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Drittes Kapitel

Wie Jakobli eine Krankheit kriegt und eine Jungfere ein Doktor wird

Als sie heimkamen, stund Hansli noch an demselben Flecke, wo er gestanden, als sie ihn verließen; es war zweifelhaft, ob er ihn je verlassen oder zufällig wieder auf denselben zu stehen gekommen.

«Guten Abend, Ätti!» sagte Anne Bäbi ganz vergnügt, «gäll, wir sind früh wieder da?» Und somit stellte sich Anne Bäbi und wollte anfangen Bericht zu geben über ihren Flachs und ihre Bäume und über anderer Leute Flachs und Bäume. Da sagte Hansli: «Eh aber, Jakobli, was fehlt dir, du bist ganz wyß, und es schüttlet dich wie ein Espenlaub?» «Es friert mich, Ätti», sagte Jakobli, «und ist mir grusam übel; wenn ich nur schon im Bette wär!» Da sah auch Anne Bäbi ihn an und erschrak grusam und sagte: «Aber Herr Jeses, Bub, wie siehst du aus! Warum sagst du es nicht und lassest mich in den Längacker gehen?» «Mutter, ich habe es dir ja gesagt; es ist mir schon ein paar Tage so wunderlich gewesen.» «Nein freilich hast du mir nichts gesagt, nur so etwas gemürmt hast du, und ich habe nicht gemeint, daß es dir Ernst sei. Warum sagtest du nicht, daß es dir Ernst sei? Gehe ins Bett auf der Stelle; ich will feuren und dir Warms machen.» «Aber Mutter», sagte Hansli, «wenn dir der Bub sagt, es fehl ihm, warum kömmst du nicht mit ihm heim? Das duecht mich doch strengs von dir!» «Ich werde jetzt noch sollen schuld daran sein», sagte Anne Bäbi. «Warum kömmst du nicht mit? Du hättest gemerkt, daß es ihm fehlt. Jawolle, so komm mir nicht! Aber ich weiß wohl, daß ich immer an allem schuld sein soll; das ist mir nichts mehr anders. Aber wer ist da bei ihm gestanden im Schopf und hat gemacht, daß er da am Luft bleibt hocken? Wer ist das gewesen, wer?» Hansli versäumte mit Reden sein Anne Bäbi nicht länger, sondern ging, gab den Kühen eine neue Bahreten und sah dann nach dem Jakobli; der lag schon im Bette und schlotterte, daß es ihm die Zähne zusammenschlug und die Bettstatt sich bewegte. Wie ein weiß gewaschenes Tuch lag er da und konnte dem Vater nicht einmal sagen, wie es ihm gehe, so jagte es ihm den Mund auf und zu.

Es ging nicht lange, so erschien Anne Bäbi mit einem Kacheli Kaffee, und nicht lange darauf Mädi mit einem Eiertätsch. Nachdem Anne Bäbi ins Blättli geschüttet, geblasen, versucht hatte, trat es zum Bett, und Jakobli sollte nehmen; das werde ihn schon wärmen, sagte es. Aber Jakobli konnte sich nicht fest aufrecht erhalten; mit seinen fliegenden Händen konnte er das Blättlein nicht zum Munde bringen. Hans sollte helfen, konnte das Schlottern und Schütteln auch nicht verwehren, noch weniger Mädi, und Anne Bäbi zankte bitterlich alle aus; es dünkte ihns, sie machten expreß alles verkehrt, und die ganze Welt sei wider ihns und tue ihm alles zuleid. So hässig hatte man es noch nie gesehen; es gab sogar der Katze einen Stupf mit dem Fuße, da sie zu sehen kam, warum die ganze Haushaltung im Stübli sich versammle, und wo der Eiertätsch bleibe. Endlich ging die erste Stör vorbei, und es kamen Hitze und Glut, und Jakoblis Gesicht ward wie ein heißer Ziegelstein, und er sagte, er liege wie im Feuer. Da ward Anne Bäbi noch hässiger; es schnauzte Mädi an, wo es den Melissentee habe, den es ihm längst befohlen hätte, von welchem Befehl aber kein Mensch ein Wort gehört. Es schnauzte Hansli an, warum er da herumstopfe und einem allenthalben im Wege sei; es dueche ihns, es wäre Zeit, daß er sehen würde, wie es im Stalle ginge; es wäre genug, wenn es da wäre. Als endlich alle draußen waren, da ließ es Tropf um Tropf aus den Augen rinnen, und je mehr sie rannen, desto mehr deckte es den Jakobli zu. Die Nacht durch duldete es niemand bei Jakobli, jagte mit Schnauzen und Hässelen alle ins Bett; es sollte niemand sehen, wie ihm war.

Es war eine üble Nacht. Schauer wechselten mit des Feuers Glut; ein heftiges Kreuzweh stellte sich ein, Kopfweh schien Jakobli des Kopfes Deckel oben absprengen zu wollen, und dann ward ihm wieder, als ob sein Gesicht in einem Ameisenhaufen stecken täte und der übrige Leib in Nesseln. Und Anne Bäbi hatte Seelenangst; es betete und weinte, wenn Jakobli es nicht sah, und gegen Morgen duldete es es nicht mehr länger alleine, es weckte Mädi und fragte ihns, was es meine, und ob Jakoblis Haut nicht so wunderlich gflecket wäre. Aber Mädi fand, es hätte viel bessert, es schlottere ihn ja gar nicht mehr, und an der Haut sehe es nichts Apartes. Als Hansli oben reden hörte, dachte er, es werde wieder erlaubt sein, und kam auch und war Mädis Meinung; und wenn Jakobli auch klagte, es sei ihm grusam übel, so meinten sie, es werde ihm jetzt schon wieder bessern, wenn er nur brav trinke; das Fieber, duechte sie, wird nicht mehr alles zwängen.

Aber die Glut ließ nicht nach; die Ameisen stachen immer schmerzlicher, die Nesseln brannten immer glühender; es saß doch etwas Seltsames auf oder unter der Haut. Diese wurde grübelet; es traten kleine Erhöhungen deutlicher auf, dieselben gestalteten sich zu Bläschen, und die Bläschen wurden rigeldick und wuchsen immer deutlicher und größer, und Anne Bäbi sagte immer: «Herr Jeses, Herr Jeses!» und Hansli sagte, er wisse nicht, was das geben solle; und wenn man Mädi fragte, so sagte es, es wisse nicht, was es sagen solle; bald dueche es ihns, es sygs, und bald, es sygs wieder nicht, und da wolle es lieber nichts sagen. Und während so niemand was sagen wollte einen lieben langen Tag lang und eine lange Nacht hindurch, kam eine Nachbäurin und sagte, sie müsse einmal kommen und sehen, was es gebe. Sie habe von ihrer Hausfrau gehört, Jakobli sei so übel, er werde kaum davonkommen. Sobald sie ihn sah, schrie sie: «Herr Jeses, Herr Jeses, das sind ja die rechten Blattern oder dKindsblattern, wie man ihnen allbets gesagt hat! Habt ihr ihm die Kuhblattern, oder wie man ihnen sagt, nicht geben lassen, wo er noch jung gewesen ist?»

«He, was du nicht sagst, Mareili!» antwortete Anne Bäbi, «das kann nicht sein, das kann wäger nicht sein. Mein Jakobeli kann die Blattern nicht haben, er hat sie wäger nicht; ich wüßte gar nicht, wo er sie aufgelesen haben sollte; es hat sie ja niemere zentum, und so von selbst wüßte ich nicht, wie sie kommen könnten.» «He, es muß sie wäger immer jemand zuerst haben; aber es ist möglich, daß ich mich irre; und wenn er geimpft ist, so wird es wohl sein», sagte Marei, die Nachbäurin. «Ja, eben nicht», sagte Hansli, «dBlattern haben wir ihm vom Doktor nicht geben lassen; es ist nicht der Bruch gewesen in unserem Haus; der Ätti hat es nicht getan und der Großätti nicht und niemere, so wyt me si hingerebsinne cha. Und do hey mer gmeint, ds Anne Bäbi un ih, es werd öppe nit nötig sy; und wenn niemere vo üs dra gstorbe syg, so wüßten wir gar nicht, warum es unserem Kind etwas tun sollte; und es wäre doch auch schrecklich, wenn wir das arme Kind so unnötig plagen würden und so mutwillig wären und es krank machten für nüt und wieder nüt, und da hat es sich nie welle schicke, und so ist die Sache underwege bliebe.»

«Jo, so ist es gegangen», sagte Anne Bäbi, «aber ich habe doch kein einziges Wort dagegen gesagt, und ich bin gar nicht darwidergewesen, und ich hätte nicht gewüßt warum. Hat doch meiner Schwester Schwähers Bruders Sohn allen seinen Kindern die Blattern geben lassen, und so hätte ich nicht gewußt, warum ich aparti dawidersein sollte.» «Aber zwängt heschs o nit», sagte Hansli. «Ich weiß wohl», sagte Anne Bäbi, «ich soll immer an allem schuld sein. Ja, wenn ich ihn in den Wirtshäusern hätte lassen herumtrohlen, ja, oder wenn ich ihn gar auf den Märten herumgeschickt hätte, wo allerlei Zeug daherkömmt, man weiß nicht, was für welches und woher, ja, da wäre es etwas anders, da müßte ich mir ein Gewissen machen. Aber Gott ist mein Zeuge, daß, wenn ihn jemand daheim behalten hat, so war ich es. Ja, wenn andere Meister gewesen wären, ja, dann glaube ich wohl, dann wäre es anders gegangen. Aber Herr Jeses, die rechten Blattere werden es nicht sein; ich wüßte nicht, womit wir das verdient hätten. Ja, wir sind auch arme Sünder, aber öppe öppis Schlechts, gäb wie liecht, haben wir doch nicht gemacht, oder es soll jemand fürestah und sagen was. Aber Herr Jeses, my Jakobli, my Jakobli, wie gehts? Und wenn d nume drvochunnst, sygs de, was es well! Aber die rechte Blattere werden es nicht sein. Nein, es sind sie nicht; ich wüßte nicht, warum uns Gott die schicken sollte, uns vor allen andern Leuten. Nein, nadisch sövli schlecht sind wir doch nicht, und die rechten Blattern sind es nicht, u sövli ungrecht wird doch nadisch üse Herrgott nit worde sy.» «He», sagte Mädi, «es wär si desse nüt z'verwungere, wes o üsem Herrgott böseti, we doch dWelt all Tag schlimmer wird.»

Aber es waren doch die rechten Blattern, und zwar brachen sie hervor mit gar fürchterlicher Macht. Glücklicherweise schlugen sie nicht innerlich, da wäre Jakobli alsobald des Todes gewesen; aber Jakoblis gut genährte, mastige Natur bot der Krankheit gewaltige Nahrung, und bald war der ganze Leib nur eine Blatter und das ganze Gesicht nur eine Eiterbeule; selbst in den Augen drangen sie hervor, und die Augen verwuchsen, und kein Licht drang in dieselben, kein Blick drang mehr aus den Augen zu Vater oder Mutter; ja man wußte kaum, wo die Augen gewesen waren. Da ward der Jammer groß im Hause, man wußte nicht, bei wem am größten. Aber Hansli sagte nicht viel als etwa, da müsse etwas gehen, so könne man die Sache nicht lassen. Wagensalb sei bsunderbar heilsam, und wenn er glaubte, es hülfe etwas, so wollte er gerne etwas darmachen; oder wenn er wüßte, daß ds Beten mehr hülfe, so wollte er fürfahre bis es bschossen hätte; der liebe Gott werde doch nit sövli wyt von ne sy, daß er es nicht hören sollte, bis es zu spät sei.

Bei Anne Bäbi war der Jammer viel lauter und brach allemal neu hervor, wenn es die Leidensgestalt sah, die da vor ihm lag. Das war der schöne Jakobli, der schönste Bub weit und breit, und jetzt eine einzige Blattere, aus der Seufzer um Seufzer stiegen und zuweilen ein anhaltendes Wimmern. Und dazu sagten alle Leute, welche kamen: «Aber Herr Jeses, davor hättet ihr sein können! Warum ließet ihr ihn nicht impfen? Aber jetzt ist nichts anders zu machen, da muß gestorben sein, und wenn einer selig sterben kann, so geht es ihm nicht übel, und es ist immer jemand da, wo die Sache nimmt, wo er geerbt hätte. Bhütis, dafür braucht man keinen Kummer zu haben.»

Das waren Trostsprüche, welche sich Anne Bäbi in die Seele bohrten, ein jeglicher wie ein apartiger Bohrer, und es jammerte und haderte mit Gott und Menschen und endlich am meisten mit sich selbst. Es fiel in die Zerknirschung, die jeden Atemzug für Sünde hält, und wußte von Kindsbeinen an zu erzählen, mit was allem es sich versündigt hätte und absonderlich mit Jakobli, und warum es Gott so expreß mit ihm strafe, wo doch kein Mensch die Blattern habe, und sah immer Sünden da, wo keine waren; die eigentlichen aber sah es nicht. Da liegt eben der größte Fehler, daß die Meisten ihre eigentlichen Sünden nicht erkennen, auch wenn die größte Bußfertigkeit über sie gekommen ist.

Zu helfen hatte es ganz den Sinn verloren und nur noch Sinn zum Jammern und Klagen. Als die Leute immer zahlreicher kamen und jeder ein neu Mittel angab und doch jeder fragte, was für einen Doktor sie hätten, so sagte endlich Mädi zu Hansli, es werde eine zuche müsse. Wenn es schon nichts helfe, so brauche man sich doch dann, es möge gehen wie es wolle, kein Gewissen zu machen. Da sagte Hansli zu Mädi: «Jo wäger, du hast recht, so braucht man sich doch kein Gewissen zu machen. Wir haben es zwar nicht im Brauch gehabt, ich nicht, der Ätti nicht und der Großätti nicht, aber sövli hart hat es auch keinen zweggenommen.» «Zu welchem soll ich?» fragte Mädi. «Das ist mir gleich», sagte Hansli, «es wird öppe ein jeder gleich viel können; aber es ist nur von wegen den Leuten. Es ist ein Anderer, und der befiehlt; und was geschehen soll, das geschieht.» Mädi schickte Sami, und der Doktor kam.

Sobald er Jakobli sah, sagte er, vor dem hätten sie sein können, und er begreife nicht, wie Eltern ihren Kindern solches Leiden antun mögen, wenn sie es ihnen doch ersparen könnten. Jetzt sei nicht mehr viel zu machen. Mittel gebe er keine; zu trinken sollten sie ihm geben nach seinem Bedürfnis, Haberkernenbrühe und Eibischtee mit Süßholz. So viel Leute sollten sie nicht in der Stube haben, das mache dem Armen nur Angst, und finster sollten sie machen und machen, daß keine Fliegen in die Stube kämen. «Aber Doktor, stirbt er, stirbt er?» jammerte Anne Bäbi. «Lueg, Frau, das kann ich dir nicht sagen; aber wenn ihr ihm gut lueget und nicht da um ihn brüllet und pläret, so ists möglich, daß er davonkömmt. Die Blattern sind hinaus, und wenn man ihn jetzt gut warmhält, daß sie nicht zurückschlagen und gut abdorren, so kömmt er davon.» «Aber lueg, Doktor, die Augen sind ganz verschwollen; schon zwei Tage sieht er nichts mehr, nicht einmal mich. Sollte man da nichts machen, und kömmt er nicht um die Augen?» «Sieh, Frau, da kann ich dir nichts sagen und machen auch nichts; mit Netzen und Salben würde man da nur verderben. Man muß warten, bis die größte Geschwulst der Augendeckel etwas vermindert ist, wo man dann erst sehen kann, wie es um das Innere steht. Dann könnt ihr es mir sagen lassen, wenn ihr wollt; man kann dann sehen, wie die Sachen stehn. Bhüt ech Gott, lebet wohl und schicket mir die Leute fort, macht kühl im Stübli und jagt die Fliegen aus!» sagte der Doktor und ging.

Da versank Anne Bäbi wieder in unaussprechlichen Jammer: «O Jakobli, mein Jakobli!» Mehr wußte es nicht zu sagen. Hansli sagte gar nichts, sondern ging in den hintern Ecken des Hauses, wo der Mist stund, und was er da machte, sah Gott. Aber Mädi räsonierte und sagte, der wisse doch in aller Himmelswelt nichts, nicht einmal ein Tränkli wüßte er zu geben; so könnte es auch doktern. Wenn es nichts sei, so hätten sie ein Brüll vom Tüfel, daß man meinen sollte, was sie wären; und wenn dann Not an Mann wäre, so wären sie grad wie Ölgötzen, und ob man deren hätte oder Dokter, es komme gerade ins Gleiche. Aber da müßte etwas gemacht sein, so könnte man die Sache nicht gehen lassen.

Nun machte aber Mädi von dem nichts, was der Doktor sagte, als daß es dem Kranken brav zu trinken gab, aber nicht Habermus, sondern Melissen- oder Holdertee. Hingegen, je mehr Leute kamen, um so lieber war es ihm; und je heißer es in der Stube ward, um so mehr deckte es den Jakobli zu. Nachdem diese gesagt: «Herr Jeses, wie sieht der aus! Der kömmt nicht davon, und wenn er schon davonkömmt, so kömmt er nie mehr zweg; e Letzi, es Näggis trägt er sein Lebtag davon. Und mit der Hübschi ist es all weg vorbei, es mag gehen, wie es will; ein Gesicht bekömmt er wie eine versprengte Pulverstampfi» – so fragten sie: «Aber machet ihr nichts? Habt ihr keinen Doktor? Geht ihr zu niemanden?»

Dann war es Mädi angeholfen; es konnte erzählen, wie sie so einen Ölgötz in der Stube gehabt; aber ob man ein Ofenbein oder ihn gefragt, es wäre auf eins gekommen, es hätten beide gleich viel gewußt. Es wolle jetzt sehen, ob es nicht noch mehr wisse als so ein hochmütiger Gstabi, dem man noch Doktor sagen sollte. Und wenn es dann die Leute frugen, was es mache, so gab es Bericht, wie es Jakobli salbe und alle halbe Stunde mit etwas anderem, und es dueche ihns, es tue ihm bsonderbar wohl. Das fanden die Leute recht gut, und jeder wußte noch etwas; die einen meinten, süßer Anken wäre gut, andere gaben dem Schmer den Vorzug; einer hatte eine bsonderbar gute Augensalbe, welche er bringen, und einer ein berühmtes Augenwasser, das er schicken wolle; und zuletzt frug dann Hansli wohl noch, was sie meinten, wie Wagensalb wäre; das sei sonst bsonderbar heilsam. Und wenn dann so Rat gehalten worden war, so betete dies und betete jenes, und Anne Bäbi jammerte; und alle Augenblicke machte jemand die Türe auf, und Fliegen surrten hinein, und alle Augenblicke machte man den Umhang weg, um den Jakobli zu zeigen, und das scharfe Licht fiel auf das unkenntliche Gesicht. Und jeder, der wegging, gab noch seine Meinung ab, wie lange er es wohl noch machen könnte; in der Nacht könnte es wohl eine Änderung geben, meinten die Meisten. Was auch komme, sie sollten es in Gottes Namen annehmen, sagten Andere, und die, welche am meisten Hoffnung hatten, sagten, wenn er den neunten Tag erlebe, so könnte man wieder hoffen, daß er mit dem Leben davonkomme; aber ein Näggis behalte er allweg.

Unterdessen hatte Mädi grusam Fleiß und salbete Tag und Nacht, bald mit Nidlenhaut, bald mit süßem Anken, bald mit Schmer, bald mit Augenwasser oder Augensalbe, je nachdem es das Eine oder das Andere bei der Hand hatte. Es wolle doch sehen, ob dann alles nichts helfe; und wenn das Eine nichts nütze, so nütze doch etwas anderes; es wäre bös, wenn unter so viel Sachen nicht eine die rechte sein sollte.

Jakobli lebte immer noch, lebte über den neunten Tag hinaus. Die Blattern am Leibe fingen an zu dorren, wobei der arme Bub erst in rechte Leiden kam; aber im Gesicht wollte es nicht dorren, es ward wüster und wüster, und keinen Stich sah Jakobli. Anne Bäbi hatte sich etwas erholt, hoffte wieder auf Jakoblis Leben und dankte Gott dafür. Aber da es dieses hatte, so fing es sich erst recht an um Jakoblis Schönheit zu kümmern. So schöne, glatte Haut hatte er gehabt, und jetzt sollte er schwarz und blatterdüpflet sein sein Leben lang. Wohl tröstete es sich lange damit, daß viele Leute die Blattern gehabt hätten, und die hätten keine Zeichen mehr; aber ob es Jakobli so sein werde, das wußte es nicht. Zudem fing es ihm an immer mehr Angst zu machen von wegen den Augen. «Wenn er blind würde, my Jakobli blind, ich sprung ins Wasser!» sagte es des Tages so manchmal. Dann tröstete Mädi, Anne Bäbi sollte doch nicht so Kummer haben; es sehe ja, es komme gut; es hätte ihn mit dem Leben davongebracht, es wüßte nicht, warum es ihm die Augen nicht auch davonbringen sollte; es heiße ja in der Bibel, das Leben sei mehr als die Augen. Es wolle Fleiß haben Tag und Nacht mit Salben und Wäschen, und es müßte alles nichts bschüßen, wenn es nicht gut kommen sollte. Es wolle aber Freude haben, wenn alles gut komme; man könne dann sehen, was so ein Doktor abtrage, ob er für etwas anders da sei, als den Leuten das Geld abzstehle und den lieben Gott taub z'machen mit seinem Hochmut.

Aber das Ding kam nicht gut. Das Gesicht sah immer wüster aus trotz Mädis Fleiß, und Anne Bäbis Kummer und Angst wurden immer größer, während Hansli ergeben war und meinte, der Herr, der bis hieher geholfen, werde auch weiter helfen, und wenn Mädi von seinem Wagensalb hätte brauchen wollen, so wäre es vielleicht schon gut.

Da kam einmal unter den vielen Besuchenden eine vernünftige Base von Anne Bäbi. Als man dieser den Umhang wegmachte und sie Jakoblis Gesicht sah, erschrak sie und sagte: «Mein Gott, mein Gott, wie sieht der arme Bub aus! Das kömmt nicht gut, der wird blind.» «O nein», sagte Mädi, «der wird nicht blind; es hat ihm schon viel gebessert, und wenn er mit dem Leben davongekommen ist, so wüßte ich gar nicht, warum er sollte um die Augen kommen.» «Aberlueg doch!» sagte die Base, «am Leib sind die Blattern trocken, aber das Gesicht ist ja fast wie ein Brei, und wenn ich nicht irre, so eitert das, und wenn ihr nicht dazutut, so eitern dem armen Buben die Augen aus dem Kopf.» Da schwoll Anne Bäbis Jammer von neuem auf, aber auch Mädis Zorn. Das wäre gspäßig, sagte es, wenn es nicht wissen sollte, ob es bessere oder nicht; es sei jetzt bald vierzehn Tage dabei gewesen und nie aus den Kleidern gekommen, und da wisse man doch, ob es bessere oder nicht; nume so vom ersten Anluegen könne man nichts sagen. Wenn man meine, es mache die Sache nicht gut, solle man seinethalb jemand anders anstellen, der mehr Fleiß habe als es. Man könne dann sehen, wie es komme, aber es wolle nicht schuld sein. «Wird nit höhn, Mädi!» sagte Hansh, «fahr du nur fort, wir sind ja mehr als zufrieden.»

Aber Anne Bäbi war nicht der Meinung, daß man so fortfahren sollte. Die Base hatte ihm eine Angst in der Seele entzündet, die nicht mit Hanslis Ergebung Mädis Kur abwarten konnte. Da müsse ein Doktor herbei, sagte es, es möge kosten, was es wolle; es möchte doch wissen, was der sage, und die Base sei bsunderbar eine witzige und hätte ihr Lebtag mehr als eine Sache gesehen. Wenn es nicht gut käme, so müßte man sich sein Lebtag ein Gewissen machen. Seinethalb, sagte Mädi, könnten sie machen, was sie wollten, es wolle nicht wehren; und wenn sie das Zutrauen nicht hätten, so wolle es gar nichts mehr machen. So hätte man es in der Welt: je besser man es meine, und je mehr man Fleiß hätte, umso weniger hätte man einem daruf. Es sei ihm nur um den Jakobli und nicht um ihns; wenn der jetzt noch sollte um seine Augen kommen, so begehrte es keine Stunde mehr zu leben. Sein Jammer tönte in Anne Bäbis Jammer; aber Anne Bäbi blieb doch Meister, und Sami mußte nach dem Doktor aus, und Mädi sagte, sie könnten machen, was sie wollten, allein es wolle an nichts schuld sein; es sehe wohl, es täte am besten, es luegti mit Gelegenheit nach einem andern Platz.

Der Doktor kam, und sobald er den Armen sah, erschrak er und sagte: «Was Donners ist da gegangen? Habe ich nicht gesagt, man solle nichts machen und warten, bis die Blattern am Abtrocknen seien? Der kömmt um die Augen, und es ist die Frage, ob nicht beide schon ausgelaufen. Wer hat da gekaaret, was ist gegangen?» «He», sagte Mädi, «wenn es ihn so gebrannt hat, so habe ich ihn gesalbet; etwas hat gehen müssen, es ist unser Lebtag nicht erhört worden, daß man Einen so daliegen läßt wie ein Unvernünftiges und nichts an ihm macht.» «Du bist ein dummes Mönsch, und wenn er blind wird, so bist du schuld. Ich habe ja gesagt, man solle einstweilen nichts machen als ihm zu trinken geben, und wenn etwas nötig scheine, so solle man es sagen. Du sollst mir ihn nicht mehr anrühren, hörst du, sonst will ich mit der Sache nichts zu tun haben!» «Ich habe doch gedacht», sagte Mädi, «das komme so, und am Ende werde ich an allem schuld sein müssen. Wo dä Löhl nicht gewußt hat, was machen, habe ich ihm das Leben gerettet; und jetzt will der kommen und befehlen und sagt mir noch wüst. Aber ds Beste ist, ich gehe; ich will fort auf der Stelle. Es duret mich nur der Jakobli, dä Hung bringt ne gwüß no um.»

Aber der Doktor kümmerte sich um Mädi nichts, sondern balgete mit Hansli und Anne Bäbi. «Warum laßt ihr doch das Babi machen? Es ist dein Kind, Frau, und du mußt, weiß Gott, selber luegen, wenn noch etwas gemacht werden soll. Ich will probieren, was möglich ist; aber ihr müßt mir gehorchen und nicht jeder alten Frau, sonst will ich lieber mit allem nichts zu tun haben. Hintendrein sollte man doch an allem schuld sein, auch an dem, wo man nicht gemacht hat, wo andere Leute geraten und befohlen haben.» Anne Bäbi versprach das Beste und hielt dem Doktor dr tusig Gottswillen an, er solle doch machen, was er könne, und sollte es hundert Kronen kosten, es reute sie kein Geld.

Kaum war der Doktor fort und Anne Bäbi mit dem beschäftigt, was der Doktor befohlen, so kam Mädi daher, gsunntiget, und sagte, es wolle denk jetzt gehen, es wolle aus dem Weg; es wolle nur den Jakobli noch einmal ansehen, es sehe ihn so sein Lebtag nie mehr. «Ach, stürm mir jetzt nicht», sagte Anne Bäbi, «und laß mich ruhig! Mein Gott, es sagt dir ja niemand nichts, und gehe und tue Erdäpfel über für die Schweine! Ach Jakobli, Jakobli, mys Bübli, wirst ächt blind!»

«O Jakobli, my Jakobli!» jammerte Mädi, «das hätte ich nie geglaubt, daß wir so auseinander kämen, und daß, wenn du sterben mußt, ich sollte schuld sein, und habe ich doch an dir getan, was keine Mutter an ihrem Kind! Myn Gott, myn Gott! Es zerreißt mir das Herz, wenn ich dich nicht mehr sehe! Lebe wohl!» Da aber eben Anne Bäbi mit ihm zu tun hatte, so daß es nicht zum Bett konnte, so sagte es: «Jakobli, wenn ich den Säuen überhabe, so komme ich noch einmal wieder; es wird dann wohl noch einen Augenblick Platz für mich an deinem Bette sein.»

Darauf ging Hansli hinunter, zündete sein Pfeifchen unter Mädis Säuhafen an und sagte: «Mädi, bis nit höhns! Denk, Anne Bäbi ist dMutter, und was dr Doktor gseit het, hey mir nit gseit.» «He ja», sagte Mädi, «aber es dauret einem, wenn man getan hat, was ich, und man kommt einem so, und Anne Bäbi hat auch kein Wörtchen gesagt, daß ich die Sache recht gemacht habe, und hatte sich doch längs Stück keiner Sache angenommen; jetzt, wenn es nicht gut kömmt, soll ich doch an allem schuld sein.» Hansli gab keine Antwort auf diese Rede; aber Mädi zog die Sonntagskleider wieder aus und kochete nicht bloß für die Schweine, sondern auch für die Haushaltung. Als es aber abends alleine mit Sami an dem Essen saß, sagte es, es erleide ihm, dabeizusein; da könne man sein Lebtag böshaben für andere Leute, und am Ende sage einem niemand «Dankeigist!» und wenn man sollte krank werden, so wäre man der ärmste Hung auf der Welt. Es sei einer ein Narr, wenn er nicht zu ihm selbsten sehe. Meisterleute seien immer Meisterleute, die brävsten seien nicht einen halben Birenstiel wert, und wenn der Bub nicht wäre, es blieb keine Stunde länger im Hause, und wenn es etwas Schickigs anzustellen wüßte, es bsinnte sich nicht lange.

Von wegen den Meisterleuten half Sami dem Mädi und klagte auch, man wisse längs Stück nicht, was man tun solle, und ob man die Sache recht mache. Es ginge manchmal ein Monat vorbei, und Hansli sage nie, daß er zufrieden sei; und Anne Bäbi sei je länger je wunderlicher, und wenn eine Gable oder ein Gohn nicht immer am gleichen Orte sei, so hätte es Mut, zu balgen. Aber wegen dem, was Mädi vom Anstellen zu verstehen gab, sagte er nichts; bei sich selbst dachte er: «Leg du mir den Lätsch, so oft du willst, ich trappe dir doch nicht hinein; du bist mir denn nadisch zu wüst und zu bös. Wenn es mir hier erleidet ist, so kann ich gehen; wenn ich aber an dir bhanget wäre, so müßte ich hangen, bis der Tod mich ablöste, und das könnte mir noch längs werden.»


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