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Zwanzigstes Kapitel

Wie Jakobli selbst auf die Beine muß und zu einer Braut kömmt

Mit großem Verlangen hatten alle daheim auf Hansli gewartet und konnten nicht begreifen, warum er so lange nicht käme; ja, Jakobli fürchtete in seinem kindlichen Herzen, es seien vielleicht schon Landjäger gekommen und hätten ihn genommen von wegen der Kreblete, welche Lisi widerfahren sei. Als man ihn daher das Feld auf kommen sah auf der Mähre, da wohlete es allen; aber nicht alle gaben es kund. Mädi und Anne Bäbi taten, als ob die Sache sie nichts angehe, wußten es aber doch zu machen, daß sie den Bericht hören konnten, welchen Hansli heimbrachte, und wie der Pfarrer gesagt, wenn man am Sonntag noch verkünden lassen könnte, so wäre der ganze Handel aus, so wie ers begreife.

Man wundert sich oft, wie die Menschen hin- und hergehen, wie Hanfstengel im Hanffelde. Heute lehnen sich diese Stengel aneinander, morgen sind sie voneinander feindselig abgekehrt, und übermorgen drückt einer den andern noch feindseliger dem Boden zu. So begegnen sich heute die feindschaftlich, die morgen verbrüdert scheinen bis in den Tod, und handkehrum kniet wieder Einer auf dem Andern und setzt an die Kehle ihm den Dolch. Das geht gerade so wie im wogenden See, im wirbelnden Flusse; da tanzen die Wellen auch miteinander, als obs lauter Herrlichkeit wäre, und ist es ausgetanzt, so verschlingt eine die andere. Und wenn man meint, jetzt seis aus, so spuckt die eine die andere wieder aus und tanzt wieder mit ihr, als ob gar nichts geschehen wäre. So tanzen die Menschen Kehraus und andere Tänze, schlenggen einander ins Grab, halten einander die Beine vor, küssen einander, daß der Schinder ds Teufels werden möchte, und alles kehrum. Das alles geschieht denen, die als Wellen auf dem Strome treiben und kein Steuerruder haben, die als Spänchen auf den Wellen wirbeln und keine Wurzeln mehr haben. Nun gibt es doch noch Menschen, die weder Wellen sind noch Spänchen ohne Wurzeln, die wissen, warum sie zusammenstehen, und warum sie sich scheiden, die wirbeln nicht herum, die bleiben dann auch so gestellt, wie sie sich mit Wissen gestellt, die haben Wurzeln, die tanzen nicht auf Wellen, die wachsen nach oben.

Das sind aber nicht Anne Bäbi und Mädi, die jetzt bei Hanslis Bericht ungefähr das gleiche empfanden, nämlich einen höllischen Ärger, daß alles so glatt und sonder Beschwerde abgehen sollte. Keines von beiden wollte Lisi; aber Anne Bäbi meinte doch, der liebe Gott sollte die züchtigen bis auf einen gewissen Punkt, welche seinen Plan vereitelt, und Mädi meinte akkurat das Gleiche, aber aus dem Grunde, weil nicht es die Auserkorene war; zu gleicher Zeit verband sie das merkwürdige Standesinteresse, daß es nicht nach ihren Gringe gehe, welche zwar beide etwas ganz anderes wollten, sondern nach dem Willen des Mannenvolkes. Das mochten sie ihnen nicht gönnen, und wenn schon beide nichts sagten, so hätten doch beide gleich gerne Wust in die Milch gerührt. Und nun war allerdings, aber ohne daß sie es wußten, ihr Schweigen der beste Wust, den sie in die Milch rühren konnten. Mädi und Anne Bäbi waren bis dahin die Sprecherinnen im Hause gewesen und hatten das große Wort geführt, und jetzt bei der großen Beratung, welche vor sich gehen sollte, gaben sie keinen Gux von sich, als ob sie Kanonen wären, die ein vorschütziger Fähndrich bei Einnahme der Festung vernagelt hätte; und wenn man fragte, bat, anhielt, so hörte man höchstens: «Machit ume, machit, ihr chönnet dSach ohni mi, ihr syt selber witzig; heyt drs so wyt brunge, so fahrit jetz us!»

Man denke sich, wenn es manchem Gemeinderat, dem Präsidenten und dem Gemeindschreiber gehen würde wie dem Zacharias, als er die Verheißung Gottes nicht glauben wollte (und wie manches Redmaul könnte aus dem gleichen Grunde zugehen, aber nicht mehr auf), und sie auf einmal stumm würden, in welcher Verlegenheit die ehrsame Versammlung wäre, wenn keiner mehr sagen könnte: «He jo, jo, es ist mr o so!» Wenn nun Wort und Rat gefunden und füregä werden sollte ohne sie! Man denke, wenn es nicht mehr heißen würde:«Hansli, was meinst, was duecht di? Mi het es so duecht.»

Ja, es kann wirklich übel gehen, wenn einem Anne Bäbi der Mund zugeht und dem Mädi auch. Es handelte sich darum, wie man an das Meyeli gelangen sollte; sollte man es bschicken, sollte man selbst gehen, und wer sollte gehen? Hansli wollte nicht gehen; dem Zeug laufe er nicht länger nach, Jakobli schlotterte überall, wenn von ihm die Rede war, und Sami sagte, er chenn ds Meitschi nüt, u wenn er de ds lätze brächt, su wär me de erst recht drin. Da war im eigentlichen Sinne guter Rat teuer. Endlich sagte Jakobli, er sehe wohl, es hätte ihn niemere lieb, und so sei es ihm gleich zu sterben, u so chönn dMutter seinethalb Lisi la Bscheid mache, es söll cho, je eher je lieber, dest eher sei es für. Da ging Anne Bäbi der Mund auf, und es sagte: «Du bist e wüste Bub; u wem ists meh a dr glege as grad mir; aber was me gut fingt, wottst nit, du wottsch dy Gring selber ha; he nu, so häb ne! Un we du es Apartigs im Gring hest, so mußt dus selber frage; mi chönnt da lang öpper angere schicke; u wer wett morn ds Hochzyt agä? Hest uf e Zyberlihoger dörfe, su wüßt ih nit, warum du uf Raxige nit o chönntist, u chrankne bist nimme, emel allem Esse a nit.»

Das war ein Ausspruch, der sich gewaschen hatte und allen recht war, nur einem nicht; er nahm allen etwas ab, legte es aber dem Einen auf; da dieser Eine nie gegen alle sich aufgelehnt und seinen Willen durchgesetzt hatte, so blieb der Orakelspruch; er mußte sich fügen und morgen selber gehen.

Wer hat nicht schon gesehen, wie mit der Sonne der Nebel ringt? Bald ists hell und lauter; das Herz möchte zum Leibe raus und tanzen mit den Mücken (würden doch luegen, die Mücken, wenn auf einmal ein Herz tanzte mitten unter ihnen!), die so lustig spielen mit der Sonne heitern Strahlen, und handkehrum ists so finster und feucht, und Nebelwolken marschieren so dicht und feindselig an, daß es einem dünkt, wenn man nur im Bette wäre, ein dichter Umhang davor wäre und man da schlafen könnte, bis jemand käme mit der Nachricht, die Sonne sei wieder da und die Mücken auf.

So ging es selbe Nacht in Jakoblis Seele; wenn er an Meyeli dachte, und daß er es haben könnte, so kams ihn an, zu jauchzen und zu pfeifen, und es schien ihm, als rüsteten die Engel im Himmel schon Geigen und Posaunen, um ihm zu helfen. Kroch ihm dann wieder unterm Deckbett hervor wie ein schleichend Ungeheuer der morndrige Tag vor die Seele, dann zitterte und bebte er, und seine Seele war bitter betrübt. Fand er es wohl noch? Wollte es ihn wohl? Und wie sollte er es anfangen, um zu ihm zu kommen? Die drei Fragen waren dreien Wolken gleich und hüllten in Nacht seine Seele.

Am folgenden Tag weckte Jakobli niemand; es war aber auch nicht nötig; es war vielmehr wunderlich, wie etwas ihn zur Eile antrieb, und diesem Etwas, das er selbst nicht kannte, widerstrebte er und vermochte es doch nicht, pressierte überall verblümt und wollte doch nicht den Schein haben. Das Halstuch wollte ihm längs Stück niemand umbinden. Anne Bäbi sagte, e sellige Gstabi, der well ga wybe, söll das selber chönne. Mädi meinte, es könne ihms doch nicht breichen; aber e Klapperrose u e Straublume well es ihm uf e Hut stecke, wenn er well. Endlich war ihm doch Anne Bäbi zu Diensten, wischte die Finger dürftig ab am nassen Wäschlumpe und rief: «So gib!» und zog ihm das Halstuch zweg, daß Jakobli kaum noch schreien konnte mit hohler Stimme: «Nit, nit, Mutter, du erwörgst mi!» «So, chann ihs dr scho nimme breiche?» sagte Anne Bäbi, «es ist de gut, daß de für e Angeri luegst; lue de ume, daß es die besser macht!»

Als er endlich fertig war, sagte er, er sollte e chlyseli Geld haben; seines reue ihn schier, es sei gar schöns. «Ih ha kes», sagte Anne Bäbi, «hättist sörger gha, su hättist no! Öppe so für Eini ga azstelle, wo ume ei Chittel het un ume es halbs Gloschli, duechts mi, du bruchtist keni Neutaler, du chönntischs mit Münz o.» «Ih ha o keni, Mutter», sagte Jakobli. «Ih o nit», schnauzte Anne Bäbi, «heusch dem Alte!» Anne Bäbi hatte so gut Geld als der Alte, aber es wollte kupen und nicht den Namen haben, daß es zu dieser Heirat mit einem Finger behülflich wäre. Der Alte mistete mit Sami, als Jakobli mit seinem Anliegen kam. «He jo», sagte Hansli, «öppe es Schübeli Geld ist aständig, we me wott uf dWybig; ih will ga luege, ob ih no fing.»

«Aber Sami, wie soll ich das auch anstellen, daß ich zu ihm komme?» frug Jakobli. «He, das ist e liechti Sach», sagte Sami, «gang is Wirtshus oder i dPinte, es wird wohl neuis der Gattig dert sy, u gib eme Bueb e Halbbatze oder e Chrüzer, er söll dem Meitli, du weißt ja, i wellem Hus es wohnt, ga säge, es wart ihm e Vetter u wett neuis mit ihm rede. U wenn es de chunnt, su mach nit lang Federlesis u verwörgs im Hals, fahr graduse mit dr Sach, su weißt, wora du bist; aber mach, daß de alleini mit ihm bist u dr niemere drimögget. U wenn es de so werweiset, wies öppe dr Bruch ist, su setz nit lugg, bis es füre ist mit dr Red! Es ist da nit lang Bsinnes. U wenn es de ja seit, su gang mit ihm zu syne Lüte; die werde Hansli Jowäger wohl chenne u öppe nüt drwider ha. U de, was sie säge möge, gang de grad mit ihm's ga agä; we d scho nit ko mast a alle Orte, wes ume afe verchündet ist, das ist ds Fundament. Da cha me de die Zyberliblodere la gumpe wie e Elefant uf eme Seili, es macht de nüt meh.» «Chasts ächt mache?» frug Hansli und zeigte ein anderes Bläterli, in welchem wieder ein artiges Schübeli Neutaler waren. » O bhütis, Ätti, ih han ume zviel», sagte Jakobli. «He, nimm se!» sagte Hansli, «we d se nit bruchst, su sy si es angermal o no gut.»

Es war ein kühler Herbstmorgen, als Jakobli auf den Weg sich machte. Tief in die Bäume hinein hing der Nebel, tropfte fast wie Regen von den Blättern, und naß wurden die Haare der Wanderer. Der Schlagtaube schweren Flug hörte man klatschen durch den Nebel, wenn ein vorwitziger Weidbube sie störte auf dem Acker, wo sie vergessene Körner zusammenlas. Der Rauch einiger Weidfeuerchen zeichnete im Nebel sich aus, und saumselige Erdäpfelgraber sah man zeilenweise zu Felde ziehen gegen die Schätze, welche die Erde noch verborgen hielt in fruchtbarem Schoße, und hin und wieder knallte ein Schuß in der Ferne aus dem Kriege her, den noch bis dato der Mensch mit dem Tier führt. Auf und nieder ging der Nebel; bald sah man über den Boden viele hundert Schritte weit, bald zehn Schritte vor einem ein Stüdi nicht, das sich die Strümpfe band, die es heute zum erstenmal wieder an, aber während dem Laufe des Sommers das Binden wieder verlernt hatte, so daß es schwer ging damit.

Auf dieses alles achtete aber Jakobli nicht. Die Schlagtauben konnten um ihn herumflattern, so dicht sie wollten, er sah sie nicht. Gar seltsam ging es in ihm zu; es war, als werde etwas, als bilde sich aus Flüchtigem, Zerstreutem etwas Festes; es ging fast, als wie es nach den Gelehrten zugehen soll, wenn Kometen sich bilden, nur nicht ganz so, sondern mit dem Unterschied, daß an dem, was sich bildete, man keinen langen Schweif sah, sondern etwas, das fast aussah wie ein Mannsgesicht, in welchem der Bart keimt. Fast zwanzig Jahre war er da abgesessen, wo man ihm gezeigt hatte, daß er absitzen solle, und war da gestanden, wohin ihn die Mutter gestellt, und war gegangen, wohin sie ihn geheißen, sogar auf den Zyberlihoger, obgleich ihm das Herz dabei blutete. Jetzt war es das erstemal, daß er etwas erzwängt hatte, er wußte eigentlich nicht wie, und etwas ausführte, das in seinem eigenen Kopf entsprungen war und mit eigenen Kräften, aber mit erschrockenem Herzen. Ein Weib wollte er sich holen; das klang ihm so ernst und feierlich, als läute man zusammen in seinem Herzen, als sei seine Seele eine Orgel und hohe Klänge führen darüber hin. Wenn er bloß an sein liebes Meyeli dachte, so wars, als ginge die Sonne auf, und alle Vögelein sängen und alle Blümlein nickten, und als schwömme er im Himmelreich, und schüchtern schloß er die Augen, und zagend hob er dazu seine Füße.

Dann dachte er wieder: «Ein Weib holst du dir!» und anders ward es ihm, Sonne, Vögelein, Blumen schwanden; es war ihm, wie es dem Beter wird, der sich dem Throne des Höchsten naht, aber nicht zitternd und bebend, sondern feierlich und ernst, aber auch mutig und wagend. «Wer ein Weib holt, soll ein Mann sein!» Das dachte er nicht, aber der Mann sproßte in ihm, freilich nicht zum Riesen, aber er sproßte doch. Er fühlte, Kind könne er nicht mehr bleiben; er fühlte, was er jetzt machen wolle, das müsse er nicht kindisch tun, sondern ihm eine Gattig geben. Er fühlte sich auf seinem Wege zur Jungfrau mit der Frage: «Willst du mein sein? Ich will dein Mann sein.» Das hat etwas Großes und Erhebendes, so frei und frank gehen zu können mit dieser Frage am hellen Tage und sonder Vetter und Tanten. Man denke sich den Jakobli dazu, der nie seinen eigenen Gang gegangen; und jetzt der erste, den er geht zu eigenem, selbst gewähltem Zwecke, ist gleich des Lebens wichtigster Gang. Schon schritt er männlicher daher, und der Nebel rauschte hochauf weit über die Wipfel der Bäume.

Da kam in die aufgegangene Herrlichkeit plötzlich das Bangen; zugleich trieb ein kühler Wind die Nebel wieder über den Boden. Hatte es vielleicht nicht schon einen Schatz? Ein so schönes Meitschi, sollte das nicht schon einen haben? Es schien ihm nicht anders möglich. Vielleicht kein Reicher – mit dem Gelde wird mancher abgeherdet, aber sollte er das Meyeli mit Geld erzwingen? Er wußte, was es heißt, jemand ungern nehmen. Man weiß vielleicht nicht warum, aber es zieht sich unwillkürlich die Brust zusammen, der Atem wird schwer, das Blut stockt, kalt läuft es einem den Rücken auf, es schüttelt einem, es preßt einem die Worte aus: «Ih ma nit, ih ma i Gottsname nit!» Es treibt einem den Schlaf vom Bette, den Hunger aus dem Leibe, den Mut aus der Seele, und je näher der verhängnisvolle Tag kömmt, desto tiefer im Boden scheint man zu gehen, alle Tage tiefer; das Grab scheint emporzuwachsen, dem Herzen zu.

Das hatte er erfahren; das Leid hätte er Meyeli um keinen Erdenpreis antun mögen. Und was hülf es ihm, wenn es neben ihm weinte und jammerte; das täte ihm ja um so weher, je lieber das Meitschi ihm sei. Und wenn es ihn nicht lieben könnte so von Herzensgrund, so wollte er es viel lieber nicht; denn das täte ihm erst recht weh, und er könnte sich gar nicht trösten, wenn er Meyeli alle Tage hätte, aber es liebte ihn nicht, haßte ihn vielleicht noch. Weher könnte ihm ja nichts tun als in den Himmel schauen können und doch ferne von ihm bleiben müssen. Das wolle er nicht, dachte er; und wenn er merken könnte, daß es Einen hätte, und es fehlte ihm an Geld für den Einzug, oder wenn der Bursche der Gemeinde schuld wäre, er wollte geben, was er bei sich hätte, damit sein Meyeli glücklich würde, und daß es sehen könnte, wie lieb er es hätte. Wie diese Gedanken durch seine Seele flogen, trat er recht männlich auf und schien fry gewachsen; die Nebel hoben sich wieder, rissen auseinander, blau ward der Himmel, und grau lagen vor ihm im gelblichen Laube Raxigens nach dem Boden strebende Strohdächer.

Da klopfte ihm doch wieder sein Herz, und er kleinete wieder fast um einen halben Kopf. Er wußte, wo das Wirtshaus war; aber es duechte ihn, er möchte das Meitschi nicht so bschicken; es sei die Frage, ob es käme, und vielleicht könnten sie nirgends ein vertrautes Wort miteinander reden, daß es nicht alle Leute hörten. Zu dessen Haus zu gehen, scheute er sich. Wenn das Meitschi ihn nicht wollte und er so z'leerem wieder fort müßte, so müßte er sich ja schämen, es hätt key Gattig; lieber wollte er es doch aparti vom Meitschi hören, daß es niemand merkte. Da könnte er ja wieder gehen unbemerkt; und wenn er schon die Augen voll bekäme und ds lauter Wasser weinen müßte, so würde es doch niemand sehen, und niemand könnte ihn auslachen. Es dünkte ihn, wenn der liebe Gott es recht gut mit ihm meinte und ihn auch ein wenig liebhätte, so ließ er ihn dem Mädchen begegnen gerade hier auf dem Felde, wo fast keine Leute waren, da die meisten Pflanzeten aller Art auf der andern Seite des Dorfes lagen, oder er ließ ihn ihns finden dort hinter jenem Hag, wo noch verborgener ein trautes Wort zu reden wäre.

Der Gedanke setzte sich recht fest in ihm; es dünkte ihn, Gott könne fast nicht anders, er müsse das Meitschi ihm in den Weg führen, wie er einst die Rebekka an den Brunnen geführt, wo Elieser wartete. Rundum sah er, woher das Meitschi komme; er galaffete sich fast den Nacken krumm; es dünkte ihn, es müßte aus irgendeinem Einschlag hinter ihm dreinkommen. Da plötschte er mit etwas Hartem zusammen, ein heller Schrei gellte ihm in die Ohren, er fuhr zusammen, daß auch er bald geschrien hätte, und als er den Schaden umsah, stand vor ihm das Meitschi mit den gelben Züpfen; einen Korb hatte er ihm beim Zusammenplötschen vom Kopfe gestoßen, weit umher lagen die Rübli zerstreut.

Er hatte sich nicht geachtet im Galaffen, wie der Fußweg durch den Hag in einen kleinen Einschlag sich bog; von der andern Seite kam just Meyeli, welches Rübli gegraben; gerade in der Beugung begegneten sie sich, und da er nicht acht gab, so stieß er ihm den Korb vom Kopfe. Ganz rot hatte der Schreck das Meitschi übergossen, und schon hatte es den Mund offen zum Aufbegehren, da erkannte es Jakobli und ward röter noch als vorher. «Bist dus, der da um die Ecke kömmt wien e Schutz? Bis Gottwillche, u wo wottsch us?» Und Freude leuchtete aus Meyelis Augen unverstellt, als wie wenn es einen großen, unerwarteten Fund getan. Jakobli war abermals sehr verblüfft; was er so innig gewünscht, das hatte Gott vor ihn gestellt, und jetzt fand er lange keine Antwort, sondern reckte bloß die Hand dar zum Willkomm. «Ih ha gar e wüsti», sagte Meyeli, «ih muß se zerst abwüsche; aber säg mr, wo wottsch us?»

Jakobli hatte unterdessen die Sprache wiedergefunden, und als er die Hand faßte, behielt er sie und bekam großen Mut. «Nit wyt wott ih, ume bis zu dir.» «Öppe wegem Dokter, wo dBase dokteret het? Nei, zu dem gang nit; denk, dä het geng a dr Base dokteret und angerist und angerist se abgführt, ih glaub emel es Dotze Mal, u het geng gseit, es besseri, es besseri, u dBase hets geng glaubt u gseit, es ziehy ab, aber si werd neue gar schwach drby, bis si is ungsinnet unger de Hänge vrschiede ist. Es ist grad hüt acht Tag, daß mr se vrgrabe hey.» «Nein», sagte Jakobli, «wege dyne chumen ih.» «Wege myne?» frug das Meitschi in seiner raschen Lebendigkeit. «Dr werdet e Jumpfere mangle; aber ih cha wäger nit cho, wenn ih scho gern wett. Dr Vetter ist jetz elleini u het niemere, dä dHushaltig macht u öppe zu de Chinge luegt, u da darf ih nit von ihm. Sie hey mi zu ne gno, won ih niemere gha ha, un wenn ih scho nit geng gut gha ha, su wärs doch schlecht, wenn ih jetz furtging, wo si mi am übelste mangle.» «E Jumpfere hey mr», sagte Jakobli, «u die blybt emel einist; aber ih mangelti e Frau u ha di welle cho frage, ob du se sy wettisch?» «Dy Frau?» fragte Meyeli lachend, «e warum das nit, gar gern! Wenn wey mr ds Hochzyt ga agä?» «Hüt no», sagte Jakobli mit feuchten Augen und bewegter Stimme, «hüt no, wenns dr recht ist.»

Da ward es Meyeli bang ums Herz, es wußte nicht warum; es zog seine Hand weg und sagte: «Ih muß hey, es wird Zyt, zMittag z'choche, u was wird dr Vetter säge, wenn ih my Zyt mit dr Narre trybe vrbruchti? Adie wohl!» «Meyeli, es ist mr Ernst», sagte Jakobli, «un ih trybe nit dr Narre; ih möcht di gfragt ha, ob de mi wettisch zum Ma, und ob ih dr nit z'wüste bi?» «Z'wüste? Nei wäger nit; es het mr no nit grad eine bas gfalle weder du, und ja fryli, ih wett di scho näh», sagte das Meitschi, «aber es ist dr nit Ernst; was wettist du afa mit eme sellige arme Meitschi, wie ih bi?» «He, ih mangle ke Rychtum», sagte Jakobli, «mr hey üsi Sach öppe, daß mrs chönne mache, wenn ih scho nüt erwybe. U du bist mr im Sinn gsy vom erstemal a, wo di gseh ha, un expreß chumen ih di cho frage, ob de mi liebe chönnist u mi mögist, we d nit öppe e Angere hest?» «Nei, vo selbem schwyg mr!» sagte Meyeli, «es het mi no kene bigehrt, un ih hätt kene möge.» «U mi?» fragte Jakobli. «Di vo Herze gern, bhütis ja», sagte Meyeli mit unverstellter Freudigkeit, «a so öppis hätt ih doch nie dörfe sinne; aber was werde dyner Lüt säge?» «Die sy si zfriede u wüsse, wohin ih bi», sagte Jakobli. «Aber ih wirde doch z'arm sy; u we si scho nit drwider sy, so werde si mi doch vrachte u nüt schätze.» «Häb nit Chummer», sagte Jakobli, «uf e Rychtum hey si nit z'luege u hey mängist gseit, druf chömms nit a; mr heyge öppe, daß mrs mache chönne, u die, wo nachechöme, öppe o.» «Nei, aber was wird dr Vetter säge, wenn ers vrnimmt? Dä wird lose! U het mr so mängist gseit, ih überchömm e ke Ma; ih syg z'brings drfür u z'bös u z'bleichs; u jetz han ih eine u no e sellige!»

Und wenig fehlte es, es hätte einen Freudensprung getan und zu jauchzen angefangen. Rasch las es seine Rübli auf; Jakobli half ihm und fragte ihns, es werde ihm also recht sein, heute noch mit ihm das Hochzeit anzugeben; wenn es wolle, so komme er gleich mit ihm zum Vetter. Da begann bei dem armen Mädchen das Bangen. Gewohnt, sich zu geben, wie es war, war der Strahl der Freude unverhohlen hervorgebrochen; und welches Mädchen, das keinen Andern, sondern gerade den Jakobli im Sinn hatte, aber ohne alle Hoffnung, und das arm und bedrängt war, hätte nicht Freude empfunden, wenn er gekommen wäre mit der Frage: «Wottsch mi?» Nun kam aber auch heraufgezogen, was in jedem unverdorbenen Mädchenherzen ist, das Bangen und das Schämen, wunderbar verwoben mit dem Sichmeinen, das Aufschieben und Hinhalten, das Angsthaben mitten in der Freude, die seltsame Wehmut mitten in der Fröhlichkeit, und alles um so bunter durcheinander, je natürlicher sein Herz war. «Was sinnest auch», sagte es, «heute noch! Herr Jemer! Selb ist ja nit mügli, denk o!»

Jakobli hatte sein Glück gehört, aber noch nicht ganz empfunden; denn man muß nicht vergessen, daß bei langsamen Naturen nicht bloß das Begreifen schwer geht, sondern auch das Empfinden. Der empfangene Eindruck verbreitet sich langsam, und langsam entwickelt sich aus dem sich nur nach und nach erhellenden Bewußtsein das Leid oder die Freude. Lange muß man das Ding ansehen, ehe man es so recht faßt, was das Ding an sich ist, und was es für einen insbesondere ist. Jakobli kannte auch die Mädchenherzen nicht, wußte nicht, wie da Weinen und Lachen, Wehren und Wollen, Meinen und Schämen, Bangen und Sehnen, alles beieinander ist wie in einem Druckli und alles durcheinander wie in einer welschen Suppe. Es ward ihm daher angst, als die Dinge alle zum Vorschein kamen, Meyeli sei reuig geworden und möchte die Sache wieder verdrehen, und weil man ihm so oft gesagt hatte, er sei son e Leyde u son e Wüste, so war er mißtrauisch und glaubte, er gefalle niemanden.

Das kam ihm jetzt wieder, als Meyeli bangte und sich schämte und Stündigung wollte. «Wirst di reuig?» sagte er traurig, «ih weiß wohl, daß ih e Leyde u e Wüste bi u mi niemere liebe cha; säg mrs doch recht graduse u häb mi nit für e Narr; we du reuig bist, so sägs doch recht!» «Aber meinst», sagte Meyeli, «ih sig sövli es Schlechts u bigehri öppere für e Narre z'ha i sellige Sache u chönnt da drglyche tue, es syg mr Eine aständig, wes nit ist? Nei wäger, es sövli es Schlechts bin ih nit, u we d mr selligs traue witt, su bist am lätze; es ist grad noch die rechte Zyt!» «Zürn doch recht nüt», sagte Jakobli, «bös gmeint ists nit; aber ih ha nie chönne glaube, daß mi eis liebi; es het mr geng alles gseit, wie ih e Wüste u e Leyde syg, u wo d da hest afa di gha, han ih gmeint, du heygist ume ds Gspött mit mr gha.» «Nei, wäger nit», sagte Meyeli, «du hest mr grad vo Afang gfalle, ih weiß nit warum; aber won ih di gseh ha ds erstmal, hets mi grad duecht, es gäb mr neuer e Streich, u doch het es mr nit wehta; es ist mr so wunderlig wohl u angst nebeangere gsy, ih ha nit gwüßt warum. Aber zletsch hets mi grusam duret, wo d nüt zu mr gseit hest u da so nebe mr gstange bist, wie wes dr nit recht wär und ds ungern hättist, daß ih nebe dr ryti. Das het mi geng duret, u wenn ih dra däicht ha, han ih mi ds Augewassers fast nit chönne erwehre. DBase selig het mängist gfraget, was mit mir syg; aber ih ha selber nit gwüßt, was ih säge sött. Du bist du no an äim Sunnde bi mr vrbygfahre u hest mi nit grüßt u nüt drglyche ta, daß de mi gsehyist; selb het mi duret, ih chas fast nit säge wie. Ih ha doch nüt gwüßt, das ih dr zleid ta hätt; ih ha däicht, es syg dr Hochmut. U won ih us em Plätz usecho bi ungsinnet, ech ha daher gseh ryte, hets mr e Chlupf is Herz gä, ih cha nit säge wie; es het mi duecht, er chönnt nit größer sy, we Vater u Mutter us em Grab fürechäme – u du kes Wörtli zu mr z'säge! Selb ist mr grüslig gsy, u fast han ihs nit chönne vrwerche.

Wo di du da i de Rüttene atroffe ha, da ha di vo wytem kennt, ha aber lang nit gwüßt, ob ih mi chünte will oder nit; bald bin ih gschwing gange, bald süferli; bald hets mi duecht, es fehl dr neuis, du bist alliwyl stillgstange; bald hets mi duecht, gang doch dä Muffi (ih säge drs, wie ihs gsinnet ha) wo er well, es syg mr doch graglych. U doch han ih dr müsse nahcho, ih ha möge welle oder nit. U wo de du so fründlig gege mr gsy bist u mr no gar hest welle Wy zahle, da ists mr gsy, ih cha nit säge wie; aber es het mi duecht, wenn ih elley wär, ih möcht über all Häg us, syge si so höch, wie si wette. U won ih du vo dr gange bi, hets mr fast ds Herz welle zrschryße; ih ha nit gwüßt, gsehn ih di no einist oder nüt meh. Es het mi mängist duecht, es schryß mi öpper a de Züpfe zruck, un ih sött dr no neuis säge; u won ih du us em Dorf use gsy bi, han ih müsse pläre, ih ha nit gwüßt warum, u ha fast nit chönne höre, es ist geng ufs früsche wieder cho, wenn ih scho glaubt ha, es syg jetz gstellt. Lue, ih säge dr das alles ufrichtig, wies ist; du gsehst de, ob di für e Narre möcht ha; aber häb du mi o nit drfür oder wird reuig!» sagte Meyeli.

«Nei, wäger nit», sagte Jakobli, «aber säg mr doch, wie chunnts, daß ih dir gfalle u sust niemere; was het dr gfalle a mr?» «Das chann ih dr uf mi Treu nit säge», sagte Meyeli. «Es ist mr gsy, as we me mrs awurf, oder as wenn ih in e böse Luft cho oder i öppis trappet wär», setzte es mit wunderlieblichem Mieneli hinzu. «Hest gwüßt, wem mr sy?» fragte Jakobli. «Nei», sagte Meyeli, «erst du, wo de am Sunnde düregfahre bist gege Kriegstette u dur dMistgülle u dLüt du so grusam glachet hey, han ihs vrno.» «Hest du is de gseh?» fragte Jakobli, «wo bist du de gsy? Ih ha di nüt chönne gseh.» «Ih bi i dr Kuchi gsy», sagte Meyeli und wurde rot; es fürchtete, Jakobli möchte fragen, ob es gedacht hätte, sie kämen den gleichen Weg zurück, und ihretwegen in den Bohnenplätz gegangen sei.

Um abzulenken, frug es, ob Jakobli nach ihm gesehen, und gar herzinnigliche Freude hatte es an dem Bekenntnis, daß eben dieses nach ihm Sehen schuld gewesen sei an der Fahrt durch die Mistgüllen. Natürlich waren unter diesen Mitteilungen die Rübli längst aufgelesen worden; aber sie merkten es nicht, und Jakobli erzählte eifrig, was es in Kriegstetten gegeben, wie er da Eine habe heiraten sollen, welche er abselut nicht hätte mögen, wie aber die Mutter drangesetzt, und wie er eben vom Zyberlihoger gekommen, als sie in den Rüttenen zusammengekommen, und wie – da begann Mittag zu läuten im Dorfe, und den fleißigen Weibern ward verkündet, daß sie sich zu sputen hätten, wenn sie den Männern was Warmes zweghaben wollten zu rechter Zeit. «Herr Jemer, Herr Jemer! Scho elfi! E bhüt mi Gott, was wird dr Vetter säge! Wie werde dKing brülle!» rief Meyeli, «hilf mr uf, gschwing, gschwing!» «Soll ih grad mit?» fragte Jakobli. «Bi Lyb u Sterbe nit, es gange all Lüt jetz hey, ih müßt mi zTod schäme; wart e wenig da hinterm Hag, u de chast is Wirtshus, u in ere Stung oder zweue chumm de, wes dr de no Ernst ist.»

Und dahin zog Meyeli, wie wenn es dr Bysluft trüge; aber ehe es am andern Ende des Einschlags durch den Hag schlüpfte, nahm es sich doch Zeit zum Umsehen, ob Jakobli noch da sei oder vielleicht davongelaufen. Der aber stand noch da und sann allem nach, wie es so wunderbar gegangen, wie er gedacht, wenn Gott ihn liebhätte, so fände er das Mädchen, und wie es fast in selbem Augenblick vor ihm gestanden, und zwar da, wo es nicht schicklicher hätte sein können, in einem kleinen Einschlag, ringsum mit Hag eingefaßt, fast wie hinter einem Umhang, wo sie ungesehen und ungestört miteinander reden konnten, bis sie wußten, sie hatten einander verstanden, und nichts wäre mehr zwischen ihnen, aber jedes im Herzen des andern. Dem sann er lange nach, und es freute ihn, wußte er doch, daß er nicht bloß dem Meyeli, sondern auch Gott lieb war, und er schöpfte daraus das Vertrauen, daß alles noch einen guten Austrag nehmen werde.


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