer Sophie, ich will nicht hoffen, daß Ihr mit mir das Gespött treiben wollt. Aber über eins muß ich mich wundern, darüber nämlich, daß Ihr so ziemlich gewandt über geistliche Sachen zu reden wisset und Euch recht ordentlich ausdrücken könnet, ohne doch Übung zu haben in solchen Gesprächen und ohne eben mit der Sache Euch zu beschäftigen.» «Woher wißt Ihr, daß ich keine Übung habe in geistigen Reden, und daß die wichtigste Angelegenheit der Menschen mich nicht beschäftigt?» «Ihr habt ja noch gar nie mit mir darüber gerdet, und wenn ich von solchen Dingen anfangen will, so brecht Ihr ab oder lauft fort», antwortete der Vikari, «während Ihr stundenlang mit dem Doktor Euch herumstreiten könnt über Sachen, von denen mich dünkt, sie sollten eine Tochter wenig interessieren.» «Vielleicht aber interessiert mich der Doktor dest mehr», antwortete Sophie mit einem Gesicht, in welchem ein ganzer Kratten Lachen sprühte.

Doch, da blutrot der Vikar wurde, ward alsbald Sophie wieder ernsthaft und sagte: «Verzeiht, es ist mir weiß Gott nicht ums Lachen, aber Ihr treibet einem dazu mit Euerm Katechisieren. Mit meinen Eltern, mit meinen Lieben rede ich viel von geistlichen Dingen, ich erbaue mich gerne daran, aber ich zanke nie darüber. Ich habe es mit ihnen, wie Mädchen es mit ihrer Liebe haben sollen, mit Vertrauten rede ich gerne darüber, aber nicht mit Fremden. Wenn ich mit dem Doktor viel rede und über Unbedeutendes, so habt Ihr vergessen, daß wir miteinander aufgewachsen sind und Vieles uns bedeutend scheinen mag, was Andere nicht fassen.» «Das wird eben die Liebe machen», antwortete der Vikari rasch und eifrig. «Und wenn es es wäre, Herr Vikari, so wäre ich doch darüber keine Antwort schuldig», antwortete Sophie, stund rasch auf und sagte: «Es wird Zeit sein, abzuräumen.»

Der Vikari war kaputt, er war wieder an den Rand eines Feldes gekommen, auf dem er sich für sein Leben gerne tummelte, auch hätte er da noch manche lehrreiche Redensart anzubringen gewußt; er fragte daher: «Ihr seid doch nicht höhn? Ich habe es nicht bös gemeint, das ist mir so entronnen, ich weiß nicht wie.» «Habt nicht Kummer, Herr Vikari, höhn bin ich nicht; aber wenn ich schon nur ein Landmeitschi bin, so weiß ich doch, daß es Schranken im Gespräche gibt, die man nicht überschreiten soll, es sei einem dann erlaubt worden; zudem dachte ich, während wir hier von ihm redeten wie von einer toten Sache, ringe der arme Doktor wirklich mit dem Tode oder sei schon tot.» Die zurückgedrängten Gefühle sprudelten aufs neue auf, Sophie ging hinaus.

Einen strengen Nachmittag hatte der Vikari zu verwerchen, bald dachte er daran, was er Sophie noch alles hätte sagen sollen, und wie er sie hätte abfertigen können, daß sie das Gäxnäsi hintere gehabt, und bald sinnete er Sophie nach, wie es doch ein nettes Meitschi wäre, wenn es recht geleitet würde, und wie es ein verdienstlich Werk wäre, wenn man es auf den rechten Weg leitete, das Mädchen hätte Grütz im Kopf, und aus dem wäre was zu machen. Es sei wirklich schade, daß so wenig Vermögen da sei und die Eltern so wenig für ihre Tochter gesorget und gemeint, sie müßten gute Leute sein und immer geben, wo man etwas von ihnen wolle; dä Weg komme man nicht durch die Welt, sondern z'arme Tage, und wenn man es selbst wohl noch machen könnte, so müßten es am Ende noch die Kinder entgelten. Sein Studieren von dem einen zum andern brachten ihn in ein rechtes Fieber, er mochte das zAbe gar nicht erwarte und paßte aufs Läuten wie ein Sekretär aufs Zwölfeläuten (die ersten haben Dispensen). Es fehlte nicht viel, er hätte alles aufs Papier geworfen, was er tun und sagen wollte, eine Analyse gemacht.

Endlich läutete es. Im Satz war er bei der Türe; dort besann er sich, blätterte noch in einem Buche, brachte sich in eine kaltblütige Disposition ungefähr wie ein Offizier, wenn er das Häftli am Kragen einmacht und Handschuhe anzieht, und stieg die Treppe hinunter. Aber gäb wie er ansetzte, um in Stimmung und Gespräch zu kommen wie am Mittag, es gelang nicht. Sophie war kalt im Äußern, unruhig im Innern, winkte jedem längern Gespräche kurz ab; der Vikari hatte seine zwei Tassen getrunken, er wußte nicht wie, und als Sophie ihm die dritte offeriert hatte und er sie abgeschlagen, sagte sie: «Exgüse, Herr Vikari, aber ih muß in den Keller, die Äpfel faulen stark, und morgen wollen wir backen.» «Es ist doch e Bock, sage man, was man wolle; man sieht ihm von weitem an, daß es nicht in Bern in der Töchternschule gewesen ist», dachte der Vikari und kam lange zu keinem freundlichen Gesichte.


 << zurück weiter >>