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Sechstes Kapitel

Mädi geht auf Reisen und bekömmt Gedanken

Unterdessen war Anne Bäbi auch heimgekommen voller Gift und voller Freude im Herzen. Voller Gift gegen den Doktor, der ihm nicht helfen wollte, und voller Freude, daß es nun sagen könnte, was für einer der eigentlich sei, und es wäre ihm schon lange im Sinn gewesen, mit dem sei es nicht richtig; aber erst jetzt, wo es wisse, daß Natur und Tüfel das nämliche seien, wisse es recht, woran es sei. Freude hatte es aber auch, weil es wußte, wie dem Jakobli zu helfen. Es nähme nicht einen Neutaler, sagte es, für das, was es vernommen; aber es hätte es niemere geglaubt, wenn es es nicht selbst erfahren, daß man in einem Wirtshaus bessern Bericht vernehme, wie man einen Kranken doktern könne, als bei einem Doktor. Aber so komme es, wenn einer in selligem Dienst sei; wenn er schon etwas wüßte, so wolle er es nicht sagen aus Tüfelsüchtigi.

Am folgenden Morgen mußte sich Mädi zwegmachen, um beim Xaveri das Elixier zu holen. Mädi hatte allerlei Einwendungen, meinte, man sollte doch erst noch bessern Bericht einziehen, es traue der Sache nur halb. Es wäre doch vielleicht besser, ds Wasser zum Sameli z'schicke; der könne aus dem Wasser Allen sagen, wo es ihnen fehle, er breyche es allemal punktum. Es könnte alleweg heute nicht gehen; es sollte den Hühnern misten und Zwibelen umdrehen. Aber alles half nichts. Anne Bäbi zeigte, daß es Meister sei. Expreß putzte sich nun Mädi nicht; für zu einem sellige zu gehen, wo man nicht mehr zu ästimieren brauche als der erst best Vehdoktor, sei öppe grad alles gut genug, und es begehre nicht seine Kleidlene, wo es selbst gekauft und bezahlt hätte, bei einem sellige zu verdrecken. Anne Bäbi hatte es recht ungern, als Mädi kein sauberes Hemd anzog und nur ein halbreistenes Fürtuch umlegte; aber Mädi hatte auch einen Kopf, und zwar einen harten, und was einmal drinnen war, brachte ihm niemand raus, und wäre es auch ein Diener der Natur.

Mädi ging brummenden Herzens. So gehe das sy Seel nicht länger, und wenn Anne Bäbi so fuhrwerchen wolle, so wolle es lieber nicht länger dabeisein, und wenn Jakobli nicht wäre, so wäre es schon lange an einem andern Platz, und zletzt vermöchte es auch für ihns selbst zu sein, wenn es sein müßte; das war ungefähr das Thema, das seinen Phantasien zugrunde lag. Während Mädi solche Gedanken wälzte in seinem hitzigen Herzen, kam Einer hinter ihm drein mit ganz gstabeligen Beinen, die er gar seltsam drehte und setzte, und wünschte Mädi freundlich die Zeit. Mädi dankte und freute sich darüber, daß es Gesellschaft erhielt; und auf die Frage «Wohin?» fand es Anlaß, Jakoblis ganze Krankheit zu erzählen, und wie es ihn gerettet, und wie man es ihm jetzt wüst mache und es in der Welt herum sprenge für nichts und wieder nichts, während es doch selbst am besten wüßte, wie dem Jakobli zu helfen wäre, und es den Hühnern hätte misten sollen. In dieses flocht es mancherlei Andeutungen über seiner Meistersleute Reichtum und seine eigene Häbigkeit und Husligkeit und rühmte sich, daß mit Pflanzen es niemand möge, und wenn es nicht wäre, Hansli sehen könnte, ob er so viel Anken verkaufen könnte und so schwere Schweine; und wenn es sein müßte, so könnte es noch melken und mähen. Sein Begleiter hörte sehr aufmerksam zu und meinte endlich, es duech ne, wenn er Mädi wäre, so wollte er nicht mehr dienen und so sich desumehudeln lassen. Er heiratete, wenn er es gut machen könnte, und ein sellig Mensch, wie Mädi sei, könne auslesen nit ume so unter schittern Witwern, sondern unter den töllsten Burschen.

Vo dr Tölli heyg me nit gfresse, sagte Mädi. Es wolle nicht sagen, daß es einen jeden Schnürfli möchte oder so einen alten Zatteri, aber dHauptsach sei doch immer, daß man z'fresse hätte, Einen, der nichts hätte, möchte es nicht. Es möchte nicht seine Sache dargeben, und wenn es manne wolle, so wolle es manne, daß es öppe sein könne, sonst wolle es lieber nicht. Dem Mannevolk an ihm selber frage es öppe nit viel nach; mi heyg ume Plag mit ihm, und zletsch müß me de no King ha, und selb wär ihm zwider.

Der Mann mit den gstabeligen Beinen gab Mädi vollkommen recht. Wenn en iederi so sinneti, so gäbe es minder arme Leute; aber es habe nit e iederi dä Vrstang, die mehrsten bildeten sich ein, wenn sie einen Mann hätten, so sei allem ghulfe und dann alle Tage sufen, Sunntig und linds Brot. Die arme Tröpf bekämen bald Manns genug und sinneten dann ans Liedli: «Ledig sy ist gar e frein Ding.»

«Es selligs rechtdenkets und witzigs Möntsch, wie du eins bist, trifft man nicht alle Tage an, unter Hunderten nicht, my armi Türi! Aber hör, ich wüßte dir Einen, einen tollen Mann; die Frau ist ihm erst vor vierzehn Tagen gestorben, aber er nähme wieder eine. Er hat es gleich den Tag nach der Leiche zu mir gesagt. Er hat ein braves Heimet für drei Kühe, und die Schulden plagen ihn nicht; ds Kunträri, er hat noch Ausgeliehenes und noch fry ordeli viel. Der wär für dich wie gküchlet und du für ihn ebenfalls.» Oh, das sei nicht, daß es ihm sövli pressiere, sagte Mädi; hätte es so lange gewartet, so wolle es jetzt nicht zämefüßlige i d Lätsche; gut Ding well Wyl ha. He, sagte der Mann, es sei nicht, daß es heute sein müsse, aber man müsse den Kuchen backen, während der Ofen warm sei. Es sei mit sellige Sachen so: sie kämen einmal, und griffe man nicht zu, so könne man ihnen dann lange nachplären, sie kämen nicht wieder. «He, ja, ja», sagte Mädi, «es ist so; wenn man nur immer wüßte, wie man es machte!» Es hätte Mancher dSach, aber sie reute ihn, und er sei der wüstest Hung gegen seine Frau. «Der wäre es nicht», sagte der Mann, «darauf kannst du zählen; er gönnt es ihm und Andern, und wenn du einmal ins Wirtshaus willst, so brauchst du es nur zu sagen. Er hat manchmal geklagt, die Frau, welche ihm gestorben, wolle nicht mit ihm gehen, gäb wie er ansetze, und wenn er ihr eine Halbe krame, so sei es ihr nie recht.» Oh, sagte Mädi, selb begehre es auch nicht, daß der Mann seinetwegen sich so verköstige; wenn man nebenaus gewurstet hätte, so wolle es nicht daran schuldig sein. So ein huslicher Mann sei ihm doch noch lieber als einer, dem alles gleich sei, und der das Geld nicht ästimiere.

«Oh, für ds selb brauchst du nicht zu kummern», sagte der Mann, «der weiß, was Geld ist, und schlägt alle Jahre ein Schönes vor. Aber er hat manchmal gesagt, daß ich es gehört, und unsere Häuser sind nebeneinander, er wollte ein Narr sein, hat er gesagt, und sich es nicht gönnen; mitnehmen könne er doch nichts, und je mehr er spare, desto mehr werde an seiner Gräbt versoffen, und desto lustiger seien die Leute, und das wolle er ihnen nicht zu Gefallen tun. Ja, wenn er einer guten Frau die Sache könne lassen verschreiben, so wäre es noch etwas, aber für seines Vaters Bruders Kinder wolle er es nicht bös haben. «Wie alt wär er?» fragte Mädi. «Oh, im besten Alter», sagte der andere, «er ist noch lange nicht siebenzig und läuft dir noch gradauf wie ein Stecken und mäht einen ganzen Morgen wie ein Junger und hat noch alle Zähne im Maul, wenigstens vorfer. Ich will ihm davon sagen, sobald ich heimkomme, und dir Bscheid machen; oder vielleicht kömmt er selbst.» «He», sagte Mädi, «ich will noch dWehli ha und mich besinnen; wer weiß, wie es mir noch kömmt.» «He, du Göhl, wer wollte dich zwängen? Du kannst es ja immer machen, wie du willst», sagte der Mann. «Aber hör, kannst du mir nicht zwanzig Batzen geben? Ich sollte da etwas kaufen und sehe erst, daß ich nicht Geld genug bei mir habe. Entweder will ich dir das Geld zurückgeben, wenn ich dir Bescheid bringe, oder wenn er selbst kömmt, so will ich es ihm mitgeben. Du kannst darauf zählen.»

Mädi hielt sich nicht dafür, daß es nicht zwanzig Batzen zum Entlehnen hätte, und dachte, die gute Bekanntschaft dürfe es nicht verderben, sie sei auch etwas wert. Es las die Batzen aus seinen Brotbrosmen heraus, welche seit langem in seinen Säcken sich aufgehäuft hatten. Erst als es sie gegeben und alleine Xaveris Haus zu ging, fielen sie ihm so schwer aufs Herz, daß es kaum das Geheul der Hunde hörte, welches an den Felsen grausig widerhallte.

Vor dem Hause spaltete Einer Holz, und auf die Frage nach dem Xaveri sagte der, er sei für sein Kind, das gar krank sei, zum Doktor gegangen. «Aber mangelt denn der den Doktor auch?» fragte Mädi, «ich habe geglaubt, er habe ein Elixier, welches alles gesund mache?» «Ja, aber er macht es nur für andere Leute; er selber braucht nichts davon», sagte der Knecht, «aber wart nur ein wenig, er wird gleich wiederkommen.» «Das ist wunderlich», sagte Mädi, «bsunderbar wunderlich, daruf vrstah ih mi nit.» Und wer weiß, was Mädi gemacht hätte, wenn Xaveri nicht gleich gekommen wäre. So fassete es seinen Schoppen für zehn Batzen und machte sich auf den Heimweg; und gar etwas Wunderliches ereignete sich in seinem Kopf; so war es ihm noch nie ergangen.

Da stritten in seinem Kopf seine Gedanken eine seltsame Schlacht. Sonst sinnete Mädi nur eine Sache, und manchmal wußte es längs Stück nicht, welche, und wenn man ihm den Kopf hätte abhauen wollen, es hätte es nicht sagen können; wenn es zur Selteni sagen konnte, was es gesinnet, so war es selbst verwundert darüber. Jetzt wollten sich zwei Dinge in seine Gedanken nisten, und jedes alleine, und darum stritten sie miteinander, und bald war das eine oben und dann gleich darauf wieder unten und umgekehrt, und Mädi war sich beider Sachen recht gut bewußt; und wenn nur jemand bei ihm gewesen wäre, es hätte gerne von beiden gesprochen, wenn auch nicht nacheinander, so doch durcheinander, gerade wie sie in seinem Kopfe auf- und niedergingen. Die Freude, daß Xaveri beim Doktor gewesen und sich nicht selbst zu helfen wußte, weder mit seinem Elixier noch mit etwas Anderem, und wie es das Anne Bäbi vorhalten und dem Hansli sagen wolle, bewegte es mächtig, und eine ganze Menge Trümpfe gegen Anne Bäbi stellten sich ihm zu Gebote.

Aber mitten in denselben erschien der Mann im besten Alter, bolzgrad auf und mit allen Zähnen vorfer. Und Mädi beäugelte ihn hinten und vornen und sah dann noch ein Haus und im Hause Schäfte und Gaden und viel Tuch und Garn darin, und eine Küche mit schönen Kachelbänken und oben im Rauch acht Hammen und vier Speckseiten, und unterm Hause einen Keller und darin einen schönen Ankenhafen, einen angehauenen Käse und Erdäpfelkrumen und Sauerkabisstanden und ein großer Milchbank; und in alles das schlugen die Trümpfe, welche es Anne Bäbi sagen wollte, und Mann und Haus verschwand, und die zwanzig Batzen kamen ihm wieder in Sinn, die es einmal gehabt hatte und gerne wieder gehabt hätte.

Als es daheim fortging, hatte ihm Anne Bäbi gesagt: «Häb de e Schoppe!» Es hatte dasselbe eigentlich nicht im Sinn; denn es meinte nicht, daß der Mensch auf der Welt sei, um z'unnütz Geld zu brauchen, und es wußte wohl, daß es daheim etwas im Ofenguggeli an der Wärme finden würde.

Als aber seine Gedanken so aufrührerisch wurden, ihm keine Ruhe ließen, so ward ihm fast angst dabei, und es flüchtete sich gleichsam vor ihnen ins Wirtshaus und setzte sich auf den gleichen Platz, wo gestern zur gleichen Stunde seine Meisterfrau gesessen war, gleich wenn man zur Türe ein kam linker Hand in der Ecke am Tisch. Die Weiber saßen gewöhnlich dort ab, um nicht lange in der Gaststube herumgehen zu müssen, was selten eins ohne Verlegenheit tut. Gottlob sieht man es den meisten an, daß sie in den Gaststuben nicht daheim sind. Zugleich hatte man auf jenem Platze den Vorteil, daß man alles sah, was in der Stube vorging, und alsobald verschwinden konnte, sobald jemand hinein kam, den man scheute.

Als die Wirtin Mädi bedient hatte, setzte sie sich auf die vordere Bank und fragte: «Es duecht mich, ich sollte dich schon gesehen haben. Wo kömmst du her?» «He, von Gutmütigen», antwortete Mädi. «Du wirst öppe gsi sy?» fragte die Wirtin. «Ich habe zum Xaveri müsse, von seinem Dreck habe ich müssen holen; und das kleine Gütterli hat zehn Batzen gekostet, lueg auch!» «Bist du etwa Hansli Jowägers Jungfrau?» «Ich sollte sie sein, d Lüt säges», antwortete Mädi. «Ihr einziger Sohn soll noch immer krank sein», sagte die Wirtin. «Die Frau ist gestern dagewesen und hat neue berichtet.» «Ja, ja», sagte Mädi, «und wenn ich nicht gewesen wäre und ihm so grusam gluegt hätte, wo er krank gsi ist, er wäre längste tot. Aber jetzt, wo er fast wieder zweg ist, schätzt man mich nichts mehr, und wenn ich schon lange was sage, es giltet nichts mehr. Man ist gut genug, wenn man einen nötig hat, und nachher sollte man nirgends mehr sein und zu keiner Sache was sagen.» Aber es sei ihm gleich, es könne auch schweigen; es daure ihns nur der Jakobli.

«He», sagte die Wirtin, «die Leute können sonst das Elixier nicht genug rühmen.» Einmal es, sagte Mädi, hätte keinen Mut dazu. «Wenn es etwas nutz wäre, so gäbte er seinem eigenen Kinde auch davon, und wenn er etwas könnte, so liefe er nicht zu einem andern Doktor.» Die Wirtin fand nicht nötig zu sagen, daß sie das Elixier angegeben, sondern lenkte ab und fragte: «Das sind reiche Leute, ds Jowägers, nicht wahr?» He, sagte Mädi, sie könnten es einmal machen, aber desto besser hätten sies nicht dabei; es und der Knecht müßten fast alles alleine werchen; bsonders seit Jakoblis Krankheit lege Anne Bäbi fast keine Hand mehr an, und Hansli möge auch nicht mehr recht.

«Ihr habt viel Land?» fragte die Wirtin. «Ho, es hat mancher mehr; aber doch haben wir jahraus jahrein ein Roß und vier Kühe und manchmal sechs Schweine. Ehe ich dort war, hatten sie nur zwei; aber jetzt haben wir gewöhnlich sechse, und wenn ich alleine Meister wäre, ich wüßte für acht Sachen genug, und Küh hätte ich auch eine mehr. Aber unsereiner sollte nichts zu befehlen haben, und dMeisterfrau hat ihren apartigen Gring, und wenn Hansli eine Andere hätte, er könnte mängs hundert Kronen reicher sein.» «Haben sie noch Schulden, und husen sie hingertsi?» frug die Wirtin. «Selb nicht», antwortete Mädi. «Ds Höfli ist zahlt, und es ist manches vornehme Haus, es ist nicht halb soviel Geld als in unserem; und wenn alles an einem Haufen wäre, was Hansli hier und da verstoßen hat, nur was ich weiß, es würde mancher Herr sein Lebtag noch nie soviel beieinander gehabt haben. Man könnte wohl noch ein Höfchen daraus kaufen.»

«Die sind also von den Heimlichfeißen. Es gibt deren nicht mehr soviel als sonst. Heutzutage wollen die Leute immer reicher scheinen als sie sind; so bschyßt eis ds Andere, und so kommen manchmal Zwei zusammen, und ein jedes glaubt, das Andere sei reich und am Ende haben Beide nichts, Beide haben einander angelogen, und doch hält es eins dem Andern vor, solang es lebt, und Streit ist das Einzige, was sie Sonntag und Werktag haben ohne Aufhören. Man kann sich heutzutage nicht genug in acht nehmen; wem man schon glaubt, man habe alles ausgefrägelt, so kriegt man doch eine Tasche und nimmt nicht nur einen, sondern beide Schuhe voll heraus.» Nein, sagte Mädi, das brauche hier niemand zu fürchten; Hansli wisse selbst nicht, wie reich er sei, und wenn er alle seine Säckli zusammenlesen würde, er würde sich selbst verwundern, wieviel er hätte. Je, sagte die Wirtin, da hätte dann ein Söhnisweib gut einzusitzen, und sie glaubte, das Weiben täte dem Jakobli gut. Sie wüßte viele Beispiele, daß die Leute gekränkelt hätten, solange sie ledig gewesen seien, man hätte nicht gewußt, wo es ihnen fehle; und sobald sie geheiratet hätten, seien sie gesund gewesen wie Fische im Bach, und ihrer Lebtag hätte ihnen nichts mehr gefehlt. Es sei gar kurios mit dem.

Es hätte auch schon davon gehört, sagte Mädi. Es fehle ihm auch zuweilen; manchmal kriege es so schwere Beine, daß es sie nicht lüpfen möge, und anderemal einen so sturmen Kopf, daß es ihns dueche, es müsse desaus fallen; aber am meisten habe es ein Drücken auf dem Herzen, daß es ihm sei, als ob eine dreizentnerige Sau darauf hocke, und es meine, es müsse ersticken. Da habe es auch manchmal gedacht, ob das Heiraten nicht gut dafür wäre, und ob es ihm nicht besserte ums Herz, wenn es einen Mann hätte. Es hätte schon manchmal ab Körblikraut getrunken, aber es glaubte, ein Mann bschösse doch bas. Und es sei dann nicht, daß es nichts hätte; Kleider hätte es mehr als manche Bäurin, dreizehn gute Hemden und böse, es wisse nicht wieviel, und noch Tuch für drei im Schaft, wo auch noch manches Krönli Geld sei, es könnte nicht einmal sagen wie manches. Es hätte es dann gerade wie sein Meister, sagte die Wirtin. Es solle sich aber in acht nehmen, daß es nicht Einer erwütsche. Gerade selligi Meitli, wo man wisse, daß sie einige Kronen hätten, würden am leichtesten hineingesprengt. Aber für den Jakobli wäre es schade, wenn der ledig bliebe, und sie glaubte, sie wüßte ihm Eine, die für ihn wäre.

Ho, sagte Mädi, es wolle sich schon in acht nehmen; so blinzlige springe es nicht hinein. Es wolle seine Sache gewiß haben, und mit dem Jakobli werde es nicht sövli pressiere; sie wollten einmal jetzt das Elixier probieren, und wenn das nicht helfe, so wisse es dann noch Einen, der sich bsunderbar aufs Wasser verstünde; und wenn der auch nichts könnte, dann könnte man mit dem Weiben probieren. Aber jetzt müsse es heim; sie wüßten sonst nicht, wo es wäre, und könnten meinen, wo es herumreutere. «He, pressiere nicht!» sagte die Wirtin, «sie werden wohl wissen, daß du nichts Schlechtes machst.» «He ja», sagte Mädi, «sie könnten es wissen, aber sie trauen doch niemand etwas. Es ist eine harte Sache, bei so mißtrauischen Leuten sein zu müssen. Es ist zWeihnacht fünfzehn Jahr, daß ich bei ihnen bin, und sie sollten es wissen, daß mir ihre Sache ist wie die meine, und doch sollte ich zu nichts etwas sagen, und wenn ich dMeisterfrau nicht alles will zwängen lassen, wo sie im Gring hat, so geht es übel. Adie, lebit wohl!» «Adie wohl», sagte die Wirtin, «und komm bald mehr!» «Es wirds schon geben», sagte Mädi und wanderte in andächtigem Sinnen seiner Wege.

«Das ist eine gwundrige Frau», sagte Mädi zu sich selbsten, «die hätte mir gerne die Würmer aus der Nase gezogen; der bin ich schlimm genug gewesen. Aber dumm ist die nicht; die weiß, wie es geht in der Welt. Es ist gerade, als ob sie gewußt hätte, daß mich Einer wollte, aber der hat mich noch nicht. Also für Jakobli wüßte sie Eine; aber der habe ich es gereiset und getan, als hörte ich sie nicht. Wunder hätte es mich doch genommen, an wen sie gesinnet hätte.» Hier stockte Mädis klarer Gedankenfluß, und ein seltsam dunkel Wirbeln und Strudeln bunter Vorstellungen begann.

Es fuhr ihm kalt den Rücken auf, wenn es dachte, wie leicht es einen Schuh voll hinaus nehmen, um seine Krönlein kommen könnte, ja auch um die Hemden, um gute und böse. Aber die Beine, wie taten ihm die weh, noch nie so, und auf dem Herzen drückte es ihns, daß es bysten und berzen mußte, als ob ein ganzer Schweinstall darauf wäre; und also dem Jakobli würde es auch bessern, wenn er wybete, so meinte die Wirtin, und die Frau ist nicht dumm. Aber in acht zu nehmen hätte der sich auch, meinte Mädi, daß er nicht hineintrappe; wenn ein Meitli mit ein paar Kronen einen Schuh voll hinausnehme, so riskiere ein Baurensohn nicht nur den Schuh, sondern Maul und Nase voll. Aber bessern täte es dem Jakobli, es glaube es auch, und ihm selbst auch; es duechs, bloß vom Darandenken leichte es ihm in den Beinen. Es sei doch kurios, dachte es, daß die gleiche Sache für sie beide gut wäre, und daß beide sich so sehr in acht nehmen müßten vor dem Hineintrappen; da hätten sie es akkurat ja gleich.

Zu äußerst an dieser Gedankenreihe entstand in Mädis Seele ein klein, glänzend Fünklein, und das Fünklein flackerte lustig hin und her, versteckte sich und schoß dann wieder empor hoch auf, und Mädis Beine wurden immer leichter, sein Herz immer freier; wer hinter ihm drein gegangen wäre, hätte geglaubt, es wolle anfangen zu tanzen, und es hätte von dem bekannten Lustgas eingesogen, einer eigens bereiteten Luftart, welche den, welcher sie einsaugt, in einen lustigen Rausch versetzt, wo der Himmel voller Geigen ist, und tanzen muß, wer sein Lebtag nichts davon wußte. Die Rede geht, es sei zur selben Zeit, in welcher Mädi auf der Heimreise begriffen war, in einem Wäldchen, durch welches Mädis Weg führte, gejauchzt und gesungen worden, als ob ein Dutzend Kiltbuben zusammen machten, welcher lauter.

In Mädis Seele hatte der Blitz eingeschlagen, der Blitz der Liebe, die so oft das Aufgehen eines plötzlichen Verständnisses ist. Aber dieser Blitz, obgleich von gleicher Wirkung, ist doch von gar verschiedener Materie, und diese Materie wird seltsamerweise von denen am wenigsten erkannt, in welche er eingeschlagen.

«Wenn ich Jakobli nähmte?» Diese Frage stund gleichsam mit der Phosphorschrift, mit welcher Guggenbühler seine Kretins lehrt, vor Mädis Seele. «Jakobli nähmte und Jakobli mich nähmte, und es ihm besserte und es mir besserte; und jedes wüßte, was es hätte, und keines Kummer zu haben brauchte, es nähmte einen Schuh voll heraus. Wir hätten uns ja aneinander gewöhnt, und was er mehr hätte, würde ich mehr werchen, und er brauchte mit dem Hochzeitmachen nicht viel Umstände zu haben und nicht viel Kosten. Öppe es Krämli, gäb wie liecht, ih wär zfriede. Und zu ihm luege wollte ich anders als dä Sturm, wo sys Müetti sy will; die wollte ich dann rangieren, die müßt wisse, daß ih de Sühniswyb wär und nit ume dJumpfere. Öppis jünger ist er, zechni oder zwänzgi, was weiß ich; aber das macht nüt, es ist ihm auch z'gönne, daß er es gsetzt Mönsch überchunnt und eys, das ne i alle Stücke brichte cha. Nei, uf my armi Türi, syt dWelt steyht, hey sie nie zwee besser zämegschickt als ih u er.

De nadisch, wenn ich nicht gewesen wäre, so wäre er längst unter dem Boden; und da ist doch nichts als billig, wenn er eine nehmen will, er nehme mich und nicht so ein meisterlosiges Schyßnäsi, wo dGosche i allem het, dNase über alles rümpft und nüt arühre darf und no am Sunndig so glöcheret Strümpf ahet und nit ume a dr Fersere, sondern gelöchert um und um und zmitts uf em Grist, wie sich jetzt afe die reichsten Baurentöchtern nicht schämen. Da bin ich doch ein anderes Mensch und darf meine Finger in allem haben, und wenn mir auch am Werchtag manchmal die blutti Fersere fürechunnt, jo frylich, su, wenn dr Sunndi chunnt, han ih doch de ganzi Strümpf azlege und de nit ume öppe wullig, no zweu Paar bauelig han ih de o no. Auf my armi Türi, es wäre schlechts von ihm, wenn er mich so anführte und hocken ließe, und habe ich doch soviel für ihn getan. Das tut er nicht, er ist ein bräverer Bursche als sie heutzutage sind, und so ein armes Meitli, wie ich bin, führt er doch, so Gott will, nicht an; er könnte es ja am jüngsten Tag nicht verantworten und müßte fürchten, er hätte gar keine gesunde Stunde mehr. Nein, sövli e wüste Hung ist er nicht; aber Anne Bäbi wird luege und si wehre; aber das cha lang säge, öppe geng muß das de sy Gring nit ha. Hansli, der ist freine, und wenn nur niemand viel sagt, so ist ihm alles recht. Aber dr Sami, der wird luege und fluche; wenn er si nume nit geyht ga häyche, ih hätts notti ungern. Aber es geschieht ihm recht, warum het er drglyche ta, er schätz mi nüt, und het ta, als ob ich räudig wär oder gar vergiftig. Dem geschieht es recht; er weiß dann ein andermal, wie er tun soll, dä Schnürfli.»

So gingen Gedankenwogen auf und nieder in Mädis Seele und schwellten sein Herz. Doch war dasselbe nicht so ganz Gefühlsseele, daß nicht auch die Klugheit dareingeredet und zu einem eigentlichen Operationsplan geraten hätte. Aber die Freude und das Sinnen ließen denselben nicht zur vollen Klarheit kommen, und Zeit dazu nahm es sich nicht. Seine Füße liefen wie auf Federn; in Gutmütigen schauten ihm die Leute aus allen Häusern nach und sagten: «Ds Hanslis Mädi ist sturm oder hat einen Stüber; es wünscht ja allen Leuten guten Tag, und hats doch schon Feierabend geläutet.»

Es stieß an ihr Haus, ehe es daran dachte, und erschrak in allen Gliedern, als Hanslis Stimme aus dem Schopf erscholl: «Es ist gut, daß du kömmst; wir haben geglaubt, es hätte dir etwas gegeben.» Anne Bäbi schoß mit den Säumelchtern vorüber und tat, als sehe es Mädi nicht; aber vor sich hin brummte es, daß Mädi es hören sollte, es wisse jetzt, wen es nach dem Tod senden solle, wenn ihm das Leben erleidet sei. Aber Mädi hörte es nicht, seine Gedanken hatten sein Ohr betäubt, seine Augen suchten Jakobli, aber der war nicht draußen. «Gehe nur hinein», sagte Hansli, «dr Bub ist drinnen, du kannst ihm das Trank gleich geben, und die Frau wird dir wohl etwas dännedeckt ha.»

Drinnen fand es Jakobli, packte sein Elixier aus, sagte, es hätte nicht viel darauf; wenn es etwas nutz wäre, so brauchte es der Doktor auch für sich und seine Leute.

Anne Bäbi schoß wie ein taubes Wespi durch die Stube und wollte mit Mädi gar nichts reden, sondern kupen; und doch versprengte es die Neugierde fast, wo Mädi gewesen, und was es gesehen und vernommen. Und als Mädi das sah, dachte es, der täte es nicht die Ehre an und packte aus; die müsse ihm anders kommen, wenn sie etwas vernehmen wolle. Solches nehme es aber nicht mehr an, wenn es einmal Söhniswyb sei; die wolle es anders brichten. So währte das eine gute Stunde, und immer mehr drückte Anne Bäbi der Gwunder und Mädi der Drang der Mitteilung. Sie schossen nicht mehr so rasch aneinander vorüber. Mädi fragte, ob es noch Kraut abhauen solle für morgen, und Anne Bäbi sagte, es duechs, die Schweine seien bsonderbar fräßig, sie hätten diesen Abend ihm die Melchtern fast gefressen. Darauf sagte Mädi, es sei ihm leid, es hätte einmal nicht früher heimkommen können; es hätte gar lange auf den Xaveri warten müssen, der für sein eigen Kind, dem er mit Schein nicht helfen könne, beim Doktor gewesen.

Dann hätte ihns die Wirtin zu Fischigen noch aufgehalten, welche eine gwundrige Frau sei und nicht hätte aufhören wollen z'brichten; die hätte auf dem Xaveri und seinem Elixier auch nicht viel. «Das wäre kurios», sagte Anne Bäbi, «gerade die hat es mir angegeben und es bsunderbar gerühmt. Was hat die dann gesagt?»

«Oh», sagte Mädi, «apartig hat sie nichts gewußt; aber einmal viel hat sie nicht darauf gehalten, sondern gesagt, sie wisse etwas viel Besseres.» «Was dann?» fragte Anne Bäbi hastig.

«Ich sage es nicht», sagte Mädi und kickerte so seltsam, drehte das Gesicht in eine Ecke und wetzte und ripsete in den Kleidern herum, als ob es es bisse am ganzen Leibe.

«Das ist doch dumm!» sagte Anne Bäbi, «wottschs säge oder nit?» «Nei, ih säges nit, du kannst meinethalb gehen und sie selbst fragen. Hi hi hi!» «Das wäre mir», sagte Anne Bäbi, «wenn ich jetzt noch da hinunter laufen sollte; sie würden ja zuletzt meinen, es fehlte uns im Kopfe. Willst es sagen oder nicht?» «Und ih säges nit, hi hi hi!» wisperte Mädi. «Warum nicht?» «Ich darf uf my Türi nit, und du könntest glauben, ich hätte das selbst ersinnet; drum frag die Wirtin selbst!»

«Das sind Stämpeneyen», sagte Anne Bäbi, «säg mers!» «Ich darf wäger fast nicht», sagte Mädi, «öppis Arigs hat sie gesagt.»

«Wottsch jetzt enanderenah!» sagte Anne Bäbi, «ich habe nicht Zeit, den ganzen Abend deinem Gstürm abzlose.» «He, wes sy muß, ih wills säge; aber sägs nume em Jakobli nit. DWirtin het gseit, für sellig Krankheite syg ds Beste, hi hi hi, denk ume o; aber ih darfs uf die armi Türi nit säge; denk ume o: ds Beste sei ds Manne!» «Du Göhl du!» sagte Anne Bäbi, «sie wird dir öppe das angegeben haben.» «Ih has ume lätz gseit», kickerte Mädi, «von mir hat sie aparti nichts gesagt, aber vom Jakobli hat sie gesagt, denk ume o, er söll wybe, hat sie gesagt; dann werde ihm schon alles bessern, und das sei viel besser als son es Gschluder vo Elixier.» «Si ist e Göhl», sagte Anne Bäbi, «my Jakobli ist ja nume non es Ching.»

«Gerade eben recht wäre er mir», dachte Mädi, aber sagte es nicht und dachte auch, das werde Anne Bäbi wenig angehen, wenn Jakobli wyben wolle. «So hats die Wirtin gesagt», sagte Mädi, «ersinnet habe ich es nicht.» «Das geht sie gar nichts an», sagte Anne Bäbi, «was Jakobli gut ist oder nit; wenn sie nur wollte zu ihr selbst sehen! Man hat öppe den Verstand selbst für z'wisse, was eim si schickt und nit schickt.»

Somit brach Anne Bäbi das Gespräch ab und machte sich ans Elixier, roch daran, versuchte es, schüttelte sich darob; dann mußte Hansli versuchen, gäb wie er sagte, es gelüste ihn nicht; endlich kam es an Jakobli; und als der sich noch weit mehr darob schüttelte, sagte Anne Bäbi, grad so muß eim dr Züg mache, wenn er bschüßen solle; das sei ein Zeichen, daß er anrühr; und wenn der Züg nit anrühre, daß me mein, er well dur eim dureschieße wien e Pfyl oder wien e Muni dur e Krishufe, so trag er nüt ab.

Aber merkwürdig ist es, wie es Worte gibt, die sich wie mit Widerhaken einhängen in unsere Seele; und oft gehen diese Worte hinein, wir wissen es kaum, und wie sie sich einhängen, fühlen wir gar nicht, gerade so wenig wie feine Splitter, welche in die Finger gehen. Aber gerade wie die Splitter sich nach und nach bemerkbar machen, den Finger entzünden, seine Empfindlichkeit steigern können ins Unendliche, gerade so ists auch mit diesen Worten. Sie tauchen almählig auf, stellen sich immer häufiger vor die Seele, machen sich zum wunderbaren Herde, auf welchem bereitet werden die Gedankenreihen der Menschen. Und wo er einsam geht, der Mensch, da treten die Worte vor ihn, reden zu ihm, füllen ihn an mit Bildern, Zweifeln, Vorsätzen, mit allem bunt durcheinander. Und wo er unter Menschen weilet, da treten sie plötzlich vor ihn, unterbrechen seine Reden, führen seinen Geist aus der Gesellschaft fort, in welcher sein Leib öde und tot sitzen bleibt. Ja, sie heben den Umhang und treten in der Menschen Schlaf hinein, zaubern die Träume herauf und bewegen die Seele auf den Fluten der durch sie erzeugten Empfindungen.

Wer kennt die Grenzen, welche das Gebiet solcher Gedanken scheiden von dem fürchterlichen Lande, wo, wie in öder afrikanischer Wüste der Samum waltet, alles Leben versengend, die fixe Idee, der Wahnsinn waltet; wo ein Wahn mit fürchterlicher Gewalt alle Kräfte der Menschen überragt, alle Besinnung tötet und den Menschen in schreckliche Irre treibt, halt-, mast- und segellos, ein gebrechlich Schifflein in des wütenden Meeres Wirbeln? Wir kennen die Grenzen nicht, vor ihnen wahrt uns unsere Weisheit nicht. Die Hand, welche des stolzen Meeres stolze Wellen niederschlägt, den Sonnen ihre Bahnen zieht, hält auch der Gedanken Macht, setzet ihnen ihr Ziel. Und eine gütige Hand ists; denn wie selten läßt sie dieselben schweifen hinüber in die schreckliche Nacht des Wahns! Aber wer hat nicht die Macht eines Gedankens erfahren, und wie er ihm untertan wurde Tag und Nacht, vielleicht jahrelang? Und wer wars, der den Widerhaken löste, die Seele wieder freiließ, das Auge öffnete einem neuen Gedankenkreis? Hier kann Demut lernen, wer hinuntersteigen will in die geheimen Schachten der Menschennatur; da unten wird uns offenbar unsere Schwäche und des Herren Macht und Güte.

Wie hoch einer auch begabet sei und hervorragend in der Reihe der Geister, er bleibet dennoch untertan eines Gedankens Macht, und diese Macht begrenzet der Herr und nicht der Mensch. Doch wahr ists: je mehr ein Mensch denkt, je öfter er sich beweget im Meere der Gedanken, desto mehr gelangt er zu einer gewissen Freiheit, zu einer gewissen Macht über die Gedanken. Er kann in vielen Fällen sie kommen und gehen heißen, kann einen austreiben durch den andern, bald sie wägen und prüfen, wählen und verwerfen, doch nur, solange der Herr es will; und sobald der Herr will, wird eine Idee übermächtig, verschlingt, einem weiten Grabe gleich, alle andern, verschlingt Verstand, Bewußtsein, verschlingt alles, was zum Menschen den Menschen macht.

Je tiefer ein Mensch steht in der Reihe der denkenden Wesen, je enger sein Gesichtskreis, je einförmiger sein Leben, je spärlicher sein Verkehr, desto tiefer haften einzelne Worte, desto größer wird die Macht der an dieselben sich knüpfenden Gedanken. Es hat wirklich etwas Schauerliches, Grauenvolles, wenn wir in den Gründen so vieler Seelen nach den Ursachen des äußern, sichtbar werdenden Lebens forschen und finden da wohl einem flammenden, sprühenden Herde die Seele, einer Hölle ähnlich; aber unter diesem Herde steckt ein einzig Wörtlein, und aus demselben flammt die dämonische Glut, welche die Seele füllt, das äußere Leben bedingt.

Und solche Worte, absichtslos gesprochen, wie ohne Zweck das Kind seine Pfeile vom Bogen schnellt, fliegen giftigen Pfeilen gleich zu Tausenden durch die Welt, suchen sich Herzen, die kein Schild deckt, dringen in Seelen, wo es dunkel ist, keine Macht zu überwinden ist. Mitten in dieser Wolke von Pfeilen stehet jeder, sieht sie nicht, weiß nicht, ist der Pfeil vom Bogen schon geflogen, der seine Seele tödlich verletzen soll, ja fühlt es nicht einmal, wenn er fliegt in selbige, sich einhakt für immer. Wer mit Menschen mit Bewußtsein umgeht und nicht bloß die Erscheinung betrachtet, sondern auch ihre Wurzeln, der fühlt sich so oft von unheimlichem Grauen geschüttelt und möchte beben für die eigene Seele, wenn er nicht wüßte, daß Beben nichts hilft, daß da nur das Vertrauen hilft, daß hier der feste Schild der Herr ist und nur das Herz am besten gesichert, von welchem bereits der Herr Besitz genommen, für unheimliche Geister kein Raum mehr ist.

Wie manche Ehe ist zerstört, und glühend brennen die Fesseln, mit welchen Zwei zusammengebunden, und verzweifelnd zerren Beide sich hiehin und dorthin in die selbst bereitete Hölle!

Man soll Frieden stiften, muß nach den Ursachen spüren, findet lange nichts als entzündete Gemüter; endlich, endlich, wenn man auf Augenblicke die Entzündung niederzuschlagen vermag, so entdeckt man, einem Splitter in aufgeschwollenen Gliedern gleich, ein in der Seele seit Jahren eiterndes Wort. Und dieses Wort vermag selten ein Mensch loszumachen und auszuziehen; wenn man schon meint, man habe es ausgezogen, die Aufregung sei gestillet, die Wunde werde heilen, nach wenig Tagen ist der alte Zustand wieder da; der Splitter war nur abgebrochen, dessen Spitze erfasset Menschenhand nimmer.

Man sieht eine Menge Leben auf das traurigste zerstört, sieht in verkehrter Eigentümlichkeit Menschen sich bewegen, eine besondere Richtung verfolgen sich und Andern zur größten Pein. Umsonst ist alle Pein, umsonst alle Mühe, die Menschen aus dieser Richtung zu bringen, sie auf einen Weg zurückzuführen, wo es ihnen und Andern wieder wohl wird; sie haben Augen und sehen nicht, Ohren und hören nicht; sie sind nicht wahnsinnig, aber sie streifen an den Grenzen und sind vielleicht ebenso bedaurungswürdig als die, welche bereits jenseits sind. Man begreift nicht, wie es möglich ist, daß ein Mensch also werden, daß mitten unter andern Menschen eine solche Seltsamkeit in ihm sich ausbilden kann, welche ihn zum Gegenstand des Spottes oder des Fluches macht – es war ein Wort, das sich in seine Seele hakte.

Je einförmiger ein Leben ist, je gedankenleerer eine Seele, umsomehr haben, wie gesagt, solche Worte Gewalt. Man hört Leute jahrelang die einfachsten Worte wiederholen, welche dieser oder jener zu ihnen gesagt, und Kind und Kindeskinder sprechen sie noch nach; es pflanzen sich in einsamern Gegenden Witzworte oder Erfahrungssprüche jahrhundertelang fort, das liegt zutage; wie manches Leben von einem einzigen Worte ausgeht, das liegt verborgen.

Als die Wirtin zu Fischigen sagte, Wyben wär gut, da wußte sie nicht, wie gewaltig dieses Wort werden sollte; und als sie bald darauf starb, da wußte sie noch weniger, wie dieses Wort noch lebe, und welche Macht es übe in zweien Seelen. Es liegt wiederum ein Schauer im Gedanken, welche Macht in einem Worte liegen kann, welches uns aus dem Munde geht, und wie dieses Wort zurückbleiben kann als unserer Seele Kind, während längst unser eigner Leib und unserer Kinder und Kindeskinder Leiber zu Asche geworden sind im kühlen, dunkeln Grabe.


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