Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
Johann Wolfgang von Goethe

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Klaggesang

von der edeln Frauen des Asan Aga.

Aus dem Morlackischen.

            Was ist Weißes dort am grünen Walde?
Ist es Schnee wohl, oder sind es Schwäne?
Wär' es Schnee, er wäre weggeschmolzen;
Wären's Schwäne, wären weggeflogen.
Ist kein Schnee nicht, es sind keine Schwäne,
's ist der Glanz der Zelten Asan Aga;
Niederliegt er drin an seiner Wunde.
Ihn besucht die Mutter und die Schwester;
Schamhaft säumt sein Weib, zu ihm zu kommen.

Als nun seine Wunde linder wurde,
Ließ er seinem treuen Weibe sagen:
»Harre mein nicht mehr an meinem Hofe,
»Nicht am Hofe und nicht bei den Meinen.«

Als die Frau dies harte Wort vernommen,
Stand die Treue starr und voller Schmerzen,
Hört der Pferde Stampfen vor der Thüre,
Und es däucht ihr, Asan käm', ihr Gatte,
Springt zum Thurme, sich herab zu stürzen.
Aengstlich folgen ihr zwei liebe Töchter,
Rufen nach ihr, weinend bittre Thränen:
»Sind nicht unsers Vaters Asan Rosse,
»Ist dein Bruder Pintorowich kommen!«

Und es kehret die Gemahlin Asan's,
Schlingt die Arme jammernd um den Bruder:
»Sieh die Schmach, o Bruder, deiner Schwester!
»Mich verstoßen, Mutter dieser Fünfe!«
Schweigt der Bruder, ziehet aus der Tasche,
Eingehüllet in hochrothe Seide,
Ausgefertiget den Brief der Scheidung,
Daß sie kehre zu der Mutter Wohnung,
Frei sich einem Andern zu ergeben.

Als die Frau den Trauer-Scheidbrief sahe,
Küßte sie der beiden Knaben Stirne,
Küßt' die Wangen ihrer beiden Mädchen
Aber ach! vom Säugling in der Wiege
Kann sie sich im bittern Schmerz nicht reißen!
Reißt sie los der ungestüme Bruder.
Hebt sie auf das muntre Roß behende,
Und so eilt er mit der bangen Frauen
Grad' nach seines Vaters hoher Wohnung.

Kurze Zeit war's, noch nicht sieben Tage;
Kurze Zeit g'nug; von viel großen Herren
Unsre Frau in ihrer Wittwentrauer,
Unsre Frau zum Weib begehret wurde.

Und der größte war Imoski's Cadi,
Und die Frau bat weinend ihren Bruder:
»Ich beschwöre dich bei deinem Leben,
»Gieb mich keinem Andern mehr zur Frauen,
»Daß das Wiedersehen meiner lieben,
»Armen Kinder mir das Herz nicht breche!«

Ihre Reden achtet nicht der Bruder,
Fest, Imoski's Cadi sie zu trauen.
Doch die Gute bittet ihn unendlich:
Schicke wenigstens ein Blatt, o Bruder,
Mit den Worten zu Imoski's Cadi:
»Dich begrüßt die junge Wittib freundlich,
»Und läßt durch dies Blatt dich höchlich bitten,
»Daß, wenn dich die Suaten herbegleiten,
»Du mir einen langen Schleier bringest,
»Daß ich mich vor Asan's Haus verhülle,
»Meine lieben Waisen nicht erblicke.«

Kaum ersah der Cadi dieses Schreiben,
Als er seine Suaten alle sammelt,
Und zum Wege nach der Braut sich rüstet,
Mit den Schleier, den sie heischte, tragend.

Glücklich kamen sie zur Fürstin Hause,
Glücklich sie mit ihr vom Hause wieder.
Aber als sie Asan's Wohnung nah'ten,
Sah'n die Kinder oben ab die Mutter,
Riefen: »Komm zu deiner Halle wieder!
»Iß das Abendbrod mit deinen Kindern!«
Traurig hört' es die Gemahlin Asan's,
Kehrete sich zu der Suaten Fürsten:
»Laß doch, laß die Suaten und die Pferde
»Halten wenig vor der lieben Thüre,
»Daß ich meine Kleinen noch beschenke.«

Und sie hielten vor der lieben Thüre.
Und den armen Kindern gab sie Gaben;
Gab den Knaben goldgestickte Stiefel,
Gab den Mädchen lange, reiche Kleider,
Und dem Säugling, hülflos in der Wiege,
Gab sie für die Zukunft auch ein Röckchen.

Das beiseit sah Vater Asan Aga,
Rief gar traurig seinen lieben Kindern:
»Kehrt zu mir, ihr lieben, armen Kleinen.
»Eurer Mutter Brust ist Eisen worden,
»Fest verschlossen, kann nicht Mitleid fühlen.«

Wie das hörte die Gemahlin Asan's,
Stürzt' sie bleich, den Boden schütternd, nieder.
Und die Seel' entfloh dem bangen Busen,
Als sie ihre Kinder vor sich fliehn sah.

 


 


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