Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
Johann Wolfgang von Goethe

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Aus Byron's Manfred.

Bannfluch.

                    Wenn der Mond ist auf der Welle,
Wenn der Glühwurm ist im Gras,
Und ein Scheinlicht auf dem Grabe,
Irres Licht auf dem Morast,
Wenn die Sterne fallend schießen,
Eule der Eul' erwiedernd heult,
Und die Blätter schweigend ruhen
An des dunklen Hügels Wand,
Meine Seel' sei auf der deinen
Mit Gewalt und Zeichenwink!

Ist dein Schlummer noch so tief,
Kommt dein Geist doch nie zum Schlaf.
Da sind Schatten, die nicht schwinden,
Da Gedanken, die nicht bannest.
Die Gewalt, die du nicht kennest,
Läßt dich nimmermehr allein.
Bist in's Leichentuch gewindelt,
Eingehüllt in einer Wolke,
Und für immer, immer wohnst du
In dem Geiste dieses Spruchs.

Siehst mich nicht vorüber gehen,
Fühlst mich doch in deinem Auge
Als ein Ding, das ungesehen
Nah dir sein muß, wie es war,
Und wenn du, geheim durchschaudert,
Deinen Kopf umwendend blickest,
Sollst dich wundern, daß nicht etwa
Wie ein Schatten bin zur Stelle;
Nein! die Kraft, die du empfunden,
Ist, was sich in dir verbirgt.

Und ein Zauberwort und Lied
Taufte dich mit einem Fluch,
Und schon hat ein Geist der Lust
Dich umgarnt mit einer Schlinge.
In dem Wind ist eine Stimme,
Die verbeut dir dich zu freuen.
Und wenn dir die Nacht versagt
Ihres reinen Himmels Ruhe,
Bringt der Tag eine Sonn' herauf;
Wär' sie nieder! wünschest du.

Deinen falschen Thränen zog ich
Tödtlichste Essenzen aus,
Deinem eignen Herzen sog ich
Blut, das schwärzeste, vom Quell,
Deinem Lächeln lockt' ich Schlangen,
Dort geheim geringelt, ab,
Deinem Lippenpaar entsaugt' ich
Allerschlimmstes aller Gifte.
Jedem Gift, das ich erprobet,
Schlimmer ist dein eignes doch.

Bei deiner kalten Brust, dem Schlangenlächeln,
Der Arglist unergründlichem Schlund,
Beim dem so tugendsam scheinenden Auge,
Bei der verschlossenen Seele Trug,
Bei der Vollendung deiner Künste,
Dem Wahn, du tragest ein menschliches Herz,
Bei deinem Gefallen an Anderer Pein,
Bei deiner Cains-Bruderschaft
Beschwöre ich dich und nöthige
Dich selbst dir eigne Hölle zu sein!

Auf dein Haupt gieß' ich die Schale,
Die dich solchem Urtheil widmet,
Nicht zu schlafen, nicht zu sterben
Sei dein dauernd Mißgeschick;
Scheinbar soll der Tod sich nahen
Deinem Wunsch, doch nur als Grauen.
Schau'! der Zauber wirkt umher dir,
Dich geklirrlos fesselt Kette;
Ueber Herz und Hirn zusammen
Ist der Spruch ergangen – schwinde!

 


 


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